RLF - Friedrich von Borries - E-Book
15,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nachdem die Straßenunruhen in London die Welt des Werbers Jan dramatisch auf den Kopf gestellt haben, findet er in der Aktivistin Slavia und dem Künstler Mikael Mikael die richtigen Mitstreiter im Kampf für ein richtiges Leben im falschen. Gemeinsam gründen sie RLF, ein Lifestyle-Unternehmen, das den Wunsch nach Protest und Widerstand in Konsumprodukte verwandelt; mit dem Ziel, das System selbst in einem revolutionären Akt zum Einsturz zu bringen. Doch die Revolution hat ihren Preis, den am Ende jemand wird bezahlen müssen – und sei es mit dem Leben.
Mit Gastauftritten von Stéphane Hessel, Oliviero Toscani, Judith Butler, Harald Welzer und anderen.

»Borries’ phantastischem Architekturroman gebührt der Preis für den besten Plot der Saison.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

»Schnell und schlau.« Deutschlandradio Kultur

»Kalt wie die moderne Fassade eines Wolkenkratzers. Aktuell und beunruhigend.« Radio Fritz

»Eine neue Form des Romans. Frappierend zeitgenössische Literatur, inhaltlich und formal.« Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Eines der klügsten Bücher zum 9/11-Jahrestag. Und eines der unterhaltsamsten.« Spiegel Online

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 285

Bewertungen
4,4 (16 Bewertungen)
10
2
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Friedrich von Borries

RLF

Das richtige Leben im falschen

Roman

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4443

Originalausgabe

© Suhrkamp Verlag Berlin 2013

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr.

Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.

Umschlag: Moritz Ahlert/Projektbüro Friedrich von Borries

eISBN 978-3-518-73041-6

www.suhrkamp.de

Dieser Bericht beruht auf Angaben und Unterlagen, die Mikael Mikael mir zur Verfügung gestellt hat. Ich habe sie meinen Möglichkeiten entsprechend überprüft. Einige Orte und Namen habe ich geändert, um die für das Gesamtprojekt »RLF« notwendige Anonymität der Beteiligten zu wahren.

Berlin, Mai 2013

Friedrich von Borries

»Es gibt kein richtiges Leben im falschen.«

Theodor W. Adorno, Minima Moralia

»Revolution geht nur, wenn du Teil eines Systems bist. Du musst es von innen aushöhlen.«

Oliviero Toscani, Süddeutsche Zeitung, 21. Juli 2011

»Das einzige, was man vielleicht sagen kann, ist, daß das richtige Leben heute in der Gestalt des Widerstandes gegen die von dem fortgeschrittensten Bewußtsein durchschauten, kritisch aufgelösten Formen eines falschen Lebens bestünde.«

Theodor W. Adorno, Probleme der Moralphilosophie

»In der wirklich verkehrten Welt ist das Wahre ein Moment des Falschen.«

Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels

Prolog

»Pronto?«, grummelt Kommissar Volcare ins Telefon. »Im Hotel Bauer? Ja, ich mach mich auf den Weg. Ja, ich ruf da gleich an.«

Wenn die Dienststelle ihn vor Sonnenaufgang aus dem Bett klingelt, kann es sich eigentlich nur um eine Leiche mit ungeklärter Todesursache handeln. Er holt ein frisches Hemd aus dem Schrank und sucht seine Hose. Seit er wieder alleine lebt, räumt er abends seine Kleider nicht mehr ordentlich zusammen. Volcare fasst sich an die Stirn, setzt sich wieder auf die Bettkante und zündet sich eine Zigarette an. Langsam knöpft er das Hemd zu. Er hat Kopfschmerzen, vor ein paar Stunden war er noch in einer Kneipe. Einer der Vorzüge, wenn man geschieden ist, denkt Volcare.

Er nimmt das Handy vom Nachttisch und ruft den Concierge im Hotel an.

»Hallo. Hier Kommissar Volcare. Sie haben die Polizei gerufen?«

»Oh ja. Ein Mann ist heute Nacht aus dem Fenster gesprungen.«

»Okay. Ich bin gleich da.« Volcare legt auf.

Die Aussicht auf eine Leiche macht ihm schlechte Laune. Erst die entsetzten Gesichter. Dann die langatmigen Verhöre. Und am Ende kommt nichts dabei raus. Zum Glück ist Mord in Venedig ein eher seltenes Verbrechen. Venedig ist eine ruhige Stadt, nur hin und wieder kommt es zu unnatürlichen Todesfällen – ein Selbstmord, ein Totschlag nach einem Streit unglücklicher Liebespaare, die extra nach Venedig gereist sind, um sich an einem romantischen Ort zu versöhnen. Volcare hat schon in einigen dieser tragischen Fälle ermittelt.

Drei Jahre noch, seufzt Volcare, dann hab ich meine Ruhe.

RLF handelt nicht von Volcare. Er ist nur eine Nebenfigur. RLF handelt von Angélique, Jan, Slavia und Mikael, die sich, jeder auf eine eigene Art und Weise, mal mit-, mal gegeneinander, auf die Suche nach dem richtigen Leben im falschen gemacht haben. Was auch immer das ist.

Als Volcare in sein Boot steigt, dämmert es schon. Wahrscheinlich ein Deutscher, denkt Volcare, das passiert immer wieder - Tod in Venedig. Er fährt den Canal Grande entlang, passiert die Rialto-Brücke. Hinter den Giardini geht die Sonne auf, die Strahlen blitzen auf dem Wasser. Keine Wolke steht am Himmel. »Wenigstens schönes Wetter«, sagt Volcare leise vor sich hin.

Das Handy klingelt. Der Hotelmanager fragt, ob alles geklärt werden könne, bevor die ersten Gäste aufwachen, schließlich sei man das erste Haus am Platze, man wolle Unruhe vermeiden. »So oder so eine unangenehme Geschichte, das werden Sie ja vor Ort sehen.«

»Leichen sind immer unangenehm«, entgegnet Volcare.

»Ja, aber die Leiche liegt mitten auf der Terrasse. Er hat sich umgebracht!«

Volcare kennt das schon, immer war es Selbstmord, wenn schon eine Leiche, dann soll es wenigstens zum melancholischen Image von Venedig passen. Und ansonsten gilt bei Hotels: Diskretion, Diskretion, Diskretion. Immerhin keine Wasserleiche. Er hasst die aufgedunsenen Gesichter von Ertrunkenen.

Auf dem Canal Grande sind nur wenige Boote unterwegs. Noch zu früh für Touristen, denkt Volcare. Zum Glück. Die glauben sonst wieder, dass ein Film gedreht wird. Leiche vor Palazzo. Wie aufregend. Dann werden die Kameras gezückt und Fotos geschossen.

Volcare legt mit seinem Boot an. Der Hotelmanager eilt ihm entgegen. »Bitte so wenig Unruhe wie möglich«, fleht er. »Die Begleitumstände, nun ja, sie passen nicht ganz zum Stil unseres Hauses.«

Auf der Terrasse sind Stühle und Tische weggeräumt. In der Mitte steht ein Paravent, der zusätzlich mit weißen Laken abgedeckt ist.

»Der Mann ist Ende dreißig, vielleicht Anfang vierzig«, rapportiert ein junger Polizist von der Nachtstreife aufgeregt. »Fesselspuren an Hand- und Fußgelenken.«

Wahrscheinlich seine erste Leiche, denkt Volcare.

»Die Leute vom Hotel sagen, er sei aus dem Fenster gesprungen.«

»Gesprungen?«

»Ja, so haben die das gesagt.«

»Hmh«, brummt Volcare.

»Geile Party!«, ruft der Gerichtsmediziner, »mindestens 2,5 Promille, enorm geweitete Pupillen. Sieht nach Drogen aus.«

»Danke«, ruft Volcare zurück. »Und die Todesursache?«

»Der Aufprall.«

»Weitere Auffälligkeiten?«

»Fesselspuren. Und zwei Tattoos, sollten beim Identifizieren helfen. Hab Fotos davon gemacht.«

»Gut.« Volcare wendet sich wieder dem jungen Polizisten zu. »Zeugen?«

»Ja, sie warten oben im Zimmer.«

»Mehrere also?«

»Es sind zwei ...«, er stockt einen Moment, »... es sind zwei ... zwei Damen.«

Der Hotelmanager wippt nervös auf und ab.

»Der Tote war nicht allein«, beginnt wieder der junge Polizist. »Die beiden Frauen sind oben.«

Volcare schaut zum Hotelmanager. »Dann gehen wir mal hoch.«

Der Manager führt Volcare und den jungen Polizisten in den dritten Stock.

»War das sein Zimmer? Oder besser: Seine Suite?«, fragt Volcare.

Auf dem Boden liegen Kleider, Strapse, Slips, BHs herum. Neben dem Bett zwei leere Champagnerflaschen. Volcare tritt zum Fenster. Kleiner Balkon, toller Ausblick. Er sieht nach unten. Zwölf, vielleicht auch vierzehn Meter.

»Wir haben nichts angerührt«, erklärt der Hotelmanager. »Es gibt einen Abschiedsbrief.«

»Dann geben Sie den mal her.«

Er schaut auf den Brief. »Wusst ich’s doch. Ein Deutscher.« Er überfliegt den Brief, versteht aber nicht alles. »Kann jemand das hier lesen?«

Im Wohnzimmer sitzen zwei Frauen in Bademänteln auf dem Sofa. Volcare grinst. Das meinte der Typ vom Hotel also mit »Begleitumständen, die nicht zum Stil des Hauses passen«. Er betrachtet die beiden Frauen, die eine blond, die andere schwarzhaarig. Beide tun gelangweilt. Die Blonde hat sich weit zurückgelehnt, fast lasziv. Sie schaut aus dem Fenster. Die Schwarzhaarige betrachtet ihre Fußnägel.

Volcares Blick bleibt am tiefen Ausschnitt der Blonden hängen. Die Haut an Dekolleté und Hals sieht glatt aus. Nicht schlecht, denkt er. Ich hab einfach den falschen Beruf. Er stellt sich vor die beiden Frauen, die ihn aber nicht sonderlich beachten.

»Ziehen Sie sich was an.«

»Danke«, zischt die Schwarzhaarige. Die Blonde geht wortlos an Volcare vorbei.

»Scheint ja eine nette Orgie gewesen zu sein«, grummelt der Polizist und schaut auf seine Uhr. Schon sechs, um sieben ist er auf einen morgendlichen Kaffee verabredet.

Die Frauen kommen aus dem Badezimmer, die Blonde hat eine kleine Tasche dabei.

»Was ist da drin?«, fragt Volcare.

»Klamotten, Schminkzeug.«

»Aufmachen, bitte.«

Volcare kramt in der Tasche rum. Pillen, Schminkzeug, Notizbücher. Er holt ein weißes und ein schwarzes iPhone heraus. »Zwei Telefone?«

Die Blonde nickt.

Volcare zieht die Augenbrauen hoch.

»Eins privat, eins geschäftlich«, antwortet die Frau.

Volcare grinst. »Manche Dinge soll man nicht vermischen, nicht wahr?«

Er steckt die beiden Telefone zurück in die Tasche und winkt den jungen Polizisten zu sich. »Nehmen Sie ihre Personalien auf. Geben Sie ihnen einen Termin fürs Präsidium. Dann können die beiden erst mal gehen.«

Der junge Polizist nickt.

»Und machen Sie ein paar Fotos. Das Protokoll will ich heute Mittag haben. Verstanden?«

»Das heißt, Sie sind hier fertig?«, fragt der Hotelmanager.

»Ich brauche nur noch die Adresse von dem Deutschen«, sagt Volcare, »wir müssen die Angehörigen benachrichtigen.«

Er blickt sich noch mal im Zimmer um, die Kronleuchter, das breite Bett, die Spiegel an den Wänden. Die Frauen mit den goldenen Ohrringen und den rot geschminkten Lippen. »Scheiß Party«, sagt er, schüttelt den Kopf und verlässt den Raum.

Blende.

Das weiße iPhone. Fast ein Jahr ist es her, dass Mikael mir das Telefon mit den Daten gegeben hat. Voll mit Bildern, Tonaufnahmen, Videos. Paris, London, Berlin. Und natürlich das Hotelzimmer in Venedig. Der Moment, als er mir das Telefon in die Hand drückte, ja der ganze merkwürdige Überraschungsbesuch steht mir noch deutlich vor Augen. In diesem Moment war etwas Neues in mein Leben getreten. Aber der Reihe nach.

Es war ein sonniger Tag. Ich saß im Garten, als es an der Haustür klingelte. Ich öffnete die Tür, und vor mir stand Mikael.

Er begrüßte mich so unbefangen, als ob wir uns erst vor ein paar Tagen getroffen hätten. Dabei hatten wir in den letzten Monaten nur unregelmäßig per Mail Kontakt gehalten. Er habe ein neues Projekt begonnen und deshalb wenig Zeit. Was es mit diesem Projekt, das er immer nur »RLF« nannte, auf sich hatte, wusste ich nicht. Jedenfalls sagte Mikael nach einer Sekunde des Zögerns: »Entschuldige, dass ich mich nicht früher gemeldet habe. Hast du einen Moment?«

»Klar, komm rein«, antwortete ich.

Während ich einen Tee aufsetzte, lief Mikael unruhig im Wohnzimmer auf und ab.

»Und, was macht RLF?«

»Deshalb bin ich ja hier.«

Ich goss uns Tee ein.

»RLF kann losgehen. Eigentlich ist alles schon am Start, aber einige Sachen sind anders gelaufen, als ich es erwartet hatte.«

»Schiefgegangen?«

»Ja, so kann man das auch sehen. Vielleicht passt ›haben sich verselbstständigt‹ besser. Egal.« Hastig schluckte Mikael seinen Tee herunter. Dann zog er ein weißes iPhone aus seiner Tasche.

»Kuck dir mal alle Daten an, die da drauf sind. Mails, Fotos, Filme, und vor allem die Voice-Recordings. Außerdem hast du Zugriff auf die Cloud, da ist noch mehr Zeug.« Er reagierte sofort auf meinen fragenden Blick. »Ja, das ist alles mit dem Telefon aufgenommen. Ja, natürlich, ohne dass es der Benutzer gemerkt hat.«

»Warum? Und wem gehört das Telefon überhaupt?«

»Das kann ich dir jetzt nicht erklären, das ist ja Teil dessen, was aus dem Ruder gelaufen ist. Kuck’s dir einfach an, dann bekommst du auch den Durchblick. Und ein paar andere Sachen über RLF habe ich dir auch noch draufgepackt, dann siehst du, wie weit wir damit sind. Wenn du damit durch bist, setzen wir uns zusammen und besprechen, wie es weitergeht, okay?«

Ich zögerte einen Moment. »Ich nehm mal an, die Daten wurden mit irgendeiner Spyware gesammelt?«

Mikael zuckte mit den Schultern. »Komm, stell dich nicht so an. Du wirst bestimmt nicht enttäuscht sein.«

iPhone. Mobiltelefon der Firma Apple, am 9. Januar 2007 erstmals der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Vermeintliche Revolution der Kommunikation, die permanent erneuert wird. Seitdem verstecken sich hinter den glatten, sachlich-neutralen Oberflächen (Glas und Aluminium, als Farben: Schwarz, Weiß, Silber) die neuesten Tricks des unterhaltungsindustriell-militärischen Komplexes. Die Ortungsfunktion des aktuellen iPhone, als praktische Service-Dienstleistung angepriesen, sammelt Informationen über den Nutzer: Wie bewegt er sich im Tages- und Wochenrhythmus? An welchen Orten hat er welche Webseiten besucht, was hat er bei Google recherchiert, was, wann und wo im Netz gekauft? Die neueste iPhone-Generation verfügt für die vermeintlich »intuitive« Bedürfniserkennung über ein Sprachsystem. Das Telefon wird zum Gesprächspartner, zum persönlichen Freund – der alle Geheimnisse an die unsichtbare Zentrale weitergibt.

Zur Diebstahlsicherung, so ein von Apple angemeldetes Patent, soll das iPhone der Zukunft an der Stimme, dem Herzschlag oder an Verhaltensmustern erkennen, ob der Eigentümer oder jemand anderes das Gerät nutzt. Irgendwann wird das Telefon in der Lage sein, die Stimmung des Nutzers zu analysieren. Auf Basis aller gesammelten Informationen können Apps entwickelt werden, die das situative Nutzerinteresse ermitteln – und dann die perfekt passenden Produkte und Dienstleistungen anbieten.

Ein Telefon als Symbol und Agent für die Lebenslügen der heutigen Konsumgesellschaft. Bis Ende 2012 wurden rund 300 Millionen Exemplare verkauft.

Spyware sind Spionage-Apps für Smartphones, mit denen man unbemerkt Daten über den Benutzer eines Telefons und sein Umfeld abrufen kann. Das unter anderem vom amerikanischen Militär entwickelte Programm PlaceRaider beispielsweise löst alle zwei Sekunden die Handykamera aus. Ist das Telefon in Benutzung oder liegt offen auf dem Tisch, sendet das Programm Fotos der Umgebung an einen Server. Dort werden sie automatisch zu einem dreidimensionalen Panorama zusammengesetzt.

Das Programm mSpy übermittelt ein noch umfassenderes Datenpaket an den Server des Herstellers: den Standort des Smartphone-Nutzers, Aufnahmen von Umgebungsgeräuschen und über das Internet geführten Telefongesprächen, Kontaktliste, Fotos, SMS- und E-Mails. Die gesammelten Daten können nach Eingabe eines Passworts auf der Hersteller-Webseite eingesehen werden. Die Nutzung ist laut Hersteller legal, sofern der Smartphone-Nutzer darüber informiert ist. So zumindest die offizielle Erklärung des Herstellers, denn sonst wäre es datenschutzrechtlich nicht einmal in den USA erlaubt. Allerdings gibt es genügend Tricks, solche Datenschutzbedingungen elegant zu unterlaufen. Spionage-Apps werden häufig in attraktiven Anwendungen wie kostenlosen Spielen »versteckt«. Wenn der Nutzer den Download-Button drückt, wird unbemerkt auch das Spionageprogramm installiert. Nach der Installation läuft mSpy übrigens unsichtbar im Hintergrund, der Nutzer kann es also nicht als geöffnetes Programm erkennen. mSpy kann unter http://www.mspy.com zu Preisen zwischen 39,00 Euro pro Monat und 119,00 Euro pro Jahr erworben werden.

Etwas widerwillig nahm ich das Telefon in die Hand. Als Mikael mir das letzte Mal Daten übergeben hatte, war ich danach ein Jahr mit seiner abenteuerlichen Geschichte beschäftigt gewesen.* Außerdem fand ich es absurd, dass Mikael ausgerechnet auf ein iPhone vertraute – nach allem, was er in Sachen Überwachung hinter sich hatte. Ich fuhr mit meinem Finger über das Display. Das Telefon als mobile Überwachungseinrichtung. Mikael wippte unruhig in seinem Sessel. Schließlich überwog meine Neugierde alle Bedenken.

»Wie lautet die PIN?«

Die 64 GB Speicherplatz des Telefons waren komplett ausgenutzt, weitere Daten waren in der iCloud abgelegt. Die Anrufprotokolle waren gelöscht. Dafür gab es mehrere Ordner, die mitgeschnittene Telefonate enthielten, benannt mit »Hamburg«, »London«, »Berlin«, »Paris« und »Venedig«. In einem anderen Ordner war eine Sammlung von Ortungsdaten und eine Liste aller abgerufenen Webseiten, inklusive Ort und Datum. Im Ordner »RLF« die Dokumente »Businessplan«, »Orgastruktur« und »CI«. In »Notizen« Fotos von Zeitungsartikeln und Buchseiten, Weblinks, tagebuchartige Textfragmente. Eine digitale Loseblattsammlung, dank iPhone versehen mit Datum und Ortsangabe.

Ich brauchte vierzehn Tage, um alle Dokumente durchzugehen und die mitgeschnittenen Telefongespräche anzuhören. Genügend Material, um das Leben von Jan, dem ursprünglichen Besitzer des Telefons, zu rekonstruieren. Man könnte auch sagen: um in sein Leben einzudringen. In den zwei Wochen, in denen ich mich mit den Daten auf seinem Telefon beschäftigte, lernte ich ihn sehr gut kennen, und zwar besser, als mir lieb war.

Ich erkannte an seiner Stimme, ob er gerade siegesgewiss war oder unsicher. Ich hörte, ob er am Abend zuvor zu viel getrunken hatte oder ob er bloß erkältet war. Ich wusste, in welchen Läden er was eingekauft hatte (bei Paul Smith in London war er innerhalb von zwei Monaten allein drei Mal gewesen, Adidas Original Stores besuchte er regelmäßig in verschiedenen Städten, und Comme des Garçons schien er auch zu mögen). Ich wusste, welche Webseiten er sich gerne anschaute und wie viel Zeit er mit Internetflirts verbrachte. Ich wusste, welche Bücher er bei Amazon bestellt hatte, und wie es um seine körperliche Fitness stand – das erfuhr ich aus seiner Nike-Running-App. Seine sexuellen Vorlieben waren mir ebenfalls bekannt – er schickte seinen Bekanntschaften regelmäßig entsprechende SMS. So ein Telefon speichert eben recht viel.

Anhand der Daten und des Archivs rekonstruierte ich die Entwicklung von RLF. Denn Jan, der Besitzer des Telefons, war einer der Köpfe dieser, wie soll ich sagen, Organisation. Nach einigen weiterführenden Recherchen, Reisen zu den Orten des Geschehens und Gesprächen mit direkt und indirekt Beteiligten stand mir vor Augen, was RLF wirklich war. Oder sagen wir es so: Ich hatte zumindest halbwegs den Überblick.

RLF, so könnte man, kurz gefasst, sagen, ohne damit zu viel vorwegzunehmen, ist ein Kunstprojekt, aber auch ein Unternehmen, ein politisch-ökonomisches Komplott, ein Geheimbund, kurzum: ein komplexes Vorhaben, dem ein ebenso perfekter wie perfider Plan zugrunde liegt.

Damit dieser gelingen konnte, durfte keiner der Beteiligten das Projekt als Ganzes überblicken. Von einer Ausnahme abgesehen. Doch die wird noch nicht verraten, ich habe das auch erst ganz am Ende verstanden.

Aber wie gesagt: Am besten der Reihe nach.

*So entstand 1WTC, ein Bericht über Mikael Mikaels Erlebnisse rund um das neue World Trade Center in New York. Sie sind der Grund, warum er nicht in der Öffentlichkeit auftritt.

Teil 1

»Nichtraucher, bitte. Nicht zur Straße, wenn es geht.« Jan steht an der Rezeption im Town Hall, einem angesagten Design-Hotel in London. Gut, denkt er, hier können die Vertriebsleute dann schon mal in Stimmung kommen. Der vorabendliche Drink an der Bar ist oft genauso wichtig wie die Präsentation. Jan ist müde, er hat in den letzten Wochen zu viel gearbeitet. Das Projekt ist in einer entscheidenden Phase. Das Meeting muss unbedingt erfolgreich verlaufen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!