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Eine geheimnisvolle Villa in der Bretagne – und ein vorwitziger Dackel, der jedes Geheimnis ausbuddelt!
Klapprige Fensterläden, abblätternde rosa Farbe und Efeu, wohin das Auge blickt. Etwas ratlos steht die junge Jade vor der alten Villa in der Bretagne, die sie überraschend von ihrer Großtante geerbt hat. Schon die Anreise in ihrem kleinen orangefarbenen Twingo war ein Abenteuer, ist das Örtchen Foisic doch auf keiner Landkarte vermerkt. Einzig Rimbaud, Jades vorwitziger Dackel, flitzt begeistert durch den zugewucherten Garten. Eigentlich will Jade das Haus nur auf Vordermann bringen, um es schnellstmöglich zu verkaufen. Doch die verschlossenen Türen und seltsamen Antiquitäten geben ihr Rätsel auf. Dann erfährt sie vom achtjährigen Corentin, mit dem Rimbaud am Strand sofort Freundschaft geschlossen hat, vom sagenhaften Schatz der Schmuggler, der in Foisic zu finden sein soll. Liegt der Schlüssel zum Schatz etwa im mysteriösem Haus ihrer Tante?
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Seitenzahl: 232
Veröffentlichungsjahr: 2025
Eine geheimnisvolle Villa in der Bretagne – und ein vorwitziger Dackel, der jedes Geheimnis ausbuddelt!
Klapprige Fensterläden, abblätternde rosa Farbe und Efeu, wohin das Auge blickt. Etwas ratlos steht die junge Jade vor der alten Villa in der Bretagne, die sie überraschend von ihrer Großtante geerbt hat. Schon die Anreise in ihrem kleinen orangefarbenen Twingo war ein Abenteuer, ist das Örtchen Foisic doch auf keiner Landkarte vermerkt. Einzig Rimbaud, Jades vorwitziger Dackel, flitzt begeistert durch den zugewucherten Garten. Eigentlich will Jade das Haus nur auf Vordermann bringen, um es schnellstmöglich zu verkaufen. Doch die verschlossenen Türen und seltsamen Antiquitäten geben ihr Rätsel auf. Dann erfährt sie vom achtjährigen Corentin, mit dem Rimbaud am Strand sofort Freundschaft geschlossen hat, vom sagenhaften Schatz der Schmuggler, der in Foisic zu finden sein soll. Liegt der Schlüssel zum Schatz etwa im mysteriösen Haus ihrer Tante?
Ena Fitzbel lebt in Toulouse. Neben ihrer Arbeit als Ingenieurin in einem Forschungszentrum ist das Schreiben ihr Ausgleich. Sie liebt vor allem Rom Coms und Mystery-Geschichten, beides stets mit einer Prise Humor, denn ohne Lachen ist das Leben für Ena Fitzbel nur halb so schön.
www.penguin-verlag.de
Ena Fitzbel
haben kurze
Roman
Aus dem Französischen von Ingrid Ickler
Die Originalausgabe erschien 2020
unter dem Titel Le curieux manoir de tante Aglaé
bei Éditions J’ai lu, Paris.
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Copyright © 2020 der Originalausgabe by Ena Fitzbel
Copyright © 2025 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Redaktion: Angela Küpper
Covergestaltung: www.buerosued.de
Covermotiv: www.buerosued.de
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-30401-0V004
www.penguin-verlag.de
Ein traumhaft schöner Tag, Postkartenwetter. Ich frage mich trotzdem, ob es eine gute Idee war, hierherzukommen. Jetzt reiß dich zusammen! Schluss damit, auf dem Sofa zu liegen und die Decke anzustarren!
Ich heiße Jade Beaumont, bin sechsundzwanzig Jahre alt, meine zerzausten braunen Haare sind mit einem Tuch zusammengebunden, und meine haselnussbraunen Augen tränen vom ständigen Auf-die-Straße-Schauen. Ich bin den ganzen Tag gefahren, bis ich endlich in diesem kleinen Städtchen angekommen bin, das sich anmutig an die Steilküste schmiegt. Ohne die Wegbeschreibung des Notars hätte ich es niemals gefunden. Foisic taucht auf keiner Karte auf und schon gar nicht in meinem GPS.
»Irgendwo in der Bretagne, zwischen Quimper und Vannes«, war im Testament meiner Großtante Aglaé zu lesen. Danke für die präzise Beschreibung, Aglaé!
Aglaé Bissel ist vor drei Monaten gestorben, ein schöner Tod im Schlaf, wie es scheint, und sie hat mir eine Villa vermacht, von deren Existenz ich noch nie zuvor gehört hatte. Wer hätte gedacht, dass sich die Schwester meiner Großmutter mütterlicherseits überhaupt an mich erinnerte? Und warum gerade ich und niemand anderer aus meiner Familie?
Bevor ich den Brief des Notars bekam, wusste ich nicht mal, dass es Großtante Aglaé überhaupt gab. Die frühere Schulleiterin hatte Frankreich vor über zwanzig Jahren verlassen, um in Neukaledonien ihre Rente zu genießen. Bei ihrem letzten Besuch bei meinen Eltern war ich gerade mal zwei. Mein damals noch in Windeln steckendes Ich konnte sich natürlich nicht an sie erinnern. Nach den Erzählungen meiner Mutter habe ich mich bei diesem Anlass, ganz im Gegensatz zu meinem älteren Bruder Béryl, mustergültig benommen. Und meine ältere Schwester Opale hat ihr auf die Schuhe gekotzt. Das könnte eine mögliche Erklärung sein.
Ich hätte die Erbschaft natürlich ablehnen und meinen Geschwistern überlassen können. Aber ich war neugierig und wollte mir das Haus genauer anschauen. Und nun bin ich hier! In welchem Zustand wird dieses seit mehr als zwei Jahrzehnten unbewohnte Anwesen wohl sein? Wahrscheinlich ist es eine Ruine. Keine Ahnung. Mit Sicherheit muss es von Grund auf renoviert werden.
Zum Glück habe ich nicht die Absicht, mich hier niederzulassen, aufs Land bringen mich keine zehn Pferde. Ich bin eben eine Stadtpflanze! Eine Pariserin durch und durch, die im Moment gerade ohne Job ist, das ist wohl wahr, aber hoffentlich am Ende des Sommers ein hübsches Sümmchen in der Tasche haben wird. Sobald das Haus wieder in Schuss ist, werde ich es verkaufen, nach Paris zurückfahren und mir eine Wohnung in meinem geliebten Marais kaufen. Endlich ein richtiges Zuhause. Und dann? Vielleicht weiter studieren oder einen neuen Job suchen? Und zwar einen mit mehr Sicherheit als die bisherigen.
Mit diesen Gedanken im Kopf fahre ich in meinem orangefarbenen Twingo durch das sonnendurchflutete Städtchen. Über mir am blauen Himmel schweben Möwen, die sich vom Wind tragen lassen. Bilde ich mir das ein, oder eskortieren sie mich? Jedenfalls sieht es ganz so aus. Zu meiner Rechten reihen sich zweigeschossige Häuser aneinander, deren Fenster mich neugierig zu mustern scheinen. Die Fassaden sind in appetitlichen Farben gestrichen, Grenadine, Zitrone, Erdbeere, Aubergine, Pfefferminz, Olive … ich bekomme direkt Hunger. Zu meiner Linken taucht ein imposanter Kreidefelsen auf und dahinter das Meer. Es ist gerade Ebbe, und der strahlend weiße Sandstrand scheint unendlich weit. Erst ganz hinten erkennt man das türkisblaue Wasser.
»Traumhaft, oder?«, frage ich beeindruckt.
»Wuff!«
Die Antwort kommt von Rimbaud, meinem zehn Monate alten rotbraunen Rauhaardackel, der mich auf diesem Abenteuer begleitet. Die ganze Fahrt über hat er sich mustergültig verhalten, aber allmählich wird er unruhig. Die Pfoten liegen auf dem Armaturenbrett, er hechelt mit heraushängender Zunge.
»Ganz ruhig, wir sind fast da, mein Schatz.«
Mehr aus Zufall entdecke ich das Hinweisschild Richtung Rathaus. Ich verlasse den Boulevard du Front de Mer und biege nach rechts in die Rue Brise-Lames ein. Hier herrscht reges Treiben, es ist offenbar Markttag. Auf den Bürgersteigen reihen sich die Stände aneinander, Schritttempo ist angesagt. Zehn Minuten später bin ich nur wenige Meter vorangekommen, meine Laune ist auf dem Tiefpunkt. Doch wie durch ein Wunder taucht irgendwann das Postamt auf, wo ich nach links in die Rue du Bon-Dieu einbiege. Auch hier ist einiges los. Ob ich auf Gott stoße, wie der Straßenname vermuten lässt? Daran habe ich so meine Zweifel.
Auf der Höhe einer rötlichen romanischen Backsteinkirche wird es langsam ruhiger. Ich rolle durch ein Labyrinth schmaler Gassen, in denen keine Marktstände mehr stehen. Die quadratischen Häuser aus grauem Granit wirken verwaist, obwohl es in den Gärten grünt und blüht. Ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut, weit und breit kein Schild. Habe ich mich verfahren? Eben noch habe ich die vielen Passanten verflucht, aber jetzt gäbe ich alles darum, auch nur eine Menschenseele zu treffen, die ich nach dem Weg fragen könnte.
Zum Glück ist Foisic nicht allzu groß. Als ich weiterfahre, stoße ich auf eine der Marktstraßen, und zu meiner Überraschung tauchen auch die Hinweisschilder wieder auf. Ein Hoch auf die Zivilisation! Schon bald erreiche ich den Platz vor dem Rathaus, auf dem es von Menschen nur so wimmelt.
»Eine zweigeschossige Villa mit rosaroter Fassade gegenüber der Grundschule.«
Jenseits der bunten Schirme, die die Auslagen der Händler vor der Sonne schützen, sehe ich sie. Wie erwartet hat das Gebäude schon bessere Tage gehabt, ein Sommer wird kaum reichen, um es wieder auf Vordermann zu bringen. Der Zahn der Zeit hat kräftig daran genagt. Blätternder Putz, verwitterte Fensterläden, rissige Kacheln, alles von Efeu überwuchert … Ich frage mich, was mich im Inneren erwartet. Hoffentlich ist wenigstens das Schieferdach dicht!
Nicht gerade mein Traumhaus, aber ich will ja auch nicht lange bleiben …
Als ich die Eingangstür öffne, schlägt mir ein muffiger Geruch entgegen. Rimbaud niest, meine Nase kribbelt, doch ich kann das Niesen gerade noch unterdrücken. Das fängt ja gut an! Ein schüchterner Sonnenstrahl fällt in den Eingangsbereich, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Tatsächlich stehen geblieben sind die Zeiger der Standuhr. Die holzgetäfelten Wände schlucken jedes Geräusch.
Ich schließe die Tür hinter mir. Finsternis und Totenstille umfangen mich. Ich drücke den Lichtschalter, doch nichts passiert. Soll ich Kerzen anzünden, wie in der guten alten Zeit? Der Notar meinte, er würde dafür sorgen, dass der Strom und das Wasser wieder angestellt würden. Wahrscheinlich muss ich bloß den Sicherungskasten finden.
»Nur Mut, Rimbaud«, sage ich laut, mehr zu mir selbst als zu meinem vierbeinigen Begleiter. »Du wirst sehen, alles wird gut.«
Hoffentlich! Ich schalte die Taschenlampe meines Handys ein und durchquere den langen Flur. Die Blümchentapete ist alt, sieht aber noch gut aus. Links von mir entdecke ich eine Tür, sie ist abgeschlossen, genau wie die nächste. Das kann ja heiter werden!
Ich gehe weiter. Bei jedem Schritt wirbele ich neuen Staub auf, den Rimbaud mit einem Niesen quittiert. Das hölzerne Parkett knarrt und quietscht. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob ich überhaupt hierbleiben möchte. In meiner Villa. Rimbaud will nicht weiter, ich muss ihn mit sanfter Gewalt an der Leine hinter mir herziehen. Im Wohnzimmer fällt mein Blick auf die mit weißen Laken abgedeckten Möbel. Sie haben etwas Gespenstisches. Wenn ich nicht fünf Stunden bis hierher gefahren wäre, würde ich auf der Stelle umdrehen und gehen.
Der Flur mündet in eine große altertümliche Küche mit Fliesenboden, auf dem eine dicke Schmutzschicht liegt. Ich entdecke den Sicherungskasten und lege den Schalter um. Hurra, es werde Licht! Schon wirkt alles weniger beunruhigend. Ich drehe den Wasserhahn auf, erst strömt ätzend riechende bräunliche Brühe heraus, aber nach einer Weile wird das Wasser klar. Ich halte meine Hände darunter. Es ist lauwarm, der Boiler funktioniert immerhin auch.
»Schon besser!«, sage ich erleichtert.
Ein Bellen ist die Antwort. Ich drehe mich zu Rimbaud um. Seine klugen Augen sehen mich flehend an.
»Schon gut, du darfst ja raus.«
Ich gehe zur Terrassentür, öffne sie und schiebe den Klappladen zur Seite. Die frische Luft vertreibt den Modergeruch, der mir in der Nase steckt. Der Anblick, der sich mir bietet, ist ziemlich trostlos.
»Verdammt!«
Ich verstehe nichts vom Gärtnern, aber ich kann durchaus Brachland von einem Garten unterscheiden. Zwischen der bemoosten Terrasse und der roten Backsteinmauer erstreckt sich ein Unkrautfeld. Brombeerranken überwuchern kleine Bäume und Sträucher. Eine verrostete Pergola wird von Lianen mit violetten Blüten regelrecht erstickt. Um diesem Dschungel ein vorzeigbares Gesicht zu geben, braucht es einiges an Mumm und Zeit!
»Hey, komm zurück!«, rufe ich meinem Hund zu, der sich inzwischen losgerissen hat.
Rimbaud wühlt sich durch die Brombeerhecke. Wenn er rauskommt, wird er völlig verdreckt sein! Was soll’s, er braucht nach der langen Autofahrt sicher ein wenig Auslauf. Außerdem habe ich anderes zu tun. Ich muss das Haus wenigstens provisorisch bewohnbar machen, besonders das Badezimmer. Wo habe ich nur die Fellbürste eingepackt?
Als Erstes räume ich mein Gepäck aus dem Kofferraum, den Twingo habe ich direkt vor der Villa geparkt. Es ist immer noch viel los auf dem Markt, Leute kommen vorbei und mustern mich, manche grüßen höflich. Die meisten wirken neugierig und leicht erstaunt. Ich bin es nicht gewohnt, dermaßen im Mittelpunkt zu stehen, in Paris wechsele ich gerade mal ein paar Worte mit den Nachbarn auf meinem Stockwerk.
Nach einer Weile gönne ich mir eine Pause. Zum Glück habe ich an der Raststätte vor der Autobahnabfahrt noch ein paar Sandwiches und Wasser gekauft. Ich setze mich in die Küche und mache mich über mein improvisiertes Mittagessen her. Rimbaud lässt sich noch immer nicht blicken, aber ich lasse ihn sich austoben. Hin und wieder kann ich ein fröhliches Japsen hören, er ist also in der Nähe.
Nach dem Essen streife ich durchs Haus. Zuerst nehme ich mir das Wohnzimmer im Erdgeschoss vor, öffne die Klappläden und ziehe die Tücher von den Möbeln. Meine Großtante hatte einen wahrhaft extravaganten Geschmack. Schwarz lackierte Schränke, die Sessel mit Tierfellen überzogen, überall Nippes. Das Zimmer strahlt einen altertümlichen Charme aus, der an den Kolonialstil erinnert. Alles ist in perfektem Zustand. Hier muss nichts renoviert werden, kräftig Staub saugen und wischen, ein bisschen Farbe, das würde reichen.
Ich trete zu den beiden Fenstern. Draußen strahlt die Sonne, die Händler und die Kunden sind verschwunden, in der Mitte des Platzes kann ich einen Springbrunnen aus schweren Steinblöcken erkennen, der einem Dolmengrab ähnelt. Logisch, ich bin ja in der Bretagne. Unter den Häusern rund um den Platz ist auch das Rathaus, wo die blau-weiß-rote Trikolore und die schwarz-weiß gestreifte bretonische Flagge nebeneinander im Wind flattern. Genau gegenüber vom Haus meiner Großtante befindet sich die Grundschule, von der ihr Notar gesprochen hat.
Ich gehe in die Küche und mache mich daran, die Fliesen abzuschrubben. Danach wische ich mit Desinfektionstüchern die Küchenschränke und den in die Jahre gekommenen, aber funktionstüchtigen Kühlschrank aus und räume meine mitgebrachten Vorräte ein. Nudeln, Reis, Zucker, Kaffee, Brot, Butter, Fertiggerichte … Das wird garantiert für einige Tage reichen. Danach fülle ich die Spülmaschine mit Töpfen, Tellern und Geschirr und lasse sie auf höchster Temperatur laufen, man weiß ja nie.
»Ich bin oben, Rimbaud!«, rufe ich laut in Richtung Garten, bevor ich mir meine beiden Koffer schnappe und die Treppe hinaufgehe.
Die »Sanierung« des Erdgeschosses war eher unproblematisch, mal sehen, was mich im ersten Stock erwartet. Und in den beiden abgeschlossenen Räumen …
Auch im ersten Stock sind zwei Zimmer verschlossen. Allmählich lerne ich die Persönlichkeit meiner Großtante besser kennen. Eine praktisch denkende Frau, die es gerne ordentlich hatte. Im ersten Stock befinden sich ein mit Kalkspritzern übersätes Badezimmer und zwei Schlafzimmer. Das erste ist leer, das zweite würde meine Schwester vor Neid erblassen lassen.
Opale, dreißig, ist Innenausstatterin und betreibt ein Antiquitätengeschäft im Marais. Auf keinen Fall darf ich sie hierher einladen. Sie würde sich mit Sicherheit das eine oder andere Stück unter den Nagel reißen, vor allem das wunderbare Baldachinbett. In jedem Fall würde sie mich kritisieren und mir Anweisungen geben, was ich zu tun hätte. In ihren Augen bin ich eine Versagerin, die nichts auf die Reihe bringt. Ist es meine Schuld, dass ich meine Bestimmung noch nicht gefunden habe?
Papa wollte, dass ich eine naturwissenschaftliche Karriere einschlage, genau wie mein Bruder Béryl, siebenundzwanzig, der an der Universität Paris-Saclay Ingenieurwesen studiert und kurz vor dem Abschluss steht. Mein Vater ist Geologieprofessor an der Sorbonne und in der Forschung tätig. Seine Leidenschaft für Mineralien hat sich auch in den Vornamen seiner Kinder niedergeschlagen. Nach dem Abi folgte ich seinem Wunsch und schrieb mich für Maschinenbau ein. Nach drei Jahren hatte ich die Schnauze voll, Industriedesign war wirklich nicht mein Ding.
Um Papa vor einem Herzinfarkt zu schützen, blieb ich gegen besseres Wissen bei Naturwissenschaften und wandte mich der Grundlagenforschung zu, belegte Astrophysik an der University of Sheffield und hoffte, dort meinen Bachelor zu machen. Aber das Studium der Krater und Vulkane auf fremden Planeten wurde mir mit der Zeit einfach zu langweilig. Ich nutzte die Covid-19-Pandemie, um nach Frankreich zurückzukehren und das Studium abzubrechen. Seit nunmehr einem Jahr wohne ich bei meinen Eltern und halte mich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, aber wirklich unabhängig bin ich nicht. Wenn es nach meiner Mutter ginge, würde ich weiter studieren. Aber was?
Die Villa auf Vordermann zu bringen, ist meine Chance, allen zu zeigen, dass ich ein Projekt zu Ende führen kann. Im Augenblick ist Rimbaud offenbar der Einzige, der an mich glaubt. Und er hat recht: Ich habe noch kein einziges Mal sein Trockenfutter vergessen, und auch bei den Streicheleinheiten kommt er nicht zu kurz! Aber was die Villa angeht, werde ich es schaffen, jede Wette!
Energiegeladen und hoch motiviert mache ich mich daran, das Bad wieder im alten Glanz erstrahlen zu lassen. Ich schrubbe das Waschbecken und die Badewanne, kratze den Kalk von den Fliesen und den Armaturen und wienere die Wasserhähne blitzeblank. Ich knie mich sogar vor die Kloschüssel und desinfiziere sie. »Ihr haltet mich für eine Versagerin? Ich werde es euch schon zeigen«, presse ich zwischen den Zähnen hervor.
Mir steht der Schweiß auf der Stirn, ich sauge das Schlafzimmer und lüfte gründlich durch, dann räume ich meine Kleider in den großen dunklen Holzschrank. Die Vorhänge des Himmelbetts stecke ich in die Waschmaschine. Vorausschauend, wie ich bin, habe ich eine Decke und Bettwäsche mitgebracht, soll mir noch einer sagen, ich sei eine kopflose Chaotin. Als ich das Bett beziehe, klingelt es.
Besuch? Jetzt schon?
Da ich gerade das Laken glatt ziehe, dauert es eine Weile, bis ich reagiere. Es klingelt wieder, diesmal drängender.
»Ich komme!«, rufe ich.
Ich haste die Treppe hinunter. Im selben Augenblick stürmt Rimbaud mit einem gewaltigen Knochen zwischen den Zähnen nach oben. Ich versuche, ihm das Ding aus dem Maul zu reißen, aber er witscht mir durch die Beine.
»Komm zurück und lass das sofort los!« Meine Stimme klingt drohend.
Aber er verschwindet völlig unbeeindruckt im Schlafzimmer. Es klingelt erneut. Gut, um Rimbaud kümmere ich mich später, so kommt er mir nicht davon. Jetzt muss ich erst mal meinen Besuch empfangen.
»Nicht aufs Bett!«, knurre ich noch, bevor ich die Treppe nach unten eile und die Tür öffne. Vor mir stehen zwei Frauen.
»Guten Tag, wir haben ein Auto vor dem Haus gesehen«, sagt die Jüngere der beiden und lächelt.
»Und die Läden sind offen«, fügt die Ältere hinzu. »Sind Sie die neue Eigentümerin der Villa?«
Der traurige Blick der wässrig grünen Augen macht mich neugierig. Die silbergrauen Fäden in ihrem zu einem Knoten zusammengefassten Haar lassen mich vermuten, dass sie erheblich älter ist als meine Mutter. Und altmodischer, wenn ich mir ihren geblümten Rock, die weiße Bluse und die Mokassins mit den Troddeln anschaue. Ob die beiden vielleicht für eine Hilfsorganisation sammeln?
»Ja«, antworte ich vorsichtig, »das Haus gehört mir.«
»Willkommen in Foisic!«, sagt die Jüngere. »Ich bin Anne Drésin, die Bürgermeisterin. Aber alle hier nennen mich Anne.«
»Freut mich sehr, Anne«, antworte ich, ohne meinen Namen zu nennen.
Ich sehe sie aufmerksam an. Sie ist um die dreißig, schmal, blass und pustet sich ständig die blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht, die ihr postwendend wieder vor die Augen fallen. Sie trägt eine Jeans und ein T-Shirt mit der Aufschrift Bretonen sind nett, wenn man sie in Ruhe lässt. In der Hand hält sie eine Art Topf. Soll ich da etwa meinen Obolus reinwerfen? Ich bin verwirrt.
»Und das ist Sylvie Landrec, ihr gehört die Eisenwarenhandlung gegenüber der Post«, fährt sie fort. »Wir haben Ihnen ein kig ha farz zum Abendessen mitgebracht, Sie sind sicher beim Renovieren und haben keine Zeit, zu kochen.«
»Kiguafarsse?«
»Ein Eintopf«, erklärt Madame Landrec. »Er ist von gestern, wir haben ihn für den Altentreff gekocht.«
Endlich verstehe ich und werde rot wie eine Tomate. Warum bin ich nur so misstrauisch? Diese Frauen wollen mir gar nichts aufschwätzen! Ich habe sie völlig falsch eingeschätzt, sie meinen es gut mit mir. Ich und meine Vorurteile, wie peinlich.
»Ach so, Eintopf! Das ist wirklich sehr nett, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, kommen Sie doch rein«, ich öffne die Tür weit.
»Wir wollen nicht stören, Mademoiselle«, murmelt Madame Landrec wenig überzeugend.
»Nennen Sie mich bitte Jade.«
»Eine so nette Einladung können wir natürlich nicht ablehnen, Jade«, erwidert Anne, und ihr Lächeln wird breiter.
»Einen Tee oder lieber Kaffee?«, frage ich und lasse sie eintreten.
»Gerne Tee«, antworten sie unisono.
Ich führe meine Gäste ins Wohnzimmer, danach stelle ich den Eintopf mit dem unaussprechlichen Namen in den Kühlschrank. Sie bleiben schweigend sitzen, bis ich mit dem Tee zurückkomme. Ich stelle das Tablett auf einen Tisch, der aussieht wie die Schatzkiste eines Piraten, und setze mich in einen Sessel im Kolonialstil aus geflochtenem Leder.
»Wie nett, dass Sie mich besuchen kommen«, sage ich und gieße Tee ein. »Und dass Sie mir sogar etwas zu essen mitgebracht haben, damit habe ich wirklich nicht gerechnet.«
»Dafür müssen Sie sich nicht bedanken«, meint Anne, »das ist das Mindeste, um Sie willkommen zu heißen.«
»Zucker?«
»Nein, danke. Bei uns in Foisic wird Solidarität großgeschrieben.«
Sie greift nach der Tasse, die ich ihr hinhalte, und nimmt sich einen der Schokokekse, die ich auf einem Porzellanteller angerichtet habe.
»Was treibt eine so junge Frau wie Sie in ein gottverlassenes Nest in der Bretagne?«, fragt sie dann und pustet abwechselnd die Haarsträhnen aus dem Gesicht und auf den dampfenden heißen Tee.
Wir kennen uns nicht mal fünf Minuten, warum sollte ich mit der Tür ins Haus fallen und von meinen Plänen erzählen? Auf der anderen Seite, warum eigentlich nicht? Während ich Madame Landrec ihren Tee reiche, antworte ich: »Ich habe das Haus von meiner Großtante Aglaé Bissel geerbt. Vielleicht erinnern Sie sich nicht mehr an sie, sie ist vor über zwanzig Jahren weggezogen.«
»Ist sie … tot?«, fragt Madame Landrec, die mich weiterhin aufmerksam mustert.
Ihre Finger umklammern die Tasse. Hat sie die Nachricht so sehr getroffen? Ich nicke und schäme mich, dass mich der Tod meiner Verwandten ziemlich kaltlässt.
»Wie traurig«, seufzt Anne.
»Sie hat nicht gelitten, der Notar hat gesagt, dass sie friedlich eingeschlafen ist.«
»Ich habe sie nie kennengelernt, ich bin erst nach meiner Hochzeit nach Foisic gekommen, das war vor sechzehn Jahren. Ich bin eine ›Zugezogene‹, wie man hier sagt«, sie lacht nervös.
»Aber inzwischen bist du eine von uns. Immerhin hat eine Mehrheit bei den letzten Wahlen für dich gestimmt«, versichert die Ältere und tätschelt ihr die Schulter. Dann wendet sie den Blick wieder zu mir. »Ich kannte Ihre Großtante gut. Sie war meine Grundschullehrerin.«
»Es heißt, sie war sehr streng«, schaltet Anne sich vorsichtig ein.
»Das kann man wohl sagen …«
Ich höre beiden mit wachsendem Interesse zu und nippe dabei an meinem Tee. Meine Großtante war offenbar eine überaus engagierte Schulleiterin, der viele Kinder eine solide Bildung verdankt haben, selbst die hoffnungslosen Fälle haben von ihr profitiert. Sie war Foisics Einwohnern gegenüber eher reserviert, machte bei Ebbe lange Spaziergänge am Meer. Es war allgemein bekannt, dass sie wasserscheu war. Niemand hat sie jemals ein Bad im Meer nehmen sehen. Ihre wenigen Freunde sind inzwischen alle gestorben und haben auf dem hiesigen Friedhof ihre letzte Ruhe gefunden.
»Wie auch immer, sie hat Ihnen ein schönes Haus hinterlassen«, sagt Madame Landrec und sieht sich um. »Und in gutem Zustand.«
»Bis auf den Garten«, wende ich ein, »und das Holz der Außenfassade muss gestrichen werden. Außerdem hoffe ich, dass das Dach nicht beschädigt ist.«
»Im Ort findet sich bestimmt jemand, der Ihnen zur Hand geht«, meint Anne, die nach einem weiteren Keks greift. »Wir haben zwei Maler, einen Dachdecker, einen Klempner und einen Gärtner. Haben Sie keine Scheu, sie anzusprechen, man hilft Ihnen ganz sicher. Foisic ist ein angenehmer Ort zum Leben, sommers wie winters.«
»Ich danke Ihnen sehr, aber ich werde wohl nicht bleiben. Sobald das Haus renoviert ist, werde ich es verkaufen.«
»Eine gute Entscheidung!«, meint Madame Landrec, die immer noch die Tasse umklammert.
Ihre schroffe Bemerkung scheint die Bürgermeisterin nicht zu wundern, sie nickt nur. Ich gebe zu, dass ich gar nichts mehr verstehe. Eben noch haben mich die beiden herzlich, ja fast überschwänglich willkommen geheißen, gerade so, als würden sie am liebsten eine Straße nach mir benennen und mir einen Feiertag widmen. Und jetzt wollen sie mich so schnell wie möglich wieder loswerden? Eine eiskalte Dusche!
»Ähm, ja … ich würde gerne wissen … Warum findet man Foisic nicht auf der Landkarte?«, frage ich geradeheraus und gehe über die letzten Bemerkungen hinweg.
Die beiden schauen sich lange an, sie zögern mit der Antwort, die offensichtlich brisant ist.
»Das hängt mit dem Schatz zusammen …«, antwortet Anne schließlich und nimmt einen ersten Schluck Tee.
»Den es nicht gibt, es hat ihn nie gegeben«, unterbricht sie Madame Landrec.
»Früher wurden hier Tee, Alkohol, Tabak und Seidenstoffe über den Ärmelkanal geschmuggelt«, erklärt Anne ungerührt, den wütenden Blick ihrer Nachbarin ignoriert sie. »Haben Sie schon von den smoggleurs gehört, Jade?«
»Ähm, nein … oder vielleicht doch?«, stammele ich.
Ich möchte an dieser Stelle noch mal ins Gedächtnis rufen, dass ich über eine solide Bildung verfüge und sogar die Namen einiger Mondkrater auswendig kann: Aristarchus, Clavius, Janssen …
»So nannte man die englischen Schmuggler. Sie deckten sich in den Häfen Nordfrankreichs, wo die Steuern niedriger waren, mit Waren ein, die sie dann illegal in ihre Heimat brachten. Im achtzehnten Jahrhundert ließ sich damit ein Vermögen verdienen, das war die Blütezeit der Schmuggler. Es heißt, dass während der Regentschaft von König Ludwig XV. ein smoggleur in Foisic einen riesigen Schatz versteckt habe. Nach der Französischen Revolution sind Generationen von Abenteurern hier aufgetaucht und haben nach dem Schatz gesucht.«
»Du solltest ihr nicht solche Räuberpistolen erzählen«, schimpft Madame Landrec, die jetzt aufsteht. »Das hat schon genug Unheil angerichtet.«
»Reg dich nicht auf, Sylvie. Ich versuche nur, unserem Gast zu erklären, warum unser Ort nicht in den Landkarten auftaucht.«
»Wir wollen vermeiden, dass weitere Schatzsucher herkommen«, versucht Madame Landrec zu erklären. »Ich hoffe, Sie vergessen diesen Unsinn sofort wieder, ich zähle auf Sie, Jade.«
Sie ist totenbleich geworden, legt den Kopf schief, verzieht den Mund und flüstert: »Bis bald.« Dann verlässt sie den Raum.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll …«, murmele ich verwirrt, nachdem die Eingangstür wieder hinter ihr zugefallen ist. »Ich habe ja nicht geahnt, dass meine Frage zu einem solchen Gefühlsausbruch führen könnte.«
»Das ist ein heikles Thema«, sagt Anne und pustet sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Einige im Ort haben bei dieser sinnlosen Suche geliebte Menschen verloren. Erst im letzten Jahr sind Sylvies Sohn und ihre Schwiegertochter ertrunken.«
»Das ist ja schrecklich!«
»Sie haben in einer Grotte neben dem Felsen gesucht, die Polizei hat vermutet, dass die Flut sie überrascht hat. Hüten Sie sich vor der Flut, Jade, mit ihr ist nicht zu spaßen.«
»Ich werde es mir merken.«
Ich hatte zwar keine Reißzwecken in der Matratze, habe aber trotzdem schlecht geschlafen. Sollte ich nicht doch lieber meine Koffer packen und nach Paris zurückfahren? Vielleicht würde ich mir einiges ersparen.
Ich bin von Natur aus nicht leicht zu beeindrucken, mir macht selten etwas Angst. Monsterkakerlaken oder Blut lassen mich kalt, ich zucke nicht entsetzt zusammen und werde auch nicht ohnmächtig. Sogar eine total verstopfte Nase wirft mich nicht aus der Bahn.
In meiner Zeit in England habe ich mit fünf Studenten in einer WG zusammengelebt, auch sie alle Ausländer. Einer brachte nach den Weihnachtsferien aus China Covid-19 mit. Der Dekan der Universität zwang ihn zu einer vierzehntägigen Quarantäne … in unserer Wohnung. Im Gegensatz zu den anderen Mitbewohnern flüchtete ich nicht in ein Hotel oder schlüpfte bei Freunden unter, sondern blieb in meinem Zimmer. Leider verschonte mich das Coronavirus nicht. Nachts husteten der Chinese und ich uns die Seele aus dem Leib. Vom Fieber ans Bett gefesselt, hielten wir uns mit Schmerzmitteln und Vitamin C über Wasser, wir waren ganz auf uns allein gestellt. In der Rückschau war es leichtsinnig, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen, aber mein Umgang damit ist ein gutes Beispiel für meine Furchtlosigkeit.
In dieser Nacht waren es keine Hustenanfälle, die mich nicht zur Ruhe kommen ließen, sondern das laute Knarzen der Holzböden, gemischt mit dem grellen Pfeifen des Windes und dem schrillen Kreischen der Nachtvögel, das an das Klirren der Ketten von Gefangenen erinnerte … Dazu gesellte sich Rimbauds ängstliches Jaulen.
Man hätte die Villa für ein von Poltergeistern heimgesuchtes Spukhaus halten können. Zu allem Überfluss hatte ich noch einen Albtraum. Ich war von Schmugglern gefangen genommen worden, die mich in eine Grotte gesperrt hatten, die schwarzen Wellen der nahenden Flut schwappten immer höher und bedrohten mein Leben. Grauenvoll! Fast hätte ich alles wieder in den Koffer geschmissen und wäre Hals über Kopf abgehauen.
Ich wache sehr früh auf. Schweißgebadet, mein Magen ist wie zugeschnürt. Ob der Eintopf mit dem unaussprechlichen Namen etwas damit zu tun hat? Der mitgebrachte kig ha farz, daran werde ich mich nie gewöhnen, ist durchaus üppig gewesen, ich habe ordentlich zugelangt und mir sogar einen Nachschlag genommen. Auch Rimbaud hat sich darüber hergemacht. Den Markknochen allerdings bekam er nicht. Der Knochen, den er im Garten ausgegraben hatte, reicht mir schon. Nicht, dass er sich noch eine ganze Sammlung anlegt!