Roberta und das Herzwunschwunder - Kristina Ohlsson - E-Book

Roberta und das Herzwunschwunder E-Book

Kristina Ohlsson

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Beschreibung

Ein magischer Globus, der Wünsche erfüllen kann? Roberta ist sich nicht sicher, ob es stimmt, dass der alte Globus, den sie ersteigert hat, tatsächlich magische Kräfte hat. Doch sie muss es ausprobieren – denn Roberta hat einen geheimen Herzenswunsch: Ihre beste Freundin Charlotte, die schwer krank ist, muss wieder gesund werden! Dazu muss Roberta eine fast unmögliche Aufgabe bewältigen, die der Globus ihr stellt. Und die Zeit rennt, denn wenn sie es nicht rechtzeitig schafft, ist Charlotte verloren! Ein mitreißendes Abenteuer, in dem es um Leben und den Tod geht, und gleichzeitig die wunderbarste Beste-Freundinnen-Geschichte, die man sich nur wünschen kann! Bei Antolin gelistet Pressestimmen zu »Roberta und das Herzwunschwunder«: »Die Geschichte zelebriert die Kraft der Phantasie, wagt es aber auch, vom Tod zu erzählen, direkt und ohne Umschweife.« Göteborgs-Posten »Herzerweichend, wunderschön, lebendig, ein bisschen traurig und eine phantastisch gute Geschichte. Ich konnte nicht aufhören zu lesen.« Bokmalen »Kristina Ohlssons bester und mutigster Roman bislang!« Dagens Nyheter

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Seitenzahl: 166

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Kristina Ohlsson

Roberta und das Herzwunschwunder

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Inhalt

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1

Opa Horatio war es, der den geheimnisvollen Globus fand, und zwar auf einer Auktion, wo wir Sachen für sein Sommerhaus suchten. Es war kurz vor Ostern, direkt bevor all das Schlimme anfing.

»Schau mal, Roberta, den hier musst du kaufen«, sagte er.

Ich war nicht überzeugt. Ich brauchte schließlich keinen Globus.

»Den hier brauchst du«, erwiderte Opa Horatio.

»Und warum?«

»Weil er etwas Besonderes ist. Sogar ein wenig magisch, könnte man sagen.«

Ich betrachtete den Globus und strich behutsam über seine glatte Oberfläche.

»Komm, steigere darauf«, sagte er wieder.

»Ja, mach das!«, rief meine Freundin Charlotte, die mit zur Auktion gekommen war.

Das war wirklich leichter gesagt als getan. Es wimmelte von Leuten, und auf langen Tischen standen Massen von Sachen aufgereiht. Kleine Statuen und Gemälde, Glas und Porzellan, sogar ausgestopfte Vögel. Ich sah mich verunsichert um.

»Ich habe ja nicht mal Geld«, gab ich zu bedenken.

»Weiß ich doch«, erwiderte Opa Horatio. »Du kriegst Geld von mir. Aber du musst ihn selbst kaufen. Ruf einfach den Betrag in die Runde, den du bezahlen willst.«

Ich bekam gleich Bauchweh. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie etwas auf einer Auktion ersteigert. Warum konnte nicht Opa Horatio für mich den Betrag rufen? Schließlich war es doch seine Idee gewesen, dass Charlotte und ich mit ihm zu der Auktion hier in Åhus gehen sollten.

Im Grunde genommen hätte Charlotte an dem Tag überhaupt nirgendwohin fahren dürfen. Sie war müde und sollte eigentlich zu Hause bleiben. Das Problem mit Charlotte war, dass sie irgendwie immer ein bisschen oder auch mal sehr müde oder krank war. Das war schon seit ihrer Geburt so, denn ihr Herz funktionierte nicht richtig. Manchmal ging es ihr besser und manchmal schlechter. Aber sie war doch niemals so fit wie ich oder einer meiner anderen Freunde.

»Charlotte darf gern mitfahren«, sagte ihre Mutter, als ich von der Auktion erzählte. »Aber ihr müsst mir versprechen, dass ihr sofort nach Hause fahrt, wenn sie müde wird.«

Ich nickte. Klar würden wir nach Hause fahren, wenn sie müde wurde. Åhus ist nur zwanzig Kilometer von Kristianstad weg, wo wir wohnten. Das dauerte nicht lange.

»Hast du denn keine andere Freundin, die gern mitkommen würde?«, fragte Mama, ehe wir losfuhren.

»Nein«, erwiderte ich.

Mama hat das mit Charlotte nie richtig kapiert. Dass es nämlich mit Charlotte am schönsten ist. Außerdem wohnte sie am nächsten – wir sind schon seit wir ganz klein waren Nachbarn. Außerdem ist Charlotte einfach der fröhlichste Mensch, den ich kenne, sogar wenn es ihr nicht gutgeht.

Es ist, wie Opa Horatio sagte: Die am meisten lachen, sind die Besten.

So hat er sich seine Freunde ausgesucht. Mama lacht nur manchmal. Klar begreift sie nicht, warum ich Charlotte so mag.

Als Opa Horatio dann vorschlug, dass ich den Globus ersteigern sollte, sah Charlotte richtig fit aus.

»Mach das auf jeden Fall!«, sagte sie noch einmal. »Kauf ihn!«

Opa Horatio gab mir hundert Kronen. Dann schubste er mich auf einen Mann zu, der vor dem Tisch mit all den Sachen auf einem kleinen Hocker stand. Er war der Leiter der Auktion.

»Höre ich irgendwelche Gebote für diesen wunderschönen Globus?«, rief er.

Niemand antwortete.

»Sag doch was!«, flüsterte Opa Horatio.

»Ich weiß nicht, wie man das macht«, zischte ich wütend zurück.

»Sag, dass du den Globus für fünfzig Kronen nehmen willst.«

Charlotte nickte eifrig. Als ob sie mehr Erfahrung damit hätte, wie man auf einer Auktion Sachen kaufte, als ich!

»Ich will ihn für fünfzig Kronen kaufen«, versuchte ich.

»Was sagst du?«, rief der Mann von der Auktion.

Ich machte einen Schritt vor und sagte es noch mal mit lauterer Stimme:

»Ich will den Globus für fünfzig Kronen kaufen!«

Der Auktionator sah sich aufmerksam um. Es waren ziemlich viele Besucher gekommen.

»Höre ich noch weitere Gebote?«

Mein Herz raste vor Aufregung. Ich sah noch einmal den Globus an. Irgendwie sah er nicht so aus wie andere Globen, die ich schon gesehen hatte. Er war größer und stand auf einer Holzplatte. Meer und Land waren mit unterschiedlichen braunen Farben gemalt, fast wie ein rundes, schönes Gemälde. Ich liebe schöne Gemälde. Mein Bruder Theodor zieht mich deswegen immer auf und veralbert mich, aber darüber konnte ich mir jetzt wirklich keine Gedanken machen. War schließlich nicht mein Problem, dass er nicht verstehen konnte, dass es Erwachsene gab, die nichts anderes taten, als zu zeichnen und zu malen. Ich habe fest vor, später Künstlerin zu werden. Aber was Theodor mal wird, kann ich mir nicht im Entferntesten vorstellen.

»Sechzig Kronen!«, rief jemand.

Ich drehte mich erstaunt um. Da stand ein Junge mit Kappe und gelbem Pullover. Und er hatte nur einen Arm. Ich konnte nicht anders, ich musste ihn anstarren.

Opa Horatio gab mir wieder einen Schubs.

»Sag was«, drängte er.

»Du musst höher bieten!«, mahnte Charlotte.

»Siebzig Kronen!«, rief ich.

Charlotte und ich kicherten.

Der Auktionstyp freute sich.

»Phantastisch!«, rief er. »Noch weitere Gebote auf diesen Globus aus Afrika?«

»Achtzig Kronen!«, rief der einarmige Junge.

Ich schluckte. War das gemein von mir, wenn ich ihm den Globus nicht überließ? Eigentlich nicht. Charlotte sagte oft, dass sie es furchtbar fand, wenn sie Sachen nur deshalb geschenkt kriegte, weil sie den Leuten leidtat.

»Hundert Kronen!«, hörte ich mich selbst brüllen.

Jetzt musste es laufen. Wenn der Junge mehr Geld hatte als ich, dann bekam er den Globus. Ich schielte ängstlich auf die Erdkugel. Würde ich eine solche Karte vielleicht auch selbst zeichnen können? Aber so gut war ich doch nicht.

»Noch weitere Gebote?«, rief der Auktionsmann.

Stille.

»Keine? Dann zähle ich: Zum Ersten, zum Zweiten …«

Ich hielt den Atem an und schluckte. Jetzt wollte ich wirklich gewinnen und den Globus mit nach Hause nehmen. Weil er schön war, aber vor allem, weil Opa Horatio gesagt hatte, dass er besonders war.

»… zum Dritten! Verkauft an das Mädchen mit den schönen Zöpfen!«

»Das bist du«, sagte Opa Horatio und zog mich am Zopf.

Ich tat einen kleinen Freudenschrei und lief schnell hin, um den Globus zu bezahlen.

»Jetzt gehört er mir«, sagte ich.

Opa Horatio nickte zufrieden.

»Das hast du gut gemacht«, sagte er. »Jetzt bringen wir das Schmuckstück ins Auto, und dann kaufen wir uns ein Eis.«

Aber das machten wir dann gar nicht. Als ich mich nämlich umdrehte, um zum Auto zu gehen, stellte ich zwei Dinge fest.

Zuerst mal, dass der einarmige Junge in dem gelben Pullover weg war. Er war einfach verschwunden.

Und dann, dass Charlotte sehr erschöpft aussah und ihre Lippen blau angelaufen waren.

2

Manchmal weiß man einfach, wenn was Schreckliches passieren wird. Man spürt es im ganzen Körper. Als wir von der Auktion nach Hause fuhren, wusste ich definitiv, dass etwas Schlimmes passieren würde. Aber ich wusste nicht, wann.

Charlotte ging es rasend schnell immer schlechter, und die ganze Fröhlichkeit von der Auktion war wie weggeblasen. Wir riefen ihre Eltern an und baten sie, uns vor der Notaufnahme des Krankenhauses in Kristianstad zu treffen. Opa Horatio fuhr viel zu schnell. Als wäre das Auto ein fliegender Teppich. Ich glaube, er hat sich richtig Sorgen gemacht, denn immerhin war er es ja gewesen, der Charlotte mit auf diesen Ausflug genommen hatte. Und zudem hatte er noch nicht so oft wie ich erlebt, wie es aussah, wenn es Charlotte schlechter ging.

Wahrscheinlich merkte er nicht, dass ich mir genauso viel Sorgen machte. Aber ich hatte noch dazu einen ganz anderen Grund, der sehr geheim war und von dem niemand außer Charlotte etwas wusste.

»Du muss schnell wieder gesund werden«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Damit wir …«

Das Letzte sagte ich so leise, dass nur sie es hörte. Charlotte nickte schwach. Sie wusste Bescheid.

Als wir ankamen, hob Charlottes Vater sie aus dem Auto.

»Darf ich mit reinkommen?«, fragte ich, denn ich war schon oft mit im Krankenhaus gewesen.

Charlottes Mutter streichelte mir über die Wange.

»Heute nicht«, sagte sie. »Wir werden sowieso nur da sitzen und warten. Du weißt ja, wie das immer ist.«

Das wusste ich definitiv. Mein Vater sagte immer, es gäbe niemanden, dem es so gutginge wie mir und der trotzdem so viel im Krankenhaus hocken würde. Aber das tat ich ja nur wegen Charlotte. Vielleicht auch ein bisschen meinetwegen, denn ich wollte schließlich wissen, was mit ihr los war.

»Wir rufen dich an, wenn wir was wissen«, versprach Charlottes Vater und trug sie weg.

Sie war bleich und blau und erschöpft.

Charlottes Mutter lächelte mir zu, aber man konnte sehen, dass sie traurig war. Ich war es auch. Der Kloß im Hals wurde immer dicker, und als die Türen gerade dabei waren, hinter ihnen zuzugehen, rief ich:

»Es tut mir leid!«

Charlottes Mama kam wieder raus.

»Es tut mir leid, dass wir Charlotte mit zur Auktion genommen haben! Wir wussten nicht, dass sie so krank werden würde.«

Ich fing an zu weinen, und Opa Horatio legte den Arm um meine Schultern und drückte mich ganz fest. Charlottes Mutter ging vor mir in die Hocke und nahm meine Hände.

»Meine liebste Roberta«, sagte sie. »Das hier passiert einfach immer wieder. Charlotte ist nicht krank geworden, weil ihr sie mitgenommen habt, das hätte genauso gut zu Hause passieren können. Ich bin so unglaublich froh, dass sie dich hat. Du bist ein wichtiger Teil unserer Familie.«

Sie lächelte kurz, dann ging sie. Mir wurde ganz warm ums Herz, als sie das sagte, dass ich ein Teil ihrer Familie sei. Meine eigene Familie ist nämlich hauptsächlich langweilig und außerdem immer beschäftigt. Und Charlottes Eltern haben keine anderen Kinder.

 

»Jetzt fahren wir nach Hause«, sagte Opa Horatio entschieden, »und dann schauen wir mal, ob deine Eltern uns einen Kaffee anbieten.«

Opa Horatio war eigentlich nicht mein Opa. Tatsächlich war er niemandes Opa. Aber er war mit meiner Oma zusammen gewesen, und zwar nachdem er vorher mehr als vierzig Jahre als Seemann unterwegs gewesen war.

»Eines Tages ging ich an Land, und da stand sie«, erzählte er immer. »Die schönste Frau im ganzen Königreich Schweden.«

Ein paar Monate später wurde ich geboren. Mama sagt immer, dass sie Oma niemals so glücklich gesehen hätte wie in den Jahren, als sie mit Opa Horatio zusammen war. Aber dann musste sie ja sterben. Sie wurde krank, und dann fiel sie beim Autofahren in Ohnmacht und fuhr direkt in einen Baum. Sie war ganz alleine im Auto gewesen.

Das war vor drei Jahren, und es war einer der schlimmsten Tage in meinem Leben. Mama hat ununterbrochen geweint, man konnte sie gar nicht trösten. Es war, als hätte ich keinen Platz mehr im Haus. Ich habe mich dann stattdessen bei Charlotte ausgeweint. Aber niemand war so traurig wie Opa Horatio. Er war so niedergeschlagen, dass er hundert Tage nicht geredet hat, bis zu meinem Geburtstag. Da ist er zu meinem Fest gekommen und hat so laut gesungen, dass sich das Dach vom Haus hob.

Als wir zu Hause ankamen, trug ich den Karton mit dem Globus rein. Ich war immer noch froh, dass ich ihn ersteigert hatte. Aber vor allem machte ich mir Sorgen um Charlotte und wegen dem, was ich im Auto gespürt hatte, nämlich dass etwas Schreckliches passieren würde. Charlotte war schon unglaublich viele Male vorher krank gewesen. Aber diesmal war es anders, das fühlte ich.

Opa Horatio versuchte, mich auf andere Gedanken zu bringen.

»Du wirst sehen«, sagte er, »dieser Globus wird dir viel Nutzen bringen.«

Wie denn das?, fragte ich mich, sagte aber nichts.

»Was ist denn das für ein Ding?«, fragte Theodor, als ich die Kiste auf den Küchentisch stellte.

»Ein magischer Globus«, erklärte ich.

Das war natürlich dumm formuliert. Theodor fing sofort an, mich zu ärgern.

»Ooohh! Ein magischer Globus? Wie alt bist du eigentlich?«, tönte er.

Elf Jahre war ich, im Herbst würde ich zwölf werden. Und Theodor war fünfzehn. Ich wünschte, er würde so bald wie möglich von zu Hause ausziehen.

Mama kam in die Küche. Sie trug einen Blazer, weil sie gerade von der Arbeit kam. Und dabei war Samstag! Aber Mama und Papa arbeiteten immer. Keiner der Eltern meiner Freunde arbeitete so viel. Sie waren Architekten und entwarfen Häuser und Gebäude, und nichts war so wichtig wie ihr Job. Deshalb war ich auch so viel mit Charlotte und Opa Horatio unterwegs. Es war doch schön, wenigstens für irgendjemanden am wichtigsten zu sein.

»Aber«, sagte Mama und schaute in den Karton mit dem Globus, »ist das hier deiner, Horatio?«

»Keineswegs«, erwiderte Horatio. »Der gehört Roberta. Sie hat ihn ersteigert.«

Aber Mama und Theodor war natürlich klar, dass er den Globus bezahlt hatte.

»Dann hast du Geld zum Einkaufen gekriegt, und davon dieses hässliche Ding gekauft?«, fragte Theodor. »Du bist wirklich echt …«

»Theodor«, warnte Mama ihn, »es reicht.«

Sie runzelte die Stirn.

»Aber, er war doch hoffentlich nicht teuer?«, fragte sie. »In dem Fall würde ich ihn gern bezahlen.«

Opa Horatio schüttelte den Kopf.

»Er war absolut nicht teuer«, sagte er.

»Und gab es viele Mitbieter?«, fragte sie.

Sie lächelte Opa Horatio an.

»Da war ein junger Mann in einem gelben Pullover, der hat versucht, das Rennen zu machen, aber Charlotte und ich haben Roberta mit vereinten Kräften angefeuert. Und dann hat sie gewonnen.«

Er wurde ernst.

»Ach ja, Charlotte«, sagte er, »die mussten wir hinterher direkt ins Krankenhaus fahren.«

Mama schüttelte den Kopf.

»Die arme Charlotte und ihre Eltern«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wie lange die das noch aushalten werden.«

Ich nahm den Karton.

»Ich gehe in mein Zimmer«, sagte ich.

»Willst du nicht mit uns Kaffee trinken?«, fragte Mama.

»Später vielleicht«, sagte ich.

»Aber wir haben uns doch den ganzen Tag nicht gesehen«, meinte Mama.

Sie klang traurig, aber das war mir egal. Es war schließlich nicht meine Schuld, dass sie nie zu Hause war.

Außerdem wollte ich einen Moment alleine sein, denn es war schwer mitanzusehen, wie Mama und Horatio so ernst wurden, wenn sie über Charlotte sprachen. Ich fragte mich nämlich, wie lange Charlotte selbst es wohl noch aushalten würde, so krank zu sein. Passierte das denn manchmal, dass ein Mensch aufgab? So wie wenn man draußen war und joggte und es irgendwann zu anstrengend wurde? Einmal meinte Charlotte, sie hätte sich daran gewöhnt, nicht so zu sein wie andere und immer ein bisschen oder sehr viel krank zu sein. Ich musste an den einarmigen Jungen denken. Der hatte überhaupt kein bisschen traurig ausgesehen. Vielleicht war es ja, wie Charlotte sagte, dass man sich daran gewöhnte und man gleichzeitig krank sein konnte und gutgelaunt.

Ich hob den Globus aus dem Karton und bemerkte erstaunt, dass darin noch eine Menge anderer Dinge lag. Fünf kleine Gläser mit Deckel. Und eine Kerze in einem Kerzenständer. Ein sehr seltsamer und äußerst schwerer Kerzenständer war das. Er bestand aus einer mit Schnörkeln verzierten Kugel, die auf einem Fuß stand. Die Kerze steckte in der Kugel, die hohl war und oben offen. Außerdem hatte die Kugel auf der einen Seite ein kleines Loch. Ich kapierte gar nichts. Was sollte ich denn mit all den anderen Sachen anfangen?

Vorsichtig drehte ich die Erdkugel. Charlotte und ich hatten eine Liste gemacht, welche Länder wir besuchen wollten, wenn wir älter waren.

Das waren:

Frankreich (denn da wohnte Charlottes Tante)

USA (denn da hatte ich eine Cousine)

China (denn das war sicher cool)

Australien (denn da gab es Kängurus)

Charlotte musste einfach bald gesund werden, wir hatten so große Pläne, sie und ich. Bisher hatten wir niemandem ein Sterbenswörtchen darüber verraten, was wir planten. Deshalb habe ich ihr im Auto auch nur ins Ohr geflüstert, damit Opa Horatio nichts hörte. Alles sollte eine große Überraschung sein, zumindest wenn wir gewannen.

Charlotte und ich malten und zeichneten beide für unser Leben gern, und nun hatte das Museum von Kristianstad einen großen Zeichenwettbewerb ausgerufen, bei dem jeder mitmachen durfte, der hier wohnte. Charlotte malte meist erfundene Comicfiguren, während meine Zeichnungen alles Mögliche darstellten. Einmal hatte ich Mama und Papa gemalt, wie sie sich stritten. Die Zeichnung hatte ich damals aber nur Charlotte gezeigt, sonst niemandem.

Für den Wettbewerb durfte man malen, was man wollte, die Bedingung war aber, dass es auf irgendeine Weise etwas mit Kristianstad zu tun haben musste. Aber das war ja leicht: da reichte es schon, wenn man in die eine Ecke den Wasserturm der Stadt malte. Die beiden ersten Sieger würden nach Stockholm reisen dürfen und ihre Bilder dem König und der Königin zeigen. Kristianstad hatte nämlich 400-jähriges Jubiläum, und da wollten der König und die Königin offensichtlich mitfeiern.

»Glaubst du, man kann mit einer Zeichnung mitmachen, in der Comics vorkommen?«, fragte Charlotte, als ich ihr von dem Wettbewerb erzählte.

Ich hatte keine Ahnung, also haben wir beim Museum angerufen und gefragt. Die haben ja gesagt, alles, was auf ein Blatt Papier passte, sei erlaubt. Charlotte durfte ihre Figuren malen, wie sie wollte, wenn sie nur etwas mit Kristianstad zu tun hatten.

Ich drehte wieder an der Erdkugel. Jetzt hatte Opa Horatio gar nicht erzählt, inwiefern der Globus magisch sein sollte. Die Länder sausten vorbei, schneller und schneller. Und mein Gefühl, dass etwas Schreckliches passieren würde, wuchs immer mehr.

3

Als die Osterferien kamen, war Charlotte immer noch zu krank und blieb im Krankenhaus. Ich war jeden Tag dort. Manchmal nahmen Charlottes Eltern mich mit, aber meistens fuhr ich selbst mit dem Rad.

Charlotte hatte eine Infektion und hohes Fieber. Ihre Mutter meinte, das sei für jemanden mit so schwachem Herz sehr gefährlich.

»Jetzt hat sie natürlich Medikamente bekommen«, sagte sie. »Bestimmt ist sie bald wieder gesund.«

Aber das wurde sie nicht. Sie war weiterhin blass und ihre Lippen hellblau. Ihre Mutter erklärte, das sei, weil Charlotte zu wenig Sauerstoff bekäme. Ich kriegte eine Mordsangst, denn das Einzige, was ich über Sauerstoff wusste, war, dass man stirbt, wenn man nicht genug davon bekommt.

»Das ist kein Problem«, sagte Charlottes Mutter. »Sie geben Charlotte zusätzlichen Sauerstoff.«

Ich fragte mich, wie lange das wohl noch gehen sollte. Der Sauerstoff kam aus einem Schlauch, der unter ihrer Nase saß. Den hatte sie früher auch schon gehabt, aber nie länger als ein paar Tage. Jetzt trug sie ihn schon über eine Woche, fast zwei. Offenbar würde das mit dem Sauerstoff so bleiben.

Am Karfreitag war ich den ganzen Nachmittag bei Charlotte. Ab und zu schlief sie ein wenig, dann saß ich da und malte. Ich versuchte die perfekte Zeichnung hinzukriegen, denn wenn sie nicht perfekt wurde, dann würden wir nicht gewinnen und nach Stockholm fahren dürfen. Ich sah verstohlen zu Charlotte, und beobachtete, wie sie schlief. Sie sah besorgt aus. Manchmal zog sie im Schlaf Grimassen. Ich wollte, dass sie aufwachte und zu malen anfing, damit sie rechtzeitig fertig wurde. Ohne Charlotte wollte ich den König und die Königin nicht treffen. Entweder gewannen wir beide oder keine. Klarer Fall.

Charlotte wachte auf, und wir machten Pause. Mama hatte mir Geld mitgegeben für Zimtschnecken und Limo, das hatte ich alles schon gekauft. Charlottes Eltern würden lieber sterben, als Zimtschnecken zu kaufen. Sie buken immer selbst. Ich musste oft denken, dass Charlottes Eltern irgendwie immer zusammen zu sein schienen und dass es ihnen dabei immer gutging. Das war bei meinen Eltern ganz anders. Das einzige Mal, wenn sie richtig froh aussahen, war in den großen Ferien im Sommer. Man konnte sich echt fragen, warum sie nicht öfter Urlaub machten.

»Hast du dir eine neue Comicfigur ausgedacht?«, fragte ich.

»Weiß nicht«, meinte Charlotte und kaute auf ihrer Zimtschnecke.

Ich wechselte das Thema.

»Juckt der Sauerstoffschlauch nicht?«, fragte ich.

»Nein, aber er ist hässlich«, sagte Charlotte.

»Hässlich?«, fragte ich. »Ach was, das ist er gar nicht.«

Charlotte sah mich an, als würde ich spinnen.

»Der sieht aus wie ein langer Wurm. Hast du vielleicht einen Wurm unter der Nase?«

Wir brachen in Gelächter aus.