Reise hinter die Finsternis - Carlo Zumstein - E-Book

Reise hinter die Finsternis E-Book

Carlo Zumstein

4,3
7,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Heyne
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2011
Beschreibung

Mit schamanischen Techniken aus der Depression zu neuer Lebenskraft

Ein vollkommen neuer Ansatz in der Bewältigung von Depressionen: Schamanische Techniken führen auf eine innere Reise hinter das Dunkle – in unsere ureigene spirituelle Kraft. Eine machtvolle Energie, die seelische Blockaden löst und verlorengegangene Lebenskraft wieder aktiviert. Berührende Erfahrungsberichte zeigen, wie dieser Weg beschritten wird und welche spirituellen Helfer dem Reisenden beistehen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 295

Bewertungen
4,3 (18 Bewertungen)
10
3
5
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Autor

Carlo Zumstein, geboren 1948, studierte Psychologie an der Universität Zürich, wo er auch promovierte. Nach einer Weiterbildung zum Psychotherapeuten war er mehrere Jahre in einer psychiatrischen Klinik als Leiter der Suchtbehandlungsstation tätig. Seit 1984 arbeitet er als Psychotherapeut mit eigener Praxis und wendet schamanische Heilrituale bei der Behandlung seelischer und körperlicher Leiden an. 2004 gründete er in der Schweiz die Foundation for Living Shamanism und Spirituality (FLSS), die sich für lebendigen, modernen Schamanismus einsetzt. Carlo Zumstein lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im Züricher Oberland.

Meinen Ahnen, Anaru, allen depressiven Menschen, dem Eisbär, Eliane, den Erlen, der Erde, dem Feuer, meinen Geist-Lehrern und Lehrerinnen, Horus, der Luft, Manuel, Michael Harner, Monika, Nikolaus von der Flüh, Paul und Roswitha Uccusic, allen Schamanen, Sandra Ingerman, dem Wasser und dem Wolf.

Das vorliegende Buch ist sorgfältig erarbeitet worden. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gemachten praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.

Inhaltsverzeichnis

WidmungI - Auf der Suche nach LebenskraftII - In der FinsternisIII - Schamanismus – Rückkehr des ArchaischenIV - Der Weg durch die FinsternisV - SpiegelungenVI - Das Licht hinter der FinsternisAnhangAdressenCopyright

Was nach Vernunft lebt, lebt gegen den Geist.

Paracelsus

Alles Sichtbare haftet am Unsichtbaren, das Hörbare am Unhörbaren, das Fühlbare am Unfühlbaren: Vielleicht das Denkbare am Undenkbaren. Novalis

I

Auf der Suche nach Lebenskraft

1. Zwischen Psychotherapie und Psychiatrie

Der dritte Weg

»Ich will endlich wissen, was hinter dem Leben steckt. Kann ich dies in Ihren Seminaren herausfinden?«

Olivia rief aus der Telefonzelle einer psychiatrischen Klinik an. Sie verlangte unser Seminarprogramm.

»Ich habe eben meinen dritten Suizidversuch hinter mir. Es war wieder einmal so weit, dass ich keinen anderen Ausweg mehr fand. Jetzt will ich endlich wissen: Ist da noch etwas hinter dem Leben, das ich hier führe?«

Sie war ruhig. Ich hörte Olivia atmen.

»Ich fühle mich einfach, wie wenn ich nur auf einer dünnen Oberfläche leben würde.« Olivia unterbrach sich wieder, erzählte dann, sie sei 23, habe ihr Studium abgebrochen, obwohl ihre Eltern dagegen seien. Sie könne so nicht mehr weitermachen: »Ich will leben, verstehen Sie! In meinem Alltag funktioniert alles. Aber es ist alles so oberflächlich.«

Olivia schien wieder nach Worten zu suchen, erzählte von ihrer Mutter, deren größte Sorge die Meinung der anderen Leute sei. Das habe sie nicht mehr ausgehalten und sei in eine eigene Wohnung gezogen.

Schließlich fragte sie: »Kann man mit Schamanismus mehr Lebenstiefe finden? Ich bin bei einem Psychotherapeuten in Behandlung und fühle mich eigentlich verstanden. Aber wir kommen nicht weiter. Ich muss selbst einen Weg zu meinen Wurzeln finden.« Unser Gespräch endete abrupt. Olivia wurde von einer Pflegerin zur Medikamenten-Einnahme gerufen.

Ich selbst arbeite seit 15 Jahren als Psychotherapeut mit einem Psychiaterkollegen in einer Gemeinschafts-Praxis in Bülach, einer Kleinstadt nördlich von Zürich. Durch einen vom Schweizer Fernsehen ausgestrahlten Dokumentarfilm ist bekannt geworden, dass ich seit vier Jahren schamanische Heilrituale durchführe. Seither erreichen mich täglich solche Anrufe wie dieser von Olivia. Oft suchen auch Menschen mit körperlichen Leiden schamanische Hilfe. Immer wieder rufen Psychotherapeuten an, um einen ihrer Klienten oder sich selbst für ein Heilritual anzumelden.

Ich bin froh, dass auch viele zu mir kommen, die ausschließlich psychotherapeutische Hilfe wollen. Obwohl Schamanismus mein Leben immer mehr bestimmt, arbeite ich gerne als Psychotherapeut. Für mich sind Psychologie, Medizin und spirituelle Heilmethoden, in die man Schamanismus einordnen kann, gleichwertig. Olivia beklagt sich zwar, dass sie mit Psychotherapie nicht weiterkomme, aber jede dieser drei Heiltraditionen nähert sich aus einer eigenen Perspektive dem Leiden und bietet dem Menschen wertvolle Hilfe zur Heilung an.

Ich werde oft gefragt, ob ich Psychologie und Schamanismus miteinander verbinde. Diese sogenannte Methoden-Integration und ganzheitliche Therapie sind zurzeit sehr populär. Ich halte allerdings eine gute gegenseitige Abgrenzung für die beste Integration. Mein Herz soll sich weiterhin ausschließlich mit dem Blutkreislauf beschäftigen und meine Lungen mit dem Sauerstoffaustausch, gemeinsam sollen sie meinen ganzen Körper mit sauerstoffreichem Blut versorgen.

Was ist eigentlich Schamanismus? Kann er Olivia zu ihren Wurzeln führen, ihr den Zugang zur Lebenstiefe öffnen?

Schamanismus ist die älteste Praxis des Heilens. Ethnologen sagen, dass sich die Spuren des Schamanismus 30 bis 40 000 Jahre zurückverfolgen lassen. Seit jener Zeit unternehmen besondere Menschen Bewusstseins- und Seelenreisen in unsichtbare Wirklichkeiten, wo sie sich mit den Wesenkräften der Pflanzen, Tiere und Elemente, aber auch ihrer Ahnen verbünden. Sie verleihen den Schamanen Heil- und Lebenskraft. Schamanenkraft, die sie den kranken Mitmenschen ihrer Gemeinschaft übergeben.

Schamanen heilen mit spiritueller Kraft. Die Psychologen versuchen, die psychischen Kräfte des Menschen zu beeinflussen. Die Medizin nutzt die biologischen Lebenskräfte.

Professor Michael Harner, amerikanischer Anthropologe, hat während seiner Erforschung des Schamanismus herausgefunden, dass die schamanische Reise eine der Zeit und Raum überdauernden Kerntechniken des Schamanismus ist. Noch heute unternehmen die Schamaninnen und Schamanen überall auf der Welt Reisen zu ihren spirituellen Verbündeten in die sogenannte Nichtalltägliche Wirklichkeit.

Während seiner Reise erlebt sich der Schamane verbunden mit allem, was ist, mit dem Baum, dem Tier, den Elementen. Eigentlich ist es seine Seele, die sich mit den Seelenkräften anderer Wesen verbindet und die mit ihnen kommunizieren kann. Für die Schamanen lebt das ganze Universum und ist beseelt.

Vielleicht lebten alle Menschen vor der Zivilisation in einer solch paradiesischen Harmonie mit der Welt. Noch heute scheinen wir alle in frühester Kindheit eine solche Phase zu durchlaufen. Darum lebt in uns allen seit Menschengedenken eine Sehnsucht nach jener ursprünglichen Harmonie.

Diese Sehnsucht nach Verbundenheit mit der Alleinheit steckt wahrscheinlich auch hinter Olivias Suche nach Lebenstiefe, nach ihren Wurzeln. Heute sind immer mehr Menschen auf der Suche. Aber wir können nicht einfach in einen archaischen oder frühkindlichen Traumzustand von unbewusster Aufgehobenheit zurückfallen. Unser hoch entwickeltes waches Selbstbewusstsein hindert uns daran. Außerdem haben wir durch die Egozentriertheit in uns selbst den Zugang zu den anderen Wesen der Welt verloren. Die Erde, die Pflanzen, die Tiere scheinen bloß noch seelenlose Gebrauchsgegenstände unserer Selbstverwirklichung zu sein. Plötzlich fühlen wir uns einsam auf dieser Erde. Doch es gibt kein Zurück. Wir können nur nach Wegen suchen, unser Selbstbewusstsein zu transzendieren, über uns hinaus wieder ins Ganze hinein zu öffnen.

Schamanismus ist ein solcher Weg der Bewusstseinsveränderung: ein während vieler Jahrtausende von Frauen und Männern überall auf der Welt praktizierter Weg der Überwindung der Isolierung des Menschen in sich selbst. Viele, die heute beim Schamanismus Zuflucht suchen, wollen zum Leben früherer Zeiten zurückkehren. Daher versuchen sie wie die alten Indianer zu leben oder suchen Anschluss bei den Aborigines im australischen Busch. Ich glaube, die alten Schamanen strebten eher ein Leben außerhalb von Raum und Zeit an. Darin waren und sind sie revolutionär.

Nur der Zusammenbruch des alten Ich öffnet die Tore für ein neues Bewusstsein. Das Alte muss sterben, damit das Neue leben kann. Das ist der ewige Kreislauf des Seins. Die Überwindung des eigenen Ichs kommt einem Durchgang durch Tod und Wiedergeburt gleich. Immer schon war eine schwere Krankheit oder ein Nahtoderlebnis der Durchbruch schamanischer Fähigkeiten, die Initiation, die Einweihung in höheres Wissen. Daher wird oft von Initiationskrankheit gesprochen.

Sind Olivias Depressionen und Selbstmordversuche solche Initiationskrankheiten? Das hängt von Olivia, ihren Angehörigen und ihren Therapeuten ab. Jede Krankheit hat zwar ihre Eigengesetzlichkeit. Doch wir greifen immer in ihren Verlauf ein. Krankheit kann als Defekt oder als eine Art Erneuerung, eine Renovation, verstanden werden. Ein Defekt soll so schnell wie möglich behoben und der alte Zustand wiederhergestellt werden. Und die Renovation? Würde es sich um eine Hausrenovierung handeln, hätten wir zuvor Pläne erstellt. Die eigene Erneuerung, Wandlung aber kommt unerwartet und folgt einem inneren, verborgenen Plan, ruft Unsicherheit und Angst hervor: Habe ich die Kraft, sie durchzustehen, und wer bin ich danach?

Depression gilt bei manchen Experten als schweres, oft chronisch verlaufendes, lebenslanges Leiden. In manchen Büchern wird Depression als Geißel des Volkes, als schwarzes Ungeheuer verschrien, dem nur mit »scharfem Geschütz« beizukommen sei. Depression ein bleibender Defekt: nichts von Wandlung!

In der Regel äußern meine Klienten den Wunsch, wieder so zu sein wie früher: »Ich will wieder der Alte sein!«

Wäre Olivia bei mir in Psychotherapie, hätten wir nach Ursachen ihres Leidens in der Lebensgeschichte, der psychischen Konstitution und der aktuellen Lebenssituation als junge Studentin gesucht. In regelmäßigen Gesprächen würden wir versuchen, alte seelische Belastungen zu verarbeiten und neue Lebensstrategien zu entwickeln. In akuten Depressionsphasen würde sie über meinen Psychiaterkollegen auf dem Hintergrund des biomedizinischen Depressions-Verständnisses zusätzlich Medikamente bekommen, Antidepressiva zur Akut-Behandlung und eventuell Lithium als Langzeit-Prophylaxe.

Ich selbst habe mit zehn Jahren meine erste Depression erlebt. Die Eltern hatten sich nach jahrelangem Streit endlich getrennt. Plötzlich wusste ich während eines Fußballspiels nicht mehr, was der Ball vor meinen Füßen sollte. In der Schule saß ich völlig blockiert vor dem leeren Blatt. Eine Kraft schien mich aus dem Leben zu ziehen, in einen düsteren Zwischenraum, wo Eltern, Geschwister und Freunde unerreichbar waren, wo alles fremd und sinnlos schien und ich selbst erstarrt war.

Damals hat jener Weg begonnen, der heute zur Überzeugung geführt hat, dass auch die Depression wie jede Krankheit ihr eigener Selbstheilungsversuch ist.

Depression ist nicht nur eine psychische und körperliche Fehlfunktion, sondern ein Leiden an der Unfähigkeit der Wandlung. Es ist bekannt, dass wir auf alle Veränderungen im Leben depressiv reagieren, auf Trennung, Verlust, Wechsel von Arbeit und Wohnort, aber auch auf Persönlichkeitswandlungen wie Pubertät und Wechseljahre, dem Klimakterium.

Aber es gibt noch andere Wandlungen, Wesensverwandlungen, Transformationen, Initiationen, wie z. B. der Durchbruch von spirituellen Fähigkeiten, die uns für neue Seiten des Daseins und der Welt des Seins überhaupt öffnen. In diesem Sinne ist Depression die verkannte und verweigerte Initiation, weil so etwas in unserer Zivilisation schlicht unbekannt ist. Dabei sind alle Menschen zur spirituellen Öffnung fähig.

Depression ist aber auch der Verlust und die Suche nach Lebenskraft. Auf dem Lebensweg vieler depressiver Menschen gibt es Traumata, die ihnen viel Seelenkraft geraubt haben. Es scheint widersinnig, dass die Seele diese Kraft in der Dunkelheit einer Depression sucht. Doch wir Menschen schöpfen unsere Lebenskraft aus zwei Quellen. Wie der Baum strecken wir uns der Sonne entgegen und treiben unsere Wurzeln in die dunkle Erde. Wir aber haben keine materiellen Wurzeln mehr, und auch unsere Instinkte sind erlahmt. Die Erde dreht uns jede Nacht von der Sonne weg in ihren eigenen Schatten, und im Schlaf keimt in unserer Seele neue Lebenskraft auf. Daher zieht sich die kraftlose Seele in die Dunkelheit zurück.

Die Schamanen haben mich gelehrt, mit meiner Seele hinter die Finsternis der depressiven Versenkung zu reisen. Olivia und alle anderen depressiven Menschen haben diese Reise angetreten. Aber noch fehlt ihnen das Wissen der Schamanen, weil wir es im Laufe der Zivilisation verloren haben. Einigen meiner Klientinnen und Klienten habe ich das Wissen der Schamanen weitergegeben. Sie haben die Kraft gefunden, ihre Wandlung zu vollziehen und stehen wieder kraftvoll im Leben.

Dieses Buch ist der Bericht über die Entdeckungsreise zu den Selbstheilungs- und Wandlungskräften der Depression. Weil diese Seite der Depression bisher meist vernachlässigt wurde, habe ich mich ausschließlich darauf konzentriert. Darum ist es ein einseitiges Buch, wie jene, die sich auf die Beschreibung des Kranken der Depression beschränken. Es gibt viel gute Fachliteratur über die verschiedenen Depressionsformen und ihre multidimensionale Behandlung.

Bei der Behandlung von Depression müssen beide Aspekte berücksichtigt werden. Außerdem braucht es gesellschaftliche Aufklärungsarbeit. Dieses Buch soll einen Beitrag dazu leisten. Für mich ist es besonders schmerzlich, hilflos dazustehen, wenn ein depressiver Mensch gleichsam im dunklen Tunnel steht, weder ans Tageslicht zurückzukehren wagt noch ans andere Ende des Tunnels geht, weil er gelernt hat, dass dort nur der Tod lauere, dessen kalten Atem er schon zu spüren glaubt. Wir haben vergessen, dass der Samen des Lebens in der Finsternis des Mutterschoßes und in der Erde keimt.

Aus dieser allgemeinen Todesangst lassen es depressive Menschen immer zu, zur Rückkehr ans Tageslicht gezwungen zu werden, wo sie doch auf dem Weg zur Lebenskraft hinter der Finsternis sind. Auch Therapeuten fühlen sich überfordert, depressive Menschen auf die Reise vorzubereiten und sie dann vertrauensvoll gehenzulassen im Wissen, dass am anderen Ende des Tunnels hilfreiche Verbündete warten.

Obwohl dieses Buch ein Versuch ist, Schamanismus auch für unsere seelischen Leiden nutzbar zu machen, muss und kann nicht jeder depressive Mensch ein Schamane werden. Niemand meiner Klientinnen und Klienten praktiziert Schamanismus generell. Die Technik des schamanischen Reisens hinter die Finsternis ist derart universell, dass sie in vielen verschiedenen Formen ausgeführt werden kann. Auf dieselbe Weise reisen wir jede Nacht zu unseren Träumen.

Damit Schamanismus wieder wirklich Eingang findet in unser modernes Alltagsleben, müssen wir ihn von seinen ohnehin abgedorrten ethnologischen Wurzelresten befreien und ihn von dort her neu verstehen, wo er eigentlich wurzelt: in unserer eigenen Seele. Ich nenne diesen Schamanismus Meta-Schamanismus. Damit schlage ich aber nicht einen psychologisch fundierten Schamanismus vor. Meine Seele ist nicht das, was die Psychologie verborgen im Inneren meines Körpers vermutet. Meine Seele kann sehr vieles sein, ein leuchtendes Gestirn wie eine Sonne, die weit hinausstrahlt zu meinen Kraftplätzen in den Bergen und sich vermischt mit dem Leuchten aller anderen Menschen.

Noch immer behandle ich depressive Menschen nach dem heute üblichen multidimensionalen Behandlungsmodell, wo neben verschiedenen Formen der Psychotherapie und medikamentöser Hilfe auch psychosoziale Unterstützung von Angehörigen zum Einsatz kommt. Seit vier Jahren hat sich mit dem Schamanismus eine wichtige Dimension eröffnet, man könnte sie die spirituelle Dimension nennen. Depression ist nicht einfach eine spirituelle Krise, wie dies heute oftmals vereinfachend als Ursache vieler psychischer Leiden postuliert wird. Spirituelle Krisen können aber in die Depression führen.

Ich selbst habe im Schamanismus während der letzten 20 Jahre immer wieder die nötige Lebens- und Überlebenskraft gefunden. Jede schamanische Reise ist eine gewollt durchgestandene »kleine Depression«. Jeder Wandel schließt eine Depression mit ein, darum bin ich bereit und auch gerüstet, sie hinzunehmen.

Im Text eingestreut sind viele Übungen. Ich lade alle ein, diese zu praktizieren, vor allem auch die schamanische Reise. Die erste Reise führt zu einem spirituellen Verbündeten in der Nichtalltäglichen Wirklichkeit. Er oder sie ist dann der Lehrer oder die Lehrerin auf dem weiteren spirituellen Weg.

Der Kreis

Viele Verbündete der Alltagswirklichkeit haben mir auf meinem schamanischen Weg große Hilfe zuteilwerden lassen. Allen voran Michael Harner. In den letzten fünf Jahren habe ich viele Stunden von ihm persönlich lernen dürfen. Die von ihm entwickelten Praktiken des sogenannten Core-Schamanismus haben mir bei der Überwindung der Depressionen geholfen, sie sind die Werkzeuge der Heilrituale, und sie sind die Grundlage für das spirituelle Verständnis der seelischen Leiden. Sandra Ingerman hat mich in die schamanische Seelenarbeit eingeführt. Sie war die Erste, die neuere psychologische Erkenntnisse über die Seele zur Weiterentwicklung des Schamanismus genutzt hat.

Sie und Michael Harner sind die Einzigen, auf deren Bücher ich mich ausdrücklich beziehe. Bei allem, was ich sonst in diesem Buch schreibe, stütze ich mich auf meine persönliche Erfahrung, die meiner Klienten sowie meiner spirituellen Lehrer.

Zwei Menschen, die mir zu tiefen Erfahrungen und Einsichten ins menschliche Sein verholfen haben, sind Paul und Roswitha Uccusic. Bei ihnen habe ich 1993 mein erstes Basis-Seminar in Core-Schamanismus besucht, sie haben mich zur Teilnahme an den Expeditionen zu den sibirischen Schamanen nach Tuva eingeladen. Sie und die Menschen von Tuva haben mich in einer Tiefenschicht meiner Seele berührt, von der ich keine Ahnung hatte, dass es sie gibt.

Hätte Monika, meine Lebenspartnerin, mich nicht vor über 20 Jahren ermutigt, meine Vorurteile gegen den Schamanismus aufzugeben, weiß ich nicht, wo ich heute wäre. Sie hat Carlos Castanedas Buch Reise nach Istlan mit einer solchen Inbrunst gelesen, dass ich nicht anders konnte, als es auch zu lesen und anzuwenden. Als ich Anaru,eine meiner Verbündeten,bat, mir beim Schreiben dieses Buches zu helfen, warnte sie mich: »Du kannst über unsere Wirklichkeit nur in Metaphern reden. In unserer Welt gibt es nur die Kraft, die Kraft des Universums. Das ist nicht nur eure physikalische Kraft. Ihr könnt Kraft nur an ihren Wirkungen erfahren. Physik ist eine Form, Kraft zu erfahren. Eine andere Form sind die Metaphern der Kraft.

Sie sind eure Wirklichkeit, sie sind Inszenierungen der Kraft. Wir Verbündeten sind für dich auch Metaphern. Die Metapher deiner Begegnung mit der Kraft des Universums. Du bist ein Mensch, darum fällt es dir leicht, die Kraft dir ähnlich zu sehen. Darum begegnen wir dir als menschliche Wesen, und du sprichst mit uns.

Metaphern sind die Tore zur Erfahrung der Kraft. Symbole wirken in die umgekehrte Richtung, sie sind Bilder der Kraft, sie weisen auf die Bedeutung der Kraft hin. In den Metaphern wird die Kraft wirklich.

Nur wenn die Metaphern der Kraft selbst ein Ereignis der Kraft sind, dann sind sie wirklich und wirkungsvoll. Wenn du über deine und unsere gemeinsamen Erfahrungen schreibst, entsteht bei den Leserinnen und den Lesern nur Kraft, wenn sie die Worte als Anweisungen nehmen, die Rituale der Kraft zu praktizieren.«

Der depressive Mensch steht wie ein Kind am Wasser, zerrissen zwischen der Sehnsucht und dem Verbot hineinzuspringen. Erliegt das Kind der Verlockung des Wassers, muss es vor dem Ertrinken gerettet werden. Und die Retter wiederholen das Verbot, und im Kind wächst die Angst vor dem Wasser. Doch es steht wieder am Wasser.

Die Seele der Kinder steigt aus dem Ozean der Unendlichkeit auf die Insel des Alltags. Wir müssen dem Kind helfen, seine Fähigkeit, einzutauchen, wiederzuentdecken.

II

In der Finsternis

2. Begegnung mit dem Tod und das geschenkte Leben

In wenigen Tagen ist Wintersonnenwende, ein Jahr seit meiner letzten Depression. Seltsame Art der Zeitrechnung, doch um die Sonnenwende vor einem Jahr ist mir ein neues Leben geschenkt worden.

Am 15. November 1997 erstarb innerhalb weniger Stunden das Leben in mir. Es war Dämmerungszeit, ich saß an meinem Schreibtisch und sah aus dem Fenster in den Garten hinaus. Ich liebe die Zeit zwischen Tag und Nacht. Um diese Jahreszeit ist sie kurz. Die von Nebel eingehüllten Gestalten der schlafenden Bäume zogen sich schnell in die Dunkelheit der Nacht zurück. An diesem Tag erlosch das Licht auch in mir, der Winterfrost drang in mich hinein, die Gefühle erstarben, mein Körper erstarrte. Nur mein Bewusstsein war hellwach. Mit klarem Verstand beobachtete ich das Absterben des Lebens in mir und um mich. Mit jedem Atemzug kämpfte ich gegen eine schwerere Last auf meiner Brust. Immer unmöglicher wurde es, den Arm zu heben, um die Schreibtischlampe anzuzünden. Ich blieb im Dunkeln sitzen, wie lange, weiß ich nicht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!