Rika - Lena Muhl - E-Book

Rika E-Book

Lena Muhl

3,8

Beschreibung

Der 16-jährige Peter führt mit seiner Mutter ein beschauliches Leben auf dem Land. In letzter Zeit wird er jedoch immer wieder von merkwürdigen Träumen heimgesucht, die so gar nicht in sein ruhiges, fast tristes Leben passen. Als er dann auch noch Rika kennenlernt, steht sein Leben plötzlich Kopf. Denn sie führt ihn ein in eine geheime Gemeinschaft. Schnell muss Peter jedoch erkennen, dass nichts so ist wie es scheint. Doch ist ein Entkommen überhaupt möglich?

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© 2016 ISEGRIM VERLAG
in der Spielberg Verlag GmbH, Regensburg
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Umschlagfoto: © Balazs Kovacs Images;
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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 1

Es war kalt, Nebel stieg von der gegenüberliegenden Uferseite her auf. Das Wasser war schwarz wie die Nacht und der Mond spiegelte sich. Das Schilf stand hoch am Ufer des Sees, Wellen zerbrachen die Oberfläche und breiteten sich träge aus. Was hinter dem Schilf lag, war nicht zu erkennen. Dicke Nebelschleier tauchten die Umgebung in eine milchige Brühe. Direkt über dem See begann auf einmal ein schwarzer Fleck Gestalt anzunehmen. Erst war es nur ein einfacher Fleck gewesen, doch langsam formte sich eine Gestalt daraus. Sie sah aus wie eine Person. Die Umrisse wurden schärfer, doch nicht scharf genug, um mehr als die Teile der Kleidung erkennbar zu machen. Fetzen, die sich scheinbar im Wind bewegten. So schnell wie sie gekommen war, war sie auch wieder verschwunden. Nichts erinnerte noch an sie. Wie eine Fata Morgana, die einem der Verstand aus Angst nur vorgespielt hatte. Alles war still, gespenstisch still. Kein Flügelschlag, kein Windzug. Die Zeit stand still.

Ein nervtötendes, schrilles Geräusch ertönte und alles verschwand. Peter wachte auf und rieb sich seine verschlafenen Augen, während er mit der anderen Hand den Wecker suchte. Es war 7 Uhr morgens und Wochenende. Er hatte wohl mal wieder aus Versehen seinen Wecker abends gestellt. Tja, jetzt war es auch schon zu spät, der Traum war vorbei und schlafen konnte er auch nicht mehr. Durch die Gardinenschlitze drangen erste Sonnenstrahlen in sein nicht sehr großes Zimmer. Gegenüber von seinem Bett stand sein Kleiderschrank und recht mittig zwischen Bett und Kleiderschrank stand sein Schreibtisch, nicht weit vom Fenster entfernt. Der Schreibtisch war der größte Einrichtungsgegenstand in seinem Zimmer und für ihn auch der wichtigste. Er war wie seine anderen Möbel aus Kiefer und mit dunklem Lack überzogen. Die Wände waren in einem hellen Blau und zu den Wandecken hin dunkler gestrichen. Er stand auf und schob die Gardinen beiseite. Licht durchflutete sein Zimmer und ließ ihn in den ersten Augenblicken erblinden. Draußen strahlte ein blauer Himmel und obwohl es noch so früh war, sah man wie der Nebel von den Wiesen verschwand und der Tau einem kräftigen Grün wich. Peter liebte diesen Anblick eines neu anbrechenden Tages. Er öffnete sein Fenster, streckte seinen Kopf hinaus, schloss die Augen und sog die kühle Morgenluft ein. Der Geruch von frischem Gras gemischt mit der kalten Luft empfing ihn. Vogelgezwitscher erfüllte seine Ohren und sanft strich ihm der Wind durch die Haare und ließ ihn leicht frösteln. Zur gleichen Zeit kitzelten ihn die Sonnenstrahlen des neu beginnenden Tages auf der Haut.

Er öffnete die Augen und drehte sich um. Schnell zog er eine dunkle Jeans und einen schlichten blauen Pullover über. Im Badezimmer blickten ihm unter verstrubelten, kurzen, braunen Haaren grüne, müde Augen aus einem zerknautschten Gesicht entgegen. Er verzog bei diesem Anblick ein wenig die Nase, auf welcher Sommersprossen bei der Bewegung tanzten. Er spritzte sich ein wenig Wasser ins Gesicht und ging hinunter in die Küche.

Er wohnte mit seiner Mutter auf einem alten Bauernhof, nicht weit entfernt von einem kleinen Dorf, in dem man das Nötigste einkaufen konnte. Das Haus war ein typisches aus Backstein und Holz gebautes Bauernhaus. An einigen Stellen hatte der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen. Doch gerade dies machte seinen Charme aus. An der rechten Seite des Hauses wuchs Efeu empor und das Dach war an einigen Stellen fast vollkommen von Moos bewachsen. Auf der linken Seite schlossen sich die Garage und der Schuppen an. Die große Auffahrt wurde von Rasenflächen gesäumt, auf denen Obstbäume und Buchen standen. Direkt vor dem Haus war eine große freie Schotterfläche. Das Auto seiner Mutter stand meistens direkt vor der Garage neben dem Haus. Ein kleiner, in die Jahre gekommener, blauer Golf. Sein Vater lebte hingegen in Berlin in einer Dachgeschosswohnung nicht weit entfernt vom Alexanderplatz. Er hatte ihm angeboten nach Berlin zu kommen, um dort mit ihm zusammen zu leben. Doch Peter wusste, dass er nur benutzt werden sollte, um seiner Mutter eins auszuwischen. Sein Vater war der typische Business Man: Immer wie aus dem Ei gepellt. Seit sich seine Eltern vor einem Jahr zerstritten hatten, versuchten sie sich gegenseitig nur noch zu schaden. Von da an lebte Peter alleine mit seiner Mutter auf dem Hof und besuchte eine Gesamtschule in der Nähe. Es hätte Peter nicht gestört zu seinem Vater zu ziehen, auch wenn dieser es nur angeboten hatte, um seine Mutter zu ärgern. Jedoch liebte er das Land, seine großen Weiten, die raue Natur im Winter und Herbst und nicht zu vergessen, die atemberaubenden Sonnenaufgänge in den Morgenstunden. Seine Freunde und Klassenkameraden verstanden nicht, warum er dieses eintönige Leben bevorzugte, anstatt in die Stadt zu ziehen, die mit ihrer Vielseitigkeit so viel mehr zu bieten hatte als Hüttingen, ein Dorf mitten in der Pampa. Ihm war es egal, was die anderen dachten. Hauptsache er hatte seine Ruhe und konnte in den Wald gehen und an seinen Projekten arbeiten.

Daher überraschte es auch nicht, dass er nicht zu den Beliebtesten an der Schule zählte. Eigentlich, wenn man es genau nahm, befand er sich am anderen Ende der Schulhierarchie. Er fuhr mehr darauf ab, ein neuer Mark Zuckerberg zu werden und wenn er feierte, dann wenn er ›es‹ geschafft hatte. Diejenigen, die mit ihrem Erfolg in der Öffentlichkeit prahlten, waren als Erste dran, deshalb sprach niemand darüber. Manche, die er in Chats kennengelernt hatte, waren einige Zeit später bei der Polizei gelandet. Er hatte nur einen richtigen Freund und das war Michel aus seiner Klasse. Sie trafen sich oft, um zu zocken und im Internet zu surfen.

Sie hatten nicht viele Gemeinsamkeiten, außer dem Interesse an Computern. Die meiste Zeit war Peter alleine und ging in den Wald oder versuchte sich in andere Netzwerke einzuklinken. Die Natur inspirierte ihn neue Ideen für seine ›Projekte‹, wie er sein Surfen nannte, zu entwickeln. Ihn persönlich störte es nicht allein zu sein, doch seine Mutter machte sich des Öfteren Sorgen um ihn. Sie meinte, er müsse mehr unter Leute kommen und mit Gleichaltrigen Spaß haben. Er lachte innerlich darüber, auf Bier trinken, Drogen schnupfen und mit Mädchen flirten hatte er keine Lust. Was hatte sie schon für eine Ahnung von den Jungs in seiner Klasse… Lieber blieb er bei seinen Algorithmen. Jede andere Mutter wäre froh gewesen, wenn ihr Sohn sich von Drogen und Dauerparties fernhalten würde, doch sie war da mal wieder anderer Meinung. Immer wieder betonte sie, dass es ja nicht normal wäre, sich in seinem Alter so zu verhalten. Er müsse mal erwachsen werden!

Was für ein Schwachsinn, was hatte dieses Zeug mit erwachsen werden zu tun?! Hatte sie überhaupt eine Ahnung? Wenigstens nervte Michel ihn nicht mit so einem Gerede! Von Michel hatte Peters Mutter ja sowieso ein total schlechtes Bild! Er würde ihn davon abhalten zu anderen Jungs Kontakt zu knüpfen! Als ein guter Freund sollte er, aus Sicht seiner Mutter, ihn auf Partys mitnehmen und ihm helfen neue Freunde zu finden. Als wäre er sozial unterentwickelt. So etwas hörte man doch immer gerne, vor allem von seiner Mutter. Sie würde es zwar niemals so direkt sagen, aber zwischen den Zeilen war es spürbar. Wie bescheuert das alles war! Nur weil sie seinen Vater so kennengelernt hatte, musste er ja nicht genauso enden wie sie. Man sah ja was daraus geworden war! Sie hatte doch keine Ahnung von ihrem Sohn, wie sollte sie da auch nur irgendwas verstehen. Sie interessierte sich ja noch nicht mal für ihn! Was er machte, war ihr egal, da sie immer nur dabei war, herauszufinden was gerade ›In‹ war und der letzte Schrei in Hollywood! Zugegebenermaßen war es seiner Sache jedoch auch nicht förderlich, wenn sie herausfand, was er alles ohne ihr Wissen machte…

Tja ihr Beruf…mmh… Es war schon komisch, dass jemand der ein so großes Interesse an Mode zeigte, wie seine Mutter, von Beruf Landschaftsdesigner sein konnte. Es lag wohl daran, dass sie zwei linke Hände hatte, wenn sie versuchte etwas zu schneidern, geschweige denn zu stricken oder zu sticken. Man musste ihr allerdings zugestehen, dass sie Ahnung von Pflanzen hatte und dass das was sie gestaltete, immer recht gut aussah.

Im Kühlschrank war gerade noch genug Milch für eine Schüssel Müsli, die Peter in wenigen Minuten aufgegessen hatte. Er packte sich eine Scheibe Brot ein, ging nach draußen und holte sein Fahrrad aus dem Schuppen. Es war ein altes Oma-Fahrrad, manchmal sprang die Kette ab und bei Regen funktionierte das Licht nicht immer ganz einwandfrei, aber hier auf dem Dorf störte sich niemand daran. Er fuhr am Waldrand entlang in die Stadt und ging in einen kleinen Zeitungsladen. Von außen sah er eher wie eine Bruchbude aus, mit seinem schiefen und verdreckten Kioskschild und der schon seit Ewigkeiten vor sich hinstaubenden Schaufensterdekoration. Doch Innen fand man alles, was man von einem Kiosk erwarten konnte. Dort erweckte eine Zeitschrift Peters Aufmerksamkeit: ›Tod eines Mädchens im Saldersee‹, es war die Überschrift einer ihm unbekannten Zeitschrift. Der Saldersee war ganz in der Nähe seines Hauses, dort ging er oft hin, um zu baden und zu angeln. Im Sommer traf man dort auch öfters mal Touristen an. Viele von ihnen kamen für einen Tagesausflug an den See und das Dorf verwandelte sich in der kurzen Ferienzeit in ein Touristenzentrum. Er nahm die Zeitschrift aus dem Regal, bezahlte sie und fuhr nach Hause. Von dort aus machte er sich auf den Weg in den Wald zu seinem Lieblingsplatz, einer alten Eiche auf einer Lichtung. Der Wald grenzte direkt an ihr Grundstück, wodurch es nur ein Katzensprung zur Lichtung war.

Auf der Lichtung angekommen, setzte er sich an den Fuß des Baumes und schlug die Zeitung auf. Sie handelte von einer alten Legende, in der ein Mädchen eines Nachts spurlos verschwand. Sie war nirgends mehr aufzufinden gewesen. Das Letzte, was man von ihr gehört hatte, war, dass sie schwimmen gehen wollte. Am nächsten Tag hatten ihre Eltern die Polizei gerufen und ein Trupp von 50 Polizisten mit Spürhunden und einem Hubschrauber suchten zwei Tage lang den Saldersee und dessen Umgebung ab. Selbst der Einsatz von Tauchern brachte kein Ergebnis. Am vierten Tag fand ein Wanderer zufällig die Leiche des Mädchens im Schilf. Sie hatte sich verhangen und war im Wasser verborgen gewesen. Der Mann verständigte die Polizei und die Taucher bargen die Leiche aus dem Schilf. Man vermutete, dass das Mädchen ertrunken war und die Leiche sich dann im Schilf verfangen hatte. Kampfspuren wurden nicht festgestellt. Die Eltern trauerten um ihre Tochter und sagten sich immer wieder, dass es doch nicht möglich war, dass ihr Mädchen ertrunken sei. Sie sei doch eine so gute Schwimmerin und Taucherin gewesen. Bald wurden die Eltern des verstorbenen Mädchens als Wahnsinnige dargestellt und die Leute im Dorf gingen ihnen aus dem Weg. Wenn man die Bewohner des Dorfes fragte was mit den beiden passiert war, sagten sie, sie hätten den Tod ihrer Tochter nicht verkraftet.