Rockstars bleiben nicht zum Frühstück (Die Rockstars-Serie 6) - Teresa Sporrer - E-Book

Rockstars bleiben nicht zum Frühstück (Die Rockstars-Serie 6) E-Book

Teresa Sporrer

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Beschreibung

Nur ein Job – denkt sich die britische Musikjournalistin Kristin, als sie die Rockband Empathica interviewen soll. Nur ein Macho – als sie dabei dem Drummer Jack begegnet, ein Mann, dem sie trotz seines unverschämt guten Aussehens nie wieder über den Weg laufen will. Doch als die Band Monate später einen Gitarristen sucht und ihren Bruder aufnimmt, steht sie auf einmal genau dort, wo sie niemals sein wollte. In Jacks Nähe. Und leider ist Jack genau diese Art von Mann, die man einfach nicht vergessen, geschweige denn ignorieren kann… //Alle Bände der romantischen Bestseller-Reihe:  -- Verliebe dich nie als Rockstar (Die Rockstar-Reihe 0)  -- Verliebe dich nie in einen Rockstar (Die Rockstar-Reihe 1)  -- Blind Date mit einem Rockstar (Die Rockstar-Reihe 2)  -- Ein Rockstar kommt selten allein (Die Rockstar-Reihe 3)  -- Rockstar weiblich sucht (Die Rockstar-Reihe 4)  -- Der Rockstar in meinem Bett (Die Rockstar-Reihe 5)  -- Rockstars bleiben nicht zum Frühstück (Die Rockstar-Reihe 6)  -- Rockstars küssen besser (Die Rockstar-Reihe 7)  -- Rockstars kennen kein Ende (Die Rockstar-Reihe 8)  -- Rock'n'Love (Ein Rockstar-Roman)  -- Liebe ist wie ein Rocksong (Die Rockstar-Reihe Spin-off) -- Alles begann mit einem Rocksong (Die Rockstar-Reihe Spin-off) -- Die MEGA Rockstars-E-Box: Band 1–8 der Bestseller-Reihe -- ROCKSTARS. Band 1–3 in einer E-Box -- Berührende Rocksong-Romantik im Sammelband (Die Rockstar-Reihe)//   Die Rockstar-Reihe ist abgeschlossen. Alle Bände der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden und haben ein abgeschlossenes Ende.

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Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2015 Text © Teresa Sporrer, 2015 Lektorat: Susanne Dieminger Umschlagbild: shutterstock.com / © Menna Umschlaggestaltung: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral

Für Corinna,

PROLOG

LONG LIVE KRISTIN

Juli

»Long live the reckless and the brave«, sang ich laut, als ich mich zielstrebig durch New Yorks überaus belebte Straßen bewegte.

Na gut, ich sang nicht nur laut, sondern auch ziemlich falsch, aber ich war keine weltberühmte Sängerin wie Sierra Kusterbeck von der Rockband VersaEmerge oder Natalie Pearce von Empathica.

Ich war nur Kristin Morgan, eine zwanzigjährige – unterbezahlte! Musik-Journalistin, die Musik liebte. Keiner erwartete von mir, dass ich die Töne perfekt traf.

»I don’t think I want to be saved. My song has not been sung. So long live us!«

Am Ende des Chorus sprang ich tatsächlich ein klein wenig in die Höhe, aber nur, weil der Song so mitreißend war! All Time Low hatte es mit »The Reckless and the Brave« geschafft, ein Lied zu verfassen, das man leicht als mein Leben in Lyricsform beschreiben konnte.

»Got a van, got a chance, got my dignity. Got a dream, got a spark, got somewhere to be.«

Scheinbar verstanden mich nicht alle: Ein paar Passanten schüttelten ihren Kopf oder zeigten offen mit dem Finger auf mich, während sie über mich lachten.

Ich senkte mein Haupt, aber lächelte weiterhin. Nach beinahe einundzwanzig Jahren auf dieser Welt war ich es gewohnt, dass die meisten Leute mein Verhalten nicht nachvollziehen konnten.

Ich meine: Wie viele Menschen würden sich die Haare blau färben? Seit ich mit meinem Zwillingsbruder Christian, dem ich aber nicht sehr ähnlich sehe, nach Amerika gezogen war, waren meine Haare blau. »Lagoon Blue«, um genau zu sein.

Und nicht jeder würde das Studium in Oxford schmeißen, um in New York als kleine Musik-Journalistin anzufangen, weil …

Mein Blick blieb an dem Schaufenster eines Klamottenladens hängen. Hinter dem Fenster trugen die Schaufensterpuppen T-Shirts von Vans – und nicht irgendwelche: die angesagten pinken Tops mit dem schwarzen Aufdruck. Ohne nachzudenken eilte ich in den Laden und kaufte das Top – oh, und passende Totenkopf-Ohrringe und … Oh! Die hatten tatsächlich Bandanas und Haarreifen runtergesetzt! War das dahinten etwa ein Adipose-Plüschtier?!

Nach gefühlten zehn Minuten hatte ich meinen spontanen Shopping-Trip beendet und bezahlte mit einem lachenden und einem weinenden Auge meine neusten Errungenschaften. Aus meinem »Nur das Shirt«-Vorsatz waren drei Paar Ohrringe, zwei blaue Bandanas, eine Jack-Skellington-Haarklammer und das Adipose-Plüschie geworden.

»Du interviewst heute deine ersten richtigen Superstars«, rechtfertigte ich meinen Kauf vor mir selbst. »Du darfst dir etwas gönnen!«

Ein Blick auf die Anzeige meines Handys ließ das Blut aus meinem Gesicht weichen. In einer Viertelstunde musste ich im Horizon Hotel sein, um die Rockgruppe Empathica zu interviewen! Von wegen zehn Minuten! Ich hatte fast eine Stunde mit Shoppen verbracht!

Ich tippte die Adresse des Hotels in mein Handy ein, da ich sonst im New Yorker Dschungel verloren gewesen wäre, und rannte wie ein Blitz durch die Stadt. Leider war ich nach zehn Minuten vollkommen erschöpft und musste mich gegen einen Laternenpfahl lehnen. Ich winkte mir ein Taxi heran und stieg ein, allerdings nur, um nach einer Minute Fahrzeit im Stau zu stecken. Mir blieb nichts anderes übrig, als dem Fahrer das Geld hinzuschmeißen und aus dem Taxi zu springen. Die letzten Kilometer zum Horizon sprintete ich – und kollidierte zur Krönung mit der Glasscheibe des Einganges.

Zum Glück war ich nicht Justin Bieber und keiner hatte meine Begegnung mit der Glasscheibe gefilmt.

Mit Kopfschmerzen im Gepäck zeigte ich der Rezeptionistin meinen Ausweis und bekam die Schlüssel für das Stockwerk der Band. Ja, Empathica hatte ein eigenes Stockwerk im Horizon gemietet. Die Band war einfach unvorstellbar reich. Dabei waren sie erst ein gutes Jahr im Geschäft, aber durch Natalie Pearces einmalige Stimme und Brandon Jacksons eigene Kunst des Gitarrenspielens waren sie bereits jetzt Rock-Götter. Dazu kam das einzigartige Auftreten der Band.

Ich versuchte, mir die wichtigsten Punkte über die Band in Erinnerung zu rufen, als ich zum Aufzug taumelte: Natalie Pearce, die Sängerin der Band, war fast genauso alt wie ich. Sie hatte die letzten Monate aus unbekannten Gründen in Österreich verbracht, dem Heimatland ihrer Mutter, und war erst vor wenigen Tagen zurückgekehrt. Mit im Gepäck ihr Freund: Name unbekannt. Neben Natalie würde ich noch Brandon Jackson, den Lead-Gitarristen, interviewen. Der Dreiundzwanzigjährige war wahrlich eine Sünde wert: Er war eine äußerst attraktive Reinkarnation von Kurt Cobain mit kürzeren Haaren, dunklen Augen und gebräunter Haut.

Ich war unglaublich aufgeregt, als ich den weißen Gang entlangschlich und dabei hoffte herauszufinden, wo sich die Band aufhielt. Zu meinem Glück hatte jemand »Wohnzimmer« auf eine Tür gekritzelt.

Ich öffnete die Tür und stieß beinahe mit Natalie zusammen. Innerhalb weniger Sekunden registrierte ich alles von ihr: lange, leicht gelockte schwarze Haare mit blauen Strähnen, blaue Augen, schlank, ungefähr eins sechzig – also ein paar Zentimeter größer als ich. Sie war bis auf ein wenig Mascara ungeschminkt.

Die Sekunden danach verbrachte ich damit, Natalie einzuschätzen. Meinem Gefühl nach war sie eine sympathische Person und, obwohl sie ein Star war, reich und berühmt, nicht abgehoben.

»Sorry, dassichjetztschondabin«, sagte ich ganz atemlos. Ich holte einmal tief Luft und fuhr ein wenig gelassener fort: »Ich wollte zu meinem ersten Interview mit richtigen Stars nicht zu spät kommen.«

Da ich keine Lust hatte, meinem Chef wieder ein Jahr lang Kaffee zu holen und seine Ehefrau in puncto Überstunden anzulügen, wollte ich alles richtig machen. Schließlich war ich zu Höherem geboren!

Als ich mit meinem Bruder nach Amerika ausgewandert war, hatte ich mir die ganze Sache um einiges leichter vorgestellt: Da wir Greencards gewonnen hatten, artete unsere Jobsuche zunächst nicht in Stress aus, aber nach ein paar Monaten, als das Geld immer knapper wurde, mussten wir einfach alles nehmen.

»Okay«, meinte Natalie nur.

Sie drehte sich um. Im Raum standen unter anderem zwei große schwarze Sofas und ein riesiger Tisch. Sie setzte sich zu einem schwarzhaarigen Mädchen mit dunkelbraunen Augen. Zwischen ihr und einem Kerl mit ebenfalls schwarzen Haaren und blauen Augen hockte Brandon mit einer Sonnenbrille auf der Nase. Der Gitarrist war eindeutig betrunken oder tot, wohl eher Ersteres. Er hatte den Kopf ein wenig gesenkt, den Mund offen und ich könnte schwören, dass er leise schnarchte.

Ich ignorierte Brandon.

Er war schließlich auch nur ein Mann, der anscheinend zu viel gekippt hatte und nun seinen Rausch ausschlief. Ich würde nicht einmal erwähnen, dass er betrunken war.

Mich interessierte sowieso viel mehr Name unbekannt, der eindeutig mit dem Mädchen mit den dunkelbraunen Augen verwandt war. Das glaubte ich zumindest. Da ich als kleines Kind immer gern Geschwister miteinander verglichen und Gemeinsamkeiten gesucht hatte, vermutete ich, dass die beiden Geschwister waren.

Ich schob meine rosarote Brille zurück. Mit einem Seufzen ließ ich mich auf die Couch gegenüber fallen und kramte ein Diktiergerät und einen Block aus meiner schwarzen Ledertasche, die ich mit blauen Bändern verziert hatte.

Auf dem Tisch vor mir stapelten sich gut sechs Dutzend Oreo-Kekse. Was war hier nur los?

»Ich komme gleich zur Sache«, verkündete ich und kritzelte einen Smiley auf den Block. »Natalie, was hat dich bewogen, einfach monatelang von der Bildfläche zu verschwinden?«

Ich zog die 08/15-Fragen einfach durch, obwohl mich Name unbekannt, der Natalie eine Hand auf den Rücken gelegt hatte, viel mehr interessierte – oder die zwei Namenlosen, die neben Natalie saßen.

Als ich die ganzen dummen und einfallslosen Fragen, die mir mein Chef vorgegeben hatte, heruntergerattert hatte, wandte ich mich an ihren mysteriösen Freund.

»Ich nehme mal an, dass du Natalies Freund bist. In welcher Band spielst du denn?«

Aufgrund ihres bösen Blicks zuckte ich zusammen. Himmel! Ich machte ihren Kerl doch nicht an! Der Typ sah so … nett aus und jeder, der mich näher kannte, wusste von meiner Schwäche für Bad-Boys.

Name unbekannt drückte Natalie einen Kuss auf den Scheitel, ehe er mir antwortete. »Ich spiele in keiner Band«, sagte er. Das machte mich stutzig.

Er war definitiv kein Promi und kein Typ in einer Band – warum war Natalie dann mit ihm zusammen?

»Er ist nur mein nerviger großer Bruder«, kam es von der Braunäugigen.

Hah! Ich hatte Recht!

»Ich weiß, dass es komisch ist, dass ich das frage, aber kenne ich euch irgendwoher?«

»Nee. Noch nicht«, meinte der Typ, der rechts von Brandon saß. »Ich bin Alex und das ist Zoey, meine Freundin. Wir sind die Vorband auf der Tour. Na gut, wir sind nur ein Teil der Band. Die anderen hängen mit den Typen aus Nats Band ab.«

»Jack und Nigel heißen die beiden«, erinnerte ihn die Sängerin.

Da ich all meine Antworten von Natalie beisammenhatte, wandte ich mich dem Sänger-Pärchen Alex und Zoey zu und quetschte die beiden aus.

Ich hatte mich gerade an die beiden gewöhnt, als zwei weitere unbekannte Gesichter hereinstürmten: ein zierliches Mädchen mit violetten Haaren – wer auch immer sie war, sie hatte eindeutig Stil! – und ein grimmig wirkender Junge mit schwarzer Mähne. Bei ihm fiel mir eine gewisse brüderliche Ähnlichkeit mit Alex ins Auge.

»Ich hole nur meine Kekse«, sagte das Mädchen. »Hey«, begrüßte sie mich mit einem Lächeln, ehe sie alle Kekse in eine Tüte packte. »Fehlt da etwa ein Keks?«

Der eine Oreo-Keks in meinem Magen fühlte sich schwer an.

»Ähm … Hi. Wer seid ihr?«, fragte ich. Meine Neugier war nun einmal angeboren und sicherlich kein Hindernis in meinem Job.

»Ich bin Violet und das ist mein Freund David«, stellte sie sich vor. »Ich bin Natalies Freundin und mein Freund spielt in der Band von meiner Freundin Zoey. Ja, wir sind alle befreundet und ich liebe meine Kekse. Und David.«

Mein Blick ruhte auf ihrem Freund – David. Oh, diese kalte, unberührbare Art von ihm! Ich stand auf diese typischen Bad-Boys. Diese Sorte von Jungs brachte mein Herz jedes Mal zum Schmelzen und zauberte ein Lächeln auf meine Lippen.

Doch leider verließen uns die beiden viel zu schnell.

»Darf ich noch mit den beiden reden?«, fragte ich und deutete auf Natalie und ihren Freund.

Die drei anderen Rockstars machten sich vom Acker. Spätestens jetzt, als Zoey und Alex Brandon aus dem Raum schleiften, wäre es jedem aufgefallen, dass Brandon total dicht war.

»Ein Foto?« Ich zückte mein iPhone und hielt es vor mein Gesicht. »Ich werde nur Gutes über das neue Traumpaar berichten, wenn ich eines bekomme.«

Ich zwinkerte Natalie zu.

»Äh …« Sie wandte sich an Ian. »Wenn es denn sein muss. Was meinst du, Sweetheart?«

Wie es mein Chef verlangt hatte, machte ich ein Kussfoto von den beiden. Die Beförderung war mir so was von sicher. Nie wieder ekligen Kaffee kochen!

»Zucker«, strahlte ich. »Ihr beiden seid echt Zucker! Bleibt ja lange zusammen. Ich will noch viel über euch schreiben und auch über den grimmigen Typen und die mit den violetten Haaren.«

Schnell raffte ich meine Sachen zusammen, verabschiedet mich von dem jungen Glück und verließ das Zimmer. Schließlich hatte ich noch ein Privatleben, das ich jetzt ganz dringend brauchte.

Doch leider verlief ich mich auf dem Stockwerk. War so etwas überhaupt möglich?

Ich kam zum dritten Mal an einer Tür vorbei, auf die »Sexgöttin und Craig« gekritzelt war.

»Das gibt es doch nicht. Ich meine – Umpf!«

Also entweder war ich gegen eine gepolsterte Tür oder gegen einen Menschen gerannt. Ich machte einen Schritt zurück und blickte in schokoladenbraune Augen.

Jack Garcia war einer dieser Kerle, die wussten, dass sie einfach zu gut aussahen: Er war schlank und etwa eins achtzig groß. Seine Haut hatte einen olivfarbenen Teint, der wohl auf seine mexikanischen Wurzeln zurückzuführen war. Wegen meiner Haarfarbe und meiner Größe kam ich mir im Gegensatz zu ihm wie ein Schlumpf vor. Mit herablassendem Blick sah er von oben auf mich herunter. »Du hast drei Sekunden, um mir zu erklären, was du hier machst, ehe ich dich eigenhändig aus dem Hotel werfe. Eins …«

Normalerweise schüchterte mich ein heißer Kerl nicht so schnell ein, aber in seinen braunen Augen lag so viel Feindseligkeit, dass der Wunsch, nach Hause zu rennen und mich unter meiner Bettdecke zu verstecken, von Sekunde zu Sekunde wuchs.

»Zwei …«

»Ich … Reporterin!«, stieß ich hektisch hervor. »Natalie interviewt!«

Ich war mir sicher, dass Jack seine Drohung, mich innerhalb der nächsten Sekunden aus dem Hotel zu werfen, wahr machen würde. Über den Drummer der Band war nicht viel bekannt, aus seiner Vergangenheit so gut wie gar nichts, aber eines war klar: Er war kein angenehmer Zeitgenosse.

Jacks Augen verengten sich zu Schlitzen. »Und warum schleichst du jetzt immer noch herum?«

»Ich habe mich verlaufen …«, gab ich verlegen zu. »Ich habe leider einen extrem schlechten Orientierungssinn.«

»Soll ich dir die Scheiße wirklich abkaufen?«, knurrte er mich an.

»Ich habe mich verdammt noch mal verlaufen!«, schrie ich. »Was du und deine Band hier treiben, ist mir egal! Ich will nur hier raus, verdammt noch mal!«

»Bist du … Britin?«

»Zum Henker, ja! Verdammt noch mal!«

»Jack, lass sie ihn Ruhe!« Plötzlich stand Natalie hinter dem Drummer. »Sie hat mich und die anderen gerade interviewt.«

»Sie hat -«

»Sie hat gar nichts«, unterbrach ihn die Sängerin.

Sie stürmte an ihm vorbei, legte ihre Hand auf meinen Rücken und navigierte mich mit sanftem Druck aus dem Labyrinth – und weg von Jack.

»Danke«, sagte ich, als wir beim Aufzug angekommen waren. »Ich habe wirklich nicht spioniert.«

»Bitte, du musst dich nicht bedanken und ich glaube dir.« Sie lächelte mich freundlich an, bevor sich ein finsterer Ausdruck in ihrem Gesicht breitmachte. »Eigentlich müsste ich mich bei dir entschuldigen. Jack kann manchmal ein richtiges Arschloch sein. Nicht so ein charmantes Arschloch wie Brandon, sondern ein richtiges Arschloch-Arschloch.«

Ich hatte mich doch nicht getäuscht: Natalie war eine sympathische Person, die ihr Status noch nicht irre gemacht hatte. Das Einzige, was ich nicht geahnt hatte, war, dass sie anscheinend zwei Gesichter hatte: ein öffentliches vor uns Journalisten und ihr wahres bei Leuten, denen sie vertraute – oder die von ihrem Drummer bedrängt wurden.

»Nicht schlimm«, sagte ich. »Viele Stars sind Arschlöcher.«

Das war nichts Neues und außerdem interessierte mich Jack nicht.

Mein Freund war sowieso besser!

01. KAPITEL

KRISTIN UND IHRE BÖSEN JUNGS

September

Mein Ex-Freund war so ein Arschloch.

»So ein Arschloch«, wiederholte ich und ließ das Strichmännchen auf meinem Block von einem großen Messer durchbohren, so dass sich blaues Kugelschreiberblut auf dem Papier sammelte.

Nur zu gern hätte ich Jason ein Messer in die Brust gerammt, wie dem Männchen, das ich liebevoll und mit Hass erfüllt Bob getauft hatte, aber leider war Mord nicht legal. Sosehr es mein Ex auch verdient hätte.

Seufzend schob ich meinen Block von dem Musikmagazin, das ich mir vor ein paar Minuten bei einem Kiosk gekauft hatte. Da Jason die Unpünktlichkeit in Person war, musste man mindestens mit einer Verspätung von zwanzig Minuten rechnen und meist noch zusätzlich einen Zeitraum von fünf bis dreißig Minuten einplanen – wenn der Idiot überhaupt kam. Das war nicht einmal sicher.

An meinem einundzwanzigsten Geburtstag vor knapp zwei Wochen hatte ich eine Stunde vor seiner Wohnung auf ihn gewartet. Mein damaliger Freund wollte mich zur Feier des Tages auf ein romantisches Date ausführen. Nachdem es zu regnen angefangen hatte, war ich in seine Wohnung gestürmt und hatte ihn mit Kopfhörern auf dem Bett liegend vorgefunden. Sein einziger Kommentar dazu war: Warum kommst du nicht gleich rein, sondern hinterlässt erst neununddreißig SMS?

Schon komisch … Erst nach dem Ende der Beziehung mit Jason erkannte ich seine Fehler: Unpünktlichkeit, Unzuverlässigkeit – Unzulänglichkeiten aller Art! Der Junge hatte das »Un« vor allen möglichen Eigenschaften eingeführt!

Das einzig Gute an Jason war, dass er einen exzellenten Musikgeschmack hatte – wenn man mal sein gutes Aussehen außen vor ließ. Er war also ein hübscher MP3-Player; nicht mehr und nicht weniger.

Ich lehnte mich mit dem Magazin in den Händen zurück. Bevor ich anfing zu lesen, blickte ich mich um, doch Jason war immer noch nirgends zu sehen. Vielleicht hatte er mich nur verarscht? Ich konnte mir sowieso keinen Reim darauf machen, warum mein Ex mich zu dem Fast-Food-Restaurant bestellt hat, in dem wir uns kennengelernt hatten, außer … Jason wollte mich zurück!

Ich grinste teuflisch vor mich hin.

Als Jason vor einer Woche mit mir Schluss gemacht hatte – per SMS! -, weil in seinem Leben »neben der Musik kein Platz für eine Freundin« war – so seine Worte! –, hatte ich mir überlegt, wie ich es dem Kerl heimzahlen konnte. Nachdem Chris nur dumme und vor allem kindische Vorschläge à la »Hey Kris, du könntest doch einen Haufen Scheiße verpackt in einer Papiertüte vor seiner Tür anzünden, klingeln und dann weglaufen!« eingebracht hatte, hatte ich beschlossen, die Sache ganz anders zu regeln. Und zwar auf Kristin-Art: Ich würde einfach ein paar fiese – und vor allem anonyme – Kommentare über seine geliebte Ein-Mann-Band schreiben. Am besten noch ein paar sexuelle Zweideutigkeiten darüber, wie schwer es ihm fällt, den richtigen O-Ton zu treffen und wie schrecklich müde er nach dem musikalischen Höhepunkt plötzlich war. Und vor allem, dass manchmal das Konzert vor dem Beginn eigentlich schon vorbei war.

Passend dazu schlug ich das Musikmagazin auf und blätterte darin.

Ich arbeitete für Rock-News, ein Magazin, dessen überaus unkreativer Name schon alles sagte und über dessen Tiefe ich nicht weiter sinnieren wollte, da ich mich sonst in Grund und Boden schämen würde. Es war mit den Blättern, die sonst auf dem Markt waren, kaum zu vergleichen. Viele meiner Kollegen schrieben zwar die Storys von bekannten Magazinen ab, dichteten aber meistens einen solchen Schwachsinn dazu, dass keiner die Abschreibarbeit erkannte.

Ich suchte das Magazin – für das ich gerne gearbeitet hätte – nach richtig fiesen Kritiken durch, fand aber nur nette Kommentare über diverse Bands. Lobesrede, Lobeshymne, Lob, Lob, Lob! Überall Lob!

Doch dann entdeckte ich etwas anderes …

Ein kalter Schauer jagte über meinen Rücken, als ich den Artikel über Empathica aufschlug. Kein einziges Musikmagazin berichtete nicht seit Monaten in jeder einzelnen Ausgabe über die Rock-Götter. Selbst unser Blatt druckte in jedem neuen Heft etwas über die vierköpfige Band.

Empathica waren einfach die neuen Linkin Park oder 30 Seconds To Mars mit einem Touch von My Chemical Romance und Paramore.

Ich überflog den Artikel kurz: Er handelte darüber, dass Natalie und ihr Freund Ian ein paar Tage oder Wochen bei ihren Verwandten in Österreich verbringen würden. Das überraschte mich nicht im Geringsten. Die Amerika-Tournee war ein voller Erfolg gewesen und hatte der Band nun den weltweiten Durchbruch verschafft. Es war deshalb nicht weiter erstaunlich, dass Natalie mit ihrem festen Freund ein paar ruhige Tage in der Heimat ihrer Mutter verbringen wollte.

Meine Augen weiteten sich vor Erstaunen, als ich las, dass Brandon angeblich seine beste Freundin begleitet hatte. Ich glaubte ihnen die Sache übrigens, eben dass Natalie und Brandon nur Freunde waren. Die beiden waren miteinander aufgewachsen und deshalb wie Geschwister. Den Blick, den Brandon ihr oft schenkte, hatte ich schon beim ersten Mal eindeutig als den eines »großen Bruders« interpretiert. Christian sah mich auch immer so an.

Ich schweifte schon wieder ab!

Der Grund, warum sich die Härchen auf meinen Armen aufstellten, wenn ich nur Empathica hörte, war natürlich Jack. Seinen bohrenden Blick konnte ich einfach nicht vergessen.

Es waren schon zwei Monate seit unserer Begegnung vergangen, aber ich konnte immer noch diese Wut in seinen dunklen Augen sehen. Warum war er nur so sauer gewesen? Ich hatte mich doch nur im Hotel verlaufen!

Hatte Jack vielleicht etwas zu verheimlichen? Mein Journalistengehirn reimte sich schon alle möglichen Szenarien zusammen. Jack war doch alles zuzutrauen! Er war ein schlimmeres Arschloch als Brandon. Der blonde Rockstar vögelte zwar alles, was ihm gefiel, und er war bekannt für ausschweifende Partygelage. Aber Jack war, wie gesagt, alles zuzutrauen: Ich konnte mir ihn als Assassinen genauso gut vorstellen wie als Drogenbaron und Mädchenhändler.

Er ist Musiker, Kristin!, beruhigte mich meine innere Stimme. Vielleicht hatte er nur einen grauenhaften Tag und war deshalb so drauf.

Mit einem letzten Blick auf Jack, dessen Antlitz mir genau aus der Mitte des Magazins entgegensprang, klappte ich das Heft zu.

Mir war nicht entgangen, dass Jason sich näherte. Er hatte immer noch diesen selbstbewussten Gang, der als perfekter Auslöser funktionierte, dass Frauen sich verzückt auf die Lippen bissen, während sie sich vorstellten, dass er sich im Bett auch so bewegte.

Als er mich entdeckte, formten sich seine vollen Lippen zu einem herrlichen Grinsen.

Verdammt! Warum konnten Kerle nach der Trennung nicht einfach unheimlich unattraktiv werden? Jason war immer noch umwerfend mit seinen blauen Augen, den ungekämmten braunen Haaren und den Bartstoppeln am Kinn.

»Kristin, Darling!«, raunte er mir mit seiner rauchigen Stimme zu.

Als er mir zwei feuchte Küsschen auf die Wangen drückte, stach mir sein Zigarettenqualm wie das Piksen eines Zahnstochers in die Nase. Mit einem entspannten Seufzen ließ er sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen.

Bevor er meine Kritzelei entdeckte, räumte ich mein Zeug in meine Tasche.

»Was gibt es denn?«, fragte ich und versuchte, so nett wie möglich zu klingen. Ich war es nicht gewohnt, dass sich ein Ex nach der Trennung noch mit mir treffen wollte. Hatte ich etwas in seiner Wohnung vergessen? Oder hatte er etwa entdeckt, dass ich die Hälfte seiner CDs zerkratzt hatte?

»Um gleich zur Sache zu kommen«, lächelte Jason. »So kenne ich dich, Kristin.«

Er zog ein weißes Stück Papier aus seiner Jeans und hielt es mir vors Gesicht.

»Was ist das?«, fragte ich und beäugte das Blatt misstrauisch. Wollte er sich mit einem Liebesbrief bei mir entschuldigen?

Ein Liebesbrief! Er hat dir einen romantischen Liebesbrief mit seinem Herzblut verfasst, seufzte meine verträumte Kopfstimme, die mich immer dazu brachte, bei Liebesschnulzen zu heulen – aber erst dann, wenn das Paar glücklich vereint war. Außerdem war diese Stimme auch diejenige, die mir nach der Trennung geraten hatte, mir fünf Staffeln von Gossip Girl nonstop reinzuziehen und so lange Eis zu essen, bis ich am dritten Tag meinen Chef anrufen musste und mich wegen starker Halsschmerzen von der Arbeit entschuldigen ließ. Danach hatte mich Christian mit einer Thermoskanne voller Tee unter einem Stapel meiner geliebten Liebesromane gefunden.

Jason streckte mir den Zettel entgegen.

»Lies«, forderte er mich lächelnd auf, »dann wirst du es verstehen.«

Ich zog – immer noch misstrauisch – eine Augenbraue hoch, aber am Ende gewann meine unbändige Neugier und ich nahm das Papier entgegen.

Dabei vermied ich es jedoch, Jason auch nur ein klein wenig zu berühren.

Man konnte das Papier für eine etwas größere Visitenkarte halten. Ganz oben war das Logo von Empathica. Das, was darunter stand, musste ich fünf Mal lesen, aber ich verstand es dennoch nicht.

»Was soll das denn bitteschön heißen?«, wandte ich mich an meinen Ex.

»Der Manager von Empathica hat mir diese Karte in die Hand gedrückt«, begann Jason aufgeregt zu erzählen. »Ich habe in einem Club gespielt und plötzlich kam dieser Kerl auf mich zu. Zuerst dachte ich, dass dieser alte Sack mich angraben wollte, aber dann zeigte er mir seinen Ausweis und sagte, dass ich als Gitarrist der Band in Frage kommen könnte. Weil ich so gut bin.«

»Hat er gesagt, dass du gut bist?«

»Darling, du weißt, dass ich gut bin. In allem, was ich tue.«

Er lehnte sich mit einem selbstgefälligen Grinsen zurück und sah mich mit seinen blauen Augen an. Ja, der Sex mit Jason war nicht sooo schlecht gewesen und auch Gitarre spielte er ganz gut.

Ich wandte den Blick schnell ab, da ich mich dafür hasste, verliebt in ihn gewesen zu sein. Verliebt in einen Jungen mit wunderschönen blauen Augen, aber einem Charakter, der so viel Wert war wie ein abgekauter Bleistiftstummel.

Ich hasste meine Schwäche für Bad-Boys! Aber ich gab wenigstens zu, dass ich ein Bad-Boy-holic war. Leider hatte ich noch keine Möglichkeit gefunden, davon entwöhnt zu werden. Zum Glück überwand ich aber jedes gebrochene Herz. Ich war darin geübt, meinen Liebeskummer durch eine individuelle Mischung aus Süßkram, Filmen und Romanen innerhalb kürzester Zeit zu überwinden.

Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich schon immer eine Schwäche für die bösen Jungs: Bereits im Kindergarten schwärmte ich für einen Typen, der die anderen Kinder immer mit Sand beworfen hatte. Als ich in der Achten war, ging ich mit Dylan aus. Dylan war dafür bekannt, alles und jeden zu verarschen. Nachdem Schluss war, hatte ich »Arrogantes, affektiertes und snobistisches Arschloch« auf seinen Spind gesprayt – natürlich hatte mir mein Zwillingsbruder dabei geholfen. Da wir Zwillinge immer zusammenhielten, hat bis heute keiner herausgefunden, dass wir im zarten Alter von vierzehn bereits randaliert haben. Das Beste daran war, dass Dylan die ersten drei Worte im Wörterbuch nachschlagen musste. Weiter ging es in der Elften, als ich unsterblich in Kyle verliebt war – der mehrere Freundinnen gleichzeitig hatte.

Das hatte mich zwar wahnsinnig aufgeregt, aber ich war dennoch erst einmal voll in der Beziehung dabei gewesen.

Ja, mein Bad-Boy-Vorstrafenregister war wirklich umfangreich, man hätte es bestimmt ein Jahr lang als Toilettenpapier verwenden können.

»Warum zeigst du mir das?«, fragte ich.

»Ich habe meinen Fehler eingesehen, Darling«, schnurrte er. »Kristin, ich würde dich gerne wiederhaben.« Jason legte seine Hand auf meine und streichelte zärtlich über meine Haut. Ich zuckte ein klein wenig zusammen. »Ich vermisse dich so sehr.«

Während ich in seine Augen blickte, versuchte ich, meinen eingebauten Lügendetektor anzuschmeißen. Die Art, wie er mich ansah und wie bedächtig er die Worte ausgesprochen hatte, ließ mich nur ein wenig daran zweifeln, dass er es ernst meinte.

»Ach, Jason«, seufzte ich abgrundtief und lächelte ihn an. »Ja, ich würde dich auch gerne wiederhaben«, raunte ich ihm zu. Ich beugte mich immer näher zu ihm herüber. Seine Lippen öffneten sich einen kleinen Spaltbreit. »NICHT!«

Natürlich küsste ich Jason nicht.

Ich ließ meinen Kopf gegen seine Stirn knallen und entriss ihm das Papierkärtchen, während er sich wahrscheinlich fragte, ob das Teil eines Vorspiels oder eine Ausuferung meiner Verrücktheit war.

Mit Kopfschmerzen, aber auch mit dem Kärtchen in meinen Händen, rannte ich wie eine Irre durch die shoppenden Leute und drängte mich an jedem, der mir im Weg war, vorbei. Erst als ich in der U-Bahn saß, gestattete ich mir, erleichtert aufzuatmen.

Ich hatte den Zettel! Nur, was machte ich jetzt damit?

02. KAPITEL

KRISTIN UND CHRISTIAN ODER VIDEOGAMES RUINED MY LIFE …

Ich konnte es immer noch nicht fassen!

In meinen Händen hielt ich die Karte für eine bessere Zukunft!

Ich konnte mit Christian vielleicht endlich dem Loch, das wir unser Zuhause nannten, entkommen. Oder noch besser: ohne meinen Zwillingsbruder, da es seltsam war, mit einundzwanzig in einer gemeinsamen Wohnung zu leben.

Aber was war mir nach der Trennung von Jason anderes übrig geblieben? Eine kleine – unterbezahlte! – Musik-Journalistin verdiente nicht genug, um sich damit in einer Stadt wie New York alleine über Wasser zu halten, und meinen Vater wollte ich nicht anbetteln, nachdem ich mein Studium in Oxford abgebrochen hatte. Er war bestimmt immer noch tierisch sauer, da konnten seine Weihnachtspostkarten noch so lustige Cartoon-Weihnachtsmänner und Elche zeigen und er noch so fröhlich klingen, wenn wir miteinander telefonierten.

Lächelnd hievte ich die Einkaufstüten die schmale Treppe zu unserer Wohnung hinauf. Die grauen Wände waren restlos mit Graffiti besprüht und mit Stickern und Postern vollgeklebt. Wenn jemand auf der Suche nach Stripschuppen und ähnlichen Läden war, der musste nur mal bei uns die Treppe raufgehen und die zahllosen Angebote studieren.

Der Lift war natürlich wieder einmal defekt.

Mein Lächeln konnte man mit Sicherheit trotzdem vom Weltall aus noch besser sehen als die chinesische Mauer.

Da niemand bis jetzt nur das Geringste über Empathicas Suche nach einem neuen Gitarristen gebracht hatte, konnte ich mit der brandheißen Story meinem Chef beweisen, dass ich alles andere als ersetzbar war – nur um dann schnell zu einem angeseheneren Blatt zu wechseln.

Mit großer Mühe öffnete ich die Tür, die mit einem großen Poster von Assasin’s Creed und kleineren Stickern von diversen Bands aus dem Kerrang! geschmückt war. Christian hat gemeint, dass ich so immer nach Hause finden würde.

Hahaha! Arschloch.

Ich stellte die zwei Tüten mit Nahrungsmitteln auf den Tisch in der Küche und nahm Chips und Bier gleich einmal mit ins Wohnzimmer. Fürs Einkaufen war der Geschwisterteil zuständig, der im Moment über mehr Geld verfügte, und das war ich, da ich ein paar von Jasons signierten CDs von bekannten Bands mit einem gefälschten Account über eBay versteigert hatte. Ja, meine Rache war digital und grausam.

Mein Zwillingsbruder lag schnarchend im Wohnzimmer.

Zur Orientierung: Es war halb vier am Nachmittag.

Ein Arm baumelte von der Couch, der andere lag quer über seinem Gesicht. Ich fragte mich, wie um alles in der Welt Christian nur so schlafen konnte!

Seufzend betrachtete ich Christians verknittertes weißes Hemd. Er musste in drei Stunden zur Arbeit und verknitterte bereits jetzt seine Arbeitskleidung, weil er bei diesem einen Spiel festhing.

Mein Blick wanderte zu unserem billigen Discount-Flachbildfernseher. Ich betone das »billig« und »Discount« nur, weil wir das Gerät innerhalb der zwei Jahre Garantie schon acht Mal zum Reparieren in den Laden zurückgebracht hatten.

Na gut, das Gerät lief auch rund um die Uhr, da mein Bruder und ich eine Leidenschaft für Videospiele pflegten, seit wir in der Vorschule gemeinsam Pokémon gespielt hatten: Ich hatte die blaue Edition und ein Glurak, Christian die rote Edition und ein Turtok. Und seit diesem Tag waren wir ein Team gewesen. Wir hatten in Resident Evil gemeinsam Zombies abgeschlachtet, in Project Zero Geister exorziert, uns bei Halo immer schön Rückendeckung gegeben und so weiter und so fort.

Unsere Spielesammlung war von allem, was wir besaßen, am teuersten, aber wir würden sie niemals hergeben – auch wenn wir auf der Straße landen würden. Ich würde sogar lieber meine Handtaschen und Schuhe verhökern, als auch nur ein einziges Spiel herzugeben.

Christian hatte bei dem Endgegner von God Of War 3 auf Pause gedrückt. Ohne meinen Bruder zu wecken, nahm ich den Controller, beendete die Pause, und innerhalb von fünf Minuten hatte ich Zeus besiegt und das Finale eingeleitet – ohne mich richtig anzustrengen. Ich hatte das Spiel schon mehrmals ausgespielt, wenn ich nicht einschlafen konnte oder wenn ich über einen Artikel nachgrübelte. Aber auch, wenn ich am liebsten auf etwas einprügeln wollte. Ich hatte mir sogar mal vorgestellt, dass ich auf Jason so lange einprügelte, bis das Blut spritzte.

Im Gegensatz zu dem, was die Medien behaupteten, senkten Killerspiele mein Aggressivitätslevel.

»Du … Das! Kristin, du bist so scheiße!«

Unbeeindruckt drehte ich mich zu meinem fluchenden Bruder um.

Dieser hatte seine liegende Position verlassen und in eine Variante gewechselt, die dem schiefen Turm von Pisa extrem ähnlich sah.

Das Gesicht von Christian war rot, aber nicht vor Wut, sondern vor Frust, weil ich nun einmal viel besser zocken konnte als er. Immer noch fluchend fuhr er sich durch die dunkelbraunen Haare, während er versuchte, Laserstrahlen auf mich zu schießen. Ich wartete darauf, dass, wie bei der einen Folge von Doctor Who, ein Metallding aus seiner Stirn kommen würde und er mich mit einem lauten »ELIMINIEREN!« mit einem Laserstrahl erledigen würde.

Unter seinen grünen Augen lagen dunkle Schatten und er musste sich dringend mal rasieren. Spätestens zur Nachtschicht, denn seine Chefin verlangte tadelloses Aussehen von ihren Mitarbeitern.

Ach ja, ich glaube, dass mein Bruder ein echt heißer Typ ist. Als seine Schwester kann ich so etwas nicht beurteilen, aber da ich heiß bin und wir Zwillinge sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass Christian auch attraktiv ist. Wir hatten uns schließlich bis zu unserem zwölften Lebensjahr – bis zur Pubertät – geähnelt. In der Grundschule hatten wir unsere Lehrer immer damit zum Wahnsinn getrieben, dass wir beide uns die Haare kurz geschnitten und die gleichen Klamotten getragen hatten. Nur durch unsere Stimmen konnte man uns unterscheiden.

»Wenn du Noob nicht einmal Zeus schaffst!«, blaffte ich zurück. »Komm schon! Du musst nur schnell auf die Tasten hämmern! Bei God Of War brauchst du keine Defensive! Hier geht es mehr um Quick-Time-Events!«

Ich hasste es, wenn ich wie ein Nerd redete, aber ich war eben die Zocker-Königin von Oxford. Den Titel hatte ich mir im Studentenwohnheim verdient, nachdem ich bei einer LAN-Party alle bei Counter Strike ausgeschaltet hatte.

Mein Bruder antwortete mit einem Zähneknirschen. »Ich bin müde«, sagte er und fuhr sich erneut durch die halblangen Haare. »Meine Chefin scheucht mich die ganze Zeit herum. Okay, ich bin Kellner, aber muss sie denn so verdammt unfreundlich sein?«

Versöhnlich streckte ich ihm ein Bier hin, während ich mir eine Tüte Chips aufriss und mich mit einem lauten Seufzen neben meinem Bruder auf die Couch fallen ließ.

Vielleicht war seine Chefin auch nur so verdammt unfreundlich, weil Chris in jeder freien Minute Zeit fand, mir eine SMS zu schreiben und darüber zu jammern, wie sehr dieser Job seine Kreativität Stück für Stück abtötete.

Ach, das hatte ich auch wieder ganz vergessen! Ich hatte ein kreatives Talent fürs Schreiben und mein Bruder hatte ein kreatives Talent fürs Musikmachen. Er war Gitarrist, spielte aber in keiner Band. Christian war viel besser als Jason, der in kleinen Clubs immer Auftritte bekam. Ich hatte es Jason auch immer schön reingedrückt, dass er zwar gut war, aber mein Bruder dennoch der beste Gitarrist im Land blieb – um den Spiegel bei Schneewittchen zu zitieren.

»Und, wie war es mit Jason?«, fragte mein Zwillingsbruder. Er nahm sich eine Dose Bier, trank einen Schluck und stellte es mit einem angewiderten Ausdruck zurück auf den Tisch. »Igitt, warm!«

»Das kommt davon, dass ich wegen deinem scheiß Sixpack durch halb New York gefahren bin.«

»Hast du dich wieder verlaufen?«

»Mein Handy-Akku war leer«, schmollte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich war so gut wie orientierungslos. Aber wieder zurück zu Jason …« Ich ließ meine rechte Hand in meine Rocktasche gleiten. »Wenn ich dir etwas … etwas Erstaunliches zeige, schwörst du mir dann, nicht wie ein Fangirl zu kreischen?«

Mein Bruder schnaubte verächtlich. »Ich bin ein Kerl, Kristin. Ich kreische nicht und besonders kreische ich nicht wie ein Fangirl. Du bist diejenige, die damals durchgedreht ist, als sie Matt Smith getroffen hat.«

Na und? Matt Smith war schließlich der elfte Doktor! Ich war Britin und mit der Serie aufgewachsen. Unser Vater hatte sich immer die alten Folgen mit uns angeschaut. Christian war nicht weniger Whovian als ich, nur mochte er Nummer Neun lieber.

Ich gab ihm das Kärtchen.

Er kreischte wie zwei Fangirls, denen Brandon Jackson gerade zugezwinkert hatte. Und ja, ich wusste aus eigenen Erfahrungen, wie sich das anhörte.

Christian war ein Fan von Empathica – wie sollte es denn auch anders sein?

»Weißt du, was da steht?«, fragte er mich ganz aufgeregt.

»Da steht, dass Empathica einen Typen sucht, der Gitarre spielt«, antwortete ich träge und schloss die Augen. »Ja, ich weiß.«

»Wir müssen zu dem Casting oder was auch immer das ist!« Mein Bruder sprang von der Couch auf und fegte mit dem Controller der PlayStation das Bier vom Tisch.

Ich erbleichte schlagartig.

Er wollte mit mir auf dieses seltsame Casting? Er wollte zu … Jack?

»Ich …« Ich wollte Christian nicht anlügen: Er war ein grandioser Gitarrist und vielleicht war er gut genug, um es in die Band zu schaffen. Ihn anzulügen und zu sagen, dass er es niemals schaffen würde, war nicht nur fies und unwahr, es würde ihn auch anstacheln, es erst recht zu versuchen. »Empathica wird überbewertet! Die meisten stehen doch sowieso nur wegen Brandon auf die Band! Und wer sagt denn, dass mich Jason nicht verarschen wollte? Soweit ich weiß, ist Brandon nicht einmal im Land, sollten Nigel und J-Jack …«

Das war es. Mein Bruder bemerkte natürlich mein kleines Stottern, als ich Jacks Namen in den Raum warf. Als ich damals mit dem Interview fertig war, war ich nicht zu Jason gefahren, sondern zu Christian und hatte ihm alles erzählt. Auch wenn Christian nie die richtigen Worte fand, um mich zu trösten oder aufzumuntern, war er mein Zwillingsbruder, und wenn er mich in den Arm nahm – und wenn es nur für den Bruchteil einer Sekunde war – ging es mir ein wenig besser. Das lag wohl an dieser mentalen Verbindung, die Zwillinge zueinander haben, und die mich krank machte, wenn es ihm schlecht ging, die ihn gereizt machte, wenn mich ein Freund verließ, die mich wohl schon im Bauch unserer Mutter angetrieben hatte, dumme Streiche zu spielen.

»Du hast doch nicht immer noch Schiss vor Jack?«

»Nein!«, schrie ich aufgebracht. »Nein, nein, ich …« Ich sank wie ein Soufflé in mich zusammen. »Er macht mir mehr Angst als die Blair Witch und die weinenden Engel zusammen.«

Zur Erklärung: Ich fand, dass Blair Witch Project ein wirklich schlimmer Horrorfilm ist. Er war zwar nicht mit vor Blut und Eiter triefenden Zombies gespickt, aber die Atmosphäre und diese gewisse Ungewissheit ließen mich innerlich frösteln.

Und die weinenden Engel von Doctor Who waren einfach nur zum Fürchten.

»Ich glaube, dass du Jack einfach nur auf dem falschen Fuß erwischt hast«, sagte Chris. »Er hat vielleicht wirklich gedacht, dass du herumschnüffelst. Und wer weiß? Vielleicht hat er tatsächlich etwas Furchtbares zu verbergen? Seine Wikipedia-Seite ist so gut wie leer!«

»Mhmm …«

Christian setzte sich wieder zu mir und legte einen Arm um mich, so dass ich mein Gesicht an seine Schulter schmiegen konnte.

»Lass uns einfach hingehen«, schlug er vor. »Und wenn sie mich nicht nehmen, dann bringst du eine supertolle Story über Empathica. Du hast ja dann einen exklusiven Einblick!«

»Wenn Jack ein Arschloch ist, kannst du ihm dann irgendwie Juckpulver unterjubeln?«

Christian hatte noch jedem Jungen, der mir das Herz gebrochen oder mich verarscht hatte, einen mehr oder weniger fiesen Streich gespielt. Jason zum Beispiel hatte eine sauteure Lieferung Dildos von einer schwedischen Firma bekommen. Natürlich hatte Christian den Lieferanten gespielt und die Ware versehentlich vor den Augen der Nachbarn vor Jason ausgekippt.

Ich war zwar nicht dabei gewesen, aber es gab ein Youtube-Video davon.

»Ich wickle das Horizon in Toilettenpapier ein, okay?«, witzelte er und lächelte mich aufmunternd an.

»Finde ich gut«, stimmte ich zu.

03. KAPITEL

JACK IST IMMER SO EIN GRIESGRAM …

Ein gerader Strich.

Ich versuchte seit Jahren, diesen verdammt waagerechten Strich zu verdrängen, der unweigerlich von einem schrillen Ton begleitet wurde. Doch jedes Mal, wenn ich die Augen nur für einen einzigen Moment schloss, sah ich ihn grün auf schwarz.

The thing I think I love

Will surely bring me pain

Intoxication, paranoia, and a lot of fame

Ich stieß ein lautes Stöhnen aus und wälzte mich auf den Rücken.

Die Decke jedes einzelnen Zimmers des Horizon-Hotels war beinahe so weiß, dass man durch längeres Hinsehen Augenschmerzen und davon dann Kopfschmerzen bekam. Das einzig Gute an diesem Weiß war, dass es mich daran erinnerte, dass ich meine Vergangenheit nun mal komplett hinter mir gelassen hatte. Ich war nicht mehr der Jack Garcia, der ich vor einigen Jahren noch gewesen war, aber trotzdem verfolgten mich noch ein paar hartnäckige Geister aus meinem alten Leben.

Imagine living like a king someday

A single night without a ghost in the walls

Meine Lippen verzogen sich zu einem humorlosen Lächeln. Selbst die Musik, die mir vor einiger Zeit Schutz vor all meinen Problemen geboten hatte, schien sich jetzt lustig über mich zu machen.

Ich bereute es Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag immer mehr, dass ich mich je dafür entschieden hatte, Drummer von Empathica zu werden. Wenn ich nur damals gewusst hätte, dass unsere aus »Spaß« gegründete Band einmal weltberühmt sein würde! Es fiel Gale, unserem Manager, immer schwerer, meine Akten und alle anderen Sachen, die mich und besonders die Band den Kopf kosten könnten, unter Verschluss zu halten. So aufdringlich Paparazzi auch waren, sie waren nichts gegen diese Klatschreporter, die so tief in deinem Privatleben herumstocherten, dass sie selbst bei einer neunzigjährigen Nonne eine Leiche im Keller finden konnten. Und es gab mehr als eine Leiche in meinem Keller.

Ich schluckte schwer.

Natürlich wäre es das Einfachste gewesen, mich schlicht aus der Band zu nehmen und so zu verhindern, dass ich eines Tages den Absturz herausforderte, aber… Aber meine Freunde wollten das nicht.

Freunde … Es fühlte sich immer noch komisch an, die Leute in meiner Band als »Freunde« zu sehen. Ich war in die Band gekommen, als Brandon mich vor einigen Jahren an den Drums im Musikraum der Schule spielen gehört hatte. Dabei muss gesagt werden, dass ich Schlagzeug nie gelernt hatte. Ich spielte nach Gefühl, ganz im Gegensatz zu Nigel oder Brandon, die beide schon Gitarrenkurse besucht hatten.

Und genau das machte mich so gut, sagte Natalie immer.

Die Sängerin unserer Band hatte nie Gesangsunterricht genommen. Sie war mit einer unglaublich ausdrucksstarken und melodischen Stimme geboren worden.

Ich richtete mich im Bett auf und blickte einem rothaarigen Typen in schwarzen Klamotten und mit Sonnenbrille auf der Nase entgegen.

»Auch wieder da, Nigel?«, fragte ich meinen Freund und Bandkollegen, der sich beinahe lautlos in mein Zimmer geschlichen hatte. Aber nur beinahe. Die mannshohen Boxen meiner Anlage waren zwar voll aufgedreht, so dass man den Bass sicherlich auch drei Zimmer weiter spürte, aber trotzdem hatte ich seine störenden Schritte hinter dem Song wahrgenommen.

Nigel drehte die Lautstärke der Anlage herunter.

»Mann, Jack, warum hängst du nicht gleich wie eine Fledermaus kopfüber von der Decke?«, spielte Nigel auf mein überaus feines Gehör an.

Er wartete darauf, dass ich seine Anspielung sarkastisch konterte – wie Brandon normalerweise -, aber ich blieb stumm.

»Was ist das eigentlich für ein Song?«

»Das ist ›King for a day‹ von Pierce The Veil featuring Kellin Quinn von Sleeping With Sirens.«

Ein stummes Fragezeichen breitete sich in Nigels Gesicht aus. Mit dem Musikgenre Post-Hardcore konnte Nigel so viel anfangen wie Brandon mit einem Ehering. Der Ire liebte ältere Bands, am liebsten aus der Rock- und Metal-Szene, wie zum Beispiel Iron Maiden, Kiss, The Rolling Stones und so weiter und so fort. Das freute Brandon wegen seiner Vorliebe zu Grunge und Nirvana und trieb Natalie mit ihrer Vorliebe zu poppigem Punk in den Wahnsinn.

»Post-Hardcore?«, fragte Nigel vorsichtig.

Als ich nickte, breitete sich ein Grinsen in seinem Gesicht aus. »Ich werde immer besser!«

»Ich höre fast nichts anderes«, zerstörte ich seine gute Laune. »Mit der Antwort liegst du zu neunzig Prozent immer richtig.«

»Ach Jacky, du bist schon wieder ein wahrer Sonnenschein«, grummelte der Bassist und steckte seine Designer-Sonnenbrille in die Tasche seiner Lederjacke.

Ein Blick auf seine geröteten Augen gab mir die Antwort, warum er mit einem Tag Verspätung auch wieder im Lande war: Kater. »Du bist einen Tag zu spät«, sagte ich trotzdem. »War es denn …« Ich suchte ein passendes Wort. »Nett?«

»Du kennst ja meine Familie«, gab Nigel spitzbübisch grinsend zurück. »Zuerst regen sie sich auf, dass du schon wieder vor der Tür stehst, und dann lassen sie dich nicht mehr gehen!«

Letztes Jahr hatten Brandon und ich beschlossen, für ein paar Tage nach Irland zu reisen, um mit Nigel seine »legendäre« Familie zu besuchen – und dieser spontane Kurztrip würde mir ewig in Erinnerung bleiben.

Nigels Familie bestand aus seinen beiden Eltern Mary und Tom und seinen vier Brüdern, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern konnte. Es fiel mir schwer, Menschen länger in Erinnerung zu behalten, aber das war eigentlich nicht mein Problem. Ich konnte die meisten gut und gerne wieder vergessen, warum auch nicht?

Ein klein wenig erinnerte mich die rothaarige Großfamilie an die Weasleys aus Harry Potter – ohne Zauberei, dafür aber mit Guiness und Dialekt.

Jedenfalls hatte mir das Wochenende den teuflischsten Kater meines Lebens und ein blaues Auge beschert. An die Pubs, den Alkohol und Nigels streitliebende Brüder musste man sich erst einmal gewöhnen.

»Und was hast du so getrieben?«

Nigel versuchte immer, Konversation zu betreiben.

Er war zwar der »Nice Guy« der Gruppe, aber er bekam trotzdem alle Mädchen ab, die er wollte. Nur nicht die eine, die sich dazu bereit erklären würde, ihr Leben seinem anzupassen.

Bis jetzt hatte es auch nur Natalie geschafft, jemanden zu finden, der so dumm, äh, so unterwürfig war, sein Leben so umzustellen, dass er unsere Gruppe auf der Tour begleitete.

Denn eine Band konnte zwar eine Familie ersetzen, aber nie eine Geliebte oder einen Geliebten.

Ich hatte mir noch keine Ausrede überlegt. »Ähm.«

»Sag nicht, dass du eine ganze Woche lang alleine im Hotel warst!«

Ich hob die Hände. »Dann sag ich es nicht.«

»Mann, Jack«, stöhnte Nigel. »Du bist so … Kaum ist Brandon nicht mehr da, verfällst du wieder in deine Depressionen.«

Was wusste Nigel denn schon von Depressionen? Mit so etwas machte man keinen Spaß!

»Apropos Brandon. Schon was von Goldlöckchen gehört?«, fragte mich Nigel. Er lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Nicht mal die Klatschpresse berichtet etwas von ihm.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nee, aber unsere Bekanntheit in Österreich ist gering, wenn man bedenkt, wie lange Natalie unentdeckt dort drüben leben konnte. Brandon wird die Zeit genießen. Die Clubs unsicher machen und ein paar Mädels flachlegen.«

Ich war ein wenig neidisch auf ihn, aber ich nahm es ihm nicht übel, dass er sich nach all den Jahren harter Arbeit in der Band eine kleine Auszeit nahm. Das Einzige, was richtig mies von Brandon rüberkam, war, dass er einfach nur gesagt hatte, er »müsse der Liebe wegen nach Österreich« – seine eigenen absurden Worte! Ja, klar. Eine plausiblere Lüge war ihm in dem Moment nicht eingefallen? Denn wenn Brandon für eines nicht bekannt war, dann dafür, dass er mit einer Frau eine richtige Beziehung führte. Unser Gitarrist hätte ebenso gut sagen können »Nach Tibet, dem Mönchsein wegen!« oder »Auf nach England, dem guten Tee wegen!« und es wäre genauso lächerlich gewesen wie seine Ausrede mit der Liebe.

Ich war ja der Meinung, dass Brandon an Zoey Kramer, der Sängerin unserer letzten Support-Band, Gefallen gefunden hatte und er zuerst die Beziehung zu ihrem Freund zerstören wollte, damit er sie anschließend verführen konnte.

»Es ist schön, wieder hier zu sein.« Nigel seufzte. »Und natürlich dich wiederzusehen, alter Griesgram.«

Ich schnaubte.

»Wann geht’s denn los?«, fragte ich. Mühsam erhob ich mich aus dem Bett und schnappte mir im Vorbeigehen ein schwarzes Shirt von der Kommode. »Ich will die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen.«

Wir – also die Band – hatten schon vor längerer Zeit beschlossen, endlich einen zweiten Gitarristen einzustellen. Eine Band, die Konzerte gab, brauchte nun einmal einen zweiten Gitarristen!

»Das Ganze wird sowieso ewig dauern.« Nigel seufzte. »Wir müssen mit dem Kerl auch klarkommen. Die meisten Bands trennen sich, weil es untereinander Streitigkeiten gibt oder es einfach nicht passt.«

Mir war nur wichtig, dass der Kerl so wenig wie möglich mit mir zu tun hatte.

»Ich geh noch schnell duschen«, informierte mich Nigel. »Danach können wir uns gleich die Gitarristen ansehen, die Gale für uns an Land gezogen hat.«

Unser Manager Gale hatte es übernommen, uns die möglichen Kandidaten auszusuchen. Er war unvoreingenommen und hatte dennoch einen Sinn für Rockmusik.

Zudem hatte Brandon unsere PA erst vor ein paar Wochen vergrault, weil er fast mit ihr geschlafen hätte.

»Können wir den bekannten Umweg machen? Ich muss noch etwas aufgeben.«

Ich zog einen weißen Umschlag unter dem Kopfkissen hervor.

Nigel sah wie immer neugierig das Kuvert an. Nur eine einzige Person hier wusste, für wen der Scheck war, und das würde so bleiben.

Mein altes Leben existierte nicht mehr.

»Klar.« Mit diesem einen Wort wandte sich Nigel zum Gehen.

Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass Nigel weg war, nahm ich eine weiße Dose aus der Kommode.

Ich schüttete ein paar Tabletten in meine Hand und spülte sie mit einer Cola runter. Die Cola schmeckte grässlich, warm und fad, da sie schon mindestens fünf Tage geöffnet im Zimmer stand, aber sonst würde ich meine »Medizin« nicht herunterbekommen.

Schon vor Monaten hatte ich aufgehört, sie wie vom Arzt vorgeschrieben zu dosieren. Da war … Da war einfach nichts mehr, woran ich die Wirkung überhaupt messen konnte.

Vielleicht besserte sich durch die Pillen etwas – vielleicht auch nicht.

04. KAPITEL

KRISTINS »KLEINES« TRAUMA

»Reiß dich zusammen, Kristin!«, herrschte ich mein Spiegelbild an, das verlegen an dem Ausschnitt seines beziehungsweise meines hellblauen Tank-Tops herumfummelte.

Ich zog den Stoff abwechselnd hoch und wieder runter, aber egal wie ich es hatte, ich fühlte mich gerade unglaublich unwohl in meiner Haut.

Warum hatte ich bloß etwas, wenn auch nur geringfügig, Aufreizendes angezogen?

Denn eines stand fest: Wenn es jemanden gab, vor dem ich meine Weiblichkeit nicht zur Schau stellen wollte, dann war das Jack Garcia. In seiner Nähe wollte ich am liebsten so unscheinbar wie ein Gänseblümchen sein.

»Alles ist in Ordnung«, beruhigte ich mich. »Ich bin ein blaues Gänseblümchen. Alles ist bestens.«

»Kristin …« Christian schüttelte seufzend den Kopf, während er mich beobachtete. »Was machst du da?«

»Nichts«, murmelte ich und wandte mich von dem dunklen Schaufenster ab, in dem ich gerade mein Aussehen überprüft hatte.

Eigentlich hatte ich mich so »unsexy« wie nur irgend möglich für das heutige Treffen mit der Band anziehen wollen, aber als ich in Schlabberjeans und ausgewaschenen You Me at Six-Shirt vor meinem Spiegel stand, hatte ich mich darauf besinnt, dass ich Kristin Morgan war und – verdammt noch mal! Kristin Morgan würde nicht zu einer Vogelscheuche werden.

Nun stand ich in einem schicken blauen Top mit mexikanischem Totenkopf-Muster und einem knappen schwarzen Rock mit Netzstrümpfen als Begleiterin meines Zwillingsbruders in den beinahe verlassenen nächtlichen Straßen von New York. Oh, ich korrigiere mich, in den beinahe verlassenen – kalten! – nächtlichen Straßen von New York.

»Wo mü-hüssen wi-hir jetzt hi-hin?«

Ich rieb meine mit Gänsehaut überzogenen Arme und sprang auf der Stelle, um mich wenigstens ein bisschen zu wärmen.

Auf der Karte hatten sich ein paar Koordinaten befunden, die Chris in seinen billigen iPhone-Abklatsch eingegeben hatte. Die Sache mit dem Casting war schon aufwendig gestaltet worden, wenn man bedachte, dass Empathica nur ein Musikmagazin aufschlagen und auf einen Gitarristen hätte deuten müssen, um diesen zu bekommen.

»Hier lang.«

Christian führte mich in eine Todes-Gasse. An der Gasse an sich war nichts außergewöhnliches, nur hatte ich durch Filme und Serien gelernt, dass Serienmörder, Vergewaltiger und Werwölfe sich am liebsten in Gassen wie dieser aufhielten. Nicht zu vergessen Slenderman, Jeff – The Killer, die andersartige Mickey Mouse und alle anderen Creepypasta-Figuren.

»Gi-hibs zu!«, klapperte ich mit den Zähnen. »Du-hu hast dich total verlauf-hen!«

»Nee, ihr seid hier goldrichtig!«, ertönte eine freundliche Stimme hinter unseren Rücken.

»Wah! Jason Vorhees!«, kreischte ich, worauf Christian genervt seufzte.

Er war schuld an meinem »Verrückten-Serienmörder«-Trauma!

»Eigentlich nennt man mich Nigel O’Callaghan«, grinste der Bassist von Empathica. »Aber falls ich mal mit einer Eishockeymaske und einer Machete rumrenne, kannst du mich gerne Jason nennen.«

Als hätte jemand es absichtlich so eingerichtet, stand Nigel in der Nähe einer Lampe, die an der Backsteinwand des Gebäudes montiert war – und wurde von dieser natürlich hell beleuchtet, während ich eine schlanke und unverkennbare Gestalt in den Schatten hinter ihm ausmachen konnte. Als gehöre er nicht zu dem rothaarigen Bassisten, lehnte Jack an der Wand des Gebäudes. Im Schein der Lampe waren nur ein paar Konturen seines Gesichts zu erkennen.

Kurz trafen sich unsere Blicke und ich befürchtete einen Moment lang, er würde mich wiedererkennen, doch sein Gesichtsausdruck blieb teilnahmslos.

Erleichtert seufzte ich auf.

»Ich nehme mal an, dass du Interesse hast, unser neuer Gitarrist zu werden?«

Nigel deutete auf Christian und den Gitarrenkoffer in seiner Hand.

Zum Glück kreischte Chris nicht schon wieder, sondern schüttelte nur den Kopf.

In Nigels Nähe fühlte ich mich gleich viel wohler. Er hatte ein freundliches Lächeln im sommersprossigen Gesicht und wirkte überhaupt wie das Gegenteil von Jack.

»Nicken, Idiot!«, fauchte ich Christian an.

»Äh … Ja, JA! Ich will euer neuer Gitarrist werden.«