Rettungskreuzer Ikarus 54: Eine Sache der Diplomatie - Dirk van den Boom - E-Book

Rettungskreuzer Ikarus 54: Eine Sache der Diplomatie E-Book

Dirk van den Boom

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Beschreibung

Um das Sonnensystem des uralten Volkes der Talithi rangeln sich Multimperium und Chirokische Föderation schon seit langer Zeit. Nun aber wird die Ikarus in den Konflikt hineingezogen, als Sally den Rettungskreuzer nach Talith schickt, um bei der Bekämpfung einer Seuche zu helfen und Taxi für einen imperialen Botschafter zu spielen. Wie Sentenza feststellen muss, ist das alles andere als ein normaler Rettungseinsatz – es ist eine Sache der Diplomatie ...

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Inhalt

Eine Sache der Diplomatie

Prolog

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Weitere Atlantis Titel

Eine Veröffentlichung des

Atlantis-Verlages, Stolberg

Januar 2014

Alle Rechte vorbehalten.

© Dirk van den Boom & Thorsten Pankau

Dieses eBook ist auch als Paperback überall im Handel erhältlich

(ISBN 978-3-86402-143-5).

Titelbild: Emmanuel Henné

Umschlaggestaltung: Timo Kümmel

Endlektorat: André Piotrowski

eBook-Erstellung: www.ihrhelferlein.de

ISBN der eBook-Ausgabe: 978-3-86402-152-7

Besuchen Sie uns im Internet:

www.atlantis-verlag.de

Prolog

Der Rettungskreuzer Ikarus des Freien Raumcorps wird dafür eingesetzt, in der besiedelten Galaxis sowie jenseits ihrer Grenzen all jenen zu helfen, die sich zu weit vorgewagt haben, denen ein Unglück zugestoßen ist oder die anderweitig dringend der Hilfe bedürfen. Die Ikarus und ihre Schwesterschiffe sind dabei oft die letzte Hoffnung bei Havarien, Katastrophen oder gar planetenweiten Seuchen. Die Crew der Ikarus unter ihrem Kommandanten Roderick Sentenza wird dabei mit Situationen konfrontiert, bei denen Nervenstärke und Disziplin alleine nicht mehr ausreichen. Man muss schon ein wenig verrückt sein, um diesen Dienst machen zu können – denn es sind wilde Zeiten …

Roderick Sentenza lehnte sich in seinem Sessel zurück und unterdrückte ein Seufzen. Outsider, dachte er. Wanderlustvirus. Kronprinz Joran. Was hatte er nicht alles bewältigen, ja, überwinden müssen? Und jetzt saß er hier und wurde mit dem größten Schrecken konfrontiert, den die zivilisierte Galaxis aufzubieten hatte, eine Bedrohung, die ihn mit tiefer Lähmung erfüllte, Hilflosigkeit und Verwirrung.

Es war die Bürokratie.

Sally McLennane kümmerte das gar nicht. Sie wischte mit dem Finger über das Formular, das eben noch auf ihrem Datenpad sichtbar gewesen war, und holte dadurch ein weiteres hervor.

»Und das ist hier die Unbedenklichkeitserklärung für Thorpa. Sie versichern damit, dass Thorpa weder jemals auf Talith gewesen ist noch jemals einem Talithi begegnet ist noch jemals Geschäfte für oder im Sinne eines Talithi durchgeführt, initiiert, begleitet, beraten oder bezeugt hat. Darüber hinaus wird bestätigt, dass Thorpa niemals einen Fuß – oder eine Laufwurzel – in das Gebiet der Chiroken gesetzt hat, niemals mit chirokischen …«

So ging das einige Minuten weiter. Sentenza bekam einen glasigen Blick. Er musste diese Formulare für jedes einzelne seiner Besatzungsmitglieder unterzeichnen, ehe ihm Sally auch nur sagen wollte, was es mit dieser so außergewöhnlichen Mission nach Talith überhaupt auf sich hatte. Aus dem Wust an Bürokratie, der offenbar Vorbedingung für die Einreise war, hatte er einige eher spärliche Informationen entnehmen können: dass Talith vom Reich der Chiroken eingeschlossen war, quasi eine unabhängige Enklave bildete, und dass die Chiroken offenbar nun endgültig ihre Finger dahin ausstreckten. Dass das Multimperium davon nichts hielt und daher beständig diplomatisch intervenierte. Und dass alles dadurch nicht einfacher wurde, dass die Talithi ein extrem introvertiertes, altes Volk waren, das eigentlich mit niemandem etwas zu tun haben wollte.

Was das alles aber mit ihm und der Crew der Ikarus zu tun hatte, wusste er immer noch nicht.

»Haben Sie das verstanden, Captain?«

Sallys Stimme hatte die Unerbittlichkeit einer Administratorin, die eine tiefe Befriedigung daraus zog, Untergebene mit Formalien zu malträtieren, deren Sinn sie selbst nicht einsah. Aber darum ging es ja nicht. Vorschriften waren gemacht, um erfüllt zu werden. Da konnte ja jeder kommen.

Sentenza hatte dagegen nichts einzuwenden. Er wollte nur nicht jeder sein.

»Ja, habe ich«, sagte er mit ergebener Stimme. Er drückte seinen Daumen auf das ihm entgegengereckte Pad, dieses quittierte die Bewegung mit einem zufriedenen Gong, und Sally wischte erneut.

»Noch ein Formular?«, fragte Sentenza mit Verzweiflung in der Stimme. »Wir haben doch alle durch!«

»Oh, diese Vorschriften schon. Jetzt habe ich noch etwas Papierkram des Multimperiums!«

Sentenza stöhnte. »Was haben wir denn …«

Sally lehnte sich zurück und schenkte dem Captain ein maliziöses Lächeln.

»Sie werden auf dieser Mission nicht allein sein. Ein multimperischer Diplomat wird sie begleiten. Dadurch signalisiert das Multimperium, dass es die Mission sanktioniert. Man hört, die Talithi hätten darauf bestanden, und nebenher will der Imperator natürlich seine Bemühungen verstärken, in den Konflikt einzugreifen. Ich höre, das Multimperium bietet den Talithi eine Flottenbasis an.«

»Ja, das hört sich nach meinen alten Kameraden an. Führte das Multimperium nicht bis vor Kurzem auch Krieg mit den Chiroken?«

»Wenn Sie Imperator geworden wären, hätten Sie anders gehandelt?«

Sally legte damit einen Finger auf eine Stelle, auf der Sentenza keine weitere Berührung vertragen konnte. Dass seine Frau sich immer noch nicht abgewöhnt hatte, über seine Chance, einst multimperischer Kronprinz zu werden, spöttische Bemerkungen zu machen, war schlimm genug. Jetzt galt er offenbar auch bei Sally als ein Experte für diese Dinge. Der er aber nicht war. Und auch nicht sein wollte.

»Wann können Sie mir sagen, worum es eigentlich geht?«

Sally sah ihn streng an. »Nun mal nicht schnell, Captain. Erst die Formalitäten, dann kommen die wirklich interessanten Sachen.«

»Ich verliere das Interesse bereits.«

»Das sollten Sie nicht. Das Raumcorps legt großen Wert auf diese Mission.«

»Das Raumcorps oder der Corpsgeheimdienst?«

»Wo genau liegt der Unterschied, Captain?«

Sentenza beschloss, diese Diskussion nicht fortzusetzen. Blicklos stierte er auf die Wand, als die Direktorin begann, ihn mit dem Inhalt des nächsten Formulars vertraut zu machen.

»Das ist wirklich wichtig.« Sentenza sah auf. Der Tonfall Sallys war jetzt anders, voller tiefem Ernst. Er legte die Unterlage beiseite, die er eben noch ergriffen hatte, und schloss die Augen.

»Sally, eines vorweg. Ich bin der Kommandant der Rettungsabteilung. Ich will nicht schon wieder in irgendwelche politischen Ränkespiele verwickelt werden. Ich will es nicht für das Multimperium und nicht für das Raumcorps. Ich bin dieser Sache überdrüssig. Wir haben ohnehin genug zu tun. Die Ikarus-Crew ist nicht unterbeschäftigt. Warum müssen wir erneut auf eine so offensichtlich politische Mission geschickt werden?«

»Sie werden mit Politik nichts am Hut haben. Es geht um eine Massenerkrankung, soweit wir es wissen. Anande wurde ganz bewusst angefordert. Er gilt als Experte.«

»Er ist ein Experte, ja. Aber wozu dann diese ganze Geschichte mit den Chiroken und –«

»Wir operieren nicht in einem politischen Vakuum, Captain.« Sallys Stimme hatte an Schärfe gewonnen, wie immer, wenn sie diesen alten Streit austrugen. »Wir wollen helfen. Das können wir nur, indem wir mit dem Multimperium kooperieren, weil die Talithi das so wollen. Und indem wir durch Chirokengebiet fliegen. Dem müssen wir uns anpassen.«

»Wenn das Multimperium das alles für so wichtig hält, sollen die ihr eigenes Team schicken«, murrte Sentenza. »Die haben auch Ärzte.«

Sally nickte. »Ein medizinisches Team des Multimperiums ist seit drei Monaten auf Talith. Man kommt offenbar nicht weiter. Anande wurde angefordert.«

Sentenza sah sie misstrauisch an. »Ich will meinen eigenen Bordarzt nicht kritisieren. Aber diese Anfrage hat nicht zufällig auch etwas mit dem Bemühen zu tun, das Raumcorps in diese Sache hineinzuziehen, oder …«, er beugte sich vor und versuchte, Sally zwingend anzusehen, was seine Wirkung aber erwartungsgemäß völlig verfehlte, »… oder mit dem Bemühen des Raumcorps, in die Sache hineingezogen werden zu wollen?«

Sally lächelte fein und hob ein Datenpad.

»Wollen wir? Wir sind bald durch.«

Die Station war immer noch einen Blick wert.

Die beiden mächtigen Ausleger, die sich vom Hauptkörper abspreizten und in die Leere ragten, rotierten langsam, aber sichtbar in ihren Schienen um die Achse der Station. Die Außenhaut war vom stetigen Einschlag kleiner und kleinster Meteore zernarbt. Einige dunkle Flecken wiesen auf die Versuche der Chiroken hin, der Station bleibenden Schaden zuzufügen, damals, als hier noch ein Frontabschnitt gewesen war.

Das war vor vielen Jahren. Boldin lehnte sich an das kleine Frontfenster des Kurierbootes und drückte sich seine Nase an der Scheibe platt. Er vermeinte, die Kälte des Weltraumes, der nur wenige Zentimeter vor ihm begann, trotz der guten Isolierung zu verspüren. Vor vielen Jahren, spann er seine Gedanken weiter, und noch weitere Jahre davor war die Station, auf die der Pilot des Bootes nun die stumpfe Nase seines Gefährts richtete, unter dem Namen Paradiso ein beliebter Haltepunkt für Handelsschiffe, Solartrailer und Vagabunden gewesen; das Vergnügungsdeck genoss einen berüchtigten Ruf in allen Teilen des erforschten Raumes, und damals, vor dem Krieg, waren sogar hin und wieder Chiroken hier aufgetaucht. Zu friedlichen Zwecken. Kaum hatte die Maschinerie des Krieges jedoch entdeckt, wie wertvoll eine so große Station in diesem Raumsektor sein konnte, war es um die Beliebtheit dieses Ortes geschehen. Innerhalb kürzester Zeit hatte die kühle Berechnung der Militärstrategen aus einem ausgesprochen lebendigen Ort einen Umschlagplatz für Mannschaften, Geschwader und Ausrüstung gemacht, und der vielversprechende Name war einem seelenlosen taktischen Zeichen gewichen. Boldin war kurz vor Ausbruch des Krieges auf Paradiso gewesen, da ihn eine Mission in diesen Sektor geführt hatte, eine dieser langweiligen, zumeist ereignislosen, jedoch immerhin fruchtbaren Handelsreisen, die er im Auftrag des Regierungsrates durchgeführt hatte, um der Menschheit neue Kontakte und neue Möglichkeiten des Handels – und des Profits – zu erschließen. Jetzt war der letzte Krieg schon einige Jahre her – das Wanderlustvirus hatte auch dazu geführt, dass die Lust an kriegerischen Auseinandersetzungen sich zuletzt in Grenzen gehalten hatte –, und die Station, im Besitz des Multimperiums und immer noch Flottenstützpunkt, sah nicht besser aus. Eher schlechter. Ein gutes Symbol für die ganze verfahrene Situation um Talith, die Chiroken und den beschissenen Konflikt, den keiner wollte und dem sich doch alle unterwarfen.

Boldin seufzte und zog seine Nase von der Scheibe zurück. Seine heutigen Aufgaben waren recht selten langweilig, nie ereignislos, aber dafür weniger fruchtbringend. Das hatte nicht zuletzt dazu geführt, dass Boldin jeden Tag mit seiner Ablösung rechnete, um einen Schreibtischjob gegen seine derzeitige Position als Sonderbotschafter einzutauschen. Er hatte sich schon manches Mal gefragt, ob das tatsächlich so eine frustrierende Entwicklung wäre, wie er es sich bisweilen einzureden versuchte. Vielleicht, so dachte er und kniff die Augen zusammen, als die Frontretros zu feuern begannen und die Bugschleuse des Bootes auf die Andockeinrichtungen der Station zuglitt, vielleicht wäre es besser, diese Karriere zu beenden, die doch nur daraus bestand, Konflikte entweder anzuheizen oder so weit einzufrieren, dass man nach ein paar Jahren der Erholung wieder in die Vollen gehen konnte. Vielleicht einfach aufhören. Kündigen. Schluss jetzt. Vielleicht, ja. Gut.

Mit einem leichten Ruck berührte der Bug des Bootes die Station. Die Andockklammern bewegten sich seitlich auf das Raumfahrzeug zu und hielten es in der Position, während der Pilot mit teilnahmsloser Mimik die Systeme deaktivierte, sich erhob und Boldin einen kurzen Blick zuwarf. »Major, wir sind da!«

Boldin zog es immer noch den Magen zusammen, wenn er an die martialische Uniform dachte, die er bei offiziellen Besuchen auf Militäreinrichtungen zu tragen hatte. Einen militärischen Rang hatte er mit dem Aufstieg im diplomatischen Corps erhalten, wie es im Multimperium eben so üblich war. Das Imperium liebte Dienstgrade. Jeder hatte einen.

Boldin nickte und lächelte gequält, folgte der einladenden Handbewegung des Piloten zur Bugschleuse und schulterte die schmale Tasche mit seinen wenigen Habseligkeiten. Während der Pilot hinter ihm die Kontrollen betätigte, versuchte Boldin, nicht an das Gespräch zu denken, das ihm nun sicher in Kürze bevorstehen würde. Einsatzleiter Colonel zu Strobeck war nicht sein größter Fan, so er überhaupt einen hatte, und auch seine eigene Einstellung dem Vorgesetzten gegenüber konnte nur mit größter Übertreibung als positiv eingeschätzt werden. Vielmehr hatten die beiden ausgesprochen ungleichen Männer eine tief sitzende Antipathie entwickelt, die nicht zuletzt dadurch gefördert wurde, dass zu Strobeck mit steter Penetranz und größtem Stolz seine Uniform und seinen militärischen Rang zur Schau stellte, was in Boldin unwillkürliche Abwehrreaktionen hervorrief. Er hatte noch vor Boldins letztem Auftrag zu ihm gesagt: »Ich bin stolz darauf, zu den Streitkräften zu gehören!« Die Antwort seines Gegenübers hatte aus einem gemurmelten »Und ich bin froh, kein Stolzer zu sein …« bestanden.

Leider verfügte Einsatzleiter zu Strobeck über ein ausgezeichnetes Gehör.

Das Außenschott glitt auf, und Boldin trat hindurch. Vor ihm öffnete sich eine Promenade, deren eine Seite durch die Panoramafenster begrenzt wurde, die einen Blick auf die Dockanlagen gestatteten, während die andere Seite von der Stationsbahn eingenommen wurde, deren Magnetschiene hier verlief und die alle zwanzig Sekunden aus einer dunklen Röhre, die in der Wand verschwand, Transportkugeln ausspuckte, um die wenigen Passagiere an ihre Ziele zu bringen. Boldin schlenderte einige Meter die Fenster entlang, dann ließ er seine Reisetasche zu Boden sinken und schaute hinaus. Er beobachtete, wie die kräftigen Scheinwerfer der Station ein mächtiges Raumfahrzeug erfassten, das sich unendlich langsam an die Dockanlagen schob. Der gigantische Leib sah aus wie ein in der Mitte verdickter Zylinder, vorne mit dem wirren Antennenwald der Scanner versehen, hinten mit den großen Schubtriebwerken des Unterlichtantriebes. Die Außenhülle war ähnlich verwittert wie die der Station, doch konnte Boldin mühsam den Namen des Schiffes entziffern, das sich direkt auf ihn zu zubewegen schien.

»Tacitus«, las Boldin. Der hagere Mann musste schlucken. Vor nur zwei Wochen hatte er in den Trümmern des letzten verbliebenen Schwesterschiffes der Tacitus gestanden, abgeschossen und abgestürzt auf dem atmosphärelosen Mond einer strategisch wichtigen, ansonsten aber völlig unerheblichen Welt. In ihrem selbst als Wrack noch imponierenden Leib befanden sich die Leichen von über 5000 Raumlandesoldaten, die keine Chance gehabt hatten, ihr Schiff zu verlassen und ihr »Glück« in der Schlacht zu suchen. Ein anderer, namenloser kleiner Krieg, den zu führen dem Multimperium gefiel. Eine abtrünnige Kolonialwelt, die leider aus Versehen in den Besitz einer voll funktionsfähigen und modernen orbitalen Verteidigungsstation gekommen war – und über das Personal verfügte, sie auch einzusetzen.

Boldin hatte Frieden gestiftet, so gut er konnte.

Es würde nicht lange halten. Hoffentlich lange genug, dass sie ihn nicht wieder schicken würden, wenn es erneut losging.

Diese übergroßen Schiffe hatten sich als völlig ineffektiv erwiesen und wurden schon lange nicht mehr gebaut. Boldin schätzte das Alter der Tacitus auf mindestens 50 Jahre, und so sah das große, aber plumpe und schwerfällige Schiff auch aus. Der Diplomat runzelte die Stirn. Er konnte sich keinen Reim auf die Anwesenheit dieses Giganten in diesem Sektor, fernab jeder Kampfhandlung, machen, so nahe an der Grenze zu den Chiroken, so nahe an Talith.

Boldin wandte sich ab. Er nahm seine Tasche auf, schritt zu der Röhre der Stationsbahn und wartete. Nur wenige Sekunden später stieß der Tunnel einen der kugelförmigen Waggons aus, der leise summend neben Boldin zu stehen kam. Eine Tür öffnete sich, er sah eine Reihe von Bänken, keinen Passagier. Boldin trat ein. Die Tür schloss sich hinter ihm, und vor seinen Augen entstand das Holodisplay mit dem Lageplan der Station. Rote Sektoren waren militärisches Sperrgebiet, und genau dort musste Boldin hin. Er tippte mit dem Zeigefinger auf den Verwaltungsbereich.

»Legitimation, bitte!«, forderte eine synthetische Stimme.

Boldin hob seinen Ausweis in die Luft, damit die unsichtbaren Augen des Zugcomputers ihn erkennen konnten. Dann erlosch das Hologramm, der Zug machte einen kleinen Ruck, und Boldin setzte sich.

Die Fahrt dauerte keine Minute, dann kam die Kugel zum Stehen. Die Tür öffnete sich mit einem elektronischen Laut. Vor ihr stand eine bewaffnete Wache.

»Daheim«, seufzte Boldin und trug seine Reisetasche vor sich her. »Wie ich das vermisst habe …«

Während der Wachsoldat seiner hörbar dahingeworfenen Bemerkung mit hochgezogenen Augenbrauen begegnete, nahm er Boldins Ausweis entgegen und prüfte ihn. Unsichtbare Sensoren maßen jeden Quadratzentimeter des Ankömmlings auf der Suche nach geheimen Waffen, Aufzeichnungsgeräten oder plastischer Chirurgie. Die ganze Prozedur dauerte nur wenige Sekunden, war jedoch sicher gründlich und ausgiebig gewesen.

Der Soldat nickte Boldin zu und wies ihm den Weg.

Mit langen, ausgreifenden Schritten den Korridor durchmessend, betrachtete Boldin im Vorbeigehen das geschäftige Treiben der umherlaufenden Uniformen. Er hatte ein Gespür dafür entwickelt, wenn etwas im Anzug war, und wie jedes Mal überkam ihn angesichts der hektischen Betriebsamkeit in der Militärverwaltung das unangenehme Gefühl, abermals im Mittelpunkt einer höchst unerfreulichen Entwicklung zu stehen.

Schließlich erreichte er das Büro zu Strobecks.

Er musste nicht lange im Vorzimmer auf seine Audienz warten, wurde rasch durchgewunken, fast wie ein wichtiger Ehrengast. Boldin wurde noch komischer zumute.

Jeremiah zu Strobeck war ein dicker, ewig schwitzender Choleriker der übelsten Sorte. Boldin hatte im Laufe seiner Ausbildung wie seiner beruflichen Erfahrung gelernt, dass nichts fataler wirken konnte als ungerechtfertigte und pauschale Vorurteile – doch seit er seinem Vorgesetzten das erste Mal gegenübergestanden hatte, war dieser Eindruck nicht von ihm gewichen, und ihm wurde bewusst, wie sehr er sich in ihm verfestigt hatte.

Boldin lächelte gequält.

Zu Strobeck erhob sich ächzend. Seine rosa Haut glänzte im sterilen Licht der Neonlampen. Er streckte Boldin seine große, weiche Hand entgegen, die dieser mit einem gewissen Widerwillen drückte. Dann ließ er sich wieder in den breiten Sessel fallen, stieß die Luft aus, wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und warf einen sinnierenden Blick auf die Holografie, die an einer Wand hing. Sie stellte, wie sollte es anders sein, das Porträt des Kaisers dar. Boldin erkannte, dass es in weiten Teilen geschönt war. Thrax war ein alter Mann, verbraucht und verbittert. Er ähnelte damit dem Reich, dem er vorstand.

»Nun, mein Freund«, kam es unvermittelt aus zu Strobecks Mund, »die größten Schlachten sind noch nicht geschlagen. Noch ist der Sieg nicht errungen. Das dürfte uns allen klar sein, nicht wahr?«

Boldin nickte ergeben.

Für einen Moment fiel sein Blick auf ein Bild an der Wand des Büros, das eine bedeutungslose Fotografie mit zu Strobeck zeigte. Der altertümliche Glasrahmen wirkte wie ein Spiegel. Boldin sah sich selbst: einen älteren, hageren Mann mit einer zu groß geratenen Nase und dünnem, braunem Haar, das in Strähnen über seine hohe Stirn fiel. Der etwas breite, volle Mund und die hellen, blauen Augen machten seine Gesichtszüge vielleicht nicht attraktiv, aber auffallend. Die feine, weißliche Narbe, die unter dem Haaransatz hervorlugte, erinnerte an die Gefährlichkeit mancher seiner Aufträge seit Beginn seiner Karriere. Er hatte sie nicht beseitigen lassen, um genau daran erinnert zu werden.