Prokopus - Adalbert Stifter - E-Book

Prokopus E-Book

Adalbert Stifter

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Beschreibung

Die Handlung in Prokopus knüpft an jene der 1842 erschienenen Stifter-Erzählung Die Narrenburg an. Die Schauplätze von Die Narrenburg und Prokopus sind identisch. Die Handlung von Prokopus ist allerdings im 17. Jahrhundert angesiedelt also etwa 200 Jahre früher als jene der Narrenburg. Im Mittelpunkt der Erzählung steht die Ehe des Grafen Prokopus und seiner Frau Gertraud. Die Erzählung beschreibt die Entfremdung der Eheleute voneinander, die sich über die Jahre einschleicht, obwohl beide auf das Äußerste bemüht sind, ihr gemeinsames Glück zu finden. Vor allem die Unfähigkeit von Prokopus, das Bedürfnis seiner Frau nach Eingebundenheit in die menschliche Gesellschaft zu erfüllen, machen dies unmöglich. Beide ziehen sich immer weiter zurück, so dass sie zunächst den emotionalen Kontakt zueinander und später auch zu ihren fünf Kindern verlieren.

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Inhalt

Cover

Prokopus

1. Am Morgen

2. Der Mittag

3. Der Abend

Adalbert Stifter

Prokopus

Überarbeitung, Satz und Umschlaggestaltung: SoTo

Ein Imprint des Axiomy Verlages

Published by SoTo, Deutschland

Bielatalstraße 14 I 01824 Königstein

Copyright © 2016 - by SoTo

ISBN Print 978-1534738157

ISBN Großdruck 978-1534738188

ISBN EPUB 978-3-96077-062-6

www.buch-klassiker.de

1. Am Morgen

Durch das Haupttal der Fichtau, in welchem die Perniz fließt, ging einmal ein großer Zug von Männern und Frauen. Der Weg war damals keine Straße, auf welcher schöne Wägen gehen können – eine solche ist er noch heutzutage nicht-, aber damals war der Pfad so schmal und uneben, daß nicht einmal jene Gebirgswägelchen auf ihm hätten fahren können, mit denen er in unsern Zeiten sozusagen bedeckt ist. Deshalb saßen alle jene Männer und Frauen auf ihren Pferden und ritten auf dem Pfade dahin. Die Tiere gingen eines hinter dem andern, außer wo der Weg sich etwa zufällig erweiterte und sie sich zu zweien gesellen konnten, wenn ihre Reiter etwas miteinander zu reden oder sich sonst einen Beistand zu leisten hatten.

Wenn man in jenen Tagen ein Ding durch die Fichtau bringen wollte, mußte es gesäumt werden. Die Bergdachungen zu beiden Seiten gingen mit Wald bedeckt bis an das Wasser nieder, in dem sie sich netzten. Die Perniz rauschte an dem Wege, und es lagen in ihren Gewässern noch manche Marmorblöcke aus dem Reviere der Fichtau, welche man später weggeräumt hatte, um Platz zu gewinnen oder um etwas Nützliches und Notwendiges aus ihnen zu machen.

Es glänzte ein heiterer Morgen auf dem ganzen Walde, da der Zug ging, alles war erfrischt und manches nasse Zweiglein, das an dem Wege stand, streifte die Füße eines Pferdes oder das Gewand eines Reiters.

Sie hatten alle die Tracht, die gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts gebräuchlich war. Die Männer hatten keine Harnische mehr an, noch hatten sie irgendein anderes Eisenwerk an sich, wohl aber trugen sie an ungeheuren bauschigen Schärpen, die um das Lederkoller hingen, die Schwerter der damaligen Zeit. In den Halflern des Sattels steckten sehr große, ungeschlachte Pistolen, und auf dem Haupte war der breitkrempige Hut mit der niedergehenden, wallenden Feder. Manche hatten gleich mehrere solcher Federn, daß sie wie ein nickender Haufen auf dem großen Rund des Hutes saßen oder von demselben wie ein Schneefall herniedersanken. An den Stiefeln, deren Mündunge oft kahnförmig um den Fuß gingen. waren die großrädrigen Sporen jener Zeit. Die Frauen hatten klappige Häubchen auf dem Kopfe, gesteifte Ärmel, dünne Leiber, dann weiter unten allerlei Böschungen und endlich das glänzende niederfallende Reitkleid. Bei verschiedenen waren goldflinsernde und manchmal eine schönere seidene Blumen darauf gestickt.

So bewegte sich der Zug auf dem Pfade dahin.

Da er um die Biegung eines Hügels kam, erweiterte sie hinter diesem das Tal, und es ging der Weg in einen ebenen, gleichsam geplätteten Raum auseinander, auf dem viele Pferde und Menschen und andere Dinge hätten stehen können. Auf diesem wohlgestampften Platze am Rande der hohen, düsteren Tannen und Fichten, wo der schäumende weiße Gießbach aus der dunkeln Rinne des Grahnsberges hervorstürzt, stand das Wirtshaus des Tales, die grüne Fichtau geheißen, und sah mit seinen beiden übereinander befindlichen Fensterreihen auf die beschriebene Gasse heraus. Es war aus Holz gezimmert, hatte auf dem Erdgeschosse ein Stockwerk und dann ein sehr flaches Gebirgsdachf auf dem graue Steine lagen, darunter auch manch roter aus de Marmor der Fichtau. Das Haus ging mit seinen Schoppen und Scheunen gleich in die Tiefe des Waldes zurück. Sonst war kein Gebäude oder eine Hütte zu sehen. Auf der Wirtshausgasse gegen den Wald hin, wo von großen Tannen, die auf einem Steingewände standen, noch die langen Morgenschatten fielen, war ein Tisch, er war aus mehreren aneinandergestoßenen gefügt, mit frischen Linnen bedeckt und mit Geschirren, Gläsern und Flaschen beladen. Um den Tisch waren Stühle und Bänke, wie sie das Fichtauer Wirtshaus vermochte. An dem Saume des Gehölzes standen mehrere Menschen, die man gleich an ihren Gewändern erkannte, daß sie aus der Fichtau zusammen gekommen waren. Sie hielten sich ruhig, als warteten sie auf etwas. An der andern Seite des großen Platzes, schon gegen die Stallungen zurück, standen Packpferde, die aneinandergebunden waren, und auf der Erde lagen Ledersäcke, aus denen bereits manches gepackt wurde.

Als die Reiter gegen dieses Haus kamen und über die Brücke des Waldbaches hervorgeritten waren, schwenkten sie sämtlich auf die Gasse der grünen Fichtau hinzu und blieben dort stehen. Die Männer sprangen hierauf von den Pferden und halfen auch den Frauen herunter. Die Tiere wurden den Dienern und solchen zur Obhut übergeben, welche unter der Gesellschaft im Trosse geritten waren.

Während sich die andern noch mit ihren Pferden und Kleidern beschäftigten, trat ein junger Mann aus der Gesellschaft gegen den Tisch hinvor. Er war sehr schön gekleidet. Er legte den schwarzen Filzhut mit weißer dichter Feder auf einen Stuhl, und wie diese Kopfbedeckung von seinen Zügen, die sie beschattet hatte, weg war, gewannen diese gleichsam Licht und zeigten, daß er sehr jung war und eine Schönheit besaß, die fast zur Bewunderung hinriß. Es war um die Lippen und das Kinn der Anfang eines dunklen Bartes, von dem Haupte fielen schwarze Locken, und die Augen unter der klaren Sinne waren von einer Größe, wie man sie selten bei Männern findet, und sie ware ebenfalls ganz dunkel wie die Haare.

Er hatte an seiner Hand ein Mädchen gegen den Tisch geführt, welches ebensoschön gekleidet war wie er und mit blauen Augen aus einem schönen, sanken Angesichte sah.

»Siehst du, Gertraud«, sprach er zu ihr, »das ist die grüne Fichtau, wie ich dir gesagt habe, das älteste Haus in den ganzen Bergen, weit älter als der Rothenstein. Lege den Mantel ab, liebe Gertraud. So. – Ich sage dir, da mögen sogar die Avaren und Bojer schon einen Lagerplatz für ihre Saumtiere gehabt haben. Dann hat ein Waffenknecht oder ein anderer eine Hütte gebaut, um die Zugzubehöre unter Dach und Fach zu bringen. Wie oft mußte das Haus erneuert worden sein, da es nur von Holz ist, siehst du, und das Holz keinen so festen Bestandteil abgibt. Als die Männer in das Heilige Land zogen und manchmal ein Zug an der Perniz ging, da lesen wir, wie sie in der grünen Fichtau sich sammelten und ihr Rüstzeug und Eisengeschirr auf die Bänke umher legten. Aus dem Lebensbuche des Ritters Quirinus geht hervor, daß vor zweihundert Jahren das Haus schon die doppelte Fensterreihe gehabt habe, wie jetzt. Es erscheint überhaupt das Haus öfter in de Schriften und Pergamenten des roten Saales. Die Bewohner kamen manchmal zu uns hinauf. und einmal war eine gar Amme auf dem Schlosse, bei dem Sohn des Ritters Ubaldus. Setze dich auf diesen Stuhl, Gertraud, er ist für dich bereitet.«

Das anmutige Wesen ließ sich in dem Stuhle nieder, der ihm angedeutet wurde, und sagte: »Ihr seid sehr gelehrt, mein verehrter Gemahl, und wißt von viele Dingen dieser Erde zu erzählen.«

»O nein, Gertraud. ich bin nicht gelehrt«, antwortete der Jüngling, »und weiß auch nicht viel. Wenn ich aber auch nur etwas Weniges weiß, so ist mein Bernhard schuld, der mir von den Dingen auf der Erde und an dem Himmel erzählte.«

»So wisset Ihr von den Dingen, die in dem Himmel sind, zu erzählen, verehrter Vater?« sagte die junge Frau, indem sie sich auf dem Stuhle umwendete und zu einem Manne aufsah, der eben herzutrat.

Dieser war ein Greis und hatte, ungleich den andern, die meistens in Leder gekleidet waren, einen schwarzsamtnen Oberwurf an, auf den der weiße Bart niederging und über dem der weiße, gegen die Mitte zu kahle Scheitel glänzte.

»Nein, erlauchte Frau«, antwortete er, »von den Dingen, die in dem Himmel sind, weiß ich nichts zu erzählen, sondern nur von den Sternen, die sich außerhalb an demselben befinden und sich bewegen.«

»Nur von den Sternen«, sagte die Frau, »das ist nicht bedeutend.«

»Da wir von dem Innern des Himmels nichts wissen, so ist das von den Sternen doch bedeutend«, antwortete der Greis.

Die übrigen waren indessen auch mit ihren Anordnungen fertig geworden und schickten sich an, zu dem Tische zu kommen. Der Jüngling rief soeben zu der Gesellschaft: »Tretet hieher, Schwiegervater Werner, kommt, verehrte Schwiegermutter, Schwager Rudolph. Freunde, Gäste und Genossen – nehmet das Frühmahl ein, das hier bereitet ist. Mein geehrter Lehrer, Bernhard von Kluen, wird, wie bisher, die Stelle meines Vaters vertreten. Die grüne Fichtau sorgt für alles, was wir und unsere Angehörigen bedürfen.«

Die Männer nahmen die Frauen zierlich bei der Hand und führten sie gegen den Tisch hinvor, wie der Jüngling wenige Augenblicke früher seine junge Gattin hinvor geführt hatte. Die Frauen setzten die Füße leicht

und nur mitden Spitzen der Zehen auf den Boden und machten im Gehen sehr kurze Schritte.

Der Jüngling nahm nun den Hut von dem Stuhle, setzte ihn aber nicht auf, sondern behielt ihn in der Hand und blieb stehen, bis alle Paare an den Tisch gekommen waren und die Frauen sich niedergesetzt hatten Dann tat er den Hut auf das Haupt und setzte sich neben seine Gattin. Desgleichen taten auch alle andern Sie warteten, bis die Frauen saßen, dann rückten sie die Stühle und ließen sich neben ihnen nieder.

Da saß nun links von dem Jünglinge sein Schwiegervater, Graf Werner von der Staue, ein Mann mit bereits beginnendem Grau der Haare und mit gebräuntem Angesichte – rechts saß die junge Gemahlin; wir haben schon gesagt, daß sie so feine Wangen und blaue Augen hatte; man bemerkte jetzt, da sie so saß, da ihr Kopfputz anders war als der aller übrigen: sie ha noch nicht das Frauenhäubchen auf, hatte aber auch nicht mehr den gewöhnlichen verschlungenen Kopfputz der Mädchen, sondern auf dem Scheitel war ein sehr kleines Barett, von dem nach hinten ein Schleier hinabging. – Gleich an ihr saß ihre Mutter, fast noch selber eine junge schöne Frau, das gealterte, gemilderte Ebenbild der Tochter. Dann war der alte Bernhard von Kluen, der Schwager Rudolph und Verwandte und Freunde und Genossen des Jünglings. Zwischen jeden zwei Männern saß eine Frau, entweder solche, die wegen Blutsfreundschaft hieher gehörten, oder Gespielinnen oder selbst höhere Dienerinnen der jungen Gattin. Die andern Diener und Knechte mochten im Haus oder hinter demselben irgendwo ihr Frühmahl halten.

Die ganze Zeit her war auf einem freien Platze nich weit von der gedeckten Tafel ein seltsamer Mann gestanden. Er hatte sehr viele schneeweiße Haare, blitzende Augen und ein freundliches Angesicht. Auf dem Leibe trug er ein lodenes Wams, dann Pumphosen bis in die Knie, graue Strümpfe und große Schnallenschuhe. Es war der Wirt der grünen Fichtau. Da sich alle an dem Tische zurechtgesetzt hatten, nahm er das Barett, das er bisher in beiden Händen gehalten hatte, in die rechte Hand, näherte sich dem Tische, tat mit dieser rechten Hand eine leise, kleine Schwenkung seitwärts und sagte: »Lange lebe unser Herr und Graf, der junge Prokopus von Scharnast! Lange lebe seine neue Braut und Gemahlin, die Gräfin Gertraud von der Staue, welche jetzt die Gräfin Gertraud von Scharnast ist! Lange leben unsre hochgebornen Herren und Gäste und alle, welche mit ihnen in Verbindung und Verwandtschaft stehen!«

Als er diese Worte gesagt hatte, ging er, sein Barett gleichsam wie ein Brieftäschlein in das Wams steckend, zu dem Tische und nahm die Deckel von den Schüsseln, in denen kalte Speisen waren, und legte sie auf die geeigneten Plätze des Tisches umgekehrt nieder. Zu gleicher Zeit, da er mit einem Winke umsah, näherte sich seine Frau und seine Tochter an der Spitze von mehreren Leuten, welche die warmen Speisen trugen. Die Frau war ein schönes, in die ersten Greisenstufen tretendes Weib und die Tochter ein junges, schlankes, herrlich blühendes Mädchen. Sie teilten sich beide in die Arbeit so, daß die Mutter an der einen Seite des Tisches hinaufging und die Aufstellung und Ordnung der Schüsseln besorgte; die Tochter aber an der andern hinab, das nämliche besorgend. Dann gingen sie jedoch wieder beide in das Haus hinein.

Der junge Graf war auf die Anrede des Wirtes ein wenig aufgestanden, hatte mit der Hand gegrüßt und gesprochen: »Wir danken dir, Romanus, für deinen Wunsch, wir hoffen, daß der Rothenstein und die grüne