Reisen ohne Reisigbesen – Abenteuer mit dem Lustigen Kleeblatt - M. M. Schwab - E-Book

Reisen ohne Reisigbesen – Abenteuer mit dem Lustigen Kleeblatt E-Book

M. M. Schwab

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Beschreibung

Meine Freundin verfügt über ganz besondere Fähigkeiten: Wenn sie mir Geschichten erzählt, fordert sie mich dazu auf, ihr die Hände zu geben und die Augen zu schließen – und dann erlebe ich alles selbst mit. So "erzählte" sie mir die Geschichten vom Lustigen Kleeblatt, von vier Hexenschülerinnen, die ihre ersten tapsigen Gehversuche in der Zauberei machen und trotz aller Pannen und Albernheiten zu richtigen Hexen heranwachsen sollen. Jede der vier träumt dabei von einem ganz bestimmten Ort für ihr späteres Hexenleben, den sie nur noch entdecken muss. Und schon das ist ein Abenteuer für sich.

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Seitenzahl: 613

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-433-3

ISBN e-book: 978-3-99130-434-0

Lektorat: Falk-M. Elbers

Umschlag- & Innenabbildungen: M. M. Schwab

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Vorwort

Immer wenn ein Schuljahr zu Ende ging, freute ich mich auf die Reise ans Meer. Allerdings war es diesmal etwas anders als in den vergangenen Jahren denn nun befand ich mich ja im Ruhestand. Nur wusste ich noch nicht so recht, was ich mit meiner Zeit anfangen sollte. Das wollte ich mir in diesem Urlaub überlegen. Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen zu erwähnen, mein Name ist Carlotta Frohgemut. Statt aber nun einfach Urlaub zu machen, kaufte ich ein Haus. Da es für mich allein aber viel zu groß gewesen wäre und ich nicht den ganzen Tag untätig herumsitzen wollte, eröffnete ich eine Pension für Feriengäste darin. Seitdem habe ich schon so manch interessanten Gast bei mir beherbergt. Die meisten Gäste kamen am liebsten in den Sommermonaten. Doch wenn der Sommer zu Ende ging, die letzten Gäste abgereist waren, dann besuchte mich oft Amalia, eine besonders liebenswerte ältere Dame. Obwohl wir schnell Freundschaft schlossen, erfuhr ich erst nach einiger Zeit, dass sie ebenso wie ich Lehrerin war. Allerdings brachte sie im Unterschied zu mir ihren Schülerinnen nicht schreiben, lesen oder rechnen bei, sondern zaubern. Tja, auch wenn ich das bis dahin für unmöglich gehalten hatte, es gibt Hexen und meine Freundin Amalia war eine von ihnen und eine fantastische noch dazu. Die meisten Geschichten, die sie mir erzählt hat, handelten nebenbei bemerkt von vier kleinen Hexenmädchen mit den Namen Anna, Neele, Lina und Emmy. Das darf natürlich keiner wissen. Vor allem nicht, dass sie mir nicht einfach nur irgendwelche Geschichten über sich und ihre Schule erzählt hat, sondern regelrecht erleben ließ. Du willst doch sicherlich wissen, was diese Mädchen in ihrer Schulzeit und danach erlebt haben? Nein? Nun ja, selbst wenn du jemand bist, der gar nicht an die geheime Welt der Hexen und Zauberer glaubt, könnte es doch sein, dass es dich trotzdem interessiert, welche Geheimnisse mir Amalia noch so anvertraut hat? Das erfährst du natürlich nur, wenn du dieses Buch liest.

Ein geheimnisvoller Feriengast

Seit langem fuhr ich nun schon in meinen Sommerferien immer in die gleiche Stadt am Meer. Vor wenigen Tagen war es endlich wieder so weit. Das Schuljahr war beendet, die Kinder waren jubelnd davongestürmt und ich machte die Eingangstür meiner Dorfschule hinter mir zu. Ein paar Stunden später befand ich mich bereits auf dem Weg in die kleine Stadt, die mir im Laufe der vergangenen Jahre richtig ans Herz gewachsen war. Dabei beschlich mich diesmal ein komisches Gefühl. Eigentlich konnte ich es noch gar nicht so recht glauben, dass ich nach diesen Ferien nicht mehr in die Schule zurückkehren sollte. Zumindest nicht, um Kinder zu unterrichten. In Zukunft würde diese Aufgabe nämlich eine andere Lehrerin übernehmen. Da es mir nach meiner Pensionierung nun nicht mehr an Zeit mangelte; überlegte ich, ob ich diesmal vielleicht etwas länger als bisher am Meer bleiben sollte? Vor allem, wo das Wetter in diesem Sommer einfach traumhaft schön war.

Während ich auf der Uferpromenade entlanglief, schaute ich mich um. Dabei entdeckte ich etwas abseits auf einem kleinen Hügel ein Schild, auf dem zu lesen war: „Zu verkaufen“ Es befand sich in einem Vorgarten eines recht nett anzuschauenden Hauses. Überrascht blieb ich stehen. Sogleich fragte ich mich aber, ob das Schild bereits gestern dort gestanden und ich es übersehen haben könnte. Ohne weiter nachzudenken, ging ich den Hügel hinauf und läutete die alte Glocke neben der Eingangstür. Nachdem einige Augenblicke vergangen waren und sich im Haus nichts regte, wand ich mich enttäuscht dem Ausgang des Vorgartens zu. Gerade als ich mich anschickte, diesen zu verlassen, vernahm ich plötzlich Schritte im Haus und ging wieder zurück. Nur einen Augenblick später öffnete eine ältere Frau mit freundlichen Augen ein wenig die Tür. Schnell erkundigte ich mich bei ihr, ob das Haus noch zu haben sei. Sie musterte mich einige Sekunden lang so eindringlich durch den schmalen Türspalt, als würde sie sich im Stillen fragen, ob ich die Richtige für ihr Haus sein könnte. Plötzlich nickte sie zufrieden und bat mich herein. Rasch stellte ich mich ihr vor. Carlotta Frohgemut. Kaum hatte ich dies getan, führte sie mich auch schon durch das Haus, und zwar bis ganz hinauf zum Dachboden. Eilfertig zeigte sie mir Raum für Raum und erzählte nebenher Geschichten von ihrer Familie. Das Haus war in Wirklichkeit viel größer, als ich vermutet hatte, und es steckte voller Erinnerungen. Es schien fast so, als brauchte man nur die Augen zu schließen, um die vielen Bilder, die sich überall im Haus befanden, lebendig werden zu lassen. In dem Moment, als ich mir gerade vorzustellen versuchte, wie es hier mal aussehen könnte, wenn ich …, da fragte mich die nette Dame, ob es mir gefiele und ich es tatsächlich haben möchte. Da ich etwas mit meiner Antwort zögerte, fügte sie ihrer Frage rasch hinzu, dass sie gern bald zu ihrer Enkelin ziehen würde. Doch zuvor wolle sie dieses Haus noch unbedingt in die Hände von jemandem geben, den sie mochte. Dabei käme es ihr nicht auf das Geld an. Manchmal werden sogar die geheimsten Träume wahr. Noch am gleichen Tag wurde ich nämlich die Besitzerin dieses Hauses. Ein Haus am Meer hatte ich mir ja eigentlich schon immer gewünscht. Zugegeben, den Glauben daran, tatsächlich einmal eines zu besitzen, hatte ich allerdings längst aufgegeben. Noch am selben Abend reiste ich mit dem Zug zurück nach Hause, in mein kleines Dorf – jedoch nur, um recht schnell wiederzukommen und dann für immer zu bleiben. Im darauffolgenden Sommer kamen bereits die ersten Feriengäste zu mir, denn ich eröffnete in diesem Haus meine eigene kleine Ferienpension. Das Haus bot ja dafür wirklich Platz genug. Die anfängliche Befürchtung, es könnte mir womöglich in meinem Ruhestand langweilig werden, kam mir absurd vor. Obwohl man selbst in den Sommermonaten nicht mehr ganz so vielen Fremden wie früher unten am Strand oder in den Gassen der Stadt begegnete, fehlte es mir in den folgenden Jahren nie an netten Gästen und damit auch nicht an Beschäftigung. Im Sommer hatte ich immer unglaublich viele Gäste. Dabei war es auch in den übrigen Monaten des Jahres hier nicht weniger schön, nur eben etwas ruhiger. Tagsüber ging es zu jeder Jahreszeit recht beschaulich zu. An den Sommerabenden hingegen, wenn die größte Hitze des Tages vorüber war, zog es viele Leute hinunter an den Strand. Die einen schauten den Fischern ein Weilchen bei ihrer Arbeit zu. Andere plauderten mit Nachbarn oder Freunden, die sie zufällig trafen, oder setzten sich einfach nur irgendwo hin, um dem Spiel der Wellen zuzuschauen. Gelegentlich fanden sich auch ein paar Künstler und Musikanten am Strand ein und erfreuten die Vorbeikommenden mit ihren Darbietungen. Bei besonders schönem Wetter machten einige Leute auch ganz gern einen etwas längeren Spaziergang, und zwar hinauf auf die Klippen. So, wie ich es selbst häufig und gern in den Abendstunden tat. Von dort oben war nämlich die Aussicht aufs Meer hinaus besonders schön. Ja, so war es hier schon seit eh und je und daher dachte ich, dass sich daran auch in Zukunft nichts ändern würde. Das traf auch lange Zeit zu. Allerdings änderte sich das, als es eines Abends im Spätsommer unerwartet an meiner Tür läutete. Die letzten Feriengäste für diesen Sommer waren am Morgen abgereist, und da es im Haus nichts Wichtiges mehr für mich zu tun gab, hatte ich mich gerade entschlossen, noch ein Weilchen hinunter zum Strand zu gehen. Da kündigte, wie gesagt, meine Türglocke einen Gast an. Verwundert fragte ich mich, wer das sein könnte, denn ich erwartete ja niemand. Rasch öffnete ich die Tür und staunte nicht schlecht, denn da stand eine mir völlig unbekannte Dame. Ihre Kleidung war ebenso wie die lederne Reisetasche, die sie bei sich trug, etwas aus der Mode gekommen. Dennoch machte sie auf mich einen sehr eleganten Eindruck. „Waren wir für heute verabredet?“ Fragte ich sie unsicher. „Nein, nein. Das waren wir keineswegs.“ Sagte sie und lächelte mich charmant an. Gleich darauf nannte sie mir ihren Namen, Amalia. Dann erzählte sie, dass sie gerade angekommen wäre und nun auf der Suche nach einer Unterkunft sei. Auf ihrem Weg durch die Stadt hätte sie zufällig ein paar Leute über diese Pension reden hören und so erfahren, dass es hier sehr schön und die Wirtin besonders nett sein soll. Daraufhin lächelte Amalia erneut, zuckte mit den Schultern und sagte: „Ja, und wie es aussieht, haben die Leute völlig recht, mit dem, was sie sich über diese Pension erzählen. Deshalb würde es mich sehr freuen, wenn ich ein paar Tage hier wohnen dürfte. Vorausgesetzt, sie haben noch ein freies Zimmer für mich?“ Na, und ob ich noch ein Zimmer für sie hatte! Amalia durfte sich sogar eines aussuchen, denn wie bereits erwähnt hatten ja am Morgen meine letzten Sommergäste ihre Heimreise angetreten und neue erwartete ich in diesem Jahr nicht mehr. Wir beide waren uns vom ersten Moment an sehr sympathisch. Wer Amalia jedoch war, erfuhr ich erst einige Jahre später. Bis dahin war sie ein Gast wie jeder andere, wenn auch einer, auf den ich mich seit unserer ersten Begegnung immer ganz besonders freute. Übrigens kam Amalia nie, bevor meine anderen Feriengäste abgereist waren. Auch wenn ich lange Zeit nicht wusste, warum sie das tat, war es mir natürlich sehr recht. Dann gab es nämlich für mich weniger in meiner Pension zu tun und ich konnte viel Zeit mit Amalia verbringen. So kam es, dass wir uns recht schnell anfreundeten.

Eine ungewöhnliche Reise

Mittlerweile waren Amalia und ich richtig gute Freundinnen geworden. Obwohl wir über alles Mögliche redeten, erzählte Amalia nie etwas über sich selbst. Trotzdem konnte ich sie mir gut als Lehrerin vorstellen. Warum ich sie aber nie gefragt habe, ob meine Annahme stimmte, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Vielleicht lag es daran, dass sie mir trotz unserer langen Freundschaft immer noch ab und zu so seltsam unnahbar vorkam. Eines Tages saßen wir, wie schon so oft, auf den Klippen vor der Stadt. Es dämmerte bereits. Doch Lust, nach Hause zu gehen, hatten wir beide noch nicht. Nur etwas, worüber wir uns unterhalten könnten, fiel uns auch nicht ein. Nachdem wir ein Weilchen schweigend nebeneinandergesessen und aufs Meer hinausgeschaut hatten, fragte ich sie, wo sie herkäme. Bevor sie mir auf meine Frage eine Antwort gab, überlegte sie erstaunlich lange. Doch dann begann sie zu erzählen und ich lauschte wie verzaubert ihren Worten. In den darauffolgenden Stunden erfuhr ich unter anderem von ihr, dass sie in einem wunderschönen Wald mit uralten Bäumen zu Hause wäre. Sie erzählte mir von der Schule, die sich in dem Wald befindet und in der sie schon viele Jahre wohnen und Mädchen unterrichten würde. Erstaunlicherweise schien Zeit für sie keine große Bedeutung zu haben. Sie erwähnte nämlich mit keiner Silbe, wie lange sie bereits dort Lehrerin war oder wie alt sie ist. „Amalia, da lag ich mit meiner Vermutung, dass du ebenso wie ich selbst eine Lehrerin sein könntest, doch gar nicht so falsch!“, stellte ich erfreut fest. „In gewisser Weise hast du völlig Recht“, erwiderte sie etwas zögerlich. Dann sagte sie mit einer bedeutungsvollen Miene, dass die meisten ihrer Schülerinnen allerdings außerordentlich begabt wären. „Och Amalia, kluge Mädchen gibt es doch überall auf der Welt.“ Entgegnete ich etwas befremdet. „Daran zweifle ich keinen Augenblick.“ Meinte Amalia. Einen Moment lang schien sie noch über irgendetwas nachzudenken. Dann sagte sie, dass sie auch ein paar „Dinge“ tun könne, die nicht jeder kann. Verwundert schaute ich sie an. Daraufhin lächelte sie und sagte, als wäre es das Normalste auf der Welt, dass Hexen nun mal die eine oder andere besondere Gabe besäßen. Sie selbst könne sogar noch ein bisschen mehr als die meisten von ihnen. Im ersten Moment wusste ich nicht so recht, was ich davon halten sollte. Deshalb fragte ich sie auch, ob sie wirklich gerade allen Ernstes behauptet hätte, eine Hexe zu sein. „Ja selbstverständlich habe ich das ernst gemeint. Mit so etwas macht man doch keine Scherze. Ja, und da du nun schon mal weißt, wer oder besser gesagt was ich bin, könnte ich dir ja eigentlich auch noch etwas mehr über mich und meine Schülerinnen erzählen. Natürlich nur, wenn es dich interessiert.“ Erwiderte sie und zwinkerte mir zu. Mir eine so fantastische Gelegenheit entgehen lassen, von einer echten Hexe etwas über Zauberei und Magie zu erfahren? Das wäre mir doch niemals in den Sinn gekommen. Zumal ich schon immer wissen wollte, ob es so etwas wie Zauberei gibt. Also sagte ich auch, dass ich mich darüber sehr freuen würde. Doch warum ich zuvor meine Augen schließen und sie auch nicht wieder öffnen sollte, bis sie es mir sagen würde, verstand ich ganz und gar nicht. Das kam mir, ehrlich gesagt, sogar ausgesprochen albern vor. Weil ich nicht gleich ihrem Wunsch nachkam, nahm Amalia einfach meine Hände und mir fielen wie von selbst die Augen zu. Kaum war dies geschehen, da befand ich mich auch schon in einem Wald. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, tatsächlich dort zu sein, und dass, obwohl ich durchaus wusste, dass es überhaupt nicht möglich sein konnte. Da hörte ich Amalia sagen: „Schau Carlotta, auf diesem Weg gelangen wir direkt zu meinen Mädchen.“

Wenig später sah ich bereits nicht weit von uns entfernt einen Torbogen durch die Bäume schimmern. Verblüfft dachte ich: „Warum in aller Welt, steht hier mitten im dichten Wald ein Torbogen?“ Viel mehr interessierte mich jedoch, wo sich die Schule befindet, von der meine Freundin gesprochen hatte, denn außer diesem sehr verloren wirkenden Torbogen war ja weit und breit nichts zu sehen. Zumindest kein Gebäude. Darum fragte ich sie: „Ist es eigentlich noch sehr weit bis zu deiner Schule?“ „Nein, Carlotta, im Grunde sind wir sogar schon fast da. Übrigens habe ich dir vorhin vergessen zu erzählen, dass in meine Schule natürlich nur echte Hexen hineindürfen!“ Genau das sagte Amalia und machte dabei eine so ernste Miene, dass ich tatsächlich glaubte, unsereReisewäre gleich beendet, und ich war natürlich enttäuscht. Da fragte sie mich beinahe verschwörerisch: „Du denkst doch jetzt nicht etwa, dass das schon alles war, was ich dir zeigen wollte?“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, führte sie mich gleich darauf ganz genau dorthin, wo ihrer Rede nach eine „Nichthexe“ wie ich nichts zu suchen hätte. Schon der Anfang dieserReisekam mir seltsam und unwirklich vor. Doch so richtig aufregend wurde es für mich, nachdem meine Freundin mich durch den steinernen Torbogen geführt hatte. Dieser war noch nicht einmal einen ganzen Meter tief und doch konnte ich erst sehen, was sich dahinter befand, als ich auf der anderen Seite stand. Der Anblick des alten Gebäudes und des daran angeschmiegten hohen Turms, und das, was direkt davor geschah, verschlug mir regelrecht die Sprache. Tja, so lernte ich an einem einzigen Tag nicht nur Amalias Geheimnis kennen, sondern auch noch eine echte Hexenschule. Dabei gehörte ich doch genau zu denjenigen, die über diese sicherlich nicht umsonst so gut verborgene Schule nichts wissen sollten. Dennoch durfte ich mich, um es schon mal vorwegzunehmen, von nun an nicht nur an diesem, sondern auch noch am nächsten und an vielen weiteren Tagen dort umschauen. Natürlich auf Amalias Weise. Meine Freundin besaß ja die Fähigkeit, sich alles anzuschauen, was und von wo aus sie es wollte, ohne selbst dort zu sein. Für mich fühlte es sich jedoch immer eher wie ein Traum und weniger als eine Reise an, wenn mich Amalia mit Hilfe von Magie oder Zauberei in ihre Welt schauen ließ. Dabei konnte sie mir nicht nur alles zeigen, was sie wollte, sondern sogar Dinge, die bereits vor langer Zeit geschehen waren. So wie das, was ich in diesem Moment auf dem Schulhof sah. Überall wurde geplaudert und gekichert, gedrängelt oder nach Freundinnen gerufen. Wie das nun mal so ist, wenn sich Mädchen am ersten Schultag nach den langen Sommerferien wiedertreffen. Abgesehen davon, dass alle eigenartige Hüte und lange Röcke oder Kleider trugen und überall irgendwelches Gepäck herumstand, sah es hier für mich wie vor einer ganz gewöhnlichen Schule aus. Genau in dem Moment, als ich das dachte, sagte Amalia mit einem seltsamen Lächeln zu mir: „Du kannst mir glauben, das ist alles andere als eine normale Schule. Hier lernen die Mädchen nämlich neben vielen nützlichen Dingen, die man im Leben so braucht, auch zaubern. Dabei kann schon mal etwas daneben gehen. Daher jagt auch in diesem Haus eine Aufregung die nächste, und das von morgens bis abends. Besonders spannend geht es hier allerdings zu, wenn unsere Jüngsten heimlich irgendwelche Zaubersprüche ausprobieren.“ Eigentlich konnte ich es kaum glauben, dass sich die recht normal und nett ausschauenden Mädchen auf dem Schulhof, in geheimen Hexenkünsten auskennen sollten. Dennoch war es wohl so und ich blickte allem Anschein nach wirklich in diesem Augenblick in eine Welt voller Zauberei und Magie. Nachdem ich mich ein Weilchen umgeschaut hatte, meinte ich zu meiner Freundin:„So fröhlich, wie es hier zugeht, sind doch bestimmt alle sehr gern in dieser Schule?“ „Das siehst du vollkommen richtig und trotzdem können es viele dieser Mädchen kaum erwarten, erwachsen zu werden. Darin unterscheiden sich Hexenmädchen doch sicherlich nicht von anderen Mädchen. Oder was meinst du, Carlotta?“, erkundigte sie sich bei mir. „Schon möglich“, sagte ich nur, denn in Gedanken war ich damit beschäftigt, mir auszumalen, was die Mädchen dort auf dem Schulhof mit ihren Zauberkräften alles so anstellen könnten. Plötzlich musste ich herzlich lachen. „Woran denkst du?“, fragte mich Amalia verwundert. „Was meinst du, was würden uns die alten Mauern da vor uns wohl erzählen, wenn sie könnten?“, fragte ich sie. „Vermutlich bekämen wir dann eine Menge lustige und bestimmt auch einige sehr abenteuerliche Geschichten zu hören. Möglicherweise sogar ein paar recht mysteriöse. Aber zum Glück können sie ja nichts ausplaudern.“ Als sie das sagte, hatte Amalia einen äußerst zufriedenen Unterton in der Stimme. Das und auch ihre recht vage gehaltene Anspielung auf mysteriöse Vorkommnisse weckte freilich auf der Stelle mein Interesse. Gerade als ich etwas mehr über diese Dinge wissen wollte und die Frage fast schon auf der Zunge hatte, wurde ich auf ein kleines Mädchen aufmerksam. Es stand umringt von einer Schar älterer Schülerinnen unmittelbar vor der breiten Treppe, die zum Eingang der Schule hinaufführte. Alle schienen sehr aufgeregt zu sein. Schon begann ich mir darüber Gedanken zu machen, was wohl der Anlass für das Gedränge um das kleine Mädchen herum sein könnte. Dadurch vergaß ich doch tatsächlich, Amalia nach den mysteriösen Ereignissen, welche sie kurz zuvor erwähnt hatte, zu fragen. Stattdessen fragte ich sie: „Amalia, weswegen sind diese Mädchen dort vor der Treppe denn nur so aufgeregt?“ „Ach weißt du“, sagte sie daraufhin, „das ist eigentlich nicht ungewöhnlich für den ersten Tag nach den Sommerferien. Meist begeben sich unsere Mädchen gleich nach ihrem Eintreffen auf die Suche nach ihren Freundinnen, um sich mit ihnen über ihre Ferienerlebnisse auszutauschen. Entdeckt dabei eine meiner Schülerinnen irgendwo auf dem Schulhof zwischen all den bekannten Gesichtern ein fremdes, sind für sie ihre Freundinnen plötzlich nicht mehr ganz so wichtig. Dann gibt es nämlich nur noch eins für sie, und zwar in Erfahrung zu bringen, wer die unbekannte Hexe ist. Allerdings auch sie, wie es hier üblich ist, freundlich willkommen zu heißen. Das war allerdings schon immer für unsere ‚alten Hasen‘ nicht nur Ehrensache, sondern auch zugleich eine gute Gelegenheit, die Neue in ihrer Mitte ein bisschen auszufragen. Dabei sollen es einige von ihnen in den vergangenen Jahren ab und an auch schon mal ein wenig übertrieben haben. Nur, um den arglosen Kleinen an ihrem ersten Tag im Zauberwald möglichst viele Geheimnisse zu entlocken.“ Das fand ich natürlich ganz und gar nicht nett und das sagte ich Amalia auch. „Da kann ich dir wirklich nur beipflichten. Vor lauter Wissensdurst vergessen manche tatsächlich, was sich gehört! Vielleicht hätte ich mit einigen dieser jungen Damen längst schon mal ein ernstes Wörtchen reden sollen.“ Das sagte Amalia zwar mit strenger Stimme, ihr verschmitztes Lächeln dabei verriet mir jedoch, dass sie nicht daran glaubte, auf diese Weise etwas an der Neugier der „alten Hasen“, wie sie ihre älteren Schülerinnen lustigerweise nannte, zu ändern. Wie dem auch sei. Zumindest wusste ich nun, warum die Mädchen so aufgeregt waren und auch, dass jede „Neue“, sobald sie entdeckt wurde, nicht nur viele Hände schütteln musste, sondern auch noch eine Menge Fragen zu beantworten hatte. Genauso, wie es das kleine Mädchen, das vor der Treppe stand, im Augenblick machte und übrigens Anna hieß.

„Na, das ist jetzt aber wirklich mehr als sonderbar. Ich weiß doch ganz genau, dass noch zwei weitere kleine Hexen hier sein müssten“, sagte Amalia verwundert, wobei sie ihren Blick langsam über den Schulhof wandern ließ. Doch nirgends konnte weder sie noch ich ein ebenso kleines Mädchen wie Anna entdecken. Während Amalia sich weiter forschend umschaute, nutzte ich die Zeit, um ein bisschen über den heutigen Tag nachzudenken. Dabei fiel mir wieder ein, was mich schon die ganze Zeit über etwas irritiert hatte. „Amalia, gibt es eigentlich einen besonderen Grund, weswegen du den Wald, durch den du mich vorhin geführt hast, Zauberwald nanntest?“, erkundigte ich mich deshalb bei ihr. „Ach, hatte ich das?“, erwiderte sie daraufhin und tat ganz erstaunt. „Ja, aber gewiss hast du das!“, sagte ich und nickte eifrig, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Schon gut, doch bevor ich dir diese Frage beantworte, lass mich dir lieber erst noch etwas über meine jüngsten Schülerinnen aus jenem Jahr erzählen. Da wir bis jetzt nur Anna gefunden haben, fange ich am besten auch mit ihr an.“

Daraufhin verriet sie mir neben einigen anderen ganz interessanten Dingen über das Mädchen, dass Anna aus einer der ältesten Hexenfamilien in der Gegend stammen würde und sich ihr Elternhaus nicht einmal besonders weit vom Zauberwald entfernt befände. Trotzdem wäre sie noch nie vor diesem Tage in der Schule gewesen. Genauso, wie die beiden anderen Mädchen, die Neele und Emmy hießen und die Amalia, wie schon erwähnt, bislang noch nicht entdecken konnte. „Irgendwie merkwürdig. Diese beiden waren bestimmt um diese Zeit schon hier“, sagte Amalia nachdenklich. Und gleich darauf meinte sie: „Na gut, bis ich die beiden finde und sie dir zeigen kann, erzähle ich dir eben doch erst einmal, was es mit dem Zauber des Waldes auf sich hat, durch den nun mal alle hindurchmüssen, wenn sie in die Schule wollen.“ So erfuhr ich, dass dieser Wald unter anderem Geräusche, die auf die Anwesenheit von Hexen hindeuten würden, einfach verschwinden lassen könne, wohingegen so etwas ganz Normales wie das Rauschen der Blätter im Wind oder das Gezwitscher der Vögel immer zu hören wären. Nur hätten Emmy, Neele und Anna auf ihrem allerersten Flug durch den Wald, wie Amalia etwas später erfuhr, davon überhaupt nichts bemerkt. „Wieso haben sie das denn nicht gemerkt?“, fragte ich überrascht. „Na ja, vielleicht waren sie dazu einfach zu aufgeregt oder auch nur mit ihren Gedanken ganz woanders?“ „Was meinst du, Amalia, woran werden die Mädchen wohl gedacht haben, als sie an dem Tag durch den Zauberwald flogen?“ „Ach, Carlotta, ich weiß ja wirklich vieles, aber auch nicht alles. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass sie an die vielen neuen Dinge, die auf sie zukommen würden, gedacht haben. Vielleicht sogar an mich, die bisher angeblich strengste Lehrerin dieser Schule“, sagte sie und schmunzelte in sich hinein. „Allerdings“, erzählte sie weiter, „werden sie wohl vor allem auf den Weg und ihre vorausfliegenden Begleiterinnen geachtet haben. In diesem Wald kann man nämlich sehr leicht die Orientierung verlieren. Du musst wissen, hier drin gibt es unglaublich viele Wege, die sich zudem kaum voneinander unterscheiden. Sollte nun, nur mal so angenommen, eine unserer Schülerinnen aus irgendeinem Grund nicht den richtigen Weg, sondern einen anderen wählen, dann könnte sie im besten Fall wieder am Waldrand landen. Mit ein wenig Glück sogar an der gleichen Stelle, an der sie den Wald zuvor betreten hat. Abgesehen davon, dass sie eine Menge Zeit verloren hat und dennoch der Schule kein Stückchen nähergekommen ist, gibt es eigentlich nichts, worüber sie sich in diesem Fall ärgern müsste. Immerhin kann sie sich anschließend gleich noch einmal auf den Weg machen, wenn sie das will. Etwas anderes wäre es jedoch, wenn sie sich, nachdem sie den falschen Weg gewählt hat, auch noch durch einen gemeinen Zauber des Waldes in einen ihr völlig unbekannten Teil desselben locken lassen würde. Danach wieder aus dem Wald herauszufinden oder einen Weg zu entdecken, der direkt zur Schule führt, ist nämlich gar nicht so leicht.“ Das und noch einiges mehr, erzählte mir Amalia völlig gleichmütig. Mir dagegen war schon bei dem Gedanken, dass ich mich jetzt womöglich tatsächlich in einem verzauberten Wald befinden könnte, ganz seltsam zu mute. Bei der Vorstellung gruselte es mich sogar ein wenig. Daher ging ich auch davon aus, dass es keine kleine Hexe wagen würde, ganz allein durch diesen wunderschönen, aber zugleich unheimlichen Wald zur Schule zu reisen. Zu mindestens nicht an ihrem allerersten Schultag. Was das betraf, pflichtete mir Amalia, ohne zu zögern, bei. Jedoch tat sie dies nicht etwa, weil sie wie ich der Meinung war, dass es für die Kleinen zu gefährlich sein könnte oder sie sich ängstigen würden. Im Grunde wäre der Wald nämlich gar nicht so gefährlich. Jedenfalls nicht für die Schülerinnen dieser Schule. Schließlich wäre es seine Aufgabe, sie zu beschützen und nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Amalia wusste aber auch von Fremden, die trotz aller Raffinessen des Waldes in die Nähe der Schule gelangt seien. Die Schule hätte allerdings kein einziger von ihnen zu sehen bekommen und hineingelangt wäre natürlich erst recht keiner. Auf meine Frage, ob das denn so schwer wäre, schaute mich Amalia einen Moment lang überlegend an. Doch dann erzählte sie mir, dass es nur einen sehr schwer zu findenden Zugang zur Schule geben würde. Sogar seinen Namen verriet sie mir. Im ersten Moment fand ich den Namen „Verborgene Pforte“ etwas seltsam. Nachdem mir Amalia bestätigte, dass diese Pforte, genau wie der Name mich vermuten ließ, tatsächlich unsichtbar sein würde, fand ich ihn sogar sehr zutreffend. Natürlich wollte ich wissen, wie die Hexen den Eingang zur Schule finden würden, wenn er doch gar nicht zu sehen wäre. Mit der Antwort auf diese Frage tat sich meine Freundin richtig schwer. „Carlotta, über das, was ich dir gleich erzählen werde, darf niemand etwas erfahren, wirklich niemand. Hörst du, das musst du mir versprechen!“, sagte sie sehr ernst. „Oh nein. Was rede ich denn da für einen Unsinn!“, meinte sie gleich darauf. „Warum solltest du denn mit irgendeinem Fremden, über diese Dinge reden?“ „Ja, was denkst du denn von mir? So etwas würde ich doch niemals tun!“, erwiderte ich daraufhin, fast ein wenig gekränkt. „Schon gut, schon gut, das weiß ich doch!“, lenkte Amalia ein. Dann berichtete sie mir von den magischen Worten, welche die Pforte dazu brächten, die allerdings weder eine Tür noch etwas Ähnliches, sondern ein recht ungewöhnlicher Baum wäre, sich für kurze Zeit zu zeigen. „Na, dann ist es ja wohl doch nicht ganz so schwierig, in die Schule zu gelangen, wie ich zunächst dachte?“, fragte ich. Daraufhin erzählte mir Amalia, dass selbst in der Zeit, wenn die Verborgene Pforte sichtbar wäre, niemand einfach hindurchgehen könne. „Was muss man denn tun, um von ihr in die Schule gelassen zu werden? Amalia, befindet sich etwa irgendwo ein versteckter Türöffner oder reicht es vielleicht sogar schon, wenn man auf eine besondere Weise anklopft?“ Daraufhin lachte sie schallend. „Aber nein“, sagte sie, als sie sich wieder beruhigt hatte. „Weder das eine noch das andere trifft zu. Hier kommt nur hinein, wer den richtigen Zauberspruch dafür kennt. Noch nicht einmal mich lässt diese Pforte ohne diesen hinein.“ Gespannt schaute ich sie an, denn ich dachte, dass ich nun gleich die Worte dafür erfahren würde. Doch statt diese zu nennen, erzählte mir Amalia, dass Zauberdinge manchmal ganz schön pingelig seien und dass diese Pforte vermutlich das pingeligste Zauberding im ganzen Zauberwald wäre. Sie lässt sich nämlich weder überlisten, noch duldet sie den kleinsten Fehler beim Aufsagen des Spruches. Stimmt auch nur ein einziger Laut nicht, verschwindet sie auf der Stelle, und zwar ohne den geringsten Schatten zu hinterlassen. Anna, Neele und Emmy wollten sich natürlich nicht an ihrem ersten Schultag blamieren. Deshalb haben sie auch so lange die Worte geübt, bis sie diese sogar im Schlaf hätten hersagen können. Die ersten wären sie allerdings nicht gewesen, die die Pforte im wahrsten Sinne des Wortes einfach im Wald stehen gelassen hätte, wie Amalia zu berichten wusste. Der Pforte sei es schon immer völlig egal gewesen, ob sich eine Schülerin ein wenig verplappert hatte oder um eine einzige Sekunde zu spät gekommen wäre. Daran hätte sich auch im Laufe der Jahre nichts geändert. Natürlich brauchten weder die „Schussel-Liesen“ noch die „Trödel-Susen“ die Nacht auf dem kühlen Waldboden statt in ihrem Bett in der Schule zu schlafen. Auf meine Bemerkung „Ach, dann hat sie die Verborgene Pforte doch noch durchgelassen?“ schüttelte Amalia verneinend den Kopf und erzählte mir, dass die Hüterin der Schule solchen Mädchen immer zu Hilfe eilen würde. Natürlich wollte ich wissen, woher diese denn weiß, wenn ein Mädchen in Not ist. So erfuhr ich, dass die Hüterin der Schule die Abreise der Schülerinnen in die Ferien und auch ihre Rückkehr in die Schule immer überwachen würde. Dazu müsse sie allerdings auf den Turm hinaufsteigen. Von dort oben kann sie nämlich bis zur Verborgenen Pforte schauen und diese auch für die Mädchen öffnen oder, wenn alle da sind, schließen. Schon drängte sich mir die nächste Frage auf und ich beeilte mich, sie zu stellen. „Amalia, ich würde wirklich zu gern wissen, ob eine kleine Hexe den Weg durch den Wald auch allein finden würde, wenn sie es müsste?“ Amalia überlegte einen Moment. Dann erwiderte sie auf meine Frage: „Vielleicht ja, vielleicht aber auch nicht?“ Doch das wüsste sie selbst nicht so genau. Bislang wäre nämlich noch keine Schulanfängerin auf so eine seltsame Idee gekommen. „Warum eigentlich nicht?“, fragte ich meine Freundin. „Nun sag schon, Amalia! Warum würde das deiner Meinung nach denn keine machen?“, fragte ich sie noch einmal, weil sie nicht gleich antwortete. „Sag du mir mal lieber, warum das eine tun sollte?“ Ohne jedoch auf meine Antwort zu warten, erklärte sie mir, dass so etwas einfach nicht üblich wäre. Schließlich gäbe es seit Anbeginn des Bestehens der Hexenschule den Brauch, dass sich jede Schulanfängerin für ihre erste Reise durch den Zauberwald eine Begleiterin aussuchen dürfe. „Ich wüsste wirklich keinen einzigen Grund, weswegen eine darauf verzichten und sich stattdessen allein auf den Weg begeben sollte.“ „Hm, zugegeben ein schöner Brauch. Doch warum darf nur eine einzige Person mit zur Schule? Das ist doch sicherlich ein besonders wichtiger Tag im Leben einer kleinen Hexe und ihrer Familie?“, fragte ich erstaunt. Das konnte ich ehrlich gesagt, überhaupt nicht begreifen. Daher beschrieb ich Amalia, wie es früher in meinem Dorf an so einem Tag immer zugegangen wäre. Dort wurden nämlich die meisten Schulanfänger von so ziemlich der ganzen Familie zur Schule geleitet. Daraufhin lachte sie leise und fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, was auf dem Weg zum Zauberwald los wäre, wenn jedes Mädchen ebenso wie die Kinder in meiner alten Dorfschule mit der ganzen Familie anreisen würde. „Selbst wenn es nur so wenige sind wie in jenem Jahr, als Anna, Neele und Emmy zur Schule kamen?“, wendete ich vorsichtig ein. „Ach, Carlotta“, sagte Amalia daraufhin. „Du hast ja keine Ahnung, wie groß Hexenfamilien sein können. Na, und denk bloß nicht, dass auch nur ein Einziger aus so einer Familie freiwillig zu Hause bliebe, wenn es diese Regel in unserer Schule nicht geben würde!“ Daraufhin versuchte ich mir bildlich vorzustellen, wie es wäre, wenn über die Dächer meines verträumten Städtchens plötzlich ein aufgeregter Schwarm Hexen flöge, und ich musste unweigerlich lachen. „Du hast sicherlich Recht! Völlig unbemerkt bliebe so etwas wohl nicht.“ „Na, und ob ich damit Recht habe!“, sagte Amalia und ergänzte, dass es bei dem, was sie mir erzählen wollte, eigentlich gar nicht um solche Dinge, sondern vor allem um ihre jüngsten Hexen in jenem Jahr gehen würde. „Also, da wäre zunächst einmal die kleine Anna“, lenkte Amalia geschickt meine Aufmerksamkeit wieder auf das Mädchen, das sich unmittelbar vor der Treppe zum Schulhaus mit ein paar älteren Schülerinnen unterhielt. Anschließend erklärte sie mir, dass die erwachsene Hexe daneben Annas Schwester Mara sei, die auch mal in diese Schule gegangen wäre. Selbstverständlich wollte Anna alles über den Zauberwald und die Hexenschule von ihr erfahren. Vor allem von ihrem ersten Tag dort musste sie ihr immer wieder erzählen. Neben vielen anderen Dingen erzählte ihr Mara auch von dem bereits beschriebenen Brauch an diesem Tag. Kaum hatte sie das getan, da musste sie auch schon versprechen und sogar Anna ihr Schwesternhexenehrenwort geben, dass sie mit ihr zusammen in den Zauberwald fliegen würde. „Glaub mir, Carlotta“, sagte Amalia daraufhin und seufzte, „Anna war schon immer ein sehr eigenwilliges kleines Persönchen. Hat sie sich nämlich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt, lässt sie sich wirklich äußerst selten wieder davon abbringen. Wer weiß, vielleicht wäre dieser Tag im Zauberwald ganz anders verlaufen, wenn Anna nicht darauf bestanden hätte.“

Gerade hatte Amalia das gesagt, da drehte sich Anna plötzlich zu uns um und schaute direkt zu mir herüber. Obwohl ich inzwischen ganz genau wusste, dass uns niemand sehen konnte, somit auch die kleine Anna nicht, öffnete ich erschrocken meine Augen. Im gleichen Moment waren die Bilder der Hexenschule verschwunden und ich befand mich wieder – na wo schon? Natürlich genau dort, wo ich bislang auch war, und zwar auf den Klippen vor meiner Stadt, direkt gegenüber von meiner Freundin Amalia. „Wollen wir noch einmal zum Zauberwaldreisenoder hast du für heute schon genug gesehen?“, fragte sie mich daraufhin. „Am liebsten würde ich mir auch noch die anderen beiden kleinen Hexen anschauen, wenn das geht?“, sagte ich unsicher. Dann fragte ich sie: „Amalia, wie ist das eigentlich, wenn man in die Vergangenheit schauen kann und sich womöglich dabei auch noch selbst begegnet?“ „Ein wenig eigenartig, aber auch irgendwie spannend“, erwiderte sie nach kurzem Zögern und lächelte. „Du brauchst also nur an den Ort zu denken, den du dir anschauen möchtest, einen Tag und eine Stunde auszuwählen und schon siehst du, was zu dieser Zeit dort geschehen ist? Stimmt das so, Amalia?“ Ob das jedoch zutraf, was ich inzwischen darüber zu wissen glaubte, das verriet sie mir nicht. Stattdessen sagte sie: „Ach Carlotta, Magie gehört zu den Dingen, die nicht einmal ich erklären kann.“ Auch wenn sie mir das angeblich nicht erklären konnte, war Amalia ganz offensichtlich eine ganz besonders schlaue Hexe. „Na, Carlotta“, hörte ich sie plötzlich sagen. „Wie sieht es aus? Können wir wieder los?“ Dabei lächelte sie mich verschmitzt an. „Ja, natürlich!“, antwortete ich, schloss, ohne dass sie mich dazu auffordern musste, meine Augen und ließ mich erneut von meiner Freundin und ihren Worten verzaubern. Im Handumdrehen fühlte ich mich wieder, als würde ich träumen, und Amalia führte mich erneut in ihre Welt. In eine Welt, von der ich zumindest bis zu diesem Tag nicht im Entferntesten geglaubt hätte, dass es sie wirklich geben könnte.

Inzwischen hatten sich schon die meisten Hexen auf dem Schulhof in der Nähe der Treppe zusammengefunden. Sie schienen auf irgendwas oder irgendwen zu warten. Jedenfalls schauten sie immerzu zum Eingang der Schule hinauf. Natürlich wollte ich unbedingt den Grund dafür wissen und so fragte ich Amalia sogleich danach. Da erfuhr ich, dass sie selbstverständlich auf die Hüterin der Schule warten würden, und zwar … auf sie. „Na schau mal an“, sagte ich daraufhin verblüfft. „Meine liebe Freundin ist demnach nicht etwa nur die angeblich strengste Lehrerin hier, wie sie mich bis jetzt glauben ließ.“ „Nein, ist sie nicht, sondern schon seit vielen Jahren auch noch die Hüterin dieser Schule und der Verborgenen Pforte, eigentlich sogar des ganzen Zauberwaldes“, sagte sie daraufhin nicht ganz ohne Stolz.

„Ja, und wo ist sie jetzt, die von allen so ungeduldig erwartete Hüterin?“, erkundigte ich mich neugierig. Ich war nämlich schon sehr gespannt, Amalia mit Hexenhut zu sehen. „Na, wo soll ich schon gewesen sein?“, erwiderte sie auf meine Frage und erinnerte mich daran, dass sie mir doch schon längst erzählt hatte, dass sich die Hüterin an so einem Tag immer oben auf dem Turm der Schule befinden würde. Schließlich müsse sie doch die Ankunft der Hexen überwachen und von dort oben ginge das nun mal am besten. „Musst du etwa an so einem Tag von morgens bis abends dort oben ausharren?“, wollte ich daraufhin von Amalia wissen. „Nein, das brauche ich natürlich nicht. Der Zugang zur Schule ist doch stets nur für eine sehr kurze Zeit geöffnet“, erwiderte sie. Dann schaute sie sich mit prüfendem Blick auf dem Schulhof um. „So wie es aussieht, sind meine älteren Schülerinnen alle da. Anna und Mara haben wir ja auch schon gesehen, fehlen genaugenommen nur noch die anderen beiden ‚Neuen‘ und ihre Begleiterinnen. Sicherlich befinden sie sich auch irgendwo auf dem Schulhof und ich sehe sie bloß nicht. Sollte ich damit Recht haben, dann könnte ich zu dieser Zeit bereits damit beschäftigt gewesen sein, dafür zu sorgen, dass niemand Fremdes den Zugang zur Schule finden kann. Möglicherweise war ich sogar schon auf dem Weg nach unten. Genau weiß ich das zwar nicht, denn dafür ist das schon viel zu lange her. Jedoch denke ich, dass mir noch genügend Zeit bleibt, um dir die beiden anderen Schulanfängerinnen zu zeigen und vielleicht auch noch ein bisschen was über sie zu erzählen. Freilich müsste ich sie dazu erst einmal finden. Nur wo zum Kuckuck stecken die beiden?“, fügte Amalia noch leise hinzu, zugleich schaute sie sich weiter um.

Auf der zweitenReisemit meiner Freundin zur Hexenschule war mir ehrlich gesagt noch eigenartiger zu Mute als auf unserer ersten, kurz zuvor. Amalia saß ja nicht nur neben mir auf den Klippen vor meiner Stadt, hielt meine Hände und schaute mit mir gemeinsam aus der Ferne dem ausgelassenen Treiben auf dem Hof vor ihrer Schule zu. Das allein hatte sich für mich schon eigenartig angefühlt. Nun sollte sie auch noch in wenigen Augenblicken höchstpersönlich durch die Tür der Schule treten, um wie stets zu Beginn eines Schuljahres die „Neuen“ mit ihren Begleiterinnen sowie ihre „alten Hasen“ herzlich willkommen zu heißen. Selbstverständlich musste dies mit einer eindrucksvollen Rede geschehen. Genauso, wie es eben zu so einem bedeutungsvollen Anlass schon seit eh und je Tradition an dieser Schule war. Da bislang noch niemand weder an dieser noch an irgendeiner anderen Tradition dieser Schule zu rütteln gewagt hatte, gab es für Amalia gar keinen Zweifel, dass das auch in Zukunft so sein würde. Natürlich interessierte es mich, ob so etwas tatsächlich noch nie geschehen wäre. Doch bevor ich dazu kam, dies zu fragen, hörte ich Amalia sagen: „Na endlich. Ich denke, dass ich zumindest schon mal eine gefunden habe.“ Allerdings hatte sie nicht die kleine Hexe selbst, sondern deren Begleiterin Hedda entdeckt. Diese beobachtete äußerst aufmerksam eine kleine Gruppe Mädchen, die ganz in ihrer Nähe miteinander plauderten. So besorgt, wie Hedda zu ihnen hinübersah, vermutete Amalia, dass sich bei ihnen Neele befinden könnte. Nur wenige Augenblicke später tat sich dann auch, genau wie Amalia es gehofft hatte, zwischen den bis dahin dicht beieinanderstehenden Mädchen eine Lücke auf. „Carlotta siehst du die kleine Hexe dort? Das ist Neele.“ Wirklich wohl schien sie sich zwischen den fremden Mädchen aber nicht zu fühlen. Zumindest schaute sie ziemlich ängstlich zu Hedda hinüber. Es sah für mich sogar fast so aus, als würde sie befürchten, dass diese plötzlich verschwinden könnte, während sie mit den Mädchen redete. Einen Augenblick später nutzte Neele die entstandene Lücke zwischen den anderen Mädchen und huschte geschickt hindurch, um zu ihrer Begleiterin zurückzukehren.

Danach erfuhr ich, dass Amalia über Neele anfangs nicht viel mehr wusste, als dass sie ebenso wie Hedda in der Stadt am See zu Hause war. Im Laufe des Nachmittags erzählte diese ihr natürlich noch vieles mehr. Zum Beispiel warum Neele inzwischen bei ihr wohnen würde und dass sie vom ersten Moment an das Gefühl gehabt hätte, dass sie ein Hexenmädchen sei. Nur vermuten und wissen sind ja bekanntlich zwei völlig verschiedene Dinge. Bis sich Hedda absolut sicher war, dass in Neele tatsächlich Hexenkräfte schlummerten, verging viel Zeit, in der sie sich nicht traute, ihr von Amalia und der Hexenschule zu erzählen. In der wenigen Zeit, die ihr anschließend noch blieb, bevor sie mit ihr in den Zauberwald reisen musste, konnte sie Neele nur noch das Allerwichtigste erklären beziehungsweise beibringen. Deshalb bat sie Amalia, nicht ganz so streng mit ihr zu sein, wenn ihr mal etwas nicht gleich gelingt. Das Interessanteste an der Geschichte von Hedda und Neele war übrigens, dass nicht Hedda die kleine Hexe entdeckt hatte, wie man jetzt vielleicht annehmen könnte. Es war nämlich Neele, die eines Tages einfach zu ihr in den Laden kam und sie mit großen fragenden Augen anschaute. Hedda war zwar im ersten Augenblick etwas verwundert darüber, doch sie freute sich auch sehr über den Besuch des kleinen Mädchens. Sie hatte es schon oft vor dem Laden stehen sehen und nach einer Möglichkeit gesucht, es näher kennenzulernen. Was Neele dazu bewogen hatte, an diesem Tag in den Krämerladen hineinzugehen, wusste das Mädchen selbst nicht. Daher brachte es wohl auch außer einem leisen „Guten Tag“ kein weiteres Wort heraus. Hedda erwiderte den Gruß und stellte sich dem Mädchen vor. Nebenbei überlegte sie, wie sie das Vertrauen des Mädchens gewinnen könnte. Plötzlich hatte sie eine Idee. Da sie wusste, dass sich Neele immer zuerst die Bücher im Schaufenster angeschaut hatte, machte sie ihr einen Vorschlag, den diese freudig annahm. Danach wurden die beiden recht schnell gute Freundinnen. Dennoch erfuhr das Mädchen lange Zeit nicht, dass Hedda alles andere als eine gewöhnliche Ladenbesitzerin war. Trotzdem war Hedda für Neele schon vom ersten Tage an genau die besondere Freundin, die jedes Hexenmädchen braucht, wenn es in seiner Familie keinen gibt, der sich in der „fremdartigen Welt der Hexen und Zauberer“ auskennt. Schließlich muss auch so einem Mädchen jemand die Geheimnisse dieser Welt, zu der es ja nun mal gehört, erklären. Hedda mochte die Kleine vom ersten Augenblick an. Und Neele? Na, sie ließ ihrerseits in der darauffolgenden Zeit auch kaum noch eine Gelegenheit aus, um mit Hedda zusammen zu sein. Das alles und noch einiges mehr erfuhr Amalia so nach und nach im Laufe des Tages. In wenigen Stunden sollte sich nun im Leben der kleinen Neele schon wieder so vieles ändern. Was sie und Hedda von der bevorstehenden Trennung hielten, war nicht schwer zu erraten. Dazu brauchte man nur einen einzigen Blick in die Gesichter der beiden zu werfen, um zu erkennen, was in ihnen vorging. So wie Hedda schaute, machte sie sich wirklich Sorgen, um ihre kleine Freundin. Deren trauriger Blick war auch nicht misszuverstehen. Scheinbar wusste sie in dem Augenblick nicht einmal, ob sie lachen und sich auf ihre Schulzeit mit Mädchen, die wie sie waren, freuen oder vor Kummer über Heddas bevorstehende Abreise weinen sollte. Bedenkt man, dass sie erst vor wenigen Wochen eine richtige Freundin gefunden hatte und sich nun schon wieder von ihr trennen sollte, kann doch sicherlich jeder verstehen, dass Neele deswegen ein wenig bange war.

Übrigens waren nicht nur Hedda und Mara, sondern auch Thea, die Begleiterin der dritten kleinen Hexe, einst Schülerinnen dieser Schule und an diesem Tag nicht nur im Zauberwald, weil sie es versprochen hatten. Alle drei freuten sich nämlich auch darauf, ihre ehemalige Lehrerin Amalia endlich einmal wiederzusehen. Deutete man die Unruhe auf dem Hof richtig, dann bekamen sie vermutlich schon sehr bald Gelegenheit dazu. Amalia hatte ihre dritte neue Schülerin zwar immer noch nicht entdeckt, dennoch wollte sie mir in den wenigen verbleibenden Minuten unbedingt ein bisschen was über sie erzählen. So erfuhr ich, dass Emmy ein besonders fröhliches Kind wäre und schon immer viel Spaß daran gehabt hätte, anderen Streiche zu spielen, vor allem ihren Zwillingsbrüdern Tim und Max, was beide jedoch selten lustig fanden. Schon damit sorgte Emmy oft genug für ziemlich viel Wirbel in ihrem Elternhaus. Doch es wurde noch spannender. Kurz bevor sie in die Schule kommen sollte, erwachten nämlich ihre Hexenkräfte. Nur ahnten weder Emmy noch ihre Eltern etwas davon. Dabei ging in ihrem Hause schon längst nicht mehr alles mit rechten Dingen zu. Natürlich fand Emmys Tante Thea den Grund für die seltsamen Vorkommnisse im Haus ihrer Schwester Dora heraus, bevor Emmy sich und andere in echte Schwierigkeiten bringen konnte. Allerdings ging es auch noch, nachdem Thea Emmy unter ihre Fittiche genommen hatte, dort ab und zu ziemlich abenteuerlich zu. Schließlich waren Emmys Brüder auch keine Kinder von Traurigkeit. Nur mit Zauberei hatte das, was so passierte, nachdem Emmy nicht mehr dort wohnte, nichts mehr zu tun. Obwohl sie ja nun ihren Brüdern keine Streiche mehr spielen konnte, hatte sie dennoch nicht einen einzigen Tag Langeweile. Genau genommen war für sie sogar jeder Tag, den sie mit ihrer Tante Thea verbrachte, unglaublich aufregend. Doch was diese beiden miteinander erlebt haben, sollte ich ein anderes Mal erfahren, wenn mehr Zeit wäre.

Gerade, hatte Amalia mir das gesagt, da hörten wir wie Hedda Neele zuflüsterte: „Komm, lass uns mal ein bisschen umhergehen, denn hier muss irgendwo noch ein genauso kleines Mädchen sein, wie du eins bist. Das würde ich dir gern vorstellen.“ Da stand plötzlich Thea vor ihnen. Diese hier zu treffen, hatte Hedda allerdings nicht erwartet. Natürlich war Thea auch nicht allein hier, sondern mit ihrer kleinen Nichte Emmy. Zumindest vermutete das Hedda, denn die Ähnlichkeit der beiden war wirklich nicht zu übersehen. Doch bevor sie dazu kam, ihre Freundin danach zu fragen, entdeckten sie Mara vor der Treppe zum Eingang des Schulgebäudes. Natürlich machten sie sich gleich auf den Weg zu ihr. Es schien gerade so, als hätte Mara die Blicke ihrer Freundinnen gespürt, denn sie drehte sich ganz plötzlich um. Weil Mara, aber nicht sehr groß war, stieg sie, praktisch veranlagt, wie sie nun mal war, rasch einige Stufen die Treppe hinauf. Da sah sie zu ihrer Verwunderung nicht nur eine, sondern gleich zwei ihrer engsten Schulfreundinnen auf sich zukommen. Im Gegensatz zu diesen beiden, die ja ganz genau wussten, dass Mara ihre kleine Schwester zur Schule begleiten würde, hatte diese nicht im Entferntesten damit gerechnet, jemand aus ihrer eigenen Schulzeit hier anzutreffen. Natürlich fragte sie sich, warum sie ihr nicht mitgeteilt hätten, dass sie ebenso an diesem Tag in der Schule sein würden. „Na, wenn die beiden mich überraschen wollten, dann ist ihnen das fantastisch gelungen“, dachte Mara gerade, da waren Hedda und Thea samt ihren kleinen Hexen auch schon bei ihr angelangt.

Das hatte Mara etwas später Amalia erzählt, jedoch auch, was den drei Freundinnen anschließend alles so durch den Kopf gegangen wäre. Deswegen wusste Amalia, dass sich alle drei nicht nur wahnsinnig über ihr Wiedersehen gefreut hätten, sondern auch darüber, dass sie den ersten Schultag von Anna, Emmy und Neele gemeinsam im Zauberwald verbringen konnten. Da sich die drei noch nie zuvor begegnet waren und auch von den Begleiterinnen der anderen Mädchen nur die Namen wussten, machten sie sich natürlich erst einmal miteinander bekannt. Kaum war dies geschehen, steckten sie auch schon die Köpfe zusammen, um herauszufinden, mit wem sie die nächste Zeit verbringen würden. Offen gesagt standen die kleinen Hexen den älteren Mädchen dieser Schule in Sachen „Neugier“ in nichts nach. Deshalb dauerte es auch gar nicht lange und sie wussten bereits so einiges mehr voneinander als nur ihre Namen und wo sie herkamen. Selbstverständlich war Mara auch daran interessiert, alles über Neele und Emmy zu erfahren. Doch bei dem Lärm um sie herum hätte sie wahrscheinlich nur die Hälfte von dem verstanden, was ihre Freundinnen ihr darüber erzählen würden. Also beschloss sie, sich ihre Fragen, bis nach Amalias Rede aufzuheben. Thea und Hedda dachten wohl genauso darüber, denn auch sie unternahmen kaum einen Versuch, sich zu unterhalten. Stattdessen hing jede von ihnen ihren ganz eigenen Gedanken nach, während sie gemeinsam auf die Eröffnung der Feier warteten. Hedda zum Beispiel hatte sich ja schon eine ganze Weile Sorgen gemacht, dass es Neele hier nicht gefallen könnte. Doch nun, da sie auch noch Emmy kennengelernt hatte, Maras Schwester Anna kannte sie ja bereits, war ihre Angst urplötzlich verschwunden. Anna und Emmy waren ja auch zwei ausgesprochen sympathische und vor allem fröhliche Mädchen. Mit diesen beiden an ihrer Seite konnte doch selbst ihre schüchterne Neele unmöglich lange traurig sein oder ständig Heimweh haben. Zumindest hoffte Hedda dies von ganzem Herzen. Eigentlich hoffte sie sogar, dass die drei Freundinnen werden würden. Ähnlich empfand nicht nur Hedda, als sie sah, wie unbeschwert die Mädchen miteinander plauderten. Auch Thea dachte zur gleichen Zeit über die drei Kleinen in ihrer Mitte nach. Dabei kam auch sie zu dem Schluss, dass die Schulzeit für die Mädchen gar nicht hätte besser beginnen können. Natürlich befürchtete Thea dennoch, und das nicht ohne Grund, dass sich ihre Nichte auf irgendeine Weise auch hier über kurz oder lang in Schwierigkeiten bringen könnte. Allerdings wusste sie aus ihrer eigenen Schulzeit, dass der Hüterin kaum etwas in ihrem Hause entging und sie vor allem Hexenmädchen wie Emmy nie lange aus den Augen ließ. Da hörten wir, wie Hedda zu Neele sagte: „Du wirst schon sehen, es wird dir hier ganz sicher gefallen und außerdem bekommt ihr ja bald Ferien. Jetzt, wo du fliegen kannst, können wir dann an den Wochenenden zusammen Ausflüge ans Meer machen. Natürlich nur, wenn du Lust dazu hast.“ Obwohl Neele nur nickte, gab es keinen Zweifel, dass sie sich über diesen Vorschlag unheimlich freute. Nicht zu glauben, doch so, wie sich das gerade anhörte, dachte Hedda tatsächlich schon darüber nach, was sie mit Neele in ihren ersten Ferien unternehmen könnte – und das noch ehe die kleine Hexe auch nur ein einziges Mal ihre Nase in irgendein Schulbuch gesteckt hatte. Anschließend erzählte mir Amalia noch, dass Maras Gedanken, im Gegensatz zu denen ihrer beiden Freundinnen, erst einmal zurück in ihre eigene Vergangenheit gewandert wären. Genauer gesagt zu dem Tag, an dem sie, Hedda und Thea, sich hier kennenlernten. Damals standen sie wohl sogar fast an der gleichen Stelle auf dem Schulhof und schauten sich nicht weniger neugierig an, als es die drei kleinen Hexen in ihrer Mitte gerade taten. Doch gleich danach fragte sich auch Mara, ebenso wie Thea und Hedda es getan hatten, ob aus ihrer Anna und den anderen beiden Mädchen Neele und Emmy auch einmal gute Freundinnen werden würden. Natürlich konnte sie die Antwort auf diese Frage zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennen. Doch für sie sah es ganz so aus, als würden sich die drei kleinen Hexen mögen, was sie völlig zu Recht für ein gutes Zeichen hielt, wie sich schon sehr bald herausstellte. Plötzlich zog lautes Knarren die Aufmerksamkeit der versammelten Hexenschar auf sich. Die große Flügeltür des Schulhauses öffnete sich und Amalia, die Hüterin der Hexenschule, erschien. Natürlich wurde sie von allen mit begeistertem Beifall begrüßt. Als er verklungen und es auf dem Schulhof still geworden war, begann sie ihre Begrüßungsrede zu halten. Sie hatte den ersten Satz ihrer Rede noch nicht einmal ganz beendet, da unterbrach sie diese auch schon wieder. Verblüfft fragte ich sie: „Amalia, weshalb hast du denn aufgehört zu reden? War irgendetwas passiert?“ „Warte einen Moment, dann wirst du sehen, weshalb ich das tat.“ Da sah ich auch schon, wie die Hüterin die Treppe hinuntereilte und sich einen Weg durch die auf dem Schulhof dicht beieinanderstehenden Schülerinnen bahnte.

Vor einem kleinen Mädchen blieb sie stehen. Nachdem sie sich dem Mädchen vorgestellt hatte, erfuhr sie auch dessen Namen. Lina. Da die Hüterin in der Nähe der kleinen Lina keine erwachsene Hexe ausmachen konnte, fragte sie das Mädchen, wo ihre Begleiterin wäre. Daraufhin schaute Lina sie völlig erstaunt an. Sie hatte offensichtlich keine Ahnung, wovon die ihr unbekannte Frau redete. Stattdessen wollte sie von dieser wissen, was das für ein riesiges Haus sei und warum die vielen anderen Mädchen hier wären. Selbstverständlich musste Amalia der Sache auf den Grund gehen. Schließlich war sie die Hüterin der Schule und sollte über alles, was irgendwo in diesem Hause oder im Zauberwald vor sich ging, Bescheid wissen. Nur war das nicht der richtige Zeitpunkt, um die seltsame Geschichte mit dem kleinen Mädchen aufzuklären. Daher brachte sie Lina kurzentschlossen zu Hedda, Mara und Thea und bat diese, auf das Mädchen achtzugeben, bis sie ihre Rede gehalten haben würde. Anschließend eilte sie, so schnell sie nur konnte, die Treppe wieder hinauf, um ihre begonnene Rede fortzusetzen, was zu ihrer Verwunderung jedoch niemand zu interessieren schien. Tatsächlich war die Aufregung wegen der so plötzlich aufgetauchten kleinen Hexe auf dem Schulhof inzwischen nicht nur ziemlich groß, sondern zu Amalias Unmut auch nicht zu überhören. Ein solches Benehmen von ihren Schülerinnen war sie aber weder gewohnt noch gewillt zu dulden. Also sorgte sie mit ein paar Worten und einer kleinen Handbewegung für Ruhe. Dann hieß sie ohne Umschweife die anwesenden Hexen herzlich willkommen und bat die „Neuen“ zu sich auf die Treppe herauf. Zu den versammelten Hexen auf dem Schulhof gewandt, sagte sie dann: „Erwartet hatten wir heute eigentlich nur Anna, Neele und Emmy, die die meisten von euch ja sicherlich schon kennengelernt haben. Doch zu meiner Freude hat sich noch eine weitere kleine Hexe, bei uns eingefunden, nämlich Lina.“ Anschließend wünschte sie allen einen wundervollen Tag und gab den Weg zur Festtafel frei.

Amalia verriet mir daraufhin, dass sie noch nie zuvor an so einem bedeutungsvollen Tag eine so kurze Rede gehalten hätte wie in jenem Jahr. Natürlich wäre das nur passiert, weil sie unbedingt mehr über Lina erfahren wollte. Allerdings bekam sie weder an diesem Sonntag noch in der folgenden Zeit auf ihre Fragen, die sie verständlicherweise hatte, eine Antwort. So blieb Linas geheimnisvolles Auftauchen in der Schule zum Kummer des kleinen Mädchens und zu Amalias Befremden ein Rätsel. Ungeachtet dessen, wollte Amalia natürlich, dass Lina sich in der Hexenschule wohlfühlt. Daher dachte sie sich, dass das in der Gesellschaft von genauso kleinen Mädchen, wie Lina selbst eines war, am schnellsten gelingen müsste. Deshalb ließ sie, nachdem sie ihre Rede gehalten hatte, noch ein viertes Bett in das Turmzimmer stellen. Groß genug war dieses nämlich allemal, auch für vier Mädchen. Nachdem sie mir das erzählt hatte, fragte ich sie, ob ich mir das Zimmer der Mädchen mal anschauen dürfe. „Ja, natürlich kannst du das.“ Einen Augenblick schaute sie mich seltsam an, doch dann sagte sie: „Na, was ist, Carlotta? Willst du dir nun das Zimmer ansehen oder nicht?“ Da bemerkte ich erst, dass ich meine Augen geöffnet hatte. „Ach, Amalia, entschuldige bitte, ich war so in Gedanken, natürlich möchte ich das Zimmer sehen“, erwiderte ich. Dann schloss ich rasch meine Augen. Gleich darauf sah ich die Schule wieder vor mir.