Ria - eine starke Frau - Rosa Theresia Arenz - E-Book

Ria - eine starke Frau E-Book

Rosa Theresia Arenz

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Beschreibung

Ria, darf als Kind die Nachkriegszeit in Bayern ohne Hunger erleben, erzählt, wie das ländliche Leben den Einsatz der Kinderarbeit für den Unterhalt erforderte. Wie ihr im Internat das Wünschen und Träumen durch Nonnen verboten wurde. Ein Mensch ohne Träume und Wünsche ist leer. Sie hat sich auch in die Großstadt geträumt und es dort zehn Jahre ausgehalten. Nach der Geburt ihres Sohnes konnte sie keiner mehr in den Stein- und Betonhügeln halten, sie hatte die Nase voll. Durch einen Historiker lüftet sich das Geheimnis im Wald, das ihr keiner erzählen wollte, weil sie angeblich zu klein dazu war. Sie musste feststellen, dass keiner, den sie fragte, etwas Genaues darüber wusste. Im Alter von fünfundvierzig Jahren, der Jugendwahn ist schon im Gange, fängt sie wieder zu arbeiten an. Sie erlebt einen Mobbingterror ungeahnten Ausmaßes. Ria lässt sich das nicht gefallen, so erlebt sie einen acht Jahre langen Krieg, der letztendlich alle befreit.

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Seitenzahl: 163

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Vorwort

Ria, darf als Kind die Nachkriegszeit in Bayern ohne Hunger erleben, erzählt, wie das ländliche Leben den Einsatz der Kinderarbeit für den Unterhalt erforderte.

Wie ihr im Internat das Wünschen und Träumen durch Nonnen verboten wurde. Ein Mensch ohne Träume und Wünsche ist leer. Sie hat sich auch in die Großstadt geträumt und es dort zehn Jahre ausgehalten. Nach der Geburt ihres Sohnes konnte sie keiner mehr in den Stein- und Betonhügeln halten, sie hatte die Nase voll.

Durch einen Historiker lüftet sich das Geheimnis im Wald, das ihr keiner erzählen wollte, sie war angeblich zu klein. Sie musste feststellen, dass keiner den sie fragte, etwas Genaues darüber wusste.

Im Alter von fünfundvierzig Jahren, der Jugendwahn ist schon im Gange, fängt sie wieder zu arbeiten an. Sie erlebt einen Mobbingterror ungeahnten Ausmaßes.

Ria lässt sich das nicht gefallen, so wird das ein acht Jahre langer Krieg, der letztendlich alle befreit.

„Das Glück deines Lebens hängt von der Qualität deiner Gedanken ab, daher wache gut über sie.“

Marc Aurel

Alle Namen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten sind rein zufällig.

Danksagung

In Liebe für Manfred, Holger, Emilia Charlotte und Paula Marie.

Mein besonderer Dank gilt meinen Veldener Autoren Kolleginnen und Kollegen - Andrea, Christina und Dietmar.

Inhalt

Geborgenheit

Erinnerungen an Niederbayern

Die Kölschen Jungs

Eine aufregende Stadt

Karneval in Köln

Endlich Sommer

Das besondere Paket

Oktoberfest – Der Schwarzfahrer

Die letzte Chance

Süß und sauer

AZ

In Geborgenheit

„Herzlich willkommen im Leben und viel Glück auf allen Wegen!“ , begrüßten Tante Thea, die Geburtshelferin, und ihre Mutter, Ria mit ihren Gewicht von vier Pfund und einer Größe, die in einen Maßkrug gepasst hätte wie ihr später immer gesagt wurde, bei ihrem ersten Schrei im kalten Dezember 1944. Die zuständige Hebamme befand sich im Nachbarhaus um dort nach zwei größeren Mädchen dem ersehnten Sohn in das Leben zu helfen. Warum wünschen sich Eltern hauptsächlich Söhne? Mädchen zählen nicht, es können bereits fünf an der Zahl in einer Familie auf der Welt sein, es kommt jedes Jahr ein Kind dazu, bis es ein Sohn ist. Bestimmt wegen der Namensvererbung.

Das Zwanzighäuser-Dorf Piesenkofen, liegt idyllisch in einem waldbegrenzten Tal. Die Salzstraße von Burghausen nach Regensburg liefert einen herrlichen Blick auf die zusammen gekauerten Häuser, die eine Wehrkirche für Übernachtungen der damaligen Säumer, die im Turmerhof ihre Pferde wechselten, beheimatet.

Eine kleine Selbstversorger Landwirtschaft an der oberbayrischen Grenze waren für Ria ein Glücksfall und Heimat zugleich. Hunger brauchte in der schwierigen Zeit nach dem Krieg keiner leiden. Ihre Mutter konnte sogar Butter und Eier an die Hamsterer aus der Stadt verkaufen, obwohl Rias Großvater sehr oft den Rahm unerlaubt mit der Kelle in der Speisekammer abschöpfte und getrunken hat. Er war sehr korpulent, große Statur, und genoss den Austrag in seiner Kammer und auf dem Balkon, von dem er alles überblicken konnte. Wegen der kleineren und größeren Diebstähle, die sich Großvater für die Versorgung seiner weiteren Kinder mit Familien in den Städten, erlaubte, war das Verhältnis zwischen Rias Mutter und ihm sehr angespannt.

Tante Thea und Onkel Günter, die in München lebten, waren oft zu Besuch um ihre Butter-, Eier- und Speckreserven aufzufüllen. Er war im Dorf der Hefekönig. Es hat sich schnell herumgesprochen, dass es wieder Hefe gab, wurde der blitzblank geputzte Opel Kapitän von einer Nachbarin gesichtet. Er kam aus Lübbenau im Spreewald, war ein richtiger Preiss, wie sie in Bayern sagten und vor allem nicht auf das Maul gefallen. Wo er die Hefe her hatte wusste keiner, aber allen Bäuerinnen, denen er das begehrte Gut zukommen ließ, brachten ihm Dampfnudel, Hefezopf, Rohrnudel, Butter, Eier, Speck und Schmalz. Die Tauschgeschäfte ließen die Familie gut leben, sogar in der Großstadt.

Wir Kinder mochten ihn sehr gerne, er hatte auch jedes Mal etwas Süßes oder Kleidungsstücke für uns dabei, wenn er uns auch oft an den Ohren lang zog.

Bei Großvater waren die beiden nicht beliebt, denn Tante Thea hatte einen ledigen Sohn von einem anderen Mann und heiratete zu allem Übel auch noch einen evangelischen Preisssn. Zu dieser Zeit für ihren Vater, der jeden Tag zwei Kilometer zu Fuß in die katholische Kirche ging, das totale Verbrechen. Die Beiden ließen sich nichts anmerken und alles lief gut weiter. Großvater beachtete sie nicht und sie ihn nicht.

Jeder Kleinbauer durfte für den Eigengebrauch im Jahr ein Schwein füttern. Zum Schlachten brauchte er jedoch einen Erlaubnisschein von der Ortsverwaltung, den er auch erhielt.

Rias Vater sagte zu seinem Nachbarn Hans: „Du i schlacht morgn, host du a Sau, de so weit is, dann langt uns oa Wisch.“

„Ja, i brings da ganz früa, aber wia machmas den mit der Fleischbschau, host du do koane Bedenken?“

„Na, mir hängan oa Hälftn von dir und de andre vo mir hi, dann hot a jeder an Stempe. Nur zwoa Schwanz‘l derf de Sau net hom.“

„Farekt bist du scho!“

„Des anda mias ma vorramma und in de Daschn vom Bschaua steck ma a paar schene Stückl eine, dann sogt der nix. Der mog a lem.“

Ria hörte das und wusste, morgen muss sie in den Wald laufen oder unter die Bettdecke kriechen, bis die Tiere tot sind. Sie konnte es beim besten Willen nicht haben, wenn Tiere um ihr Leben schreien. Anschließend beim Verwerten hatte sie gerne geholfen, sie war als kleines Kind schon dabei, um leichte Arbeiten zu verrichten. Das Schwein wurde zu Blut- und Leberwürsten, Pressack, und Fleischkonserven verwendet. Die schönsten Stücke aus Bauch, Schlegel und Rücken kamen in die Sur, um später in die Räucherkammer zu wandern. Es war nicht ungefährlich ohne Erlaubnisschein zu schlachten, die Kontrolle kam sofort, wenn irgendwo ein Schwein schrie. Neider hatte man gleich, beim Gedanken an Schinken, Würste, Geräuchertem und Speck.

Der Wimmer Lenz hat lange Zeit im Gefängnis verbracht, weil ihn sein Nebenan verraten hatte

Ria lernte schnell, dass sie den Aushorchern in der Nachbarschaft nicht alles erzählen durfte. Auch nicht, dass von ihrem Kinderzimmerfenster ein eigenartiges Seil in den Schupfen führte und an einem Pflock, mit dem ein Sautrog seitlich hochgehoben wurde, angebunden war. In strengen Wintern suchten Fasane, Wachteln und anderes Gefieder bis in die Wagenunterstellung nach Futter. Vater zog an dem Seil und zack, unter dem Trog waren die herrlichsten Leckereien gefangen. Auch die vielen Spatzen im Hühnerstall gaben eine gute Sauce, sie war eben ein wenig aufwändiger.

Gegessen wurde damals alles. Wenn Ria fragte: „Was gibt’s denn heut?“, bekam sie zur Antwort: „Etwas Gutes“, da waren sich die Eltern einig.

Die Familie bestand aus fünf Personen, Rias Schwester Gerda war noch klein, aber jeder wollte essen. Die Hoftiere waren vom Ordnungsamt alle gezählt und registriert, da konnte nicht einfach geschlachtet werden. Obwohl, ein altes Huhn, das keine Eier mehr legte, kam gleich in den Suppentopf. Vater hatte sich schon einiges einfallen lassen, dass es außer Mehlspeisen, Baunkerl, Rialsuppe, Maultaschen, Kartoffelschmarren und Pfannkuchen noch etwas anderes auf den Tisch kam.

Nach dem Dreschen im September bei dem alle Nachbarn zusammen halfen, erst bei dem einen Hof, dann bei dem anderen, bis alle ihre Roggen-, Weizen- und Haferkörner auf dem Speicher hatten, wurde ihr Vater nervös. Das Getreide sollte zur Mühle nach Binabiburg und die beiden Kühe, die er zum Einspannen hatte, konnten dies nicht schaffen. Der Berg von der Hochlage zur Mühle an der Bina, fiel sehr steil ab und hatte eine gefährliche Kurve. Ein großes Hindernis auf der Hin-und Heimfahrt. Rias Vater borgte sich für diese Tortur bei einem Großbauern zwei Rappen, die nur unter größter Mühe und mit Peitschenhieben dieses Stück Weg mit dem vollgeladenen Wagen von der Bina zur Hochlage schafften. Ria hat bei angemessenem Abstand für Vater und die Pferde gebibbert und gebetet, dass dies für alle gut vorübergeht. Der weitere Weg führte entspannt durch den Wald und Ria durfte auf dem Wagen sitzen. Ihr geliebter Vater hat es mit Bravour gemeistert und es konnte für das nächste Jahr wieder Brot gebacken und die Familie versorgt werden. Nur diese Prozedur wiederholte sich Jahr für Jahr, bis die Motorisierung Einzug hielt.

Großvater Xaver war von Beruf Zimmermann, hatte fünf lebende Kinder, Ludwig, Thea, Maria, Rosalia und Auguste. Mit seiner Frau Rosalia, Rias Oma, hatte er das auf einem Hügel liegende Bergmann Anwesen gekauft und bewirtschaftet, bis seine Frau im Kriegsjahr 1941 verstarb.

Es war nicht einfach in dieser Zeit, die Männer gingen ihrem Beruf nach, die Frauen hatten die vielen Kinder, die Landwirtschaft und das Vieh zu versorgen.

Landwirtschaft hieß: Kühe jeden Tag mit der Hand melken, Gras für morgens und abends heranschaffen. Die

Tiere vor den Pflug spannen, Eggen genauso, säen mit der Hand, Kartoffeln legen, anhäufen, mit der Hand das Unkraut hacken, die Runkel setzen und von Unkraut frei halten. Die Kleinkinder wurden am Ackerrand abgelegt und schrien um ihr Leben. Jeden Morgen Schweine füttern. Der Ferienspaß der Landkinder war nicht Schwimmen sondern Heuwenden, Zusammenrechen und auf dem Wagen Fosten, dass auf der Heimfahrt nichts verloren ging. Als junge Frau hatte nun Rias Mama diese Aufgabe nach dem Tod ihrer Mutter.

Kurze Zeit konnte sie als Bedienung in einem Gasthaus in Gangkofen arbeiten, was ihr sehr gefiel. Sie lernte in dieser Zeit ihren späteren Mann kennen, der als Unteroffizier im Kriegseinsatz in Russland war und Heimaturlaub hatte. Sie verliebte sich sofort in ihn und irgendwie ist Ria entstanden. Die größte Sorge war, kommt der Erzeuger des Kindes lebend zurück. Vater hatte einmal in seiner Erinnerung Ria erzählt, dass sein Pferd im Schwarzen Meer ertrunken ist und er sich den ganzen Weg von Bulgarien nach Hause zu Fuß durchschlagen musste.

Er hat anschließend den Beruf Maurer gelernt, als er das Geld für den Lehrherrn zusammen hatte. Damals musste der Lehrling für die Ausbildung bezahlen.

Von den amerikanischen Besatzern merkte das kleine Dorf und ihre Einwohner wenig. Eines Tages hörten sie in der ruhigen Idylle ein bedrohliches Rollen und Grollen, das sich fürchterlich anhörte. Ria und Gerda hielten sich ängstlich an Mutters Rockzipfel fest. Sie sagte nichts, verschloss die Haustüre und huschte mit den Kindern über den Hof hinter dem Haus in den Stall, in dem drei Kühe, ein Stück Jungvieh und drei Schweine lebten. Rias Größe war etwa einen Meter hoch, denn auf den Zehenspitzen konnte sie über die Stallfensterbrüstung sehen. Der ohrenbetörende Lärm, der am Anwesen vorbeifuhr, war ein übergroßer amerikanischer Panzer. Aus der Luke erhob sich bis zur Hüfte ein schwarzhäutiger Soldat, dessen schneeweiße Zähne aufblitzten beim Kaugummikauen. Ria kam er irgendwie freundlich vor, auf keinen Fall furchteinflößend. Die Mutter war sehr erschrocken, packte die Ärmchen der Kinder und hob sie ins Heu, das über dem Stall lagerte. Sie vergrub sie in der hintersten Ecke, wie es eine Katze mit ihren Jungen tat, die nicht entdeckt werden sollten. Die Mutter versteckte sich neben ihnen. Lange verharrten sie ganz still in dem herrlichen Duft. Als sie das Versteck verließen, haftete noch lange der Geruch von getrocknetem Gras und Blumen an ihnen.

„Mama, sind die Amerikaner jetzt weg“?, fragte Ria.

„Die sind bestimmt zur geheimen Stelle im Wald gefahren und sehen nach, ob noch alles da ist“, beruhigte sie ihre Mutter.

„Ach ja, das sind die großen Löcher, die wir beim Pilze suchen mit dem Großvater gesehen haben, ereifert sich Ria. Mama, was ist da eigentlich passiert?“

„Das versteht ihr noch nicht“, war ihre Antwort.

Ria ist diese Stelle unheimlich, verbrannte Erde, Bäume und vier riesige Trichter im Waldboden, ein Erdhügel… Eine schauderhafte Stelle, ich bekomme das noch raus, ich frage Opa das nächste Mal.

Kindergarten gab es nicht, so waren die Kinder bei allen Haus und Feldarbeiten eingebunden.

Opa fragte Ria: „Schauen wir ob es Schwammerl gibt?

„Ja, nimmst du mich mit, ich schaue für dich unter die kleinen Fichten, ob da etwas steht, du kannst dich nicht mehr so gut bücken.“

Ria war schon vier Jahre und konnte schon lange Wege laufen, es war nicht unter jeder Fichte ein Schwammerl und es dauerte oft den ganzen Vormittag, bis eine Mahlzeit zusammen war.

Sie kamen wieder an der unheimlichen Stelle vorbei und Ria fragte:

„Opa, was ist hier einmal passiert?“

Opa erklärt ihr, dass sie dazu noch zu klein wäre.

„Na, wenn das ebenso ist, aber Opa warum gibt es bei uns keine Heidelbeeren mehr?“

„Weil die Schäfer aus dem Bayer-Wald ihre Schafe über die Donau getrieben haben und sie in unseren Wäldern weiden ließen. Für die Tiere war es ein Schmankerl, die guten Stauden. Im Wald hatten sie gute Deckung und wurden nicht gesehen und über Nacht war alles weg. Auf den Feldern und Wiesen wurden sie von den Bauern vertrieben.“

Sonst führte Ria ein wunderschönes Kinderleben. Sie konnte barfuß über blühende Wiesen mit herrlichen Blumen laufen, es gab Margariten, Federnelken, Kuckucksblumen, Rotklee, Sauerampfer, Löwenzahn, Gänseblümchen, wilde Möhre, Wiesenthymian zum Kränze binden, Kamille und Glockenblumen, die die Kinder mit schlechtem Gewissen pflückten, es sollten dann schwere Gewitter kommen, wurde ihnen gesagt. Ria hat mit ihrer Schwester und ihren Cousinen aus der Stadt Mooshäuser gebaut, in denen sie spielen konnten und wohnen. Sie haben Doktor gespielt, tote Mäuse operiert, Mutter die ersten Möhren, Kohlrabi und Tomaten aus dem Garten geklaut. Sie sind auf Kirschbäume geklettert und haben sich so voll gegessen, bis der Magen nichts mehr aufnehmen konnte. Keiner stand neben ihnen und drohte mit dem Finger, das dürft ihr nicht!

An den Sonntagen spielte Ria mit Johanna, dem Sepp, Albert, Franzi und wer noch da war, Räuber und Schandi in den Feldern. Um fünfzehn Uhr gab es bei Johannas Eltern Brotzeit, immer feinste Leberwurst, die so traumhaft roch, dass sie froh war, wenn sie einen kleinen Streifen Brot mit der Köstlichkeit abbekam. Zu Hause gab es nur selbstgemachte Würste, die konnten mit den Metzgerwürsten nicht mithalten, oder Schwarzwurst vom Metzger, die war am billigsten.

Einmal hatte Ria beim Nachbarn einen Pfirsich geklaut, ein einziges Exemplar hing an dem Spalierbaum wie eine gelbrotbackige Weihnachtskugel, sie hüpfte hoch, konnte ihn erwischen und schon war er verschlungen. So ein Genuss, diesen Geschmack kannte sie noch nicht. Es schmeckte nicht nach Birne und nicht nach Apfel, er war besonders fein.

Das blieb nicht unbeobachtet. Die Lehnermutter, die genauso auf die Reife dieser einen Frucht gewartet hat, sah ihn jetzt weg geschnappt, so schrie sie wütend und mit erhobenem Zeigefinger: „Das musst du aber beichten!“ Ria war noch nicht in der Schule und wusste von einer Beichte nichts, hat jedoch in dieser Bedrängnis die Zusage vorsichtshalber gegeben. Bei diesen älteren Leuten, deren Grundstück von Kindern nicht betreten werden sollte, stand ein wunderbarer Kirschbaum mit einer Holztriste darunter. Erst wurde ausgepeilt, ob der Lehnervater sich in seiner Werkstatt befand. Er war auch Zimmermann und der Bruder von Rias Opa. Seine Statur ähnelte dem Bergmann Opa sehr, er hatte nur eine breitere Nase. Oft saß er da und wartete mit einer Peitsche, ob sich Kinder dem Kirschbaum näherten, auf die Triste kletterten und nach den süßen Kirschen griffen, in diesem Moment rannte er heraus und schnalze die Peitsche um deren Waden, das sie nur so schrien. Den Staren und Vögeln gönnte er die Kirschen, den Kindern nicht.

Großvater war genauso aggressiv wie sein Bruder Peter. Einmal stand Ria mit ihrer Mutter am Herd um zu kochen, es gab wieder Streit zwischen den beiden, dann zog Großvater ein Messer aus dem Hosensack und zischte ihrer Mutter ins Ohr: „Ich steche dich ab!“ und fuchtelte mit dem Gegenstand durch die Luft.

„Dann stich doch zu!!!“, schrie die Mutter und verunsicherte ihn offensichtlich. Er ließ von ihr ab, doch der Hass wurde immer größer.

Ria und Schwester mussten ihm das Bett machen und die Fußnägel schneiden, obwohl er ihnen nie etwas von seinen Leckereien aus dem Metzgerladen abgab, trotz der schmachtenden Kinderaugen und der triefenden Mäuler, die neben ihm saßen.

Rias Mutter tat nichts mehr für ihn.

Mit fünfeinhalb Jahren bekam sie von der Näherin im Dorf aus Stoffteilen von Mutters aussortierten Arbeitsschürzen, das Rückenteil war weniger verschlissen, zwei Schulschürzen geschneidert. Ohne die heiß begehrten Rüschen, denn so viel Stoff stand nicht zur Verfügung. Ria war mächtig stolz, dass sie mit dem schweren Ranzen die zwei Kilometer Schulweg schon mitlaufen konnte. Bei sieben Kindern kam meistens Unterhaltung auf und war lustig.

Die Zwergschule in Egglkofen besuchten die Kinder von der ersten bis zur achten Klasse. Diese wurde von drei Armen Schulschwestern und Herrn Lehrer Seifert geleitet. Eine Nonne für das Schulwesen, eine für die Handarbeit und das Küchenfeferl, wie sie genannt wurde. Sie kochte wunderbar, der Küchenduft zog durch die Schule und machte alle hungrig. Zu essen gab es das für die Kinder nicht, sie mussten zu Hause ihren Hunger stillen.

Für die Schüler, aus den eingemeindeten Dörfern und Weilern, gab es vom Metzger eine Scheibe Leberkäs für fünfzig Pfennig und eine Brezel vom Bäcker für fünf Pfennig.

Ria war eine mittelmäßige Schülerin, Durchschnittsnote drei, wie man aus den Zeugnissen sehen konnte.

Für sie gab es nicht das Gebot: „Butter und Eier bringen Einser und Zweier.“ Ihre Mutter musste sie verkaufen, das konnten sich nur reiche Bauern leisten.

Sie hatte sich oft zu wehren gegen die Größeren. Das Gerangel über die Treppe in die Pause war so schlimm, dass die Kleinen fast untergingen. Einmal wurde es Ria zu viel und sie fegte einer größeren Mitschülerin, die ihr des Öfteren einen Schubs auf der Treppe gab, eine Ohrfeige, dass sie im Schulhof von der einen Ecke in die andere Ecke flog. Dann war Ruhe. Zum Leid der Lehrer war Ria auch sehr lebhaft, die Aufmerksamkeit ließ oft zu wünschen übrig, wie es für die Eltern zu lesen war. Lehrer Seifert, der ab der vierten bis zu achten Klasse verantwortlich war, ließ sie sogar einmal Holzscheit knien, um die Unaufmerksamkeit zu beugen. Ria hatte einen Fensterplatz und auf der Straße passierte so viel. Da der Franzl, ein Wirtssohn, sowieso immer die Brezeln zählen durfte und Ria die Arbeitertochter nicht, beschäftigte sie sich mit etwas anderem.

Welche Strafen sie alle von Schwester Lewarda erhielten, als Ulla im hohen, schwarzen Schulzimmer-Ofen zur Sommerzeit einen Wecker rappeln ließ, um das Aus der Schulstunde anzukündigen, hat Ria vergessen.

Die kirchlichen Dogmen beherrschten das Alltagsleben, besonders bei Herrn Geistlichen Rat Groll. Um sieben Uhr morgens, es war noch stockfinster im Winter, begann das

Engelamt, das die Schüler vor dem Unterricht zu besuchen hatten. Bei jedem Wetter, es konnte Eis, Schneetreiben, - Verwehungen und Kälte sein, es gab keine Entschuldigung. Und das mit den dünnen Mänteln und leichten Skischuhen im Winter, die Tante Thea von ihrem Sohn Sigi an Rias Mutter vererbt hatte.

Als Kind wurde man vom Eis angezogen. Im Schlosspark, der auf dem Heimweg lag, durch den der Tegernbach floss und von einem Englischen Gärtner angelegt war, gab es im Winter bis zu 30 cm dickes Eis. Es wurde in ein Meter lange Stangen geschnitten und in den Schlossbräukeller zum Bier kühlen gebracht. Auch die vereisten Wasserpfützen auf der Straße zogen magisch an. Hin und wieder ist beim Rutschen, einer eingebrochen und konnte dann den ganzen Weg mit nassen Füßen und Schuhen nach Hause latschen, bei Frost und Kälte. Da hätte Ria ihren sonst so schönen Heimatort zum Mond schießen können.

Für besondere Auftritte und für Sonntag bekamen wir beim Brandl in Vilsbiburg ein langlebiges Bleyle-Kleid gekauft. Gerda ein schönes rotkariertes, Ria ein graukariertes, mit Glockenrock.

Nach der Schule stand das Essen im Ofenrohr, um es warmzuhalten. Schnell wurden die Hausaufgaben auf dem Küchentisch gemacht, der hoffentlich keinen Fettfleck hatte, anschließend ging es auf das Feld, um mitzuarbeiten. Kartoffel und Rüben hacken, Heuwenden oder was gerade anfiel. Wollten wir zum Sonntagsbraten einen Feldsalat, wurde dieser im Kornfeld gesammelt. Auch Diestel stechen war Kinderaufgabe.

Die Waschküche, die frei zugängig war und vor dem Schuppen lag, war auch Badezimmer. Am Samstag wurde der Wasserkessel eingeheizt, der das heiße Wasser zum Waschen für die Wäsche und für die Badewanne lieferte.