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Otila Ashe, eine junge und sehr schöne Engländerin hatte vor fast zwei Jahren von ihrem amerikanischen Großvater, den sie nie gesehen hatte, ein Riesenvermögen geerbt. Ihre früh verstorbene Mutter war mit Sir Willoughby Ashe verheiratet gewesen, der kurz nach dem Tod seines amerikanischen Schwiegervaters bei einer Jagd ums Leben gekommen war. Da Otila noch minderjährig ist, wurde ihr Onkel ihr Vormund. Dieser schickte sie zu Bekannten, dem Compte Chalon, nach Paris, damit sie dort ihr Französisch verbessern und die französische Gesellschaft kennenlernen sollte. Die de Chalons, leben über ihren Mitteln und behandeln Otila wie eine Gefangene, da sie sie mit einem ihrer Söhne verheiraten wollen, um an ihr Erbe zu kommen. Otila gelingt eine lang geplant Flucht aus den Armen ihrer Wächterin und sie sucht Lord Kirkly, einen englischen Adligen, der sich gerade in Paris aufhält, in seinem Hotel auf und bittet ihn, ihr zu helfen, um aus Paris zu entkommen. Sie befürchtet, dass es dem Compte gelingen wird, mit Hilfe der Polizei alle Wege aus Paris und den Seeweg nach England zu bewachen. Lord Kirkley, der gerade in Paris weilt, da er in London in einen Skandal mit einer verheirateten Frau verwickelt war, verspricht, ihr zu helfen und eine waghalsige Flucht beginnt. Wird es Otila mit Hilfe von Lord Kirkly gelingen, ihren Häschern zu entkommen und ihren eigenen Lebensweg gehen, um die wahre Liebe zu finden?
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Seitenzahl: 172
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Titel der Originalausgabe: Safe at Last
Otila Ashe hat von ihrem Großvater, der sich in Amerika erfolgreich eine neue Existenz aufgebaut hat, ein riesiges Vermögen geerbt. Da dieses Ereignis durch die Presse geht, wird die hübsche junge Dame von heiratswilligen Glücksrittern regelrecht verfolgt. Zu denen, die ihrnachstellen, gehören auch die Söhne ihres französischen Gastgebers, des Comte de Chalon, der hinter Otilas Erbe her ist: Würde sie einen seiner Söhne heiraten, erhielte dieser laut englischem Recht die totale Verfügungsgewalt über Otilas Vermögen. Immer stärker bedrängt durch die Chalons, ergreift die junge Frau die Flucht. Hilfesuchend wendet sich die zur Männerfeindin gewordene Erbin an einen überzeugten Frauenfeind: Lord Kirkly. Er soll ihr helfen, Frankreich zu verlassen. Doch so einfach ist dieser Plan nicht in die Tat umzusetzen. Der Comte de Chalon behauptet, die junge Dame sei entführt worden, und bittet die Polizei um Unterstützung...
Barbara Cartland ist Historikerin, Bühnenschriftstellerin und Dozentin. Neben zahlreichen romantischen Liebesromanen hat sie eine An-zahl historischer und biographischer Werke veröffentlicht. Ihr persönliches Interesse gilt der Vitamintheorie, zu der sie einige Bücher publiziert hat, unter anderem auch ÄLTER WERDEN, JUNG BLEIBEN (Moewig-Taschenbuch 3275). Durch die Heirat ihrer Enkelin Lady Di mit dem englischen Thronfolger Prinz Charles rückte die Erfolgsautorin noch stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit.
Zum Buch2
Zur Autorin2
Table of Contents4
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653
762
Hörbücher73
Tanz auf dem Regenbogen74
»Gut, ich nehme diese Suite.«
»Hoffentlich werden Sie sich bei uns wohl fühlen, Mylord. Bitte läuten Sie, wenn Sie irgend etwas brauchen.« Der Empfangschef verneigte sich höflich und ging, als Lord Kirkly nicht antwortete, lautlos aus dem Wohnzimmer und schloss die Tür hinter sich.
Lord Kirkly durchquerte den Raum, trat ans Fenster. und starrte hinaus. Er sah weder den Sonnenschein über den Dächern von Paris noch die Kastanienbäume, die gerade zu blühen begannen. Wütend erinnerte er sich, wie niederträchtig er getäuscht worden war.
Gerade dachte er daran, wieviel Geld er für Lissette Forche ausgegeben hatte, und er verspürte große Lust, sich selber zu ohrfeigen. Er war zwar ein großzügiger Mann und konnte sich das leisten, aber dafür erwartete er auch, dass man sich für seine Freigebigkeit erkenntlich zeigte, und er verlangte absolute Treue von seiner jeweiligen Geliebten.
Er hatte Lissette Forche von ihren anderen Bewunderern weggelockt und sie in einem sündhaft teuren, wunderschönen Haus nahe der Champs-Elysees einquartiert. Er hatte ihr Diamanten gekauft, um die sie von allen Pariser Kurtisanen beneidet wurde. Ihr femininer Charme, ihre Erfahrung in der Kunst, einen Mann zu amüsieren und zu verführen, hatten ihn fasziniert.
Natürlich musste jede der berühmten, astronomisch teuren Kurtisanen von Paris dem Mann, der ihre Rechnungen bezahlte und sie mit Juwelen schmückte, treu sein, solange die Liaison dauerte. Das gehörte zu den allgemeinen Regeln in diesen Kreisen und Lord Kirkly wäre niemals auf die Idee gekommen, Lissette könnte in dieser Hinsicht eine Ausnahme bilden.
Er hatte Paris für drei Tage verlassen und nach England zurückkehren müssen, um dringende Geschäfte zu erledigen, die sein Landgut in Buckinghamshire betrafen. Außerdem war er von Ihrer Majestät, Königin Victoria, empfangen worden, die ihn dazu überredenwollte, einen Posten am Hof anzunehmen. Dieses Gespräch hätte er sich gern erspart, aber es war unmöglich, der ehrfurchtgebietenden Königin, die allen Leuten - sogar ihrem Sohn - Angst einjagte, einen Wunsch abzuschlagen. Glücklicherweise hatte sie eine besondere Vorliebe für attraktive Männer und behandelte Lord Kirkly freundlicher, als es bei solchen Gelegenheiten üblich war.
Als sie ihn - wie vorauszusehen - wegen seines skandalösen Verhaltens tadelte, zeigte sie sogar mehr Verständnis, als er es in seinen kühnsten Träumen erhofft hatte.
Nachdem er in den Londoner Gesellschaftskreisen für einen Aufruhr gesorgt hatte, war es unvermeidlich, dass die Königin von der Geschichte erfuhr. »Sie weiß alles«, hatte einer ihrer Premierminister einmal gesagt, und das schien zu stimmen.
»Wir sind sehr böse mit Ihnen, Lord Kirkly«, sagte sie mit ihrer noch immer mädchenhaften Stimme. Dass sie das königliche ‚wir‘ gebrauchte, wirkte zwar unheilvoll aber ihr Tonfall klang nicht so streng, wie er es befürchtet hatte.
»Das hoffe ich nicht, Ma’am«, erwiderte er, lächelte sie gewinnend an, und es war offensichtlich, dass sie schwach wurde.
»Wir wünschen, dass Sie in Zukunft, die von Ihrem Vater und Ihrem Großvater ererbten Pflichten übernehmen, und wollen nichts mehr von solchen Eskapaden hören. Ein solches Verhalten ist für einen Mann Ihres Alters und in Ihrer Position wirklich unpassend, um es gelinde auszudrücken.«
Weil er darauf nichts erwidern konnte, senkte Lord Kirkly nur den Kopf, und nach einer merklichen Pause, in der er vermutlich seine Sünden bereuen sollte, wechselte die Königin das Thema.
Er war maßlos erleichtert, als er den Palast verlassen und nach Paris zu Lissette zurückkehren konnte. Natürlich war er durch eigene Schuld in solche Schwierigkeiten geraten, nachdem er sich in London - und nicht wie üblich auf dem Kontinent in eine leidenschaftliche Liebesaffäre verstrickt hatte. Unglücklicherweise war die Dame die bildschöne Frau des italienischen Botschafters, der seinen Kummer und seine Eifersucht auf Lord Kirkly in alle Welt hinausposaunt hatte.
In Zukunft nahm sich Lord Kirkly vor, werde ich mich auf Frauen ohne Ehemänner beschränken und Ausländern aus dem Weg gehen, die zu viel reden. Und ich werde solche Freuden nur mehr in Städten genießen, wo man Verständnis dafür aufbringt - was man von London wahrlich nicht behaupten kann . . . Allerdings bezweifelte er, ob er stark genug sein würde, um bei diesen guten Vorsätzen zu bleiben, denn immerhin musste er den Großteil seiner Zeit in England verbringen.
Jedenfalls galt sein derzeitiges Interesse ausschließlich Lissette, die ihm noch viel besser gefiel als die dunkeläugige Italienerin, durch die er alle Vorsicht vergessen hatte.
Ein Glück, dass Lissette unverheiratet ist, dachte er zufrieden, während er, einen Tag früher als geplant, von Calais nach Paris reiste. Hier brauchte er kein Duell im Morgengrauen oder - wie im Fall des italienischen Botschafters - internationale Verwicklungen zu befürchten.
Die Rückkehr nach Paris versetzte ihn in so gute Laune, dass er beschloss mit Lissette in die Rue de la Paix zu gehen, und ihr die Halskette zu kaufen, die sie letzte Woche im Schaufenster von Cartier bewundert hatte. Ihr Dank würde ihn reichlich entschädigen, denn sie verstand es großartig, die heißesten Gefühle in ihm zu wecken.
Lissette übertraf alle Kurtisanen, die er hätte wählen können. Keine konnte ihr das Wasser reichen. Da ihre Familie aus der Normandie stammte, besaß sie das blonde Haar und die blauen Augen, die für jenen Teil Frankreichs charakteristisch waren. Und da sie auf den ersten Blick sehr kühl und zurückhaltend wirkte, konnte sie einen Mann auf viel subtilere Weise erregen als die meisten ihrer Konkurrentinnen. Lord Kirkly freute sich auf eine lange Liaison, die ihnen beiden Vergnügen bereiten würde, und deren Ende vorerst nicht abzusehen war. Er zog sogar in Betracht, sie nach England mitzunehmen. Er könnte ein Haus in St. John’s Wood oder in Chelsea für sie finden, das vielleicht noch luxuriöser war als ihr jetziges Domizil in Paris.
Der Zug, in den er nach der Überquerung des Ärmelkanals gestiegen war, traf zu einer höchst ungemütlichen Zeit im Gare du Nord ein - um halb siebenUhr morgens. Er freute sich auf das Bad, das er bei Lissette nehmen wollte, sobald er am Ziel war, und danach würde er es eilig haben, sich wieder anzuziehen ...
Während er in einer Mietkutsche durch die noch leeren Straßen fuhr, stellte er sich Lissettes Überraschung vor bei seiner unerwarteten Ankunft so früh am Morgen. Ungeschminkt ohne Puder, Rouge und Lippencreme würde sie sehr hübsch aussehen.
Ihre Haut besaß den zauberhaften Schmelz derJugend, der Lord Kirkly nach den exotischen Ekstasen ausgiebiger Liebesstunden ganz besonders entzückte.
Die Kutsche hielt vor dem kleinen Haus, vor dem die Fliederbüsche soeben ihre Blüten öffneten. Die Tür stand offen; wahrscheinlich hatte einer der Dienstboten die Schwelle geschrubbt, war aber offenbar bei der Arbeit gestört worden.
Lord Kirkly wich einem Eimer mit Seifenlauge aus, betrat die Halle, legte das Reisecape und den Hut ab und lief die schmale Treppe hinauf. Lissettes Schlafzimmer befand sich im hinteren Teil des Hauses, mit Blick in den gepflegten kleinen Garten.
Ein Lächeln umspielte Lord Kirklys schmale Lippen, als er sich ausmalte, wie er sie mit einem Kuss wecken und dann ihren freudigen Aufschrei hören, würde, weil er einen Tag eher als erwartet zurückkam.
Aber ehe er den Türknauf herumdrehen konnte, hörte er eine Stimme in Lissettes Zimmer. Zu seiner Verblüffung war es eine Männerstimme. Er blieb wie erstarrt stehen und glaubte schon an eine Sinnestäuschung. Da hörte er seine Geliebte jammern: »Musst du schon, gehen, Pierre? Ich ertrage es einfach nicht, dass du mich verlässt.«
»Wenn ich noch bleibe, komme ich zu spät zur Parade, und dann macht mir mein Colonel die Hölle heiß.«
Eine kleine Pause entstand, und Lord Kirkly nahm an, dass sich das Paar küsste, dann sagte Lissette: »Den heutigen Abend haben wir noch für uns. Du kommst doch zum Dinner?«
»Natürlich! Sobald mein Dienst beendet ist, bin ich wieder bei dir. Ich werde die Stunden zählen, bis ich dich wieder in den Armen halten kann.«
Offenbar folgte diesen Worten ein weiterer Kuss, und als Lord Kirkly sich einigermaßen gefasst hatte wusste er, wer in seinem Bett lag und sich mit seiner Geliebten vergnügte. Ein paar Sekunden lang überlegte er, ob er die Tür aufstoßen, die untreue Lissette zur Rede stellen und ihren Liebhaber verprügeln sollte. Doch dann ließ ihn die typisch englische Seite seines Wesens zögern, die solche Szenen und Dramen hasste und ihm klarmachte, dass es unter seiner Würde lag, Eifersucht zu zeigen.
Hastig ging er den Weg zurück, den er gekommen war, eilte die Treppe hinab und verließ das Haus. Zu seiner Erleichterung war der Wagen, der ihn vom Bahnhof hierhergebracht hatte, noch nicht weggefahren. Sein Kammerdiener stellte gerade das letzte Gepäckstück auf die Eingangsstufen.
»Räumen Sie alles wieder in die Kutsche!« befahl Lord Kirkly. »Schnell!«
Bates, der ihm schon seit vielen Jahren diente, warf ihm einen kurzen verwirrten Blick zu, ehe er gehorchte. Wenige Sekunden später waren die beiden Lederkoffer, die sein Herr nach London mitgenommen hatte, wieder im Mietwagen verstaut. Lord Kirkly stieg ein. »Zum Hotel Meurice!« rief er dem Kutscher zu.
Unterwegs wurde ihm bewusst, dass niemand seine Ankunft und Abfahrt beobachtet haben konnte. Also konnte er in aller Ruhe entscheiden, wie er vorgehen würde. Gleichzeitig fühlte er sich erniedrigt. Nicht so sehr, weil Lissette ihn betrogen und den ungeschriebenen Ehrenkodex verletzt hatte, der für solche Verhältnisse galt, sondern weil ein anderer Mann, den erkannte, in seinem Haus gegessen, getrunken und sich mit seiner Geliebten amüsiert hatte - und nun zweifellos glaubte, er hätte ihm eine Niederlage beigebracht.
Lord Kirkly wusste, dass er von vielen Männern beneidet wurde. Sie missgönnten ihm sein Vermögen und seine Position, und - wenn sie es auch nicht zugaben – es ärgerte sie, dass er ihnen in vielen Dingen überlegen war. Nicht nur sein Geld spielte dabei eine Rolle, sein Erfolg bei allem, was er unternahm. Seine Rennpferde galten sowohl in England als auch in Frankreich als unbesiegbar. In beiden Ländern galt er als inoffizieller Fechtmeister, und auch im Boxsport hatte er sich einen Namen gemacht.
Dass er sich weigerte, an Wettkämpfen teilzunehmen, erhellte die Aura noch, die ihn umgab, und trug ihm das Lob älterer Sportler ein, die sich beschwerten, wann immer die jungen den Beifall der breiten Masse suchten.
Es gab praktisch keine Sportart, in der sich Lord Kirkly seit seinem Abgang von der Universität Eton nicht hervorgetan hätte. Mehrmals war er ohne einen einzigen Sturz über die Grand National-Strecke geritten, aber wenn seine Pferde an großen Reimen teilnahmen, engagierte er Jockeys. Er besaß auch ausgezeichnete Jagdhunde, und viele Leute betrachteten es als Privileg, zur Jagdsaison nach Kirkly Castle gebeten zu werden. Man munkelte sogar, der Prinz von Wales hätte den Schlossherrn um eine Einladung ersucht.
Im Alter von dreiunddreißig war er in ganz England berühmt und hochgeachtet, wurde an jeder Rennstrecke bejubelt, und wenn er den Piccadilly hinabfuhr, zog jeder Mann ehrerbietig seinen Hut - egal, ob er ihn persönlich kannte oder nicht.
Die Frauen sahen ein Ideal in ihm, ein Symbol für alle männlichen Vorzüge. Das lag nicht nur an seinem guten Aussehen, sondern auch an seinem verwegenen Flair, das an die tollkühnen Ritter zur Zeit Charles des Zweiten erinnerte. Außerdem war er ein großartiger Liebhaber, an den jede Frau, die nur ein einziges Mal in seinen Armen gelegen hatte, unweigerlich ihr Herz verlor.
Das alles wusste Lord Kirkly, und so fand er es unglaublich, dass ausgerechnet er von einer französischen Kokotte und ihrem Galan zum Narren gemacht worden war. Diese bittere Erfahrung - so kurz nach seinen Schwierigkeiten mit der Frau des italienischen Botschafters - weckte in Lord Kirkly eine unbändige Wut gegen das andere Geschlecht, wie er sie nie zuvor empfunden hatte. Lissette hatte seine männliche Eitelkeit verletzt und ihn von dem Podest gestoßen, auf das er von anderen Frauen gestellt worden war und wo es ihm ausnehmend gut gefallen hatte. Verdammt, wie kann sie es wagen, fragte er sich.
Dann kam ihm zu seiner eigenen Verblüffung der Gedanke, ob die Schuld wirklich bei Lissette und nicht vielleicht bei ihm lag. Hatte er versagt? War sie immun gegen seine Anziehungskraft, die so viele Frauen betört und zu glühenden Liebesgeständnissen hingerissen hatte?
Wahrscheinlich werde ich langsam alt, dachte er nun, als er am Fenster seiner Hotelsuite stand. Es ist wohl besser, wenn ich mich einer anderen Sportart widme, etwa der Großwildjagd? Doch dann musste er unwillkürlich lachen, denn das war eine banale, weitverbreitete und sogar schon traditionelle Lösung amouröser Probleme, die außer Kontrolle gerieten. Diesen Fluchtweg wählten Männer, die ihre gescheiterten Ehen nicht verkrafteten oder abgewiesene Liebhaber, um ihren Stolz zu retten. Vielleicht wäre es origineller auf einen bisher noch unbezwungenen Gipfel im Himalaja zu klettern!
Da öffnete sich die Tür, und Bates, der Kammerdiener, trat ein. »Ihr Bad ist bereit, Mylord.«
»Wunderbar.«
»Ich werde das Frühstück bestellen, Mylord.«
Lord Kirkly gab keine Antwort. Er ging vom Wohnraum in das angrenzende imposante Schlafzimmer, wo eine gefüllte Wanne und mehrere Messingkannen voll heißem Wasser standen.
In keinem einzigen Pariser Hotel gab es Badezimmer. Stattdessen schleppten muskelbepackte Diener Kannen mit heißem und kaltem Wasser die Treppen zu den Gästesuiten hinauf. Die Engländer machten ihnen in dieser Hinsicht die größte Mühe. Aber bei ihrer Ankunft ahnten sie nichts von den resignierten Seufzern des Hotelpersonals, das genau wusste, wie viele Wasserkannen es wieder schleppen musste, während die Franzosen zufrieden waren, wenn sie sich in einer Schüsselwaschen konnten.
Nachdem er sich eine Zeitlang im heißen Wasser entspannt und den Schmutz der Reise abgewaschen hatte, fühlte sich Lord Kirkly besser. Der Kammerdiener hatte die Kleider auf das Bett gelegt, die sein Herr nach England mitgenommen hatte, und als sich seine Lordschaft mit einem weichen Frotteehandtuch abtrocknete, fragte Bates nervös: »Soll ich ein paar von Ihren Sachen aus dem Haus holen, Mylord?«
»Alle, Bates«, erwiderte Lord Kirkly. »Sie können sofort gehen. Falls man wissen möchte, was das zu bedeuten hat, geben Sie keine Erklärung ab. Wenn Sie auftauchen, wird man sich denken können, dass ich wieder in Paris bin.«
Ein gewisser Ausdruck trat in die Augen des Kammerdieners, aber er entgegnete nur: »Wie Sie wünschen, Mylord.«
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür, Bates öffnete und ließ einen Lakai mit einem Tablett eintreten. »Bringen Sie das Frühstück ins Wohnzimmer«, befahl er ihm in passablem Französisch, aber mit englischem Akzent. Als er ins Schlafzimmer zurückkehrte, zeigte Lord Kirkly auf mehrere Münzen, die er auf den Nachttisch gelegt hatte. »Geben Sie dem Mann einTrinkgeld, und dann machen Sie sich auf den Weg und holen meine Kleider.«
»Sehr wohl, Mylord.«
In Hemd und Hose stand Lord Kirkly vor dem Spiegel, um seine Krawatte um den hohen, steifen Kragen des Hemdes zu schlingen das ein Schneider in der Jermyn Street eigens für ihn angefertigt hatte. Er warf einen Blick auf die Uhr. Als er sah, wie früh es noch war, schlüpfte er in das enganliegende Morgenjackett, das Bates über einen Stuhl gehängt hatte. Statt ins Wohnzimmer zu gehen, trat er wieder ans Fenster, um Paris zu betrachten.
Plötzlich hasste er diese Stadt. So schön und faszinierend, wie sie war, erinnerte sie ihn an Lissette.
»Ich muss weg von hier«, flüsterte er vor sich hin. »Die Frage ist nur - wohin?«
Er verspürte nicht die geringste Lust, nach London zurückzukehren und sich der Neugier seiner Freunde auszusetzen, das jähe Schweigen zu ertragen, wann immer er ein Zimmer betrat, und zu wissen, dass man soeben über ihn gesprochen hatte.
Lord Kirkly war nach Paris gekommen, um Gras über den Skandal wachsen zu lassen. Seine Affäre mit der Gattin des italienischen Botschafters lag noch nicht allzu lange zurück, also würde sie immer noch das Hauptgesprächsthema von London sein.
Er hatte sich darauf gefreut, den Frühling in Paris zu verbringen, und erst nach Hause zurückzukehren, wenn sich die Gemüter wieder beruhigt hatten.
Nun war ihm auch Paris verschlossen. Mit zusammengepressten Lippen überlegte er, wie sehr es Lissette kränken würde, nichts mehr von ihm zu hören, nur durch seinen Anwalt zu erfahren, dass ihr das Haus nichtmehr zur Verfügung stand und sie sofort ausziehen musste. Jede Kurtisane erwartete am Ende einer Liaison eine angemessene Abfindung, zusätzlich zu den Geschenken, die sie von ihrem Liebhaber erhalten hatte.
Lord Kirkly war in solchen Fällen stets sehr großzügig, weil er wusste, dass eine Trennung der betreffenden Dame immer das Herz brach. Die meisten hatten beim Abschied bitterlich geschluchzt. Dass Lissette ihm keine Träne nachweinen würde, war eine zusätzliche Beleidigung. Er würde sich weigern, ihr auch nur einen einzigen Penny zu geben, und ihr mitteilen lassen, sie hätte sogar das Recht verwirkt, ihn ein letztes Mal zu sehen.
Sein Zorn wuchs. Warum war er bloß auf ihre Liebesbeteuerungen hereingefallen? Wie hatte er einer solchen Lügnerin vertrauen und wie ein junger Grünschnabel glauben können, sie würde tatsächlich Zuneigung für ihn empfinden? Ich werde wohl allmählich senil, dachte er.
Um sich abzulenken, ging er ins Wohnzimmer.
Das Erste, was er zu seiner Verblüffung erblickte, war ein großer Stapel von Schachteln. Dann erst sah er die Frau, die am Fenster stand. Mit kühler Stimme und in akzentfreiem Französisch sprach er sie an. »Sie sind offenbar einem Irrtum erlegen, Madame. Das ist meineSuite.«
Als sie sich umdrehte, bemerkte er überrascht, dass sie blutjung und wunderschön war. Große, strahlende Augen beherrschten ein zartes, schmales Gesicht. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor ... Doch das bilde ich mir sicher nur ein, dachte er, während er auf sie zuging. In etwas höflicherem Ton fuhr er fort: »Der Empfangschef hat offenbar vergessen, dass er mich indieser Suite einquartiert hat.«
»Keineswegs, Mylord. Ich habe ihm erklärt, Sie würden mich erwarten.«
Lord Kirkly hob die Brauen. »Warum denn?«
»Weil ich Sie sehen wollte. Ich brauche Ihre Hilfe. Als ich Sie vor einer kleinen Weile vorfahren sah, war ich überzeugt, dass eine gütige Vorsehung Sie hierhergeschickt haben muss, genau im richtigen Augenblick.«
»Leider habe ich nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden. Übrigens, Sie sind doch sicher Engländerin, nicht wahr? Wollen wir uns in unserer Muttersprache unterhalten?«
»Wie Sie wünschen«, erwiderte das Mädchen. »Ich bin Otila Ashe.«
Diesen Namen hörte Lord Kirkly nicht zum ersten Mal; »Otila Ashe? Sie meinen doch nicht...«
Sie lächelte und ihr Gesicht wirkte noch schöner. »Ja, ich bin die reiche junge Dame, über die so viel in den Zeitungen steht und die bald neue Schlagzeilen machen wird.«
Ungläubig starrte er sie an. Soviel er wusste, hatte die junge Engländerin vor fast zwei Jahren von ihrem amerikanischen Großvater, den sie nie gesehen hatte, ein Riesenvermögen geerbt. Ihre früh verstorbene Mutter war mit Sir Willoughby Ashe verheiratet gewesen, der kurz nach dem Tod seines amerikanischen Schwiegervaters bei einer Jagd ums Leben gekommen war. DieseGeschichte schien die Fantasie der Presse anzuregen.In unzähligen Magazinen erschienen Fotos von Otila Ashe und lange Artikel über den kometenhaften Aufstieg ihres Großvaters, der in den Vereinigten Staaten Bahnlinien gebaut hatte und zu Ruhm und Reichtum gelangt war.
Lord Kirkly fand es einfach unfassbar, dass diese Berühmtheit plötzlich in seiner Hotelsuite aufgetaucht war. »Was Sie mir da erzählen, erscheint mir ziemlich verwirrend, Miss Ashe. Bevor Sie weitere Erklärungen abgeben, setzen Sie sich doch bitte. Wollen Sie mit mir frühstücken? Ich bin eben erst aus England nach Paris zurückgekehrt und muss zugeben, dass ich dringend eineTasse Kaffee brauche.«
»Danke, ich möchte nicht«, antwortete Otila, »nur mit Ihnen reden.«
»Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, wenn ich dabei esse. Sonst werden nämlich meine Eier kalt.«
»Was natürlich eine Tragödie wäre«, bemerkte sie, und er glaubte eine Spur von Sarkasmus aus ihrer Stimme herauszuhören. Er gab keine Antwort, sondern setzte sich an den Tisch, während sie sich in einem Lehnstuhl niederließ. Dabei fiel ihm auf, wie elegant siegekleidet war. Als Experte für Damengarderobe erkannte er sofort, dass sie die berühmtesten französischen Modeschöpfer aufgesucht haben musste - was sie sich selbstverständlich leisten konnte.