Psycho-logisch richtig verhandeln - Vera F. Birkenbihl - E-Book

Psycho-logisch richtig verhandeln E-Book

Vera F. Birkenbihl

4,3

  • Herausgeber: mvg
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2010
Beschreibung

Ob es sich um eine Dienstleistung, ein Produkt oder die eigene Meinung handelt, die man verkaufen will - aus strategischer Sicht ist der Vorgang immer gleich. Vera F. Birkenbihl zeigt, worauf es ankommt und wie man erfolgreich verhandelt. Dazu hat sie ein eigenes Konzept der Bio-Logik, Psycho-Logik und Logik entwickelt, indem sie eindrucksvoll darstellt, warum zuerst die bio-logischen und psycho-logischen Aspekte berücksichtigt werden, bevor man sich dann logischen Fakten, Gründe und Tatsachen zuwenden kann. Wie man erfolgreich verhandelt, zeigt dieses Buch, das auf der Basis der jahrelangen Seminararbeit der Autorin basiert. Ein Buch für alle, die immer überzeugen wollen.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:[email protected]

24. Auflage 2023

© 1993 by mvg Verlag, ein Imprint der FinanzBuch Verlag GmbHTürkenstraße 8980799 MünchenTel.: 089 651285-0Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. 

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch, MünchenSatz: HJR, Sandra Wilhelmer, Landsberg am Lech

ISBN Print 978-3-86882-512-1E-Book (PDF): 978-3-86415-065-4E-Book (EPUB, Mobi): 978-3-86415-253-5

Auf Wunsch der Autorin erscheint der vorliegende Text in der alten Rechtschreibung.

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter

www.m-vg.de

Widmung

Dieses Buch ist zwei Gruppen von Menschen gewidmet: Zum einen den Wissenschaftlern und Autoren, deren Arbeiten mich erst befähigten, hier dargelegte Konzepte und Denk-Modelle auszuarbeiten, insbesondere BERNE, CAMPBELL, GORDON, MASLOW, SZASZ und WATZLAWICK. Zum anderen (wie auch bei meinen letzten beiden Büchern) war die Entwicklung der vorliegenden Arbeit erst durch die regen Diskussionen meiner Seminarteilnehmer, durch ihre Zweifel und ihr kritisches Hinterfragen abgerundet und »geglättet« worden. Teilnehmer aus drei Gruppen haben besonders viel zur ständigen Überarbeitung der neuen Denk-Modelle und Übungen beigetragen: Mitarbeiter der BayWa (Bereich Landmaschinen), der Deutschen Nemectron und der U.S.Army in Berlin.

Ihnen allen, wie auch dem Verlag selbst, der ein schnelles Erscheinen ermöglichte: Herzlichen Dank!

Zu diesem Buch

Sie können dieses Buch lesen,Sie können es aber auch als individuelles Trainingsprogramm auffassen. Im letzteren Fall würden Sie wie folgt vorgehen:

1.  Sie lesen den Teil I sowie die Themen des Anhangs, die Sie interessieren.

2.  Parallel dazu beginnen Sie mit den Inventurübungen am Ende eines jeden Kapitels.

3.  Nach Abschluß aller Inventurübungen gehen Sie zu Teil II über.

4.  Sie prüfen Ihr Wissen bezüglich Teil I durch den Test im Kapitel7.

5.  Dann absolvieren Sie den Übungs-Zyklus der Kapitel 8 und 9 und setzen die gewonnenen Erkenntnisse mehr und mehr in Ihrer täglichen Praxis ein.

6.  Weiteres intensives Training ermöglicht der Folgeband »Fragetechnik schnell trainiert«, ebenfalls im mvg-Verlag erschienen.

Vorbemerkung zur Taschenbuchausgabe

Im Vorwort (zur ersten Auflage) benutze ich die Verhandlungs-Situation zwischen den USA und Mexiko als Fallbeispiel, um einige »Regeln« schlechter (aber regelmäßig auftretender) Verhandlungstaktik aufzuzeigen. Die Tatsache, daß inzwischen etwas Zeit ins Land gegangen ist, gibt Ihnen beim Lesen eine besondere Perspektive. Der amerikanische Präsident heißt jetzt nicht mehr CARTER.

Doch was im Großen gilt, gilt natürlich auch im Kleinen, und damit auch für die Verhandlungs-Situationen Ihrer persönlichen Praxis (beruflich wie privat). Im Gegensatz zur Weltpolitik können Sie diese maßgeblich mitgestalten. Es geht um Ihre Zukunft, Ihren Erfolg!

Odelzhausen, Frühjahr 1989

Vera F. Birkenbihl

Vorwort – hier geht’s los

Aus der politischen Verhandlungs-Situation zwischen den USA und Mexiko Ende der siebziger Jahre können wir die Schwierigkeiten und Mechanismen verstehen, die jede Verhandlungs- Situation (beruflich wie privat) kennzeichnen:

 

1. Solange einer der Partner dem anderen überlegen ist, neigt er in der Regel dazu, Druck auf den schwächeren auszuüben.

Diese Regel1 gilt nicht nur für die Verhaltensweisen von Nationen, sondern beschreibt das Vorgehen einzelner Personen genauso. Auf die USA-Mexiko-Situation bezogen können wir diese Regel klar erkennen: Bis zur Entdeckung der riesigen Erdöl-Vorkommen in Mexiko hatten die USA ihre starke Verhandlungsposition rücksichtslos ausgenützt. Nun aber hat sich die Situation verändert. Interessant ist ein Satz von F. KASSEBEER in der Süddeutschen Zeitung, Nr. 39 (1979, Seite 3):

Als Jimmy Carter zum Staatsbesuch landete, drückte JLP seine Überraschung aus über »die Mischung von Interesse, Herablassung und Furcht«, die in den USA gegenüber Mexiko herrschen.

Es war den Amerikanern unmöglich, Jimmy CARTERs Vorsatz, Mexiko als gleichwertigen Partner zu sehen, auch in die Tat umzusetzen. Denn:

 

2. Wenn sich die Verhandlungssituation plötzlich verändert, können die Verhandlungspartner sich dieser neuen Situation nur langsam anpassen.

Aber es ist nicht nur den Amerikanern schwergefallen, dem mexikanischen Gesprächspartner mit Respekt und Achtung zu begegnen. Auch der ehemals Schwache (Mexiko) mußte mit seiner neuen Position der Stärke erst selbst fertig werden.

Die oben zitierten Worte des mexikanischen Präsidenten beschreiben eine solche Situation: Interesse plus Herablassung und Furcht. Zwar sollte man annehmen, daß diese drei Faktoren schwerlich in derselben Situation auftreten könnten, weil sie sich zum Teil gegenseitig auszuschließen scheinen. Aber: In jeder Verhandlungs-Situation, in der sich widersprechende Bedürfnisse vorhanden sind, kann eine solche Mischung sehr wohl auftreten. Im Falle der USA bedeuteten diese »gemischten« Gefühle:

INTERESSE:

Plötzlich hatten die Mexikaner etwas, was die USA wirklich brauchten. Interesse läßt immer auf unbefriedigte Bedürfnisse dessen schließen, der Interesse hat! Die USA waren auf das Ol Mexikos angewiesen. Wieso kam es dann trotzdem zur Herablassung? Und: Was fürchteten die USA?

FURCHT:

Furcht resultiert aus einem Gefühl der Bedrohung. Inwieweit bedrohte die neue Situation jetzt den »Gringo«? Wiewohl die Amerikaner das Erdöl Mexikos dringend benötigten, fürchteten sie die Erdgasvorkommen ihres Nachbarn. Denn diese gefährdeten den Absatz ihrer eigenen Erdgasvorräte, die in Alaska unter sehr schwierigen Bedingungen (also teuer) abgebaut werden müssen. Diese Furcht aber geht mit kopflosen, unbedachten Reaktionen einher. Dies bewies SCHLESINGER, wie der SPIEGEL (Nr. 8, 1979, S. 149) berichtete, als er -

»… Ende 1977 ein bereits ausgehandeltes Abkommen über den Verkauf von mexikanischem Erdgas an ein US-Konsortium zu Fall (brachte): Mit 2,60 Dollar pro 1 000 Kubikfitß sei es zu teuer. ›Carter will Erdnüsse für Erdöl eintauschen‹ hieß es… kurz vor Ankunft des US-Präsidenten, auf einer meterhohen Inschrift in Mexiko-City.«

Ein weiterer Grund für die Furcht der »norteamericanos« besteht in der Erdöl-Situation selbst. Wenn Mexiko will, kann es die USA ernsthaft daran hindern, ihren hohen Lebensstandard (der mit zu den herablassenden Gefühlen der letzten Jahrzehnte beigetragen hatte) aufrechtzuerhalten.

Trotzdem hat sich diese herablassende Haltung auch weiterhin nicht geändert:

HERABLASSUNG:

Denn auch die USA können Mexiko nach wie vor schaden. Unter anderem, indem sie das Problem der illegalen mexikanischen Einwanderer noch härter anfassen als bisher. Denn, wie der SPIEGEL (op. cit. S. 150) schreibt:

»Für die Mexikaner ist Amerikas durchlässige Grenze ein Ventil für sozialen Druck. Von Carter wollen sie deshalb erreichen, daß wenigstens in den nächsten vier, fünf Jahren die Amerikaner die Grenze nicht dichtmachen – so lange, bis sie selbst mehr Arbeitsplätze geschaffen haben.«

Dies gilt heute immer noch!

Dabei ist die Situation fast schon komisch: Schließlich sind diese zwei Nationen eigentlich ideale Nachbarn, da sich ihre Bedürfnisse in so hervorragender Weise ergänzen, so daß beide Länder von guter Verhandlungstaktik nur profitieren würden!

Aber sie tun es nicht, denn:

 

3. Je mehr einer (oder mehrere) der Verhandlungspartner darauf angewiesen ist (sind), seine (ihre) Ziele zu erreichen, desto eher wird er (werden sie) unbedacht reagieren. Desto größer ist die Gefahr, aggressiver und/oder defensiver Maßnahmen, die eine gute Strategie zwischen ebenbürtigen Partnern verhindern.

Wie die Nord- und die Mittelamerikaner ihre Verhandlungsprobleme lösen werden, kann man in Zukunft in der Presse und im Fernsehen mitverfolgen. Außerdem könnte man so manches dabei lernen, wenn man sich darüber klar ist, daß bei Einzelpersonen dieselben Gesprächsregeln gelten.

Unsere Aufgabe ist es, die darunterliegenden (versteckten) Mechanismen und Prozesse zu verstehen, damit wir unsere eigenen Verhandlungs-Situationen (beruflich wie privat) besser, problem- und konfliktfreier, erfolgreicher meistern können!

Falls Sie sich gewundert haben sollten, daß wir sowohl im Berufs- als auch im Privatleben von »Verhandlungen« sprechen, sei mir ein Hinweis auf eine Unklarheit der deutschen Sprache erlaubt. Unser Thema befaßt

sich nämlich mit dem, was die Anglo-Sachsen als »negotiation-technique« bezeichnen. Hierbei ist im englischen Sprachraum jedem klar:

 

»Negotiation« heißt eine Gesprächs-Situation, in der man ein konkretes Ziel erreichen will.

Das gilt für die USA, wenn sie mit Mexiko verhandeln. Ebenso gilt dies, wenn ein Geschäftsmann mit einem Partner, einem Kunden, einem Lieferanten verhandelt, oder wenn er einen Mitarbeiter motivieren will, wenn ein Ehepaar sich nicht auf ein Urlaubsziel einigen kann und bei Verkaufs- und Beratungsgesprächen wie bei Situationen, in denen man jemanden bittet, einem einen Gefallen zu erweisen. Das gilt sogar dann, wenn Sie eine andere Meinung vertreten als Ihr Gesprächspartner und wenn Sie wollen, daß dieser andere Ihre Meinung akzeptiert. Deshalb sagt man im Englischen ja auch: »to sell somebody an idea«; wörtlich: jemandem eine Idee (einen Gedanken) verkaufen.

 

Wir können also unter einer »Verhandlung« jede Gesprächssituation verstehen, in der mindestens einer der Partner ein konkretes Ziel zu erreichen versucht.

Nennen wir diese Person, die ein konkretes Ziel anstrebt, einmal A, während wir die Person, die motiviert werden soll, mit B bezeichnen. Nun sieht die Lage, aus der Sicht von A, wie folgt aus:

Entweder er erreicht sein Verhandlungsziel, oder aber er erreicht es nicht (sogleich). Vereinfacht können wir sagen:

Zum Beispiel möchte die Mutter (in der Rolle von A), daß ihr Junge den Mülleimer hinunterträgt. Nun sagt der Sohn entweder Ja oder Nein. Natürlich vereinfachen wir hier, um einen Gedankengang klar herauszuarbeiten. Oft sagt der Sohn nicht »Nein«, sondern: »Warum denn immer ich?«, oder: »Weißt Du eigentlich, daß Du mich immer um so was bittest, wenn ich anfange zu basteln?« Wir werden jedenfalls jede Art der Ablehnung als ein »Nein« bezeichnen.

Nehmen wir an, Sie seien der Meinung, alle Unternehmer wollten ihre Mitarbeiter nur ausbeuten. Nehmen wir weiterhin an, Ihr Gesprächspartner sagt: »Du spinnst wohl?!« Dann wäre auch diese Situation in unser Schema oben einzugliedern, wenn Ihnen nun daran liegen würde, Ihren Freund von Ihrer Meinung zu überzeugen, wenn Sie ihm also Ihre Überzeugung »verkaufen« wollen.

Genaugenommen stellt fast jede Gesprächs-Situation gleichzeitig eine potentielle Verhandlungs-Situation dar. Nur sind wir uns dieser Tatsache aus drei Gründen meist nicht bewußt.

1.  Normal wenn wir eine Meinung äußern, kann es sein, daß jemand widerspricht. Dies gleicht unserem »Nein« immer dann, wenn wir beginnen, unsere Meinung zu verteidigen. Denn jetzt sind wir ja im Begriff, unseren Standpunkt, unseren Gedankengang »verkaufen« zu wollen. D.h.: Immer, wenn wir irgendwen von irgendwas überzeugen wollen bzw. jedesmal wenn wir im Begriff sind, jemanden zu überreden, befinden wir uns bereits mittendrin im »Verhandeln«. Denn jetzt verfolgen wir ja ein Ziel, nämlich unsere Überzeugung auch »an den Mann« zu bringen!

2.  Oft ist uns das Ziel, das wir verfolgen, nicht bewußt. Es kann z.B. jemand recht »stur« argumentieren, nur weil er recht behalten will. Diese Rechthaberei aber wird durch ein Ziel ausgelöst, welches in der Regel unbewußt ist. Zum Beispiel kann das Ziel darin bestehen, in den Augen anderer nicht »dumm« dazustehen.

3.  Wiewohl wir schon andeuteten, daß wir mit »Verhandlung« jede Situation meinen, in der jemand ein Ziel verfolgt, löst das Wort »Verhandlungstaktik« doch zunächst gewisse Assoziationen aus, die mit Berufsleben, mit großen Zielen zu tun haben. Daher fällt es anfangs schwer, die Parallelen der Gesprächsführung in einer beruflichen und einer privaten Situation zu erkennen.

Weiter gilt es noch festzuhalten, daß wir in vielen Situationen gar nicht bereit sind, gut zu »verhandeln«. Oft sind wir einfach »stur« oder rechthaberisch. Oft wenden wir Druck an, wenn wir meinen, der Stärkere zu sein (s. Regel Nr. 1, Seite 13). Oft manipulieren wir andere, ohne uns überhaupt darum zu bemühen, auf ihre Bedürfnisse einzugehen – was eine Vorbedingung guter Verhandlungstaktik und erfolgreicher Motivation wäre.

Es wäre unsinning, von einem Menschen zu verlangen, alle (potentiellen) Verhandlungs-Situationen strategisch geschickt zu meistern. Es ist unser gutes Recht, manchmal schlecht zu kommunizieren. Nicht immer haben wir die Kraft und die »Nerven«, auf den anderen und seine Bedürfnisse optimal einzugehen.

Trotzdem sind wir uns aber darüber klar, daß jedes häufig auftretende Verhalten zu eingefahrenen Verhaltensmustern führt. Je öfter jemand also schlecht kommuniziert, desto weniger ist er in der Lage, wenn es darauf ankommt, gut zu verhandeln! Je mehr jemand dazu neigt, Druck auszuüben, desto größer ist die Gefahr, daß er dies in einer wichtigen Verhandlungs-Situation ebenfalls tut. 1979 zeigte ein Beitrag der Sendung »Auslandskorrespondenten berichten«, daß die USA durch ihre traditionelle (gewohnheitsmäßige) Druck-Ausübung auf Mexiko sogar den Bau der Erdgasleitung von Mexiko nach USA (welche zu 80 % fertiggestellt war) verhinderten! Die Regel Nr. 4 deutet an, daß eine solche »Kampfstrategie« nichts bringen kann:

 

4. Druck erzeugt Gegendruck

Das heißt, bald wird Mexiko zum Gegenschlag ausholen, dann wieder die USA, usw.

So banal dies im ersten Augenblick auch klingen mag, so ist es doch eine sehr wichtige Regel. Deswegen sollte man sich m. E. so oft wie möglich darum bemühen, strategisch klug vorzugehen. Je häufiger man sich darin übt, desto sicherer wird man diese positiven Kommunikations-Mechanismen auch dann anwenden können, wenn u. U. sehr viel vom Verhandlungserfolg abhängt und weil man dann eben gewohnheitsmäßig, automatisch sozusagen, eine erfolgreiche Strategie einsetzt.

Vielleicht meinen Sie, es lohne sich wirklich nicht, daß sich die Mutter in eine lange Diskussion einläßt, wenn sie möchte, daß ihr Kind den Mülleimer hinunterbringt. Das wollen wir auch nicht behaupten. Dies besagt auch unsere Regel Nr. 5:

 

5. Der strategische Aufwand steht oft in keinem sinnvollen Verhältnis zum Wert des Zieles!

Ehe die Mutter also 10 Minuten lang »verhandelt«, kann sie selbst den Mülleimer hinuntertragen oder den Sohn mit drei knappen Sätzen (vielleicht sogar mit Strafandrohung) dazu zwingen, es zu tun.

Trotzdem wären gerade so »läppische« Situationen ausgezeichnet geeignet, sich in guter Gesprächstaktik zu üben. Denn: Je wichtiger einem das Gesprächsergebnis, desto weniger ist man in der Lage, analytisch denkend vorzugehen (Regel Nr. 3; Seite 15).

Sie können gerade bei den »kleinen«, alltäglichen Gesprächen gut beobachten, welche Art von Fehlern häufig gemacht wird. Hier können Sie feststellen, wie erschreckend viele Menschen beim geringsten Anlaß zu Kampfmaßnahmen übergehen; wie sehr die meisten Menschen versuchen, andere zu überreden, weil sie die Kunst der Überzeugung nie gelernt haben. Wie wenig unsere Kultur uns darauf vorbereitet hat, wirklich mit anderen zu sprechen (statt aneinander vorbei oder gegeneinander zu reden), beschreibt Josef RATTNER (31) ausgezeichnet:

»Man darf sarkastisch feststellen, daß der Mensch inzwischen die Distanz bis zum Mond überwunden hat, aber immer noch daran scheitert, zu seinen Mitmenschen zu gelangen… Was (den Menschen) aus ihrer Not heraushelfen könnte, wäre das echte Gespräch, die Verständigung mit dem Du. Aber gerade das wird in unserer Kultur sehr schlecht gelernt. Jedes Menschenkind erlebt in seinem Heranwachsen unendlich viel Aneinander-Vorbeireden, affektgeladenes Schreien, Schimpfen, Toben oder das autoritäre Dozieren von Eltern, Lehrern und anderen Respektpersonen... Da entsteht dann im Unterbewußtsein jedes einzelnen der Wunsch, sich via Sprechen und Sprache durchzusetzen zu dürfen, andere zu überrollen, durch Einschüchterung zu›überzeugen‹…Der echte Dialog wird nur von Menschen gefunden werden können, bei denen wirklich Interesse für den Mitmenschen besteht. Nur derjenige, der dem Geist der Macht und Gewalt abgesagt hat, ist zum Hören und Antworten befähigt. Vergessen wir nicht, daß das Wort Vernunft aus Vernehmen kommt. Vernünftig sind nur Menschen, die gelernt haben, die Gedanken anderer in sich aufzunehmen, ohne gleich in Angst oder Verteidigungsstellung abzugleiten«: (Josef RATTNER: Der schwierige Mitmensch, S. 99/100).

Unabhängig davon, ob Sie eine gute Verhandlungs-Strategie nur in »wichtigen« Situationen einsetzen wollen oder aber so oft wie möglich, dieses Buch verfolgt ein klares Ziel: diejenigen (versteckten) Mechanismen aufzudecken, die so manche Verhandlungs-Situation zum Scheitern verurteilen. Außerdem: Eine Strategie (genaugenommen mehrere Strategien) anzubieten, die Ihnen helfen wird (werden), den Krisenbereich besser zu meistern. Als Krise bezeichnen wir jenen Bereich, in dem eine Verhandlung »abzurutschen« droht.

Wir sagen, daß A (der ein Ziel anstrebt) von B eine von zwei möglichen Reaktionen erwarten kann: Entweder B sagt Ja (akzeptiert, stimmt zu, ist bereit, die Forderungen A’s zu erfüllen, will A’s Produkt oder Dienstleistung kaufen usw.) oder aber er sagt Nein (egal wie dieses »Nein« auch formuliert werden mag).

Aber diese Aussage ist noch zu ungenau. Denn, in Wirklichkeit gibt es drei Reaktionsmöglichkeiten für B:

•  B sagt sofort Ja. Dies nennen wir eine Plus-Situation. Hierbei sind auch all jene Situationen miteingeschlossen, in denen Ihre Aussagen nicht angegriffen werden, also jedes Kopfnicken, jedes Hinnehmen Ihrer Worte, jede Zustimmung Ihrer Meinung.

•  B sagt zunächst Nein. Dies wollen wir eine Fragezeichen-Situation nennen. Hier lehnt B ab, sagt Nein, stimmt mit unserer Meinung nicht (sofort) überein. Aber es gibt eine reale Chance, ihn trotzdem zu überzeugen oder zu motivieren.

•  B sagt und bleibt beim Nein. Dies werden wir als Minus-Situation bezeichnen. Hier ist es B nicht möglich, Ihnen zuzustimmen, Ihr Produkt zu kaufen, Ihnen den erbetenen Gefallen zu erweisen usw.

Nun wollen wir uns noch fragen: Was ist »Erfolg«, was »Mißerfolg«, wenn wir eine Verhandlungs-Situation bewerten wollen? Wir gehen dabei natürlich immer vom Standpunkt des A aus, da er ja in unserem Schema derjenige ist, der etwas von B will.

Wenn ich diese Frage im Seminar stelle, erhalte ich zunächst meistens die folgende Antwort: »Man spricht von Erfolg, wenn ich mein Ziel erreicht habe.«

Denken Sie nach: Wollen Sie dieser Aussage zustimmen? Dann fragen Sie sich doch bitte einmal, wie die Verhandlungs-Situation aus der Sicht des B aussieht? Nehmen wir an, jemand würde Sie bitten, morgen abend um halb acht nackt auf seiner Party zu erscheinen? Absurd, werden Sie sagen. Sicherlich. Aber zeigt Ihnen dieses absurde Beispiel nicht, daß B das Recht haben muß, Nein zu sagen? (Das Recht auf freie Meinungsäußerung, das sogar im Grundgesetz verankert ist!)

FALLBEISPIEL GRUNEWALD:

Im Grunewald (in Berlin) kann man ein hochinteressantes Phänomen beobachten: Es gibt dort einen Nacktbadestrand, der allerdings vom Rest des Parks in keiner Weise abgegrenzt ist. Die Spaziergänger, die einen Gang um den See machen, müssen zwangsläufig durch die Nacktbadezone laufen. Also marschieren viele Familien mit Kind und Hund am Sonntag dort hindurch. Die einen machen sich gar nichts draus, anderen wieder ist die Situation peinlich. Da es aber in Berlin wenig Spazierwege gibt, laufen sie trotzdem dort entlang. Am gegenüberliegenden Ufer von diesem speziellen Strandstück befindet sich ein Cafe. Dort hörte ich am Nebentisch einmal folgenden Dialog:

Sie:

Also, ich geh da nich wieder vorbei!

Er:

Aber der Wagen steht dort drüben am anderen Ufer.

Sie:

Ist mir egal. Ich geh da nich wieder vorbei.

Er:

Aber, wenn doch das Auto drüben steht! Außerdem ist da ja weiß Gott nichts bei!

Sie:

Eine Schande ist das!

Er:

Das siehst du nur falsch. Die wollen doch auch ein Stück Grunewald genießen. Kannste das denn nich verstehen?

Sie:

Nee. Schweine sind das. Alle miteinander! Ich geh da nich wieder vorbei!

Das Gespräch ging noch lange in diesem Stil weiter. Leider war ich nicht allein, und meine Tischgenossen bestanden darauf, wieder aufzubrechen. Ich hätte gerne beobachtet, wie die beiden sich schließlich geeinigt haben.

Worauf es uns jetzt ankommt ist: Wenn wir »Erfolg« und »Mißerfolg« wie oben definieren, dann erhöhen wir damit die Gefahr, daß man, um einen Mißerfolg zu vermeiden, stur werden muß! Wobei man vielleicht auch einmal darüber nachdenken könnte, ob unser fast krankhaftes Streben nach Erfolgen (und unsere Angst vor Versagen, Fehlern und Mißerfolgen) überhaupt »gut« ist. Das Ehepaar im Grunewald ist ein typisches Beispiel für Verhalten, das aus einer solchen Einstellung heraus motiviert. Warum darf denn B (hier die Ehefrau) nicht anderer Meinung sein? Warum muß, wenn zwei sich streiten, immer nur einer »recht« haben?

Deswegen möchte ich dafür plädieren, so eine Situation anders zu betrachten: Wenn wir eine Plus-Situation erleben, dann hatten wir nicht »Erfolg«, sondern Glück! Wir haben Glück, wenn ein anderer unsere Meinung sofort akzeptiert. Wir haben Glück, wenn ein Kunde sofort von den Vorzügen unseres Produktes (unserer Dienstleistung) überzeugt ist. Wir haben Glück, wenn wir jemanden um einen Gefallen bitten, und der andere sagt sofort Ja.

Also werden Erfolg und Mißerfolg erst möglich, wenn wir ein Nein erhalten haben:

FRAGEZEICHEN-NEIN:

Hier hängt es davon ab, wie A strategisch vorgeht: So manche Fragezeichen-Situationen wurden allein durch eine schlechte Verhandlungstaktik zu Mißerfolgen geführt, wiewohl einer erfolgreichen Einigung von der Sachlage her nichts im Wege gestanden hätte. So gesehen kann man die USA (in der Rolle des A) durchaus als Versager ansehen, wenn man ihre Gespräche mit Mexiko betrachtet. Prinzipiell hätte einem Erfolg der Ölverhandlungen nichts im Wege gestanden, da beide Länder sich in ihren Bedürfnissen so wunderbar ergänzen. Alle derzeitigen Probleme sind auf Verhandlungsfehler der Vergangenheit zurückzuführen.

Ähnlich verhält es sich, wenn man Sie um einen Gefallen bittet, den Sie erfüllen könnten, Ihnen aber die Art und Weise der Nachfrage nicht gefällt und Sie deshalb ablehnen. Viele Gespräche unter Ehepaaren sind solche Fragezeichen-Situationen, bei denen die Verhandlungsstrategie allein für den Erfolg oder Mißerfolg verantwortlich ist.

MINUS-NEIN:

Hier sieht die Sachlage anders aus. Eine Minus-Situation ist laut unserer Definition eine Situation, in der B keine Chance hat, Ja zu sagen, unabhängig davon, ob er gerne zustimmen würde oder nicht.

Bis Anfang der achtziger Jahre hatte ein katholischer Pfarrer, der seinen Beruf aufgeben wollte, um zu heiraten, eine Fragezeichen-Situation vor sich, wenn es darum ging, ob er weiterhin als Religionslehrer bzw. als Lehrer eines anderen Faches an einer katholischen Schule arbeiten könnte. Das gleiche galt für einen Pfarrer, der Dozent an einer Universität war, wenn er nach der Laisierung (Rückversetzung in den Laienstand) ein anderes Fach an derselben Universität lehren wollte (z.B. Philosophie). Wenn er geschickt mit seinen Ordens- oder Kirchenoberen verhandelte, konnte es durchaus sein, daß er die Genehmigung erhielt, weiter zu unterrichten. Oft halfen die Kirchenoberen auch, wenn es galt, einen laisierten Priester in einem anderen Beruf unterzubringen.

Derzeit aber handelt es sich um eine Minus-Situation, weil sich Papst Johannes Paul II. entschlossen hat, keinen Antrag auf Laisierung mehr anzunehmen. Jetzt hat ein solcher Priester keine Chance mehr, die Hilfe seiner Kirche, seines Ordens zu beantragen, weil derzeit keine Laisierungen möglich sind, so daß ein Pfarrer, der jetzt seinen Beruf verläßt, dies nur »im Bösen« kann! Diese Situation würde erst dann wieder eine Fragezeichen-Situation werden, wenn der Papst seinen Entschluß ändern würde, was allerdings höchst unwahrscheinlich ist.

Wovon hängt nun Erfolg oder Mißerfolg einer Situation ab, in der A nie »gewinnen« kann? M. E. hat A eine Minus-Situation dann erfolgreich gemeistert, wenn er sie rechtzeitig als Minus-Situation einstufen kann. Dann vermeidet er nämlich, daß er sich »ewig lange den Mund fusselig« redet, daß er auf Biegen oder Brechen versucht, sein Ziel zu erreichen, ehe er am Ende doch einsehen muß, daß all seine Bemühungen zwecklos sind. Erstens wird er diese Situation jetzt unbedingt als Niederlage erleben, und zweitens hat er oft die Gesprächsatmosphäre derart »vergiftet«, daß er mit dieser Person morgen, übermorgen oder nächste Woche kaum noch ein Gespräch beginnen kann.

Da aber die meisten unserer Verhandlungspartner Menschen sind, mit denen wir immer wieder zu tun haben, ist dieser Aspekt nicht zu unterschätzen.

Wir können unser Schema nun wie folgt vervollständigen:

Aufgabe dieses Buches ist es u.a., Ihnen zu helfen, Fragezeichen-Situationen erfolgreich in ein Plus zu wenden sowie Minus-Situationen rechtzeitig zu erkennen, so daß man mit demselben Partner später über andere Ziele verhandeln kann.

An dieser Stelle muß noch vor einem Denk- oder Interpretationsfehler gewarnt werden: Die Erfahrung zeigt, daß Verhandelnde (in der Rolle des A) dazu neigen, Fragezeichen-Situationen, die zu Minus-Situationen geworden waren, im Nachhinein als Minus-Situationen anzusehen, so daß es im ersten Ansatz vielleicht so scheint, als benötige man überhaupt keine ausgezeichnete Strategie, um Fragezeichen- von Minus-Situationen unterscheiden zu lernen. Dieser Interpretationsfehler liegt u.ä. auch daran, daß man als Dritter (selbst unbeteiligter Zuschauer) selten Probleme hat, Fragezeichen- von Minus-Situationen bei anderen zu trennen. Nur wenn wir selbst mittendrin stecken, fehlt uns die nötige Distanz, die »Objektivität«, die Übersicht. Ein Fallbeispiel soll dies verdeutlichen:

FALLBEISPIEL: DRUCKMASCHINE

Vor einem Seminar reise ich oft mit den Beratern »ins Gebiet«, um die spezifischen Probleme kennenzulernen, die diese Branche zu bewältigen hat. Hier der Wortlaut eines Gespräches (mit Genehmigung abgedruckt):

Kunde:

Wissen Sie, ich habe früher viel mit Xerox gearbeitet. Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß ich mich mit dem Gedanken an eine Xerox trage…

Verk.:

Xerox ist doch unmöglich. Sie wollen doch saubere und scharfe Kopien, oder?

Kunde:

(leicht verärgert): Ich war bis jetzt mit Xerox immer sehr zufrieden.

Verk.:

Ja, mit maschinengeschriebenen Texten vielleicht. Aber wenn Sie Zeichnungen und Skizzen haben, wie diese hier…

Kunde:

Ich habe auch Skizzen und Zeichnungen kopiert. Wie gesagt: Ich war immer zufrieden!

Verk.:

Vielleicht waren Sie das sogar. Oberflächlich betrachtet. Aber wenn Sie mal eine Xerox-Kopie mit der unseren vergleichen, werden Sie feststellen…

Kunde:

Wollen Sie unbedingt mit mir streiten?!

Verk.:

(verdutzt) Wieso? Ich erkläre Ihnen ja nur, daß Sie sich ein falsches Bild von der Xerox machen, und daß…

Kunde:

(wütend) Sie wollen mir also nur klarmachen, daß ich ein Idiot bin, weil ich bis jetzt mit Xerox zufrieden war?!

Verk.:

(erstaunt) Aber ganz und gar nicht. Ich möchte Ihnen nur die Fakten und Beweise zeigen, damit Sie sehen, wie gut unser Gerä…

Kunde:

Junger Mann! Vielleicht ist Ihr Gerät so gut wie Sie sagen. Vielleicht

ist

es technisch sogar besser als Xerox. Aber

ich

werde auf keinen Fall eines leasen! Guten Tag.

Nach diesem Gespräch bei dem Kunden wurde der Verkäufer gefragt:

1.  Ist dies ein Fragezeichen- oder ein Minus-Fall?

2.  Sind Sie auf den Kunden eingegangen?

Die Antworten des Verkäufers lauteten:

1.  Natürlich ist dies ein Fall aus dem Minus-Bereich. Dieser Kunde schwört auf Xerox, da können Sie gar nichts machen.

2.  Natürlich bin ich auf den Kunden eingegangen. (Er suchte in den Steno-Notizen und sagte) Hier: Ich habe zu ihm gesagt: Sie wollen doch saubere und scharfe Kopien, oder? Hier habe ich gesagt: Wenn Sie Zeichnungen und Skizzen haben, wie diese hier… Natürlich bin ich auf den Mann eingegangen! Ich habe gesagt: Ich möchte Ihnen nur die Fakten und die Beweise zeigen, damit Sie sehen…

Wir beließen es nicht bei dem Gespräch, sondern wir gingen vier Monate später wieder zum Kunden (wir, d.h. unsere Beratungsgruppe, nicht die Firma, dessen Verkäufer dort gewesen war). Wir erklärten dem Kunden, daß dies ein reines Informationsgespräch sei und daß wir ihm nichts verkaufen wollten. Wir fragten:

1.  Ob er schon geleased habe? und:

2.  Bei welcher Firma?

Antworten: 1. Er hatte jetzt eine Druckmaschine angeschafft, aber 2. keine Xerox. Ein Mitbewerber hatte »gewonnen«!

Hier ist es für Sie leicht, zu erkennen, daß unser Berater einen Fragezeichen-Fall zu Minus »hingeschoben« hatte, da man als neutraler Beobachter mehr Überblick hat. Trotzdem möchte ich Sie fragen: Halten Sie diesen Berater für einen guten oder schlechten Verhandlungspartner?

Überlegen Sie einen Augenblick, falls Sie sagen wollen, er sei natürlich ein schlechter Verhandlungsstratege. Warum? Weil Sie aufgrund eines einzigenBeispiels nicht darauf schließen können, wie dieser Mann normalerweise vorgeht. Tatsache ist, daß er sonst sogar recht geschickt verhandelt. (Inzwischen ist er Gebietsleiter geworden und wird im allgemeinen von seinen Kunden sehr geschätzt.) Aber er hatte eben damals einen »schlechten Tag«. Später sagte er mir, daß es ihn nervös gemacht hatte, daß jemand zum Beobachten dabei war. Das ist sicher verständlich. Nur müssen wir davon ausgehen: Wenn dieser Mann aus irgendwelchen Gründen nervös ist, dann besteht große Gefahr, daß er so vorgeht. Und Sie? Glauben Sie nicht auch, daß Sie ab und zu mal einen »schlechten Tag« haben?

Das Interessante ist, daß wir an »schlechten« Tagen in Verhaltensweisen fallen, die un-be-dacht sind. Dies sind Verhaltensweisen, die automatisch, routiniert, ohne viel Überlegung »passieren«. Wenn man also automatisch, routinemäßig eine geschickte, erfolgreiche Verhandlungsstrategie anwenden könnte, ohne viel dabei nachdenken zu müssen, dann würde man nicht nur an den »Sonnentagen« gut verhandeln können, sondern immer, wenn es wirklich darauf ankommt.

Wenn jemand eine erfolgreiche Strategie einsetzen kann, ohne über jeden Schritt seiner Strategie lange nachdenken zu müssen, hat er einen weiteren Vorteil: Er hat viel mehr Kraft (Energien, »Nerven«) frei, um über den Inhalt des Gesagten nachzudenken. Je mehr man aber überlegen muß, welches jetzt strategisch der nächste Schritt sein sollte, desto weniger Energie kann man zwangsläufig in den Inhalt des Gesprächs investieren.

Um jedoch eine gute Strategie entwickeln zu können, müssen drei Vorbedingungen erfüllt sein:

1.  Man muß gewisse Kenntnisse besitzen, damit man entscheiden kann, ob eine strategische Maßnahme auch sinnvoll ist. (Ein General, der keine Ahnung hat, welche Ziele der Feind erreichen will, kann keine sinnvolle Strategie entwickeln.)

2.  Man muß experimentieren und probieren. (Übung macht den Meister.)

3.  Man muß bereit sein, sein eigenes Verhalten kritisch-analytisch zu überprüfen, um den Ist-Zustand zu erfassen, ehe man sich Gedanken über ein neues Soll machen kann.

Zu 1:

Da Ihre Verhandlungspartner Menschen sind, geht es um Kenntnisse über den Menschen. Denn die Gründe für strategisch falsches Vorgehen liegen in der biologischen und psychologischen Natur des Menschen begründet. Fachwissen allein genügt nicht, wenn Sie es mit Menschen zu tun haben. Wir sind eben keine Computer, keine Roboter. Wir bestehen nicht nur aus Denkvorgängen, die man mit Logik allein steuern kann!

Zu 2:

Teil II dieses Buches besteht aus einem Übungs-Zyklus, damit Sie experimentieren und probieren (sogar trainieren) können. Allerdings hat es keinen Sinn, diesen Teil anzugehen, ehe Sie unsere Grundlagen (Teil I) erarbeitet haben, weil wir in Teil II auf Teil I aufbauen werden.

Zu 3:

Es gibt einen schönen Ausspruch von Alexander VON HUMBOLDT, den ich bei WATZLAWICK (47) gefunden habe. Sie könnten ihn als Motto zu diesem Buch betrachten:

 

Kühner, als das Unbekannte zu erforschen, kann es sein, das Bekannte zu bezweifeln!

Wagen Sie es, das Bekannte zu bezweifeln? Wagen Sie es, Ihr eigenes Kommunikationsverhalten zu hinterfragen? Wagen Sie es, eine ehrliche Inventur vorzunehmen? Dann kann dieses Buch eine faszinierende »Reise« für Sie werden. Ein geistiges Abenteuer für jene, die gerne Neues entdecken. Selbst dann, wenn das Neue sich als ein neuer Aspekt an Bekanntem entpuppen sollte.

Viel Erfolg und viel ENTDECKER-FREUDE wünsche ich Ihnen!

München, Frühjahr 1979

Vera F. Birkenbihl

Vorwort zur 5. und 6. Auflage

Wenn ein Buch in eine weitere Auflage geht, fragt man sich als Autor einerseits natürlich, ob und wie stark man es überarbeiten sollte. Andererseits gibt es Reaktionen von Lesern und Benützern (z.B. Verkaufsleitern, Trainern), welche erste Aufschlüsse über den Wert des Buches, so wie es vorliegt, in der täglichen Praxis geben. Daher habe ich mich entschlossen, das Buch hauptsächlich nur auf Druckfehler und einige Kleinigkeiten hin zu überarbeiten, und somit kann die erste und die zweite Auflage auch noch parallel gebraucht werden.

Ergänzen möchte ich aber eine Andeutung zweier Konzepte, die ich derzeit für besonders wichtig halte (und die im Buch noch nicht enthalten sind):

1. Zu Kapitel 1 + 2

Als ich den Begriff des »Reptilienhirns« vor Jahren für mein Buch »Freude durch Streß« anzuwenden begann, war mir noch nicht klar, daß McLEAN, KOESTLER und andere Autoren ihn ebenfalls verwenden. Da sich jedoch zu viele deutsche Teilnehmer daran stören, wenn man auf die »Rep-Reaktionen« in der Verhandlungs-Situation hinweist, habe ich einen neuen Ausdruck geschaffen. Biologisch gilt nach wie vor die Bezeichnung das »Reptilienhirn«, aber im Bereich der Psycho-logik oder der Logik spreche ich heute vom hoRmo sapiens (statt vom homo sapiens), der dann (mit-)regiert.

2. Zu Kapitel 2

Hier finden sich erste Hinweise darauf, daß es nicht eine Wirklichkeit gibt, sondern viele individuelle. Neuere Forschungen aus der Neurophysiologie, der Psychologie der Wahrnehmung, ja sogar aus der Teilchenphysik (CAPRA, u.a.) zeigen immer deutlicher, daß es für jeden Betrachter einer Situation eine individuelle Wirklichkeit geben muß! Kommunikationstechnisch gesehen gehen wir aber noch von den alten Erkenntnissen aus, weil ein Paradigmen-Wechsel (nach KUHN) noch nicht stattgefunden hat. Deshalb versuchen wir eine Einigung herbeizuführen, oft auch zu erzwingen. Wenn dies nicht gelingt, kommt es dann allzu häufig zur Ent-Zweiung. Hier setzt mein neues Wort an: Wir sollten öfter mal eine ZWEINIGUNG anstreben. Dieses Wort entspricht der englischen Formulierung: »Let’s agree to differ«, für die wir keinen deutschen Ausdruck haben. Das neue Wort »Zweinigung« (Tätigkeitswort: »sich zweinigen«) soll diese Lücke füllen.

Konkret: Der Bereich der Wirklichkeiten ZWEITER ORDNUNG (Seiten 56 ff.) ist derjenige, in dem wir eine Zweinigung immer dann anstreben sollten, wenn eine Einigung unmöglich erscheint. Statt also zu sagen: »Du siehst das falsch!« Oder: »Das gibt es nicht!« Oder: »Sie sehen das zu eng!« usw. könnten wir sagen:

»Zweinigen wir uns doch!«