20,99 €
Heiko Senking alias Stasi gewährt einen unverblümten Blick in sein außergewöhnliches Leben zwischen Motorradclubs, Staatsanwaltschaft und Lokalpolitik. Als Präsident des MC Brenner organisierte er legendäre Partys, navigierte durch Konflikte und setzte sich für Verständigung ein. Gleichzeitig setzte er in Justiz und Politik mit seiner kompromisslosen Art Zeichen. Provokativ zeigt er Parallelen zwischen Rockerwelt und Politik auf und schildert eine facettenreiche Subkultur, die oft missverstanden wurde und wird. Ehrlich, greifbar und polarisierend.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 218
Veröffentlichungsjahr: 2025
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2025 novum publishing gmbh
Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt
ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0586-3
ISBN e-book: 978-3-7116-0587-0
Lektorat: Falk-M. Elbers
Umschlagfotos: Applikbeats777 | Dreamstime.com; Stasi
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
Innenabbildungen: Heiko Senking;
Trotz aller Bemühungen ist es dem Autor nicht gelungen, alle Rechteinhaber der Bilder ausfindig zu machen. Setzen Sie sich daher bitte mit dem Verlag in Verbindung, falls Vergütungen anliegen.
www.novumverlag.com
Es ist wirklich kein Buch, das in die heutige Zeit passt. Es ist gewalttätig, sexistisch, arrogant, angreifend, maßlos und überheblich, aber auch ehrlich, bedingungslos und loyal!
„Es zählt nur das, was wir in den Erinnerungen der Menschen und Tiere unserer Zeit hinterlassen. Nur daran werden wir gemessen, nur das macht uns und unser Leben aus.“
Für alle, die vor uns gegangen sind, dFzG …
Es war gegen neunzehn Uhr in einem völlig verqualmten Kellerraum in Bienenbüttel, der Keimzelle der Brenner. Ronny, Zottel und ich waren eingeladen bei einem Motorradclub, kurz MC, vorzusprechen. Ich trug eine beige Hose und mir wurde sehr schnell klar, dass die Wahl der Bekleidung nicht die beste war, was Walter mir mehr als eindrücklich erklärte. In der Szene trägt man immer ein freundliches und helles Schwarz.
Wir wurden uns schnell einig, da man sich auch schon flüchtig kannte. Wir waren immer schon zu dritt auf Treffen unterwegs und ein wenig kannten wir die Szene seit Längerem. Wir waren nun Prospects eines MC, der höchsten Kategorie in der Welt von Bikern und Rockern. „Prospect“ heißt „Anwärter“ und wird insofern kenntlich gemacht, als dass er nicht alle Teile des Colours oder auch Farben des betreffenden Clubs auf dem Rücken tragen darf. Die weiteren Aufnäher muss man sich mit der Zeit verdienen und in diesem Club war und ist es wohl bis heute so, dass hundert Prozent für eine Beförderung stimmen müssen. Als Prospect oder auch in der noch darunter liegenden Gruppe der Hangarounds oder gar der Supporter hat man nur Dienste zu erfüllen, aber es wurde nicht ganz so eng gesehen, was nicht überall so ist, wie ich noch schildern werde.
Die Brenner in voller Besetzung in ihrer zweiten Heimat, dem „Unteren Krug“ zu Ebstorf
Es ging jetzt auf das erste Treffen mit Kutte nach Barum bei Lüneburg. Ein denkwürdiger Abend, wo Toddi bereits nach zwei Stunden auf der Bühne müde war und auf einem Stuhl schlief, Douzer versuchte auf der Tanzfläche, anderen Tänzern vor das Schienbein zu treten, was aber aufgrund seiner bescheidenen Körpergröße nicht zu irgendwelchen Reaktionen führte. Im weiteren Verlauf nahmen Ronny und ich ihn über die Schulter und verbrachten ihn in das Auto. Schmy erklärte mir nachdrücklich, dass Frauen für mich in der Anfangszeit tabu sind – warum auch immer das so sein sollte, hat er mir nie erklärt.
Es folgten noch andere Anekdoten, aber das sind Details, die unter Verschluss sind. Überhaupt war es fast immer so, dass ich nüchtern war und meistens auch gefahren bin. Das bedeutet natürlich auch, dass ich so ziemlich alles Erlaubte und Nicht-so-Erlaubte mitbekam, was auch den ein oder anderen Flirt und mehr betraf. Aber es muss sich hier keine und keiner Sorgen machen, diese Dinge sind nicht Gegenstand dieser Zeilen, sondern das Beschreiben einer außergewöhnlichen Zeit, die die Generation „Z“ vermutlich nicht überlebt hätte. Auch geht es hier darum, aufzuzeigen, dass alle irgendwo Mütter, Väter und Kinder sind, egal ob Biker, Politiker, Clanmitglieder oder einfach nur Bürgerinnen oder Bürger. Ich bin weder ein vollwertiger Politiker noch war ich der Vorzeigebiker, das sieht man auch daran, dass ich versucht habe fünfmal den Bikerfilm „Born to be Wild“ zu schauen, aber es bis heute nicht geschafft habe – der Film ist mir einfach zu langweilig. Genauso verhält es sich bei der Serie „Sons of Anarchy“: Wer tatsächlich damals bei uns dabei war, weiß, wie klischeebehaftet die Serie ist. Ich habe eineinhalb Folgen gesehen, herzhaft gelacht, auch die hätten die Brennplatte und anderes zu unserer Zeit nur eingeschränkt überlebt. Als ich kürzlich einen Beitrag über diese Serie mit einem gähnenden Smiley bedachte, hat ausgerechnet der Schauspieler, der den Sergeant gespielt hat, meinen Smiley gelikt. Ich war begeistert.
So gingen ein paar Monate ins Land und irgendwann wurden wir Vollcolour, das bedeutete, es stand eine Kuttentaufe an. Meine sollte bei den Moskitos MC nahe Hannover stattfinden. Gesagt, getan, ich durfte einen Teil meiner Bekleidung ausziehen und flog von vier Männern geschleudert aus dann ca. zwei Meter Höhe in eine Kuhle von sehr weichem Schlamm, in dem ich vollends unterging und den ich noch Tage später überall wiederfand. Ein befreundeter Biker und seinerzeit Präsident gab mir ein paar Münzen für die Dusche des angrenzenden Schwimmbades, wo ich dankbar duschte. Es brachte aber nicht wirklich etwas.
Es war auch der Tag, wo ich Trez Bien – heute hat er einen anderen Namen – von den Wanderratten MC kennenlernte. Er hielt mich anfangs für eine Art juristischen Beistand der Brenner, was wir aber bei ein, zwei Bier wieder relativieren konnten. Nunmehr kennen wir uns über fünfundzwanzig Jahre, sind einige Male zusammen Ski gefahren, haben aber immer hart gefeiert und prima geredet. Als er von dem Buch hörte, kommentierte er das mit fragenden Smileys. Überzeugt sieht sicher anders aus.
Nachdem Henning und Arne sich auf dem Treffen der Moskitos ihre übliche brüderliche Rauferei geliefert hatten, gingen wir in die Zelte und schliefen. Beim Hellwerden staunten wir nicht schlecht, als die gesamte Straße voller bewaffneter Polizei stand. Maschinenpistolen und anderes wurde zur Schau gestellt. Irgendwer hatte am letzten Abend versucht, irgendeinem anderen ein Messer in den Hals zu stechen, war aber nunmehr auf der Flucht. Wir wurden alle befragt, wir hatten tatsächlich nichts gesehen. Da der Gesuchte lange, schwarze Haare hatte, musste Arne natürlich zur Gegenüberstellung, wurde aber dann, wie wir anderen auch, nach Hause entlassen.
Der Betroffene hat überlebt, der Schuldige, kein Biker oder Rocker, wurde gefunden und bestraft, die Schlagzeile „Mordversuch auf Rockertreffen“ war ja klar.
Ähnlich wie bei einem Treffen in der Nähe von Gifhorn. Dort waren wir auch zum Treffen und dort wurde eine Frau mehr als bedrängt. Wir suchten und wir fanden den Täter, riefen natürlich die Polizei, die einen dann mehrfach aus Versehen gestürzten Täter, aus dem familiären Umfeld der Frau stammend, lächelnd übernahm. Den Rettungswagen hatten sie vorsichtshalber gleich mitgebracht, halt Erfahrungswerte mit uns.
Die Presse berichtete wieder mal nur von einem ekelhaften Vorfall auf einem Bikertreffen. Es war einfach zum Kotzen, alle fanden uns schlecht und kriminell, wechselten die Straßenseite und fanden uns asozial. In der Zeit, wo ich in der Szene unterwegs war, habe ich tatsächlich nie gehört oder erfahren, dass irgendeiner dieser Männer seine Frau oder seine Kinder geschlagen hat; und wie oft das sonst so in der Bevölkerung passiert, muss ich keinem erklären, im Dienst ist das Tagesgeschäft.
Bezeichnend war auch mein Eintritt in die Politik. Ich wurde seinerzeit gewählt, war Präsident eines „Rockerclubs“ und nun auch ein Ratsherr.
Um mich mit der zivilisierten Gesellschaft, ohne meinen Intellekt zu überfordern, in Kontakt zu bringen, rief mein Fraktionsvorsitzender bei einer großen Volkspartei an und versuchte eine Verbindungsperson zu organisieren. Es kam eine junge, hochschwangere Frau. Ich wusste von nichts und wir sollten gemeinsam zu einem Interview fahren. Sie stieg in meinen Wagen, einen schwarzen Volvo V 70, mit schwarzen Scheiben, Scheinwerfern, Blinkern und Felgen, in Ebstorf auch der Leichenwagen genannt. Einzig das „MC Brenner 83“ auf der Heckscheibe war weiß und wir fuhren los. Wie sie mir kürzlich erzählte – sie ist meine Handballspartenleiterin im TuS Ebstorf –, riefen umgehend diverse besorgte Bürger und Bürgerinnen bei ihrem Mann an, berichteten in blumigen Farben, was ich wohl alles mit ihr anstellen würde. Unfassbar.
Genau wie einige Kinder. Ich war gerade in unserer Wohnung beim Bügeln – mein Sohn und ich wohnten dort alleine – und ich hörte, wie sie draußen auf der Straße spielten. Beim Spielen kamen sie wohl etwas näher an meinen Leichenwagen und der eine rief panisch: „Fass den nicht an! Das Auto gehört dem Rockerchef aus Vinstedt. Der macht dich tot!“ Ich weiß bis heute nicht, warum Menschen ihren Kindern so einen Scheiß erzählen und sicher auch selber glauben.
Damals sagten wir zu solchen Leuten: „Los, ab mit deinen weißen Socken aufs Sofa, schau ‚Wetten, dass …?‘ und geh sterben.“
Frühstück wie sich das gehört
Ja, von vorne waren sie alle nett und freundlich zu uns, aber hinter dem Rücken ging das ab, Gerüchte über Gerüchte und viele brüsteten sich auch damit, uns oder mich zu kennen. Stimmte fast nie. Eine ähnliche Geschichte begab sich in der Uelzer Kneipenszene, wo ich mich mit einem sogenannten Clanmitglied und seiner Sicherheit getroffen habe. Die Sicherheit war nicht für ihn, sondern für die Außenwelt, er war sehr leicht reizbar.
Wir hatten uns durch dienstliche Notwendigkeiten – er wollte Ratenzahlung für seine Kostenrechnung beantragen, die ich milde lächelnd ablehnte – kennen und schätzen gelernt, da sein Sohn auch auf die Schule meines Sohnes ging. Die Security des Lokals kam zu uns an den Tisch und erzählte, dass die eben geschilderte Person, die natürlich direkt vor mir saß, bald kommt. Er würde diese kennen, und wenn etwas wäre, sollte ich was sagen, er würde das natürlich mit ihm regeln.
Wir stimmten zu. Er ging zu seinem Posten zurück und wir beide grinsten uns an, da er ihn ja wohl doch nicht kannte. So war das aber damals überall. Man wurde gegrüßt, kannte den Betreffenden gar nicht, grüßte aber brav zurück. Geht mir als Bürgermeister heute auch noch so.
Auch auf einem der ersten Open Airs in Seedorf. Ich war eingeladen und sollte mal vorbeischauen, Bini und ich standen an der Technik und schauten auf die Bühne. Plötzlich tauchten zwei Polizeibeamte neben uns auf und fragten mich irgendetwas wegen Parkplätzen und Sonstigem. Fotos wurden gemacht, sich kurz ausgetauscht. Ich kannte die Kollegen überhaupt nicht und wusste auch nicht, was das sollte. Aber egal, sehen und gesehen werden.
Zurück zu den Menschen und ihren Gerüchten über uns. Eigentlich war es auch egal, kaum einer von diesen Flachzangen hätte nur ansatzweise unser oder mein Leben führen und die daraus resultierende Verantwortung tragen wollen – und in den Club hätten sie es ohnehin nicht geschafft.
Die Zeit und die Treffen gingen ins Land und irgendwann wurde ich gefragt, ob ich Präsident werden wollte. Nach einiger Überlegung sagte ich zu und wurde einstimmig gewählt, fünfzehn Jahre lang …
Ein paar Jahre später, hier mit TomTom, leider auch schon von uns gegangen …
Nun stand eigentlich ein selbst geplantes Treffen von Bikern, das wir ausrichten wollten, an, aber das letzte Treffen vor meiner Zeit war nicht so gut gelaufen. Es gab seinerzeit Streitigkeiten und eigentlich wollten die Brenner auch keine Partys mehr veranstalten, aber ich überzeugte sie.
Eine Band musste her, denn meine damalige Freundin Anette und ich wollten auf dem Platz heiraten. Völlig irre.
Ich fragte damals tatsächlich Rammstein an und wurde vom Management auf die legitimierte Coverband „Feuerengel“ aus Buchholz verwiesen.
So fing alles mal an …
Gesagt, getan. So fuhren wir nach Buchholz in eine Schulaula und guckten uns die Band an. Bis heute sind wir in Kontakt und mit Heidebeben, Tag des TuS und beim MC Brenner 83 habe ich sie dreiundzwanzigmal hier in der Gegend eingeladen und spielen lassen. Wir sind somit eigentlich miteinander groß geworden.
Geht doch, Seite 1
Sie sagten damals erstmalig zu und es wurden Einladungen an andere Clubs – ja, so etwas gab es damals noch – erstellt und per Post verschickt. In den folgenden Jahren wurden Flyer gedruckt, Plakate verteilt und ausgehängt.
Die Presse hat uns gemieden und Internet gab es nur für Nerds. Der abgebildete Flyer ist dann die Dreißig-Jahres-Party und gleichzeitig mein Abschied als Präsident gewesen, aber so sahen sie aus. Es gab mal einen Flyer zur Fünfundzwanzig-Jahres-Party, der noch folgt. Der hat bei Ebay mit unseren Unterschriften achtundzwanzig Euro erzielt. Witzig.
Aber auch in der Szene ging es weiter, ich bin bis zum Schluss 552 Treffen angefahren, habe alle Festivals und wichtigen Konzerte erlebt, den Rockerkrieg begleitet, den Runden Tisch gegründet und einen Schießplatz gepachtet. Davon werde ich berichten. Einige Wegbegleiter kommen zu Wort, aber auch der Staatsschutz, Clan-Mitglieder, Familie und Politiker können hier frei ihre Sicht auf die Dinge zum Besten geben, denn eins sei an dieser Stelle schon mal gesagt: Die Boulevardpresse berichtet auch immer, wie sie will; bei der regionalen Zeitung sieht das schon anders aus, das immer auch aus der subjektiven Sicht. Kein Mensch ist objektiv.
Und ja, wenn ich sage, dass die meisten Parteien so funktionieren wie ein MC, schlagen alle die Hände über dem Kopf zusammen. Doch sind die Strukturen ähnlich. Alles leitet sich von der ältesten Regierungsform her ab, dem Militär. An der Spitze der General, Parteivorsitzende oder Präsident, dann die Offiziere, Unteroffiziere und zum Schluss die Mannschaften – Soldaten, Parteimitglieder, Member. Und je besser die Spitze, desto erfolgreicher die Institution.
Hört sich befremdlich an, ist aber so …
Wie gesagt, wenn man bei einem MC anfängt und erfolgreich vorgesprochen hat, ist man ein Hangaround; mit dem Prospect bekommt man seine ersten Farben, auch „Colour“ genannt, die man auf seine Kutte näht, und zwar selber. Bei den Brennern war es so, dass nach mindestens einem Jahr der Antrag auf Vollcolour, das heißt Vollmitgliedschaft, gestellt werden konnte, allerdings von einem Vollmember und hundert Prozent des Clubs mussten dafürstimmen. Es gab Prospects, die waren bis zu drei Jahre und mehr in diesem Stadium. Pech gehabt. Die einzigen Rechte als Prospect bestehen darin, dass man dabei ist, ansonsten beschränkt sich die Tätigkeit auf Handlangertätigkeiten, säubern, zu jeder Tages- und Nachtzeit fahren, bewirten und sonstiges.
Ja, und auf den Clubsitzungen wird so etwas entschieden. Und da sind wir bei einem der größten Mysterien der Menschheitsgeschichte, zumindest kann man das manchmal echt glauben. Wir Rocker wurden mit Logen, schlagenden Logen, Geheimbünden und vielem mehr verglichen. Alles Unsinn. Wenn Parteien sich zu Fraktionssitzungen oder anderem treffen, dann auch immer intern, das ist bei den Rockern und allen vorgenannten Gruppierungen genauso. Gut, die Rocker machen keine Parteitage mit minutenlangem Applaus, was an Lächerlichkeit kaum zu überbieten ist, aber wir bleiben ansonsten gerne bei solchen Sitzungen unter uns. Wie läuft eine Clubsitzung tatsächlich ab? Da gibt es sicher Unterschiede, aber bei uns gab es keine Tagesordnung, wenig bis gar keinen Schreibkram und schon gar keine Abstimmungen, es sei denn bei Beförderungen oder Aufnahmen von Prospects. Es wurde besprochen, wer zu welchem Club fahren möchte oder wenn einer was an Hilfe braucht und Sonstiges, aber keine Drogenverkäufe oder Prostitutionsgeschichten. Völliger Blödsinn.
Am Ende wurde es immer feuchtfröhlich und man öffnete das Clubhaus für ein „Open House“. Die Frauen waren meistens auch schon da und gesellige Abende fanden ihren Ausklang. Manchmal artete es aus, indem man versuchte, gemeinsam eine Drei-Liter-Flasche Schnaps zu leeren oder Nägel mit bloßer Hand, geschützt lediglich von einem Tuch, in einen Holzblock zu treiben. Blöd nur, wenn man wie Henning den Nagel falsch herum nimmt und sich diesen durch die gesamte Hand haut. Das Gelächter war groß. Eigentlich fanden die Sitzungen anfangs immer im Clubkeller statt, nach dem Bau des Clubhauses, immer im selbigen. Nur wenn es zu kalt wurde und wir für einen Abend nicht das Clubhaus hochheizen wollten, gingen wir in den „Unteren Krug“, ja, wir waren schon damals nachhaltig.
Von zwei Sitzungen, einer in Vinstedt, einer im Krug, möchte ich exemplarisch berichten. Die Sitzung im Krug verhielt sich so, dass an dem Abend einer vorsprechen wollte, der nur einen vollständigen Arm hatte, der andere war hinter dem Ellenbogen weg. Es brach eine kurze Diskussion aus: Kann er nach der Satzung dann überhaupt Motorrad fahren oder nicht? Jeder von uns wusste, es war eine unwichtige Scheindiskussion. Er wurde natürlich aufgenommen und ist noch heute Member, auch da waren wir Vorreiter. Es folgte, was immer kam, ein feuchtes Gelage und am Ende standen einige auf der Theke und tanzten.
Die andere Sitzung war in Vinstedt und „es war Sommer“. Wir saßen draußen und ich hatte den „kleinen Prinzen“ mit, Gismo, kurz Gisi. Gisi war eine französische Bulldogge, die aus einer aufgelösten Qualzucht und somit aus dem Tierschutz stammte und viele Handicaps hatte. Er war der Therapiehund von Bini, die zu der Zeit am Krebs laborierte. Ich saß auf der Holzbank und der Club flegelte vor mir auf dem Rasen, trank Bier und hörte mir leidlich zu, als irgendwer bemerkte: „Wo ist der kleine Prinz?“ Alles schrak auf und die Ersten liefen sofort zur Straße, um diese zu sperren, durften wir ja, auch wenn es eine Kreisstraße war, uns doch egal. Der gesamte Club suchte auf dem Clubgelände diesen Hund, war sich doch jeder der Verantwortung, die eigentlich ich Bini gegenüber hatte, bewusst. Das Gewusel nahm kein Ende und ich sah mich schon im Nirwana, als einer sagte: „Psst! Der kleine Prinz liegt unter der Bank und schläft.“ Alle Member guckten unter die Bank und waren glücklich. Auch so sind Rocker. Bei Kindern und Tieren geht ihr Herz auf, dafür tun sie alles. Der kleine Prinz hat es leider nicht lange geschafft, er ist bei einer notwendigen Operation nicht wieder wach geworden. Er wurde eineinhalb tolle Jahre alt, und als er starb, zog es Bini und mir den Boden unter den Füßen weg. Wir reden noch heute oft von ihm.
Gisi.!
Anders sind Rocker bei Möchtegern-Wichtigtuern mit Designerklamotten, gegelten Haaren, karierten Golfklamotten und Dingen, die die Welt nicht braucht. Da kann es schonmal ernste Worte oder anderes geben. Denn wie ich in den Wald rufe, so schallt es oftmals auch heraus.
Und es war Doc, der mich auf einer dieser Sitzungen bis heute mit am meisten beeindruckt hat. Er hatte keinen Kontakt zur Szene, war uns allen völlig unbekannt und stand trotzdem eines Abends vor dem Clubhaus und wollte bei der Clubsitzung vorsprechen. Er tat dies erfolgreich, waren wir doch alle ein wenig beeindruckt. Er ging seinen Weg, abermals war ich ziemlich baff, als er völlig fertig am Reifen des Anhängers vom Getränketeam eingeschlafen war. Ich weckte ihn nicht, wusste ich doch um seine und des Teams Leistung. Das Getränketeam ist neben der Boncrew und den Zapfern die Lebensader eines Treffens. Unser Ziel war von Anfang an: der Gast ist König und wartet nicht. So wurden Jahr um Jahr die Abläufe optimiert, sinnvolle Anschaffungen gemacht, Umbaumaßnahmen verbessert, um den perfekten Ablauf zu schaffen. Das gelingt sicher nie ganz, da man weder die Menschen noch das Wetter und viele andere Faktoren vorhersehen kann, aber wir wurden besser und besser, das spürten wir auch an der Resonanz der Gäste aller Art. Überraschende Probleme gab es natürlich immer, etwa dass die Schwertsicherung, die Hauptader des gesamten Stroms, rausflog, und der Platz war augenblicklich tot.
Solch eine Sicherung darf nur der Hauptversorger wieder einsetzen. Am Samstagabend völlig undenkbar. Ein Wahnsinniger von uns zog sich einen Lederhandschuh an, irgendwer hatte eine Ersatzsicherung aufgetrieben, er zog die kaputte mit einer Holzzange aus der Halterung und schob die neue Sicherung rein. Er überlebte, der Platz hatte wieder Strom.
Auch wurden mitunter die Wände warm, weil der Strom gezogen wurde wie verrückt, egal ob Zapfanlagen, Beleuchtung oder Bühne. Das Wichtigste neben Getränken und Toilette war der Strom.
So auch schon beim Frühstück. Stuchel und Pauschi hatten vom alten Kreiskrankenhaus vor dessen Abriss eine riesen Kaffeemaschine organisiert und vieles mehr. Die machte hundert Liter Kaffee, aber brauchte auch Energie ohne Ende, den Rest erwähnte ich schon. Aber Regina und Bernd, die irgendwann unser Frühstück übernahmen (Geschichte folgt), feierten die Kaffeemaschine sehr.
Wie unsere Handwerker unter Thorsten das immer alles irgendwie mit dem Strom hinbekommen haben, war schier unglaublich.
Irgendwann kam „Rastenschleifer“, eine regionale Radiosendung, auf uns zu und wollte, dass wir eine Stunde mit Interview und Musik, die wir als CD mitbrachten, „On Air“ gehen. Okay, gesagt, getan. Stuchel und ich sind dann nach Lüneburg ins Studio gefahren und haben das mal gemacht. Das Resultat hörten wir uns alle gemeinsam vor dem Clubhaus an, da der Empfang dort am besten war. Einige Male waren wir als Rocker dort, nunmehr ist der Klosterflecken Ebstorf, dessen Bürgermeister ich bin, im Aufsichtsrat dieses Senders vertreten und hat zwei Sendungen bei „Speakers Corner“ frei, die ich gerne mal hier und mal da vergebe. So klein ist die Welt.
Zum Treffen zurück, Donnerstagabend, wo das ganze Dorf Vinstedt eingeladen war, bis Sonntagmittag standen bis zu vier Doppelzapfanlagen, also acht Fässer im Zelt und drei Bierwagen nicht still.
Sonntagsbrötchen waren Pflicht …
Diese mussten permanent und rund um die Uhr mit Getränken aller Art versorgt werden. Bis fünfzehn Grad werden mehr Mischer getrunken, bis fünfundzwanzig Grad Bier und ab dann kommt Alsterwasser ins Spiel. Also alles musste da sein, mein Job, alles musste gekühlt und verteilt werden, Job vom Getränketeam. Und wenn man weiß, dass bei unserem größten Treffen an drei Tagen hundertzehn Fünfzig-Liter-Fässer getragen, verladen und angezapft werden mussten, und das neben unzähligen Kisten von anderen Getränken, weiß, was diese Jungs geleistet haben – und das immer gut gelaunt.
Einige andere stehen dann lieber an der Bühne und machen Security, gucken böse mit Sonnenbrille, haben wir nie getan …
Sonnenbrille ist Pflicht …
Ganz im Gegenteil. Wir wollten sogar mal einen Kurs in Bösegucken bei Superulf machen, hat nicht geklappt, aber dafür haben Stuchel und ich eine Sambuccaexpertise über das gesamte Wochenende gemacht.
Was war passiert? Es gab eine Party der Dogs MC auf Rügen und der Cats MC feierte davor in Stralsund, tolle Idee.
Das Problem war, dass vorher ein Member von den Dogs erschossen wurde und alle, die dort hinfuhren, sehr gemischte Gefühle hatten, ich auch. Stuchel wollte mit, Superulf sowieso, war er doch ein Dogs Supporter, Culemann und ich. Wir fuhren mit einem Wohnmobil, das heißt, ich holte Stuchel vom Häggar MC ab, die eine Party gaben. Er war zu dem Zeitpunkt leicht bis mittelschwer angetrunken. Er behauptete später steif und fest, wir hätten ihn nach Rügen gebeamt. Das war natürlich nicht so, er schlief selig im Alkoven und wir fuhren dahin. Viele andere Clubs fuhren im großen Tross mit den Dogs mit, bezogen ihre gemieteten Zimmer nicht, drehten die Kutten um, so dass die Embleme nicht zu sehen waren – sie befanden sich ja im Feindesland –, und fuhren heimlich wieder heim. Wir blieben und gingen ein paarmal auf die Partymeile, aber so richtig Stimmung kam nicht auf, überall liefen Clubs mit großen Taschenlampen und anderem rum, alle waren auf „Hab Acht“, auch die Polizei, die überall vor Ort war. Was diese Machtdemonstration gerade dort und nach dem, was geschehen war, sollte, erschließt sich mir bis heute nicht, aber ein Zurückziehen wäre wohl ein Gesichtsverlust gewesen, und das geht wie so oft gar nicht. Kennen wir ja auch aus der Politik derzeit.
Da die Party nicht so toll war, vergnügten wir uns anderweitig, eigentlich die ganze Zeit mit Sambucca. Wir stellten die These auf, dass Sambuca einen von innen plastifiziert und dass man damit gegen alles immun wird. Wissenschaftlich belegen lässt sich das wohl nicht, aber Spaß gemacht hat es trotzdem.
Stuchel
Ja, die Partys der sogenannten großen Clubs waren immer schon ein wenig Schaulaufen gewesen, frei nach dem Motto, sehen und gesehen werden. Aber auch das kennen wir aus Kultur und Politik – und siehe da, wieder eine Parallele.
Während des Rockerkrieges hatte das eine völlig andere Qualität, es machte keinen Spaß mehr, dorthin zu fahren, alles war verkrampft und alle waren erst wieder zufrieden, wenn man in seinem eigenen Beritt war. Auch als Club selber Partys zu veranstalten wurde schwerer. Die Genehmigungen enthielten mehr Auflagen, die Sicherheit musste gewährleistet werden und man wusste nie, ob man nicht Austragungsort von irgendwelchen Auseinandersetzungen wird.
Ich denke, über die Tragweite für die gesamte Szene und die Bevölkerung hat sich von den damaligen Kriegsparteien des sogenannten Rockerkrieges keiner eine Platte gemacht. Aber das kennen wir ja auch von den vielen Kriegen der alten Männer auf der ganzen Welt, die immer die jungen Menschen unter fragwürdigen Mottos ins Feld schicken, aber kein Rückgrat für den ersten Schritt zum Frieden haben, geschweige denn dafür, selber vorneweg zu marschieren. Ekelerregend.
Die Szene hatte ihre eigenen Regeln, aber viele wurden in dem Rockerkrieg ausgedehnt, vernachlässigt oder so gestaltet, wie man es gerade brauchte. Kennen wir auch von woanders, oder? Leider färbt dann so etwas ab. Es gibt auf einmal Clubs, die man noch nie gesehen hatte, mit Rückencolour größer als der Rücken, Fahrgemeinschaften, die wie selbstverständlich MC wurden, keiner wusste warum und Speichellecker und Intriganten allen Ortes. So viel war kaputt gegangen. Die Türsteherszene trug auf einmal dreiteilige Kutten und die Boulevardpresse in ihrer grenzenlosen guten Recherche – Ironie off – schrieb sie in den Rockerkrieg.
Menschen brauchen leider immer Regeln und versuchen diese auch immer im eigenen Interesse zu umgehen. Genau so läuft das mit den Abkürzungen: Keiner geht den vorgeschriebenen Weg, wenn es eine Abkürzung gibt. Egal, ob ich etwas zertrampele oder nicht, ich nehme die Abkürzung.
Und so wurden sehr gute Regeln, die Clubs über Jahrzehnte gelebt und geehrt haben, mit Füßen getreten und die Toilette hinuntergespült. Was sind solche Regeln eigentlich noch wert? Auch im täglichen Leben fragt man sich das dann leider sehr häufig.
Für mich persönlich gilt, solange ich noch Zeit hier auf der Erde habe, möchte ich ein guter Mensch für Tier und Mensch sein, so gut ich es halt kann.
Es gibt Clubs, da dürfen sogar die Member den Präsidenten nicht ansprechen, das erledigt alles der Sergeant at Arms, einer der wichtigsten Offiziere eines Clubs, der die Strafen intern erledigt und für die Sicherheit nach außen zuständig ist. Bei der Armee ist das der Kompaniefeldwebel oder auch Spieß genannt, bei den Parteien ist das der Generalsekretär, huch schon wieder Parallelen.