Risse im Ruhm - Hans-Hermann Sprado - E-Book

Risse im Ruhm E-Book

Hans-Hermann Sprado

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Beschreibung

Die Vergangenheit ist ein schlafender Parasit. Wehe, er erwacht und alles kehrt wieder ... Hamburg, Rio de Janeiro, Berlin und die Ex-DDR - das sind die Schauplätze dieses Thrillers, der mehr Drehungen und Wendungen hat, als ein Eistanz. Mitten im Wirbel der Ereignisse steht der Star-Reporter Michael "Mike" Mammen. Für das Magazin ARENA soll er über eine Geiselname im Hamburger "Alsterhaus" berichten. Dabei gerät er zwischen die Fronten von Gangstern und Polizei. Denn nur er kann die Katastrophe vielleicht abwenden, wenn er herausfindet, was frühere Reportagen über eine Nazi-Ärztin, Waffenhandel, Mord und Korruption mit den Geiselnehmern zu tun haben. Und dann ist da noch seine Geliebte ... "Ein packender Thriller, der brisante Fakten und aktuelle Fiktion auf höchst intelligente Weise miteinander verbindet." Axel Milberg, Schauspieler (u.a. Tatort-Kommissar) "Ein atemloser Thriller, basierend auf genauer Recherche der Wirklichkeit und ihrer spannenden Übersetzung in eine atemberaubende Geschichte." Michael Jürgs, Ex-Chefredakteur "Stern" u. Tempo- u. Bestseller-Autor (u. a. "Der Fall Axel Springer", "Der kleine Frieden im Großen Krieg") "Eine interessante Mischung aus journalistischem Schlüsselroman und fantasievollem Krimi, versetzt mit einer kleinen Prise Historie. Wie Sprado seine Erzählfäden spinnt, verrät Engagement und eine Bandbreite, wie sie nur ein Grenzgänger zwischen Fakt und Fiktion zu bieten hat." Werner Funk, Ex-Chefredakteur Spiegel, Stern u. Geo

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Hamburg, Rio de Janeiro, Berlin und die Ex-DDR – das sind die Schauplätze dieses Thrillers, der mehr Drehungen und Wendungen hat als ein Eistanz. Mitten im Wirbel der Ereignisse steht der Star-Reporter Michael „Mike“ Mammen. Für das Magazin ARENA soll er über eine Geiselname im Hamburger „Alsterhaus“ berichten. Dabei gerät er zwischen die Fronten von Gangstern und Polizei. Denn nur er kann die Katastrophe vielleicht abwenden, wenn er herausfindet, was frühere Reportagen über eine KZ-Ärztin, Waffenhandel, Mord und Korruption mit den Geiselnehmern zu tun haben. Und dann ist da noch seine Geliebte ...

Hans-Hermann Sprado, 1956 in Bassum geboren, volontierte beim Bremer Weser Kurier und arbeitete als Redakteur bei Bunte und als Chefreporter bei Bild. Er war Chefredakteur des P.M.-Magazin und von Marie Claire; heute ist er Herausgeber der „P.M.-Gruppe“. Seine Reisen führten ihn in mehr als 30 Länder. Hans-Hermann Sprado lebt mit seiner Familie in Ebersberg bei München.

1.  Sprado, Hans-Hermann:

Risse im Ruhm.

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2005

ISBN 978-3-932927-26-5

eISBN 978-3-932927-67-6 (E-Book)

2.  Sprado, Hans-Hermann:

Tod auf der Fashion Week

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2007

ISBN 978-3-932927-39-3

eISBN 978-3-932927-68-3 (E-Book)

3.  Elke Schwab:

Mörderisches Puzzle

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2011

ISBN 978-3-932927-37-9

eISBN 978-3-932927-64-5 (E-Book)

4.  Elke Schwab:

Eisige Rache

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2013

ISBN 978-3-932927-54-6 (TB)

eISBN 978-3-932927-72-0 (E-Book)

eISBN 978-3-932927-67-6 (E-Book)

© SOLIBRO® Verlag, Münster 2005

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Arne Harbers

Coverfoto: photo © Bill Kouirinis

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www.solibro.de             verlegt. gefunden. gelesen.

Wenn vor dem Rat stillsinnender Gedanken

ich die Erinnerung als Zeugen führe,

hör’ ich von Dingen, die schon längst versanken,

so dass ich Schmerz in alten Narben spüre.

William Shakespeare

Für Kristin und Tim, natürlich

 

 

 

Die Vergangenheit ist ein schlafender Parasit. Wehe, wenn er erwacht und alles kehrt wieder.

Warum kommen so oft die schlechten Dinge zurück und suchen uns heim? Heute – zum ersten Mal in seinem Leben – wird der Starjournalist Michael Mammen gezwungen, über diese Frage nachzudenken und eine Antwort zu finden.

Aber nicht immer führt die Erinnerung sofort auch zu letzter Gewissheit. So billig ist die Vergangenheit nicht zu haben.

Prolog

Die stille Etage ist voller Augen, aus schmalen Schlitzen starren sie ihn an. Es sind die Augen seiner Geiseln. Reglos steht er vor ihnen, umgeben von einer Aura der Unbesiegbarkeit.

Roloff und seine Männer, drei von ihnen, haben die Gefangenen vor den summenden Kühltheken voller Seelachs, Flundern und zerstoßenem Eis im obersten Stockwerk des Kaufhauses zu einer dichten Menschentraube zusammengetrieben. Durch die runden Plastikgläser seiner Gasmaske mustert er zufrieden ihre erschrockenen Gesichter, während seine Hand nach dem kalten Metall des Funkauslösers in seiner Tasche fühlt.

Die erste Zyklon-B-Granate wird er eine Stunde vor Ablauf des Ultimatums zünden. Damit will er seine Unberechenbarkeit demonstrieren, die seine gefährlichste Waffe ist. Niemand außer ihm weiß, wo das Nazi-Gas seine Tod bringende Wolke verströmen wird: Nicht die Polizei, die das Alsterhaus am Hamburger Jungfernstieg inzwischen vollständig abgeriegelt hat, nicht die Geiseln, die sich ängstlich vor ihm ducken und nicht einmal seine Komplizen, die mit schussbereiten Maschinenpistolen breitbeinig vor den Geiseln lauern und auf seine Befehle warten.

Allmählich legt sich seine Anspannung. Bis hierher ist es ein Spaziergang gewesen, alles läuft nach Plan, geradezu absurd erfolgreich, doch der schwierigste Teil des Kommandos liegt noch vor ihnen.

Die Mündung seiner Kalaschnikow schwenkt sacht herum, bis sie auf eine junge Frau in einem weißen Arbeitskittel zeigt, die halb verborgen hinter den hohen Schultern eines Mannes mit dicker Hornbrille Schutz gesucht hat. „Du! Komm her!“

Seine mit Berliner Zungenschlag gefärbte Stimme klingt bedrohlich gedämpft durch die olivgrüne Gasmaske, unter der sein kahler, massiger Schädel langsam zu schwitzen beginnt. Roloff lehnt sich gegen ein Gewürzregal, lässig, und wartet. Er weiß, das Blut dieser Frau wird die Bemühungen der Polizei erheblich beschleunigen.

KAPITELI

Geiseln (Teil 1)

Hamburg, 9. August 1992, 11.00 Uhr

1.

Das ist mal wieder so ein Morgen, den er verfluchen könnte, glühend heiß, der Schädel brummt und immer noch kein erster Satz. Seit zwei Stunden brütet Mammen über dem Manuskript und kämpft mit dem Anfang einer Story, die ihn aus der Vergangenheit eingeholt hat. Er fühlt sich müde und ausgelaugt wie nach einer Überdosis Thomas Mann. Tiefe Schatten liegen unter seinen Augen. In seinem Gesicht, bis hinunter zum Adamsapfel, hat sich ein Drei-Tage-Bart breit gemacht.

Sein schlanker Körper strafft sich im Sessel, fällt zurück, strafft sich erneut. Die Ellenbogen aufgestützt, die Hände ineinander verschränkt, kreist sein linker Daumen unaufhörlich in der rechten Handfläche. Er schiebt die Lippen vor und klemmt sich eine Zigarette dazwischen, ohne den Blick von seinem Notizblock zu lassen.

Speck, Pfeffer und Dynamit gehören in den ersten Satz, das hat sein Journalistenlehrer ihm eingebläut, doch seit er Moya kennt, hat er die Worte verloren. Moya, nichts anderes mehr hat Platz in seinem Kopf. Alle Sätze, alle Bilder werden unscharf, schwimmen davon, mischen sich mit anderen Sätzen und Bildern und verschwinden schließlich.

Mit jedem Anlauf verfängt er sich aufs Neue im Gestrüpp der Fakten über die Mörderin eines Zuhälters. Zwei Nächte zuvor hat sie sich in der Berliner Justizvollzugsanstalt Moabit die Pulsadern aufgeschnitten. Als ihr morgens ein Wärter das Frühstück in die Zelle bringen wollte, war sie tot, verblutet. Zum Aufschlitzen ihrer Pulsadern hatte sie ihre langen Fingernägel benutzt, deren Kanten zu scharfen Ecken gefeilt waren – es musste lange gedauert haben. Mammen hat die Tote gut gekannt. Als sie noch lebte, nannte sie sich Jacqueline.

Es ist der letzte Tag der Sommerferien. Mammens muskulöse Oberarme, die aus einem kurzärmligen, dunkelgrünen Polo-Hemd ragen, tragen noch immer die Bräune des Urlaubs, den er mit Carla und Tammy in einem freundlichen Strandbungalow zwischen den Dünen bei Farnö in Dänemark verbracht hat.

Moya hat ihm keine Szene deswegen gemacht, sie ist klug genug zu wissen, dass er nicht anders kann, sie drängt ihn nicht. Aber irgendwann muss er sich entscheiden, das spürte er bereits in jenem Moment, als er sie zum ersten Mal sah.

Seit acht Jahren schreibt Mammen als Chefreporter für die Hamburger Illustrierte ARENA, die jede Woche mit einer Millionenauflage die Kioske überschwemmt. Sein handtuchschmales Zimmer liegt im dritten Stock am Ende eines düsteren Flurs, der das Ressort Aktuelles beherbergt. Ein kleiner Tischventilator durchquirlt vergeblich die feuchte, stickige Luft.

Um seine Nervosität zu bändigen, arrangiert Mammen auf seinem Schreibtisch immer wieder neu, was er zum Schreiben und Leben braucht: In planloser Zufälligkeit schiebt er die amerikanischen Yellow Pad-Blöcke ein Stück nach links, richtet sechs frisch gespitzte Bleistifte der Marke Faber-Castell, Stärke HB, daneben aus, schichtet die drei offenen Schachteln Gitanes übereinander, rückt den dampfenden Becher Nescafé beiseite, weg vom Manuskript, und reißt einen Snickers-Riegel auf.

Nur der silberne Rahmen mit dem Foto seiner Frau und seiner Tochter, aufgenommen im Freizeitpark Hansaland, bleibt von seiner Unruhe verschont. Ein anderes Foto, das von Moya Iceton, liegt unter einem Stoß vergilbter Ausgaben des Branchendienstestext intern in der untersten Schublade seines Schreibtischs. Niemand in der Redaktion ahnt etwas von Mammens Affäre mit Moya Iceton. Nicht einmal Stefan Pfaller, sein bester Kollege und zugleich sein engster Freund – eigentlich gehört Moya zu ihm.

Durch einen Spalt der herunter gelassenen Jalousie blickt Mammen auf die Außenalster. Auf dem Wasser wimmelt es von Segelbooten. Er fährt sich mit der linken Hand durch die Haare, die andere Hand umkrampft den Bleistift, als wolle sie ihn zerbrechen vor lauter Verzweiflung über seine vergebliche Mühe, der Selbstmörderin mit ein paar geraden Sätzen beizukommen.

Lustlos blättert er durch die eselsohrigen Seiten seiner Notizen. Er sucht die eine Information, mit der er seine Reportage eröffnen kann. Plötzlich sieht er sie und eine Königsidee springt ihn an: vor dem Frühstück! Er gibt seiner morbiden Begeisterung für Sarkasmus nach und schreibt schnell mit steiler, leicht geneigter Schrift den ersten Satz seiner Reportage hin: „Jacqueline Sengelmann starb hungrig.“

Die Sprengkraft der Worte stürzt sämtliche Hürden um, alles fließt, von einer Sekunde zu anderen. Vor lauter Begeisterung legt sich seine hohe Stirn in Falten. Jetzt schneit es Buchstaben, ein schwarzes Gestöber, das Seite um Seite füllt.

Mammen schreibt seine Storys immer zuerst mit der Hand, Computer behagen ihm nicht. Ein Computertext sieht vom ersten Wort an ordentlich aus, auch wenn er unordentlich gedacht ist. Genau genommen schreibt er seine Reportage nicht, er beobachtet, wie sie sich schreibt, als ob sie ein lebendiges Wesen sei. Selbst wenn er merkt, dass er etwas besser machen könnte, lässt er den ersten Wurf unverändert stehen. Er will so schreiben, wie die Menschen leben. Menschen können ihre Taten auch nicht redigieren.

Um halb zwölf wird sein Schaffensrausch abrupt unterbrochen. Ins Zimmer stürmt Helmut Brunkwein, der Nachrichtenchef und Senior der Redaktion, förmlich im Umgang, steif in der Kleidung – bis auf die grellbunte Fliege, sein Markenzeichen. Zu seiner Masche gehören noch schwarze, mit Pomade nach hinten gestriegelte Haare, eine runde Silberbrille und die Bonsais auf der Fensterbank seines Büros. Brunkwein scheint ständig in Eile. Wenn er auf seinen Storchenbeinen über die Korridore hastet, drängt sich der Eindruck auf, sie bewegen sich außerhalb jeder Kontrolle ihres Eigentümers. Einmal, als Brunkwein ihm gegenüber saß, hatte Mammen unter dem Tisch nachgesehen, ob seine Beine auch da waren, wohin sie gehörten oder ob sie sich vielleicht selbstständig gemacht hätten, weil ihnen Sitzen zu langweilig war. Es hatte ihn ungemein beruhigt, als er Brunkweins italienische Slipper mit Goldspange ordentlich nebeneinander geparkt sah.

„Im Alsterhaus spielen ein paar Typen Zweiter Weltkrieg!“, stößt Brunkwein hervor. Sein Asthma rasselt.

„Sag ihnen, damit können sie aufhören, Adolf und Eva haben geheiratet. Die Show ist zu Ende.“

„Sie haben Geiseln genommen. Der Don sagt, du sollst dich darum kümmern.“

„Er weiß doch, dass ich die Selbstmörderin schreibe. Warum schickt er nicht jemand anderen?“

„Es ist nur niemand da außer dir, also schwing deinen Hintern hoch“, näselt Brunkwein mit pastoraler Arroganz. „Hier sind die ausgedruckten Agenturmeldungen. Sieh zu, dass du die Story nicht wieder vergeigst, Mammen. Dein Bonus schwindet langsam.“

Mammen schüttelt belustigt den Kopf. „Da schenkt man dem Mann jedes Jahr Doppelherz zu Weihnachten und nun so was!“

Seine Stimme klingt rau und kratzig von den abertausend Gitanes, die er seinem Kehlkopf im Laufe eines langen Raucherlebens zugemutet hat. Tatsächlich hat er die Zahl erst kürzlich ziemlich genau ausgerechnet: 27 450 Stück – eher ein paar mehr, kaum weniger.

„Dir werden sie auch noch die Eier schleifen“, sagt Brunkwein und wirft die Agenturmeldungen auf Mammens Schreibtisch.

„Darf ich dich was fragen, Brunkwein? Wie hast du es bloß fertig gebracht, mit dem Gehirn eines Kängurus so lange zu überleben?“

Der Nachrichtenchef bläht wütend die Wangen, ballt die Fäuste, entschließt sich anders und rennt aus dem Zimmer.

Sorgfältig schreibt Mammen den letzten zu Ende gedachten Satz seiner Story, schiebt den gelben Block beiseite und sucht die Agenturmeldungen zusammen. Aus alter Gewohnheit überfliegt er die Eilmeldung der Deutschen Presseagentur zuerst:

KAUFHAUSÜBERFALL MIT GEISELNAHME

HAMBURG (DPA) – MEHRERE MASKIERTE MÄNNER SIND HEUTE MORGEN UM KURZ VOR ZEHN UHR IN DAS KAUFHAUS ALSTERHAUS AM HAMBURGER JUNGFERNSTIEG EINGEDRUNGEN UND HABEN ZAHLREICHE KUNDEN UND MITARBEITER ALS GEISELN GENOMMEN. DIE POLIZEI HAT DAS ALSTERHAUS EVAKUIERT UND ABGERIEGELT. BISLANG GELANG ES DEN EINSATZKRÄFTEN NICHT, KONTAKT ZU DEN TÄTERN AUFZUNEHMEN. DIE BEHÖRDEN SCHLIESSEN NICHT AUS, DASS ES SICH UM EINE POLITISCHE AKTION HANDELT.

Mammen ruft den Leiter der Bildredaktion an. „Wen habt ihr zu der Sache im Alsterhaus geschickt?“

„Zwei Freie!“, antwortet Fotochef Hagen von Bolswitz. „Pfaller kann ich nicht erreichen, er hat seinen Anrufbeantworter eingeschaltet. Sobald er sich meldet, stößt er auch dazu.“

Verärgert, dass er seine Story unterbrechen muss, schnappt Mammen sich den Stenoblock und ein Päckchen Zigaretten und stemmt sich aus dem Sessel. Ein Kaufhausüberfall ist nicht gerade das, was einen Chefreporter eilig aus der Redaktion treibt, wenngleich der Hinweis auf ein politisch motiviertes Attentat seine Schritte beschleunigt.

Seinen Dienstwagen lässt Mammen in der Tiefgarage, bis zur Innenstadt sind es ja nur ein paar Minuten. Am Ufer der Außenalster, vorbei am US-Konsulat, geht er Richtung Jungfernstieg.

Der Himmel über Hamburg ist dunstig, die Sonne sticht, die Luft ist windstill und dick wie Öl. Bleiern lastet ein süßlicher, müder Geruch auf der Stadt. Überall auf dem Rasen, nahe am Wasser, liegen halbnackte Menschen, die nicht genug kriegen können von der dampfenden Schwüle dieses Ausnahmesommers.

Mammen überquert die Lombardi-Brücke und sieht aus der Ferne das ungeduldige Gewimmel der Menschen vor dem Kaufhaus. Aus allen Himmelsrichtungen, wie von einem Magneten angezogen, eilen die Schaulustigen heran und drängen sich vor den rot-weißen Absperrgittern der Polizei. Das Gewühl der bunten Kleider, T-Shirts und kurzen Hosen wird dichter mit jedem seiner Schritte. Auf dem Dach des Kaufhauses, hoch oben in schwindelnder Höhe, baumeln zwei Firmenfahnen lustlos am Mast.

Mühsam schiebt Mammen sich vorwärts, von einem Deodorant zum nächsten. Aus Versehen tritt er einem Mann mit Tennissocken und grünen Badelatschen auf die Füße. „Hey, drängle nicht so“, schnauzt er Mammen an, „wir sind nicht auf der Titanic!“ Sturzbäche von Schweiß laufen dem Mann in den Kragen, während seine Frau dümmlich kichert.

Mammen sucht Thomas Moschke. Der Polizeireporter der Hamburger Morgenpost weiß, was in der Hölle gekocht wird, selbst nachts hört er den Polizeifunk ab. Kein anderer Journalist in der Stadt hat so gute Kontakte und so exklusive Informationen wie er. Kurz darauf findet er Moschke dort, wo er ihn am wenigsten erwartet hätte, im Gespräch mit seinem Intimfeind, dem Polizeipräsidenten. Sie sitzen unter einem gelben Sonnenschirm auf der Terrasse des Alsterpavillons, dem Kaufhaus gegenüber, und stecken die Köpfe zusammen.

2.

Nur mit aller Kraft kann Roloff seinen Widerwillen gegen die kriecherische Angst der Geiseln unterdrücken. Sie machen sich klein, sie weichen zurück vor ihm, auch innerlich, er spürt das.

„Wird’s bald?“, brüllt er. Zornig funkeln die schwarzen Augen hinter der Gasmaske die junge Frau im weißen Kittel an. Sie beißt sich auf die rotglitzerende Unterlippe, ihre Schultern fallen kraftlos nach vorn.

„Nein ... bitte ... nein ... nicht!“, wimmert sie.

Mehr verlegen als mutig hebt der Mann, hinter dem sie sich versteckt hält, die Arme hoch und macht sich gerade: „Lassen Sie die Frau in Ruhe. Nehmen Sie mich!“

„Halt’s Maul, du Arschloch!“, fährt Roloff ihn an. „Willst hier den Helden spielen, was? Du kommst schon noch früh genug an die Reihe, nur keine Eile. Die Kleine will ich! Jetzt! Also mach schon, Süße, setz dich in Bewegung, oder muss ich nachhelfen!“

Ihre Knie zittern, während sie vorsichtig und mühsam, einen Fuß vor den anderen setzend, auf Roloff zugeht. Tränen rinnen ihr die Wangen hinunter und vermischen sich mit dem Makeup und der schwarzen Wimperntusche zu hässlichen Mäandern.

Dicht vor Roloff bleibt sie stehen.

„Deine Arme, streck sie aus, die Handflächen nach oben!“

Sie gehorcht, zögernd.

Roloff zieht einen weißen Briefumschlag aus der Tasche und legt den Briefumschlag vorsichtig auf ihre linke Hand, ihre Finger umschließen den Umschlag, erleichtert lässt sie die Arme sinken.

„Oben lassen!“, fährt Roloff sie an.

Den nächsten Akt vollzieht er mit professioneller Ruhe: Seine Hand sucht das Skalpell in der Brusttasche seiner Lederjacke, findet es. Mit einer raschen Bewegung packt er den rechten Arm der Frau und trennt mit einem schnellen Schnitt die Pulsader auf, der Länge nach. Ein gellender Schrei zerreißt die Stille. Sofort sprudelt Blut aus der Wunde, besudelt den weißen Kittel, quillt in pochenden Stößen weiter und tropft zu Boden. Fassungslos starrt die Frau ihren Arm an, dann Roloff, dann ihren Arm.

„Dieser Umschlag enthält unsere Forderungen“, sagt Roloff. „Bring ihn raus zu den Bullen. Ich an deiner Stelle würde mich beeilen, so viel Blut ist in einem Menschen nämlich nicht drin.“

Mit Schmerz verzerrtem Gesicht presst die Frau ihre linke Hand auf die pulsierende Verletzung, um die Blutung zu stoppen. Es gelingt ihr nicht. Der Umschlag ist zu Boden gefallen. Roloff hebt ihn auf und steckt ihn in eine Tasche ihres Kittels.

„Ab die Post!“

3.

Mammen schiebt sich dichter an Moschke und den Polizeipräsidenten heran. Geduldig wartet er, bis der Polizeichef aufsteht und geht. Dann tippt er Moschke auf die Schulter: „Haben die eine Chance, damit durchzukommen?“ Er deutet mit dem Kopf zum Alsterhaus hinüber.

„Sieh an, die Elite von ARENA begibt sich in die Niederungen des Lokaljournalismus!“

Mammen weiß, dass Moschke sich kürzlich zum zweiten Mal bei ARENA beworben und seine Unterlagen erneut zurückbekommen hat. Und Moschke weiß, dass er es weiß. Mammen bemüht sich, Moschkes Bitterkeit zu ignorieren, schließlich war es die Entscheidung des Chefredakteurs, nicht seine. Ginge es nach Mammen, könnte Moschke sofort bei ARENA anfangen. Hat er sich nicht stets als fairer Kollege erwiesen, kooperativ und hilfsbereit? Hat er! Auch jetzt erteilt er Mammen bereitwillig Auskunft.

„Die Polizei wird nicht schlau aus denen, seit beinahe einer Stunde hocken die da drin, ohne sich zu rühren. Entweder sind das Vollprofis, die ihren Plan präzise wie eine Herzoperation durchführen. Oder es sind Vollidioten, denen die Sache über den Kopf wächst. Vor ein paar Minuten sind die Männer vom Mobilen Einsatzkommando eingetroffen.“

„Die wollen reingehen und die Sache beenden?“

Moschke schüttelt den Kopf. „Nur für alle Fälle. Das Risiko für die Geiseln wäre zu groß. Sie werden abwarten, wie die Situation sich entwickelt. Hab es gerade aus erster Hand.“

„Wie viele sind es?“

„Täter? Mindestens vier, möglicherweise fünf oder mehr.“

„Und Geiseln?“

„Schwer zu sagen, jedenfalls eine ganze Masse.“

Trotz der Hitze trägt Moschke eine braune, abgewetzte Lederjacke. Sein rundes Gesicht wird von dunkelblonden, glatten Haaren im Prinz-Eisenherz-Look umrahmt. Wie ein pensionierter Butterfahrt-Kapitän in der Hafenbar steht er da. „Ich dreh mal ein bisschen an den Knöpfen“, sagt er, tippt mit zwei zusammengelegten Fingern an die Schläfe und geht davon zu seinem grauen VW-Bus, der in der Nähe auf dem Fußweg parkt.

„Wenn du was hörst ...“, ruft Mammen hinter ihm her.

„... halte ich dich auf dem Laufenden!“

Mammen nickt. Er weiß, dass Thomas Moschkes VW-Bus bis unter das Dach mit feinster Elektronik vollgestopft ist, ein Media-Markt auf Rädern, auf den sogar der BND stolz wäre.

Der Blick des Chefreporters wandert über die Fassaden der Häuser rings um das Kaufhaus. Auf dem Dach des Alsterpavillons sieht er einen ARENA-Fotografen. Er hat seiner Kamera ein Teleobjektiv von der Größe eines Oberschenkels aufgepflanzt. Mammen winkt ihm zu.

Wo steckt Pfaller? Hat er einen Job übernommen, von dem Mammen nichts weiß?

In die gespannte Stille, die unmittelbar vor großen Ereignissen entsteht, kracht ein Schuss. Die gläserne Eingangstür an der Frontseite des Alsterhauses zersplittert und hagelt zu Boden. Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrt die Menge, dann bricht Panik aus. In heilloser Angst rennen die Menschen auseinander, werfen sich zu Boden, springen hinter Ecken, stürzen sich in Hauseingänge. Weg! Bloß weg!

Mammen lässt sich hinter einen parkenden Passat fallen. Der Knall dröhnt ihm in den Ohren. Nach einer Weile hebt er den Kopf und sieht durch die Fensterscheiben des Autos, wie in der zerschossenen Tür eine junge Frau in einem weißen Kittel erscheint. Langsam, mit tastenden Füßen, steigt sie über den Scherbenhaufen ins Freie. Ängstlich dreht sie sich um. Niemand zu sehen.

Die Frau beginnt zu laufen.

4.

Moya Iceton hört das dumpfe Dröhnen des Schusses und das Geräusch berstenden Glases aus der Ferne. Seit zwanzig Minuten steht sie am offenen Fenster ihres Büros im prächtigen Hapag-Lloyd-Gebäude, dessen herrschaftliche Fassade nahezu die gesamte Südseite der Binnenalster einnimmt. Sie hat ein klares Gesicht mit einer kleinen, an der Spitze leicht nach oben gebogenen Nase und hellblondes Haar, hübsche Jesuslocken, die über ihre Stirn fallen und den Ausdruck gespannter Aufregung noch erhöhen.

Jetzt sieht sie eine Frau über den Bürgersteig rennen, sieht, wie die Frau stehen bleibt, sich umdreht und nicht weiß wohin. Die Frau rennt weiter. Zwei vermummte Polizisten stürmen auf sie zu, packen sie an den Armen und bringen sie in Sicherheit.

Moyas Hand umklammert einen Becher Kaffee. Ihre Finger sind lang, die Nägel kurz und matt lackiert. Ein enger dunkelblauer Rock und eine schlichte gelbe Bluse betonen reizvoll ihre feste, nicht zu dünne Figur. Niemand käme auf die Idee, dass Moya Iceton auf einer Ranch in Montana aufgewachsen ist.

Sie schaut auf ihre Armbanduhr, dann auf den PC, in den sie gerade die Passagierlisten für eine Kreuzfahrt in die Karibik eingibt, stellt den Becher auf den Schreibtisch und verlässt das Büro. Draußen auf den Fluren stehen ihre Kollegen und reden über die Geschehnisse im Alsterhaus. Einige von ihnen wollen sich die Sache aus der Nähe ansehen und Moya schließt sich ihnen an. Wachsende Neugier treibt sie vorwärts, Richtung Jungfernstieg.

5.

Der hohe Blutverlust hat die Frau im weißen Kittel geschwächt, sie kann sich kaum auf den Beinen halten. Unaufhörlich rinnen Tränen über ihre Wangen. Sie keucht. Sie will sich losreißen von den Polizisten, die sich um sie kümmern, beruhigend auf sie einsprechen. Sie gibt ihnen den Briefumschlag mit den Instruktionen und einen schwarzen Metallbehälter, den Roloff ihr, kurz bevor sie das Kaufhaus verließ, in die Hand gedrückt hat. Der Behälter ähnelt einer Konservendose.

Polizeirat Hinnerk Rassmussen überfliegt den mit Maschine geschriebenen Brief und stöhnt auf. „Diese Mistkerle! Was haben die vor? KZ spielen?“

Noch einmal liest er Zeile für Zeile:

DIE DOSE ENTHÄLT 50 GRAMM ZYKLON B. IHRE CHEMIKER WERDEN IHNEN BESTÄTIGEN, DASS ZYKLON B VIERUNDDREISSIG MAL GIFTIGER IST ALS KOHLENMONOXYD. WIR HABEN DUTZENDE DIESER BEHÄLTER IM ALSTERHAUS, IN SCHULEN, HOTELS, BIBLIOTHEKEN, BAHNHÖFEN UND ANDEREN ÖFFENTLICHEN GEBÄUDEN IN HAMBURG VERSTECKT. PER FUNKSIGNAL KÖNNEN WIR SIE JEDERZEIT ZÜNDEN. BESTIMMT ERINNERN SIE SICH, WAS DIE NAZIS MIT DIESEM TEUFELSZEUG ANGERICHTET HABEN. – UND NUN ZU UNSEREM GESCHÄFT: UM 14 UHR STEHEN DREI MERCEDES 300 MIT LAUFENDEN MOTOREN VOR DEM HAUPTEINGANG AM JUNGFERNSTIEG. SCHWARZ. VOLLGETANKT. GETÖNTE SCHEIBEN. IDENTISCHE KENNZEICHEN. OFFENE TÜREN. DEPONIEREN SIE AUF JEDER RÜCKBANK EINE MILLION MARK IN EINER ALSTERHAUS-EINKAUFSTÜTE. VERSUCHEN SIE GAR NICHT ERST, PEILSENDER EINZUBAUEN. WIR VERFÜGEN ÜBER DIE TECHNISCHEN MITTEL, UM SIE AUFZUSPÜREN, EGAL, WO SIE SIND. FÜR JEDE WANZE, DIE WIR FINDEN, STIRBT EINE GEISEL. ALLES, WAS SIE VON JETZT AN TUN, WIRD VON UNSEREN FREUNDEN DRAUSSEN BEOBACHTET. HALTEN SIE SICH ALSO AN DIE ANWEISUNGEN!

Rassmussen zieht die buschigen Brauen hoch, seine Stimme donnert. „Tun wir, was sie verlangen, uns bleibt keine Wahl. Aber dann kaufen wir sie uns!“ Sein Assistent nimmt den Zettel entgegen, nickt zweimal knapp und sprintet los.

Rassmussen, klein und schwer, kletterte die Karriereleiter steil und rücksichtslos nach oben. Ein Mann von vibrierender Dynamik. Seine Augen liegen tief unter einer energischen Stirn, ein paar drahtige, blonde Haare stehen von seinem knochigen Schädel ab, als habe ein Gespenst ihn erschreckt.

Unbeirrt von den Anwürfen seiner Kritiker hat er den kriminellen Sumpf in der Stadt trocken gelegt. Die Dealer und Zuhälter fürchten ihn, die Bürger lieben ihn, die Politiker dulden ihn. ‚Unkonventionell‘ beschreibt nur unzulänglich seine Methoden am Rande der Legalität. Er verfügt über ein spektakuläres Arsenal zur Verbrechensbekämpfung und ist bereit, es jederzeit einsetzen.

Rassmussen will mit der frei gelassenen Geisel sprechen, sofort. Sanitäter haben die Frau auf eine Trage gelegt und ihren rechten Unterarm verbunden. Rassmussen beugt sich zu ihr hinunter und stellt leise und unaufdringlich seine Fragen.

Mit schleppender Stimme beginnt die Frau zu reden: „Ich bin Verkäuferin in der Fischabteilung, wissen Sie. Da hat alles angefangen. Irgendwann kamen diese Männer. Sie hatten kurze Hosen an und Kapuzenjacken, sie sahen aus wie amerikanische Touristen, Sie wissen schon, mit Joggingschuhen, Baseballkappen, großen Reisetaschen und so.“

„Was genau ist dann passiert? Können Sie sich erinnern?“ Rassmussen bemüht sich, äußerlich gelassen zu bleiben.

Die Frau nickt. „Heute war viel los bei uns. Wir hatten Hummer im Sonderangebot. Manche Kunden haben fünf Stück auf einmal gekauft, stellen Sie sich das mal vor! Ich hab nicht weiter auf die Männer geachtet. Erst als sie anfingen, hinter einem Regal ihre Taschen auszupacken, da hab ich genauer hingesehen. Auf einmal hatten sie Maschinenpistolen in der Hand, alle vier. Und Gasmasken auf. Einer schrie: Das ist ein Überfall! Wir sollen Ruhe bewahren, dann passiert uns nichts.“

Rassmussen reibt sich das Kinn: „Ich hab auch schon Fisch bei Ihnen gekauft, ich kenn mich aus da oben. Hat denn niemand zu fliehen versucht?“

Die Frau schüttelt den Kopf. „Der Anführer hat gesagt, seine Leute sind auf allen Stockwerken. Dann hielt er diese Dose hoch, genau so eine, wie ich sie mit rausgebracht habe. Er sagte, da ist Zyklon B drin, ein Gas, das wirkt ganz schnell und damit wird er uns alle umbringen, wenn wir nicht tun, was er sagt.“

Während sie redet, schüttelt Rassmussen ungläubig den Kopf. Das bedeutet Krieg, was er da hört, Krieg in seiner Stadt. „Wissen Sie, ob Frauen und Kinder unter den Geiseln sind?“

„Ja, wir waren ein paar Frauen und ein Kind, ein Mädchen, und ein paar mehr Männer. Das Mädchen und eine Frau, wahrscheinlich die Mutter, wollten sie auf keinen Fall weglassen.“

Mit einem feuchten Taschentuch wischt Rassmussen sich den Schweiß von der Nase. „Sie haben uns sehr geholfen, vielen Dank. Man wird Sie jetzt ins Krankenhaus bringen und sich um Sie kümmern. Das mit Ihrem Arm kommt bald wieder in Ordnung. Später muss ich noch einmal mit Ihnen reden, aber jetzt ruhen Sie sich erst mal aus.“

„Bitte, einen Augenblick noch. Die Männer trugen durchsichtige Handschuhe, wie Ärzte. Bei einem stimmte was nicht mit der Hand. Wissen Sie, ich hab früher als Kosmetikerin gearbeitet, da achtet man auf so was.“

„Was war denn mit seiner Hand?“

„Die Hand hatte nur drei Finger, von den anderen beiden Fingern waren nur Stummel übrig. Könnte ein Japaner sein.“

„Was?“

„Ich hab mal einen Film gesehen, Black Rain, mit Michael Douglas, den mag ich. Der Film spielte in Tokio und handelte von der japanischen Mafia, den Namen habe ich vergessen. Ein Gangster musste sich ein Fingerglied abschneiden, weil er einen Fehler gemacht hatte, zum Zeichen seiner Reue. An seiner anderen Hand fehlten auch schon welche. Und genau so hat die Hand von dem Mann im Kaufhaus ausgesehen.“

„Das haben Sie aber gut beobachtet. Wir werden uns darum kümmern.“

Rassmussen hält das Megaphon in der Hand, mit dem er seit beinahe zwei Stunden versucht, Kontakt zu den Geiselgangstern aufzunehmen. Seine Mitarbeiter haben sämtliche Telefonanschlüsse und Durchwahlnummern im Alsterhaus angerufen, von der Fischabteilung bis zu den Dessous, von den Spielwaren bis zum Jeansshop. Nirgends wurde abgehoben.

Quälend langsam verstreichen die Minuten. Seine Hilflosigkeit treibt Rassmussen zur Verzweifelung. Er will etwas tun. Nicht für eine Sekunde lässt er die Eingangstür aus den Augen.

Mammen drängelt sich durch die Menschenmenge bis zur Absperrung. Unter den Reportern, die sich hier versammelt haben, herrscht purer Zynismus. Alle gehen davon aus, dass das Mobile Einsatzkommando das Alsterhaus stürmen wird. Wetten werden abgeschlossen, wie viele Geiseln bei dem Einsatz draufgehen. Drei? Vier? Alle?

Auf den Dächern und in den Fenstern rings um das Alsterhaus gehen Scharfschützen in Stellung. Mammen versucht, sie zu zählen. Bei sechzehn hört er auf. Von einem öffentlichen Telefon im Alsterpavillon ruft er die Redaktionssekretärin an und fragt, ob Stefan Pfaller sich gemeldet habe.

„Nicht bei mir“, sagt sie. „Sekunde, Mike, ich probier’s in der Bildredaktion.“ Es knackt in der Leitung, kurz darauf ist sie wieder da. „Fehlanzeige. Niemand weiß, wo er steckt.“

„Sag König, die Sache zieht sich. Im Moment sieht es so aus, als würde es die Polizei auf ein schnelles Ende anlegen. Blutbad inklusive.“

„Moment noch, Mike! Vorhin hat eine Frau für dich angerufen.“

„Hat sie ihren Namen gesagt?“

„Nein, sie meldet sich wieder. Eine neue Flamme von dir? Was machst du bloß für Sachen!“

„Kein Grund zur Eifersucht, Schnuckelchen. Bis später!“

Nichts rührt sich in der Mittagsglut. Die ersten Schaulustigen haben sich satt gesehen und gehen weg.

Rassmussen zieht sich in den Einsatzwagen zurück. Mit seinen Leuten brütet er über dem Bauplan des Alsterhauses. Es muss doch möglich sein, unbemerkt da hinein zu kommen, bis in die oberste Etage vorzudringen und die Geiseln mit Gewalt zu befreien. Sie prüfen die Fahrstuhlschächte, die Treppenhäuser, die Anlieferungsrampen, die Rolltreppen und spielen die Möglichkeit durch, sich über das Dach an die Gangster heran zu schleichen. Alle Pläne werden im Ansatz verworfen. Das Risiko, mit einem Präventivschlag das Leben der Geiseln zu gefährden, ist allen zu groß.

Rassmussen entschließt sich für die weiche Lösung: Übergabe des Lösegeldes und freier Abzug. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Alle warten, dass es zwei Uhr wird.

Vom Landeskriminalamt (LKA) kommt ein FAX. Die Spezialisten bestätigen, dass es sich bei den erbsengroßen blauen Kügelchen, die sich in dem Behälter befanden, tatsächlich um das berüchtigte Giftgas Zyklon B handelt. Ein Blausäuregas, mit dem die Nazis Millionen Juden ermordeten, vor allem in den Vernichtungslagern Auschwitz, Birkenau und Majdanek. Rassmussen versucht, den Gedanken an damals und die reale tödliche Bedrohung heute zu verdrängen.

„Wie können menschliche Wesen zu so etwas fähig sein, fast 50 Jahre nach Kriegsende und mit dem Wissen, was dieses Zeug damals angerichtet hat?“ Der Zorn auf die Gangster hinterlässt auf seiner Zunge einen bitteren, galligen Geschmack.

Im FAX des LKA stehen die wichtigsten Daten zu Zyklon B.: Zyklon B ist mit zwanzig Prozent Blausäure getränkter Kieselgur. Diese kristalline Form des Cyanwasserstoffs verwandelt sich in Gas, sobald man sie der Luft aussetzt. Der Siedepunkt der Blausäure liegt mit 25,7 Grad ziemlich tief; je wärmer es ist, desto grausamer kann Blausäure seine Wirkung entfalten. Die menschliche Hautoberfläche, deren mittlere Temperatur in der Regel bei 34 Grad Celsius liegt, ist für Blausäure ebenso warm wie eine auf 132 Grad erhitzte Oberfläche für Wasser. Man geht davon aus, dass bereits ein Milligramm pro Kilo Körpergewichts den sicheren Tod herbeiführt. Das Gas dringt ins Blut, die Schleimhäute von Mund, Nase, Magen und Lunge werden in kürzester Zeit zersetzt. Nach spätestens zwanzig Minuten tritt der Tod ein. Hergestellt wurde Zyklon B von der „Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“ (Degesch) in Frankfurt am Main, früher waren daran die IG Farben beteiligt. Zyklon B wurde jahrelang erfolgreich zur Desinfektion in der Armee und bei der Marine eingesetzt. Die Firma Degesch existiert heute noch.

Rassmussen verdrängt die auf ihn einstürmenden Gedanken, doch die Schlagwörter des Berichts, Giftgas – Auschwitz – Tod! wird er nicht mehr los.

Seine Augen verraten, wie es in ihm aussieht. Den Mund grimmig ernst zusammengepresst, erfasst sein Blick die Kollegen. „Himmeldonnerwetter“, fährt er sie an und erstarrt im nächsten Moment vor Hilflosigkeit. Er schaut auf die Uhr. Fünf Minuten vor eins.

6.

Sein Flug nach München hat eine Stunde Verspätung. Hans-Henning Sakowski steht vor der Abflugtafel in der Halle des Hamburger Flughafens und will nicht glauben, dass die Lufthansa ihn schon wieder im Stich lässt. Verärgert über die Verzögerung umklammert der EDV-Spezialist den Griff seines Aktenkoffers fester als gewöhnlich. In dem Koffer sind Akten, Disketten, CD-ROMS – und das Geburtstagsgeschenk für seinen Sohn, ein 3-D-Puzzle des Empire State Building in New York.

Da er die Vielfliegerkarte der Lufthansa besitzt, macht er sich auf den Weg zur Business-Lounge. Die Empfangsdame lächelt um Entschuldigung und druckt ihm seine Bordkarte aus.

Sakowski sucht sich einen Platz am Fenster, legt sein Jackett ordentlich über die Lehne eines Sessels, schenkt sich an der Getränketheke ein Schweppes Tonic ein und nimmt die FAZ aus dem Zeitungsregal.

Ein verspäteter Flug nach Düsseldorf wird aufgerufen. Zwei Männer in dunkelgrauen Anzügen, die vor dem Fernseher saßen, erheben sich und gehen zum Ausgang. Sakowski befindet sich allein in der Lounge.

Er hat Hunger und beschließt, sich eines der in Zellophan verpackten Salami-Sandwiches zu holen, die auf einem Teller neben den Kühlwannen mit Cola, Fanta und Bier stehen. Als er die zweite Dose Tonic aufknipst, hört er ein seltsames Zischen unter sich. Es kommt aus einer dunkelgrünen Reisetasche, die neben seinen Füßen steht. Er beugt sich hinunter, um hinter die Ursache des Geräuschs zu kommen. Der Reißverschluss steht offen. Sakowski zieht die Griffe auseinander.

Bittermandelgeruch schießt ihm in die Nase, seine Lunge wird plötzlich und unerträglich von einer ätzenden, bitteren Welle durchflutet. Er kann nicht mehr atmen. Er greift sich an die Kehle, Augen und Mund brennen. Er sinkt auf die Knie, sackt vornüber, sein Kopf bleibt neben der Tasche liegen. Das zischende Geräusch hält an.

7.

Im Einsatzwagen der Polizei klingelt das Telefon. Ein Assistent nimmt den Hörer ab, murmelt: „Ja, er ist hier!“, und reicht den Hörer an Rassmussen weiter.

Reglos wie ein Krokodil sitzt Rassmussen da. Seine dunkelsten Vorahnungen werden durch das, was er jetzt hört, noch übertroffen. Sein massiges Gesicht ist wütend verzogen. „Danke!“, murmelt er kaum hörbar in die Muschel und reicht den Hörer wortlos zurück. Niemand im Einsatzwagen wagt, ihn zu fragen, alle sehen ihm die Erschütterung an.

Rassmussen sammelt sich einen Augenblick, die Wut weicht der Trauer. „Soeben hat man mir mitgeteilt, dass bei einem Giftgas-Attentat in der Frequent-Traveller-Lounge auf dem Flughafen Fuhlsbüttel ein Mann Opfer des Anschlags geworden ist. Nach den ersten Erkenntnissen gehen unsere Experten davon aus, dass es sich bei dem Gas mit großer Wahrscheinlichkeit um Zyklon B handelt. Der Behälter, der in der Lounge gefunden wurde, ist identisch mit dem Objekt, das uns die Kerle aus dem Alsterhaus rausgeschickt haben. Wir können von Glück sagen, dass sich zum Zeitpunkt des Anschlags nicht noch mehr Menschen in der Lounge aufhielten.“

Rassmussen atmet ein paar Mal tief durch, hebt die Hände wie zum Gebet und sagt: „Aus der Tiefe, Herr, rufe ich zu Dir!“ Etwas anrührend Verzweifeltes liegt in seinen Worten und in seiner Geste. Mit einem Blick auf seine nervösen Mitarbeiter fügt er schnell hinzu. „Keine Sorge, meine Herren, die andere Wange werden wir ihnen nicht hinhalten!“

8.

Die gespannte Erwartung zieht Moya in ihren Bann. Sie hat ihre Mittagspause überzogen und denkt nicht daran, ins Büro zurückzukehren. In wenigen Minuten läuft das Ultimatum der Terroristen ab. Ganz vorn steht sie, direkt an der Absperrung. Plötzlich kommt Unruhe auf. Köpfe drehen sich. Automatisch folgt sie der Bewegung.

Mammen und Moschke sitzen auf dem Dach des VW-Busses, von dort oben haben sie den besten Blick. Sie trinken warme Cola aus der Dose und rauchen.

„Die haben ganz schön Mumm“, sagt Moschke.

„Idioten sind das!“, sagt Mammen.

„Dein Tipp?“

„Rassmussen wird sie am Arsch kriegen.“

„Sieht nicht danach aus“, sagt Moschke und deutet auf den Konvoi, der gerade auf den Jungfernstieg einbiegt.

Drei schwarze Mercedes-Limousinen rollen heran. Die Fahrer, Kriminalbeamte in Zivil, parken die Wagen dicht hintereinander vor dem Haupteingang, steigen aus, öffnen die Türen, alle, und entfernen sich von den Fahrzeugen. Auf jeder Rückbank liegt eine Alsterhaus-Tüte mit je einer Million Mark. Die Motoren laufen.

Rassmussen beobachtet die Aktion durch sein Fernglas. „Also gut“, sagt er leise, „bringen wir es hinter uns!“ Er setzt das Megaphon an die Lippen, räuspert sich, hebt die Stimme und stellt das Megaphon auf Sprechbereitschaft: „Die Wagen sind da, das Geld auch, so, wie Sie es wollten. Sie können rauskommen und fahren, wohin Sie wollen. Ich garantiere Ihnen freien Abzug.“

Rassmussen fühlt sich hundeelend. Er hat keinen Plan, niemand hat einen Plan. Alle warten ab. Die Männer des Mobilen Einsatzkommandos sind auf ihren Posten. Nur mit Mühe kann Rassmussen Zorn und Machtlosigkeit niederkämpfen.

„Der sitzt mächtig in der Klemme“, sagt Moschke.

„Wie viele Geiseln werden sie mitnehmen?“, fragt Mammen.

„So viele, wie sie in die drei Wagen kriegen, schätze ich. Für unterwegs brauchen sie eine Lebensversicherung.“

„Wenn es vorbei ist, haben die Geiseln eine Menge zu erzählen.“

„Klar, die werden sich wichtig machen.“

„Sie kommen!“, ruft Mammen. Er springt auf. Moschke auch.

Wie auf ein geheimes Kommando eilen Menschen durch die zerschossene Glastür auf den Jungfernstieg. Alle, bis auf ein blondes Mädchen, tragen Motorradkluft: schwarze Lederoveralls, schwarze Sturzhelme mit getöntem Visier, hohe Stiefel, Handschuhe. Sie gehen dicht nebeneinander, behindern sich gegenseitig, einige stolpern.

Alle haben sie eine Alsterhaus-Einkaufstüte in der Hand. Tüten, wie sie hinten in den Autos liegen.

Eine Gestalt löst sich aus der Gruppe, wendet sich nach rechts, beginnt zu laufen, rennt die Front des Kaufhauses entlang bis zur Großen Bleichen und verschwindet um die Ecke. Für ein paar Sekunden sind alle abgelenkt, Polizisten, Gaffer, Journalisten. Nur Mammen nicht.

Er sieht etwas anderes, etwas das ihn lähmt und entsetzt. Augenblicklich krampft sich sein Magen zusammen, ein wilder Schmerz pocht in seinen Schläfen. Er holt tief Luft, nur mühsam findet sie den Weg durch seine zugeschnürte Kehle.

Von allem, was da geschieht, hat Moya kaum etwas wahrgenommen: Drei kräftige Männer mit breitem Kreuz versperren ihr die Sicht. Sie reckt den Hals und entdeckt Mammen auf dem VW-Bus, sie winkt ihm zu. „Mike ..., hallo ..., ich bin hier, ... hier unten!“

Er sieht sie nicht, er hört sie nicht.

„Stimmt was nicht mit dir?“, fragt Moschke, dem die plötzliche Veränderung Mammens nicht entgangen ist.

Der Mund des Chefreporters ist so trocken, dass er nicht sofort antworten kann. Wortlos deutet er auf die gespenstische Szene vor dem Kaufhaus: „Meine Tochter ... das Mädchen da ... Tammy! Sie haben meine Tochter!“ Jetzt schreit er.

Tammy trägt ihre verwaschenen Lieblingsjeans, ein hellblaues T-Shirt, rote Allstars-Turnschuhe und um den Hals ihren Talisman, einen verzierten Affenknochen, der an drei starken Lederbändern befestigt ist. Den Knochen, einen Glücksbringer der Amazonas-Indianer, hat Stefan Pfaller ihr aus Brasilien mitgebracht.

Schnell und lautlos verteilen sich Gangster und Geiseln auf die Autos. Die Plastiktüten wandern von Hand zu Hand. Die Tüten mit dem Lösegeld sind auch dabei. Niemand weiß, wer zu den Gangstern gehört, wer Geisel ist. Und niemand weiß, in welchen Tüten sich das Lösegeld befindet.

Tammy folgt einer korpulenten Gestalt, die zielstrebig auf den letzten Wagen zusteuert und sie an der Hand mit sich zieht. Vier Leute gehen mit ihnen. Mammen fällt auf, dass eine der Personen ein Bein nachzieht.

Tammy rutscht auf die Rückbank und wird gleich darauf zwischen drei Motorradgestalten eingeklemmt; die zwei anderen setzen sich nach vorn.

Türen schlagen zu. Motoren heulen auf. Die Fahrzeuge fahren davon, eins nach dem anderen, in unterschiedliche Richtungen. Der Mercedes, in dem Tammy sitzt, rollt als letzter Wagen langsam zwischen den beiseite geschobenen Absperrgittern Richtung Gänsemarkt, dann biegt er in den Neuen Jungfernstieg, der die Binnenalster entlangführt.

Mit hoher Geschwindigkeit sieht Mammen den Wagen am Hotel „Vier Jahreszeiten“ vorbeifahren. Er glaubt zu spüren, wie eine große Faust sein Herz langsam, ganz langsam zusammendrückt.

Mit einem gewaltigen Satz springt er vom Dach des VW-Busses, landet unsanft auf den Fersen, stürzt vornüber, reibt sich die gestauchten Knöchel und bahnt sich einen Weg durch die aufgeschreckte Menge zu der Stelle, wo Rassmussen den Mann verhört, der im Aufruhr zu fliehen versucht hat. Ein Polizeikordon schirmt die beiden ab. Mammen bleibt abrupt stehen, als klebten seine Füße plötzlich auf dem heißen Bürgersteig.

Rassmussens Fragen kommen schnell und präzise. Ein Stakkato, das den Mann veranlasst, den Kopf einzuziehen.

„Das macht mich ganz rappelig, wenn Sie so mit mir reden“, schnauft der Mann. Er dampft in seiner schwarzen Motorradkluft. Den Helm hat er abgenommen. Seine Ohren leuchten rot. Der Mann hat sich den Beamten als Edgar Mevissen vorgestellt, Landschaftsgärtner, wohnhaft in Pinneberg. „Wann begreifen Sie das endlich? Ich bin keiner von denen! Die haben mich losgeschickt, um Sie abzulenken, kapieren Sie das denn nicht?“

„Nun mal langsam!“, beruhigt Rassmussen ihn. „Ich glaub Ihnen ja. Haben Sie eine Ahnung, ob alle Täter in einem Wagen sitzen? Oder haben die sich auf alle Fahrzeuge verteilt? Wenn wir das wüssten, wäre uns sehr geholfen.“

„Tut mir Leid, das hab ich nicht mitgekriegt, ich musste ja gleich loslaufen.“

Mevissen, mollig und buttermilchweiß, schält sich schwer atmend aus der Motorradmontur. Die grellbunt gemusterte Krawatte, die dabei zum Vorschein kommt, verhakt sich hoffnungslos im Reißverschluss. Bei dem Versuch, sich zu befreien, läuft sein Gesicht krebsrot an.

Diesen Moment nutzt Mammen und stößt zwei Polizisten beiseite, die ihm den Weg zu Rassmussen verstellen, packt den Polizeirat am Ärmel und wirbelt ihn zu sich herum.

„Was erlauben Sie sich ... wer ...? Mammen ...? Sind Sie verrückt geworden? Lassen Sie sofort meinen Arm los!“

Mammen atmet tief durch. Sein Herz schlägt ihm dröhnend gegen die Rippen, sein Kopf glüht, als sei die Temperatur schlagartig um zehn Grad nach oben gesprungen. Dann platzt es aus ihm heraus: „Die haben mein Kind! Das kleine Mädchen ist meine Tochter!“

Vor Erregung überschlägt sich seine Stimme, er gerät ins Stottern.

Rassmussen schaut ihn scharf an, sucht in Mammens Augen den Beweis, dass er sich nur wichtig machen will. Doch er sieht nur Panik, Verzweiflung, Trauer.

„Herr Kommissar ...“, sagt Mevissen, „wegen des Mädchens ... Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Männer das Mädchen kennen. Die Mutter des Mädchens auch. Ich hab gehört, wie einer der Gangster mit der Frau sprach, ich glaube, die redeten über ihren Mann. Ich stand ziemlich dicht dran und hab einiges mitgekriegt.“

„Was hat er gesagt?“, bohrt Rassmussen. „Nun machen Sie schon!“

Mevissen zögert. Es dauert eine Weile, bis er die Worte in seinem Gedächtnis sortiert hat.

„Es klang für mich wie ‚... das hätte er nicht tun dürfen ... Jetzt ist es an der Zeit, ein paar Rechnungen zu begleichen‘ ... Was damit gemeint ist, weiß ich nicht.“

„Hat er die Frau bedroht?“, will Rassmussen wissen.

„Glaube ich nicht.“

„War es der Anführer?“

„Einer der anderen.“

„Könnte die Frau eine Komplizin sein, was meinen Sie?“

Mevissen schüttelt energisch den Kopf. „Ausgeschlossen, dafür hatte sie zu viel Angst.“

„Sonst noch etwas, das Sie uns sagen können?“

„Wenn Sie mich fragen, kommt einer der Kerle aus Osteuropa, ziemlich sicher sogar.“

„Wie kommen Sie darauf?“