Quartett des Todes - Adelheid Jeensch - E-Book

Quartett des Todes E-Book

Adelheid Jeensch

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Beschreibung

Ein mehr als dreißig Jahre zurückliegender Entführungsfall und das Verschwinden einer jungen Frau am gleichen Tag sind bis heute ungeklärt. Maklerin Maja Kramblitz erhält den Auftrag den Kolbhof in der Nähe der Ronneburg zu verkaufen. Das Inserat ruft Privatdetektiv Günter Schabler aus München auf den Plan. Er hatte seine ersten zehn Lebensjahre in der Gegend verbracht, bis zu dem Tag, als seine Schwester ins Visier der Soko geriet. Man hatte sie verdächtigt, an der Entführung beteiligt gewesen zu sein. Als Interessent getarnt recherchiert er im Auftrag der Mutter des damals entführten Babys und in eigener Sache. Hatte das Verschwinden seiner Schwester mit der Entführung zu tun? Im Kolbhof findet er eine erste heiße Spur, die ihn in die Vergangenheit von vier Studenten in Frankfurt führt. Akribisch folgt er ihren Spuren. Er weiht Maja Kramblitz in seine wahren Absichten ein und findet heraus, dass ihre Eltern in den alten Fall verwickelt sind. Als ihr Vater und dessen Pfleger ermordet werden, bahnt sich eine Katastrophe an.

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MOBI

Seitenzahl: 427

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Ähnliche


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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 101

Kapitel 102

Kapitel 103

Kapitel 104

Kapitel 105

Kapitel 106

Kapitel 107

Kapitel 108

Kapitel 109

Kapitel 110

Kapitel 111

Kapitel 112

Kapitel 113

Kapitel 114

Kapitel 115

Kapitel 116

Kapitel 117

Kapitel 118

Kapitel 119

Kapitel 120

Kapitel 121

Kapitel 122

Kapitel 123

Kapitel 124

Kapitel 125

Kapitel 126

Kapitel 127

Kapitel 128

Kapitel 129

Kapitel 130

Kapitel 131

Kapitel 132

Kapitel 133

Kapitel 134

Epilog

Prolog

Sie fühlt ein Kribbeln am ganzen Körper. Benommen versucht sie die Augen zu öffnen, aber etwas drückt auf ihre Lider. Sie spürt eine Augenbinde und versucht sie mit den Händen wegzuschieben, was ihr nicht gelingt. Es dauert nur ein paar Sekunden bis sie erkennt, dass sie wie ein Paket verschnürt auf einer Pritsche liegt.

Der Schrei in ihrer Kehle erstickt im Knebel, der den Mund verschließt und nur ein unartikuliertes Gurgeln zulässt. Feuchte, kalte Luft legt sich wie ein Tuch über sie und hält sie wach, wo sie doch am liebsten wieder zurück in die Dunkelheit sinken möchte, aber das kann sie nicht. Kleine Erinnerungsfetzen bahnen sich den Weg in das Bewusstsein, wirr und unvollständig springen sie hin und her.

Was ist passiert? Bilder, wie in einem Kaleidoskop, ziehen an ihrem inneren Auge vorbei und verursachen ihr Kopfschmerzen.

Der Kolbhof! Ich muss auf dem Kolbhof sein! Noch wehrt sie sich, den Fragmenten Raum zu geben, die gnadenlos zu ihr vordringen wollen. Es ist die Angst, die sie lähmt. Sie muss sich überwinden. Ein einziger Gedanke frisst sich langsam durch ihr Gehirn und verdrängt die Angst und die Gefahr, in der sie sich unweigerlich befindet.

Judith, wo bist du? Sie hatte sie gesucht, überall, dann kam der Anruf.

Komm zum Kolbhof, sofort! Wir haben Judith und wenn du jetzt einen Fehler machst, töten wir sie, erinnert sie sich.

Wie ein Mosaik fügen sich Erinnerungsfetzen zusammen und ergeben ein Bild, vor dem es ihr graust.

Wie eine Welle übermannt sie die Panik. Judith ist nach der Schule nicht nach Hause gekommen. Von ihrer Freundin hatte sie erfahren, dass sie gar nicht dort gewesen ist. Aber wo ist sie?

Ich muss hier weg, denkt sie und zerrt verzweifelt an den Fesseln. Erschöpft lässt sie es sein. Eine alles verschlingende Einsamkeit umfängt sie wie eine tiefschwarze Wolke, aus der es kein Entrinnen gibt. In ihrer Kehle brennt die Gallensäure wie Feuer und sie hat Angst sich übergeben zu müssen, weil sie dann unweigerlich ersticken würde.

Endlich kommen die Tränen, die sich einem Sturzbach gleich den Weg in ihre Ohrmuscheln suchen. Tief in ihrem Inneren wünscht sie sich aufgeben zu dürfen. Die Verantwortung abzugeben an eine höhere Macht.

Diesem Gefühl nachzugeben widersetzt sich jedoch die Instanz, die sich Mutter nennt.

Plötzlich hört sie Stimmen, die langsam näher kommen.

Ich bin nicht mehr allein. Sie haben mich gefunden, denkt sie, und ein vertrautes Gesicht schwebt vor ihrem inneren Auge vorbei.

„Ich glaube, sie ist aufgewacht“, hört sie eine Männerstimme flüstern.

„Dann kriegt sie eben noch eine Dosis, danach sehen wir weiter,“ zischt eine harte Frauenstimme. Sie spürt, wie jemand den Knebel aus ihrem Mund zieht und eine bittere Flüssigkeit hinein träufelt. Sie schluckt automatisch. Sekunden später hat sie das Gefühl sich aufzulösen. Wie damals als man ihr den Blinddarm entfernte.

Fallen. Loslassen. Sterben.

1

3. September 2014

Die Sonne zauberte Lichtreflexe an die Schlafzimmerwand und tauchte den Raum in goldenes Licht. Die Blätter des alten Ahornbaumes warfen unruhige, zum Teil bizarre Schatten an die Wände. Maja schloss die Augen. Die zeitlose Stimmung galt es auszukosten bis zur letzten Sekunde. Ihre Gedanken wanderten träge zum gestrigen Abend. Sie liebte es mit Cora auszugehen, aber der Schlafmangel, der darauf folgte, konnte sie immer schwerer kompensieren. Ein Kneipenbummel in Büdingen mit Ginger Ale und Apfelwein könnte sie ja noch verkraften, wenn morgens der Wecker schweigen würde.

Sie drehte sich auf die Seite und dachte mit einem Lächeln an die gestrige Diskussion über das Anti-Raucher-Gesetz, die eine Handvoll Männer am Tresen des Irish Pup führten, als sie und Cora das Lokal betraten. Maja Kramblitz hatte vor zwei Wochen das Rauchen aufgegeben. Einfach so, von heute auf morgen. Cora war tief beeindruckt von der Willenskraft ihrer Freundin. Sie selbst würde erst aufhören zu rauchen, wenn der nächste Papst eine Päpstin würde, gab sie bei jeder Gelegenheit zum Besten. Natürlich hatte Maja ihrer Freundin nichts von den Schweißausbrüchen und den schrecklichen Hustenanfällen erzählt während sie das Rauchen aufgab.

Es bildeten sich bald zwei Lager. Als die Diskussion so richtig am Kochen war, wurde eine Raucherpause eingelegt und danach das Thema ad acta gelegt.

Erst nach Mitternacht verabschiedeten sie sich vom Rest der Nachtschwärmer und Maja begleitete die Freundin bis zu deren Wohnung in der Schlossgasse. Ihren Focus parkte sie, wie immer, rechtswidrig in der Kirchgasse. Sie schielte zur Windschutzscheibe und stieg erleichtert ein. Kein Strafzettel. Auf dem Weg nach Erlensee begegneten ihr nur zwei Fahrzeuge. Maja wollte sich lieber nicht vorstellen, was sie tun würde, wenn sie jetzt eine Autopanne hätte.

Ein Blick auf ihre neue Zen-Uhr auf dem Nachttisch beendete jäh ihren Rückblick. Erschrocken sprang sie aus dem Bett. „Nicht schon wieder!“ Im selben Augenblick rief sie nach ihrer Tochter.

„Judith! Wir haben verschlafen, mach schnell, zieh dich an! Ich fahr dich zur Schule.“ Zwei Stufen auf einmal nehmend erreichte sie keuchend den Flur im Obergeschoß. Die Tür des Kinderzimmers stand halb offen und sie trat ein. Das Bett war zerwühlt, der Schlafanzug und einige Hefte lagen verstreut auf dem Boden und ließen vermuten, dass Judith sehr überstürzt das Zimmer verlassen hatte. Normalerweise kommt sie doch immer zu mir und weckt mich, wenn sie früher aufwacht, dachte Maja besorgt.

Im Haus war es unnatürlich still. Alarmiert stieg Maja die alte Holztreppe hinunter, die jeden ihrer Schritte mit einem Sound begleitete, den sie sonst gern hörte, heute aber nur die Stille vertiefte. Sie sah in der Küche nach, aber auch dort war sie nicht. Judith hatte das Haus schon verlassen.

Da entdeckte sie die benutzte Müslischale und seufzte: „Gott sei Dank, wenigstens hat sie gefrühstückt.“ Sofort meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Sie stellte die Kaffeemaschine an, schlich im Morgenmantel den gepflasterten Weg hinunter zum Briefkasten und zog die Tageszeitung aus dem Schlitz. Sie ärgerte sich zum hundertsten Mal, dass der Zeitungsbote wieder nicht das dafür vorgesehene Rohr benutzte.

Ein Blick zum Nachbarhaus steigerte nicht gerade ihr Wohlgefühl. Frau Hartmann stand auf dem Balkon und zupfte schon fleißig die verblühten Geranien aus den Blumenkästen. Maja winkte ihr zu. Sie mochte Frau Hartmann, nicht nur, weil sie immer bereit war auf Judy aufzupassen, wenn sie etwas vor hatte. Die alte Frau versicherte ihr jedes Mal, dass es ihr nichts ausmache, wenn es mal spät werden würde. Ob sie nun hier fernsehe oder bei sich zu Hause, sei doch egal. Sie könne sowieso nicht so früh schlafen, wegen ihrer Bandscheiben. Aber gestern war es eindeutig auch für Frau Hartmann zu spät gewesen.

Im Moment hatte Maja weder einen Blick für den reizvoll verwilderten Vorgarten, noch für den mit Kopfsteinpflaster eingefassten Weg, der mit blauen Glockenblumen, rotblühenden Schmuckkörbchen und Lavendelbüschen gesäumt war. Ihnen hatten die Wetterkapriolen des vergangenen Monats nichts anhaben können.

Nachdem in der zweiten Augusthälfte Wirbelstürme mit Gewitter und Starkregen den schwülwarmen Sommer beendet hatten, hofften die Menschen auf einen goldenen Herbst.

Maja betrat die Diele und blieb vor dem Standspiegel stehen, den sie vor ein paar Wochen auf dem Flohmarkt in ihrem Viertel erstanden hatte. Große dunkelgrüne Augen, um die sie immer beneidet wurde, blickten ihr müde entgegen. Sie entfernte den Haargummi und lockerte das leuchtend rote Haar, bis es in weichen Wellen über die schmalen Schultern fiel.

Sie war nicht zufrieden mit ihrem Spiegelbild. Der gestrige Abend hatte unübersehbare Spuren hinterlassen. Durch die Blässe traten die Sommersprossen, von denen Maja zu ihrem Leidwesen eine Menge hatte, deutlicher hervor als sonst. Sie streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus und ging in die Küche.

Männer hatten es mit Maja Kramblitz schwer, aber sie gab nicht ihnen die Schuld.

Sie wusste es selbst nicht genau woran es lag. Vielleicht war die sonderbare Beziehung ihrer Eltern schuld daran oder es lag an den zu hohen Ansprüchen, die sie an eine Partnerschaft stellte.

Auch Judiths Vater hatte bald die Segel gestrichen. Er hatte begonnen sie einzugrenzen und zu bevormunden, was immer wieder zu Streitereien geführt hatte und sie sich immer mehr zurückzog. Die Trennung und der Auszug gestalteten sich problemlos, da das Haus Maja gehörte und er keine eigenen Möbel mitgebracht hatte, als er bei ihr eingezogen war. Dass sie schwanger war, merkte sie erst vier Wochen später. Es hätte auch nichts mehr geändert. Er ging, ohne eine Adresse zu hinterlassen, als sie mit einem Kunden einen Notartermin hatte.

Sie hatte sich auf das Kind gefreut und beschlossen, es alleine großzuziehen. Sie verdiente gut mit ihrem Immobilienbüro und konnte sich sogar eine Mitarbeiterin für die Büroarbeiten leisten.

Britta kommt heute, Gott sei Dank, erst um zehn. Eine Zeitung, eine Tasse Kaffee und ein Toast ist gar nicht so schlecht für einen verkorksten Morgen, dachte sie zufrieden.

Sie hatte noch eine halbe Stunde Zeit, bis ihre Mitarbeiterin das Büro in Beschlag nehmen würde.

Eigentlich kann ich doch recht zufrieden sein, dachte sie. Ich habe ein Kind, das mir das Wichtigste in meinem Leben ist. Eine beste Freundin, eine Handvoll gute Bekannte und eine Arbeit, die mir Spaß macht und von der ich leben kann.

Sie lenkte ihre Gedanken zu ihren Aufgaben, die heute auf sie warteten. Eine Besichtigung des Kolbhofes stand auf dem Programm. Den Besuch bei ihrem Vater im Pflegeheim in Langenselbold würde sie auf morgen verschieben müssen. Vielleicht klappt es dieses Mal Judith mitzunehmen, grübelte sie.

Ein Blick auf ihren Terminplaner ließ sie erschrocken aufspringen. Jetzt hätte sie doch beinahe den Termin mit Günter Schabler verpasst. In einer halben Stunde würde er, wenn er pünktlich wäre, am Kolbhof stehen. Sie konnte es unmöglich in dieser Zeit schaffen.

„Verdammt“, fluchte sie, stellte die Kaffeetasse auf den Tisch, griff nach ihrem Handy, suchte im Verzeichnis nach der Nummer und ließ es fünfmal klingeln, dann legte sie auf. Nach einer verkürzten Toilette, stand sie vor dem Kleiderschrank, zog wahllos eine Jeans und ein weißes T-Shirt, mit irgendeinem Schriftzug auf der Vorderseite heraus, und zog sich an. Der dunkelblaue Baumwollblazer lag noch von gestern im Auto. Schminken war nicht mehr drin. Ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen, lief sie die drei Stufen hinunter zum Büro, raffte die Unterlagen zusammen und spurtete zu ihrem schwarzen Focus.

Sie drückte die Wahlwiederholung. Nach nur drei Freizeichen nahm er das Gespräch an.

„Schabler!“ meldete er sich.

„Guten Morgen Herr Schabler, es tut mir sehr leid, aber ich komme etwa fünfzehn Minuten später, es ist leider etwas dazwischen gekommen“.

Ohne eine Antwort abzuwarten, legte sie auf und warf das Handy auf den Beifahrersitz. Der Motor heulte gequält auf und ihr Wagen schoss aus der Einfahrt. Ein grauer Kleinwagen konnte gerade noch ausweichen.

Froh, die Schimpftirade nicht hören zu müssen, fuhr sie aus Erlensee hinaus, Richtung Langenselbold. Nach zehn Minuten konnte sie von weitem die Ronneburg erkennen, die von wabernden Nebelschwaden umgeben war und die sie in der Kindheit oft mit ihrer Freundin und der Großmutter besucht hatte.

Drei Kilometer vor Hüttengesäß bog sie von der Landstraße rechts in einen Feldweg ein, der sie durch ein kleines Wäldchen direkt vor die Einfahrt des Hofes führte. Sie parkte in der angesagten Zeit hinter einem Mercedes, den sie Günter Schabler zuordnete. Maja blieb für einen kurzen Augenblick im Wagen sitzen, dann konzentrierte sie sich auf ihren Kunden.

Ich brauche diesen Abschluss, sonst wird es in den nächsten Monaten eng, dachte Maja. Sie hatte dieses Objekt schon über vier Wochen, aber bis jetzt haben alle Interessenten abgewunken. Zu viele Investitionen hieß es meistens.

Jörg Kolb, der Besitzer des Kolbhofes, war vor einem halben Jahr nach einem Herzinfarkt verstorben. Die wenigen Informationen über ihn hatte sein Neffe und Erbe per Luftpost aus Brisbane übermittelt. Viel war es nicht, es würde reichen, hoffte sie. Marcus Kolb schien sein Erbe nicht besonders zu interessieren. Er gab ihr die Vollmacht alles zu regeln. Er beabsichtigte nicht, die weite Reise von Australien nach Hessen auf sich zu nehmen, nur um eine Unterschrift unter den Kaufvertrag zu setzen. Er und sein Onkel hatten zu dessen Lebzeiten keinen Kontakt gepflegt.

So was soll es geben, dachte sie und stieg aus dem Wagen aus.

2

„Judy Kramblitz! Hast du dir das wirklich überlegt! Hast du wenigstens mit deiner Mutter gesprochen? Sie muss schließlich einverstanden sein!“, sagte Claudia übertrieben erwachsen. Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah Judith ernst an. Claudia Rüppel war Judiths beste Freundin, aber manchmal ging sie ihr tierisch auf die Nerven. „Was muss der Mann nur von mir denken“, dachte Judith. Dieser stand, sich nervös umschauend, neben dem Wagen und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf das Dach.

„Ist er nicht süß? Schau mal was für große Augen er hat“, wandte sich Judith wieder an ihre Freundin. Der Mann tat so, als wollte er den Kofferraum zumachen, aber Judith legte ihre Hand an seinen Arm.

„Ich nehm ihn!“

„Hast du das Geld?“ fragte er barsch. „Nun macht schon, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!“

Zögernd holte Judith die Geldbörse aus ihrer Schultasche und nestelte das Ersparte des ganzen Jahres hervor. Unwirsch griff der Mann nach dem Geld, das Judith nur ungern herausgab. Sie war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sie es wirklich tun sollte.

3

Britta Baltus betrat das Büro und sah den unaufgeräumten Schreibtisch ihrer Chefin. Na, das muss ja heute wieder sehr knapp gewesen sein. Hoffentlich hat der Termin mit dem Interessenten für den Kolbhof noch geklappt.

„Ich würde mir so ein Objekt nicht antun,“ seufzte sie. Die kleine Eigentumswohnung in Langenselbold reichte ihr vollkommen. Das Telefon klingelte.

„Immobilienbüro Kramblitz! Was kann ich für sie tun?“, meldete sie sich routiniert.

„Ich interessiere mich für den Kolbhof aus ihrem Inserat. Mein Name ist Leonie Lessig. Ich hoffe, das Objekt ist noch zu haben, wenn ja, würde ich es gerne besichtigen“, sagte die Frau hektisch. Die fordernde Art, wie sie ihr Anliegen vorbrachte, gefiel Britta Baltus nicht. Aber sie musste auch mit solchen Kunden umgehen können.

Sie nahm das Exposé zur Hand und wollte beschreiben, was ihre Chefin zusammengestellt hatte, als Leonie Lessig sie unterbrach.

„Ich hätte gern einen Besichtigungstermin, möglichst in den nächsten Tagen“, sagte sie ungeduldig.

Britta fand das Verhalten der Frau unmöglich, dementsprechend kurz fiel ihre Antwort aus.

„Die nächste Besichtigung kann ich ihnen erst in acht Tagen anbieten.“

Lessig murmelte ein unfreundliches „Danke“, und legte auf.

Hoffentlich klappt es mit diesem Schabler, damit ich einen Grund habe, den Termin mit dieser Frau abzusagen, dachte Britta Baltus. Sie machte sich eine entsprechende Notiz und setzte erst einmal die Kaffeemaschine in Gang.

4

Maja sah sich suchend auf dem Hof um. Sie war schon mit mehreren Interessenten hier gewesen und konnte sich immer noch nicht für das Objekt erwärmen. Es wirkte ziemlich heruntergekommen und düster.

Das alte Fachwerkhaus war links und rechts vor mehr als einhundert Jahren erweitert worden, so dass es allein durch seine Größe auffiel. Aber es wurde wahrscheinlich danach nie renoviert und hatte die besten Jahre hinter sich.

Dabei hatte sie eine Vorliebe für alte Gebäude, konnte sich aber beim besten Willen nicht vorstellen, wie man dieses Haus verschönern könnte. Aber das ist nicht mein Problem, dachte sie und blickte sich suchend nach Günter Schabler um. Die Unterlagen fest an den Körper gedrückt, stemmte sie sich gegen den aufkommenden Sturm.

Im selben Augenblick sah sie ihn aus einem Nebengebäude herauskommen. Mit Spinnweben in den Haaren kam er, seinen Anzug abklopfend, auf sie zu. Mit einem gewinnenden Lächeln gab er ihr die Hand.

„Günter Schabler, wir haben telefoniert. Entschuldigen sie bitte mein Eindringen, aber ich dachte, die Zeit könnte ich nutzen, um mir einen ersten Eindruck von dem Anwesen zu verschaffen. Es sieht ja sehr vielversprechend aus!“, sagte er, und beschrieb mit der Hand einen großen Bogen. Maja wusste nicht, ob er es ernst oder ob es eher ironisch gemeint war. Sie entschied sich für Letzteres.

„Fast zweihunderttausend sind kein Pappenstil, wenn man bedenkt, was noch investiert werden muss. Aber ich würde mir gern noch das Haus und das dazu gehörende Areal ansehen,“ meinte er und schaute Maja Kamblitz genauer an. Sie fühlte sich unter seinem Blick nicht besonders wohl, da sie wusste, wie kurz ihre Morgentoilette ausgefallen war. Sein amüsiertes Lächeln in den Mundwinkeln ließ Maja vermuten, dass er Gedanken lesen konnte. Sie drehte sich rasch um und ging auf das Haus zu. Sie spürte seine Blicke wie Nadelstiche auf ihrem Rücken, als sie die Sandsteintreppen hinaufstieg und vor der schweren Eichentür stehen blieb. Sie wühlte in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel und spürte, dass er sie beobachtete. Aufatmend fühlte sie das kalte Metall und schloss die Tür auf.

„Na! Wollen sie nicht hereinkommen?“, fragte sie, da er sie immer noch ungeniert taxierte.

„Aber natürlich! Ich kann meine Neugier kaum noch zurückhalten“, sagte er und folgte ihr in die dunkle Diele.

Es roch muffig. „Ich hätte vorher lüften sollen“, meinte sie schuldbewusst.

„Bitte schauen sie sich in aller Ruhe um. Die Zimmer sind noch nicht geräumt. Es ist alles noch so, wie zu Lebzeiten des Besitzers. Es ist eine Sache der Vereinbarung, ob der Käufer das Anwesen räumen lässt oder ich eine Firma damit beauftrage. Ich werde draußen warten“, sagte sie und schlüpfte durch die Tür ins Freie.

Puh! Was ist denn los mit dir, schimpfte sie in Gedanken und stellte fest, dass dieser Mann, mit dem altmodischen Vornamen, sie beeindruckt hatte. Er sah gut aus. Seine braunen Augen wirkten irgendwie melancholisch aber auch wachsam und klug. Sie wurden durch einen Kranz kleiner Fältchen aufgeheitert, was ihn noch eine Spur attraktiver erscheinen ließ.

Unvermittelt musste sie an den Film „Der Pferdeflüsterer“ denken, in dem Robert Redford die Hauptrolle spielte. Ja, er sieht ihm wirklich ähnlich, dachte sie schmunzelnd.

Wie alt er wohl sein mochte?, fragte sie sich. Es gibt Männer, die wirken immer erotisch, egal welches Alter sie haben. Maja setzte sich auf die halbverrottete Bank unter dem verkümmerten Apfelbaum und schloss die Augen.

5

Judith stand auf dem Parkplatz vor der Schule und hielt den kleinen Hund fest an sich gedrückt. Der Mann mit dem Rest der armseligen Geschöpfe im Kofferraum war fort. Claudia wurde unruhig und drängelte.„Und was nun? Wir können den Hund doch nicht mit in den Klassenraum nehmen! Wo willst du ihn denn lassen?“

Judith überlegte kurz, tat so, als hätte sie die Situation im Griff und sagte bestimmt: „Ich bringe den Hund jetzt erst mal nach Hause und du wirst mich bitte bei Frau Kreippe entschuldigen. Sag ihr einfach, mir wäre schlecht geworden.“

Sie machte auf dem Absatz kehrt und stakste davon. Claudia schaute ihr verdutzt nach.

„Nun soll ich auch noch wegen dir lügen“, rief sie ihr hinterher, aber Judith drehte sich nicht mehr um und verschwand hinter der nächsten Hausecke. Das Mädchen konnte nicht verhindern, dass Neid ihre Stimme färbte. Eigentlich hätte sie auch gern einen Hund genommen. Bernd, ihr Bruder, hätte ihr das Geld geliehen, aber sie wusste, dass ihre Mutter dagegen gewesen wäre. Die Wohnung war zu klein und ihre Eltern gingen beide arbeiten. Einen Hund dürfe man nicht so lange allein in der Wohnung lassen, war die Meinung ihrer Mutter und daran würde sich nichts ändern. Bekümmert machte sich Claudia auf den Weg und legte sich die passende Entschuldigung für Judiths Fernbleiben zurecht. Schließlich waren sie Freundinnen und da war eine kleine Lüge ja nicht so schlimm, entschied sie einfach.

*

Britta Baltus lackierte sich gerade die Nägel, als die Haustür aufgeschlossen wurde. Vor Schreck ließ sie den Pinsel fallen. Im selben Augenblick hörte sie ein Winseln und Judith kam kleinlaut ins Büro.

„Ist Mama schon da?“, fragte sie mit leiser Stimme.

„Nein, sie hat noch einen Außentermin, müsste aber bald wieder hier sein.“ Britta schaute auf das Fellbündel in Judiths Arm.

„Oh! Da wird sich deine Mutter aber freuen. Du hast das natürlich mit ihr abgesprochen, stimmts?“, fragte Britta und sah zweifelnd auf den Hund.

„Ich will sie überraschen“, antwortete Judith unsicher. Britta Baltus runzelte die Stirn und murmelte: „Wenn das mal gut geht. Ich glaube, ich mache heute früher Feierabend.“

6

Maja suchte in ihrer Handtasche nach Zigaretten und wurde sich schmerzhaft bewusst, dass sie vor einem Monat das Rauchen aufgegeben hatte. Sie schlang die Arme um sich und lief unruhig vor dem Haus hin und her.

Hoffentlich dauert es nicht so lange, Judy müsste bald aus der Schule kommen, dachte sie und sah auf ihre Armbanduhr.

Nur gut, dass Britta im Büro ist. So ist wenigstens immer jemand zu Hause.

Sie wurde mitten aus ihren Gedanken herausgerissen, als Günter Schabler aus der Haustür trat und auf sie zuging.

„Das Haus muss von Grund auf renoviert werden, aber man kann schon etwas daraus machen. Wissen sie, ob irgendwann an dem Gebäude etwas verändert wurde?“, fragte er. Maja schüttelte den Kopf und versprach, sich danach zu erkundigen. Sie wunderte sich, warum das so wichtig sein sollte.

„Das Gebäude rechts von hier, habe ich schon gesehen. Es ist noch ganz gut in Schuss. Kann ich noch einen Blick auf das Gebäude hinter dem Haus werfen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Schabler ihr voraus auf das Gebäude zu. Maja hetzte ihm hinterher. Auch dieses Gebäude nahm er gründlich unter die Lupe. Maja streikte, als er sie aufforderte mit ihm das restliche Grundstück abzugehen.

„Ich warte im Auto auf sie“, sagte sie und bedauerte, dass sie nicht das richtige Schuhwerk dabei hatte. Mit ihm über die Wiesen zu schlendern, stellte sie sich sehr verlockend vor. Er sah auf ihre Füße und nickte verständnisvoll. „Dann werde ich wohl alleine losziehen müssen. Ich hoffe, sie langweilen sich nicht“, sagte er und stapfte davon.

Nach einer halben Stunde näherte er sich ihrem Auto und beobachtete sie eine Weile. Die Rückenlehne nach hinten gekippt, lag sie entspannt mit geschlossenen Augen auf dem Fahrersitz. Ihre roten Haare faszinierten ihn, je länger er sie betrachtete. Langsam näherte er sich dem Focus und klopfte leise auf das Dach. Maja fuhr erschrocken in die Höhe, richtete die Rückenlehne auf und stieg aus.

Günter Schabler schien sehr interessiert zu sein. Maja schlug ihm vor, sich in zwei Tagen in ihrem Büro zu treffen. Dort könne er sich die Pläne ansehen. Ganz nebenbei erwähnte er, dass noch jemand mit entscheiden müsse.

Schade, dachte sie. Es war immer einfacher nur mit einer Person zu tun haben. Das machte die Sache natürlich komplizierter.

„So ein Projekt lässt sich besser auf zwei Schultern realisieren.“

„Natürlich muss ihre Frau das Anwesen kennenlernen, bevor sie sich entscheiden, das ist doch selbstverständlich.“

Günter Schabler lachte. „Es ist zwar „eine“ Frau, aber nicht „meine“ Frau, die sich finanziell an dem Projekt beteiligen würde.“

Maja wunderte sich, dass sie sich darüber freute.

Sie verabschiedeten sich, dabei hielt er ihre Hand länger als nötig in der seinen. Maja spürte ein leichtes Kribbeln im Bauch und ärgerte sich, dass sie rot wurde, wie ein Teenager.

7

Beschwingt öffnete Maja die Haustür und horchte in die Diele. In diesem Moment stürmte ihre Mitarbeiterin an ihr vorbei.

„Es liegt alles auf dem Schreibtisch! Dann bis Morgen!“

Sie sah, wie Britta Baltus durch die Tür entschwand und hatte keine Zeit mehr, sich über deren seltsames Gebaren zu wundern, weil in diesem Augenblick etwas um ihre Füße herum wuselte. Sie starrte auf das braune Fellbündel, das hysterisch bellte, und rief nach ihrer Tochter.

Eine halbe Stunde später saß Judith am Küchentisch und weinte herzerweichend. Maja forderte sie auf, den Hund wieder zurückzubringen. Kleinlaut erzählte Judith von dem Mann mit dem Kofferraum voller kleiner Hunde und das er doch nur heute Morgen auf dem Parkplatz des Supermarktes stand. Maja war erschüttert.

Diese Szene lief gerade vor ihrem inneren Auge ab. Ihr Kind mit einem fremden Mann an seinem Auto mit einem Welpen als Lockmittel.

Sie ließ sich alles genau erzählen. Ein alter blauer Kombi hatte wohl einen Tag vorher die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich gezogen. Aber eine Beschreibung des Mannes scheiterte daran, dass das Kind nur Augen für die Hündchen hatte. Ich muss unbedingt mit Claudia sprechen, vielleicht kann sie mir mehr sagen, dachte Maja.

„Ich habe dir oft genug gesagt, dass du mit fremden Menschen nicht sprechen sollst!“, sagte Maja streng. Die ganze Litanei an Regeln, die Judith zur Genüge kannte, prasselten auf sie nieder. Demütig ließ sie es über sich ergehen, bis Maja endlich erschöpft innehielt. „Wie soll ich dich beschützen, wenn du dich nicht an die Regeln hältst.“ Schmerzhaft wurde ihr bewusst, dass es ihr auch in Zukunft nicht gelingen würde, Judith vor allen Gefahren zu bewahren. Unter einer Käseglocke sollte sie auch nicht aufwachsen.

*

Das Telefon läutete und lenkte Maja einen Moment von ihren Gedanken ab.

„Kramblitz“, meldete sie sich mit einer Stimme, die fast nur ein Flüstern war.

„Hallo, Süße! Ich wollte mich nach deinem werten Befinden erkundigen. Der Abend gestern war richtig toll!“, flötete die weibliche Stimme am Ende des Telefons.

„Hallo Cora, ich bin im Moment nicht in Stimmung“, antwortete sie und schaute in die Richtung, in der ihre Tochter noch vor ein paar Sekunden auf dem Stuhl gesessen hatte. Judith war wohl mit dem Welpen in ihr Zimmer gegangen.

Cora Ulma ist die beste Freundin Majas und die Patentante von Judith. Sie kennen sich schon seit der Schulzeit in Hamburg. Sie haben Geheimnisse geteilt, die erste Zigarette zusammen geraucht und sich in den gleichen Jungen verliebt.

„Was ist denn los bei euch! Bist du verliebt oder hat Judy etwas ausgefressen?“, fragte Cora mit nicht zu verbergender Neugier in der Stimme.

Mit wenigen Worten erklärte Maja die augenblickliche Situation.

„Dass Judy sich einen Hund wünscht, kann ich gut verstehen. Jedes Kind wünscht sich irgendwann mal einen Hund oder eine Katze. Aber, dass sie mit dir nicht darüber gesprochen hat, verwundert mich schon etwas, meine Liebe. Und es war mit Sicherheit keine ungefährliche Situation, da stimme ich dir vollkommen zu. Aber, bitte jetzt nur keine übereilten Sanktionen“, versuchte sie ihre Freundin zu beruhigen. „Ich habe heute Abend nichts vor. Wenn du willst, kann ich bei dir vorbeikommen und dann reden wir in aller Ruhe über die Sache.“

Erleichtert stimmte Maja zu.

8

Maja wachte mit Kopfschmerzen auf. Als erste Maßnahme löste sie eine Tablette auf und legte sich wieder hin. Sie bildete sich ein, dass sie schon wirkte, bevor sie richtig im Magen angekommen war. Das Gespräch am Abend mit Cora endete mit einem gewissen Alkoholpegel, aber sie hatten dennoch eine Strategie entwickelt, wie sie in Zukunft mit der Hundesituation umgehen könnten.

Judith den Hund wegzunehmen, hatten sie bald verworfen. Es würde dem Kind das Herz brechen, aber die Bedingungen musste sie ihr klar machen. Judith würde in erster Linie für den Hund verantwortlich sein, Maja die Sache überwachen und Cora sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei der Betreuung beteiligen.

Wie diese Beteiligung Coras dann im Einzelnen aussehen würde, stand noch in den Sternen. Für Maja war es dennoch eine große Erleichterung, mit diesem Problem nicht ganz alleine zu sein.

Vorsichtig verließ sie das Bett und genehmigte sich erst einmal eine heiße Dusche. Danach sah man die Spuren der vergangenen Nacht nicht mehr. Sie zog Jeans und einen weißen Seidenrolli an und bürstete sich das Haar, bis es glänzte. Ein kritischer Blick in den Spiegel ließ sie zufrieden seufzen. Als sie in die Küche kam, war Judith eifrig dabei, den Frühstückstisch zu decken. Währenddessen hatte sich der kleine Hund auf dem Küchenboden verewigt. Schnell nahm das Kind die Küchenrolle, riss das Papier mit einem energischen Ruck ab und wischte das Pfützchen damit auf.

Als Maja dies sah, konnte sie nicht anders, sie beugte sich zu ihr hinunter, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Sie roch den Duft ihrer Tochter und schloss für einen Moment die Augen.

Wie sehr ich sie liebe, dachte sie. Sie nahmen stumm das Frühstück ein. Maja schob ihre Müslischale von sich und sah ihre Tochter ernst an. Judith schlug traurig die Augen nieder und ihre Mutter brachte es nicht übers Herz, sie noch länger zappeln zu lassen.

„Also, Cora und ich haben beschlossen, dass du den Hund behalten darfst, aber …“. Bevor Maja ihre Bedingungen nennen konnte, sprang Judith auf, flog in ihre Arme und küsste sie auf den Mund.

„Danke Mama“, sagte sie, nahm den Hund liebevoll auf den Arm und drückte ihr Gesicht in sein Fell. „Ich werde mich ganz bestimmt immer um ihn kümmern, versprochen!“, meinte Judith treuherzig.

„Wie soll er denn heißen?“, fragte Maja, um ihre Rührung in den Griff zu bekommen.

„Mikki, Balu oder Bonni, welchen Namen sollen wir nehmen?“

„Das überlasse ich dir!“, sagte Maja und war schon auf dem Weg ins Büro.

„Gut! Wenn ich das entscheiden darf, dann sollst du Bonni heißen“, flüsterte sie dem Hund ins Ohr.

Britta Baltus saß schon an ihrem Arbeitsplatz als Maja schwungvoll zur Tür herein kam. „Oh! Du bist schon da! Ich habe dich gar nicht kommen hören.“ Maja ließ sich in ihren Bürostuhl fallen und schaute Britta an. „Du hast es gewusst, stimmts? Deshalb der frühe Feierabend gestern!“

„Nein! Ich habe es erst erfahren, als es schon passiert war, ehrlich!“, sagte Britta und hob wie zum Schwur die Hand.

„Ist auch egal“, meinte Maja und wandte sich den Unterlagen zu, die verstreut auf ihrem Schreibtisch lagen. „Jetzt haben wir einen Aufpasser im Haus, besser als jede Alarmanlage“, sagte Maja lachend und somit war das Thema Hund ad acta gelegt.

Maja berichtete über den gestrigen Besichtigungstermin mit Günter Schabler. Den Blick in die Ferne gerichtet, sagte sie:

„Ich weiß nicht! Der Kolbhof wirkt irgendwie unheimlich auf mich. Gott sei Dank war der Interessent schon da als ich ankam. Übrigens! Ein sehr attraktiver Mann in den besten Jahren und ich glaube, dass er den Hof wirklich kaufen möchte. Am Freitag haben wir einen Termin hier im Büro vereinbart, da wirst du ihn ja kennenlernen.“

„Da bin ich aber gespannt, aber was machen wir mit Leonie Lessig, soll ich ihr absagen? Sie wirkte am Telefon nicht besonders sympathisch, aber darauf kommt es ja nicht an.“

„Wir warten einfach das Ergebnis am Freitag ab und entscheiden dann“, meinte Maja und fügte hinzu: „Vielleicht will er den Preis noch etwas drücken, da ist es doch ganz gut, noch ein Kaninchen im Hut zu haben.“

Damit war alles geklärt und sie konnten sich nun um die anderen Objekte kümmern. Kurze Zeit später kratzte es an der Bürotür.

„Ich glaube, ich mache mal eine kurze Pause“, sagte Maja verschmitzt und verschwand aus dem Büro.

9

Dinan, Bretagne

Elisabeth Kramblitz ließ den Telefonhörer sinken. Ihr Gesicht wirkte grau und eingefallen. Sie war immer noch eine sehr schöne Frau, obwohl sie die besten Jahre schon hinter sich hatte. Die ehemals naturblonden Haare bekamen allmählich einen silbernen Glanz, der ihrer attraktiven Erscheinung in keiner Weise schadete. Sie setzte sich auf den Stuhl und legte langsam den Hörer auf.

Eine Weile saß sie reglos da und starrte ins Leere. Sie fühlte sich ausgeliefert und verletzbar, dabei war sie sich so sicher, dass niemals jemand von ihrer Vergangenheit erfahren würde. Wer war der Anrufer gewesen? Sie hatte die Stimme nicht erkannt. Ihre Gedanken wanderten zurück in die Zeit, an die sie nicht mehr erinnert werden wollte. Wer konnte davon wissen?

10

Maja legte dem Hund das Halsband an, das Judiths letztes Taschengeld verschlungen hatte. Während sie mit ihm aus der Haustür trat, fuhr ein Wagen langsam an ihrer Einfahrt vorbei. Suchend blickte sich der Fahrer, der die Mütze tief in das Gesicht gezogen hatte, um. Maja erkannte das Auto wieder. Es war am Morgen der Besichtigung des Kolbhofes an ihrem Haus vorbei gefahren. Sie hatte es fast gerammt, deshalb erinnerte sie sich noch daran. Der Schreck saß ihr immer noch in den Gliedern.

Bonni musste noch einen Umweg zur Post in Kauf nehmen, bevor er seine neue Umgebung erkunden durfte.

Maja gab ihre Briefe am Schalter ab und lief dabei Frau Hartmann in die Arme. Sie begrüßten sich und gingen gemeinsam zu dem Hund, den sie an der Straßenlaterne angebunden hatte. Ihre Nachbarin beugte sich zu ihm hinunter und streichelte seinen Kopf.

„Ich finde es gut, dass Judith mit einem Tier aufwächst, dann ist sie nicht so viel allein.“

Während sie noch über die Worte Frau Hartmanns nachdachte, fiel ihr eine Person auf, die zu ihnen herüber starrte. Die alte Dame folgte ihrem Blick.

„Ist ihnen auch aufgefallen, dass wir beobachtet werden?“, fragte sie leise.

„Ja, aber wer hätte einen Grund das zu tun?“, antwortete Maja, um ihre Nachbarin zu beruhigen.

„Das weiß ich auch nicht. Aber wahrscheinlich bilden wir uns das nur ein.“ Die alte Frau verabschiedete sich rasch. Sie konnte sich bis jetzt immer auf ihr Bauchgefühl verlassen und das sagte ihr eindeutig, dass hier etwas nicht stimmte.

Maja ging den gleichen Weg wieder zurück, bog aber kurz vor ihrem Haus in eine kleine Seitenstraße ab, die zu einem Feldweg führte. Sie wollte dem Hund noch Gelegenheit geben, sich zu lösen.

„Du wirst sicher bald Freunde finden!“, sprach sie mit dem Hund, der sie schwanzwedelnd ansah. Links und rechts des Weges blühte die Wegwarte mit Klatschmohn und Klee um die Wette.

„Beim nächsten Gassigehen muss ich unbedingt eine Tüte mitnehmen, diesmal muss es leider so gehen“, murmelte sie, als Bonni sein Geschäft auf dem Randstreifen ablegte.

Früher war dies ihre Joggingstrecke gewesen, bis zu dem Tag, als ein Mann sie massiv bedrängte und sie nur mit Mühe heil aus der Situation entkam. Seitdem war sie nicht mehr hier gewesen. Sie schüttelte die unliebsame Erinnerung ab und genoss den Augenblick.

Das Herbstlaub würde in ein paar Wochen die Landschaft in herrliche Farben tauchen. Maja freute sich schon jetzt auf die bevorstehenden Spaziergänge mit Judith und Bonni. „Da muss erst so ein Wesen wie du kommen, um mir zu zeigen, in welch schöner Gegend wir leben“, murmelte sie und tätschelte den Rücken des Hundes.

Als sie sich wieder dem Ortsrand näherte und in ihre Straße einbog, fiel ihr der graue Fiesta auf, der an der Seite parkte. Neugierig näherte sie sich dem Fahrzeug. Die getönten Scheiben verhinderten die Sicht in das Innere des Wagens. Sie hatte ihn mindestens schon zweimal in der Nähe ihres Hauses gesehen.

Nachdenklich betrat sie ihr Grundstück und setzte sich auf die Sandsteintreppe, um die Laufschuhe auszuziehen. Den Hund hatte sie am Treppengeländer festgebunden, was keine gute Idee war, wie sie feststellten musste. Freudig widmete er sich ihren Schnürsenkeln, bis sie ihn kurzerhand ins Haus verfrachtete. Dann setzte sie sich wieder auf die Treppe, um sich ihrer Schuhe zu entledigen.

In diesem Moment fuhr das Auto an ihrem Haus vorbei. Die Baseballkappe verdeckte auch diesmal das Gesicht des Fahrers. Jetzt wusste sie wenigstens, zu wem das Auto gehörte. Sie war sich sicher, dass es dieselbe Person war, die ihr am Postamt unliebsam aufgefallen war.

11

Er ging aufgeregt im Zimmer auf und ab. Er war einen großen Schritt weiter gekommen. Am Mittwoch würde es darauf ankommen. Er spürte, dass sich die Kramblitz für die spätere Verwertung des Anwesens interessierte. Er musste sich bis dahin eine plausible Antwort ausdenken. Wenn er an Maja Kramblitz dachte, konnte er ein Schmunzeln nicht verhindern. Ihre roten Haare sind wirklich außergewöhnlich und der Rest kann sich auch sehen lassen. Sie wirkt kompetent und gleichzeitig in gewisser Weise chaotisch, dachte er, während er nach dem Telefon griff.

„Nimm dich in acht!“, sagte Schabler laut und wusste in dem Moment nicht genau, wen er meinte, Maja oder sich selbst. Ein harter Zug grub sich um seinen Mund, als er die Nummer in München wählte. Sie wartete sicher schon voller Ungeduld auf seine Nachricht.

12

Maja weckte ihre Tochter und bereitete dann das Frühstück vor. Bonni stand an der Terrassentür und blickte sehnsüchtig hinaus. Judith kam im Schlafanzug in die Küche, öffnete die Tür und ließ ihn hinaus. Er nahm den ersten Baum, den er erreichen konnte und erleichterte sich mit einem kräftigen Strahl. Dann hob er lauschend den Kopf und rannte wie ein Pfeil um das Haus herum zur Einfahrt. Maja ließ den Brotkorb fallen und rannte los, denn ihr fiel ein, dass das Tor noch offen stand. Sie riss die Haustür auf und sah gerade noch das Auto vorbei rasen und Bonni hinterher. Ihn zu rufen war zwecklos.

„Wie konnte ich nur vergessen das Tor zu schließen“, schimpfte Maja mit sich selbst. Einen Augenblick später kam Bonni um die Ecke und stand schwanzwedelnd vor ihnen. Maja übergab Judith den Hund und war heilfroh, dass nichts Schlimmes passiert war. Nachdenklich ging sie ins Haus. „Schon wieder dieses Auto!“, murmelte sie.

Judith füllte ihre Müslischale mit Cornflakes, während sie nach der Milchflasche griff. Maja schmierte gedankenverloren Butter auf das Brötchen, bis Judith zu kichern anfing. „Mama, meinst du nicht es reicht? Oder willst du das wirklich essen?“ Maja schaute voller Abscheu auf das Brötchen in ihrer Hand und kratzte die Butter wieder herunter.

„So eine Aufregung am frühen Morgen, ich hoffe das geht nicht den ganzen Tag so weiter. Jetzt aber Beeilung mein Fräulein, wir sind mal wieder spät dran. Wer geht zuerst ins Bad?“, wandte sie sich an ihre Tochter.

„Claudia holt mich in fünf Minuten ab, lässt du mir den Vortritt?“, fragte Judith altklug und erhob sich von ihrem Platz. Maja sah ihrer Tochter liebevoll nach.

Sie ist so ein fröhliches, unkompliziertes Kind. Womit hab ich sie nur verdient, dachte sie schmunzelnd.

Nach zehn Minuten kam Judith in die Küche, gab ihrer Mutter einen Kuss und beugte sich zu ihrem Hund hinunter. „Sei brav und mach keinen Unsinn, es reicht für heute!“, sagte sie und verließ das Haus.

13

Maja gönnte sich eine heiße Dusche und legte etwas Makeup auf. Die Haare zu föhnen war nahezu unmöglich, denn sie würde aussehen wie ein Wischmopp. So kämmte sie mit einem breiten Kamm ihre Mähne und beschloss, sie einfach trocknen zu lassen. Sie wählte einen engen, dunkelblauen Rock und eine verspielte weiße Bluse aus und zog sich eilig an. Ein Blick in den großen Spiegel in ihrem Schlafzimmer ließ sie zögern.

Ich sollte doch lieber etwas anderes anziehen! Es muss ja nicht so elegant sein, entschied sie und wühlte in ihrem Kleiderschrank nach einem passenderen Outfit. Sie wollte vor Britta nicht den Eindruck erwecken, sich für Schabler herauszuputzen.

Sie hatte gerade hinter ihrem Schreibtisch Platz genommen, als Britta das Büro betrat. Maja fiel vor Überraschung die Kinnlade herunter.

Britta erschien im knallroten, hautengen Kleid, das ihre Figur voll zur Geltung brachte und einem Make-up, als wäre eine Visagistin am Werk gewesen. Sie drehte sich einmal im Kreis.

„Wow“, brachte Maja hervor und schaute skeptisch an sich herunter. Ihre schlichte graue Chinohose und der schwarze, kurzärmelige Seidenrolli sahen zwar sehr edel aus, konnten aber mit Brittas Aufmachung nicht konkurrieren.

„Kompliment! Wenn das nicht verkaufsfördernd ist, fress ich einen Besen“, lachte Maja.

Sie nutzten die noch verbleibende Zeit, um ihre Verhandlungsstrategie abzusprechen. Maja breitete die Pläne auf dem Schreibtisch aus. Britta kochte noch eilig eine Kanne Kaffee und stellte Tassen und Gebäck auf ein Tablett.

„Nun kann er kommen“, sagte Maja zufrieden.

14

Brisbane, Australien

Marcus Kolb saß seiner Mutter Elaine im großen Wohnzimmer ihres Hauses in Brisbane gegenüber.

„So so, nun brichst du alle Brücken zu der Heimat deines Vaters endgültig ab. Eigentlich schade“, sagte sie und schüttelte bedauernd den Kopf. „Hast du das Rechtliche mit der Maklerin geklärt? Es ist wirklich erstaunlich, dass es heute möglich ist, eine Immobilie zu verkaufen, ohne selbst anwesend zu sein“, wandte sich Elaine Kolb an ihren Sohn. Sie nippte an ihrem Tee und sah gedankenverloren durch das Panoramafenster auf das Meer hinaus.

„Obwohl!“ – Sie machte eine kleine Kunstpause, bevor sie weiterfuhr: „Es ist schon seltsam, dass dein Vater nie das Bedürfnis verspürte, seinen Bruder in Deutschland zu besuchen. Wenn ich ihn früher darauf ansprach, wiegelte er immer ab. Ich glaube, es gibt noch nicht einmal ein Foto von Jörg. Jetzt ist es zu spät. Wenn ich mal Zeit und Lust habe mich dem Staub auszusetzen, werde ich mir seine Kartons, die irgendwo auf dem Dachboden herumliegen, mal ansehen.“

Kopfschüttelnd sah Marcus sie an. Er hatte seine Verwandtschaft in Deutschland nie vermisst. Es war für ihn als Schüler immer ein Gräuel gewesen, den Deutschunterricht zu besuchen, während seine Klassenkameraden ihren Freizeitaktivitäten nachgehen konnten. Doch war es später für seine berufliche Laufbahn von Vorteil gewesen, die deutsche Sprache perfekt zu beherrschen. Er studierte Wirtschaftsrecht und hatte bald nach dem Examen seine eigene Kanzlei eröffnet. Marcus Kolb wusste seine Beziehungen zur politischen und wirtschaftlichen Macht zu nutzen, die ihm die gesellschaftliche Stellung mütterlicherseits bot.

Marcus erhob sich aus dem Sessel, stellte seine Tasse auf den Teewagen und schaute seine Mutter abschätzend an. „Tue es, wenn es dich glücklich macht. Aber sei nicht enttäuscht, wenn du gar nichts findest. Vater hat immer die Gegenwart bevorzugt und für die Zukunft gearbeitet. Für ihn war das Vergangene vorbei und vergessen. Er wusste mit Sicherheit noch nicht einmal, ob sein Bruder eine eigene Familie hatte oder nicht“, meinte er lakonisch. Er umarmte sie und verabschiedete sich unter dem Vorwand, seine Immobilienmaklerin in Deutschland kontaktieren zu müssen.

15

Pünktlich zur verabredeten Zeit klingelte es an der Haustür. Maja öffnete selbst die Tür und fand sich einer älteren Frau gegenüber, die nervös an ihrem bunten Seidenschal herumnestelte. Suchend schweifte Majas Blick zu den Parkplätzen, aber sie konnte Günter Schabler nirgends entdecken. Sie nahm an, dass es sich um die Frau handelte, die er bei der Besichtigung erwähnt hatte. Abwartend sah sie ihr in die Augen.

„Mein Name ist Leonie Lessig. Ich habe mit Ihrem Büro telefoniert, weil ich mich für den Kolbhof interessiere, und ich habe in der Nähe zu tun und dachte mir, vielleicht haben sie Zeit und können eine Besichtigung dazwischen schieben? Ich weiß, ich habe erst in drei Tagen einen Termin, aber ich wollte es auf jeden Fall probieren, ob es nicht doch früher klappt“, sprach sie ohne zwischendurch Luft zu holen.

Maja fand das Verhalten der Interessentin ziemlich aufdringlich, wollte sie aber nicht abkanzeln und sagte deshalb freundlich aber bestimmt, dass dies so kurzfristig nicht möglich sei. Sie hätte ja einen Termin und den wolle man auch einhalten.

Enttäuscht wandte sich Leonie Lessig ab und entschuldigte sich für die Störung.

Eine sonderbare Frau, dachte Maja und machte die Tür zu.

Britta Baltus saß, die Beine gekonnt übereinander geschlagen hinter ihrem Schreibtisch, wohl wissend, dass man diese von der Tür aus gut sehen konnte. Sie hatte Günter Schabler erwartet, stattdessen kam ihre Chefin allein ins Büro und sah die Enttäuschung in Brittas Gesicht. Maja konnte sich das Lachen nicht verkneifen und Britta nahm, die Beleidigte mimend, wieder eine bequeme Sitzposition ein.

Sie klärte ihre Mitarbeiterin über den Besuch an der Haustür auf, aber noch während sie sich über die Lessig unterhielten, klingelte es erneut an der Haustür.

Diesmal sprang Britta auf und sagte zu Maja gewandt: „Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich öffne, das wirkt auf jeden Fall professioneller“, und zwängte sich an ihr vorbei. Maja war es nur Recht, so konnte sie sich noch ein paar Sekunden konzentrieren, bevor sie in die Verhandlung ging.

Günter Schabler betrat mit Britta das kleine Büro. Er blieb mitten im Raum stehen und schaute sich interessiert um. Maja genügte ein Blick, um seinen guten Geschmack in puncto Kleidung zu erkennen. Beide fingen gleichzeitig an zu sprechen. Es folgte ein Hin und Her, bis sie lachend aufgaben und sich erst einmal die Hände reichten.

„Sie haben ein wunderschönes Haus, Frau Kramblitz. Sie wollen es nicht zufällig verkaufen?“, meinte er scherzhaft. „Dann würde ich es mir mit dem Kolbhof noch einmal überlegen“.

„Also, gehe ich recht in der Annahme, dass sie ernsthaft interessiert sind an dem Anwesen, wenn ich ihnen mein Haus nicht verkaufe?“, fragte Maja lächelnd und bot ihm den Stuhl gegenüber ihres Schreibtisches an, nachdem sie ihre Mitarbeiterin vorgestellt hatte.

„Ich habe mir einige Punkte notiert, zu denen ich noch gerne Informationen haben möchte“. Er schlug seine Schreibmappe auf und entnahm ihr einen Zettel. Maja versuchte einen Blick darauf zu werfen, ließ es dann aber sein.

„Seit wann ist der letzte Besitzer Eigentümer und wissen sie mehr über die Familie, die dort lebte? So ein Anwesen hat doch auch seine Geschichte. Das wäre ein Punkt und ein anderer wäre: Wurden an irgendwelchen Gebäuden in den letzten vier bis fünf Jahrzehnten Umbaumaßnahmen vorgenommen?“ Bevor Günter Schabler weitersprechen konnte, unterbrach Maja mit einer Handbewegung seinen Redefluss.

„Herr Schabler, es tut mir leid, aber mit Informationen über die Familienchronik kann ich ihnen leider nicht dienen. Da müsste ich Kontakt mit dem Erben in Brisbane aufnehmen. Aber, ob Umbaumaßnahmen vorgenommen wurden oder nicht, müsste doch sicher aus den Plänen ersichtlich sein.“

Sie beugten sich gemeinsam über die Pläne und Günter Schabler atmete den Duft ihrer Haare ein. Es gefiel ihm, dass sie kein aufdringliches Parfüm benutzte. Die plötzliche Nähe machte beide verlegen. Maja räusperte sich und griff nach ihrer Kaffeetasse, um ihre Hände zu beschäftigen, die leicht zitterten.

Schabler studierte angespannt die Pläne. Dabei umfuhr er mit dem Finger den Grundriss jeden Raumes, und auch die Kellerräume schienen von besonderem Interesse zu sein. Maja fand sein Profil viel interessanter und betrachtete es ungeniert. Sie konnte nicht nachempfinden, was an einem Kellergeschoss so interessant sein sollte. Es waren ganz normale Kellerräume. Dann beschäftigte er sich mit den restlichen Gebäuden und der alten halbverfallenen Scheune. Maja wunderte sich, da er die Gebäude doch erst vor kurzem genau inspiziert hatte.

Sie fand es nun an der Zeit nach der Verwertung zu fragen. Natürlich wusste sie, dass es sie eigentlich nichts anging, aber ihre Neugier war geweckt. Als Günter Schabler sich vom Schreibtisch wieder aufrichtete, fragte sie wie nebenbei, was er denn mit dem Anwesen vorhätte.

„Als Landwirt kann ich sie mir wirklich nicht vorstellen, und eine Bebauung ist nur in enger Absprache mit der Stadt und der unteren Naturschutzbehörde möglich.“

„Für mein Vorhaben brauche ich die Gebäude nicht wesentlich zu verändern. Eine einfache Restaurierung genügt mir vollkommen“, sagte er schmunzelnd, wohl wissend, dass er damit ihre Frage nicht beantwortet hatte.

Er schaute auf seine Uhr. „Oh! Frau Kramblitz, es ist später geworden, als ich dachte. Können wir uns nächste Woche noch einmal treffen? Dann werden sie sicher auch die restlichen Informationen aus Brisbane erhalten haben. Wir müssten uns dann nur noch über den Preis unterhalten. Ich denke, da ist sicher noch etwas Spielraum vorhanden.“ Schabler sah sie mit einem gewinnenden Lächeln an.

„Da kann ich ihnen nichts versprechen. Es gibt da noch eine Interessentin, das kann ich nicht allein entscheiden. Aber ich werde mit Herrn Kolb telefonieren“, versprach sie und nahm ihren Terminkalender zur Hand. „Würde es ihnen am nächsten Freitag, um 9 Uhr passen?“

Er schaute kurz auf sein Handy und nickte bestätigend.

Britta tat die ganze Zeit so, als würde sie konzentriert arbeiten, dabei hatte sie das Gespräch der beiden neugierig verfolgt. Schabler verabschiedete sich von ihr, und Maja begleitete ihn zur Tür.

„Wohnen sie schon lange in diesem Haus?“, fragte er und schaute sich ungeniert in der Diele um.

„Ja, schon sechs Jahre. Ich habe es von meiner Großmutter geerbt, und wenn man erbt, muss meistens jemand sterben. Lieber würde ich noch in Hamburg wohnen, wenn Baba dafür noch leben würde“, sagte Maja bekümmert.

Die Trauer in ihrem Gesicht berührte Schabler mehr, als er es zugeben wollte. Schnell gab er ihr die Hand und sagte: „Bis bald, Frau Kramblitz.“

Maja sah ihm nach, wie er in sein Auto stieg und davon fuhr. „Robert Redford“, seufzte sie und musste über sich selbst lachen.

16

Am frühen Nachmittag hatte Maja noch einen Termin in Altenstadt. Eine Scheidung, so erfuhr sie während der ersten Besichtigung. Für sie waren das die unerquicklichsten Termine, da sie manchmal mitten in eine Auseinandersetzung geriet. Da hieß es, so schnell wie möglich das Terrain verlassen, bevor man in den Strudel von Gehässigkeiten hineingezogen werden konnte.

Sie sah auf ihre Armbanduhr und überlegte, ob sie danach noch Zeit für einen Kurzbesuch bei ihrem Vater einplanen sollte.

17

Dinan, Bretagne

Das schrille Klingeln des Telefons zerstörte die Stille in dem alten Fischerhäuschen. Elisabeth wollte den Hörer nicht abnehmen, aber sie wusste, dass es sinnlos wäre, denn er würde es wieder probieren. Den ersten Anruf tat sie unter der Rubrik „Spinner“ ab, aber der zweite versetzte sie in höchste Alarmbereitschaft. Die Stimme klang verzerrt, nannte nur ein Datum und legte auf. Seitdem hatte sie Angst, den Hörer abzunehmen.

„Hallo, wer ist da?“, fragte sie mit fester Stimme.

„Sie wissen nicht wer ich bin, das tut auch nichts zur Sache, aber ich weiß, wer sie sind. Ich weiß Bescheid.

3. Januar 1980! Klingelt’s da bei ihnen? Übrigens, ihrem Mann geht es wider Erwarten besser. Er lebt sehr in der Vergangenheit, war wohl sehr bewegend. Ich denke 20 Mille müsste ihnen meine Vergesslichkeit wohl wert sein, oder?“

Elisabeth war völlig überrumpelt und überlegte, wo sie so schnell zwanzigtausend Euro hernehmen sollte.

„Ich brauche mindestens eine Woche, um das Geld zu besorgen! Oder meinen sie, ich habe so eine Summe einfach so rumliegen? Und wer sagt mir, dass sie nicht immer wieder Forderungen stellen. Ich könnte auch zur Polizei gehen, Erpressung ist kein Kavaliersdelikt“, sagte sie in der Hoffnung, ihn einschüchtern zu können.

„Wenn sie glauben auf Zeit spielen zu können, bis es Ihrem Gatten wieder schlechter geht, haben sie sich geschnitten, liebe Frau Kramblitz. Ich habe alles aufgenommen, was er so von sich gab. Eines würde mich doch interessieren, warum die Polizei nie dahinter gekommen ist.“