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Reflexe ist eine Erzählung von Rainer Maria Rilke. Auszug: Bald nach der französischen Revolution erschien plötzlich die Herzogin von Villerose in Böhmen. Man erzählte, der Herzog von Friedland habe ihr eines seiner Schlösser angeboten. Und wirklich fuhren bald darauf drei große Reisewagen in Demin ein. Mehr Gefolge hatte ja niemand in dieser zitternden Zeit. Aber es blieb trotzdem nicht einsam im Schlosse. Es ergab sich ganz unerwarteter Weise, daß eine Menge Adel in dieser Gegend lebte, Emigranten und andere. Besonders viele Polen fanden sich ein. Die ersten Empfänge der Herzogin brachten allerdings einige Verlegenheit mit sich. Unter dem hohen strahlenden Portal, vor welchem Wagen um Wagen vorfuhr, fanden sich Männer, welche einander erstaunt und fragend anblickten, mit dunklen Erinnerungen in den Augen, und Frauen, die einander mit ironischem Lächeln begrüßten. Sehr laut und sehr schnell wurden dann die Namen genannt: die Gräfin Polonska, die Frau Fürstin von Liegnitz und viele glänzendere. Manche besannen sich erst im Vorsaal, während sie die Handschuhe zuknöpften, ihres Namens und Ranges.
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Seitenzahl: 15
Veröffentlichungsjahr: 2022
Bald nach der französischen Revolution erschien plötzlich die Herzogin von Villerose in Böhmen. Man erzählte, der Herzog von Friedland habe ihr eines seiner Schlösser angeboten. Und wirklich fuhren bald darauf drei große Reisewagen in Demin ein. Mehr Gefolge hatte ja niemand in dieser zitternden Zeit. Aber es blieb trotzdem nicht einsam im Schlosse. Es ergab sich ganz unerwarteter Weise, daß eine Menge Adel in dieser Gegend lebte, Emigranten und andere. Besonders viele Polen fanden sich ein.
Die ersten Empfänge der Herzogin brachten allerdings einige Verlegenheit mit sich. Unter dem hohen strahlenden Portal, vor welchem Wagen um Wagen vorfuhr, fanden sich Männer, welche einander erstaunt und fragend anblickten, mit dunklen Erinnerungen in den Augen, und Frauen, die einander mit ironischem Lächeln begrüßten. Sehr laut und sehr schnell wurden dann die Namen genannt: die Gräfin Polonska, die Frau Fürstin von Liegnitz und viele glänzendere. Manche besannen sich erst im Vorsaal, während sie die Handschuhe zuknöpften, ihres Namens und Ranges.
Aber die Herzogin von Villerose, in ihrer natürlichen Art, verstand allen diesen kleinen Verlegenheiten zu begegnen. Wen sie empfing, wer ihre feine, kühle Hand mit den Lippen nur eben beschatten durfte, der war, was er schien. Und die Herzogin merkte sich alle die vielen seltsamen Namen und gebrauchte sie mit soviel Laune und Leichtigkeit, wie Perlen, welche man in die Luft wirft: und alle Anwesenden lernten auffangen.
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