Raumpatrouille - Matthias Brandt - E-Book
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Raumpatrouille E-Book

Matthias Brandt

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Beschreibung

Streifzüge im Astronautenkostüm Dieses Buch ist eine herrliche Überraschung: Matthias Brandt zeigt mit seinem literarischen Debüt, dass er nicht nur ein herausragender Schauspieler, sondern auch ein bemerkenswerter Autor ist. Die Geschichten in Matthias Brandts erstem Buch sind literarische Reisen in einen Kosmos, den jeder kennt, der aber hier mit einem ganz besonderen Blick untersucht wird: der Kosmos der eigenen Kindheit. In diesem Fall einer Kindheit in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts in einer kleinen Stadt am Rhein, die damals Bundeshauptstadt war. Einer Kindheit, die bevölkert ist von einem manchmal bissigen Hund namens Gabor, von Herrn Vianden, mysteriösen Postboten, verschreckten Nonnen, kriegsbeschädigten Religionslehrern, einem netten Herrn Lübke von nebenan, bei dem es Kakao gibt und dem langsam die Worte ausgehen. Es gibt einen kauzigen Arbeitskollegen des Vaters, Herrn Wehner, einen Hausmeister und sogar einen Chauffeur, da der Vater gerade Bundeskanzler ist. Erzählt wird von komplizierten Fahrradausflügen, schwer bewachten Jahrmarktsbesuchen, monströsen Fußballniederlagen, skurrilen Arztbesuchen und von explodierenden und ebenso schnell wieder verlöschenden Leidenschaften wie z.B. dem Briefmarkensammeln. Nicht zuletzt lesen wir von gleichermaßen geheimnisumwobenen wie geliebten Eltern und einer Kindheit, zu der neben dem Abenteuer und der Hochstapelei auch Phantasie, Gefahr und Einsamkeit gehören. Ein Buch, das man nicht vergessen wird.

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Seitenzahl: 134

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Matthias Brandt

Raumpatrouille

Geschichten

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Matthias Brandt

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Motto

Alles anders

Kleiner Schritt noch

Unnatürliche Stille

Du und ich

Puppenkönig

Sport und Musik

Die anderen

Attaché

Kein Laut

Welthölzer

Blau, gelb und weiß

Langsam besser

Nirgendwo sonst

Was ist

Memory Boy

Inhaltsverzeichnis

Alles, was ich erzähle, ist erfunden.

Einiges davon habe ich erlebt.

Manches von dem, was ich erlebt habe, hat stattgefunden.

Inhaltsverzeichnis

Alles anders

Keiner da.

Das Haus hatte ich bereits von oben bis unten und von links nach rechts durchwandert und saß jetzt doch wieder stuhlkippelnd in meinem Zimmer. Ich schmiss mich aufs Bett, um gleich im nächsten Moment wieder aufzuspringen und im Schrank nach meiner Jaguarmatic-Spielzeugpistole zu suchen, die ich seit Tagen vermisste, weil hier schon wieder aufgeräumt worden war. Träge, triefende Langeweile.

In der Küche hatte ich mir einige der Hundekuchen, an denen ich so gerne knabberte, weil sie nach Pappkarton schmeckten, in die Taschen meiner Cordhose gesteckt.

War jemand in der Nähe, musste ich vorsichtig sein, dass die Schachtel nicht zu laut rappelte, wenn ich sie aus dem Schrank nahm. Eigentlich war mir das nämlich verboten, seit meine Mutter mich dabei beobachtet hatte, wie ich Gabors Delikatessen verdrückte.

Es lief jetzt also wieder darauf hinaus, dass ich hier den Nachmittag über die Zeit würde totschlagen müssen, bis im Fernsehen »Percy Stuart« kam. War das Regen oder Schnee, überlegte ich, während ich, am Hundekeks nagend, aus dem Fenster in den Park vor dem großen weißen Haus schaute, in dem wir seit einigen Jahren lebten.

Schließlich fand ich die Jaguarmatic, nicht aber die Munitionsstreifen aus rotem Plastik, die es nur beim Puppenkönig unten in der Stadt zu kaufen gab. Ich nahm eine Amsel ins Visier, die in der Birke saß, drückte aber nicht ab. Dann die Plastikfigur auf der Fensterbank. Fest kniff ich das linke Auge zu und versuchte Kimme, Korn und den Kopf von Juanito, dem Maskottchen der letzten Fußballweltmeisterschaft in Mexiko, in eine Sichtachse zu bringen. »Pch!«

Ich zog meinen Anorak und die Gummistiefel an und rief nach Gabor, der sich auf seinem Platz im Wohnzimmer zuerst taub stellte, sich aber, nachdem ich insistierte, schüttelnd aufrappelte und zu mir auf den Weg machte. Die Hundemarke klimperte an seinem Halsband. Draußen gingen wir ums Haus herum, mein Fahrrad holen. Gabor knurrte im Vorbeigehen den vor dem Haus postierten Uniformierten an. Als ich seine umgehängte Maschinenpistole sah, ärgerte ich mich, dass ich die Jaguarmatic auf dem Tisch hatte liegen lassen.

Seit einiger Zeit patrouillierten Wachleute auf unserem Grundstück, man hatte ihnen sogar hinten beim Gemüsegarten, wo es in den Wald ging, eine Baracke gebaut, in der sie wohnten. Ich hatte mich über die Stockbetten in den Stuben gewundert, als ich einmal hineingegangen war. Wie in unseren Zimmern im Schullandheim in der Eifel sah es dort aus.

Einer der Bewacher hatte mir vor Kurzem, als er sich von Gabor bedroht fühlte, zugezischt, er würde den Hund abknallen, wenn dieser ihn tatsächlich angriffe. Dabei hatte er die zu Boden gerichtete umgehängte Waffe angehoben und damit in unsere Richtung gedeutet. Ich hatte Gabor an seiner dicken weißen Mähne gepackt und das Weite gesucht.

Aus der Garage holte ich mein blaues Bonanzarad, um damit durch den Park zu streifen. In den letzten Sommerferien hatte ich täglich stundenlang geübt und konnte jetzt mühelos mit nach oben eingerollter Zunge »Mamy Blue«, mit dem Ricky Shayne letzten Samstag in der ZDF-Hitparade aufgetreten war, pfeifen. Ich drehte eine Runde um die Rhododendroninsel in der Mitte des Hofs. Gabor lief mit, hatte dann aber Besseres zu tun und verschwand in Richtung Wiese. Am Ende der Einfahrt befand sich das metallene elektrische Rolltor mit den Zacken obendrauf, welches von außen nur durch den Polizeibeamten im Wachhäuschen, wenn man hinauswollte aber durch einen schwarzen Druckschalter an dessen rechtem Rand zu öffnen war. Dort stand ich und versuchte zu erkennen, welcher der Bewacher heute Dienst hatte, um ihm eventuell einen Besuch abzustatten, doch das Seitenfenster des Häuschens war beschlagen. Wenn ich das Tor öffnete, würde der Bewacher natürlich nachschauen, aber das war mit dem Risiko verbunden, dass es sich um jemanden handelte, den ich nicht leiden konnte. Und wenn der dann aufstand und herauskam, müsste ich ihm erklären, wohin ich wollte. Zumindest jedoch, warum ich den Öffner betätigt hatte. Seit einiger Zeit hatte ich anzumelden, wenn ich am Nachmittag das Grundstück verlassen wollte, um beispielsweise einen Freund zu besuchen, ich wurde dann geschützt dorthin gebracht. Es gab Möglichkeiten und Wege, dies zu umgehen, aber die führten nicht durch den Vorderausgang.

Schließlich, weil mir jede Komplikation, auch die einer unerwünschten Begegnung mit dem Wachhabenden, lieber war, als weiter herumzulungern, ließ ich es drauf ankommen, drückte den Öffner, und das Tor rollte ächzend zur Seite. Im Häuschen bewegte sich ein Schemen, dann hörte ich die auf der mir abgewandten Seite liegende Tür aufgehen, und Bernd Stöckl schaute um die Ecke. Glück gehabt.

»Ah, der Chef himself«, begrüßte er mich, als ich auf ihn zufuhr, was auch deswegen lustig war, weil er und seine Kollegen eigentlich meinen Vater so nannten, zumindest öffentlich. Waren sie unter sich oder hatten sie vergessen, dass ich dabei war, sprachen sie vom Alten.

»Alles klar?«, sagte ich.

»Alles roger. Kommst du mich besuchen?«

Wie ein Oberkellner wies er mit beiden Händen in Richtung Tür. Darauf hatte ich gehofft. Seltsamerweise stand er in Mantel und Schal da, obwohl er doch drinnen gesessen hatte und eigentlich noch nicht Zeit für den Schichtwechsel war. Ich lehnte mein Rad gegen die Lindenhecke, die die Einfahrt auf einer Seite säumte, stieg ihm voran die drei Stufen hoch und betrat das Kabuff, in dem er seine Schicht absaß. Auch das war ein eilig gezimmerter Bau, aber da bekanntlich nichts so lange hält wie ein anständig gemachtes Provisorium, war der Plan, ihn durch etwas Solideres zu ersetzen, irgendwann in Vergessenheit geraten.

Herr Stöckl und seine Kollegen begleiteten uns, wenn wir das Grundstück verließen. Worin genau die Bedrohung bestand, ahnte ich mehr, als dass ich es verstand. Ich mochte diese Männer und ihre Welt gern, vor allem aber machte es Spaß, ihnen zu entwischen. Während ich dann feixend in einem Gebüsch abseits des Weges im Wald saß, in dem ich mich viel besser auskannte als sie, hörte ich sie fluchend vorbeieilen. Normalerweise war Bernd Stöckl meinem Vater zugeteilt und mit ihm in der Welt unterwegs, aber die Wachschichten vor unserem Haus gehörten zwischendurch eben auch zu seiner Tätigkeit. Gegebenenfalls hätte er, deswegen saß er hier, Eindringlinge mit Waffengewalt von ihrem Vorhaben abhalten können.

»Hast du den Hunke gesehen?«, fragte er mich.

»Nö.«

»Der soll die dämliche Sicherung wieder reinmachen. Behalt mal lieber deine Jacke an«, sagte er. Ich setzte mich auf den Stuhl, der der Eingangstür gegenüberstand, streifte die feuchte Kapuze vom Kopf und rieb mir die nassen Hände.

»Wollte mir Kaffee kochen und hab’s schon wieder vergessen.«

Mehrmals zuvor war bei gleichzeitigem Betrieb von Tauchsieder und elektrischer Heizung die Sicherung herausgesprungen, und Stöckl hatte, weil er seinen Posten nicht verlassen durfte, jedes Mal den Hausmeister Herrn Hunke anrufen müssen. Das Häuschen war dann ausgekühlt, und der Wachmann hatte, wie jetzt, in alle seine Sachen gepackt dort herumgesessen, bevor Hunke sich endlich in den Keller des Haupthauses bequemt hatte, um die Sache in Ordnung zu bringen.

Am Fenster, von dem aus er die Einfahrt im Blick hatte, stand ein klobiger, wahrscheinlich in einer Dienststelle ausgemusterter Bürotisch mit Rollläden an beiden Seiten. Rechts war das zweite Schubfach von oben herausgezogen, und ich erkannte einen Stapel Rätselhefte, eines davon, mit dem Stöckl gerade beschäftigt gewesen war, lag zusammen mit einem Wüstenrotkuli und einer Brille mit verschmierten Gläsern auf dem Schreibtisch. In der Schublade darunter war manchmal die Pistole des jeweils Wachhabenden deponiert, wenn es diesem zu unbequem war, während der Schichten das Holster zu tragen. Ich versuchte, einen Blick zu erhaschen, sah aber nichts.

Auf einmal knackste es, und die Schreibtischlampe und das Radio gingen wieder an, ein altes Röhrenmodell, das immer eine Weile brauchte, um warm zu werden. Ich mochte an ihm besonders das magische Auge, das leuchtend grün die Signalstärke anzeigte, und die rätselhaften Sendernamen auf der Skala: Hilversum, Beromünster. Im Radio wurde geredet, und weil Bernd Stöckl von meinen früheren Besuchen her wusste, dass ich das nicht mochte, ging er hinüber und schaltete aus.

»Momento, Señor«, sagte er und zog aus der Aktentasche, die neben seinem Stuhl stand und aus dem gleichen genarbten Schweinsleder war wie mein Schulranzen, den neuen Kassettenrekorder, von dem er mir beim letzten Mal erzählt hatte. Es war ein Gerät der Marke Saba, grau und silbern, er reichte es mir herüber, damit ich die Musikkassette einlegen konnte. »James Last: Non Stop Dancing« stand auf der kleinen Plastikschachtel. Immer noch kaum zu glauben, dass hier so viel Musik drauf sein sollte wie auf einer Langspielplatte, auf die bespielbaren passte sogar noch mehr. Ich betätigte den kleinen grauen Knopf, und die Klappe öffnete sich. Nachdem ich die Kassette eingelegt hatte, drückte ich auf diejenige der großen Tasten, über der nur ein nach rechts zeigender Pfeil war, und die Mechanik des Gerätes setzte sich in Gang. Zuerst hörte man Partygeräusche, Stimmengemurmel und etwas Applaus, dann setzte hüpfend das Saxofon ein, sofort wurde rhythmisch geklatscht, schließlich kujehnten sich Bass und Trompeten dazu. Dann Mitsingen und »Aaah, Oooh«, Laute begeisterten Wiedererkennens.

»Diiiii-japapapa-padap-papadap-papaaa«, brummte Bernd Stöckl und schnippte mit der rechten Hand den Takt. Wie ich dem Cover entnahm, hieß das Stück »Puppet on a String«.

Er hatte den Regler des Radiators wieder auf die höchste Stufe gedreht, schnell wurde es in dem kleinen Raum warm, wir zogen Anorak und Mantel aus und hängten sie auf, er am Haken, ich über der Stuhllehne.

»Kaffee trinkst du noch nicht«, sagte er, stöpselte den Stecker des Tauchsieders ein und den der Heizung aus, erwärmte das Wasser in dem kleinen, innen ganz kalkigen Kochtopf, tauschte die Stecker schnell wieder zurück, nahm den noch feuchten Löffel vom Spültuch und tat Nescafé in die Tasse.

»Open the milk, please, Señor.« Er gab mir den der Form einer Gitarre nachempfundenen Flaschenöffner mit dem auf der Rückseite angebrachten Dorn. Ich stach damit zwei Löcher in den Rand der Bärenmarkedose, gab sie ihm zurück und leckte mir die Kondensmilch vom Finger.

»Would you like a tea-sausage bread?«

Ich gluckste, wusste aber nicht, was er meinte. Er öffnete die zerbeulte Aluminiumbrotdose auf seinem Tisch und holte eine der aufeinandergelegten, mittig durchgeschnittenen und mit Margarine und Teewurst bestrichenen Brothälften heraus, gab sie mir und nahm sich selbst die andere.

»Danke, Señor«, sagte ich und biss in das weiche Mischbrot. Während Herr Stöckl kaute, schnaufte er durch die Nase, und sein Kiefergelenk knackte. Das Orchester James Last war in seinem Endlosmedley gerade bei »Blue Spanish Eyes« angekommen, zur nicht nachlassenden Begeisterung seines Studiopublikums. Auch Stöckl summte mit, »Mmm-mm-mm-mmm«.

»Bei Köln hat am Samstag einer mitgespielt, der Karlheinz Hähnchen heißt«, sagte ich. Er grinste und runzelte gleichzeitig die Stirn.

»Aber nur die letzten drei Minuten.«

»Na ja, vielleicht deswegen«, sagte Stöckl, der inzwischen aufgegessen hatte. Mit dem Nagel des linken kleinen Fingers pulte er sich einen Brotkrümel aus dem Mundwinkel und schnipste ihn weg. Dann schaute er auf seine Timexuhr.

»Drei Stunden noch. Dann hasta la vista.«

Herr Stöckl gähnte und streckte sich. Mir schmeckte das Teewurstbrot doch nicht so gut, wie ich zuerst gedacht hatte, und ich überlegte, wie ich es loswerden konnte.

»Keramikstudio«, schon während er sich hochrappelte, begann er sein Sakko auszuziehen. Er ging in den Toilettenverschlag, und ich saß jetzt alleine hier, aus dem Rekorder kam »Butterfly«, und ich stellte am Rädchen etwas lauter, um die Klogeräusche zu übertönen. Das Brot ließ ich in der Seitentasche des Anoraks verschwinden, um es nachher Gabor zu geben.

»Bleibst du noch kurz hier? Ich müsste mal zum Auto. Steht gleich drüben«, sagte er, als er händewedelnd herauskam, und zeigte in Richtung Blömerweg.

Er griff sich sein Schlüsselbund vom Tisch und ging hinaus. Durchs Fenster beobachtete ich, wie er die Straße überquerte, irgendwo dort hinten stand sein roter Ascona mit dem schwarzen Kunststoffdach.

Auf dem Tisch lag neben dem Rätselheft die Zeitung mit dem aufgeschlagenen Sportteil, ich stand auf, um sie mir zu nehmen, und plötzlich war die Versuchung so groß, dass ich sie nicht mehr abwehren konnte, und ich öffnete vorsichtig die verbotene Schublade. Vor mir lag die Pistole in dem glänzend schwarzen Lederholster, die ich mir schon oft hatte ansehen, aber nie anfassen dürfen. Ich schaute aus dem Fenster, ob Stöckl schon auf dem Rückweg war, sah aber, dass der Kofferraumdeckel des Opels offen stand und er dahinter beschäftigt war. Mit dem Zeigefinger strich ich über den geriffelten braunen Griff zum Druckknopf hin, der den Halteriemen befestigte. Er klackte auf, und ich zog die Pistole langsam heraus, während ich mit der anderen Hand das Holster festhielt. Geruch von Leder und Feinmechaniköl. Und plötzlich wusste ich, dass, wenn ich diesen Augenblick nicht nutzte, die Gelegenheit vielleicht nie wiederkäme. Schnell nahm ich die Waffe hoch, verblüfft wegen ihres Gewichts. Ich drehte sie langsam, las den wellenförmig geschwungenen Schriftzug auf dem Griff und sah über diesem einen roten Punkt. Stöckl hatte mir erklärt, was dieser bedeutete, aber ich konnte mich nicht mehr erinnern, ob das hieß, dass die Waffe gesichert war oder eben nicht. Herr Stöckl stand immer noch am Wagen, und so nahm ich, wie ich es vorhin bei mir mit der Jaguarmatic getan hatte, verschiedene Gegenstände im Raum ins Visier. Den Kochtopf mit dem Bakelitgriff an der Seite, dann das magische Auge des Radios. Weil die Pistole so schwer war, dass ich sie mit ausgestrecktem Arm nur kurz halten konnte, nahm ich die andere Hand zu Hilfe und stützte den rechten Unterarm. »Papapapapapapa!«, flüsterte ich. Immer wieder schaute ich aus dem Fenster und sah jetzt, dass Bernd Stöckl sich mit einer Plastiktüte in der Hand auf dem Rückweg befand. Ich merkte, dass mir zu wenig Zeit blieb, die Waffe wieder zurückzulegen, schnell setzte ich mich auf meinen Stuhl und richtete die Pistole auf die Tür. So wollte ich Stöckl empfangen und ihm einen kleinen Schreck einjagen. Was er wohl für ein Gesicht machen würde, wenn er hereinkäme? Bestimmt würde er den Scherz gleich verstehen, und wir würden uns gemeinsam kaputtlachen. In Erwartung, dass die Tür sich jeden Moment öffnete, hielt ich die Waffe weiter darauf gerichtet, legte den Finger an den Abzug, spürte den Widerstand. Es lief »Guantanamera«.

Und plötzlich, ohne dass ich wusste, woher, war da wieder dieser mich durchwogende Jähzorn, und ich dachte: Was, wenn ich wirklich schoss? Und Bernd Stöckl dann rückwärts die Treppe hinunterstürzte, so wie der Farmer in »Rauchende Colts«, welcher arglos den Drugstore, der gerade überfallen wurde, betreten hatte. Er würde seine blutige Hand vom Einschuss am Bauch nehmen, zuerst sie und dann mich anschauen, als ob er fragte, warum?

Und danach, das wusste ich in dieser Sekunde, würde alles anders sein.

»Ja, mein Gott, ’zefix«, hörte ich von draußen, ich starrte auf die Klinke, die sich jeden Moment bewegen würde, aber nichts geschah. Vorsichtig ließ ich die Pistole sinken, stand auf, schaute raus und sah Stöckl, der offenbar etwas vergessen hatte, wieder auf dem Weg zum Auto. Sofort sprang ich zum Schreibtisch, friemelte die