Reise um den Mond - Jules Verne - E-Book

Reise um den Mond E-Book

Jules Verne.

4,4

Beschreibung

Der Abschuss des Projektils aus der Riesenkanone scheint gelungen. Die drei Astronauten Barbicane, Präsident des Gun Club von Baltimore, seine beiden Reisegefährten Nicholl und Ardan sowie zwei Hunde befinden sich auf dem Weg zum Mond. Aufgrund einer Beinahe-Kollision mit einem Trabanten wird das Projektil abgelenkt, so dass ein direkter Weg zum Mond nicht mehr möglich ist, sondern sie gelangen in die Umlaufbahn des Mondes.Dabei können die drei Astronauten ausführlich die Mondoberfläche beobachten und es eröffnet sich ihnen eine faszinierende Welt. Eine Rückkehr zur Erde scheint aber nun nicht mehr möglich zu sein …

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REISEUM DENMOND

JULES VERNE

MIT DEN ILLUSTRATIONENDER ORIGINALAUSGABE

Mit den Illustrationen derfranzösischen Originalausgabe desVerlages J. Hetzel & Cie.

Nach der deutschen Übersetzung desA. Hartleben’s Verlages (1874-1911)der neuen Rechtschreibung angepasst.Leicht bearbeitet durch den Wunderkammer Verlag.

© 2013 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Hamburg

Alle Rechte, auch das der fotomechanischen Wiedergabe(einschließlich Fotokopie) oder der Speicherung aufelektronischen Systemen, vorbehalten.All rights reserved.

Titelabbildung: akg-images, BerlinUmschlag: Timon Schlichenmaier, HamburgE-Book Erstellung: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH

ISBN: 978-3-86820-955-6

www.nikol-verlag.de

Vorwort und Rückblick

I

m Laufe des Jahres 186... wurde die ganze Welt durch ein Unternehmen, das in den Annalen der Wissenschaft ohnegleichen war, in außerordentliche Spannung versetzt. Die Mitglieder des Gun-Clubs, eines Vereins von Artilleristen, welcher sich nach dem amerikanischen Krieg in Baltimore zusammengefunden hatte, hatten die Idee, durch das Abschießen eines Geschosses mit dem Mond in Kontakt zu treten. Ihr Präsident Barbicane, der die Unternehmung angeregt hatte, ergriff, nachdem er die Astronomen des Observatoriums von Cambridge zu Rate gezogen hatte, alle notwendigen Maßnahmen, die für einen glücklichen Ausgang des von der Mehrzahl sachverständiger Männer für ausführbar erklärten Vorhabens erforderlich waren. Nachdem durch eine öffentliche Subskription etwa dreißig Millionen Dollar aufgebracht worden waren, begannen die gigantischen Arbeiten.

In Übereinstimmung mit einem von den Mitgliedern des Observatoriums erstellten Gutachten musste die Kanone, welche das Projektil abschießen sollte, in einem Gebiet zwischen 0° und 28° nördlicher oder südlicher Breite aufgestellt werden, damit man den Mond traf, wenn er sich genau im Zenit befinden würde. Außerdem musste das Geschoss eine Anfangsgeschwindigkeit von 12.000 Yards pro Sekunde erreichen.

Wurde das Projektil am 1. Dezember abends exakt um 13 Minuten und 20 Sekunden vor 11 Uhr abgeschossen, so musste es vier Tage später, also am 5. Dezember um 12 Uhr nachts, genau zu dem Zeitpunkt auf dem Mond einschlagen, wo dieser der Erde am nächsten stand, nämlich in einer Entfernung von 86.410 französischen Meilen.

Die wichtigsten Mitglieder des Gun-Clubs, zu ihnen gehörten der Präsident Barbicane, Major Elphiston, der Sekretär J. T. Maston und andere kluge Leute, hielten mehrere Sitzungen ab, in denen die Form und das Material der Kugel, die Art und Einrichtung der Kanone sowie die Beschaffenheit und Menge des Pulvers besprochen wurden. In Zahlen ausgedrückt waren die Ergebnisse dieser Verhandlungen: 1. Das Geschoss sollte eine Hohlkugel aus Aluminium mit einem Durchmesser von 108 Zoll, 12 Zoll dicken Wänden und 19.250 Pfund Gewicht sein. 2. Das Geschütz sollte aus Gusseisen bestehen, 900 Fuß lang sein und direkt in den Erdboden gegossen werden. 3. Als Ladung sollten 400.000 Pfund Schießbaumwolle dienen, welche dann 6 Milliarden Volumen-Liter Gas hinter dem Projektil erzeugten, womit dessen Triebkraft leicht bis zum Mond reichen würde.

Nachdem diese Fragen beantwortet waren, wählte Präsident Barbicane zusammen mit dem Ingenieur Murchison einen Ort in Florida aus, der die Koordinaten 27° 7‘ nördliche Breite und 5° 7‘ westliche Länge aufwies. An dieser Stelle wurde der Guss der Kanone erfolgreich durchgeführt.

So standen die Dinge, als ein Ereignis eintrat, welches das Interesse an dem großen Vorhaben noch hundertfach vergrößerte: Ein Abenteurer aus Paris, seines Zeichens genialer und auch couragierter Künstler, wünschte und erbot sich, eingeschlossen in eine Kugel die Reise zum Mond anzutreten, um über den Erdtrabanten Forschungen anstellen zu können. Der Name dieses mutigen Mannes war Michel Ardan. Bei seiner Ankunft in Amerika wurde er mit großer Begeisterung empfangen; er hielt Versammlungen, wurde in seinem Triumphzug auf den Schultern getragen, versöhnte Barbicane mit seinem Todfeind Kapitän Nicholl und überredete beide dazu, die Reise in der Kanonenkugel mit anzutreten. Der Vorschlag wurde angenommen und die Form der Kugel in einen Zylinder umgewandelt. Dieses ›Raumfahrzeug‹ wurde durch eine spezielle Konstruktion verbessert, um die Stoßgewalt des Abschusses etwas einzudämmen. Außerdem wurden in dem Gefährt Lebensmittel für ein Jahr, Wasser für einige Monate und Gas für mehrere Tage untergebracht. Eine mechanische Apparatur bereitete und lieferte die zum Atmen für die drei Reisenden notwendige Luft. Zur selben Zeit ließ der Gun-Club auf einem der höchsten Gipfel des Felsengebirges ein Riesenteleskop errichten, um damit die Möglichkeit zu erhalten, das Projektil während seiner Fahrt durch den Weltraum zu beobachten. Alles war nun fertig und das Unternehmen konnte beginnen.

Inmitten einer riesigen Zuschauermenge fand die Abfahrt am 1. Dezember zur vorgegebenen Zeit statt. Und zum ersten Male verfolgte man, wie drei menschliche Wesen den Erdball verließen und in den weiten Weltraum emporstiegen. Fast ausnahmslos war man davon überzeugt, dass diese am Ziel ihrer Reise auch anlangen würden. Die mutigen Reisenden, Michel Ardan, Präsident Barbicane und Kapitän Nicholl, sollten ihre Reise in 97 Stunden, 13 Minuten und 20 Sekunden überstanden haben. Folglich konnte ihre Ankunft auf der Mondoberfläche erst am 5. Dezember um 12 Uhr nachts erfolgen, gerade in dem Augenblick, wenn der Vollmond eintreten würde, und nicht am 4., wie einige Journale fälschlich berichteten.

Doch ereignete sich etwas Unerwartetes: Die von der Kanone hervorgerufene Erschütterung bewirkte durch eine Anhäufung einer großen Menge an Qualm unverzüglich eine Trübung der Atmosphäre. Dies rief allgemeine Enttäuschung hervor, da der Mond für einige Nächte hindurch den Augen seiner Beobachter verhüllt war. J. T. Maston, ehrwürdiger und tapferer Freund der drei Reisenden, eilte zum Felsengebirge, um dem verdienstvollen Direktor des Observatoriums von Cambridge, I. Belfast, Gesellschaft zu leisten und durch das in Longs Peak errichtete Riesenteleskop, das den Mond bis auf zwei Meilen vergrößerte, die Fahrt seiner kühnen Freunde zu beobachten. Doch der sich in der Atmosphäre verdichtende Qualm verhinderte während des 5., 6., 7., 8., 9. und 10. Dezembers jede Möglichkeit der Observation. Man fürchtete bereits, dieselbe bis zum 3. Januar des folgenden Jahres verschieben zu müssen, weil der am 11. Dezember in sein letztes Viertel tretende Mond danach stets nur einen abnehmenden Teil seiner Oberfläche zeigte. Dies reichte jedoch nicht aus, um die Spur des Geschosses erkennen zu können. Zur allgemeinen Befriedigung vertrieb in der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember ein starker Sturm endlich den Rauch aus der Atmosphäre und der zur Hälfte leuchtende Mond trat vor dem dunklen Hintergrund des Himmels deutlich hervor. Noch in derselben Nacht traf ein Telegramm ein, das die Herren Belfast und Maston von der Station Longs Peak an das Büro des Observatoriums in Cambridge abgeschickt hatten. Und welchen Inhalt hatte dieses Telegramm? Es berichtete darüber, dass das von der Kanone in Stones-Hill abgeschossene Projektil am 11. Dezember um 8.47 Uhr abends von den Herren Belfast und Maston gesehen worden sei. – Aus unbekanntem Grund sei es von seiner Bahn abgewichen und nicht an sein Ziel gelangt, doch sei es nahe genug gekommen, um von der Anziehungskraft des Mondes festgehalten zu werden; – seine gerade Richtung sei in eine Kreisbewegung übergegangen und so sei es zu einem Trabanten geworden, der in elliptischer Bahn um den Mond kreist. Das Telegramm informierte zusätzlich darüber, dass die exakten Daten dieses neuen Himmelskörpers noch nicht berechnet werden könnten und dass tatsächlich auch drei Beobachtungen des Himmelskörpers von drei verschiedenen Posten aus nötig wären, um die Daten bestimmen zu können. Außerdem, so das Telegramm weiter, könne die Entfernung des Projektils von der Mondoberfläche auf etwa 2.833 Meilen angeschlagen werden, d.h. 4.500 Lieues. Das Telegramm schloss mit der zweifachen Spekulation: Entweder werde die Anziehungskraft des Mondes zuletzt überwiegen und die Reisenden würden schließlich an ihrem Ziel ankommen, oder das Projektil werde unverändert in seiner Umlaufbahn festgehalten und seinen Kreislauf um den Mond bis ans Ende der Jahrhunderte fortzusetzen haben.

Wie würde es den Reisenden aber ergehen? Zwar hatten sie für einige Zeit Lebensmittel, doch wenn man auch voraussetzt, dass ihr gewagtes Unternehmen gelingen würde, wie würden sie dann zurückkommen können? Wäre dies je möglich? Könnte man von ihnen Nachricht erhalten? Diese Fragen, die die gelehrtesten Federn in Bewegung setzten, beschäftigten das leidenschaftliche Publikum.

Ich muss hier eine Anmerkung machen, die allzu voreilige Beobachter beherzigen sollten. Wenn ein Gelehrter dem Publikum eine rein spekulative Entdeckung ankündigt, kann er nicht vorsichtig genug sein. Einen Kometen, einen Planeten oder einen Trabanten zu entdecken, ist keines Menschen Angelegenheit. Und wenn man sich in einem solchen Falle irrt, kassiert man den Spott der Menge, welcher man sich aussetzt. Deshalb ist es ratsamer, abzuwarten; und dies hätte auch der ungeduldige J. T. Maston tun sollen, bevor er das Telegramm, in welchem – ihm zufolge nach – das Schicksal der Unternehmung so deutlich erklärt wurde, in die Welt hinausschickte. Wie sich später herausstellte, enthielt jenes Telegramm tatsächlich einen doppelten Irrtum: 1. Die falsch berechnete Entfernung des Projektils von der Mondoberfläche, denn am 11. Dezember konnte man es unmöglich gesehen haben, und was J. T. Maston sah oder zu sehen geglaubt hatte, konnte nicht das Projektil der Kanone sein. 2. Die falsche theoretische Folgerung über das Schicksal des Geschosses, denn indem man dasselbe zu einem Trabanten des Mondes erklärt, setzt man sich mit den Gesetzen der logischen Mechanik in Widerspruch. Ausschließlich die Vermutung der Beobachter von Longs Peak, nämlich dass sich die Reisenden, sofern sie noch lebten, bemühten, unter Nutzung der Anziehungskraft des Mondes auf dessen Oberfläche zu gelangen, konnte als wahrscheinlich gelten. Diese verständigen wie auch mutigen Männer hatten nun aber den entsetzlichen Gegenstoß des Abschusses unbeschadet überstanden. Die Reise in ihrem absonderlichen Fahrzeug soll im Folgenden mit all ihren eigentümlichen und dramatischen Ereignissen wiedergegeben werden. Die Erzählung wird so manche Mystifikationen und Spekulationen zunichte machen; von der möglichen Lösung einer derartigen Herausforderung wird hingegen eine richtige Vorstellung vermittelt und es werden der wissenschaftliche Instinkt Barbicanes, die erfindungsreichen Ideen und Kenntnisse Nicholls sowie die possenhafte Kühnheit Michel Ardans veranschaulicht. Ferner wird sie auseinandersetzen, dass der ehrenwerte Freund, J. T. Maston, nur seine Zeit verlor, indem er den Mond auf seiner Bahn durch das Weltall mit Hilfe des Riesenteleskops beständig beobachtete.

ERSTES KAPITEL  Abends zwischen zehn Uhr zwanzig und zehn Uhr vierzig

S

chlag zehn Uhr verabschiedeten sich Michel Ardan, Barbicane und Nicholl von ihren vielen Freunden auf der Erde. Die beiden Hunde, welche das Hundegeschlecht auf dem Mond gründen und verbreiten sollten, befanden sich bereits im Projektil. Die drei Reisenden näherten sich der Mündung des riesigen Kanonenlaufs und ein schwebender Kran brachte sie bis zur konischzulaufenden Spitze des Geschosses. Hier traten sie durch eine für diesen Zweck installierte Öffnung in das Aluminium-Gefährt ein. Nachdem die Taue des Krans aus der Röhre herausgezogen waren, wurde sofort das letzte Gerüst von der Mündung der Kanone entfernt.

Sobald sich Nicholl mit seinen Gefährten im Projektil befand, schloss er die Öffnung sorgfältig mit einer robusten Platte, welche von innen mit Schrauben befestigt wurde. Andere, fest eingepasste Platten verdeckten die Linsengläser der Ausgucklöcher. Die Reisenden befanden sich – in ihrem metallenen Gefängnis hermetisch eingeschlossen -in absoluter Dunkelheit.

»Und nun, meine lieben Kameraden«, sagte Michel Ardan, »tun wir so, als wären wir hier zu Hause. Ich führe die Verwaltung des Innern, ein Fach, worin ich sehr stark bin. Wir müssen es uns in unserer neuen Wohnung so bequem wie möglich machen. Vor allem müssen wir versuchen ein wenig Licht zu bekommen. Zum Teufel! Für Maulwürfe ist das Gas nicht erfunden worden!«

Bei diesen Worten ergriff der sorglose Geselle ein Zündhölzchen, rieb es an der Sohle seines Stiefels und entzündete damit die Flamme am Hahn des Behälters, welcher das komprimierte Gas enthielt, das zur Erleuchtung und Erwärmung des Zylinders für sechs Tage und sechs Nächte, also 144 Stunden, ausreichen konnte. Das so ausgeleuchtete Projektil brachte ein komfortabel eingerichtetes Zimmer mit gepolsterten Wänden, daran befestigten runden Diwans und einer wie in einem Dom gewölbten Decke zum Vorschein. Die mitgeführten Gegenstände: Waffen, Instrumente und sonstige Geräte, waren in der Polsterung gut befestigt, sodass sie den Rückstoß beim Abschuss bestimmt aushalten konnten. Alle nur erdenklichen Vorkehrungen waren getroffen worden, damit ein derartig tollkühnes Unternehmen auch glücklich durchzuführen sei. Michel Ardan untersuchte alles ausgiebig und erklärte seine vollste Zufriedenheit mit dieser Einrichtung.

»Es ist ein Gefängnis«, sagte er, »aber ein Reisegefängnis mit der Möglichkeit, durchs Fenster zu sehen; ich wäre dazu imstande, mich auf hundert Jahre hier einzumieten! Du lächelst, Barbicane? Hast du dafür einen Grund? Meinst du vielleicht, dies Gefängnis könnte unser Grab werden? Grab, meinetwegen, aber ich möchte es nicht mit dem Grab Mahomeds eintauschen, welches ohne Reisezweck im Weltraum fliegt.«

Während Michel Ardan sprach, trafen Barbicane und Nicholl ihre letzten Vorbereitungen. Als die drei Reisenden unwiderruflich in ihr Geschoss eingeschlossen wurden, zeigten die Zeiger von Nicholls Uhr auf zehn Uhr zwanzig abends. Die Uhr stimmte fast auf eine Zehntel Sekunde genau mit der des Ingenieurs Murchison überein. Barbicane hatte ihn danach gefragt.

»Meine Freunde«, sagte er, »es ist zehn Uhr zwanzig. In 27 Minuten wird Murchison mit einem elektrischen Funken den Draht berühren, welcher mit der Ladung der Kanone verbunden ist. Einige Augenblicke später werden wir dann unseren Erdball verlassen. Also haben wir noch 27 Minuten auf der Erde.«

»26 Minuten und 30 Sekunden«, verbesserte der pedantische Nicholl.

»Nun gut!«, rief Michel Ardan in bester Laune. »In 26 Minuten lässt sich noch vieles bewerkstelligen! Man kann da noch die wichtigsten politischen und sittlichen Fragen besprechen und selbst lösen! 26 sinnvoll gestaltete Minuten sind mehr wert als 26 untätig verlebte Jahre. Etliche Sekunden eines Pascals oder Newtons sind kostbarer, als das ganze Leben einer rohen Masse an Dummköpfen ...«

»Und was folgerst du daraus, du ewiger Schwätzer?«, fragte Präsident Barbicane.

»Ich folgere daraus, dass wir noch 26 Minuten haben«, erwiderte Ardan.

»Nur noch 24«, berichtigte Nicholl.

»Dann eben 24, wenn du es so genau nimmst, mein eifriger Kapitän«, erwiderte Ardan. »24 Minuten, in denen man gründlich ...«

»Michel«, sagte Barbicane, »auf unserer Fahrt werden wir reichlich Zeit haben, die schwierigsten Probleme gründlich zu erörtern. Befassen wir uns jetzt mit der Abfahrt.«

»Sind wir nicht bereit?«

»Doch. Allerdings sind noch einige Vorkehrungen zu treffen, um die Wucht des ersten Stoßes so gut wie möglich abzuschwächen!«

»Haben wir nicht die Wasserschichten in den zerbrechlichen Verschlagen unter uns, deren Spannkraft uns ausreichend schützen wird?«

»Das hoffe ich, Michel«, erwiderte Barbicane gutmütig, »aber ganz sicher bin ich dessen doch nicht!«

»Ah! Possen!«, rief Michel Ardan. »Er hofft! ... Ist sich der Sache nicht sicher! ... Und dieses klägliche Geständnis erst in dem Moment, da wir bereits eingepackt sind! Da möchte ich auf und davon!«

»Und wie?«, fragte Barbicane.

»In der Tat«, sagte Michel Ardan. »Das ist schwer. Wir sind im Zug und vor Ablauf von 24 Minuten wird der Schaffner pfeifen ...«

»20 Minuten!«, bemerkte Nicholl.

Einige Minuten blickten die Reisenden einander an. Darauf prüften sie die mitgenommenen Gegenstände.

»Alles ist richtig an seiner Stelle«, stellte Barbicane fest. »Jetzt müssen wir nur noch klären, wie wir am besten Platz nehmen, um den Stoß beim Abschuss zu überstehen. Dabei ist es nicht gleichgültig, in welcher Stellung oder Lage man sich befindet. Man muss so gut es eben geht verhindern, dass das Blut zu stark in den Kopf steigt!«

»Richtig«, sagte Nicholl.

»Dann«, erwiderte Michel Ardan, um die Regel durch ein Beispiel zu erklären, »legen wir uns, den Kopf unten und die Füße oben, wie die Clowns im Zirkus!«

»Nein«, bestimmte Barbicane, »aber auf die Seite müssen wir uns legen. So überstehen wir am besten den Stoß. Beachten Sie wohl, im Moment der Abfahrt ist es fast einerlei, ob wir drinnen oder davor sind.«

»Wenn nur ›fast‹ einerlei, will ich zufrieden sein«, erklärte Michel Ardan.

»Stimmen Sie mir zu, Nicholl?«, fragte Barbicane.

»Ganz und gar«, antwortete der Kapitän. »Noch 13 ½ Minuten.«

»Der Nicholl ist kein Mensch«, rief Michel, »sondern eine Sekundenuhr ...« Aber seine Gefährten hörten ihm schon nicht mehr zu und trafen ihre letzten Vorbereitungen mit einer Besonnenheit ohnegleichen. Sie taten dies wie zwei Reisende, die, wenn sie in einen Waggon eingestiegen sind, es sich so bequem wie möglich zu machen suchen. Man fragt sich wahrhaftig, aus welchem Stoff die Herzen dieser Amerikaner gemacht sind, denen der Puls im Angesicht der größten Gefahr nicht schneller geht!

Man hatte drei dicke und stabil gepolsterte Lagerstätten in dem Projektil eingerichtet. Nicholl und Barbicane schoben sie auf die Mitte der Scheibe, welche den beweglichen Fußboden bildete; auf diesen sollten sich die drei Reisenden einige Augenblicke vor der Abfahrt ausstrecken.

Währenddessen führte sich Ardan, der sich in seinem engen Gefängnis nicht ruhig verhalten konnte, wie ein Stück Rotwild im Käfig auf, plauderte mit seinen Freunden, schwatzte mit seinen Hunden, Diana und Trabant, denen er seit kurzem diese bezeichnenden Namen gegeben hatte.

»He! Diana! He! Trabant!«, rief er ihnen zu. »Ihr werdet den Mondhunden die guten Sitten der Erdhunde zu zeigen haben! Ihr werdet dem Hundegeschlecht Ehre machen! Potz! Blitz! Ihr sollt euch mit Monddoggen paaren, dass ich, wenn wir zurückkommen, eine Mischrasse mitbringe, die Furore machen wird!«

»Wenn es dort Hunde gibt«, bemerkte Barbicane.

»Es gibt sie dort«, versicherte Michel Ardan, »genauso wie es dort Pferde, Kühe, Esel und Hühner gibt. Ich wette darauf, dass wir dort Hühner antreffen.«

»Hundert Dollar, dass wir keine treffen«, sagte Nicholl.

»Angenommen, lieber Kapitän«, erwiderte Ardan mit einem Händedruck. »Aber du hast ja schon drei Wetten an unseren Präsidenten verloren, weil die nötigen Geldmittel aufgebracht wurden, weil der Guss gelungen ist und weil die Kanone ohne Zwischenfall geladen wurde -, das macht schon 6.000 Dollar.«

»Ja«, erwiderte Nicholl. »10 Uhr 37 Minuten und 6 Sekunden.«

»Aufgepasst, Kapitän. Ehe eine Viertelstunde vorüber ist, wirst du noch 9.000 Dollar an den Präsidenten zu zahlen haben, 4.000, weil die Kanone nicht explodieren wird, und 5.000, weil das Geschoss höher als 6 Meilen in die Lüfte dringen wird.«

»Ich habe das Geld bei mir«, entgegnete Nicholl und klopfte auf seine Tasche. »Ich wünschte nur, dass es auch zur Auszahlung kommt.«

»Nicholl, ich sehe, dass du ein Mann der Ordnung bist, was mir nie gelingen wollte. Aber schließlich hast du eine Reihe von Wetten abgeschlossen, bei denen du dich sehr im Nachteil befindest. Erlaube mir diese Bemerkung.«

»Und weshalb?«, fragte Nicholl.

»Weil, wenn du die erste gewinnst, d.h., wenn die Kanone wirklich explodiert und damit auch unser Gefährt, Barbicane nicht mehr in der Lage sein wird, dich bezahlen zu können.«

Daraufhin entgegnete Barbicane schlicht: »Mein Einsatz befindet sich auf der Bank in Baltimore, sodass er, wenn nicht an Nicholl selbst, zumindest seinen Erben ausgezahlt werden kann!«

»Was für praktische Leute!«, anerkannte Michel Ardan. »Positive Geister! Ich bewundere euch umso mehr, als ich euch nicht begreife.«

»Zehn Uhr zweiundvierzig«, sagte Nicholl.

»Also noch mehr als fünf Minuten!«, stellte Barbicane fest.

»Ja! Noch fünf kurze Minuten!«, erwiderte Michel Ardan. »Und wir sind eingeschlossen in einem Geschoss, das sich in einer 900 Fuß langen Kanone befindet! Und unter diesem Geschoss befinden sich 400.000 Pfund Schießbaumwolle, die eine Wirkung von 1.600.000 Pfund gewöhnlichen Pulvers entwickeln! Und Freund Murchison, die Uhr in der Hand, das Auge unverwandt auf die Zeiger gerichtet, den Finger auf dem elektrischen Apparat, zählt die Sekunden, während wir im Begriff sind, in den Weltraum katapultiert zu werden ...!«

»Genug, Michel, genug!«, sagte Barbicane in ernstem Ton. »Machen wir uns bereit. Uns verbleiben nur noch wenige Augenblicke. Einen Handschlag, meine Freunde!«

»Ja!«, rief Michel Ardan, mit etwas mehr Rührung, als ihm eigentlich lieb war. Die drei mutigen Genossen umarmten sich.

»Gott behüte uns!«, sagte der fromme Barbicane.

Michel Ardan und Nicholl streckten sich auf die Polster in der Mitte des Bodens.

»Zehn Uhr siebenundvierzig«, murmelte der Kapitän. »Noch zwanzig Sekunden!«

Barbicane löschte rasch die Gasflamme und legte sich neben seine Kameraden. Nur die Sekundenschläge der tickenden Uhr unterbrachen die tiefe Stille. Mit einem Mal gab es einen entsetzlichen Stoß und das Projektil, das von 6 Milliarden Volumen-Litern Gas angetrieben wurde, flog zum Weltraum empor.

ZWEITES KAPITELDie erste halbe Stunde

W

as war passiert? Welche Wirkung hatte diese fürchterliche Erschütterung gehabt? Hatte das Genie der Erbauer des Projektils zu einem glücklichen Ergebnis geführt? Wurde der Stoß durch die Sprungfedern, die Zapfen, die Wasserkissen und die zerbrechlichen Verschlage abgeschwächt? War man der unermesslichen Kraft jener Anfangsgeschwindigkeit von 11.000 Metern, welche in einer Sekunde durch ganz Paris oder New-York fahren konnte, Meister geworden? Diese Fragen drängten sich offenbar den tausend Zeugen jener aufregenden Szene auf. Über dem Gedanken an die Reisenden vergaß man den Zweck der Unternehmung! Und wenn einer von ihnen – J. T. Maston z.B. – hätte einen Blick in das Projektil werfen können, was würde er gesehen haben? Zu jenem Zeitpunkt nichts, denn es war darin völlig dunkel. Aber seine konischzulaufenden Wände hatten hervorragenden Widerstand geleistet. Kein Riss, keine Biegung, keine Verstellung. Das erstaunliche Projektil hatte unter der ungeheuren Hitze der Pulververbrennung nicht gelitten, war nicht, wie man hätte befürchten können, zu einem Aluminiumregen zerschmolzen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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