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Blake Pierces spannende Psychothriller-Reihe bestehend aus Buch #6 (DER PERFEKTE LOOK) und Buch #7 (DIE PERFEKTE AFFÄRE). Dieses Paket umfasst Buch sechs und sieben in einer praktischen Datei mit über 100.000 Lesewörtern. Als in DER PERFEKTE LOOK (Buch #6) ein Mann nach einer Nacht mit einer Prostituierten tot in einem Hotelzimmer in LA aufgefunden wird, macht sich niemand wirklich Gedanken darüber – bis das, was wie ein Einzelfall aussah, zu einem Muster wird. Bald wird klar, dass eine Prostituierte zur Serienmörderin geworden ist – und dass die Kriminalprofilerin und FBI-Agentin Jessie Hunt, 29, vielleicht die einzige ist, die sie aufhalten kann. In DIE PERFEKTE AFFÄRE (Buch #7) wird ein Pornostar tot aufgefunden. Die FBI-Agentin Jessie Hunt, 29, spürt, dass etwas viel Unheimlicheres im Spiel ist, etwas, das vielleicht bis in die oberen Ränge der Macht und der Gesellschaft reicht. Die spannenden Psychothriller mit Jessie Hunt sind geladen mit Emotion, Kleinstadtatmosphäre und unvergesslicher Spannung – eine fesselnde neue Serie, die Sie bis spät in die Nacht lesen werden. Buch #8 ist jetzt vorbestellbar!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2020
d e r p e r f e k t e l o o k
(ein spannender psychothriller mit jessie hunt – band sechs)
d i e p e r f e k t e a f f ä r e
(ein spannender psychothriller mit jessie hunt – band sieben)
BLAKE PIERCE
d e r p e r f e k t e l o o k
d i e p e r f e k t e a f f ä r e
(ein spannender psychothriller mit jessie hunt – band sechs)
BLAKE PIERCE
Blake Pierce
Blake Pierce ist der USA Today Bestseller-Autor der RILEY PAGE Mystery-Serie, die sechzehn Bücher (und es werden noch mehr) umfasst. Blake Pierce ist auch der Autor der Mystery-Serie MACKENZIE WHITE, die dreizehn Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Mystery-Serie AVERY BLACK, die sechs Bücher umfasst; der Mystery-Serie KERI LOCKE, die fünf Bücher umfasst; der Mystery-Serie DAS MAKING OF RILEY PAIGE, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Mystery-Serie KATE WISE, die sechs Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe CHLOE FINE, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe JESSIE HUNT, die fünf Bücher umfasst (Tendenz steigend); der psychologischen Krimireihe AU PAIR, die zwei Bücher umfasst (Tendenz steigend); der Krimireihe ZOE PRIME, die zwei Bücher umfasst (Tendenz steigend); der neuen Krimireihe ADELE SHARP; sowie der neuen und heimeligen Mystery-Serie EUROPEAN VOYAGE.
Als begeisterter Leser und lebenslanger Fan der Mystery- und Thriller-Genres liebt es Blake, von Ihnen zu hören. Besuchen Sie www.blakepierceauthor.com, um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.
Copyright © 2020 by Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Vorbehaltlich der Bestimmungen des U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieser Publikation ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder übertragen oder in einer Datenbank oder einem Abfragesystem gespeichert werden. Dieses eBook ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, kaufen Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen und Sie es nicht gekauft haben, oder es nicht nur für Ihren Gebrauch gekauft wurde, dann senden Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihre eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dies ist eine erfundene Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder das Ergebnis der Phantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, ob lebendig oder tot, ist völlig zufällig. Jacket image Copyright Little Moon, verwendet unter der Lizenz von Shutterstock.com.
BÜCHER VON BLAKE PIERCE
ADELE SHARP MYSTERY-SERIE
NICHTS ALS STERBEN (Buch #1)
NICHTS ALS RENNEN (Buch #2)
NICHTS ALS VERSTECKEN (Buch #3)
DAS AU-PAIR
SO GUT WIE VORÜBER (Band #1)
SO GUT WIE VERLOREN (Band #2)
SO GUT WIE TOT (Band #3)
ZOE PRIME KRIMIREIHE
GESICHT DES TODES (Band #1)
GESICHT DES MORDES (Band #2)
GESICHT DER ANGST (Band #3)
JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE
DIE PERFEKTE FRAU (Band #1)
DER PERFEKTE BLOCK (Band #2)
DAS PERFEKTE HAUS (Band #3)
DAS PERFEKTE LÄCHELN (Band #4)
DIE PERFEKTE LÜGE (Band #5)
DER PERFEKTE LOOK (Band #6)
DIE PERFEKTE AFFÄRE (Band #7)
DAS PERFEKTE ALIBI (Band #8)
CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE
NEBENAN (Band #1)
DIE LÜGE EINES NACHBARN (Band #2)
SACKGASSE (Band #3)
STUMMER NACHBAR (Band #4)
HEIMKEHR (Band #5)
GETÖNTE FENSTER (Band #6)
KATE WISE MYSTERY-SERIE
WENN SIE WÜSSTE (Band #1)
WENN SIE SÄHE (Band #2)
WENN SIE RENNEN WÜRDE (Band #3)
WENN SIE SICH VERSTECKEN WÜRDE (Band #4)
WENN SIE FLIEHEN WÜRDE (Band #5)
WENN SIE FÜRCHTETE (Band #6)
WENN SIE HÖRTE (Band #7)
DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE
BEOBACHTET (Band #1)
WARTET (Band #2)
LOCKT (Band #3)
NIMMT (Band #4)
LAUERT (Band #5)
TÖTET (Band #6)
RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE
VERSCHWUNDEN (Band #1)
GEFESSELT (Band #2)
ERSEHNT (Band #3)
GEKÖDERT (Band #4)
GEJAGT (Band #5)
VERZEHRT (Band #6)
VERLASSEN (Band #7)
ERKALTET (Band #8)
VERFOLGT (Band #9)
VERLOREN (Band #10)
BEGRABEN (Band #11)
ÜBERFAHREN (Band #12)
GEFANGEN (Band #13)
RUHEND (Band #14)
GEMIEDEN (Band #15)
VERMISST (Band #16)
AUSERWÄHLT (Band #17)
EINE RILEY PAIGE KURZGESCHICHTE
EINST GELÖST
MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE
BEVOR ER TÖTET (Band #1)
BEVOR ER SIEHT (Band #2)
BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)
BEVOR ER NIMMT (Band #4)
BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)
EHE ER FÜHLT (Band #6)
EHE ER SÜNDIGT (Band #7)
BEVOR ER JAGT (Band #8)
VORHER PLÜNDERT ER (Band #9)
VORHER SEHNT ER SICH (Band #10)
VORHER VERFÄLLT ER (Band #11)
VORHER NEIDET ER (Band #12)
VORHER STELLT ER IHNEN NACH (Band #13)
VORHER SCHADET ER (Band #14)
AVERY BLACK MYSTERY-SERIE
DAS MOTIV (Band #1)
LAUF (Band #2)
VERBORGEN (Band #3)
GRÜNDE DER ANGST (Band #4)
RETTE MICH (Band #5)
ANGST (Band #6)
KERI LOCKE MYSTERY-SERIE
EINE SPUR VON TOD (Band #1)
EINE SPUR VON MORD (Band #2)
INHALTSVERZEICHNIS
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FÜNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG
KAPITEL EINUNDZWANZIG
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
KAPITEL ACHTUNDZWANZIG
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
KAPITEL DREIßIG
KAPITEL EINUNDDREIßIG
KAPITEL ZWEIUNDDREIßIG
KAPITEL DREIUNDDREIßIG
KAPITEL VIERUNDDREIßIG
KAPITEL FÜNFUNDDREIßIG
Gordon Maines blickte in den Badezimmerspiegel seines Hotelzimmers und bewunderte, was er darin sah.
Für einen Ratsherrn in der dritten Amtszeit, der mit dem Gedanken spielte, als Bürgermeister zu kandidieren, strahlte er das Selbstvertrauen eines Mannes aus, der das System viel öfter nach seinen eigenen Vorstellungen formte als andersherum.
Er war beinahe fünfzig, aber dank eines umfassenden Hautpflegeprogramms (und mit ein wenig Hilfe von Botox), sagte er sich stets selbst, dass er gut und gerne noch für vierzig durchgehen konnte. Sein gewelltes, dunkles Haar wies nur wenige graue Strähnen auf. Seine Haut war gebräunt, aber auf eine gesund wirkende Weise. In einem Anzug sah er noch immer ziemlich flott aus, obwohl er in diesem Moment keinen trug.
Tatsächlich war alles, was er gerade anhatte, ein weißes Unterhemd und ein Paar Boxershorts. Und diesen würde er sich auch bald entledigen. Als er sich die kleine, blaue Pille in den Mund warf und mit einem Schluck Brandy nachspülte, dachte er daran, was im Zimmer nebenan auf ihn wartete.
Das war bei Weitem nicht das erste Mal, dass er so etwas tat, aber die Frau, die er heute aufs Zimmer 1441 des Bonaventure Hotel gebracht hatte, war bisher von allen die beeindruckendste. Das violette Kleid, das sie trug, war elegant und stylisch, aber figurbetont genug, um die Schönheit darunter vermuten zu lassen. Ein Teil von ihm fragte sich, was sie in diesen Berufszweig verschlagen hatte. Sie war bezaubernd genug, um als Model oder Schauspielerin durchzugehen, zumindest aber als Pornostar.
Aber Gordon machte sich nicht zu lange um die langfristigen Berufsaussichten des Mädchens Sorgen. Sie war jetzt hier, und sie würde alles tun, was er verlangte, auch wenn er dafür ein wenig Geld aus seiner schwarzen Kasse ziehen musste, die er führte, damit seine Frau nicht über seine zahlreichen Kavaliersdelikte stolpern würde.
Er trat in das schick ausgestattete Zimmer mit seinen Wänden im Milchkaffeeton und geschmückt mit moderner Kunst, dickem Teppich und Anrichten mit marmornen Oberflächen, und war überrascht, als er das Bett leer vorfand. Für eine Sekunde dachte er, sie hätte sich mit der ersten Hälfe ihrer Bezahlung aus dem Staub gemacht, und sprang zur Tür.
„Wohin so eilig, mein Großer?“, schnurrte eine Stimme aus der Ecke des Zimmers.
Er blickte in die Richtung, aus der die Stimme kam, und sah das Mädchen, welches darauf bestanden hatte, dass keine Namen benutzt würden, in einem Stuhl mit hoher Rückenlehne in der Nähe des Fensters, nur bekleidet mit einem Bustier und Hipster-Pantys. Ihre Figur wurde der einer Barbie gerecht, etwas, das er später detaillierter zu untersuchen gedachte.
Ihr langes, blondes Haar fiel locker über ihre Schultern und reichte ihr bis zu den Ellbogen. Ihre Haut war mitnichten so stark gebräunt wie die eines typischen California-Girls, was ihr hier im Land der Sonne und des Strandes eine beinahe delikate und gehobene Art verlieh. Ihre Augen waren hellblau und erinnerten an die Gewässer der Karibik, auf der er seine Flitterwochen verbracht hatte.
Sofort schüttelte Gordon diesen Gedanken ab und fokussierte sich vollständig auf die Kreatur vor ihm.
„Ich war gerade auf dem Weg zu dir“, antwortete er in charmantem Ton.
„Bevor es losgeht, habe ich dir noch einen Drink eingeschüttet“, sagte sie und nickte zur Theke über der Minibar, während sie selbst einen Schluck von ihrem eigenen Glas nahm. „Ich selber habe entschlossen, nicht zu warten.“
„Wie unhöflich“, sagte er und gab sich beleidigt, während er nach dem Glas griff.
„Hoffentlich kann ich das wiedergutmachen“, sagte sie in trällerndem, verspieltem Ton.
„Mir fällt bestimmt etwas ein“, entgegnete er, bevor er einen Schluck nahm. „Mmm, ist das Brandy?“
„Du hattest unten erwähnt, dass das dein Lieblingsdrink ist“, sagte sie.
„Wow, du hast aufgepasst“, staunte er und nahm einen weiteren Zug.
„Die meisten Mädchen in deinem Genre interessieren sich für nichts anderes als Bargeld.“
„Heißt das etwa, dass ich nicht das erste Mädchen bin, mit dem du zusammen bist?“ Sie zog eine gespielte Schnute und schob ihre Unterlippe mit solch einer Wildheit vor, dass er sich kaum beherrschen konnte.
Das Mädel ist gut.
Er wollte daran denken, ihr ein wenig Extra zuzustecken, wenn auch der Rest ihrer Leistungen ihrer bisherigen Performance entsprach.
„Wieso ziehst du nicht dein Hemd aus und bleibst ein wenig?“, schlug sie vor, stand auf und ließ ihn sie in voller Größe bestaunen.
„Wieso nicht“, murmelte er und zog sein Shirt ein wenig ungeschickter hoch, als er es geplant hatte.
Als er das Hemd über seinen Kopf zog, verlor er sogar die Balance und strauchelte leicht. Zum Glück landete er auf dem Bett, wo er sich endlich vollständig von dem Shirt befreite, wobei er allerdings merkte, dass er seine Frisur durcheinandergebracht hatte. Er war verärgert über seine Ungeschicktheit, aber erinnerte sich selbst daran, dass es dem blonden Mädchen sicherlich egal war.
Sie stand nun über ihm, mit einem entfernten Lächeln auf den Lippen. Vielleicht fand sie seine Unbeholfenheit ja niedlich.
„Ein wenig ungeschickt, was?“, gurrte sie, während sie zu dem Stuhl hinüberging, über den er seine Hosen geworfen hatte, und zog etwas über, das wie Plastikhandschuhe aussah. Er beobachtete ihre Bewegungen, aber hatte leichte Schwierigkeiten sich zu konzentrieren.
Sie zog seine Brieftasche aus seiner Gesäßtasche und blätterte hindurch, nahm alle seine Karten heraus und ließ sie in eine kleine Plastiktüte fallen. Er versuchte, sich auf seinen Ellbogen aufzustützen, um besser sehen zu können, aber seine Arme gehorchten den Anweisungen seines Gehirns nicht.
„Heyyy...“, versuchte er zu sagen, aber seine Zunge in seinem Mund fühlte sich träge an.
Das Mädchen sah zu ihm herüber und lächelte süßlich.
„Entspannst du dich auch schön?“, fragte sie, als sie wieder zu ihrer Handtasche hinüberging und die Plastiktasche darin verstaute.
Irgendwo in seinem Hinterkopf kam Gordon der Gedanke, dass das Mädchen möglicherweise gerade dabei war, ihn auszurauben. Er überlegte auch, ob sie ihm vielleicht etwas in seinen Drink gemixt hatte. Es war an der Zeit, dem ein Ende zu setzen.
Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, drückte sich Gordon in eine aufrecht sitzende Position hoch. Sein Kopf schwankte träge auf seinen Schultern, während er versuchte, seinen Blick auf sie gerichtet zu halten.
„Du... aufhören“, versuchte er zu rufen, aber alles, was er zustande brachte, war ein Nuscheln. Es fühlte sich an, als hätte er eine Handvoll Murmeln im Mund.
Als sie auf ihn zukam, begann er erst doppelt zu sehen, dann dreifach, unfähig zu unterscheiden, welches Mädchen davon echt war.
„Du bist süß“, sagte die mittlere Erscheinung und drückte ihn zurück aufs Bett. „Wollen wir anfangen?“
Sie setzte sich rittlings auf ihn. Gordons Körper war schwer und taub, und er fühlte ihr Gewicht kaum. Er sah, dass sie noch immer die Plastikhandschuhe trug.
In seinem zunehmend vernebelten Verstand regte sich ein Alarm. Das war mehr als nur ein bloßes Unterjubeln von Drogen mit anschließendem Raub. Etwas an der lässigen, gemächlichen Art, mit der die Frau sich bewegte, ließ erkennen, dass sie nicht nur auf sein Geld und seine Wertgegenstände aus war. Sie hatte Spaß dabei. Die Art, wie sie über seinen Oberkörper rutschte, erinnerte ihn an eine Schlange, die sich langsam einen Ast hochwand.
„Was... tust?“, schaffte er zu gurgeln.
Sie schien ihn perfekt zu verstehen.
„Ich löse ein Versprechen ein“, antwortete sie gelassen, als würde sie lediglich eine Frage über das Wetter beantworten.
Gordon starrte in ihre blauen Augen und sah, dass all die Verspieltheit von vorhin daraus verschwunden war. Jetzt waren sie kalt und konzentriert. Er wusste, dass er in Schwierigkeiten war. Die Erkenntnis pumpte eine Welle aus Adrenalin durch sein System, mithilfe dessen er sich vom Bett hochdrückte. Er hatte erwartet, dass er aufspringen und die Frau von ihm herunter und auf den Boden stoßen würde. Aber er schaffte es nicht einmal zehn Zentimeter nach oben, bis sie ihn schon wieder hinunterdrückte, wobei sie ihm lediglich den Zeigefinger auf die Brust drückte, um ihn wieder in die Ausgangsposition zu zwingen. Dann beugte sie sich über ihn, bis ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Ihre Haare fielen ihm in die Augen, aber er konnte nichts dagegen tun.
„Das ist für dich, Gordon“, flüsterte sie ihn sein Ohr. „Irgendwelche letzten Worte?“
Er riss seine Augen, der einzige Teil von ihm, den er noch kontrollieren konnte, weit auf.
„Arghh...“, stotterte er.
„Schon gut“, unterbrach sie ihn brüsk. „Ist mir eh egal.“
Gordon sah zu, wie sie sich aufrichtete und ihre Hände um seinen Hals legte. Er konnte nicht wirklich fühlen, wie sie seine Kehle zudrückte, aber er wusste, dass sie es tat, da ihm das Atmen plötzlich schwerfiel. Seine Augen traten aus seinen Höhlen und fühlten sich an, als wollten sie gleich herausspringen. Er schnappte verzweifelt nach Luft, aber nichts davon erreichte seine Lungen. Seine Sicht verschwamm. Seine Zunge tastete ziellos umher, als suchte sie nach Sauerstoff, den sie einsaugen könnte. Doch nichts davon funktionierte.
Jessie Hunt saß nervös an einem Tisch des Nickel Diners an der South Main Street, nur zwei Blocks von der LAPD Central Community Station entfernt.
Obwohl es der Person, mit der sie sich hier treffen gleich würde, egal sein würde, wie sie aussah, wollte sie dennoch einen guten Eindruck hinterlassen. Im Grunde erachtete sie sich selbst als recht ansehnlich. Sie hatte klare, grüne Augen und schulterlanges, braunes Haar, das heute noch glänzender war als gewöhnlich. Sie hatte heute vor der Arbeit ihre professionellste Bluse und Hose angezogen, zusammen mit flachen Schuhen, die ihre bereits beeindruckende 1,78m Körpergröße nicht noch mehr akzentuierten. Sie bezweifelte, dass sie heute jemand mit einem Model verwechseln würde, was manchmal passierte. Aber sie wusste, dass sie die Leute heute, nur wenige Wochen vor ihrem dreißigsten Geburtstag, dennoch dazu bringen konnte, sich nach ihr umzudrehen, wenn ihr das dienlich wäre.
Insgesamt betrachtet fand sie, dass es ihr ziemlich gut ging. Immerhin war es nur sieben Tage her, dass sie von einem Mordverdächtigen unter Drogen gesetzt worden war, und man ihr den Magen hatte auspumpen müssen. Seit man sie aus dem Krankenhaus entlassen hatte, hatte sie sich die meiste Zeit über in ihrem Apartment verkrochen, unter der Obhut und dem Schutz von Detective Ryan Hernandez.
Ryan hatte darauf bestanden, bei ihr zu bleiben, bis sie wieder bei Kräften war. Daher hatte er während der letzten Woche auf dem Ausziehsofa im Wohnzimmer geschlafen und ihr die meisten ihrer Mahlzeiten bereitet. Jessie hatte sich vorgenommen, die Hilfe zu akzeptieren, und nicht zu viel in die Taten des Mannes hineinzuinterpretieren, der manchmal ihr Einsatzpartner war, manchmal auch mehr.
Normalerweise wäre Jessie nach der verlängerten, medizinischen Auszeit direkt wieder mit Ryan an die Arbeit gegangen und hätte ihr Abnahmegespräch mit LAPD Captain Roy Decker gehabt. Aber sie hatte sich für ein eigenes kleines Meeting entschieden, bevor der Captain seine Regeln und Grenzen für sie absteckte, sobald sie wieder an die Arbeit ging.
Während Jessie Hunt eine Beraterin für Kriminalprofiling für das Los Angeles Police Department war, war Captain Decker noch immer ihr direkter Vorgesetzter, und seine Anweisungen zu missachten würde ernste Auswirkungen nach sich ziehen. Würde sie sich aber zufällig mit jemandem treffen und eine formlose Diskussion über eine derzeitige Ermittlung führen, bevor sie Deckers Anordnungen erhielt, tja, dann könnte man ihr das schlecht entgegenhalten.
Deshalb saß sie heute Morgen um 07:30 Uhr in dem überfüllten Diner und wartete auf die Ankunft eines Mannes, mit dem sie sich bisher nur gelegentlich unterhalten hatte, und das meist nur mit zum Zerreißen angespannten Nerven. Sie knabberte an ihrem Toast und schlürfte ihre zweite Tasse Kaffee, sich sehr wohl bewusst, dass sie eigentlich nach der ersten hätte aufhören sollen. Er betrat das Lokal, als sie die Tasse gerade wieder auf dem Tisch abstellte.
Garland Moses sah sich in dem Diner um, entdeckte Jessie und kam zu ihr herüber. Mit seinen einundsiebzig Jahren, ledriger Haut, ungekämmtem, weißem Haar und einer Bifokalbrille, die aussah, als fiele sie ihm gleich von der Nasenspitze, zog er die Aufmerksamkeit von keinem der speisenden Kunden, an denen er vorüberging, auf sich. Keiner von ihnen hatte auch nur die leiseste Ahnung, dass der vielleicht meist gefeierte Criminal Profiler der letzten fünfundzwanzig Jahre anwesend war.
Jessie konnte es ihnen nicht übelnehmen. Der Mann schien eine Art von Schlampigkeit kultiviert zu haben. Er schlurfte auf sie zu und war sich anscheinend nicht bewusst, dass sein Hemd hinten aus seiner zerknitterten Kordhose heraushing und dass seine viel zu große, rotbraune Weste voller Flecken war. Sein graues Sportjackett, das an ihm herabhing, als sei er selbst ein Garderobenständer, sah aus, als hätte es ihn am Stück verschluckt.
Doch wenn man genauer hinsah, wurden die Dinge klarer. Hinter seinen dicken Brillengläsern musterten seine wachen Augen im Nu die Umgebung. Obwohl seine Haare zerzaust waren, war er glattrasiert, ohne das geringste Anzeichen eines übersehenen Stoppels. Seine Zähne waren noch immer glänzend weiß und in perfektem Zustand. Seine Fingernägel waren ordentlich getrimmt und die Schnürsenkel seiner abgenutzten Halbschuhe in einwandfreien Doppelknoten gebunden. Garland Moses präsentierte sich im schludrigen Look eines Rentners im Columbo-Style. Aber Jessie wusste nur zu gut, dass der Eindruck täuschte.
Seit über vierzig Jahren löste Moses schon die mitunter härtesten Mordfälle des Landes. Zuerst war er als Teil der gefeierten Verhaltensforschungsdivision des FBI in Quantico, Virginia, tätig gewesen. Dann, in den späten 90ern, nach zwanzig Jahren Auge in Auge mit dem Schlimmsten, das die Menschheit zu bieten hat, hatte er sich im sonnigen Süden Kaliforniens in den Ruhestand begeben.
Aber wenige Monate nach seiner Ankunft wurde er vom LAPD als Profilingberater angeworben. Er nahm das Angebot an, unter mehreren Bedingungen. Zum einen würde er kein formaler Angestellter sein, sodass er an keine Vorschriften und Regelungen des Departements gebunden war, und kommen und gehen konnte, wie es ihm passte. Zum anderen würde er sich seine Fälle selbst aussuchen dürfen. Und, was ihm am Wichtigsten war, er würde sich an keinen Dresscode halten müssen.
Das Department hatte eiligst zugestimmt. Und trotz seines nach außen hin ruppigen Benehmens und seines Rufs, „ein mundfaules, gereiztes Arschloch“ zu sein, wie ein Officer ihn einst genannt hatte, hatten sie es nie bereut. Versteckt in seinem isolierten, besenkammergroßen Büro im zweiten Stock der Station ging Moses seiner Arbeit nach, und man konnte sich darauf verlassen, dass er mindestens drei bis vier hochkarätige Fälle pro Jahr löste, zumeist die, die alle anderen in Erstaunen versetzte.
Aus Gründen, die Jessie nie verstanden hatte, schien Garland Moses sie zu mögen, oder zumindest keinen offenkundigen Einwand gegen ihre Existenz einzulegen, was für ihn ziemlich ein und dasselbe war. Hin und wieder gab er ihr sogar einige Ratschläge zu ihren Fällen.
Und obwohl er es nie eingeräumt hatte, war seine Empfehlung, wie sie kürzlich erfahren hatte, instrumental dafür gewesen, dass man sie in der gerühmten, zehnwöchigen FBI-Akademie zugelassen hatte, die sie erst letztes Jahr abgeschlossen hatte.
Das höchst selektive Programm trainierte die Besten der Besten aus lokalen Polizeirevieren in den neuesten investigativen FBI-Techniken. Normalerweise war es nur zugängig für erfahrene Detectives mit hochdekorierten Erfolgen. Aber Jessie als verhältnismäßiger Neuling wurde dennoch aufgenommen. Dort hatte sie nicht nur von Ausbildern der weltbekannten Verhaltensforschungseinheit gelernt, sondern sich auch einem intensiven, körperlichen Training unterzogen, welches Waffenschulung und Selbstverteidigungskurse beinhaltete.
Ihr Erfolg beim Lösen von zahlreichen namhaften Mordfällen, ganz zu schweigen von dem von ihr vereitelten Anschlag auf ihr Leben durch ihren Exmann, hatten ohne Frage eine große Rolle bei ihrer Zulassung gespielt. Aber von noch größerer Bedeutung waren die guten Worte, eingelegt von mehreren hochrangigen L.A.-Gesetzeshütern, unter anderem von Moses.
Als er sich ihr gegenübersetzte, spürte Jessie, dass er den Grund für ihr Gesuch um dieses frühmorgendliche Treffen außerhalb der Arbeit bereits kannte. Trotz ihrer Nervosität war das beinahe eine Erleichterung. Wenn er bereits erraten hatte, was sie wollte, dann konnte sie sich die ganzen Nettigkeiten, Überredungen und Schmeicheleien, die ihr Anliegen typischerweise erforderte, ersparen. Er war dennoch hier. Das hieß, dass er zumindest ein wenig interessiert war.
„Guten Morgen, Mr. Moses“, sagte sie, als er sich ihr gegenüber niederließ.
„Garland“, antwortete er in seinem charakteristischen, rauen Knurren, während er der Bedienung für einen Kaffee zuwinkte.
„Du hast hoffentlich einen verdammt guten Grund. Du warst ziemlich kryptisch am Telefon. Ich mag es nicht, wenn man meine Morgenroutine durcheinanderbringt. Und das hast du definitiv getan.“
„Ich bin mir sicher, dass du es lohnenswert finden wirst“, versicherte sie ihm, bevor sie sich entschloss, einfach direkt einzusteigen. „Ich brauche deine Hilfe.“
„Das habe ich mir schon gedacht. Bisher hat noch niemand Porzellanwaren mit mir diskutieren wollen, ganz zu meinem Leidwesen“, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken.
Jessie beschloss, dass dieser Scherz ein gutes Zeichen war, und spielte mit.
„Das können wir gern später tun, Garland, wenn dir der Sinn danach steht. Aber zuerst liegt mein Interesse weniger auf Tafelgeschirr als auf serienmordenden Kindesentführern.“
Die Kellnerin, die gerade mit ihrer Kaffeekanne vorbeiging, warf Jessie einen erstaunten Blick zu. Die engelhafte Blonde mit „Pam“ auf ihrem Namensschild fasste sich schnell wieder, sah wieder zur Seite und füllte Garlands Tasse.
„Ich bin ganz Ohr“, sagte Garland, nachdem die Kellnerin gegangen war. „Genau wie Pam eben.“
Jessie entschied sich, nicht zu fragen, woher er den Namen der Frau kannte, obwohl er nicht einmal zu ihr aufgesehen hatte. Stattdessen fuhr sie fort.
„Du weißt sicherlich, dass Bolton Crutchfield noch immer auf der Flucht ist und erst letzte Woche ein siebzehnjähriges Mädchen namens Hannah Dorsey entführt hat.“
„Das ist mir bewusst“, sagte er, ohne weiteren Kommentar.
Das war auch nicht nötig. Man musste kein gefeierter Kriminalprofiler sein, um die Geschichte von Bolton Crutchfield zu kennen, der Dutzende Menschen auf brutale, ausgefeilte Weise ermordet hatte und erst kürzlich aus einer psychiatrischen Haftanstalt geflohen war.
„Okay“, fuhr sie fort. „Du weißt vielleicht auch, dass ich Crutchfield persönlich kenne— dass ich ihn dutzende Male interviewt habe, während er im NRD Psycho-Gefängnis saß, und er mir erzählt hat, dass mein guter alter Dad, der Serienmörder Xander Thurman, sein Mentor war, und sie in Kontakt stehen.“
„Das war mir auch bekannt. Ich weiß auch, dass er dich, trotz seiner Bewunderung für Thurmann, und als die Zeit kam, sich zwischen euch zu entscheiden, vor der Gefahr durch deinen Vater gewarnt, und dir möglicherweise somit dein Leben gerettet hatte. Das muss deine Gefühle für ihn ziemlich durcheinandergebracht haben.“
Jessie nahm einen langen Schluck von ihrem Kaffee, während sie grübelte, wie sie darauf antworten sollte.
„Das hat es“, räumte sie schließlich ein. „Vor allem seit er klargestellt hatte, dass er beabsichtigt, mich in Ruhe zu lassen und andere Interessen zu verfolgen.“
„Eine Art Entspannungspolitik sozusagen.“
Zögernd kam Pam zurück, um Garlands Bestellung aufzunehmen.
„Ich nehme das, was sie hat“, sagte er und nickte in Richtung Jessies Toast. Pam sah enttäuscht drein, aber sagte nichts, und zog sich in die Küche zurück.
„Genau“, sagte Jessie. „Natürlich habe ich das Versprechen eines bösartigen Killers nur widerwillig annehmen wollen, dass er ab jetzt dem Motto ‚Leben und leben lassen’ nachgeht. Doch dann hat er das Mädchen entführt.“
„Das hat dich gestört“, bemerkte Garland und sprach damit das Offensichtliche aus.
„Das hat es“, sagte Jessie. „Ich hatte das Mädchen einst gefunden, als mein Vater sie im Haus ihrer Adoptiveltern gefangen gehalten hatte. Er hatte sie dort gefoltert. Sie hatte gerade so überlebt, genau wie ich damals. Die Menschen, die sie aufgezogen hatten, allerdings nicht. Als Crutchfield sie also nur Wochen später entführt und ihre Pflegeeltern getötet hatte, fühlte es sich an, als sei es etwas...“
„Persönliches“, ergänzte Garland ihren Gedanken.
„Richtig“, sagte Jessie. „Und jetzt, nach einer Woche Zwangsurlaub, eine Woche, in der sich Hannah nun schon in den Fängen von Clutchfield befindet, kehre ich nun wieder zur Arbeit zurück.“
„Aber es gibt ein Problem“, machte Garland den Anfang, eine Andeutung, dass Jessie endlich zum Punkt kommen sollte. Das tat sie dann auch.
„Richtig. Der Fall ist dem FBI übertragen worden. Ich weiß genau, dass, sobald ich durch die Türen der Polizeistation treten werde, man mir ausdrücklich verbieten wird, an den Untersuchungen teilzunehmen, wegen... meiner persönlichen Verbindung. Aber nach beinahe dreißig Jahren auf diesem Planeten kenne ich mich besser und weiß, dass ich mir das nicht einfach aus dem Kopf schlagen und so tun kann, als wäre nichts geschehen. Deshalb dachte ich, ich berufe die Unterstützung von jemandem ein, der nicht den Regulierungen unterliegt, die mir bald aufgezwungen werden.“
„Und doch“, sagte Garland, als sein Toast serviert wurde, „habe ich das dumpfe Gefühl, dass ich nicht deine erste Wahl für diese Aufgabe bin.“
Jessie hatte nicht die geringste Ahnung, wie er das wissen konnte, aber sie widersprach nicht.
„Das stimmt. Normalerweise würde ich gefeierte, emeritierte Profiler nicht um einem Gefallen bitten, wenn ich es vermeiden könnte. Vor allem frage ich sie nur ungern, für mich die Drecksarbeit zu machen und herauszufinden, was in den Ermittlungen von jemand anderem vor sich geht. Aber leider ist meine erste Wahl nicht verfügbar.“
„Und wer ist das?“, fragte Garland.
„Katherine Gentry. Sie hat die Sicherheitsabteilung im NRD-Gefängnis geleitet. Wir haben uns während meiner vielen Besuche angefreundet. Aber als Crutchfield entkommen ist und mehrere Wächter umgebracht wurden, wurde sie gefeuerte. Seitdem ist sie Privatermittlerin. Kat ist neu im Geschäft, aber sie ist gut. Sie hat mir letztens erst geholfen.“
„Aber...“, drängte Garland.
„Aber sie mitten in einem anderen Fall, der viele Überwachungen außerhalb der Stadt erfordert, deswegen hat sie nicht die Zeit dafür. Außerdem dachte ich, das könnte ein wenig zu heikel für sie sein, wegen ihrer Verbindung zu Crutchfield. Sie steckt zu tief drin.“
„Verstehe“, sagte er in einem verschmitzten Ton. „Du machst dir also Sorgen, dass jemand wegen seiner persönlichen Verbindung nicht in der Lage sein könnte, die Situation objektiv zu beurteilen. Trifft diese Beschreibung zufällig auf jemand anderen zu, den du kennst?“
Jessie sah ihn an und verstand, worauf er hinauswollte. Wenn er wüsste, wie persönlich dieser Fall wirklich für sie war, wäre er womöglich noch beunruhigter. Dann kam ihr ein Gedanke, einer, der ihn seine Sicht auf die Dinge vielleicht neu evaluieren ließ.
„Du hast recht“, sagte sie. „Ich bin nicht objektiv, sogar weniger, als du glaubst. Aber weißt du, Garland, was womöglich nur ein halbes Dutzend Menschen auf dieser Welt wissen, ist, dass Hannah Dorseys Vater Xander Thurman war. Sie ist meine Halbschwester, etwas, dass ich erst letzten Monat erfahren habe. Ich bin also wirklich kein bisschen objektiv, was diese Sache angeht.“
Garland, der gerade einen Schluck Kaffee nehmen wollte, hielt kurz inne. So wie es aussah, war es also tatsächlich möglich, diesen Mann zu überraschen.
„Das ist wohl eine Komplikation“, stimmte er zu.
„Ja“, sagte sie und lehnte sich gespannt nach vorn. „Und ich bin überzeugt, dass er sie entführt hat, um sie in einen Serienmörder zu verwandeln, genau wie mein Vater und er. Das hatte mein Dad auch mit mir vor. Als ich mich geweigert hatte, hat er versucht, mich umzubringen. Ich glaube, Crutchfield will da weitermachen, wo Thurman aufgehört hat.“
„Wieso glaubst du das?“, fragte Garland.
„Er hat mir eine Postkarte geschickt, in der er im Grunde genau das ausgeführt hat. Und dann hat er eine Nachricht, geschrieben in Blut, an der Zimmerwand der Pflegefamilie hinterlassen, die das noch einmal wiederholt hat. Er hält damit nicht hinterm Berg.“
„Er scheint es dir unter die Nase reiben zu wollen“, stimmte Garland zu.
„Genau“, sagte Jessie und spürte, dass er ihrer Bitte langsam nachgab. „Ich gebe also zu, dass ich nicht gerade besonnen darüber bin. Und ich verstehe, wieso Captain Decker sich weigert, mich in die Nähe dieses Falles zu lassen. Aber wie gesagt, ich kenne mich. Unter keinen Umständen werde ich so tun, als sei da draußen kein Serienmörder, der versucht, meine Halbschwester in seinen eigenen kleinen Mini-Me zu verwandeln. Deshalb dachte ich mir, ich wende mich besser an jemanden, der dem Fall rationaler gegenübersteht, und mich auf dem Laufenden hält. Sonst drehe ich durch. Und es muss jemand sein, der Zugriff auf die Informationen hat, aber nicht den ganzen Verboten des LAPDs unterliegt.“
Garland lehnte sich zurück und schob seine Brille hoch. Er schien in Gedanken versunken zu sein.
„Garland“, sagte sie, ihre Stimme ein heiseres Flüstern. „Bolton Crutchfield versucht, ein Monster ganz wie sich selbst zu erschaffen, und er tut das mit einem traumatisierten Mädchen. Das ist schlimm genug, auch wenn sie nicht meine einzig lebende Verwandte wäre, eine Schwester, die ich kaum kenne. Aber er tut es in der Absicht, mit mir zu spielen, ein weiteres seiner endlosen, sadistischen Spielchen. Ich verstehe, was er vorhat. Ich bin mir im Klaren darüber. Aber wenn du denkst, dass ich, nur weil ich die Situation verstehe, mich aus dem Ganzen raushalte, nur wegen einer Anweisung meines Vorgesetzten, dann irrst du dich. Wenn du nein sagst, dann gehe ich der Sache auf eigene Faust nach, ungeachtet aller Konsequenzen. Ich bitte dich um deine Hilfe, zum Teil, weil du besser bist als ich. Aber zum anderen, um mich vor mir selbst zu schützen. Ich will nicht dramatisch sein und sagen, dass meine Zukunft in deinen Händen liegt... Aber meine Zukunft liegt in deinen Händen. Was sagst du?“
Garland schwieg einen Augenblick. Dann lehnte er sich vor, um zu antworten. Plötzlich klingelte Jessies Mobiltelefon. Sie blickte darauf. Es war Ryan. Sie verwies den Anruf an die Mailbox und sah wieder zu dem alten Mann vor ihr auf. Dann fühlte sie ein Summen. Sie sah hinunter und sah eine Nachricht von Ryan, die einfach nur lautete: „911 – geh ran.“ Kurz darauf klingelte das Telefon erneut. Sie nahm ab.
„Ich habe zu tun“, sagte sie.
„Es gab einen Mord im Bonaventure Hotel“, sagte Ryan, „Decker hat uns zugeteilt. Er hat unser Meeting verschoben und erwartet uns dort so schnell wie möglich. Ich bin auf dem Weg, dich abzuholen. Ich bin in zwei Minuten da.“
Er legte auf, bevor sie antworten konnte. Sie sah zu Garland auf.
Jessie umklammerte den Griff über ihrem Kopf, als hinge ihr Leben davon ab.
Ryan hatte die Sirene eingeschaltet und schoss mit scharfen, abrupten Richtungswechseln durch die Straßen der Innenstadt. Die Medien hatten anscheinend bereits einen Hinweis über eine Leiche in einem noblen Hotel erhalten und bereits eine Menge vor dem Eingang gebildet. Er wollte dort ankommen, bevor die Szene zu chaotisch wurde.
So wie Jessie im Auto herumgeworfen wurde, war sie insgeheim dankbar, dass sie es bei einem Toast zum Frühstück belassen hatte. Obwohl ihre Gedanken in ihrem Kopf durcheinanderschwirrten, wusste sie eines. Garland hatte ja gesagt.
Das hieß, dass, wenn sie sich zwang, seine Beteiligung wirklich auszunutzen, sie sich nicht jeden freien Moment ihrer Zeit über Hannahs Verschwinden verrückt machen musste. Jetzt hatte sie jemanden, der sich damit befasste, und dem sie vertraute, dass er ihr ein wenig Freiraum verschaffen und sie über den Fall auf dem Laufenden halten würde. Um bei klarem Verstand zu bleiben, musste sie das zulassen und durfte sich nicht jede freie Sekunde darauf fixieren.
Genauso wichtig war es, einen ruhigen Kopf zu bewahren, um bei diesem Bonaventure-Fall, oder allen folgenden Einsätzen, von Nutzen zu sein. Sie schuldete wer auch immer das Mordopfer in diesem Hotelzimmer war, ihre kohärenteste, systematischste Analyse. Als könnte er ihre Gedanken lesen, meldete sich Ryan zu Wort.
„Das war nicht meine Idee.“
„Was meinst du?“, fragte sie.
„Mein Plan war es, die Arbeit gemächlich angehen zu lassen, mit mindestens einem oder zwei Tagen voll langweiliger Papierarbeit. Aber Captain Decker bestand darauf, dich rauszuschicken.“
„Das klingt gar nicht nach ihm“, bemerkte sie.
„Eigentlich nicht“, stimmte er zu. „Aber er war ziemlich ausdrücklich darin, dich sofort auf einen Fall anzusetzen, um dich beschäftigt zu halten. Er will dich auf keinen Fall in der Nähe der Dorsey-Sache wissen und dachte, die beste Art, das zu bewerkstelligen, sei es, dich zu beschäftigen.
„Das hat er gesagt?“, fragte Jessie.
„So ziemlich. Ich glaube sogar, dass er wollte, dass ich dir das übermittle, als eine Art Warnung.“
„Okay, hab ich notiert“, sagte Jessie und überlegte kurz, ob sie Ryan von ihrem Treffen mit Garland Moses erzählen sollte.
Ryan wusste, dass Hannah ihre Halbschwester war, aber sonst nicht viel mehr. Außerdem hatte sie ihm nicht gesagt, mit wem sie sich getroffen hatte, oder wieso. Er nahm anscheinend an, dass sie mit Kat Gentry verabredet gewesen war, und sie ließ ihn in dem Glauben. Sie befürchtete, dass, je mehr er über ihre Anstrengungen, über Hannahs Fall informiert zu bleiben, wusste, um so verwundbarer würde er auf beruflicher Ebene sein. Sie wollte nicht, dass er ihren Boss für sie anlügen musste, sollte das Thema aufkommen. Sie blickte hinüber zu Hernandez, der zwei Jahre älter war als sie, und fragte sich leise, was sie ihm schuldig war. Immerhin war er ein Detective und sie ein Profiler, sie arbeiteten in den meisten Ermittlungen zusammen und waren im Grunde Partner, auch, wenn es nicht offiziell war.
Abgesehen davon hatte sich ihre Beziehung in den letzten Jahren von einer rein professionellen Ebene zu einer professionell freundschaftlichen hin zu einer echten Freundschaft, und nun in etwas anderes, gewandelt. Nach sechs Jahren der Ehe hatte Ryans Frau vor ein paar Monaten die Scheidung eingereicht, und nach einigen ungeschickten, verbalen Tänzen hatte Ryan Jessie kürzlich gestanden, dass er an ihr mehr interessiert war als nur als einem Partner.
Ihr ging es seit einiger Zeit genau so, aber sie hatte nie etwas in der Richtung unternommen. Sie fand ihn attraktiv, seit sie ihm das erste Mal begegnet war, als er einen Vortrag als Gastredner in einem ihrer Kurse gehalten hatte. Das war noch, bevor sie von seiner beeindruckenden Abstammung als Detective bei der Eliteeinheit der Raubmorddivision des LAPD, genannt Homicide Special Section, oder HSS, erfahren hatte. HSS übernahm Mordfälle mit großem Aufsehen oder hoher Medienbeachtung, die oft mehrere Opfer oder Serienkiller beinhalteten.
All das machte seine bereits beeindruckende Statur nur noch attraktiver. Ryan war 1.83m groß und ein Koloss von zweihundert Pfund reiner, auf der Straße erarbeiteter, Muskelmasse. Seine Augen unter seinem kurzen, schwarzen Haar strahlten dennoch eine unerwartete Wärme aus.
Jetzt, wo sie nur noch ihre eigenen Berge aus persönlichem Gepäck zu schleppen hatten, welches sie daran hinderte, den nächsten Schritt zu wagen, streckten sie ihre Fühler nach einander aus. Bisher war da ein Kuss gewesen, mehr nicht. Jessie war ehrlich gesagt nicht sicher, ob sie beide überhaupt schon bereit für mehr waren.
„Erzähl mir von dem Fall“, sagte sie, entschlossen, ihm erst mal nichts von ihrem Meeting mit Garland Moses zu erzählen.
„Viel weiß ich selbst noch nicht“, sagte Ryan. „Die Leiche wurde vor einer Stunde vom Reinigungspersonal entdeckt—männlich, um die Vierzig, nackt. Die Brieftasche war leer—kein Ausweis, keine Kreditkarten und kein Bargeld. Die Todesursache war angeblich Strangulierung.“
„Können sie ihn nicht identifizieren, indem sie die Hotelbuchung checken?“
„Das ist auch ein bisschen merkwürdig. Die Karte, mit der das Zimmer gebucht wurde, ist auf ein Mantelunternehmen registriert. Und der Name an der Kasse ist John Smith. Ich bin sicher, dass sich das noch aufklären wird, aber momentan haben wir es mit einem John Doe zu tun.“
Sie kamen an dem riesigen Bonaventure Hotel an, mit seinen zahlreichen Türmen und berühmten Aufzügen im Inneren, die, die aus dem Film „In The Line of Fire“ bekannt waren. Ryan zückte seine Polizeimarke, um an der Polizeiabsperrung vorbeigelassen zu werden und hielt nahe dem Lieferanteneingang an.
Ein uniformierter Polizeibeamter begrüßte sie und führte sie zum Lastenaufzug und von da aus zu der gewaltigen Zentrallobby. Als sie sie durchschritten, um zu den Hauptaufzügen zu gelangen, konnte Jessie nicht anders, als über die Größe und die Anzahl der Atrien und der sich kreuzenden Flure und Treppenhäuser zu staunen. Es war fast, als wäre dieser Ort extra dafür geschaffen, seine Gäste zu verwirren.
Gemächlich folgte sie Ryan und dem Polizisten, ließ die Komplikationen des Morgens von sich abfallen und konzentrierte sich auf die bevorstehende Aufgabe. Ihr Job war es, dieses Verbrechen zu analysieren und mögliche Täter zu bestimmen. Und das beinhaltete, ihre Umgebung im Auge zu behalten, in der das Verbrechen stattgefunden hatte—nicht nur das Zimmer, sondern auch das Hotel. Es war möglich, dass etwas, das hier draußen passiert war, die Ereignisse in dem Zimmer beeinflusst hatte. Ihr durfte nichts entgehen.
Sie gingen an einer Gruppe Touristen vorbei, die aufgeregt den Ausgang ansteuerten. Ihre Kleidung ließ vermuten, dass ihr Ziel ein bekannter Vergnügungspark war. Hinter ihnen, an einer ringförmigen, offenen Bar, genannt Lobby Court, machten sich einige Männer in Anzügen bereits zu dieser frühen Stunde ans Trinken. Einige kräftige Männer in identischen, blauen Blazern und Knöpfen im Ohr wanderten umher und gehörten ganz klar zum Security-Personal. Jessie konnte sich nicht festlegen, ob sie tatsächlich versuchten, diskret zu sein, oder nur den oberflächlichen Eindruck erwecken wollten.
Als sie die Aufzüge erreichten, schloss sich einer der Blazer-Jungs ihnen an und wartete stumm mit ihnen auf einen Fahrstuhl.
„Wie läuft der Morgen?“, fragte Jessie munter, unfähig den Kerl mit der Ernsthaftigkeit zu behandeln, die er ganz klar erwartete.
Er nickte bloß wortlos.
„Beginnt Ihre Schicht gerade oder endet sie?“, hakte sie nach, und ihr Ton wurde strenger, genervt von seiner Verschwiegenheit.
Er sah erst sie an, dann Ryan, der ihn kühl anstarrte, und antwortete zögerlich:
„Ich habe um sechs angefangen. Der Anruf vom Reinigungspersonal kam um sieben“, und sprach damit das Thema an, auf das sie angespielt hatte.
„Wieso hat das Reinigungspersonal das Zimmer so früh schon betreten?“, fragte Jessie. „Hing da ein Hinweis mit der Bitte um Reinigung am Türknauf?“
„Sie sagte, dass da ein Geruch aus dem Zimmer kam.“
Jessie sah zu Ryan hinüber, dessen Gesichtsausdruck resigniert wirkte.
„Klingt nach einem tollen Start in den Tag“, sagte sie, seine Gedanken lesend.
Der Aufzug kam und sie stiegen ein. Der Wächter begleitete sie in den vierzehnten Stock. Als sie in die Höhe schossen, kam Jessie nicht umhin, die Aussicht zu bestaunen. Der Aufzug ließ über die Hollywood Hills blicken, und an diesem klaren Morgen strahlte das Hollywood-Zeichen förmlich zu ihnen herüber, scheinbar nah genug, um es berühren zu können. Das Griffith Park-Observatorium thronte auf dem Gipfel eines Hügels im Park. Mehrere Studiobühnen spickten die Flächen dazwischen, genau wie die tausenden von Fahrzeugen die überfüllten Straßen.
Ein sanftes Ding holte sie wieder in die Gegenwart zurück, und Jessie verließ den Fahrstuhl und folgte dem Wächter und Ryan zum Ende des Flurs. Auf halbem Wege drang ihr der Geruch in die Nase, den auch das Zimmermädchen bemerkt hatte.
Es war der Geruch eines faulen, bakterienverseuchten Gases, das sich im Körper des Opfers ausgebreitet hatte und ausgetreten war, meist zusammen mit ähnlich übelriechenden Flüssigkeiten. Obwohl das stets unangenehm war, hatte Jessie sich größtenteils daran gewöhnt. Sie bezweifelte aber, dass ein Zimmermädchen damit genau so vertraut war wie sie.
Ein Polizeibeamter, der vor der Tür wartete, erkannte Ryan und reichte ihm und Jessie Plastiküberzieher für ihre Schuhe, während er das Polizeiabsperrband hob, damit sie eintreten konnten. Zu ihrer zugegeben kleinlichen Zufriedenheit verweigerte der Beamte dem Hotelsicherheitsmann den Zutritt.
Im Zimmer stellt sie sich an die Tür und ließ ihren Blick über die Szene schweifen. Mehrere CSU-Techniker machten Fotos und nahmen Fingerabdrücke. Einige kleine Abdrücke auf dem Teppich waren bemerkt und mit Beweisnummern versehen worden.
Die Leiche lag auf dem Bett, nackt, aufgebläht und unverhüllt. Die ursprüngliche Beschreibung des Opfers war korrekt. Er schien um die Vierzig zu sein. Als Jessie näherkam, wurde ihr klar, dass er in der Tat erwürgt wurde. Blau-violette Fingerabdrücke zierten seinen Hals, allerdings fiel ihr auf, dass keine Abdrücke oder Kratzer zu sehen waren, die auf Fingernägel hingewiesen hätten, die ins Fleisch gedrückt hatten.
Der Mann war ganz gut in Form gewesen, wenn man die Aufdunsung ignorierte. Er war ganz deutlich recht wohlhabend, mit erst kürzlich manikürten Fingernägeln, einer mühevoll ausgeführten Haartransplantation, um seinem schwarzen Haar einige graue Tupfer hinzuzufügen, und einige fachmännische Botox-Injektionen um die Augen, den Mund und die Stirn herum.
Seine Socken, die sich um die jetzt mit Flüssigkeit gefüllten Knöchel spannten, klammerten sich kläglich an seine Füße. Seine Schuhe standen neben seinem Bett. Seine Kleidung—bestehend aus einem teuer anmutenden Anzug, Boxershorts und einem T-Shirt, hingen sorgfältig gefaltet über einem Stuhl.
Ansonsten befanden sich keine weiteren offensichtlichen persönlichen Gegenstände in dem Raum—kein Gepäck, keine Uhr oder Brille auf dem Nachttisch. Sie warf einen Blick ins Badezimmer und sah auch dort das Gleiche—keine Hygieneartikel, kein benutztes Handtuch, nichts, das vermuten ließ, dass er viel Zeit in diesem Hotelzimmer verbracht hatte.
„Mobiltelefon?“, fragte Ryan den Beamten in der Ecke.
„Wir haben es im Abfalleimer gefunden“, verriet der CSU-Ermittler. „Es war kaputt, aber das Technikerteam glaubt, dass man es retten kann. Die SIM-Karte befand sich noch darin. Es ist gerade auf dem Weg ins Labor.“
„Brieftasche?“, fragte Ryan.
„Sie lag auf dem Boden neben dem Bett“, sagte der Ermittler. „Aber sie war ausgeräumt. Alle Ausweismöglichkeiten waren weg—keine Kreditkarten und kein Führerschein. Es gab einige Fotos von Kindern. Ich schätze, die könnten möglicherweise bei der Identifikation weiterhelfen. Aber ich glaube, das Mobiltelefon wird schnellere Ergebnisse liefern.“
Jessie trat näher an die Leiche und stellte dabei sicher, alle Beweismarker auf dem Boden zu umgehen.
„Keine offensichtlichen Spuren von Gegenwehr“, bemerkte sie. „Keine Kratzer an seinen Händen. Keine Blutergüsse an seinen Fingern.“
„Schwer vorzustellen, dass er einfach dagelegen haben soll und sich hat erwürgen lassen, außer es war Teil eines Sexspiels. Das haben wir natürlich auch schon gesehen“, sagte Ryan mit einer Anspielung auf einen komplizierten Fall, der S&M beinhaltet hatte, und den er kürzlich gelöst hatte.
„Oder man hat ihn unter Drogen gesetzt“, konterte Jessie und deutete auf das leere Glas, das neben dem Tisch neben einem weiten Beweismarker lag. „Wenn man ihm etwas in den Drink gekippt hatte, dann war er womöglich nicht in der Lage sich zu wehren.“
„Wir können einen Selbstmord also ausschließen“, sagte Ryan und näherte sich der Leiche.
„Wenn er sich das tatsächlich selbst zugefügt hat, dann war das eine ganz schön eindrucksvolle Leistung“, sagte Jessie.
Sie beobachtete, wie Ryans Belustigung sich in Neugier verwandelte.
„Was ist?“, fragte sie.
„Ich glaube, ich kenne diesen Kerl.“
„Wirklich?“, sagte Jessie. „Wer ist er?“
„Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, er ist ein lokaler Politiker, vielleicht aus dem Stadtrat?“
„Wir sollten sein Foto mit Politikern aus der Gegend und anderen Offiziellen vergleichen lassen“, schlug Jessie vor.
„In Ordnung“, stimmte er zu. „Wenn das ein Treffer ist, dann können wir ein politisches Motiv nicht ausschließen.“
„Stimmt. Vielleicht war jemand unzufrieden mit einer Stimme, die er letztens abgegeben hatte oder abgeben wollte. Natürlich wäre es genauso effektiv gewesen, ihm Fotos von sich selbst zu zeigen, wie er nackt und unter Drogen in einem Hotelzimmer liegt.“
„Da hast du recht“, stimmte Ryan zu. „Vielleicht war die Nachricht aber auch an jemand anderen gerichtet.“
„Auch möglich“, sagte Jessie und sah sich im Raum nach etwas um, das sie womöglich übersehen hatte. „Aber ich hätte gedacht, dass, was Nachrichten betrifft, zwei Kugeln in den Hinterkopf wirkungsreicher ausgefallen wären. Ich denke, wir müssen herausfinden, wer der Kerl ist, bevor wir irgendwelche echten Schlüsse ziehen können.“
Ryan nickte zustimmend.
„Wieso gehen wir nicht zur Rezeption“, sagte er. „Lass uns sehen, was man uns dort über John Smith erzählen kann.“
*
Der Mitarbeiter am Schalter, der „John Smith“ von City Logistics eingecheckt hatte, hatte seine Schichte um sechs Uhr morgens beendet und musste wieder zurück an den Arbeitsplatz gerufen werden. Während sie auf seine Ankunft warteten, wies Ryan das Sicherheitsbüro an, alles Videomaterial von der Zeit des Check-Ins und alle Keycard-Nutzungen an der Zimmertür des Toten herauszusuchen.
Jessie saß mit Ryan wartend in der Lobby und beobachtete das Treiben der Hotelroutine.
Einige Gäste checkten aus. Aber die meisten waren entweder Touristen, die sich nur herumtrieben, oder Leute in Businesskleidung, die gerade allen Anschein nach auf dem Weg zu einem „Meeting der Industrietitanen“ dem Ausgang zustrebten.
Als der Rezeptionist die Lobby betrat, wusste sie sofort, dass das ihr Mann war. Der Junge um die Zwanzig mit Aknegesicht, Blue Jeans und einem lässigen Shirt sah aus, als wäre er gerade aus dem Tiefschlaf gerissen worden und hätte kaum genug Zeit gehabt, um sich anzuziehen, geschweige denn sich die Haare zu kämmen. Eine weitere Charakteristik umgab ihn wie ein unsichtbarer Mantel: Angst.
Jessie stupste Ryan an und deutete auf den Kerl. Sie standen auf und erreichten ihn, als dieser gerade an den Schalter trat. Er winkte einem Manager zu, der ihm zu verstehen gab, dass er ans Ende der Theke kommen sollte, weg von den Gästen.
„Danke fürs Kommen, Liam“, sagte der Manager.
„Kein Problem, Chester“, sagte der Junge, obwohl er aussah, als wäre er völlig außer sich.
„Du hattest gesagt, es sei dringend. Worum geht es?“
„Einige Leute hier haben ein paar Fragen an dich“, sagte Chester, Jessies Anweisungen folgend, nicht zu spezifisch über den Grund zu sprechen, weswegen man ihn herbestellt hatte.
„Wer hat denn Fragen?“, fragte Liam.
„Wir“, sagte Ryan hinter ihm und erschreckte damit den jungen Mann, der überrascht zusammenzuckte.
„Wer sind Sie?“, fragte Liam in einem Ton, der taff klingen sollte, was ihm aber misslang.
„Mein Name ist Ryan Hernandez. Ich bin LAPD Detective. Das hier ist Jessie Hunt. Sie ist Kriminalprofiler für das Department. Wieso gehen wir nicht irgendwo hin, wo wir uns offener unterhalten können?“
Für einen Augenblick sah Liam so aus, als wollte er sich jeden Moment aus dem Staub machen. Dann schien er sich aber zu fassen.
„Ja, ich schätze, das geht klar.“
„Es gibt einen kleinen Konferenzraum am Ende des Ganges“, sagte Chester, der Manager. „Dort sollten Sie ihre Privatsphäre haben.“
Als sie den Konferenzraum erreicht hatten, die Tür geschlossen war und sich alle gesetzt hatten, schien Liam sich wieder anzuspannen. Vielleicht war es wegen der beiden Gesetzeshüter, die ihn anstarrten, oder weil er nicht wusste, wozu er befragt werden würde, oder wegen des seltsamen, weißen Rauschens, das den ansonsten stillen Raum erfüllte. Jessie vermutete, dass es eine Kombination aus allem war. Egal aus welchem Grund, Liam schien sich nicht beherrschen zu können.
„Geht es um die Bierkisten?“, platzte er heraus. „Denn mir hat man gesagt, dass es übriggebliebene Ware wäre, die eh weggeworfen werden würde, und dass es keine große Sache wäre, wenn ich sie nehmen würde.“
Liams Kiefer klappte so weit nach unten, dass Jessie befürchtete, dass er ihn sich ausgerenkt hatte.
„Was?“, fragte er, als er endlich seine Worte wiederfand.
„Letzte Nacht wurde hier ein Gast ermordet“, sagte Ryan. „Und allen Anschein nach haben Sie ihn eingecheckt, obwohl es da einige Unstimmigkeiten gibt. Wir hatten gehofft, dass Sie das aufklären könnten.“
Liam schluckte schwer, bevor er antwortete.
„Natürlich“, sagte er, anscheinend froh, dass er wegen des Biers nicht mehr unter Verdacht stand.
„Gestern Abend um neun Uhr dreißig hatten Sie einen Mann unter dem Namen John Smith eingecheckt. Die Karte in Verbindung mit dieser Transaktion lief auf eine Firma namens City Logistics, was anscheinend ein Briefkastenunternehmen ist.“
„Was bedeutet das?“, fragte Liam.
„Es bedeutet“, sagte Ryan, „dass diese Firma einer weiteren Firma gehört, die wiederum einer anderen Firma gehört, alle mit unterschiedlichen Leuten auf den Chefsesseln, und alle sind sie anscheinend Anwälte, die dafür bekannt sind, Mantelfirmen aufzubauen.“
„Das versteh ich nicht“, sagte Liam, sichtlich verwirrt.
„Liam“, ergriff Jessie zum ersten Mal das Wort, „das bedeutet, dass die Person, die Ihnen die Kreditkarte gegeben hat, nicht wollte, dass sein richtiger Name mit der Zimmerbuchung in Verbindung gebracht wird. Deswegen hatte er diese Firmenkarte mit diesem komplizierten Hintergrund benutzt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, wieso er als ‚John Smith’ unterschrieben hat. Und da diese Karte nie belastet wurde, schätze ich, dass er bar bezahlt hat, korrekt?“
„Das klingt nach jemandem, der letzte Nacht eingecheckt hat“, räumte Liam ein.
„Aber eines verstehe ich nicht“, führte Jessie fort. „Selbst wenn er in bar bezahlt hat, würde die Karte mit anfallenden Beträgen wie der kleinen Flasche Brandy aus der Minibar belastet werden. Wie ist das bezahlt worden?“
„Wenn wir hier von dem gleichen Typen reden“, sagte Liam schüchtern, „dann war das wahrscheinlich, weil er mir zweihundert Dollar zugesteckt hat und gesagt hat, dass alle anfallenden Gebühren damit verrechnet werden sollten. Er hat auch gesagt, dass ich behalten dürfe, was übrigbleibt.“
„Und wie viel ist übriggeblieben?“, fragte Jessie.
„Einhundertvierundachtzig Dollar.“
Ryan und Jessie tauschten einen Blick aus.
„Das ist ziemlich viel Geld, Liam“, sagte Jessie. „Wieso hätte John Smith so ein saftiges Trinkgeld geben sollen? Und denken Sie daran, bis jetzt sind Sie nur ein potenzieller Zeuge. Aber wenn sich Ihre Antworten als nicht wahrheitsgemäß herausstellen, müssen wir den Status möglicherweise zu dem eines Verdächtigen umändern.“
Liam sah nicht so aus, als wollte er an all dem beteiligt sein.
„Hören Sie“, sagte er und konnte die Worte kaum schnell genug herausbekommen. „Der Kerl hat nie etwas Eindeutiges gesagt. Aber er hatte darauf angespielt, dass er eventuell Besuch von einem Freund bekommen würde, und je weniger belastender Papierkram für ihn entstehen würde, umso besser. Er wollte die Dinge nicht offiziell verbucht wissen, verstehen Sie?“
„Und damit waren Sie einverstanden?“, drängte Ryan.
„Es waren zweihundert Dollar, Mann. Die Zeiten sind hart. Auch wenn er fünf Miniflaschen Brandy genommen hätte, hätte ich noch immer hundert Dollar in der Tasche gehabt fürs Nichtstun. Muss ich hier den Moralapostel spielen und entscheiden, ob so ein Kerl dieses Hotel nutzen darf, um seine Geliebte zu treffen? Im schlimmsten Fall zerlegt er das Zimmer und ich habe seine Firmenkreditkarte im System für Notfälle. In meinen Augen konnte da nichts schief gehen.“
„Außer er endet nackt und tot auf dem Bett“, merkte Ryan an. „Da ging alles schief für jeden Beteiligten, inklusive Ihnen, Liam. Ungeachtet dieser ganzen Biergeschichte würde ich sagen, dass Sie bald Ihren Lebenslauf wieder herauskramen müssen.“
Ein Klopfen an der Tür hinderte Liam zu antworten. Es war Chester, der Manager. Ryan deutete ihm, die Tür zu öffnen.
„Verzeihen Sie die Störung“, sagte er. „Aber die Sicherheitsabteilung hat die Videos, die Sie wollten.“
„Perfektes Timing“, sagte Ryan. „Ich glaube, wir wären soweit durch, nicht wahr, Liam?“
Liam nickte zerknirscht. Als Ryan und Jessie den Raum verließen, wollte er folgen, doch der Manager hob einhaltend seine Hand und er blieb, wo er war.
„Ich hätte dich gerne noch ein wenig hier, Liam“, sagte er. „Wir haben einige Dinge zu besprechen.“
*
Jessie verdränge Liams Probleme aus ihrem Kopf, als sie im Sicherheitsbüro stand und sich hinter der jungen Frau, die das System bediente, vorlehnte, um einen besseren Blick auf den Monitor zu bekommen. Ryan und ein weiterer Hotelmanager standen neben ihr.
Wie Liam gesagt hatte, reichte ihm der Mann, der das Zimmer gebucht hatte, eine Kreditkarte und ein Bündel Geldscheine. Er war allein. Während er wartete, dass Liam die Transaktion abschloss, sah er sich um und nickte jemandem jenseits der Kamera zu.
„Können Sie sehen, wem er da zugenickt hat?“, fragte Jessie die Technikerin.
„Ich habe bereits alles versucht“, sagte die Frau, die Natasha hieß. „Ich habe mir jede Kameraaufnahme von dem Bereich angesehen, zu dem er gedeutet hat. Niemand hat physisch darauf reagiert. Es hat sogar niemand auch nur in seine Richtung gesehen.“
Jessie fand das sehr verblüffend, aber sie sagte nichts. Der Mann hatte ganz klar jemandem zugenickt. Aber dieser Jemand war darauf bedacht, nicht von den Kameras eingefangen zu werden.
Wer weiß über solche Details Bescheid?
„Sie haben die Aufnahmen vom Flur im vierzehnten Stock?“, fragte sie.
Natasha rief sie auf. Die Zeitmarke zeigte 22:01 Uhr, als der Mann den Flur entlang ging und das Zimmer betrat. Jessie hörte, wie Ryan scharf die Luft einsog, und sah zu ihm. Er lehnte sich zu ihr und flüsterte in ihr Ohr.
„Jetzt, wo ich gesehen habe, wie der Kerl sich bewegt, hat etwas bei mir Klick gemacht. Mir ist jetzt klar, wer das ist. Er ist ein Politiker. Ich weihe dich später ein, wenn nicht so viele Ohren mithören.“
Jessie nickte gespannt. Natasha spulte durch die Aufnahme des Flurs und stoppte gelegentlich, wenn jemand vorbeilief. Niemand näherte sich dem Zimmer des Mannes. Aber um 22:14, genau dreizehn Minuten, nachdem der Mann auf sein Zimmer gegangen war, öffnete sich der Aufzug und eine Frau trat heraus.
Sie war eine bildschöne Blondine, deren Haar ihr bis zur Mitte des Rückens reichte. Sie trug eine riesige Sonnenbrille, die ihre Gesichtszüge verdeckte, und einen zugebundenen Trenchcoat mit hohem Kragen. Sie wanderte durch den Flur, überflog die Nummern der Zimmer, bis sie schließlich vor der Tür des Mannes stehenblieb. Sie klopfte. Sekunden später öffnete sich die Tür, und die Frau trat ein.
Während der nächsten einunddreißig Minuten passierte nichts. Um 22:45 Uhr aber verließ die Frau das Zimmer und ging den gleichen Weg zurück, den sie gekommen war. Diesmal ging sie auf die Kamera zu, und Jessie konnte einen besseren Blick auf sie werfen.
Sie trug noch immer die Sonnenbrille und den Mantel. Aber dennoch konnte Jessie erkennen, dass die Frau eine Schönheit war. Ihre Wangenknochen waren wie von einem Künstler gemeißelt. Ihre Haut sah selbst auf diesem kleinen Monitor makellos aus. Und es war klar, dass die Figur unter dieser Jacke einen reichen, geilen Mann dazu bringen konnte, seine politische Zukunft aufs Spiel zu setzen.
Jessie bemerkte noch etwas anderes. Die Frau schien auf die Fahrstühle... zuzuschlendern. Da war nichts Eiliges in ihrem Verhalten. Es war gut möglich, dass sie nur vor wenigen Minuten einen Mann unter Drogen gesetzt und erwürgt hatte. Dennoch wies nichts an der Art, wie sie sich gab, auf irgendwelche Sorgen oder Unruhe hin. Sie wirkte selbstsicher.
Da wurde Jessie klar, dass sie es hier mit mehr als nur einem Verbrechen aus Leidenschaft oder einem fehlgeschlagenen Raub zu tun hatten. Wäre das eine sexuelle Begegnung gewesen, die aus dem Ruder gelaufen war, dann wäre sie aufgebrachter und gehetzter gewesen. Wenn es ein einfacher Raub gewesen wäre, hätte sie den Raum nach zehn Minuten schon wieder verlassen haben können.
Sie aber blieb eine halbe Stunde. Sie hatte sich dort eine Weile aufgehalten. Sie hatte sein Telefon zerstört und all seine Karten, Ausweise und sein Bargeld genommen, obwohl ihr bewusst gewesen sein musste, dass seine Identität schnell aufgedeckt werden würde. Sie hatte sogar die Familienfotos in seiner Brieftasche gelassen.
Jessie bekam das Bild nicht mehr aus ihrem Kopf.
Während Ryan sie zu ihrem nächsten Stopp fuhr, dachte sie unentwegt an die letzten Bilder, die Natasha, die Sicherheitstechnikerin, ihnen gezeigt hatte. Jetzt wo sie wusste, wie die Frau aussah, konnten sie frühere Aufnahmen der Nacht durchgehen.
Es gab keine Aufnahmen, wie die Frau das Hotel betrat oder verließ. Aber es gab Bilder, wie sie in der Lobby Court-Bar saß—die Bar, in der Jessie die Männer in Anzügen heute Morgen hat trinken sehen.
Die Frau kam kurz nach neun Uhr abends an und wartete eine Viertelstunde, während der sie an einem Drink nippte, den sie bar bezahlt und mit Lederhandschuhen getrunken hatte. Was Jessie an meisten auffiel, war, wie ruhig sie wirkte. Sie hatte nichts von jemandem an sich, der in weniger als zwei Stunden einen Mann töten würde.
Schließlich kam auch ihr „Date“ an. Er kam geradewegs auf sie zu, als würden sie sich kennen, aber seltsamerweise begrüßte er sie, als träfen sie sich das erste Mal. Er bestellte sich selbst einen Drink und setzte sich neben sie. Sie unterhielten sich eine halbe Stunde, während der er zwei weitere Drinks orderte, sie aber weiterhin an ihrem ersten schlürfte.
Gegen 21:50 Uhr bezahlte er die Rechnung und stand auf. Die Kameras folgten ihm erst zu den Toiletten, dann zur Rezeption. Die Frau blieb noch etwas länger an der Bar sitzen, bis sie ihren Drink ausgetrunken hatte, verschwand dann von der Bildfläche und blieb außer Sicht, bis man sie dann aus den Aufzügen steigen und auf sein Zimmer gehen sah.
„Was meinst du?“, fragte Ryan und unterbrach damit ihre stille Meditation.
„Ich glaube, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der genossen hat, was er tat. Und das weckt in mir die Sorge, dass sie es womöglich wieder tun wird.“
„Angebrachter Gedanke“, stimmte er zu. „Kann ich dir verraten, um was ich mir Sorgen mache?“
„Bitte“, sagte Jessie.
„Ich mache mir Sorgen, dass die Frau dieses Kerls durchdrehen wird, wenn wir ihr sagen, was passiert ist.“
Ryan bezog sich damit auf die unumgängliche Unannehmlichkeit, der sie gleich gegenüberstanden. Nachdem die beiden das Sicherheitsbüro verlassen hatten, hatte er ihr gesagt, wer der Tote war: Gordon Maines.
Als Ryan seinen Verdacht den Gerichtsmedizinern mitgeteilt hatte, hatte man ihm diesen bestätigt. Das Opfer war tatsächlich Gordon Maines, ein Ratsangehöriger, der das vierte Distrikt Los Angeles’ vertrat, einen Bereich, der auch Hancock Park und Los Feliz beinhaltete.
Der schwungvolle Gang des Mannes hat Ryan endlich darauf gebracht, wer er war. Es war die gleiche Art, die er auch an den Tag legte, als er vor Jahren einmal auf die Station kam, um Captain Decker anzufahren, weil er ihm nicht genug Beamte für die Nachbarschaftsparade zur Verfügung stellen wollte.
„,Idiot’ ist das netteste Wort, das mir einfällt, um diesen Typen zu beschreiben“, hatte Ryan gesagt.
Jessie hoffte, dass er diplomatischere Worte fand, wenn sie an Maines Heim in Hancock Park anlangten, um seiner Frau Margo die schlechten Neuigkeiten zu überliefern. Während er sie durch den spätmorgendlichen Verkehr navigierte, kehrten Jessies Gedanken trotz aller Anstrengungen wieder zu Hannah zurück.
Sie fragte sich, ob Garland Moses bereits Erfolge darin verzeichnen hatte, herauszufinden, wie die Ermittlungen liefen. Hatte das FBI schon Hinweise, wo sich Bolton Crutchfield aufhielt? War Hannah in Sicherheit? Sie war versucht, ihm zu schreiben und nachzufragen, und zog tatsächlich schon ihr Telefon hervor, doch erinnerte sich dann schnell, dass das eine schreckliche Idee war.
Zum einen waren seit ihrem Treffen erst ein paar Stunden vergangen. Garland Moses war vielleicht der angesehenste Profiler des Landes, aber er war kein Superheld. Außerdem, wenn er Informationen hätte, würde er sie das sicher wissen lassen. Funkstille bedeutete wahrscheinlich, dass es nichts mitzuteilen gab.
Zum anderen hatten sie vereinbart, nur verbal zu kommunizieren. Obwohl Captain Decker ihr noch nicht formal verboten hatte, sich in den Fall einzumischen, war es nur eine Frage der Zeit. Jeder Hinweis, dass sie versucht hatte, diese Richtlinie zu umgehen, setzte ihre Karriere aufs Spiel und würde, wie Garland es ausgedrückt hatte, ihrem ‚Herzensfall’ schaden.
Dennoch nagte es an ihr. Hier war sie nun, und ermittelte den Tod eines Mannes, der ganz klar Leichen im Keller hatte. In der Zwischenzeit wurde ein unschuldiges, junges Mädchen von einem Serienkiller gefangen gehalten, aus dem einzigen Grund, weil sie sich die DNA mit einem anderen Serienkiller teilte.
Frustration stieg in ihrer Brust auf und sie kam nicht umhin, es herunterschlucken zu müssen.
Hoffentlich findet Garland Moses bald etwas. Denn ich weiß nicht, wie lange ich das noch unterdrücken kann, bis es überkocht.
*
