Rasende Mäher - Harald Zoschke - E-Book

Rasende Mäher E-Book

Harald Zoschke

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Beschreibung

Dreizehn skurrile, pointierte Kurzgeschichten, die den Alltagsstress vergessen lassen – heiter, aberwitzig und bisweilen erschreckend plausibel. Was passiert, wenn hunderte Mähroboter durchdrehen und eine Stadt terrorisieren? Wenn ein Junge mit Chili in der DNA übermenschliche Kräfte entwickelt? Wenn Körperfett zum Treibstoff für Autos wird? Oder wenn ein schwäbischer Bauamtsmitarbeiter am Gardasee auf einen unheimlichen Geist stößt? Harald Zoschke erzählt dreizehn hintersinnige, irrwitzige Geschichten mit Biss – zwischen absurder Zukunft, groteskem Alltag und satirischer Realität. Bekannt als Autor des erfolgreichen Sachbuchs Das Chili Pepper Buch 2.0, widmet sich Zoschke hier der literarischen Kurzprosa – mit Schärfe, Fantasie und feinem Humor. Eine Einladung zum Schmunzeln, Staunen – und gelegentlich: Stirnrunzeln.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 164

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cartilage

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Rasende Mäher

Ausblick

Impressum

Harald Zoschke

Rasende Mäher

und andere Geschichten zwischen Wahn und Sinn

© 2025 Harald Zoschke

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheits-verordnung: [email protected]

Die Handlung der Geschichten und alle handelnden Personen sind frei erfunden.

Cartilage

Ein kleiner Fischereihafen nahe der ligurischen Hafenstadt Genua. Hier liegt die Segelyacht von Sonja und Mike, die er gekauft hat, als sein IT-Unternehmen an die Börse ging. Beide sind um die vierzig. Sie: Fotojournalistin, die auch in der Freizeit alles fotografiert, was ihr vor die Linse kommt. Er: Büromensch, privat überehrgeiziger Sportler, der bereits beim Ironman und diversen Triathlons mitgemacht hat.

Der wolkenlose Juni-Himmel bietet Sonne satt. Das Paar verbringt ein verlängertes Wochenende auf dem Boot.

Sonja trägt die Einkäufe an Bord, räumt den Kühlschrank ein und macht schon mal einen Salat. Mike ist bereits bei seiner Lieblingsbeschäftigung – dem Angeln – und Sonja hofft, dass es mit einem frischen Fang fürs Abendessen klappt.

Mike wirft den Köder aus und macht die Angelrute fest. Dann greift er zur Pillendose, die er immer bei sich hat. Durch maßloses Übertreiben beim Sport sind seine Gelenke geschädigt – darum nimmt er jetzt Haifischkapseln. Der Extrakt aus getrocknetem Knorpel des Raubfischs soll angeblich vorzeitigem Gelenkverschleiß entgegenwirken.

Sonja bekommt mit, wie Mike schon zum dritten Mal seit dem Frühstück eine Handvoll Kapseln nimmt. Als er sie gerade mit einem Schluck Wasser herunterspült, steckt sie den Kopf aus der Bordküche:

„Was ist das eigentlich für Zeug, das du da laufend schluckst, Schatz? Wieder irgendein Doping-Mist?“

„Ach Quatsch, das ist einfach nur Haifischknorpel-Extrakt. Gut für die Gelenke.“

„Haifisch-was??“

„Nennt sich Cartilage. Bei Haien besteht das ganze Skelett aus Knorpel“, doziert Mike. „Der ist besonders reich an Glucosaminoglucanen und Mucopolysacchariden.“

„Gluco-hä?“ – Man sieht förmlich das Fragezeichen auf Sonjas Stirn.

„Diese Substanzen bilden auch die Gerüstbausteine unseres eigenen Knorpel- und Bindegewebes. Meine Gelenke sind vom Trainieren und den Wettkämpfen inzwischen ziemlich mitgenommen. Die muss ich schnellstens wieder aufbauen.“

„Warum die Eile?“

„Na – in zwei Monaten ist doch der Triathlon. Da muss ich fit sein. In meinem Alter muss man halt was tun gegen den Verschleiß.“

So braun gebrannt mit seinem Muscle Shirt und keinem Gramm Fett zu viel würde Mike glatt noch für Anfang dreißig durchgehen – wäre da nicht der graue Bart, der nicht ganz zum blond gefärbten Haupthaar passt.

Sonja setzt ihre ernste Miene auf und greift nach der Pillendose. „Schatz, du übertreibst aber. Da steht drauf, man soll nur vier Kapseln pro Tag nehmen. Du nimmst mindestens das Zehnfache!“

„Quatsch, so viel nun auch wieder nicht. Außerdem sag ich ja immer: Viel hilft viel“, entgegnet Mike genervt.

„Ich wünschte, du würdest mit dem Leistungssport langsam etwas kürzertreten. Ich fühle mich vernachlässigt. Und du musst mehr auf deine Gesundheit achten.“

Mike lacht: „Dafür machen wir ja jetzt den kleinen Urlaub auf dem Boot. Komm, gib mir einen Kuss.“

Nach einem dicken Schmatzer ist die Diskussion fürs Erste beendet – denn bei Mike zappelt ein dicker Fisch an der Angel, das Abendessen ist gesichert. Mike nimmt den Fisch aus, und Sonja verschwindet damit unter Deck in die Küche.

„Mmmmhhh, wie das duftet!“ – Sonja trägt die Pfanne mit knusprig gebratener Dorade an Deck. Dazu serviert sie eine große Schüssel bunten Salat und aufgeschnittenes Ciabatta. Mit einem lauten „Plopp“ zieht Mike den Korken aus einer Flasche Chardonnay.

Während sie ihr Dinner genießen, geht am Horizont die Sonne in einem dramatischen orange-roten Farbverlauf unter. Es wird frisch auf See. Als Sonja kurz unter Deck geht, um sich einen Pulli zu holen, schluckt Mike – unbemerkt – schon wieder eine Handvoll Kapseln, diesmal mit Wein.

Am nächsten Morgen, beim Frühstück, merkt Mike, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Er war als Erster wach, ging schon an Deck und knabberte ein paar vom Vorabend übrig gebliebene Ciabatta-Stücke. Mist – was ist das für ein Gefühl im Mund?

Mike spürt, dass vorne ein paar Zähne locker sind. Als er auf ein Stück Ciabatta beißt, fallen ihm zwei davon aus. Panisch springt er ins kleine Bad und schaut in den Spiegel. Er wackelt an den verbliebenen Schneidezähnen – weitere lösen sich. Als er sich mit dem Finger ans Zahnfleisch fasst, schneidet er sich: Etwas Scharfkantiges sitzt dort, wo eben noch seine Zähne waren.

„Meine Zähne! Verdammt – was ist mit meinen Zähnen!?“

Der entsetzte Schrei weckt auch Sonja, sie stürzt aus dem kuscheligen Bett unter Deck. In Windeseile schlüpfen beide in Shorts und T-Shirts, nehmen das Beiboot und fahren ans Festland. Gleich unten am Hafen liegt eine Zahnarztpraxis – zum Glück schon geöffnet.

„Ein entsetzlicher Notfall, bitte helfen Sie uns!“ – In holprigem Italienisch schildert Sonja der jungen Frau am Empfang Mikes Zustand so eindringlich, dass er sofort einen Termin bekommt. Nur zwei Patienten sind noch vor ihm dran.

Im Wartezimmer flimmert auf einem alten Röhrenfernseher die italienische Fassung von Kommissar Rex, unterbrochen von endlosen Werbeblöcken – niemand sieht wirklich hin. Beide blättern in zerfledderten Illustrierten.

„Der gleiche Mist wie bei uns – alles Königshaus und Promi-Hochzeiten“, grummelt Mike und tupft sich mit einem inzwischen blutgetränkten Taschentuch den Oberkiefer ab, wo gerade noch seine Schneidezähne saßen.

Als Mike aufgerufen wird, staunt er: Die Praxis ist hochmodern. Die technische Ausstattung steht der seines Zahnarztes in München in nichts nach.

Mit Hilfe eines Wörterbuchs versucht er zu erklären, was passiert ist. „Sie können gern Deutsch sprechen“, sagt der Arzt lächelnd. „Ich hab Anfang der Neunziger in München studiert. “Mike atmet auf, steckt erleichtert den Sprachführer weg. Endlich etwas Vertrautes – er ist ohnehin völlig durch den Wind.

„Lehnen Sie sich zurück und machen Sie es sich bequem. Ich sehe mir das mal in Ruhe an.“

Mit starker Lampe und Mikroskopbrille begutachtet der Zahnarzt Mikes Mundhöhle. Sein erster Verdacht: eine massive Parodontitis, vielleicht jahrelang unbemerkt.

„Zur Sicherheit machen wir ein Röntgenbild“, sagt der Arzt und führt Mike in den angrenzenden Röntgenraum. Das Hightech-Gerät sieht aus wie aus einem Science-Fiction-Film. Die Assistentin – jung, ruhig, konzentriert – positioniert Mike exakt im Zentrum. Mit leisem Surren umkreist die Kamera seinen Kopf, während eine Panoramaaufnahme erstellt wird. Sekunden später erscheint das Bild auf dem Monitor im Behandlungszimmer.

Mike folgt dem Arzt zurück.

„Das ist … ungewöhnlich“, murmelt der Zahnarzt und zoomt auf das Röntgenbild. In Mikes Kiefer wachsen offenbar neue Zähne – scharfkantig, spitz, fast dolchartig.

„Sowas habe ich noch nie gesehen“, sagt er leise. „Aber ich erinnere mich … in einer Fachzeitschrift war kürzlich ein Artikel über einen Fall in Indien. In Mumbai kam ein junger Mann ins Krankenhaus – in seinem Kiefer wuchsen 232 kleine zusätzliche Zähne. Sie sind also nicht allein.“

„Trotzdem höchst ungewöhnlich“, fügt er hinzu. „So etwas kennt man sonst nur bei Haien. Wenn das bei allen Menschen möglich wäre – dann wäre ich bald arbeitslos!“

Viel machen kann der Zahnarzt nicht. Er gibt Mike eine antibiotische Salbe und etwas zum Spülen gegen die Entzündung. Für die weitere Behandlung empfiehlt er dringend, so schnell wie möglich den eigenen Zahnarzt in Deutschland aufzusuchen. Die Röntgenbilder überträgt er auf einen USB-Stick und drückt ihn Sonja in die Hand – die ebenso fassungslos ist wie Mike.

Wieder zurück auf dem Boot versuchen sich die beiden mit einem Glas Wein zu beruhigen. Trotz seiner Zahnprobleme sitzt Mike wieder in der Sonne und angelt. Sonja lenkt sich ab, indem sie Hafenszenen fotografiert.

Als sie zu ihm hinübergeht, streicht sie ihm liebevoll über den Nacken. „In der prallen Sonne auf dem Wasser solltest du dich öfter eincremen, Schatz“, sagt sie – seine Haut fühlt sich rau an, ungewohnt rau. Sie holt ihre Sonnencreme und beginnt, ihm Nacken, Arme und Rücken einzureiben. Immer wieder schaut sie dabei auf ihre Hände. Etwas stimmt nicht – seine Haut ist verändert.

Wieder ein traumhafter Sonnenuntergang. Das Meer glitzert wie Millionen goldene Kristalle. Sonja hat das Abendessen an Deck angerichtet und eine Kerze angezündet. Sie teilen sich eine Flasche Rotwein. Dann geht es in die Koje – urgemütlich, das breite Wasserbett zu Hause vermisst keiner von beiden. Bei sanftem Schaukeln und dem Gluckern des Wassers schlafen sie schnell ein.

Mitten in der Nacht schreckt Mike schweißgebadet hoch. „Ich … ich bekomme keine Luft! Keine Luft!“

Sonja ist sofort hellwach. Sie springt aus dem Bett, greift ihr Handy und ruft die Küstenwache – die Nummer hatten sie vorsorglich eingespeichert.

Trotz der Uhrzeit – oder sollte man besser sagen: frühen Morgenstunde – erscheint die Küstenwache rasch mit dem Motorboot, nimmt Mike und Sonja an Bord. Am Ufer wartet bereits ein Krankenwagen.

Während der Fahrt fallen Sonja dunkle, faltige Streifen beidseits an Mikes Hals auf – sie scheinen zu pulsieren, kurz davor, aufzuplatzen. Sie zeigt die Stellen dem begleitenden Sanitäter, doch wegen der Sprachbarriere bleibt die Reaktion unklar. Auch ihm ist sichtbar unwohl bei dem Anblick – diese Streifen beunruhigen auch ihn.

In der Notaufnahme geht alles schnell. Mike wird an die Überwachungsgeräte angeschlossen, bekommt Sauerstoff über eine Maske. Zunächst scheint das zu helfen – doch dann lassen die Werte nach.

„Wir geben ihm schon 100 % – mehr geht nicht!“, ruft eine Pflegerin.

Dem diensthabenden Arzt bleibt nur ein letzter Ausweg: Er lässt Dr. Sievers ausrufen, einen Kollegen mit einer seltenen Doppelqualifikation – Humanmediziner und Meeresbiologe. Denn das hier ist kein normaler Fall.

Keine zwei Minuten später erscheint Dr. Sievers – zum Glück hat er Nachtdienst. Verschlafen, aber professionell, überfliegt er die Akte, prüft die Monitore, betrachtet den Patienten. Die pulsierenden Streifen an Mikes Hals … werden sie jeden Moment aufbrechen?

Dann wirft er einen Blick auf die Zahn-Röntgenbilder – seine Stirn legt sich in Falten.

Und genau in diesem Moment reißen die dunklen Schlitze auf.

Ein schmatzendes Geräusch. Flüssigkeit tritt aus. Hautlappen an Mikes Hals klappen auf – rhythmisch, im Takt seiner Atemversuche. Sie wabern. Sie öffnen und schließen sich. Wie Kiemen.

Dr. Sievers wird sehr ernst. „Es gibt vielleicht nur eine Rettung – so skurril es auch klingen mag: Ihr Freund scheint auf Kiemenatmung zu mutieren. Er muss so schnell wie möglich ins Wasser.“

Er greift zum Telefon, klingelt einen Kollegen beim Meeresforschungsinstitut aus dem Bett. Der soll mit einem Tankwagen kommen – gefüllt mit Meerwasser. Das Fahrzeug war am Vortag bei der Auswilderung aufgepäppelter Meeresschildkröten im Einsatz.

Mike wird – noch immer an Tropf und Sauerstoffversorgung angeschlossen – auf einer fahrbaren Liege zum Ausgang des Krankenhauses gebracht. Draußen wartet bereits der junge Kollege: ein Meeresbiologiestudent mit dem Tankwagen. Gemeinsam nehmen sie die transparente Abdeckung ab und legen Mike vorsichtig hinein.

Der Wagen rast zur Forschungsstation – Dr. Sievers fährt mit Sonja direkt hinterher.

In der Station angekommen, ziehen sie Mike auf einer Plane in ein Aquariumbecken mit Meerwasser. Nur ein paar harmlose Fische schwimmen darin. Und tatsächlich: Mike geht es sofort sichtbar besser. Seine Atmung wird gleichmäßiger, ruhiger – über die rhythmisch pulsierenden Kiemenschlitze an seinem Hals.

Sonja ist bleich vor Entsetzen, Tränen stehen ihr in den Augen. Was muss Mike jetzt empfinden?

Seine Haut hat mittlerweile einen silbergrauen Schimmer. Spätestens jetzt wird klar: Das ist keine Krankheit – das ist eine Verwandlung. Die raue Haut, die Zähne, die Kiemen: Alles deutet auf Merkmale eines Hais hin.

Mit Blick auf das Bassin setzen sich Sonja, Dr. Sievers und der Helfer an einen Schreibtisch des Instituts. Der Arzt beginnt, Sonja nach Mikes Lebensgewohnheiten zu befragen.

Aufgeregt berichtet sie von der übermäßigen Einnahme seiner Haiknorpelkapseln.

Sievers hört aufmerksam zu. So etwas hat er in fünfundzwanzig Jahren Praxis noch nie gesehen. Doch so abwegig es klingen mag – er hat einen Verdacht, und er versucht, ihn Sonja zu erklären:

„In der Knorpelsubstanz seiner Pillen könnte noch ein Rest Hai-DNA enthalten gewesen sein. Wahrscheinlich dubiose Ware – online bestellt, ohne Prüfung. Der Kapselinhalt gelangt ins Blut – soll ja auch bei den Gelenken ankommen.“

„Und dann?“, fragt Sonja ungläubig.

„Wenn diese DNA – oder Bruchstücke davon – tatsächlich aufgenommen wurden, könnten sie in seine eigene Zellinformation geraten sein. Denken Sie an Stammzellen: Jede von ihnen ist darauf programmiert, einen bestimmten Zelltyp zu bilden – Haut, Leber, Zähne, was auch immer.“

„Wir produzieren ständig Millionen neuer Zellen. Und die werden durch unsere Erbinformation gesteuert. Wenn sich diese verändert, kann das überall Folgen haben. Und wenn sich dabei Hai-DNA eingeschlichen hat …“ – er stockt –, „… dann entstehen womöglich Strukturen, die im menschlichen Körper nichts zu suchen haben.“

Sonja kann es kaum fassen. „Aber … wie soll das gehen? Das ist doch Science-Fiction!“

Sievers nimmt seinen Mundschutz ab, atmet tief durch. „Haben Sie schon mal von gentechnisch veränderten Tomaten gehört, die frostresistent sind? Das liegt daran, dass man ihnen ein Gen einer arktischen Flunder eingebaut hat – ein Fisch also, der Kälte problemlos verträgt.“

„Die Genübertragung funktioniert sogar zwischen Tier und Pflanze. Weil die Erbsubstanz aller Lebewesen nach demselben Prinzip aufgebaut ist – vier Nucleinbasen, immer gleich. Nur deren Reihenfolge in den Genen entscheidet darüber, ob aus einer Zelle ein Blatt wird … oder ein Finger. Oder eben ein Haifischzahn. Ein richtiger Code!“

Sonja blickt den Wissenschaftler ratlos an. „Aber wieso übernehmen die Hai-Gene Mikes Körper?“

Dr. Sievers erklärt. „Haie sind eine Millionen Jahre alte Spezies. Sie haben sich in der Evolution durchgesetzt – mit extrem widerstandsfähigem Erbgut. So entwickeln Haie selbst in stark verschmutzten Meeren kaum Krebserkrankungen. Ihre Gene sind enorm stabil.“

Er macht eine kurze Pause.

„Durch die Einnahme großer Mengen Haiknorpel – unkontrolliert und überdosiert – war im Blut Ihres Partners offenbar genug fremde DNA vorhanden, um sich mit seiner eigenen zu vermischen. Und diese Hai-DNA scheint sich nun aggressiv durchzusetzen. Es ist äußerst ungewöhnlich – aber offenbar passiert.“

Er nimmt die Brille ab, wischt sich über die Augen und fügt nachdenklich hinzu: „Und niemand weiß bis heute, ob die Strahlung all der WLAN- und Mobilfunknetze, die uns umgeben, nicht solche Genveränderungen begünstigt. Jetzt auch noch dieses 5G …“

Mit Tränen in den Augen steht Sonja auf und geht zum Aquarium. Mike sieht sie – eindeutig. Er legt von innen beide Hände an das dicke Glas. Sonja legt ihre Hände von außen dagegen. Zwischen ihnen nur Zentimeter – und eine neue Realität. Sie blicken sich an: verzweifelt, aber voller Liebe.

Dann beginnt Mike, nur in seinen Boxershorts, rastlos durch das Becken zu schwimmen. Die Fische weichen ihm blitzschnell aus.

Es ist schon spät geworden.

„Es tut mir sehr leid, Signora Sonja“, sagt Dr. Sievers, „mehr können wir heute leider nicht für Ihren Freund tun. Morgen früh entnehmen wir Gewebeproben. Vielleicht finden wir einen Weg, die Veränderungen rückgängig zu machen – so wie man auch Metastasen bekämpfen kann.“

Er reicht ihr einen Zettel. „Geben Sie mir bitte Ihre Mobilnummer. Ich melde mich morgen früh. Wir lassen Sie vom Boot abholen. Oder möchten Sie für die Nacht lieber in einem Hotel bleiben?“

Sonja zögert.

„Nein … ich möchte zurück an Bord. Meine Sachen holen. Und … einfach … da sein.“

„Verstehe. Dann bis morgen. Seien Sie tapfer.“

Sievers dreht sich zu seinem Assistenten: „Morgen früh bringen Sie bitte zuerst die anderen Meeresschildkröten zurück ans Meer. Das Auswilderungsprojekt darf nicht verzögert werden.“

„Kein Problem, Dottore. Der Tank ist befüllt – ich kann gleich früh losfahren.“

Sonja, der Biologiestudent und Dr. Sievers verlassen den Raum. Ein schwaches Licht bleibt an – es beleuchtet das Becken. Sein Schein spiegelt sich auf dem nassen Betonboden.

Mike gleitet ruhelos durch das Aquariumbecken. Er hat das Gespräch offenbar mitbekommen – und er weiß: Er muss hier raus.

Jetzt wittert er seine Chance. Mit letzter Kraft zieht er sich am Beckenrand hoch, schlingt die Arme über die Kante – und stürzt platschend auf den harten Betonboden. Kurz bleibt er reglos liegen, dann rappelt er sich auf, schleppt sich zum halb geöffneten Metall-Schiebetor und sieht sich um.

Draußen: eine marineblau gestrichene Wellblechhalle. Das Tor steht nur angelehnt. Mike erkennt den Truck mit dem Edelstahl-Wassertank. Offenbar soll der morgen früh zum Auswilderungsprojekt fahren.

Er klettert aufs Trittbrett, zieht sich mühsam am Tank hoch und schiebt die Abdeckung gerade weit genug auf, um hineinzugleiten. Ein nasses Handtuch, das er unterwegs benutzt hat, wirft er in eine dunkle Ecke. Dann zieht er die Abdeckung von innen wieder zu – niemand soll merken, dass er hier ist. Er hat einen Plan. Er wird mit den Schildkröten das Institut verlassen, um mit ihnen die Fahrt zum offenen Meer anzutreten.

Am nächsten Morgen kommt das Personal. Der Biologiestudent und ein Helfer verladen mit einem kleinen Hebelift zwei gewaltige Meeresschildkröten in den Tank. Mike duckt sich tief in eine Ecke – reglos, unsichtbar. Niemand bemerkt ihn.

Der Tankdeckel wird geschlossen. Das Hallentor öffnet sich, der Motor springt an – die Fahrt zum Meer beginnt.

Im Inneren des Tanks schwappt bei jeder Kurve das Wasser. Mike bemüht sich, die Bewegungen auszugleichen, ohne mit den massigen Schildkröten zu kollidieren.

Am Ufer angekommen, fährt der Truck rückwärts eine Rampe hinunter – bis die Reifen fast das Wasser berühren. Die Mitarbeiter lösen die Verriegelung, klappen die Abdeckung hoch.

Was sie dann sehen, raubt ihnen den Atem.

Mike drückt den Deckel mit aller Kraft zur Seite, springt aus dem Tank, taucht ins flache Wasser – und verschwindet in Sekundenbruchteilen im offenen Meer. Kein Zögern, kein Blick zurück.Die Männer stehen wie versteinert.

Einer greift zum Handy, ruft Dr. Sievers an – berichtet atemlos, was passiert ist.

Im Aquarium trifft Dr. Sievers kurz darauf ein, zusammen mit den erschütterten Mitarbeitern.

Das Becken ist leer. Selbst die größeren Fische sind verschwunden.

„Er hat offenbar noch gut gespeist“, murmelt Sievers fassungslos. Dann wird seine Stimme schärfer: „Jetzt ist er weg. Wie konnte das passieren? Wie sollen wir das seiner Partnerin erklären?“

„Die Hallentür und der Tank waren nicht verschlossen. Wer konnte denn ahnen, dass ein Fisch selbstständig verschwindet?“

Dr. Sievers faucht:

„Das ist kein Fisch! Das ist immer noch ein Mensch – ein Mensch mit Fischmerkmalen. Und wenn wir ihn retten wollen, müssen wir ihn zurückholen. Das sind wir nicht nur seiner Partnerin schuldig – dieser Fall wäre eine einmalige Chance für unser Institut! Endlich bekämen wir die lang überfällige Aufstockung unseres Forschungsetats.“

Er fährt sich durchs Haar. „Wenn aber herauskommt, dass uns dieser Mann einfach abgehauen ist … dann stehen wir da wie die letzten Deppen.

„Nicht nur das“, wirft einer der Mitarbeiter ein. „Der Mann ist hungrig. Und er schwimmt ausgerechnet an einem unserer beliebtesten Strände. Er wird Nahrung brauchen – und bei seinen eingeschränkten Jagdfähigkeiten … na ja, da bleiben fast nur die Badegäste.“

Sievers nickt besorgt

„Ich befürchte noch ganz andere Komplikationen. Der Geschlechtstrieb! Er ist biologisch immer noch ein Mensch. Wenn er sich im Wasser eine Badenixe greift … und seine veränderten Gene weitergibt …“

Er stockt kurz.

„… dann ist das nicht mehr nur unser Problem. Wir müssen ihn finden. Und zwar schnell!“

Für Sie, liebe Leserinnen und Leser, endet der Horror an dieser Stelle. Für die Badegäste an einem beliebten Mittelmeerstrand – könnte es gerade erst der Anfang sein.

All Inclusive

„Schnuckipupsi, beeilst du dich bitte? Das Taxi zum Flughafen ist gleich da!“, ruft Julia ihrem Freund zu, während sie sich im Bad ihre ohnehin etwas schmalen Lippen streng mit dunkel fliederfarbenem Lippenstift nachzieht.

„Bin schon fertig, Schatz“, ruft Jan von nebenan. Die beiden haben acht Tage im Süden gebucht, Flug und Hotel: „All Inclusive“.