Rohstoff - Das gefährlichste Geschäft der Schweiz -  - E-Book

Rohstoff - Das gefährlichste Geschäft der Schweiz E-Book

4,8

Beschreibung

Mit diesem brisanten Buch durchleuchtet die Erklärung von Bern (EvB) erstmals die Rolle von Schweizer Unternehmen im boomenden Rohstoff-Business und die globale Bedeutung der Rohstoffdrehscheibe Schweiz. Das faktenreiche Referenzwerk berichtet über die Hintergründe und Opfer, erklärt die Funktionsweise des Rohstoffhandels und die Konflikte in den Herkunftsländern, zeigt Alternativen und stellt Forderungen. Diese exklusiv recherchierte Darstellung eines wirtschaftspolitischen Schlüsselthemas des 21. Jahrhunderts aus Schweizer Perspektive wird zu reden geben. "Rohstoff - Das gefährlichste Geschäft der Schweiz" zeichnet ein so umfassendes wie detailliertes Bild einer mächtigen Branche, die zu den größten Globalisierungsgewinnern gehört und deren Geschäfte häufig in riskante Grauzonen führen. Mit Recherchen und Reportagen gräbt die Erklärung von Bern nach den historischen Wurzeln der Handelsdrehscheibe Schweiz, durchleuchtet skandalöse Business-Praktiken und politische Hintergründe, begibt sich in eine Kupfermine in Sambia und porträtiert die wichtigsten Schweizer Firmen und Figuren dieser diskreten Branche. Das Buch zeigt auch, wie die Rohstoff-Deals finanziert und wie Steuern umgangen werden, gibt Einblicke in die sozialen und ökologischen Folgen für die Förderländer und macht Vorschläge für mehr Gerechtigkeit in einem Milliardengeschäft, von dem wir alle abhängig sind.

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ERKLÄRUNG VON BERN (HG.)

ROHSTOFF

DAS GEFÄHRLICHSTE GESCHÄFT DER SCHWEIZ

AUTOREN THOMAS BRAUNSCHWEIG | THOMAS CHAPPOT | OLIVER CLASSEN | FABIAN JUCKER | LORENZ KUMMER | OLIVIER LONGCHAMP | ANDREAS MISSBACH | ALICE ODIOT | URS RYBI

FOTOGRAFIE AUDREY GALLET | MEINRAD SCHADE | U.V.A.

VERLAG

SALIS VERLAG AG, ZÜRICH

[email protected]

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LEKTORAT

OLIVER CLASSEN, ZÜRICH | PATRICK SCHÄR, BASEL

KORREKTORAT

INA SERIF, FREIBURG IM BREISGAU

UMSCHLAG- UND

 

BUCHGESTALTUNG

DANIELA TRUNK, ZUG

SATZ

DANIELA TRUNK, ZUG

 

© 2012, SALIS VERLAG AG, ZÜRICHALLE RECHTE VORBEHALTEN

 

ISBN 978-3-905801-51-4

INHALT

VORWORT

Die unangenehmen Tatsachen

01 EINLEITUNG

Willkommen auf der Rohstoffdrehscheibe Schweiz: »Achtung Schwindelgefahr!«

02 BIG PICTURE

Art und Bedeutung der Rohstoffe im Welthandel

03 ROHSTOFFHANDEL

Instrumente und Mechanismen

04 GESCHICHTE

Heimat der Händler: Der Aufstieg der Schweiz zum Rohstoffhandelszentrum

05 ZUG

Innerschweizer Idyll: Ortstermin im Rich-Country

06 SAMBIA

»Das hier ist Bagdad, einfach ohne Krieg.«

07 GLENCORE

Big, bigger, Glencore: Diskreter Rohstoffriese am Scheideweg

08 XSTRATA

Bergbau Made in Switzerland: Xstrata im »Super Cycle«

09 GOLD

Swiss Goldfinger: Schaurig schönes Konfliktmetall

10 AUF HOHER SEE

Eine »raffinierte« Geschäftsidee: Trafiguras Abfall-Odyssee

11 GENF

Öl-Mekka Genf: Der Jet d‘eau spuckt schwarzes Gold

12 AGRARHANDEL

Soft Commodities: Das blühende Nacherntegeschäft

13 SPEKULATION

Das andere Casino: Risikoreiche Spekulation

14 STEUERVERMEIDUNG

»Transfer pricing« & Co: Fiskalflucht als Geschäftsprinzip

15 GRAUZONEN

Korruption und Konfliktgebiete: Von Kasachgate bis »Oil For Food«

15.1 Sudan und Kongo: Gefahrenzulagen für Opportunisten

15.2 »Kasachgate« oder die Kunst der Korruption

15.3 Usbekische Kinderhände für den globalen Baumwollboom

15.4 UNO im Irak: »Oil for Food« bedeutet »Cash for Saddam«

16 INTERVIEW

»Rohstoffhandel birgt große Risiken für die Schweiz«: Professor Mark Pieth im Gespräch

17 VERTEILUNG

Unkönigliche »Royalties«: Rohstofffluch und Verteilungsfrage

18 ALTERNATIVEN

Ideen und Initiativen: Die dunklen Deals ans Licht holen

19 SCHLUSS

Was tun? Folgerungen und Forderungen

ANHANG

Mitwirkende und Dank

Bilder

Literatur

Endnoten

Firmen- und Organisationenregister

Personenregister

VORWORT

DIE UNANGENEHMEN TATSACHEN

Von Lukas Bärfuss

Tatsachen finden schwer den Weg ins menschliche Bewusstsein. Manchmal, weil sie zu schmerzlich sind. Und manchmal, weil sie unser Bild von der Welt und wie sie zu funktionieren hat zu sehr stören würden. Solche unangenehmen Tatsachen verstecken wir gerne hinter falschen Begriffen.

So reden wir vom »Sonnenuntergang«, obwohl wir seit 500 Jahren, seit Kopernikus, wissen, dass es die Erde ist, die sich um die Sonne dreht. Eigentlich müssten wir vom abendlichen »Erduntergang« sprechen. Wir tun es nicht, weil wir immer noch gekränkt sind, nicht im Zentrum des Universums zu stehen. Und weil es uns erschreckt, dass der Boden, auf dem wir stehen, nicht fest ist und die Erde schwindelerregend schnell durchs All rast.

Wenn also »Sonnenuntergang« unsere Angst und Eitelkeit versteckt – was verhüllen dann »Rohstoffgewinnung« und »Energieproduktion«?

Wer nämlich in der Physikstunde aufgepasst hat, weiß, wie unzutreffend beide Begriffe sind. Aus dem Erhaltungssatz folgt, dass Energie weder produziert noch vernichtet werden kann. Mit der Materie und damit auch den Rohstoffen verhält es sich ebenso. (Auch wenn wir der Genauigkeit halber festhalten müssen, dass wir unter gewissen Umständen Materie erschaffen können – aber nur aus Energie, aus sehr, sehr viel Energie. So viel, wie sie nur in den Teilchenbeschleunigern zur Verfügung steht – dort entsteht aus unvorstellbar viel Energie unvorstellbar wenig Materie.)

Warum verschleiern wir diese Tatsachen durch falsche Begriffe? Warum wollen wir sie nicht wahrhaben?

Der Mathematiker und Ökonom Nicholas Georgescu-Roegen, 1906 in Konstanza, Rumänien, geboren, 1994 in Tennessee, USA, gestorben, wies in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts darauf hin, dass die klassischen ökonomischen Theorien von einer falschen Grundannahme ausgehen.

In der Nachfolge von Adam Smith formten die allermeisten Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ihre Modelle nach dem mechanistischen Weltbild. Mit linearen, gleichförmigen und umkehrbaren Prozessen. Wenn wir den Film eines schwingenden Pendels betrachten, können wir nicht sagen, ob dieser Film vor- oder rückwärts läuft. Und Arbeit lässt sich in Energie und diese wieder in Arbeit umwandeln.

Die Ökonomen folgen diesem Prinzip. Etwa, wenn sie erzählen, dass sich aus einem Rohstoff, zum Beispiel Getreide, ein Produkt herstellen lasse, zum Beispiel Brot, das man verkaufen könne, wodurch man Geld erhalte, mit dem man wiederum Getreide kaufen könne, um Brot herzustellen. Die meisten wirtschaftlichen Konzepte funktionieren wie dieser Kreislauf. Der Konjunkturzyklus zum Beispiel oder die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung im Bruttoinlandprodukt.

Doch es gibt keinen Kreislauf. Nicht in der Wirklichkeit. Das Perpetuum mobile ist physikalisch unmöglich. Diese äußerst unangenehme Tatsache folgt aus dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik und dem daraus abgeleiteten Gesetz der Entropie, dem Maß für die Unordnung in einem System.

Wir Menschen sind auf geringe Entropie angewiesen, nur sie können wir nutzen. Die Ozeane etwa haben ihre immense Wärmeenergie in einer so gigantischen Entropie gespeichert, dass wir selbst mit modernsten technologischen Mitteln nicht über sie verfügen können. Das Problem ist: Geringe Entropie, zum Beispiel in Rohstoffen, ist nicht nur ein knappes, vor allem ist sie ein endliches Gut.

Um niedrige Entropie verfügbar zu machen, sind immer größere Anstrengungen nötig. Die leicht zugänglichen Ölfelder sind ausgebeutet, weshalb man nun in der Tiefsee nach dem schwarzen Gold bohren muss. Der beträchtliche Mehraufwand ist natürlich nicht umsonst und jemand muss für die steigenden Kosten aufkommen. In der Regel sind dies aber nicht die Konsumentinnen und Konsumenten, nicht wir in den entwickelten Ländern. Es sind Menschen wie jene in den Kupferminen von Sambia, die Alice Odiot in ihrer eindrücklichen Reportage »Das hier ist Bagdad, einfach ohne Krieg« beschreibt.

Niedrige Entropie ist so begehrt, dass deswegen alle Gebote der Menschlichkeit vergessen werden. Zum Beispiel im Ostkongo. Dort wütet seit über einem Jahrzehnt ein Krieg. Bilanz: mindestens sechs Millionen Tote, mindestens so viele Vertriebene. Der Kriegsgrund: die Rohstoffe, die dort buchstäblich auf dem Boden liegen. Vor allem das Koltan, ein metallhaltiges Mineral, ohne das weder Computer noch Mobiltelefone funktionieren. Wenn wir für die Kriegstoten und traumatisierten Hinterbliebenen Entschädigungen zahlen müssten, dann würden unsere Handys etliche tausend Franken kosten. Und wer würde sich dann noch jedes Jahr das neueste Modell kaufen – oder besser gesagt, von den Telekommunikationskonzernen schenken lassen?

Aber eine solche Vollkostenrechnung gibt es nicht. Tatsächlich sind die falschen Preise zugleich Ausdruck und einer der Hauptgründe für die anhaltende Ungerechtigkeit auf den Weltmärkten. Auch die verschleiern eine unangenehme Tatsache: dass wir alle von dem in diesem Buch analysierten Rohstofffluch profitieren. Um Abhilfe zu schaffen, müssten Bergbaukonzerne, aber auch Handelshäuser die externen Kosten ihrer Tätigkeit internalisieren und für die sozialen und ökologischen Schäden aufkommen, die sie verursachen. In dieser Hinsicht ist noch viel zu tun. Doch selbst damit hätten wir noch lange keine gerechten Preise.

Denn was ist mit jenen Kosten, die weit in der Zukunft liegen? In seinem Essay »Energy and Economic Myths« von 1975 hat Georgescu-Roegen das Problem drastisch formuliert: »Deshalb müssen wir in der Bioökonomie betonen, dass jeder Cadillac […] weniger Pflüge für zukünftige Generationen und indirekt weniger menschliches Leben in der Zukunft bedeutet.« Wie also und wem verrechnen wir die Rohstoffe, die zukünftigen Generationen nicht mehr zu Verfügung stehen, weil wir ihre niedrige Entropie bereits in hohe überführt haben? Haben jene, die zuerst kommen, also früher geboren wurden, einfach Glück gehabt? Unser mechanistisches Wirtschaftssystem bietet keine Antworten auf diese eminent politischen Fragen, und jene, die Nicholas Georgescu-Roegen gegeben hat, müssen uns nachdenklich stimmen.

Zuerst forderte er die Einstellung jeder Rüstungsproduktion. Dann seien die Entwicklungsländer in einer gemeinsamen Anstrengung auf ein gutes, aber nicht luxuriöses Niveau zu bringen. Das Bevölkerungswachstum müsse so weit beschränkt werden, dass alle Menschen durch ökologischen Landbau ernährt werden können. Dazu sei der Energiekonsum strikt zu regulieren. Ferner müsse sich die Menschheit von der Mode befreien, dieser »Krankheit des menschlichen Geistes«. Es sei ein Wahnsinn, wenn man ein Möbel oder Kleidungsstück wegwerfe, das noch gebraucht werden könne. Und jedes Jahr ein neues Auto zu kaufen oder das Haus aufzumöbeln, so Georgescu-Roegen, sei ein bioökonomisches Verbrechen.

Es ist offensichtlich, dass solche Maßnahmen in eine Ökodiktatur führen könnten, in einen Staat, der die totale Kontrolle über den Einsatz der natürlichen Ressourcen hätte. Eine ungemütliche Vorstellung – und ein weiterer Beleg dafür, dass wir die Ausgestaltung unserer Zukunft nicht den Ökonominnen und Ökonomen überlassen sollten.

Aber ebenso offensichtlich ist, dass viele Menschen im globalen Süden längst in einer solchen Diktatur leben. Mode ist ihnen zwar nicht verboten, aber unerschwinglich, was in der Praxis auf dasselbe hinausläuft. Wegzuwerfen haben sie nichts, weil sie nichts besitzen, nicht einmal ihre eigenen Lebensgrundlagen. Um ein paar Dollars zu verdienen, müssen sie ihre Gesundheit opfern. Sie kennen keine Altersvorsorge, keine Krankenversicherung, keine Ferien.

Viele von ihnen würden zu Georgescu-Roegens Programm begeistert Ja sagen. Denn sie könnten nur gewinnen. Verlierer wären wir in den entwickelten Ländern, zum Beispiel in der Schweiz. Wir sind unter anderem deswegen zu unserem Wohlstand gekommen, weil es Diktaturen und skrupellose Firmen gibt, die uns die billigen Betriebsstoffe lieferten. Unsere Privilegien, Chancengleichheit und Meinungsfreiheit wurden damit erkauft, dass jemand auf diese Privilegien verzichten musste.

Das alles ist bekannt. Die unangenehmen Tatsachen liegen auf dem Tisch – zum Beispiel in Form dieses Buchs über die Rohstoffdrehscheibe Schweiz. Die Frage ist, was wir damit anfangen.

Oft wird behauptet, die Probleme seien kompliziert und eine Lösung kaum zu finden. Doch das ist nicht wahr. Nicht die Probleme sind kompliziert, unsere eigene Verstrickung ist es. Wir wissen, was zu tun wäre, aber wir haben Angst davor. Ohne Not ändern nur die wenigsten ihre Lebensweise. Und deshalb ist es einfacher, die Wirklichkeit zu leugnen und mit falschen Begriffen zu verhüllen. Aber solange wir weiter so tun, als verfügten wir über unendliche Ressourcen, als sei unbeschränktes Wachstum möglich und als dürften Rohstoffkonzerne ganze Länder ausplündern, solange können wir diese Probleme nicht lösen. Nicht die Kriege, die um Rohstoffe geführt werden, nicht die Klimaveränderung, nicht die Umweltverschmutzung durch Erdöl, Bergbau und Radioaktivität und sicher auch nicht die sich verschärfenden politischen Auseinandersetzungen um die gerechte Verteilung der natürlichen Ressourcen.

Georgescu-Roegen war ein Pessimist. Und ein bisschen auch ein Poet. Er glaubte nicht an die Umsetzung seiner Forderungen. Vielleicht, so beschließt er seinen Essay, sei dem Menschengeschlecht eine kurze, hitzige und extravagante statt einer langen, ereignislosen und vegetativen Existenz beschieden. Und dann würden andere Arten ohne spirituelle Ambitionen – Amöben zum Beispiel – unsere Welt erben und im Sonnenlicht baden.

Rohstoffe sind das Blut in den Adern der Weltwirtschaft und von entsprechender strategischer Bedeutung. Kein Wunder, dass die zunehmend

WILLKOMMEN

knapperen natürlichen Ressourcen in den letzten Jahren zu einem immer größeren und umstritteneren Politikum geworden sind.

01

WILLKOMMEN AUF DER ROHSTOFFDREHSCHEIBE SCHWEIZ: »ACHTUNG SCHWINDELGEFAHR!«

Genf, Grand Hotel Kempinski, Ende März 2011. Während die Welt gebannt auf die in Zeitlupe ablaufende Reaktorkatastrophe im Atomkraftwerk Fukushima starrt, trifft sich am schönen Genfersee die Rohstoffbranche zum »Trading Forum«, ihrem jährlichen Stelldichein. Ölhändler und Mercuria-Mitbesitzer Daniel Jaeggi reagiert in seinem Vortrag auf die brennende Aktualität und sinniert, was ein globaler Atomausstieg ihm und den anderen Anwesenden wohl brächte. Weltweit würden zwar nur 5 Prozent der Energie aus Atomkraft stammen, doch das entspräche jährlich immerhin 610 Mio. Tonnen Öl, also 15 Prozent der weltweiten Fördermenge. »I just leave you with that«, schließt Jaeggi lächelnd.

Wo andere nur eine Katastrophe (oder zumindest eine »unangenehme Tatsache«) sehen, sieht der Rohstoffhändler eine »Opportunity«, seine Chance für ein neues, großes und vor allem profitables Geschäft. Erfolgreiche Jäger nach solchen »Business Opportunities« haben die Rohstoffdrehscheibe Schweiz gebaut, angestoßen und innerhalb weniger Jahrzehnte an die Weltspitze gebracht. Als einer der ganz seltenen Schweizer Top-Trader ist Jaeggi aber auch die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Denn es waren – bei den Führungskräften wie bei den Firmen – fast ausnahmslos Migranten, die das kleine Binnenland Schweiz zum größten globalen »Commodity Hub« gemacht haben.

Dennoch gründet diese erstaunliche Erfolgsgeschichte auf etwas Urhelvetischem, dem politischen Opportunismus. Systematisches Abseitsstehen, Wegschauen und Nicht-wissen-Wollen: Verbrämt als »Neutralität« hat die bis 2002 andauernde UNO-Abstinenz in der Schweiz ansässigen Konzernen jede Menge dubiose, aber umso lukrativere Geschäftsgelegenheiten beschert. Den Aufstieg der Rohstoffhandelszentren Zug und Genf ermöglicht hat auch deren äußerst mildes Steuerklima sowie ein gesellschaftlicher Hang zu viel Diskretion und wenig Regulierung und Kontrolle. Kurzum: Die Rohstoffdrehscheibe Schweiz war zwar keineswegs geplant, aber sie ist trotzdem kein Zufall.

Der Rohstoffplatz Schweiz ist groß – schwindelerregend groß. Und er ist explosionsartig gewachsen: Zwischen 1998 und 2010 haben sich die Nettoeinnahmen in diesem Sektor verfünfzehnfacht. Unter den zwölf umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz befinden sich laut Handelszeitung fünf Rohstofffirmen (nach EvB-Recherchen sind es sogar sieben). Bekannt ist über diese verschwiegene Branche, die 2008 etwa gleich viel zum BIP beigetragen hat wie der Traditionsbereich Maschinenbau, trotz ihrer Bedeutung und Gefährlichkeit so gut wie gar nichts. Daran dürfte auch der als »Wendepunkt für die gesamte Rohstoffindustrie« (Financial Times) beschworene Börsengang von Branchenprimus Glencore im Mai 2011 nichts ändern. Dieses Buch leistet deshalb Pionierarbeit und wagt den Versuch, das schnell drehende Schweizer Rohstoffkarussell zwischen zwei Buchdeckel zu bannen.

Rohstoffe sind das Blut in den Adern der Weltwirtschaft und von entsprechender strategischer Bedeutung. Kein Wunder, dass die zunehmend knapperen natürlichen Ressourcen in den letzten Jahren zu einem immer größeren Politikum geworden sind. Stichworte sind Ölpreisboom, Nahrungsmittelkrise, Vertreibungen, Versorgungssicherheit, Preisspekulationen, CO2-Emissionen, Landraub oder Kampf um die Arktis. Angesichts solcher Themenvielfalt vorab, worum es auf den nächsten gut 400 Seiten nicht geht. Zum Beispiel um die Rohstoffe, die in der Schweiz von Industrie und Privaten verbraucht werden. Im Vergleich zum Transithandel – dem Business der Schweizer Rohstoffhändler –, bei dem die Waren gar nie in die Schweiz kommen, ist der Binnenkonsum nämlich völlig vernachlässigbar. Es geht auch nicht um berühmte Markenfirmen wie Nestlé, Shell oder Starbucks. Die haben zwar alle mit Rohstoffhandel zu tun, sind aber primär Großkunden der echten Trader und bleiben deshalb unberücksichtigt. Und die brisante Frage, wie ein Land heute politisch sicherstellt, dass es all die Grundstoffe bekommt, die seine Wirtschaft und Bevölkerung brauchen, wird hier ebenfalls nicht beantwortet.

Thema dieses Buchs sind vielmehr alle Schweizer Firmen (inklusive der »Corporate Immigrants« mit zentralen Aktivitäten in der Schweiz), die entweder im Rohstoffhandel (zum Beispiel Mercuria), der Rohstoffförderung (zum Beispiel Xstrata) oder beidem (zum Beispiel Glencore) tätig sind. Dabei haben wir alle wichtigen Rohstoffgruppen analysiert: Energieträger (vor allem Erdöl und dessen Derivate), Erze und Metalle sowie Agrargüter (»Soft Commodities«). Der weltgrößte unabhängige Erdölhändler Vitol operiert von Genf aus, Glencore ist der dominierende Zuger Rohstoffkoloss mit Schwergewicht Erze und Metalle, und die vier wichtigsten Agrarhandelshäuser haben allesamt bedeutende Tradingfilialen in der Schweiz.

Unser Fokus liegt notgedrungen auf solchen Branchenführern. Die vor allem rund um den Genfersee, vereinzelt aber auch in anderen Kantonen anzutreffenden Nischenplayer werden aus Platzgründen nur am Rande erwähnt. Um Licht ins Dunkel des Rohstoffhandels zu bringen, beleuchten wir firmenübergreifend dessen größere Kontexte und generelle Geschäftspraktiken. Gezeigt wird von der historischen Herkunft über die komplexen Steuertricks und Spekulationsinstrumente bis hin zu einigen konkreten (Aus-)Wirkungsorten alles, was für ein Verständnis dieses vielschichtigen Wirtschaftszweigs wichtig ist.

Motiviert zu diesem Rechercheprojekt hat uns ein Grundwiderspruch, der zwar ein entwicklungspolitischer Allgemeinplatz, deshalb aber nicht weniger skandalös ist: Rohstoffreiche Länder sind und bleiben häufig sehr arm – nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Bodenschätze. Ein Paradebeispiel für diesen Rohstofffluch (»Resource Curse«) ist der Kongo, ein weiteres ist Sambia. Aus beiden Ländern berichten wir. Trotzdem ist dieses Buch keine globale Skandalchronik der Schweizer Rohstoffhändler. Denn unser Hauptinteresse gilt der anderen – unserer – Seite dieser »verfluchten« Gleichung. Hier machen dieselben Rohstoffe nämlich einige Handelskonzerne und ihre Besitzer unermesslich reich. Die Manager* von Glencore etwa verdreifachten ihr Vermögen auf einen Schlag, indem sie ihre Firma 2011 an die Börse brachten. Das flächendeckende Elend ganzer Länder und der Reichtum einiger Top-Trader hängen direkt zusammen. Wie, das zeigt dieses Buch.

*Frauen auf Management- Ebene gibt es nicht nur beim Branchenprimus, sondern im gesamten Sektor so gut wie keine. In diesem Buch herrscht trotzdem geschlechterneutrale Schreibweise vor. Wo – wie hier – mal nur von Männern die Rede ist, müssen sich Frauen also nicht mitgemeint fühlen.

Gefährlich ist das »Commodity Business«, wie es heute in der Schweiz betrieben wird, also generell für alle mit natürlichen Ressourcen gesegneten, zugleich jedoch unter schwachen oder korrupten Regierungen leidenden Länder des globalen Südens. Und ganz konkret für jene Frauen, Männer und Kinder, die im Dreck und Staub der Minen und Förderanlagen leben. Durch Landverbrauch, Wasser- und Luftverschmutzung beeinträchtigen Bergbau, Ölförderung sowie die großflächige industrielle Landwirtschaft die Lebensbedingungen von Millionen Menschen.

Gefährlich ist das häufig Grauzonen ausnutzende Geschäftsmodell der Handelshäuser aber auch für die Schweiz. Korruption, aggressive Steuervermeidung, Spekulationswut und Menschenrechtsverletzungen bergen enorme Reputationsrisiken und sind nach dem Fall des Bankgeheimnisses »unsere nächste offene Flanke« (Tages-Anzeiger). Die Schweiz ist nicht nur ein Steuerparadies, sondern auch eine Transparenz- und Regulierungsoase – und zieht so den Rohstoffhandel an wie der Misthaufen die Fliegen. Zwischen Zugersee und Lac Léman genießen die Rohstoffkonzerne noch Narrenfreiheit, während etwa Länder wie Bolivien sich wehren und fairere Rohstoffrenten einfordern, ihnen in den USA Transparenzpflicht auferlegt wird und die EU die Nahrungsmittelspekulation eindämmen will. Aber die Welt wird auch diesem »Standortvorteil« genannten Schwindel nicht ewig zuschauen.

Der Investoren-Guru George Soros meint, »eine verbesserte Rechenschaftspflicht und Kontrolle [der Rohstoffkonzerne] könnte potenziell Lebensbedingungen, Ökonomien und politische Systeme auf der ganzen Welt verändern«. Und Eva Joly, die Europaabgeordnete und mutige Vorkämpferin gegen Wirtschaftskriminalität, ist überzeugt, dass die Menschheit in 20 Jahren die heutige Verteilung des Reichtums im Rohstoffgeschäft etwa gleich einstufen wird wie wir heute die Sklaverei. Wir teilen deshalb die Devise von Louis Brandeis. Der gegen Korruption und Bankenmacht agierende US-Bundesrichter wusste schon vor 100 Jahren: »Sunlight is the best disinfectant«. Wenn dieses Buch also etwas Sonne auf die Rohstoffdrehscheibe Schweiz scheinen lässt, hat es sein Ziel erreicht.

PS: Im Februar 2012 (und damit nach Erscheinen der Erstauflage dieses Buchs) gaben Glencore und Xstrata ihre Fusionsabsichten bekannt. Durch diese Elefantenhochzeit entstünde der weltweit viertgrößte Bergbaukonzern und zugleich das profitabelste Rohstoffhandelsunternehmen der Welt. Sein Hauptquartier hätte der künftige Koloss weiter im Kanton Zug.

BIG PICTURE

Ein Genfer Ölhändler beschreibt es so: »Mein Metier besteht darin, physische Waren von einem Ort, wo sie die Leute nicht benötigen, an einen Ort zu bringen, wo sie gebraucht werden.« Dabei verwechselt er allerdings – wie viele seiner Kollegen – Bedürfnisse mit Kaufkraft.

02

ART UND BEDEUTUNG DER ROHSTOFFE IM WELTHANDEL

Ohne Rohstoffe geht nichts. Die natürlichen Ressourcen unseres Planeten sind die materielle Grundlage für unsere Wirtschaft und Gesellschaft und liefern den Treibstoff für Wohlstand und Wachstum. Und wir (ver)brauchen immer mehr: Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden mehr Rohstoffe konsumiert als in der gesamten Menschheitsgeschichte davor.1

Diese Betriebsstoffe unserer Zivilisation stammen häufig aus Entwicklungsländern: 59 Prozent der Metalle und Erze (beim Kupfer sogar 71 Prozent), 63 Prozent der Kohle und 64 Prozent des Erdöls.2 Und zunehmend auch aus politisch instabilen Ländern, wie ABB. 1 zeigt. Das sind Staaten ohne funktionierende Umwelt- und Sozialgesetzgebung, die oft von kriegerischen Konflikten geprägt sind. Die Gefahren für Leben und Gesundheit der Menschen, die rund um diese Förderstätten und Produktionsanlagen leben, sind entsprechend groß.

ABB. 1

HERKUNFT DER ROHSTOFFE NACH POLITISCHER STABILITÄT

ROHSTOFFARTEN IM ÜBERBLICK: WAS, WOZU UND FÜR WIE VIEL?

Rohstoffe werden zumeist in drei Sparten eingeteilt. Die Energieträger, die Erze und Metalle (auch »mineralische Rohstoffe« genannt) und die Agrargüter (»Soft Commodities«). Der Bereich der Energieträger ist sehr übersichtlich und umfasst im Wesentlichen Erdöl, Erdgas und Kohle. Bei den mineralischen Rohstoffen ist die Vielfalt schon größer, es dominieren aber die metallischen Rohstoffe Eisen, Nichteisenmetalle wie Zink und die Edelmetalle. Der Agrarsektor schließlich umfasst eine Fülle von Nahrungsmitteln wie Getreide, Genussmittel (etwa Kaffee und Kakao), vielfältig einsetzbare Stoffe wie Zucker und Öle, aber auch Fasern für die Textilproduktion TAB. 1. Im Handel hat der Begriff »Rohstoffe« eine gewisse Unschärfe. In allen Märkten finden sich Stoffe, die genau genommen bereits Zwischenprodukte sind. Bei den Metallen werden sowohl die Gesteinsklumpen (Erze, zum Beispiel Bauxit) als auch die daraus gewonnenen Zwischenprodukte (Tonerde) und zuletzt die reinen Produkte (Aluminium) als »Rohstoffe« gehandelt.

TAB. 1

DAS UNIVERSUM DER WICHTIGSTEN GEHANDELTEN ROHSTOFFE

Zu den industriell besonders wichtigen Metallen (Industriemetallen) gehören neben Eisen auch zahlreiche Nichteisenmetalle TAB. 2. Da die Schweiz für den Handel mit den für die Elektronikbranche wichtigen Seltenen Erden keine bedeutende Rolle spielt, wird hier nicht auf diese eingegangen.

TAB. 2

WICHTIGE INDUSTRIEMETALLE UND IHRE VERWENDUNG

Ob Baumwolle oder Blei, all diesen sehr unterschiedlichen Rohstoffen ist eines gemeinsam: Seit der Jahrtausendwende sind ihre Preise dramatisch gestiegen. Allein das schon erklärt die aktuelle Brisanz und Relevanz der Rohstoffthematik. Nach der Finanzkrise erfolgte 2008 zwar ein heftiger Einbruch, doch Metalle und Agrargüter haben ihre vorherigen Höchststände inzwischen längst überholt ABB. 2.

ROHSTOFFHANDEL: EINE LUKRATIVE NOTWENDIGKEIT

Während manche Erdteile über reichhaltige Bodenschätze verfügen, sind andere praktisch vollständig von Importen abhängig. Wie unterschiedlich die weltweite Verteilung von Rohstoffen, aber auch deren Konsum ist, zeigt sich exemplarisch beim Erdöl. Ein Mensch verbrauchte 2010 im globalen Durchschnitt fünf Fässer Öl ABB. 3. Während der mittlere Osten 43 Fässer pro Person und Jahr fördern kann und damit riesige Überschüsse produziert, kommt aus Asiens Boden zurzeit nur gerade ein Fass pro Kopf. Handel schafft hier den notwendigen globalen Ausgleich.

Aus dieser Tatsache bezieht die Tradingbranche ihr öffentliches Selbstverständnis. Daniel Jaeggi, Vizepräsident und Head of Global Trading des Genfer Ölhändlers Mercuria, beschreibt es so: »Mein Metier besteht darin, physische Waren von einem Ort, wo sie die Leute nicht benötigen, an einen Ort zu bringen, wo sie gebraucht werden.«3 Dabei verwechselt er allerdings – wie viele seiner Kollegen – Bedürfnisse mit Kaufkraft. Denn es liegt wohl kaum an den fehlenden Bedürfnissen, dass in Afrika von (bescheidenen) vier geförderten Fass Öl pro Kopf nur eines selbst verbraucht wird und der Rest verkauft werden muss. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Nordamerikanerin verbraucht ihre 14 produzierten Fässer selbst und kauft sich aus dem Ausland (unter anderem Afrika) noch acht dazu.

ABB. 2

PREISENTWICKLUNG NACH ROHSTOFFGRUPPEN 2000 BIS 2011

ABB. 3

ERDÖLFÖRDERUNG UND -VERBRAUCH PRO KOPF

NACH REGIONEN 2010

Ein Teil der Rohstoffe wird zwar direkt im Herkunftsland verbraucht, es steht aber außer Frage, dass praktisch immer ein gewichtiger Anteil in den Welthandel gelangt. Und der wird heute durch das sogenannte »Commodity Trading« dominiert: In Dollar machen die Rohstoffe rund ein Viertel des gesamten Welthandelsvolumens aus ABB. 4.

Gar noch größer ist die Bedeutung der Rohstoffe im Welthandel, wenn nicht der Wert, sondern das Gewicht betrachtet wird. Denn Rohstoffe sind pro Tonne natürlich viel billiger als fertige Produkte. Da 80 bis 90 Prozent des Welthandels auf dem Seeweg voll zogen werden, erlauben Statistiken über den internationalen Seefrachtverkehr interessante Einblicke.4 Ungefähr 70 Prozent der Schiffe bewegen Rohstoffe. Darunter fallen etwa Öltanker oder Massengutfrachter mit Metallen, Kohle oder Weizen an Bord ABB. 5. Demgegenüber bestreiten die bunten Schiffscontainer, die primär dem Transport von Endprodukten dienen und das Symbol des globalisierten Welthandels sind, gewichtsmäßig lediglich 14 Prozent des Welthandels. Bezüglich der bewegten Masse sind also sogar rund zwei Drittel des Welthandels Rohstoffhandel.

»Oil is king«: Wertmäßig macht das schwarze Gold ziemlich genau die Hälfte aller Rohstoffexporte aus. Mit Erdgas und Kohle steigt der Anteil der Energieträger am Gesamtrohstoffexport gar auf knapp 60 Prozent ABB. 6. Der Rest sind Ausfuhren von mineralischen (20%) und landwirtschaftlichen Rohstoffen (20%).

ABB. 4

ANTEIL DES ROHSTOFFHANDELS AM WELTHANDEL 2009

(MONETÄR)

ABB. 5

ANTEIL DES ROHSTOFFHANDELS AM WELTHANDEL 2009

(GEWICHT)

ABB. 6

ROHSTOFFMARKT NACH MARKTANTEILEN

(MONETÄRE ANTEILE AN WELTEXPORTEN)

»LITTLE BIG SWITZERLAND« ALS TABELLENFÜHRERIN

Angesichts ihrer globalen Dominanz erstaunt es wenig, dass die fossilen Energieträger auch die Rohstoffdrehscheibe Schweiz prägen. TAB. 3 gibt einen Überblick über die zwischen Genfer- und Bodensee gehandelten Rohstoffe und die wichtigsten Firmen, auf die in diesem Buch näher eingegangen wird.

TAB. 3

MÄRKTE DER WICHTIGSTEN SCHWEIZER ROHSTOFFFIRMEN

Wichtige Rohstoffdrehscheiben befinden sich sowohl in Asien, Europa als auch in Nordamerika ABB. 7. Der Handelsplatz Amsterdam verfügt mit Rotterdam über Europas größten Hafen, Houston über riesige Ölraffinerien und Tanklager, Chicago und Hong Kong über wichtige Börsen. Die Schweiz hingegen besitzt nichts, was das kleine Binnenland zum Handelszentrum prädestinieren würde, hat sich aber trotzdem zu einem der Mittelpunkte der Rohstoffbranche entwickelt. Traditionell wichtig ist der Kanton Zug. In den Kantonen Zürich und Luzern sitzen ebenfalls wichtige Akteure. Das dynamischste Pflaster ist jedoch derzeit eindeutig Genf, das die Liga der globalen »Commodity Hubs« anführt.

ABB. 7

GLOBALE ROHSTOFF-HUBS

Laut der Branchenorganisation Geneva Trading and Shipping Association (GTSA) KAP. 11 hat Genf nicht nur London als die wichtigste Ölhandelsstadt abgelöst, auch beim Handel von Getreide und Kaffee sitzen die Branchenschwergewichte am Ufer des Genfersees KAP. 12. ABB. 8 zeigt die hier abgewickelten Handelsanteile.

Inwieweit diese GTSA-Zahlen dem Lobbying und Standortmarketing dienen oder auf fundierten Daten basieren, ist schwer zu beurteilen. Die anderen Rohstoffszenen, namentlich Zug, sind hier noch nicht einmal miteingeschlossen. Sie sorgen vor allem bei Metallen und Kohle für bedeutende Marktanteile der Schweizer Händler.

ABB. 8

MARKTANTEILE DER GENFER ROHSTOFFHÄNDLER

SMARTES MODELL: TRANSITHANDEL OHNE TRANSITVERKEHR

Sicher ist: Der über die Schweiz laufende Rohstoffhandel übersteigt den Schweizer Verbrauch um das x-Fache. Würde beispielsweise das genannte Jahreshandelsvolumen an Öl innerhalb der Landesgrenzen verbleiben, wäre der nationale Verbrauch für ganze 75 Jahre gedeckt. Und selbst wenn alle Lastwagen auf der Gotthard-Route nur noch Öl transportieren würden, könnten lediglich 5 Prozent des hier gehandelten Öls über die Alpen gebracht werden. Kein Wunder also, dass hier seit jeher sogenannter Transithandel betrieben wird. Aus Schweizer Büros werden zwar Verträge geschlossen, Waren disponiert und Schiffe gechartert, doch die Güter berühren – außer beim Sonderfall Gold KAP. 9 – nie Schweizer Boden. Die Rohstoffe werden zum Beispiel aus einer afrikanischen Mine über den Land- und Meerweg direkt in eine europäische Metallschmelzerei dirigiert.

Damit entwischen diese Warenflüsse praktischerweise der offiziellen Statistik der Eidgenössischen Zollverwaltung – ein Grund für die notorische Intransparenz der Branche. Über einen Umweg lassen sich dennoch Daten finden, denn die Schweizerische Nationalbank (SNB) erfasst den Transithandel als Dienstleistungsexport. Als Transithandel gelten alle Geschäfte, bei denen Schweizer Unternehmen Waren im Ausland einkaufen und danach direkt und unverändert wieder an Abnehmer im Ausland verkaufen. Nicht erfasst wird etwa Rohöl, das vor dem Weiterverkauf raffiniert wird. Schweizer Transithandel ist zum allergrößten Teil (2009 zu 94 Prozent) Rohstoffhandel.6

Die SNB-Daten bieten kein vollständiges und exaktes Bild, aber doch einen guten Näherungswert. Und der bringt Erstaunliches zum Vorschein: Grafisch beschreibt der Schweizer Transithandel seit 1998 eine steile Kurve nach oben. Auch die SNB führt diese fast exponentielle Zunahme primär auf den Zuzug von Rohstoffhandelsfirmen zurück. Zudem sind die bereits ansässigen Unternehmen massiv gewachsen. Diese bisher kaum beachteten Daten belegen somit das enorme Wachstum der Rohstoffhandelsbranche in der Schweiz ABB. 9.

ABB. 9

ENTWICKLUNG TRANSITHANDEL 1950 BIS 2010

(NETTOEINNAHMEN*)

ABB. 10

WARENGRUPPEN-ANTEILE AM TRANSITHANDEL 2009

(BRUTTOEINNAHMEN)

Die Angaben der Nationalbank geben auch Aufschluss darüber, in welchen Bereichen diese Firmen ihre Umsätze generieren ABB. 10.7 Der Energiesektor ist mit Abstand ihr stärkstes Pferd im Stall. Sein Schweizer Anteil ist sogar noch etwas größer als jener im gesamten Welthandel.

Noch ein Wort zur volkswirtschaftlichen Relevanz: 2008 leistete der Rohstoffhandel etwa gleich viel ans Bruttoinlandprodukt (BIP) wie die Maschinenindustrie, nämlich rund 2 Prozent. Dort arbeiteten allerdings 95 000 Personen, während es bei den Rohstoffhändlern nicht mal ein Zehntel so viele sein dürften. Mittlerweile hat der Rohstoffhandel weiter zugelegt und trug 2010 bereits 3 Prozent zum BIP bei. Die Branche ist also beschäftigungsarm, dafür aber umso umsatzstärker. Letzteres liegt auch daran, dass dieses Geschäft traditionell relativ niedrige Bruttomargen von wenigen Prozenten hat und seine hohen Gewinne erst durch die enormen Volumina erzielt. Dies zeigt sich im Umsatz: 2009 lag dieser für die gesamte Branche allein im Transithandel bei 480 Mrd. Franken.8 Hinzu kommen die nicht in der SNB-Statistik erfassten Transaktionen. In Medienberichten werden allein für die Region Genf 700 bis 800 Mrd. Jahresumsatz genannt.9 Am globalen Rohstoffhandel, einem gigantischen Business von 3000 Mrd. Franken, haben die in der Schweiz tätigen Unternehmen somit einen Anteil von 15 bis 25 Prozent, Tendenz stark steigend.

ZWISCHENFAZIT

Die Menschheit verbraucht immer mehr Rohstoffe und diese werden zu einem großen Teil international gehandelt. Wie stark der Welthandel vom Rohstoffhandel geprägt ist, zeigt die Tatsache, dass inzwischen jeder vierte Dollar dort umgesetzt wird. Und zwei von drei durchschnittlichen Frachtschiffen transportieren heute Rohstoffe. Der Umsatz dieses Multimilliarden-Business hat sich global zwischen 1998 und 2009, angetrieben durch steigende Rohstoffpreise, wertmäßig schon mehr als verdreifacht.10 In der Schweiz hat sich der Markt im gleichen Zeitraum gar verfünfzehnfacht. Am Genfer- und am Zugersee stehen heute die globalen Hauptbühnen dieses Geschäfts – beide freilich hinter verschlossenem Vorhang.

Ein Trader erzählt gern vom Pech der Fernfahrer, die mühevoll eine Tankladung kasachisches Erdöl durch Afghanistan transportierten. Losgefahren waren sie auf dem Höhepunkt der Ölpreis-Hausse.

ROHSTOFFHANDEL

Als sie eine Woche später ihren Bestimmungsort erreichten, war dasselbe Fass noch die Hälfte wert und ihre Reise ein finanzielles Desaster.

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ROHSTOFFHANDEL: INSTRUMENTE UND MECHANISMEN

Der Rohstoffhandel ist ein komplexes Gebilde ineinander verschachtelter Abläufe und miteinander verbandelter Akteure und umfasst ganz verschiedene Phänomene. Unterscheiden lässt sich zunächst einmal der Binnenhandel vom Welthandel ABB. 1. Bei Rohöl beispielsweise entspricht das gesamte Handelsvolumen knapp der Hälfte der globalen Fördermenge. Bei Kohle hingegen ist es nur ein Achtel, denn China fördert und verbraucht alleine fast die Hälfte. Konzerninterner Handel wiederum liegt vor, wenn etwa Shell Nigeria an Shell Schweiz liefert. Diese Form nimmt nach Schätzungen von Fachleuten einen sehr großen Stellenwert ein. Viele Rohstoffdeals werden auch direkt zwischen Regierungen abgeschlossen, allenfalls unter Einbezug einer ausführenden Firma. Darunter fallen die sogenannten »Barter-Trades«, die auf einem Gegen- oder Tauschgeschäft basieren, zum Beispiel Öl gegen Cashewnüsse oder Rüstungsgüter. So lässt sich grundsätzlich alles handeln, was den Vertragsparteien nützt und gefällt.

Quantitativ ungleich wichtiger ist der »freie Rohstoffmarkt«. Auf diesem können Rohstoffe grundsätzlich auf zwei Wegen zu ihren Endverbrauchern in der Industrie gelangen. Einerseits, indem sie über Rohstoffbörsen verkauft werden, andererseits durch den »Direktverkauf« einer Rohstoffhandelsfirma. Dies ist das primäre Geschäftsfeld der in der Schweiz tätigen Handelsfirmen und steht deshalb im Fokus dieses Buchs.

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ÜBERSICHT: ARTEN DES ROHSTOFFHANDELS UND BUCHFOKUS

Ganz gleich, auf welcher Route die Rohstoffe zu ihren Käufern gelangen, und unabhängig davon, ob es sich um eine Ladung Kaffee, Kupfer oder Erdöl handelt: Physischer Rohstoffhandel beinhaltet den Transport einer Fracht, in der Regel per Schiff. Handelshäuser sind also immer auch Logistikunternehmen. Ihr Kerngeschäft besteht darin, den Rohstoff zu kaufen, ihn von A nach B zu verschiffen und teurer weiterzuverkaufen, um so die Geschäftskosten zu decken und einen Gewinn zu erzielen.

Das direkte Geschäft zwischen Rohstoffhändler und Industriekunde besteht einerseits aus Geschäften mit langfristigen Abnahmeverträgen als traditioneller Variante des Rohstoffhandels und andererseits aus Deals auf dem Spotmarkt. Der Begriff kommt vom englischen »on the spot«, zu Deutsch »sofort«. Als Spotmarkt werden alle Verkäufe bezeichnet, die zu rasch schwankenden Marktpreisen und mit kurzen Lieferfristen erfolgen. Platts, ein renommierter Datenservice des Rohstoffmarkts, meint, dass bei Rohstoffen heute immer noch neun Mal mehr langfristige als Spotgeschäfte abgeschlossen werden. Schätzungen für den Ölmarkt deuten auf rund 30 Prozent Spotmarktanteil hin. Bei Erdgas, das für den Schiffstransport verflüssigt wird, sollen es 20 Prozent des Produktionsvolumens sein.

BRENT-ROHÖL UND CHICAGOER SCHWEINEBÄUCHE: PHYSISCHER BÖRSENHANDEL

Ein anderer Teil des Rohstoffhandels erfolgt an der Börse. Großverbraucher und Großproduzenten kaufen und verkaufen dort direkt oder über Finanzintermediäre beispielsweise Weizen, Erdöl oder Aluminium zu einem Preis, der im Augenblick der Transaktion an einem bestimmten Referenzort gilt. Für Rohöl etwa sind die drei wichtigsten Handelsplätze die NYMEX (New York Mercantile Exchange), die ICE Futures (Intercontinental Exchange) in London sowie der Markt in Singapur, wo die Barrels (Standardfässer zu 159 Liter) aus der Gegend um Dubai gehandelt werden. Dabei fokussiert jeder Handelsplatz auf seine spezielle Ölsorte. So wird an der NYMEX das sogenannte »Texas Light Sweet« ge- und verkauft. Der Preis dieser Standardsorte wird in Cushing gemacht, einer kleinen Stadt in Oklahoma, wo die meisten großen US-Ölgesellschaften (Majors) gigantische und energiepolitisch strategische Öltankanlagen unterhalten. An der ICE hingegen wird traditionell das sogenannte »Brent«-Rohöl aus der Nordsee gehandelt und in Singapur »Dubai Light«. Hauptakteure auf all diesen Märkten sind die amerikanischen Majors, die jeweils über ihre Handelsgesellschaften oder Tochterunternehmen tätig sind.

Andere weltweite Rohstoffbörsen sind die LME (London Metal Exchange) für Metalle oder der London Bullion Market für Gold und Silber. An der NYMEX werden neben Öl auch Metalle gehandelt. An der ICE finden gleichzeitig auch Transaktionen mit Gas, Steinkohle und Strom statt. Agrarprodukte werden in Europa an der EURONEXT gehandelt. Dominant in diesem Bereich ist aber die Börse von Chicago, die einerseits auf Getreide spezialisiert ist, über die aber auch so unterschiedliche Waren wie Orangensaftkonzentrat oder die legendären »Schweinebäuche« laufen.

HEDGING VS. SPEKULATION: DER ROHSTOFFPAPIERHANDEL

Historisch haben sich diese Börsen als materielle und monetäre Herzkammern im globalen Rohstoffkreislauf entwickelt. Die dort entstehenden Spotpreise werden entsprechend immer noch als Referenzwerte betrachtet, obwohl an den Rohstoffbörsen (oder spezialisierten Derivatebörsen) heute wertmäßig nicht mehr der physische, sondern der Papierhandel dominiert. Schätzungen zufolge wird etwa im Erdölhandel zehn bis fünfzehn Mal mehr »Paper Barrel« als »Wet Barrel« (physisches Öl) gehandelt. Und Nickel wurde 2006 an der LME 30 Mal häufiger auf Papier als real ge- und verkauft. Die wichtigsten Instrumente des Papierhandels zeigt TAB. 1.

TAB. 1

INSTRUMENTE DES PAPIERHANDELS

Termingeschäfte sind für Rohstoffhändler unerlässliche Instrumente, um sich gegen starke Preisschwankungen abzusichern. Ein Trader von Vitol erzählt gern vom Pech der Fernfahrer, die mühevoll eine Tankladung kasachisches Erdöl durch Afghanistan transportierten. Losgefahren waren sie 2008 auf dem Höhepunkt der Ölpreis-Hausse, als der Barrelpreis bei 140 Dollar lag. Als sie eine Woche später ihren Bestimmungsort erreichten, war dasselbe Fass noch die Hälfte wert und ihre Reise ein finanzielles Desaster. Wenn eine ganze Supertankerladung von solchen Schwankungen betroffen ist, kann das ein kleineres Handelsunternehmen in den Konkurs treiben. Um dieses Risiko zu verringern, machen Händler »Hedging«-Geschäfte. Der Begriff kommt vom englischen »hedge« für Hecke und meint also ganz wörtlich eine Eingrenzung (sprachlich dieselben Wurzeln haben Hedgefonds, die aber etwas ganz anderes sind, nämlich unregulierte Anlagefonds). Beim Hedging zur Preisabsicherung macht der Händler einen zum realen Geschäft gegenläufigen Termindeal. Er gewinnt somit entweder im realen Handel (zum Beispiel bei steigenden Preisen) oder beim Termingeschäft (bei fallenden Preisen). So versucht er, den Gesamtgewinn aus beiden Geschäften in einer bestimmten Bandbreite zu halten.

Im Papierhandel gibt es also zwei Akteursgruppen, die sich prinzipiell voneinander unterscheiden. Da sind einerseits die Käufer und Verkäufer physischer Rohstoffe (»Commercial Actors«), die sich primär durch Hedging gegen Preisschwankungen absichern wollen. Andererseits gibt es diverse Finanzakteure wie Banken oder Hedgefonds (»Noncommercial Actors«), denen es einzig um die Profite geht, die sie mit der Spekulation auf den Warenterminmärkten machen können. Die begriffliche Differenzierung dieser beiden Marktteilnehmer ist zwar einfach und klar. In der Praxis lässt sich ein Future, der zum Hedging gebraucht wird, von einem spekulativen Future aber nicht unterscheiden. Den Unterschied macht einzig die Motivation der Akteure. Und schlimmer noch, der Übergang von der Absicherung zur Spekulation ist fließend. Glencore etwa schreibt, dass man Ölgeschäfte mit »Paper Transactions« absichere, aber auch spekuliere (»taking increasing exposures«).1 Etwas steht dennoch fest: Der überwiegende Teil des Warenterminhandels ist reine Finanzspekulation. Unbestritten ist auch, dass sich die Struktur der Rohstoffmärkte durch den gestiegenen Einfluss der Finanzakteure in den vergangenen Jahren stark verändert hat. Dieser Wandel hat eine heftige Debatte über den Einfluss der Spekulation auf die Volatilität der Rohstoffpreise ausgelöst KAP. 13.

OHNE (GENFER) BANKEN GEHT NICHTS: DIE FINANCIERS DES ROHSTOFFHANDELS

Der wichtigste »Rohstoff«, den die Handelsfirmen für ihr Geschäft brauchen, ist das dafür nötige Geld. Solche Operationen sind nämlich äußerst kapitalintensiv: Für eine Tankerladung Erdöl zum Beispiel müssen hohe zwei- bis tiefe dreistellige Millionenbeträge in Dollar aufgebracht werden. Wollen Handelshäuser ihre Geschäfte selbst finanzieren, müssen sie über große Eigenmittel und viel Liquidität verfügen. Die Größten unter ihnen können sich diese Mittel auf dem Kapitalmarkt (Obligationsanleihen), direkt über Kreditlinien bei den Banken oder durch die Ausgabe von Aktien beschaffen.

In gewissen Fällen können Rohstoffhändler einzelne Transaktionen auf fremde Rechnung abschließen. Ein kapitalstarker Käufer, wie etwa einer der sechs großen Erdölmultis, kann als Kunde das Geschäft selbst finanzieren. Und zwar indem er das tut, was traditionell die Rolle der Bank ist: dem Trader, der in die Rolle des Zwischenhändlers schlüpft, eine Kreditlinie einräumen. Der Händler erhält dann das für das konkrete Geschäft erforderliche Kapital, ohne dafür eine Bankgarantie liefern zu müssen (»Open Account«) – eine durchaus übliche Art bei Deals mit Majors.

In allen anderen Fällen bedürfen einzelne Handelsgeschäfte aber der Banken. Grundsätzlich geben Finanzinstitute solch temporäre Darlehen in Form eines Akkreditivs oder Kreditbriefs. Ein Akkreditiv ist eine Art Bankkredit, der einem Händler im Austausch gegen das Pfandrecht an einer real existierenden Ware gewährt wird ABB. 2. Quantität und Qualität dieser Ware wird normalerweise durch Liefer- oder Frachtdokumente belegt, die in aller Regel von einer Warenprüfungsgesellschaft ausgestellt werden. Die Ladung dient der Bank als Sicherheit – sie wird also faktisch zeitweilige Eigentümerin der Ware. Am Fälligkeitstag des Geschäfts erhält die Handelsfirma vom Käufer ihr Geld und zahlt damit den Kredit mit Zinsen zurück.

Der Entwurf und Einsatz von Finanzierungsinstrumenten für Rohstoffgeschäfte, insbesondere von Transaktionen gegen Akkreditive, ist länger schon eine Genfer Spezialität KAP. 4. Diese Expertise hat die Entwicklung der Handelsregion am Südufer des Sees überhaupt erst ermöglicht. Und das »Commodity Trade Finance«-Business boomt weiter. Bei Crédit Agricole etwa hat sich die Zahl der Mitarbeitenden, die in diesem Sektor tätig sind, seit 2005 verdoppelt.2 Und die Genfer Kantonalbank verkündete 2009 eine Steigerung ihres Gewinns aus dieser Geschäftstätigkeit um satte 7 Prozent.3 Doch diese Kreditgeschäfte sind nicht ohne Risiko. Im Dezember 2010 setzte beispielsweise ein Genfer Bankensyndikat unter Leitung des Branchenleaders BNP Paribas 135 Mio. Dollar in den Sand, die der Lausanner Tochter der russischen Handelsfirma RIAS als Kredit gewährt worden waren. Die Banken glaubten, mehrere tausend Tonnen Weizen in einem Lager in Südrussland als Garantie zu haben, was sich aber als Trugschluss erwies.4 Die Zertifizierung von Qualität und Quantität der Waren, die bei derartigen Geschäften als Pfand eingesetzt werden, ist deshalb von entscheidender Bedeutung. Dass der Hauptsitz der weltweit führenden Warenprüfungs- und Zertifizierungsfirma SGS in Genf ist, stellt einen zentralen zusätzlichen Pluspunkt für diesen Handelsplatz dar.

ABB. 2

HANDEL MITTELS AKKREDITIV: ABLAUF UND AKTEURE AM BEISPIEL EINES ÖL-GESCHÄFTS

Trotz UNO-Handelsembargo wurde das geächtete Apartheidregime in Südafrika mit dem schwarzen Saft beliefert. Von Zug aus war dieses Geschäft risikolos,

GESCHICHTE

denn die Schweiz boykottierte diesen UNO-Boykott.

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HEIMAT DER HÄNDLER: DER AUFSTIEG DER SCHWEIZ ZUM ROHSTOFFHANDELSZENTRUM

Schwerreiche Händler gibt es in der Schweiz nicht erst in jüngster Zeit und schon in der Vergangenheit wurden sie – wie Marc Rich, der »King of Oil« – mit Königen verglichen. Zum »Schweizerkönig« brachte es etwa der Innerschweizer Politiker, Unternehmer und Söldnerführer Ludwig Pfyffer von Altishofen (1524–1594) dank dem Rohstoff Mensch, indem er zehntausende von Schweizer Söldnern an den französischen Königshof, die Spanier und die Savoyer verkaufte.

Dass sich noch viel mehr Geld verdienen lässt, wenn man sich gleichzeitig Gegengeschäfte sichert, bewies ein Jahrhundert später der mächtige barocke Großunternehmer Kaspar Jodok Stockalper (1609–1691) aus dem Wallis. Der »König vom Simplon« und »Fugger der Alpen« genannte Stockalper brachte es mit dem Söldnergeschäft und dem Transitrecht für den Simplon zu beträchtlichem Reichtum und schuf sich ein weitverzweigtes Beziehungsnetz. Dieses nutzte er für die Monopolisierung des Salzhandels in der Region. Dank seiner begehrten Söldnerkompanien handelte er für das Salz Ankaufspreise aus, die weit unter dem damaligen Marktwert lagen. Stockalper wusste die Vorteile der Schweiz als Transitland im europaweiten Handel mit Nahrungsmitteln und Werkstoffen wie kein anderer zu nutzen. Der Säumerpfad über den Simplon-pass – auch Stockalperweg genannt – war eine der wichtigsten Handelsrouten über die Alpen. Der Simplon verband das obere Rhonetal mit der Lombardei und erfuhr im 17. Jahrhundert eine zusätzliche Aufwertung, da die Landwege wegen andauernder Seekriege allgemein attraktiver geworden waren. Der gewiefte Geschäftsmann Stockalper behauptete sich erfolgreich gegen die Konkurrenz der Passwege am Gotthard und im Bündnerland, warb in Italien, Spanien, Frankreich, den Niederlanden, Savoyen und im Burgund um neue Kundschaft und baute die Infrastruktur »seines« Handelswegs maßgeblich aus.

Der Walliser zeigte aber nicht nur unternehmerisches Geschick, sondern auch beträchtliche kriminelle Energie. Weil die Nachfrage nach Söldnern vor allem durch den französischen König Louis XIV. groß und die Rekrutierung im Wallis ein Leichtes war, gedieh Stockalpers Geschäftsmodell unter idealen Bedingungen. Für zusätzliche Gewinne betrog er seine Auftraggeber mit falsch kalkulierten Kontingenten, ließ die Söldner monatelang die Kosten für die Rekrutierung abzahlen und hielt Pensionen für Witwen und Waisen zurück. Ebenso meisterlich beherrschte er das Korruptionsgeschäft. Er wusste, wo und wann welcher Zahlmeister bestochen werden musste, um von seinen Kunden möglichst hohe Renditen zu erwirtschaften. Er schmierte gezielt die Kontrolleure seiner Auftraggeber, die seine Kompanien und Bestände zu inspizieren hatten. Für die Inspektionen heuerte Stockalper gerne kurzfristig Ausländer oder einheimische Bauern an, die am Tag nach der Überprüfung wieder verschwanden, auf den Soldlisten aber weiterhin aufgeführt wurden.

Auch wenn sich sein Reichtum nicht direkt mit den Milliardenvermögen der großen Rohstoffhändler wie Marc Rich, den Hauptaktionären der Zuger Glencore oder der Genfer Ölhandelsgiganten vergleichen lässt, so lag er für seine Zeit doch im Bereich des Unfassbaren. Allein sein Immobilienbesitz entsprach dem Wert von 122 233 Kühen. Oder mit einem Vergleich, den man aus der Diskussion um die Managerlöhne kennt: Eine Magd im Hause Stockalper hätte, allein um den Grundbesitz ihres Dienstherrn kaufen zu können, 366 700 Jahre arbeiten müssen.1

FRÜHE GLOBALISIERUNGSGEWINNER: DIE SCHWEIZ UND DER SKLAVENHANDEL

Die Handelsbeziehungen der Schweiz blieben lange auf Mitteleuropa, speziell die Lombardei, Süddeutschland sowie das angrenzende Frankreich, beschränkt. Im 18. Jahrhundert entdeckten jedoch zahlreiche Schweizer den Handel mit den Rohstoffen der Neuen Welt: Zucker, Tabak, Kaffee und Kakao. Wie im Söldnerhandel stand einmal mehr die »Ware Mensch« im Mittelpunkt. Reiche Schweizer Familien und Textilhändler investierten in den sogenannten Dreieckshandel: Schiffe wurden in Europa mit Waffen, Textilien, Glasperlen und Manufakturwaren beladen und fuhren nach Westafrika. Dort wurden im Austausch gegen diese Waren Sklaven gekauft, die dann in die Karibik verschifft wurden. Mit Baumwolle, Zucker, Kakao, Kaffee, Melasse, Rum und Indigo beladen, kehrten die Schiffe schließlich nach Europa zurück.

Zwischen 1773 und 1830 waren Schweizer an der Verschleppung von über 20 000 Afrikanerinnen und Afrikanern nach Amerika beteiligt. Unter Einbezug der Investitionen in die wichtigsten Kolonialgesellschaften sind insgesamt schätzungsweise 172 000 Menschen unter Schweizer Mithilfe als Sklavinnen und Sklaven verschifft worden, das entspricht 1,5 Prozent der gesamten transatlantischen Sklaverei. Von den Schweizer Verflechtungen sprechen auch die Namen der Schiffe, die den Atlantik überquerten: »La Ville de Lausanne«, »Le Pays de Vaud«, »La Ville de Bâle«, »L’Helvétie« oder »Les Treize Cantons« hießen die von Schweizern maßgeblich finanzierten Sklavenschiffe.2

BRANCHENPIONIERE: DIE ERSTEN WIRKLICHEN ROHSTOFFHÄNDLER

Der eigentliche Rohstoffhandel in der Schweiz begann erst nach der Gründung des Bundesstaates 1848, und zwar mit einer Handvoll visionärer Kaufleute. Dem Winterthurer Salomon Volkart (1816–1893) etwa, der 1851 in Winterthur und Bombay sein Handelshaus Gebrüder Volkart gründete und zusammen mit seinem in Indien lebenden Bruder Johann Georg im Handel mit indischen Produkten wie Baumwolle tätig wurde. Oder dem Basler Missionar und Kaufmann Hermann Ludwig Rottmann (1832–1899), der 1859 für eine Gruppe protestantischer Patrizierfamilien die Basler Missionshandelsgesellschaft in Ghana gründete, aus der später die UTC hervorgehen sollte. In der Westschweiz sind der aus dem Waadtländer Jura stammende Georges R. André (1856–1940) zu nennen, der 1877 das Handelshaus André & Cie gründete, sowie – auch wenn er nicht primär als Händler erfolgreich war – der 1839 aus Frankfurt eingewanderte Henri Nestlé (1814–1890).

GEBRÜDER VOLKART | Salomon und Johann Georg Volkart stiegen 1851 relativ spät in den selbstständigen Baumwollhandel ein. Dies jedoch in einem Umfeld zahlreicher Winterthurer Firmen, die das Geschäft mit der Naturfaser schon seit Ende des 18. Jahrhunderts betrieben und weiterentwickelt hatten. Entscheidend für den Erfolg der Volkarts war Theodor Reinhart, der von 1879 bis 1919 Teilhaber der Volkart-Gruppe war und dessen Familie das Unternehmen 1912 übernahm.3 Sein Bruder Paul hatte zuvor bei der Firma Geilinger & Blum, der Vorläuferin der bis heute bestehenden Baumwollhandelsfirma Paul Reinhart AG, international Erfahrungen gesammelt. Die Firmengründer besaßen dank diesem in Winterthur konzentrierten Rohstoffhandelswissen profunde Kenntnisse über die indischen Märkte, aufgrund derer die Firma innerhalb von 50 Jahren den Aufstieg zu einem der weltweit bedeutendsten Baumwollhandelskonzerne schaffte. Zugute kam ihnen dabei, dass Rohbaumwolle immer wichtiger wurde. Um 1900 machte Baumwolle 80 Prozent des globalen Textilmarkts aus. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war Volkart weltweit drittgrößter Exporteur indischer Baumwolle und einer der größten Kaffeehändler.

Das Handelsunternehmen importierte neben Baumwolle und Kaffee auch Tee, Öle, Kakao, Gewürze, Kautschuk und andere Produkte aus Indien und exportierte dafür Seife, Papier, Streichhölzer, Uhren, Textilien, Chemikalien, Pharmazeutika, Maschinen und weitere industrielle Güter in den Subkontinent. Auch Versicherungen und Transportschifffahrt gehörten zum Firmenportfolio. Volkarts Tochterunternehmen arbeiteten in Indien, Sri Lanka, Japan und England.4 Den »freihändlerisch gesinnten Engländern« war es mehr oder minder gleichgültig, wer im britischen Weltreich den Zwischenhandel übernahm.5 Die Schweiz profitierte also massiv vom Kolonialismus, denn erst die klassische koloniale Arbeitsteilung – Rohstoffe gegen Industriegüter – erlaubte Schweizer Firmen den Aufstieg, freilich ganz ohne eigene Kolonien.

Den großen Finanzierungsbedarf der Handelsgeschäfte deckte Volkart an den englischen Finanzmärkten, aber auch über die 1862 von Salomon Volkart mitbegründete »Bank in Winterthur«. Über eine jener beiden Banken also, aus denen die Schweizerische Bankgesellschaft (die spätere UBS) hervorgehen sollte.

Der technische Fortschritt brachte für die Händler nicht nur Vorteile. Der ab 1870 mit Indien verbundene Telegrafendienst erlaubte den Endkunden, sich zeitnah über die Qualität der Baumwollernten zu informieren und ihre Offerten laufend den veränderten Verhältnissen anzupassen, während sie zuvor via Schiffspost zwei bis drei Monate im Voraus bestellen mussten. Nun musste »das weiße Gold« in immer exakter definierter Qualität und in stetig kürzeren Transportfristen direkt an die Spinnereien in Europa geliefert werden und konnte nicht mehr wie bisher zentral in Winterthur verkauft werden. Bis 1920 hatte das Winterthurer Handelshaus deswegen bereits 150 Verkaufsagenturen in 18 europäischen Ländern errichtet. Beschleunigend wirkte zusätzlich die Eröffnung des Suezkanals 1869 und der Aufbau des indischen Eisenbahnnetzes ab 1870. Zwei Jahre später begann Volkart mit dem 60 Jahre dauernden Aufbau seines Netzwerks von Baumwollankaufsstellen in ganz Indien.

Den für viele Firmen verheerenden Ersten Weltkrieg überstand Volkart ohne große Einbußen. Unter anderem deshalb setzte sich das Unternehmen 1922 vor die englische Konkurrenz an die Spitze der Baumwollexporteure in Indien und gewann 1930 die Alleinvertretungsrechte für amerikanische Baumwolle in Indien, China und Japan. Die 1942 folgende Expansion nach Brasilien war der Startschuss für die Erschließung der westlichen Hemisphäre nach dem Zweiten Weltkrieg.

In dieser Zeit wurde Kaffee ein für Volkart immer wichtigerer Geschäftszweig. Mit seiner Handelstochter Volcafe kontrollierte die Firma Anfang der 1970er-Jahre 4 bis 6 Prozent des weltweiten Kaffeemarktes (bei der Baumwolle waren es 5 bis 8 Prozent). Der Kaffeehandel war jedoch zunehmendem Druck ausgesetzt. Die Konzentration auf wenige riesige Einkäufer wie Nestlé, Procter & Gamble oder General Foods ließ die Margen schrumpfen. Das könnte eine Erklärung für den damals einsetzenden Diversifikationsschub sein. 1975 startete die Firma zwar fulminant in den Kakaohandel, den sie zehn Jahre später schon als zweitgrößter Player zu 10 Prozent mitbeherrschte. Doch Kaffee und Kakao blieben wenig profitabel. 1987 wurde das Kakaogeschäft, 1989 der Kaffeehandel abgestoßen. Die Konsequenz war die Konzentration auf Baumwolle sowie Finanzgeschäfte, die mit der Gründung der BZ Bank Zürich ab 1985 systematisch ausgebaut wurden.6

ANDRÉ & CIE | 1877 gründete Georges R. André in Nyon das Unternehmen André & Cie, dessen Hauptsitz kurz darauf nach Lausanne verlegt wurde. Innerhalb von 30 Jahren stieg André & Cie zum wichtigsten Getreideimporteur der Schweiz auf und gehörte Ende der 1920er-Jahre bereits zu den Unternehmen, die den weltweiten Getreidehandel dominierten. Die Firma, deren Kapital zum größten Teil in den Händen der Gründerfamilie und einiger Verwandten lag, galt bis in die 1990er-Jahre als das größte Handelshaus in rein schweizerischem Besitz. Über André & Cie gibt es nur sehr wenig verlässliche Informationen, da die in Händlerkreisen übliche Geheimhaltung bei André besonders ausgeprägt war.

Ein noch wichtigeres Erfolgsrezept als die Diskretion war indes wohl die pseudo-familiäre Einbindung der Angestellten. Die Treue zur Firma André & Cie wurde durch religiöse Aspekte verstärkt, die eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielten. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehörten wie die Gründerfamilie der evangelikalen Sekte der Darbysten an. Die Darbysten sind sehr elitär und legen größten Wert auf familiäre Loyalität und wirtschaftlichen Erfolg. Diese religiösen Bande stärkten das Familiengefühl zusätzlich. Bis in die vierte Generation wurde die Firma denn auch von Familienmitgliedern geleitet, zuletzt von Henri André. Erst kurz vor dem Bankrott wurde im Oktober 2000 mit Friedrich Sauerländer jemand CEO, der weder zur Familie gehörte noch Mitglied der Darbysten war.7