Romana Extra Band 94 - Cara Colter - E-Book

Romana Extra Band 94 E-Book

Cara Colter

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Beschreibung

ZÄRTLICHE VERSUCHUNG IN SEVILLA von LUCY FOXGLOVE

Inkognito mischt Unternehmer Nevio Fernandez Garcia sich in der Bar seines neuen Hotels in Sevilla unter die Gäste. Dabei begegnet er der verführerisch schönen Jasmine und flirtet ungehemmt mit ihr. Was er nicht ahnt: Sie ist keine einfache Urlauberin!

MIT ZEHN DATES ZUM GLÜCK von CARA COLTER

Spontan gibt Brandon sich als Sophies neuer Freund aus. Natürlich bloß zum Schein, damit seine hübsche Nachbarin auf der Hochzeit ihres arroganten Ex nicht allein dasteht! Doch wieso knistert es so verlockend, als er sie küsst?

EIN VERFÜHRERISCHES GESCHENK von SHARON KENDRICK

Ein sinnlicher Traum aus schimmernder roter Seide … Angie fühlt sich wie verzaubert! Erst schenkt ihr Boss Riccardo Castellari ihr dieses sexy Kleid - dann verführt er sie zu einer heißen Liebesnacht. Aber warum nur weist er sie danach eiskalt zurück?

VERLIEB DICH NIE IN DEINEN BESTEN FREUND! von FIONA HARPER

Liebe ist für Coreen gleichbedeutend mit Selbstaufgabe. Die Männer sollen ihr zu Füßen liegen! Ungefährlich ist nur die Nähe ihres besten Freundes Adam, den ihr Sex-Appeal unbeeindruckt lässt. Aber plötzlich weckt ausgerechnet er romantische Gefühle in ihr …

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Seitenzahl: 687

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Lucy Foxglove, Cara Colter, Sharon Kendrick, Fiona Harper

ROMANA EXTRA BAND 94

IMPRESSUM

ROMANA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg für Lucy Foxglove: „Zärtliche Versuchung in Sevilla“

© 2010 by Cara Colter Originaltitel: „Winning a Groom in 10 Dates“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Susann Rauhaus

© 2011 by Fiona Harper Originaltitel: „Swept Off Her Stilettos“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Gisela Blum

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRABand 94 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2009 by Sharon Kendrick Originaltitel: „The Italian Billionaire’s Secretary Mistress“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MORDERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Tanja Krasny Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 321

Erste Neuauflage in der Reihe ROMANA EXTRABand 94 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Abbildungen: Kyryk Ivan / shutterstock, Daniel_Kay / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733747961

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY

LUCY FOXGLOVE

Zärtliche Versuchung in Sevilla

Jasmine reist nach Sevilla, um ihr Familienhotel vor einem Investor zu retten! Ein heikler Plan, umso mehr genießt sie den Flirt mit dem Fremden an der Hotelbar – bis er sich als ihr Feind entpuppt!

CARA COLTER

Mit zehn Dates zum Glück

Nur zögernd lässt Sophie sich darauf ein, dass Brandon vorübergehend ihren Freund spielt. Denn der überzeugte Single darf nicht ahnen, wie sehr sie sich insgeheim nach seinen Küssen verzehrt …

SHARON KENDRICK

Ein verführerisches Geschenk

Auf der Party traut Riccardo Castellari seinen Augen nicht: Seine sonst so unscheinbare Assistentin Angie hat sich in eine aufregende Verführerin verwandelt, die ihn magisch anzieht …

FIONA HARPER

Verlieb dich nie in deinen besten Freund!

Adam hat sich fest vorgenommen, Coreen zu widerstehen! Schließlich weiß er, wie seine sexy beste Freundin die Männer behandelt. Und ausgerechnet bei ihm wird das nicht anders sein, oder?

Zärtliche Versuchung in Sevilla

1. KAPITEL

Jasmine lehnte sich zurück, schaute aus dem Fenster und versuchte sich auf die Worte des Taxifahrers zu konzentrieren. Noch vor ein paar Stunden war sie in Wales durch den Regen gehetzt, um den Flug von Cardiff nach Spanien zu erreichen. Und jetzt konnte sie die Kraft der Sonne über Sevilla beinahe schon durch die Fensterscheiben in dem von der Klimaanlage gekühlten Taxi spüren. Am liebsten hätte sie den Taxifahrer gebeten, die Fenster herunterzulassen, um endlich die Hitze ungefiltert auf der Haut zu fühlen. Sie liebte diesen Moment, wenn die Wärme des Sommers auf ihre Wangen traf. Den Moment, wenn sie das Hotel wiedersah.

Endlich bog das Taxi in die Calle Corral del Rey ein und hielt vor dem prunkvollen mehrstöckigen Haus, das bis vor zwei Monaten noch Jasmines Familie gehört hatte. Einen Moment hielt sie inne, weil das Gebäude vor ihren Augen verschwamm. Dann blinzelte sie die Tränen fort und straffte die Schultern. Sie glaubte nicht an Schicksal. Das Hotel war so lange im Familienbesitz gewesen – warum sollte ihre Familie es nicht wiederbekommen können? Das war Ehrensache. Nicht nur wegen ihres Versprechens an ihre verstorbene Großmutter, ihre Nana.

Jasmine bezahlte den Taxifahrer. Unglaublich, dass sie diesmal vielleicht ein ganzes Jahr bleiben konnte und nicht wie sonst nur ein paar Tage oder ein, zwei Ferienwochen.

Als die Genehmigung der Schulbehörde für das Sabbatjahr angekommen war, hatte Jasmine sich sofort ihre Koffer geschnappt, die schon seit Tagen fertig gepackt im Schlafzimmer gestanden hatten, und war zum Flughafen geeilt. Die Abflugzeiten der täglichen Flüge nach Spanien kannte sie mittlerweile auswendig. Im Taxi hatte sie ihr Ticket gebucht. Am Flughafen hatte sie nicht lange warten müssen. Erst nach ihrer Ankunft in Sevilla wollte sie Tamara und ihre Eltern anrufen, um allen zu sagen, wo sie in den nächsten Monaten leben würde. Sie hatte nichts erzählen wollen, bevor sie die absolute Gewissheit hatte, dass es klappen würde.

„Muchas gracias“, sagte Jasmine und stieg aus. Die Hitze hüllte sie sofort ein, und sie fühlte sich wie zu Hause. Es sollte dein richtiges Zuhause sein, das ganze Jahr über. Jasmine schob Tamaras Standardsatz beiseite, den ihre Schwester bei jedem Telefonat mindestens einmal fallen ließ. Tamara konnte es einfach nicht lassen, ihr jedes Mal ein schlechtes Gewissen einzureden. Aber nun verdrängte Jasmine die dunklen Gedanken. Jetzt würde sie erst einmal ein Zimmer in dem Hotel mieten, das bis vor Kurzem ihrer Familie gehört hatte.

Auf dem Weg zum Hoteleingang blieb sie stehen. Bisher war ihr nur die Möglichkeit eingefallen, dass sie als Gast im Hotel unterkommen konnte. Aber vielleicht war das gar keine gute Idee? Nur, was konnte sie sonst tun? Jasmine überlegte.

Das Versprechen an ihre Großmutter einzulösen würde sie mit Sicherheit nicht in drei Tagen schaffen. Immerhin musste sie erst den verschollenen Familienschmuck finden und dann sehen, ob es ihr damit gelingen könnte, das Hotel wieder in den Besitz der Familie zu bringen. Bei den Zimmerpreisen wäre ihr Erspartes schnell weg. Ein aberwitziger Gedanke kam ihr. Ob es vielleicht möglich war, hier zu arbeiten? Sie wusste, dass es früher üblich gewesen war, dass Angestellte im Hotel wohnen konnten und dafür weniger Gehalt bekamen. Einen Versuch war es auf jeden Fall wert. Sie drehte auf dem Absatz um, umrundete das Hotel und atmete tief durch, bevor sie auf der Rückseite die Tür zum Personaleingang aufstieß. Ihr Ziel war das hintere Bedienstetenzimmer. Dort würde sie sicherlich jemanden finden, den sie fragen konnte, ob es im Hotel eine freie Arbeitsstelle gab.

Der Rollkoffer verhakte sich an der Türschwelle. Jasmine mühte sich ab, ihn freizubekommen, als die hektische Stimme einer Frau sie innehalten ließ.

„¡Finalmente! Du kannst den Boss doch nicht so lange warten lassen! An deinem ersten Arbeitstag. Ich hätte mich das nicht getraut, aber komm erst mal herein. Ich zeige dir dein Zimmer. Es ist doch richtig, dass du hier wohnen wirst?“

Irritiert schaute Jasmine sich um. „¡Perdón!“, murmelte sie, war sich jedoch nicht sicher, warum sie sich überhaupt entschuldigte. Sie kannte die Frau nicht, und selbstverständlich hatte sie keinen Termin. Offenbar hielt diese Frau sie für jemand anderen. Jasmine setzte ein herzliches Lächeln auf und wollte gerade das Missverständnis aufklären, aber die andere war schneller.

„Egal, jetzt bist du ja da. Komm, ich zeige dir erst mal dein Zimmer.“

Welches Zimmer? Jasmine fragte es nicht laut, starrte die junge Frau nur eine Weile an, bis diese ungeduldig mit der Zunge schnalzte und den Gang entlangeilte. Die Spanierin trug ein schwarzes knielanges Kleid und eine weiße Schürze mit Spitzenrand. Sie mochte ungefähr in Jasmines Alter sein, sicherlich nicht älter als Mitte dreißig. Und auch wenn Jasmine in ihrem Gesicht auf Anhieb einige winzige Sorgenfältchen entdeckte, waren es doch die zarten Lachfältchen um die Augen, die überwogen.

Eine Arbeitsstelle und ein Zimmer hier im Hotel. Das war genau das, was Jasmine brauchte! Sie musste sich nicht erst bewerben, was sicherlich Wochen dauern würde. Sie sollte die Chance einfach ergreifen und so tun, als wäre sie die Person, auf die man hier bereits wartete.

Jasmine versuchte, sich zu entspannen. Ihr erster Arbeitstag im El Corazon. Solange die tatsächliche Anwärterin nicht kam, würde es schon gut gehen! Die meisten Aufgaben, die in dem Hotel anfielen, kannte sie ohnehin. Früher hatte sie in den Ferien oft ausgeholfen – in der Küche, im Wellnessbereich, als Zimmermädchen und am Empfang. Nie hätte sie gedacht, dass sich all das als dermaßen hilfreich herausstellen würde.

„Alles in Ordnung?“, fragte die junge Frau. „Ich bin übrigens Magdalena.“

„Und ich heiße Jasmine“, sagte sie, froh über die freundlichen Worte. Erst dann wurde ihr klar, dass sie den Namen der eigentlichen Bewerberin nicht kannte. Aber weil Magdalena so herzlich lächelte, vergaß sie ihre Sorgen schnell wieder. Magdalenas schlechtes Namensgedächtnis machte die Situation erheblich leichter.

„Perfekt! Ich bin mit Namen leider wirklich nicht gut. Ich vergesse sie, wenn ich die Person dazu nicht kenne.“

„Mir geht das so mit den Geburtstagen. Sogar den von meiner besten Freundin muss ich ständig nachgucken. Ich weiß nur, dass er im Sommer ist.“

„Ach, man muss sich aber auch immer viel merken, nicht wahr? Dabei sind wir ja noch gar nicht so alt. Hoffentlich wird das nicht schlimmer mit der Zeit.“ Magdalena grinste und blieb schließlich vor einer schmalen Tür stehen. „Dein Zimmer. Hier kannst du erst mal dein Gepäck abstellen. Deine Arbeitsuniform holen wir gleich ab. Welche Größe brauchst du? 36 oder 38?“ Magdalena taxierte Jasmine kurz. Ihr Blick blieb an Jasmines Bluse hängen. „Besser eine 38 oder 40“, murmelte sie. „Dann wird es an der Taille wohl etwas weit sein, aber du kannst das mit der Schürze regeln.“ Sie drehte sich um.

„Ja, genau.“ Jasmine räusperte sich. Sie sollte sich wirklich besser konzentrieren.

Magdalena führte sie in einen Raum ein paar Türen weiter, in dem die Uniformen für die unterschiedlichen Arbeitsbereiche hingen. Sie wies auf einen Kleiderständer und Jasmine suchte sich mehrere Größensätze heraus. Zurück in ihrem Zimmer probierte Jasmine zuerst die kleinere Uniform an. Sie passte an Taille und Hüfte wie angegossen, nur oben, wie Magdalena richtig vermutet hatte, bekam sie den Reißverschluss nicht zu. Jasmine nahm die Uniform in Größe 38 vom Bügel und schlüpfte hinein. Perfekt. Sie angelte nach ihrer Brille, drehte sich vor dem schmalen Spiegel, den sie auf der Innenseite ihres Kleiderschranks entdeckt hatte, und lächelte. Ihre Augen funkelten. Geschafft!

Sie band sich den Pferdeschwanz noch einmal neu und nickte zufrieden. Sie mochte das fast schwarze Blau des Hausmädchen-Kleids. Der zeitlose, schlichte Schnitt gefiel ihr, weil sie sich auch privat gerne so kleidete. Knielange Outfits besaß sie ebenso, und deshalb fühlte sie sich auch nicht verkleidet, sondern einfach nur wohl.

Hoffentlich arbeitete niemand mehr im Hotel, den sie noch von früher kannte. Seit ihrem letzten Aufenthalt in Sevilla war über ein Jahr vergangen. Sie hatte es seitdem einfach nicht geschafft, herzukommen. Die viele Arbeit und natürlich die Sache mit Andrew.

Wieder hörte sie Andrews Antwort auf ihren Vorschlag, wo sie heiraten sollten. Es war alles geplant gewesen, Andrew hatte ihr den schönsten Antrag der Welt gemacht, hatte ihr freie Hand gelassen, alles zu planen. Und ja, es hatte etwas länger gedauert, aber was waren schon drei Jahre? Sie hatte nun mal viel zu tun, da konnte man sich nicht ständig um Blumenarrangements und Gästelisten kümmern.

Jasmine schaute sich in dem kleinen Zimmer um und strich mit dem Finger über den Bilderrahmen mit einem Foto von Sevilla. Der Fluss wirkte beinahe smaragdgrün, und die Keramikbrücke mit dem typisch weiß-blauen Muster strahlte in der Sonne. Sie ging zum Fenster und warf einen Blick nach draußen. Gut, dass sie Andrew nie mit hierher genommen hatte. So erinnerte sie hier nichts an ihn.

Drei Jahre Verlobungszeit waren für ihren Verflossenen offenbar zu lang gewesen. Doch anstatt mit ihr darüber zu sprechen, hatte er sich nach einer Frau umgesehen, die besser zu ihm passte, besser organisiert war oder was auch immer. Und die natürlich jünger war. Jasmine erinnerte sich an den Moment, als sie Andrew nach der Trennung das erste Mal in der Stadt begegnet war. Im Arm hielt er dieses junge Mädchen, das vermutlich gerade erst seinen Schulabschluss gemacht hatte. Aber er hatte sie geheiratet, sehr schnell sogar. Seine Schwester Vanessa, mit der Jasmine immer noch gut befreundet war, hatte es ihr erzählt.

Schluss. Sie wollte nicht mehr an die ganze Sache denken. Jetzt brach eine neue Zeit an. Ein Jahr weit weg von Cardiff, von Andrew und seiner Neuen.

Es klopfte zaghaft an der Tür. Jasmine versuchte, ihren Herzschlag zu beruhigen, und öffnete.

„Es passt, wunderbar. Steht dir.“ Magdalena nickte. „Komm, ich führe dich ein bisschen herum, damit du alles findest. Der Boss hat mir freie Hand gelassen, ich weise dich ein.“ Magdalena zwinkerte ihr zu.

„Das ist lieb“, sagte Jasmine und folgte Magdalena, die offensichtlich ihre Vorgesetzte war, in den Flur. „Danke.“ Natürlich kannte Jasmine in diesem Hotel jeden Winkel, aber sie genoss die Tour trotzdem. So konnte sie gleich sehen, was der neue Besitzer alles verändert hatte. Sie wappnete sich innerlich dafür, dass es ihr vielleicht nicht gefallen würde. Er hat die Seele des Hotels zerstört. Wieder hörte Jasmine die Worte ihrer Schwester Tamara. Dies war ein weiterer Lieblingssatz von ihr. Jasmine versuchte, nicht daran zu denken, und lauschte stattdessen Magdalena, die gerade von ihrem Hundewelpen schwärmte, der nur Blödsinn im Kopf zu haben schien.

Während Jasmine ihr durch die Flure folgte, erzählte die Spanierin auch von der Arbeit im Hotel.

„Es hat sich kaum etwas verändert“, rutschte es Jasmine heraus, als sie ihre Tour in der Lobby beendeten. Erschrocken biss sie sich auf die Zunge.

„Warst du schon mal hier?“, fragte Magdalena erstaunt. „Ah. Bei dem Bewerbungsgespräch bestimmt, richtig?“

„Nein, früher, als Kind mit meinen Eltern. Schon damals wollte ich gerne noch mal wiederkommen.“ Vielleicht ein kluger Schachzug, immerhin war es dann nicht so auffällig, wenn sie genau wusste, wo sie hinwollte, und alles sofort fand, ohne dass ihr jemand etwas erklären musste.

„Wow“, sagte Magdalena. „Als Gast könnte ich es mir hier definitiv nicht leisten. Na, vielleicht eine Nacht, wenn ich in der Lotterie gewinnen oder wenn ich meine winzige Wohnung verkaufen würde.“ Sie seufzte resigniert, aber Jasmines Aufmerksamkeit wurde von dem schallenden Gelächter einer dunkelhaarigen Frau abgelenkt, die sich gerade mit einem Mann unterhielt, der etwas Verwegenes, fast Piratenhaftes an sich hatte – muskulös unter seinem strahlend weißen Hemd, und ein unglaublich aufmerksamer Blick voller Leidenschaft. Jasmine schluckte. Was dachte sie denn da? Sie schüttelte den Kopf und konzentrierte sich. Das war doch sonst nicht ihre Art.

Nicht einmal Andrew hatte eine solche Wirkung auf sie gehabt wie dieser Fremde. Zum Glück zwinkerte er seiner Gesprächspartnerin nur noch kurz zu und ging dann mit langen Schritten durch die Hotelhalle davon. Jasmine konnte nichts dagegen tun, dass ihr Blick an seinem Rücken hing, bis er oben am Treppenabsatz verschwand. Sie seufzte leise und schüttelte sich. Sie benahm sich wirklich albern.

„Komm mit, wir gehen in den Aufenthaltsraum fürs Personal, dort erkläre ich dir alles Nötige. Herumlungern im Eingangsbereich wird nicht gern gesehen, das kann ich dir gleich verraten. Außer du hast einen rosafarbenen Staubwedel in der Hand und kümmerst dich damit um die Statuen und Säulen. Das finden die Gäste so schön nostalgisch.“ Sie lachte, drehte sich dann mit einer schnellen Bewegung um und ging leichtfüßig auf eine Tür hinter dem Empfangstisch zu. Jasmine eilte ihr hinterher.

Magdalena ging mit Jasmine die Dienstpläne durch und erklärte noch ein paar Dinge über ihren Aufgabenbereich. „Hast du noch Fragen?“, fragte sie schließlich.

„Nein, ich glaube, es ist alles klar. Vermutlich ergeben sich die Fragen bei der Arbeit.“ Jasmine dachte kurz an den attraktiven Fremden, dem sie eben in der Eingangshalle begegnet war. Zu ihm hätte sie ein paar Fragen gehabt, aber sie konnte sich gerade noch zurückhalten, sie zu stellen.

Der erste Tag als Zimmermädchen und Wellnessbereich-Aushilfe gefiel Jasmine besser, als sie erwartet hatte. Das El Corazon war ein exklusives, teures Hotel und wirkte trotzdem familiär. Viele der Gäste, denen sie begegnete, waren Geschäftsleute oder Liebespaare, vielleicht in ihren Flitterwochen. Die meisten hatten nicht gerade wenig Geld, und das sah man.

Es duftete noch immer nach der Bienenwachspolitur, die auch schon früher für die Holzgeländer und die antiken Möbel verwendet worden war. Alles war sauber und strahlte eine elegante Behaglichkeit aus. Jasmine fühlte sich beinahe so, als hätte alles seine Richtigkeit, als könne sie gleich in das Büro ihres Vaters gehen und ihm von ihrem Tag erzählen. Aber das ging natürlich nicht. Sein Büro war jetzt das Büro eines anderen.

Magdalena hatte sie bei ihrer ersten Runde durch die Zimmer begleitet, ihr alles gezeigt. Es war der erste Tag, es würden hoffentlich noch viele weitere folgen, an denen Jasmine Zeit für ihr eigentliches Vorhaben hier haben würde.

Als sie am Empfangstisch vorbeieilte, hielt sie ein junger Page auf. „Gehst du zu Magdalena? Kannst du das hier mitnehmen für sie?“ Er hielt ihr einen Umschlag hin, auf dem in einer ordentlichen Handschrift nur Magdalenas voller Name stand. Vielleicht etwas Privates? Jasmine zuckte mit den Schultern, nahm den Umschlag und ging in das an den Aufenthaltsraum angrenzende Dienstzimmer.

„Ah, gut, dass du kommst“, sagte Magdalena. „Ich führe nach dem ersten Arbeitstag meist ein kurzes Gespräch mit unseren neuen Mitarbeitern.“

„Gut. Das hier ist für dich“, sagte Jasmine und reichte Magdalena den Umschlag.

„Was ist das?“, fragte sie und runzelte die Stirn, als sie den Absender las, der auf der Rückseite stand. „N. S. Garcia“, las sie leise vor. „Nadia. So war der Name, an den ich mich vorhin nicht erinnern konnte. Der Name der neuen Mitarbeiterin. Aber du heißt Jasmine … Und wieso schreibst du mir einen Brief?“, fragte Magdalena.

„Oh, natürlich“, stotterte Jasmine. „Mein voller Name ist Nadia Jasmine Sanchez Garcia. Ich mag nur meinen zweiten Namen lieber, er ist sozusagen mein Rufname, schon immer. Ist das okay? Das hätte ich natürlich vorhin sagen können.“

„Kein Problem.“ Magdalena ließ den Umschlag sinken. „Und was ist das jetzt für ein Brief? Hoffentlich nicht deine Kündigung?“

„Nein, nein!“ Verdammt, hätte sie das gewusst! Warum hatte sie nicht gleich auf den Absender gesehen? Jasmine überlegte fieberhaft, wie sie in Besitz des Umschlags kommen konnte, ehe der Inhalt zu einem richtigen Problem für sie wurde.

„Das ist … das ist von meiner Schwester. Vermutlich ist es tatsächlich eine Entschuldigung, warum ich vorhin zu spät gekommen bin. Sie war daran nicht ganz unbeteiligt und hatte schon ein ganz schlechtes Gewissen. Bestimmt legt sie ein gutes Wort für mich ein. Typisch natürlich, dass sie es erst jetzt abgegeben hat, wo der Tag ja nun schon fast vorbei ist.“ Jasmine brach ab. Sie redete sich um Kopf und Kragen. Ihr wurde klar, dass ihr Versteckspiel wohl in wenigen Augenblicken enden würde. Niedergeschlagen sah sie auf die Tischplatte und wartete auf die Anschuldigungen und irritierten Fragen, die gleich kommen würden, nachdem Magdalena den Brief gelesen hatte.

Stattdessen schob sich der weiße Umschlag in ihr Blickfeld. „Dann nimm ihn mit, du warst ja fast pünktlich da, deshalb brauche ich den Grund für deine Verspätung nicht zu wissen.“

2. KAPITEL

Nevio verließ sein Büro im zweiten Stock des Hotels und schloss das Zimmer ab. Das Hotel hatte immer noch richtige Schlüssel mit hübschen Schlüsselanhängern und keine Karten wie die modernen Hotels. Leise vor sich hin pfeifend ging er durch den Gang, warf einen Blick nach draußen in den beleuchteten Innenhof. Um diese Uhrzeit war das Wasser des zentralen Springbrunnens beleuchtet, und die restlichen Lampen waren so angebracht, dass die Palmen beinahe magisch leuchteten. Auf den Steinbänken saßen Hotelgäste, tranken Wein und unterhielten sich.

Gesprächsfetzen drangen zwar nicht durch die Fenster bis ins Innere des Hotels, aber vielleicht machte es das umso gemütlicher hier drinnen. Und ein bisschen geheimnisvoll, denn so konnte sich Nevio in seiner Fantasie ausdenken, was dort unten gesprochen wurde. Der dicke gemusterte Teppich dämpfte seine Schritte, und auch sonst war kein Geräusch zu hören, bis er auf die Galerie trat, um auf den Aufzug zu warten. Fröhliche Stimmen klangen aus der Bar nach oben, und Nevios Herz schlug etwas schneller, als sich eine leise Aufregung in ihm breitmachte. Einmal in der Woche gönnte er es sich, unerkannt von seinen Gästen in der Bar zu sitzen. Die meisten Gäste blieben kürzer als eine Woche, und ohnehin wusste niemand, wer er war. Es kam so gut wie nicht vor, dass jemand danach verlangte, den Hotelbesitzer zu sprechen, und warum auch? Wenn er sich die Gäste so ansah, fühlten sie sich rundum wohl.

Nevio betrat den Aufzug, nickte einem Ehepaar zu, das dort bereits wartete, bis Raoul, der Page, den Knopf für das Erdgeschoss drückte. Auch Raoul nickte ihm zu, und Nevio war froh, dass dieser seine Tarnung nicht auffliegen ließ. Manchmal kam sich Nevio vor wie ein Geheimagent, wenn er inkognito unter seinen Gästen saß und so tat, als wäre er ebenfalls auf einer Geschäfts- oder Urlaubsreise in der Stadt. Als würde er tagsüber den Königspalast Alcázar besichtigen, einen Spaziergang über die vielen Brücken Sevillas machen und Kollegen zu einem Geschäftsessen mit Blick auf den Guadalquivir treffen.

Die Hotelbar war wie immer gut besucht. Geschäftsleute, Urlauber. Nevio versuchte nicht auf die Paare zu achten. Trotzdem spürte er immer noch einen schmerzhaften Stich, wenn er glückliche Menschen sah, das Kribbeln in der Luft spürte und die Vertrautheit in ihren Gesichtern erkannte. Die Liebe war für Nevio weit, weit weg. Aber er war zufrieden. Seit Raffaela wusste er schließlich, dass die Liebe nichts für ihn war. Nie wieder würde er sich ernsthaft auf eine Frau einlassen. Ein gebrochenes Herz hatte große Macht.

Luca, der Barkeeper, begrüßte ihn freundlich, während er die Whiskeygläser polierte. „Buenas tardes, señor.“ Er wusste längst, dass Nevio an seinen Barabenden als „Gast“ unterwegs war. „Was darf ich Ihnen anbieten?“

Nevio warf einen Blick auf die Karte, obwohl das unnötig war. „Einen Rioja, por favor.“

Er setzte sich an einen freien Tisch und sah sich unauffällig und möglichst entspannt um. Gerade als er sein Rotweinglas an die Lippen führte und den ersten Schluck nehmen wollte, blieb sein Blick an einer jungen Frau hängen, die unter dem Torbogen im Eingang zur Bar stehen geblieben war. Das Licht aus der Lobby ließ ihre Silhouette aufleuchten, und als sie den Kopf zur Seite drehte, konnte Nevio ihr Gesicht sehen. Sie wirkte wie ein Engel, gleichzeitig hatte sie ein freches Lächeln, und ihre dunklen Augen sprühten vor Neugier. Die Art, wie sie sich bewegte, wirkte beinahe hypnotisch auf ihn. Sie kam ihm bekannt vor, aber er erinnerte sich nicht, woher. War sie schon länger zu Gast im „El Corazon“? Sie sah ein bisschen verloren aus, wie sie dort stand und offenbar überlegte, wohin sie sich setzen sollte. Die meisten Tische waren besetzt. Suchte sie jemanden, war sie verabredet? Aber falls nicht, wollte er sie aus der unangenehmen Situation erlösen.

Spontan winkte er ihr zu und deutete auf den freien Sessel an seinem Tisch. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und verhakten sich ineinander. Nevios Herz schlug einen Trommelwirbel. Sicherheitshalber stellte er sein Glas ab, damit er den Rotwein nicht auf sein weißes Hemd kippte.

Die junge Frau kam zögerlich näher, aber dann lächelte sie warm und setzte sich ihm gegenüber in den anderen Ledersessel. „Buenas tardes“, sagte sie.

„Buenas tardes, ich hoffe, Sie genießen den schönen Abend“, sagte Nevio. Ganz automatisch begann er zu flirten, obwohl das hier kein Date war. Schon so lange hatte er es vermieden, mit einer Frau auszugehen. Seit Raffaela. Er räusperte sich.

„Ein wirklich schönes Hotel“, sagte die Unbekannte.

„Ja, das finde ich auch. Mein Name ist Nevio.“ Er deutete an aufzustehen und reichte ihr seine Hand.

Ihre Finger waren warm, und sie hatte einen erstaunlich festen Griff. Aufmerksam musterte sie ihn mehrere Augenblicke. Ihre Körperhaltung erinnerte ihn auf einmal an eine Katze, die eine Maus beobachtet, aber dann lehnte sie sich wieder zurück. „Jasmine“, sagte sie schließlich und lächelte erneut dieses Lächeln, das ihr ganzes Gesicht erstrahlen ließ.

Nevio musste sich schon wieder räuspern. „Möchten Sie etwas trinken?“, fragte er. „Ich kann Ihnen etwas von der Bar mitbringen. Ich wollte mir gerade noch ein Glas Wein holen.“

„Für mich bitte einen Sherry“, sagte Jasmine.

Zum Glück musste Nevio an der Bar warten, weil Luca gerade andere Gäste bediente. Er atmete tief durch und versuchte, seinen Herzschlag zu beruhigen und konzentriert zu atmen. Was war denn nur auf einmal los mit ihm? So hatte er sich seit Raffaela nicht mehr gefühlt. Jasmines dunkle Augen funkelten noch immer in seinen Gedanken. Etwas verband sie beide, dieses Gefühl hatte er seit dem Moment, als sie ihm ihre Hand gegeben hatte. Was für ein Unsinn! ermahnte er sich. Er kannte sie überhaupt nicht. Was sollte sie verbinden?

Als Nevio die beiden Gläser auf den Tisch stellte, steckte Jasmine gerade ihr Handy weg und lächelte ihr entwaffnendes Lächeln. „Und, Nevio, sind Sie beruflich in der Stadt oder privat? Moment, lassen Sie mich raten.“ Sie kniff die Augen zusammen und ließ ihren Blick über sein weißes Hemd, sein dunkles Jackett und die dunkle Hose schweifen. „Beruflich“, sagte sie schließlich.

„Richtig.“ Nevio nickte. Dass er jetzt im Grunde undercover unterwegs war, musste sie ja nicht wissen. „Und Sie?“

Für einen kurzen Moment huschte ein Schatten über ihr Gesicht, aber dann war das Leuchten in ihren Augen zurück. „Beides“, sagte sie. „Aber mehr privat.“

Sie stießen miteinander ein. „¡Salud!“

„Ihr Vorname, er klingt so … englisch“, sagte Nevio nach einer Weile.

„Ja, meine Familie kommt aus Wales.“ Sie nahm einen weiteren schnellen Schluck und verschluckte sich prompt.

Hatte er etwas Falsches gefragt?

„Entschuldigung“, sagte sie schnell. „Ich habe ewig keinen Sherry getrunken, und ich sollte mir mehr Zeit lassen damit. Ohnehin ist es zu schade, ihn so schnell zu trinken.“

„Dabei klingt ihr Akzent beinahe genau so, als wären Sie aus Sevilla. Sie stammen also gar nicht aus Spanien?“, fragte Nevio.

„Nein, aus Cardiff.“

„Ich liebe das Meer. Nirgendwo kann ich mich so gut entspannen wie an einem Sandstrand, wenn die Wellen rauschen. Es ist beinahe wie Musik, finden Sie nicht?“

Jasmine nickte. „In Cardiff habe ich einmal ein Konzert im Hafen erlebt in einer windgeschützten Ecke. Die Band hat es geschafft, den Rhythmus der Wellen mit einzubauen.“

„Da wäre ich zu gerne dabei gewesen“, sagte Nevio und hatte sofort ein Bild vor Augen, wie er neben Jasmine auf einer von der Sonne angewärmten Mauer saß, den Arm um ihre Schultern und ihren Kopf an sich gelehnt. Schnell nahm er einen weiteren Schluck von seinem Wein. „War es klassische Musik?“, fragte er.

„Nein, der Stil lässt sich kaum richtig einordnen, vielleicht eine Mischung aus Jazz und Flamenco.“

„Das hätte mir auch gefallen. Sevilla ist ja die Heimat des Flamenco.“

Jasmine nickte abermals zustimmend.

„Ungewöhnliche Musik liebe ich auch sehr. Als Kind habe ich Saxofon gelernt“, erklärte Nevio. „Manchmal wünsche ich mir, ich hätte Zeit, wieder zu spielen.“

„Oh, ich auch!“, rief Jasmine aus und lachte kurz. „Saxofon und später Schlagzeug, in meiner wilden Phase. Ich war ein richtiger Rebell mit sechzehn.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Nevio räusperte sich, nachdem der letzte Satz beinahe wie ein kehliges Knurren herausgekommen war. Was war denn nur mit ihm los? Alle Bilder, die er bei Jasmines Erzählen vor sich sah, bestärkten das Verlangen, sie zu berühren. Er wünschte sich auf einmal, mit ihr an einem Strand Musik zu hören oder ausgelassen mit ihr zu tanzen. Hauptsache sie war ihm ganz nah.

Den restlichen Abend plätscherte ihr Gespräch angenehm vertraut und gleichzeitig anregend dahin. Jasmine und Nevio sprachen über vieles, über Lieblingsstädte, Lieblingsbücher, über Musik, Kunst und sogar ein wenig über ihre Kindheit. Jasmine schilderte Cardiff dabei so lebendig, dass Nevio fast den Eindruck hatte, selbst durch die Straßen zu spazieren. Er schmeckte das salzige Wasser des Meeres auf der Zunge, und selbst als sie von ihren Lieblingsspeisen sprach, die typisch für die Gegend waren, sah Nevio alles genau vor sich, und sein Magen knurrte.

Vermutlich würde alles aus ihrem Mund wunderbar und zauberhaft klingen, dachte er. Ihre Stimme ging ihm durch und durch, und ihre dunklen Augen, die im Kerzenschein funkelten, schienen ihm direkt in die Seele zu blicken. Er schüttelte über diesen Gedanken den Kopf, musste aber lächeln.

„Wie lange bleiben Sie in der Stadt?“, fragte Jasmine irgendwann, und Nevio wurde schlagartig heiß. Er öffnete den oberen Kragenknopf und lehnte sich dann betont lässig zurück. „Ich weiß es noch nicht genau. Ich muss abwarten, wie schnell sich meine Geschäfte abwickeln lassen. Immobilien“, fügte er hinzu und hoffte, dass Jasmine nicht genauer nachfragen würde. Er wollte sich nicht in Lügen verstricken und bereute jetzt schon, dass er ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Andererseits hätte er dann sein Versprechen sich selbst gegenüber gebrochen. Er wollte Menschen kennenlernen, richtig kennenlernen. Doch wenn bekannt wurde, dass er wohlhabend war und viele Hotels besaß, lockte er damit leider immer wieder die Falschen an. Die Frauen wollten dann meistens in die teuersten Restaurants eingeladen werden, lauerten auf einen Wochenendtrip nach Venedig oder New York und erwarteten kostspielige Geschenke. So wie Raffaela. Nevio schob den Gedanken an sie zur Seite. Er brauchte Menschen um sich, die ihn um seinetwillen mochten.

Nun war es ohnehin zu spät. Er war für Jasmine ein Geschäftsmann und Gast in diesem Hotel, genau wie sie. Die Wahrheit konnte er ihr jetzt nicht mehr sagen. Sie würde ihn für einen Lügner oder sogar für einen Betrüger halten. Vielleicht würde sie ihm nachträglich noch nicht einmal die Tatsache glauben, dass er der Hotelbesitzer war, sondern das als Masche abstempeln, um hübsche Frauen, die angeblich in seinem Hotel wohnten, ins Bett zu bekommen. Für eine Nacht ohne Verpflichtungen, eine Nacht zwischen Fremden, die einander nie wiedersehen würden. Moment! Was dachte er denn da? Er wollte Jasmine doch nicht ins Bett bekommen! Er war nun mal der Hoteldirektor, und sie war ein Gast in seinem Hause, por Dios! Außerdem hatte er sich geschworen, dass er nie wieder eine Frau zu nah an sich heranlassen würde. Ja, das war das einzig Richtige. Nach dem heutigen Abend musste er ihr aus dem Weg gehen, so gut er konnte.

Am nächsten Morgen stand Jasmine mit einem Lächeln auf. Sie erinnerte sich nur zu gut an den schönen Abend mit Nevio. Ausgerechnet der gut aussehende Mann, der ihr in der Eingangshalle bereits aufgefallen war, hatte sie zu sich an den Tisch gebeten. Sie konnte es in dem Moment gar nicht richtig fassen.

Nevio hatte ein ziemliches Geheimnis daraus gemacht, wie lange er noch da sein würde, aber vielleicht würden sie sich noch einmal über den Weg laufen. Du bist nicht hier, um nach schönen Männern Ausschau zu halten! ermahnte sie sich. Jasmine schlüpfte in ihre neue Uniform. Sie überprüfte den Sitz im Spiegel, und ihr Blick fiel auf den Anhänger ihrer Kette. Das kleine Marienmedaillon hatte ihre Großmutter ihr in den letzten Minuten ihres Lebens in die Hand gedrückt. Die bewegenden Worte dazu trieben Jasmine erneut Tränen in die Augen. Doch nun sie war hier, um ein Versprechen einzulösen. Darauf musste sie sich konzentrieren. Finde den Ring. Rette damit das Hotel.

Das Problem war nur, dass Jasmine nicht genau wusste, wo und wie sie suchen sollte. Großmutters Stimme war sehr leise und brüchig gewesen, und sie hatte keine Zeit gehabt, die Zahl noch einmal zu wiederholen. Zweihundert hatte Jasmine verstanden, aber da war noch eine gehauchte Zahl gewesen. Zu leise. Seitdem hatte sie versucht, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, aber das würde wohl nur hier möglich sein. Hier im Hotel. Denn die Zweihundert gehörte doch sicher zu einer Zimmernummer. Dort war der Ring bestimmt versteckt. Ein Zimmer auf der zweiten Etage? Zweihundertirgendwas. Manchmal kam es Jasmine so vor, als sei dieser Hinweis der Schnipsel einer zerrissenen Schatzkarte, die sie finden und entziffern musste. Schon früher hatte Rosa von dem Familienring erzählt, aber bis zum Tag ihres Todes hatte Jasmine es für eine sagenumwobene Geschichte gehalten. Nie hätte sie erwartet, dass es diesen Ring wirklich gab!

Der Ring war angeblich schon ewig im Besitz der Familie. Nachdem Rosas Urgroßmutter gestorben war, hatte Jasmines Nana den Ring schätzen lassen. Angeblich war das Schmuckstück Millionen wert, und der eingefasste riesige Diamant besaß einen eigenen Namen. Pink Wonder. Aber wo war er? Jasmine zuckte mit den Schultern, schloss die Schublade mit den Strumpfhosen und stieß dabei an den Briefumschlag …

Schon gestern hatte sie gelesen, was die junge Frau, deren Stelle sie sich erschlichen hatte, geschrieben hatte. Der Brief war ein Geschenk des Himmels gewesen, allerdings nur, weil Jasmine als Einzige den Inhalt kannte. Nicht auszudenken, wenn Magdalena ihn wirklich geöffnet hätte. Darin stand, dass Nadia ihre Stelle nicht antreten würde. Sie kündigte noch vor Beginn, weil sich Dinge in ihrem Leben geändert hatten. Die private Situation, hatte sie geschrieben, ohne Details. Jasmine hoffte für diese Fremde, dass es schöne Veränderungen waren und kein Schicksalsschlag. Jedenfalls hatte der Brief ihr ein gehöriges Stück Entspannung geschenkt. Sie musste nicht mehr befürchten, dass diese Nadia hier im Hotel auftauchen würde. Unwillkürlich dachte Jasmine wieder an den versteckten Schatz. Sie verließ ihr Zimmer leise vor sich hin summend. Sie würde den Ring finden und ihr Versprechen einlösen.

Der Pausenraum für die Bediensteten lag tief im Inneren, im Herzen des Hotels sozusagen. Es gab mangels Fenster kein Tageslicht, und deswegen war er weder als Salon noch als Frühstücksraum für Hotelgäste geeignet. Jasmine erinnerte sich daran, dass früher in diesem Raum das Gepäck von Gästen aufbewahrt wurde, die sich noch einen schönen Tag in der Stadt machen wollten und am Nachmittag oder Abend abreisten und somit schon aus ihrem Zimmer ausgecheckt hatten. Damals hatte sie immer überlegt, dass es eine Verschwendung war, denn so sah nur derjenige, der die Koffer hier hineinstellte, die kunstvollen Mosaiken an der Wand, die kleinen Kronleuchter und das Muster aus hellem und dunklem Marmor am Boden. Der neue Besitzer hatte aus dem ehemaligen Gepäckraum eine wohnliche Oase geschaffen. Anstelle von echten Pflanzen hatte er hohe Terrakottavasen aufstellen lassen, in denen getrocknete Wedel mit buschig auffächerndem Gras standen und Zweige mit kleinen roten Perlen, die wie Beeren aussahen.

Das Mobiliar war fast identisch mit dem im Gästefrühstücksraum, ebenso die lange Theke, auf der Schalen, Teller und Schüsseln voller Brot, Obst, Käse und Wurst standen. Jasmine entdeckte sogar churros und jauchzte vor Freude, als sie daneben die kleinen Töpfchen mit geschmolzener Schokolade fand.

„Machst du Diät?“, begrüßte Magdalena sie und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Schokoladen-Obst-Diät?“ Sie kicherte.

Jasmine nickte ernst. „Keine Wurst, aber Fett, Zucker und Obst sind in rauen Mengen erlaubt.“ Sie gingen gemeinsam am Buffet entlang, und Jasmine nahm sich ein kleines Brötchen, etwas Frischkäse und ein paar Weintrauben. Magdalena schien eher Fan von herzhaften Speisen zu sein: Rühreier mit Schnittlauch, Oliven und Ciabatta mit einer nach Knoblauch duftenden Wurst. Sie setzten sich an einen Vierertisch an die hintere Wand unter ein riesiges Gemälde mit einer Flussszene unter Palmen.

„Beinahe so gut wie ein Fenster, nicht?“, seufzte Magdalena. „Im Ernst, ich bin froh, wenn ich nachher ein wenig im Innenhof fegen kann. Die Frischluft fehlt mir hier drin. Es ist ein bisschen wie ein goldener Käfig, oder?“

Jasmine biss herzhaft in ihr Brötchen und sah sich noch mal um. „Es gefällt mir hier. Aber ja, ein Fenster würde den Raum in einen Prunksaal verwandeln.“

Sie aßen schweigend, während Jasmine jeden Neuankömmling neugierig musterte. Als sich die Tische füllten, begann Magdalena leise die Namen der Kollegen um sie herum zu nennen. „Du wirst sehen, sie sind alle sehr nett, und du hast ja noch den Welpenschutz als Neue. Jetzt aber sollten wir gleich mal an die Arbeit gehen.“ Ihre Augen funkelten.

„Sollen wir uns in der Pause noch einmal zusammensetzen?“, fragte Jasmine und legte zufrieden ihr Besteck auf den leeren Teller.

„Willst du deine Runde heute schon ohne mich machen?“, fragte Magdalena.

„Ich denke, das geht, oder? So merke ich am ehesten, wo ich noch Fragen habe.“

„Okay.“ Magdalena klang nicht überzeugt. „Ich kann dich gerne noch einen weiteren Tag begleiten, wirklich.“ Es sah beinahe aus, als habe sie keine Lust alleine zu arbeiten. Aber Jasmine wollte schnell mit ihrer Suche beginnen. Es kam ihr vor, als würde die Zeit zwischen ihren Fingern verrinnen, obwohl sie niemand hetzte. Nur ihr Herz wollte, dass der Wunsch ihrer Großmutter schnellstmöglich in Erfüllung ging.

Nachdem Magdalena ihr die Aufgaben für den Tag zugewiesen hatte, begleitete sie Jasmine noch nach oben. Leider war sie für die erste Etage eingeteilt, und Magdalena übernahm die zweite. Die Etage, wo die Zweihunderter-Zimmer lagen.

„Du machst einfach alles wie gestern. Ich lasse mein Handy angeschaltet, stumm natürlich. Wenn du zwischendurch Fragen hast, schick mir einfach eine kurze Nachricht, dann helfe ich dir, ja?“ Magdalena sah etwas besorgt aus.

„Das ist lieb, aber bestimmt klappt alles. Schade nur …“, begann Jasmine, brach aber wieder ab. Würde es nicht verdächtig aussehen, wenn sie ausgerechnet die zweite Etage übernehmen wollte? Wie sollte man das erklären?

„Ja?“, fragte Magdalena und wartete.

„Ach nichts, ich dachte nur, ich könnte vielleicht das Zimmer zweihundertsiebenunddreißig noch einmal sehen. Das war nämlich das, wo ich damals mit meinen Eltern gewohnt habe. Aber sicher hat es sich sehr verändert, oder es sieht aus wie alle anderen Zimmer, wer weiß.“

Magdalena blickte den Gang hinunter und dann wieder zu Jasmine. „Tja, warum nicht? Möchtest du tauschen? Die Zimmer hier unten ähneln denen oben sehr, es ist egal, ob du die zweite oder erste Etage machst.“

Jasmine spürte ein aufgeregtes Kribbeln in sich aufsteigen, als sie im Gang der zweiten Etage stand. Hier gab es so viele Türen, dahinter so viele Zimmer, wo der Ring versteckt sein könnte. Ihr Herz schlug schneller, als sie das erste Zimmer aufschloss. Die Bewohner waren abgereist, und Jasmine musste es für die nächsten gebuchten Gäste herrichten. Schnell und trotzdem sorgfältig putzte sie das Badezimmer, kümmerte sich um neue Handtücher, bezog das Bett und legte auf jedes Kopfkissen eine kleine in glänzendes Goldpapier verpackte Praline. Sie überprüfte die Minibar und zog die Vorhänge ein Stück weiter auf, damit das Sonnenlicht ins Zimmer fluten konnte. Die Klimaanlage hielt es schließlich kühl.

Wie lange durfte sie pro Zimmer brauchen? Sie rechnete durch. Sie hatte heute zwanzig Zimmer zu machen, musste bis zur Mittagspause damit fertig sein, also blieben für jedes Zimmer ungefähr neun Minuten. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Für dieses Zimmer hatte sie acht gebraucht, oder? Sie musste sich wirklich etwas besser organisieren. Schnell sah sie sich um. Wo könnte man hier über Jahre etwas verstecken, wo es niemand fand? Unter einem losen Bodenbrett? Aber hier lag Teppich, das konnte es nicht sein. Vielleicht war eine Fliese im Badezimmer locker? Gab es ein Geheimfach im Schrank? Wo passte ein kleiner Stoffbeutel oder eine Ringschachtel hin?

Jasmine suchte nach jedem möglichen Versteck, das ihr einfiel, aber da war nichts. Es gab keine losen Bretter, nichts war unter Schubladen geklebt, nichts hinter einen Schrank gesteckt, nada. Sie sah sogar mithilfe des Schreibtischstuhls auf dem Kleiderschrank nach, fand dort aber nur Staub und Spinnweben. Mist, jetzt hatte sie weitere fünf Minuten verschwendet. Sie musste weiter, sonst würde sie ihr Pensum nie bis zum Mittag schaffen. Vielleicht müsste sie sich für ihre Suche doch mehr Zeit nehmen. Zwei Zimmer pro Tag gründlich durchsuchen und sich merken, die restlichen nur putzen und alles bereit machen.

Ihr Seufzen hallte durch den Gang, als sie die Tür hinter sich zuzog und den Wäsche- und Putzwagen vor das nächste Zimmer schob. Drinnen brummte es irgendwo, was verdächtig nach einem Handy klang. Hatte der Gast es im Zimmer vergessen? Jasmine öffnete die Tür und merkte sofort, dass etwas nicht stimmte.

„Ja, bitte?“, fragte Nevio. Was sollte diese Störung? Wieso kam jemand herein, ohne zuvor anzuklopfen? Verärgert sah er von seinen Unterlagen auf. In der geöffneten Tür stand ein Wagen voller Handtücher, Bettwäsche und mit diesen wunderbaren Pralinen. Dahinter konnte er dunkles Haar erkennen, rote Wangen und kaffeebraune Augen hinter einer dunkel umrandeten Brille. Das Zimmermädchen? Wenn, dann musste sie neu sein.

„Entschuldigung“, stammelte die Person und zog ihren Wagen wieder rückwärts aus dem Zimmer.

„Moment, bitte“, sagte Nevio überrascht. Er kannte ihre Stimme, und er kannte ihr Gesicht. Nur hatte sie gestern Abend in der Bar die langen Haare offen getragen und keine Brille aufgehabt, sondern vermutlich Kontaktlinsen.

„Es tut mir wirklich leid, ich wusste nicht … es ist mein erster Tag allein auf der Etage“, stammelte die junge Frau nervös.

Nevio fiel auf, dass sie sich irritiert im Zimmer umsah.

„Das ist mein Büro“, erklärte Nevio, weil er sich auf einmal fühlte, als müsse er sich entschuldigen. „Früher war es ein Gästezimmer wie all die anderen. Magdalena meinte auch, ich solle ein Schild anbringen, aber ich bin noch nicht dazu gekommen.“ Was stammelte er da eigentlich? Ganz klar, er fühlte sich ertappt. Jetzt musste sie nur eins und eins zusammenzählen, um zu wissen, dass er kein normaler Gast war und ihr gestern nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte, aber dann … „Jasmine?“, fragte er, um sicherzugehen.

Sie nickte zaghaft und schien ihn erst zu erkennen, als er um den Tisch ging und ein Stück auf sie zukam.

„Nevio?“, flüsterte sie. Sie starrte ihn einen Moment an, dann schlug sie sich eine Hand leicht vor die Stirn. Nevio. Sie hatte irgendwo gelesen, dass so der neue Besitzer hieß. Aber gestern Abend hatte sie nicht weiter darüber nachgedacht. „Sie sind der neue Besitzer, richtig? Bin ich jetzt gefeuert?“

„Was? Nein, natürlich nicht. Wie gesagt, ich sollte vielleicht ein Schild an der Tür anbringen … Ich bin allerdings überrascht, weil ich gestern davon ausging, dass du als Gast hier bist. Sonst hätte ich ganz anders reagiert.“ Er schluckte. Er hatte sie geduzt, wie bei der Verabschiedung am Abend. Und die Frau hatte leider immer noch genau die gleiche Wirkung auf ihn. Dabei war sie seine Angestellte. Warum wusste er nichts davon? „Bist du … ich meine, sind Sie neu hier?“

„Zweiter Tag“, sagte Jasmine und lächelte.

„Ach so.“ Nevio musste lachen. Auch wenn es nervös klang, lockerte das ein bisschen die merkwürdige Spannung zwischen ihnen.

Sie nickte. „Schön.“ Sie machte einen kleinen Knicks. „Ich arbeite dann mal weiter. Gibt es hier auf der Etage noch andere … Überraschungen? Weitere Büros, meine ich?“

„Nein, alle anderen Zimmer sind ganz normale Hotelzimmer.“ Nevios Wangen brannten immer noch, als sie den Wagen umständlich zurück in den Gang zog und die Tür leise hinter sich zumachte. Jasmine war kein Gast. Die umwerfende Frau vom Vorabend war Zimmermädchen in seinem Hotel. Nevio ging langsam zurück zu seinem Schreibtischsessel und ließ sich ins kühle Leder sinken. Sie hatte ihm etwas vorgespielt. Trotzdem musste er lächeln. Da hatten sie einander am Abend gegenübergesessen und beide so getan, als wären sie privat als Gast im „El Corazon“. Und was war? Sie arbeiteten beide im Hotel.

Er hätte ärgerlich sein können. Er sah es nicht gerne, wenn Angestellte die Bar besuchten und den Gästen die Plätze wegnahmen. Andererseits stand auch nirgendwo geschrieben, dass es nicht erlaubt war. Und wenn er Jasmine vorwerfen wollte, dass sie sich falsch verhalten hatte, dann hatte er es ebenso getan. Sie hatten sich gegenseitig etwas vorgespielt. Was für eine verrückte Situation! Nur warum hatte sie das getan? Egal. Es zeigte ihm noch einmal, dass sie nicht gut für ihn war. Nur wie sollte er ihr aus dem Weg gehen, wenn sie hier arbeitete?

Am Abend verzichtete Jasmine darauf, sich wieder in die Bar zu setzen, und verließ das Hotel durch den Hinterausgang. Draußen war es noch immer sehr warm, obwohl die Sonne langsam hinter den Häusern der Stadt versank. Jasmine atmete tief durch und genoss das warme Prickeln auf ihrer von der Klimaanlage gekühlten Haut. Die Geräusche von Sevilla waren noch die gleichen wie in ihrer Kindheit. Irgendwo läutete eine Kirchenglocke, ein Hund bellte, Autos rauschten vorbei und die Zikaden zirpten. Genau wie im letzten Sommer, als Nana so krank gewesen war. Jasmine wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, als sie an die letzten Worte ihrer Großmutter dachte.

Jasmine war diejenige gewesen, die in der Stunde ihres Todes bei ihr gesessen hatte. Die letzten Worte, die Großmutter gesagt hatte, waren für Jasmine bestimmt gewesen und für die Familie. Für die Hotels und besonders ihr heiß geliebtes Lieblingshotel „El Corazon“. Mittlerweile waren beinahe zwölf Monate vergangen, und seitdem war viel passiert.

Schon auf der Beerdigung hatte Jasmine ein noch schlechteres Gewissen gehabt als sonst, weil sie an den Rückflug nach Cardiff dachte. Ihr Lebensmittelpunkt war nicht in Sevilla und deshalb hatte sie sich nie so um die familieneigenen Hotels kümmern können wie ihre Schwester Tamara. Als Großmutter schwer krank wurde, war Jasmine unendlich froh gewesen, dass sie es organisieren konnte, zumindest jedes zweite Wochenende herzukommen. Von daher kannte sie jede mögliche Flugverbindung zwischen den Städten.

Mit einem Seufzen griff sie nach ihrem Handy. Sie sollte sich wirklich ankündigen. Sie tippte Tamaras Nummer ein und wartete. Um diese Zeit war die Schwester auf jeden Fall zu Hause. Vermutlich mit den Füßen auf dem Couchtisch vor einer Liebesschnulze im Fernsehen, sofern ihr Mann Romualdo mal wieder Überstunden machte. Falls er da war, stand sie vermutlich in der Küche und machte den Abwasch, während er Fußball guckte oder die Börsenkurse studierte.

„Si“, ertönte eine männliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Romualdo war also ausnahmsweise nicht auf Geschäftsreise. Jasmine atmete tief durch, bemühte sich um einen freundlichen Ton.

„Hola Romualdo. Ist Tamara da?“

„Jasmine? Moment.“ Es raschelte im Hintergrund. Sie hörte leise gedämpfte Worte, die ein bisschen nach Streit klangen. Vielleicht lästerte der Schwager mal wieder über sie.

„Si?“

„Hallo Tamara. Ich möchte dich besuchen kommen. Passt es dir heute Abend? Ich bin seit vorgestern in Sevilla.“

„Zwei Tage schon, und du meldest dich erst jetzt? Typisch.“

„Ich hab dich auch lieb“, sagte Jasmine nach dem Besetztzeichen und seufzte. Ihre Schwester hatte einfach aufgelegt. Tamara hatte nun die Information, die sie haben wollte, für längeres Geplänkel am Telefon war sie nicht zu haben. Nicht mehr.

Tamara war erst seit ein paar Jahren so. Ein bisschen hatte schon immer mitgeschwungen, dass sie Jasmine lieber bei sich in Sevilla gehabt hätte. Aber erst seit der Hochzeit mit Romualdo hatte sich ihr Verhältnis dermaßen verschlechtert. Vielleicht hetzte Romualdo sie auf? Manchmal hatte Jasmine allerdings das Gefühl, dass ihre Schwester unglücklich war. Jasmine wollte ihre Schwester zurückhaben, sie wollte, dass es wieder so war wie früher. Dazu musste sie weiterhin versuchen, Tamaras harten Panzer zu lüften und vielleicht zu knacken.

Jasmine kaufte in einem Supermarkt eine Schale Oliven und eine Portion catànies, in Schokoladencreme gehüllte Mandeln.

Der Fußweg zum Haus ihrer Schwester war gerade lang genug, um sich wieder zu beruhigen, das leise Plätschern am Flussufer des Guadalquivirs zu genießen und dann mit guter Laune auf den polierten Klingelknopf zu drücken.

Romualdo öffnete die Tür. „Tamara! Deine Schwester“, brüllte er hinter sich, drehte sich um und ging wieder ins Wohnzimmer.

„Schönen guten Abend, mein lieber Schwager“, murmelte Jasmine, starrte ihm böse hinterher und trat in den dunklen Hausflur. Manchmal war sie sich nicht sicher, ob ihre Schwester und vor allem ihr Mann eigentlich Kreaturen aus der Unterwelt waren. Die Sonne mochten sie definitiv nicht, und die kühlere Abendluft offenbar auch nicht. Tamara schlurfte leise stöhnend in den Flur.

„Oh, wow, bekommst du Zwillinge?“ Jasmine konnte sich die Frage einfach nicht verkneifen. Der Bauchumfang ihrer Schwester war enorm, obwohl der Geburtstermin erst in zwei Monaten war.

„Wenn du dich ab und zu mal melden würdest, wüsstest du das“, maulte Tamara und schaute sie vorwurfsvoll an.

„Ich …“, begann Jasmine, aber sie wollte Tamara nicht im Schnelldurchlauf erklären, warum sie sich so selten meldete. Vielleicht weil es keinen Spaß machte, sich jedes Mal wieder die alten Vorhaltungen anzuhören. Die neuen waren auch nicht besser, davon mal abgesehen. Tamara fühlte sich ohnehin immer ungerecht behandelt, mochte niemanden außer ihrem Ehemann und vielleicht noch ihre Eltern. Aber auch da war sich Jasmine nicht immer so sicher. Es war merkwürdig und unerklärlich, dass die Schwestern so unterschiedlich waren, und vermutlich ärgerte Tamara genau das am meisten. „Also tatsächlich Zwillinge, wie schön! Nun ja. Ich habe sehr viel zu tun in der Schule, weißt du“, sagte Jasmine schließlich. „Aber jetzt habe ich mir ein Sabbatjahr genommen, um hier zu sein.“

„Na, herzlichen Glückwunsch“, sagte Tamara. „Bequemt sich die Lady für ein ganzes Jahr an dem Ort zu sein, wo ihre Familie lebt und wo sie hingehört? Das ist ja generös.“

Jasmine beschloss, den schneidenden Unterton zu ignorieren. Sie wollte keinen Streit. „Komm, wir setzen uns in die Küche“, sagte sie deshalb und schob ihre Schwester vorsichtig dorthin.

Wie selbstverständlich öffnete sie die Fenster, um die frische Abendluft in den stickigen Raum zu lassen. „Hast du schon gegessen? Ich habe ein paar Kleinigkeiten mitgebracht. Leg doch am besten mal die Füße hoch.“

Schwerfällig ließ Tamara sich auf die gepolsterte Bank neben dem Kühlschrank sinken. Jasmine schob ihr einen Hocker unter die Beine und machte sich daran, eine Karaffe mit Wasser und Zitronenscheiben zu füllen. Die Tüte mit den catànies legte sie neben Tamara auf die Bank und setzte sich ebenfalls.

„Oh nein“, stöhnte Tamara. „Mandeln vertrage ich im Moment überhaupt nicht.“ Sie schob die Tüte weg. „Auch das wüsstest du, wenn …“

„Wenn ich öfter anrufen würde, ich weiß. Dann erzähl doch jetzt mal. Wie geht es dir, wie geht es dem Baby? Sorry, den Babys.“

Tamara strich über ihren runden Bauch, und für einen Moment wurde ihr Lächeln ganz weich und warm. „Gut“, sagte sie.

„Sind es wirklich Zwillinge?“, fragte Jasmine.

„Ja. Ich weiß es auch erst seit dem vorletzten Arztbesuch“, sagte sie. „Irgendwie haben die beiden es immer hinbekommen, wie ein Baby zu wirken. Aber beim letzten Ultraschall war es offensichtlich. Ein Mädchen und ein Junge.“

„Wundervoll“, sagte Jasmine und meinte es genauso. Sie erinnerte sich an die schwere Zeit, in der Tamara und Romualdo vergeblich versucht hatten, ein Kind zu bekommen. Jetzt hatte es nach sieben Jahren endlich geklappt. Und wenn sich Jasmine ihre Schwester so ansah, würde sie bestimmt eine liebevolle Mutter sein. Der Blick auf ihren runden Bauch war zärtlich, und sie lächelte. Vielleicht würden die beiden Kleinen ihre Schwester leichter aus der Reserve locken können als jeder andere.

„Wo wohnst du?“, fragte Tamara plötzlich.

„Im El Corazon“, sagte Jasmine, kam aber nicht dazu, sich weiter zu erklären.

„Was? Du wirfst diesem Betrüger auch noch Geld in den Rachen? Geld, das eigentlich uns zusteht? Wie hältst du es dort nur aus? Es muss furchtbar aussehen, er hatte ja bereits ein paar Wochen Zeit, dort nach Leibeskräften zu wüten. Dieser arrogante Schnösel, du hättest ihn mal bei der Vertragsunterzeichnung sehen sollen. So ein selbstgefälliges Lächeln, ich hätte ihm wirklich gerne den Vertrag um die Ohren gehauen. Und jetzt hat er sich im El Corazon eingenistet. Es ist ein fremder Ort geworden. Die Seele des Hotels ist mit Großmutter in den Himmel geschwebt“, sagte Tamara sehr laut und bekreuzigte sich.

„Ich wollte sehen, was ich tun kann“, begann Jasmine wieder. Sie erwähnte nicht, dass sie von Nevio mittlerweile ein ganz anderes Bild bekommen hatte. Er wirkte auf sie weder arrogant noch hinterhältig.

„Tun? Jetzt? Du hättest eher auftauchen müssen, um zu helfen, wie es sich für eine Tochter gehört. Mutter und Vater sind am Boden zerstört, seitdem sie die Hotels nicht mehr haben und jetzt auch das El Corazon diesem Verbrecher gehört!“

Im Wohnzimmer wurde der Ton des Fernsehers lauter. Offenbar hatte Romualdo keine Lust, sich ihr Gespräch mitanzuhören. Jasmine konnte es ihm wirklich nicht verdenken.

„Nevio ist doch kein …“

„Wieso nennst du diesen Betrüger beim Vornamen? Er hat unseren Eltern das Letzte genommen, was sie hatten! Unser Hotel, das jahrhundertelang im Besitz der Familie war.“ Tamara machte eine theatralische Geste.

Jasmine dachte sich ihren Teil. Es hatte keinen Zweck, ihrer Schwester zu erklären, dass Nevio einfach zugegriffen hatte, als das Hotel zum Verkauf stand. Wer würde das nicht tun? Wenn er es nicht gekauft hätte, dann ein anderer. Und von Betrug wusste Jasmine auch nichts. Sie seufzte leise. „Tamara, ich wäre gerne öfter hier, aber ich habe einen Job. Da kann ich nicht dauernd Urlaub nehmen. Du weißt doch, dass ich …“

„Nein, ich weiß es nicht. Du hättest auch hier einen Job haben können. Ohnehin solltest du hier wohnen, bei deiner Familie! Wir stammen aus Sevilla und nicht aus Cardiff, meine Güte!“

„Vater ist aus Cardiff“, erinnerte Jasmine ihre Schwester. „Wir beide sind dort geboren, und wir haben unsere gesamte Kindheit dort verbracht. Falls du das vergessen haben solltest.“

„Aber Mutter stammt aus Sevilla, genau wie ihre Eltern und deren Eltern. Die Familie von Vater wollte doch nichts mit uns zu tun haben. Weißt du nicht mehr? In deren Augen war es ein Unding, dass er eine Spanierin geheiratet und sein Heimatland verlassen hat …“ Tamara sah sie düster an.

„Dads Eltern sind mittlerweile dement. Beide. Sie wissen vermutlich nicht mehr, dass er verheiratet ist. Dafür können sie nichts. Und dass sie nichts mit uns zu tun haben wollen, liegt nur an ihrer Krankheit. Das weißt du genau.“

Tamara schnaubte. „Ach, weiß ich das? Das ist vielleicht jetzt so, aber doch nicht früher!“

Leider hatte Tamara recht. Dennoch rechtfertigte Jasmine diese schmerzhafte Realität lieber mit der Krankheit ihrer Großeltern. „Gegen die Hochzeit hatten sie nichts, nur gegen den Umzug. Ist ja auch egal. Ich bin jetzt ja hier.“

Tamara schnaubte erneut. „Das sehe ich. Und nun?“

Jasmine überlegte eine Weile, ob sie von Großmutters Wunsch und dem kostbaren Ring erzählen sollte. Aber sie war sich nicht sicher, wie die Schwester reagieren würde. Denn auch Eifersucht war eine sehr ausgeprägte Charaktereigenschaft von Tamara. Nach einer Weile holte sie tief Luft und entschied sich, das Geheimnis erst einmal für sich zu behalten. „Mir wird schon etwas einfallen. El Corazon wird bald wieder uns gehören.“

3. KAPITEL

Es war spät, als Jasmine im Hotel ankam. Auf dem Rückweg hatte sie versucht, sich zu erinnern, wann sich die Beziehung zu ihrer Schwester so verändert hatte. Während der Kindheit in Wales waren sie ein Herz und eine Seele gewesen. Sie hatten zusammen gespielt, sich ihre Geheimnisse und Gedanken erzählt und sich gegenseitig Ratschläge gegeben, als es begann, um Jungs zu gehen. Doch dann war der spanische Großvater gestorben, und ihre Eltern beschlossen, zurück nach Sevilla zu ziehen, um dort Großmutter Rosa unter die Arme zu greifen.

Nur Jasmine hatte nicht mitkommen wollen, obwohl schnell klar gewesen war, dass ihre Schwester mit nach Sevilla ziehen würde. Aber sie hing an ihrer Heimat, den Freunden und blieb bis zum Ende der Schulzeit in einem Internat in der Nähe von Cardiff.

Jetzt war sie froh, niemandem zu begegnen. Ihr Bedarf an anstrengenden Gesprächen war für heute gedeckt, sie hatte nicht mal mehr Lust auf unverfänglichen Small Talk. Sie wollte einfach ihre Ruhe. Schnell schlüpfte sie in ihr Zimmer und lehnte sich gegen die geschlossene Tür. Das Holz lag kühl und fest an ihrem Rücken. Der Duft von frischer Bettwäsche und Lavendelsäckchen erinnerte sie wieder an die Zeit, als sie ihre Ferien hier verbracht hatte. Die Geräusche im Flur waren die gleichen wie früher. Entfernte Stimmen, die sich unterhielten, Schritte auf Teppich, Fliesen und Treppe.

Aber etwas fehlte. Jasmines Eltern. Ihre Großeltern. Sogar Tamara. Tränen verschleierten ihren Blick, als sie an den letzten gemeinsamen Sommer vor dem Umzug nach Sevilla dachte. Sie hatten die Großeltern besucht und hier im Hotel in einer der schönsten Suiten gewohnt.

Als Kinder hatten Tamara und Jasmine sich hier unten im Bedienstetenbereich ein Zimmer geteilt oder in den alten Dachbodenräumen mit Schlafsäcken auf ausrangierten Matratzen geschlafen. Dort oben waren die Geräusche noch vielfältiger und geheimnisvoller gewesen. Weit entfernt waren auch Stimmen, aber das besondere Rascheln gab es nur auf dem Dachboden, wenn der Wind über die Dachschindeln strich und das Holzgebälk knackte, wenn der warme Tag der kühleren Nacht Platz machte. Auf dem Dach befand sich eine kleine quadratische Terrasse, die man von der Straße nicht einsehen konnte. Von dort aus sah man nur andere Dächer und den Himmel. Es war der Ort, an dem sie immer ihre Handtücher und Bikinis zum Trocknen aufgehängt hatten, weil es sich dann anfühlte wie ein richtiger Familienurlaub am Meer. In Wahrheit hatten die Eltern kaum Zeit gehabt, die Mädchen an den Strand zu begleiten, weil sie im Hotel mitgeholfen hatten. Tamara und Jasmine waren alleine mit dem Bus gefahren, auch das war schön gewesen.

Jasmine hatte es geliebt, dort oben zu sitzen, wenn die Sterne am Himmel funkelten, der Mond hell und rund im dunklen Blau hing, Nachtvögel vorbeiflogen und die Sonnenwärme noch aus den Dachziegeln strahlte. Oft hatten Tamara und sie sich dort oben ihr zukünftiges Leben ausgemalt, wenn sie erwachsen und verheiratet waren und vielleicht Kinder hatten. Wie anders beider Leben doch jetzt war! Okay, das von Tamara verlief ziemlich nach Plan. Schließlich hatte sie sich immer einen gut aussehenden Ehemann gewünscht. Das Aussehen schien ihr eindeutig wichtig zu sein. Romualdo hatte zwar ein klassisch schönes Gesicht und eine gute, durchtrainierte Figur, aber ihm fehlten eindeutig Charme, Lebensfreude und Humor.

Doch es war nicht an Jasmine, darüber zu urteilen. Wenn er Tamara gefiel, sollte es wohl so sein. Aber seit der Hochzeit mit Romualdo hatte sich das Verhältnis der beiden Schwestern deutlich verschlechtert. Jasmine seufzte und starrte zum Fenster. Die Palmen im Garten malten ein Schattenmuster auf die durchsichtigen Gardinen. Sie sollte ein bisschen Luft hereinlassen, stieß sich von der Tür ab und öffnete das Fenster.

Als kleines Mädchen hatte sie oft abends allein am Fenster gestanden und hinausgeschaut auf die beleuchteten Gebäude hinter dem Hotelgarten. Fasziniert vom Sternenhimmel hatte sie auf die Geräusche der Dunkelheit gelauscht. Das Lachen von vergnügten Menschen, die noch in eine Bar gingen oder bereits von dort zurückkehrten, das leise Rauschen der Autos und das Rascheln des Winds in den Blättern. Manchmal musste ihre Großmutter das gespürt haben und war ins Zimmer gekommen, obwohl Tamara schon schlief. Schon bevor Rosa ihre Arme um sie gelegt hatte, musste die kleine Jasmine lächeln, weil sie Nanas Anwesenheit bereits vorher gespürt hatte.

Jasmines Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Noch nie hatte sie Großmutter so vermisst wie in diesem Moment. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, hierherzukommen? Oder lag es an ihrem schlechten Gewissen? Schließlich hatte sie ihrer Großmutter versprochen, dass das Hotel in Familienhand bleiben würde. Sie hatte versagt. Natürlich wusste sie, dass es nicht ihre Schuld war, dass die Familie das Hotel verloren hatte. Man könnte ihren Vater als Schuldigen nennen, oder vielleicht einfach das Schicksal. Schließlich war seine Spielsucht eine Krankheit, die er nicht im Griff hatte.

Schluss jetzt. Sie wollte nicht hier herumstehen und weinen. Sie musste das Versprechen an ihre Großmutter erneuern, vielleicht ein bisschen abändern. Und wo wäre ein besserer Platz als die kleine versteckte Dachterrasse, die auch ihre Nana geliebt hatte?

Jasmine verließ das Zimmer. Im Flur war es beinahe dunkel, nur die kleinen Lämpchen der Notbeleuchtung verbreiteten ein schwaches, gelblich-grünes Licht. Natürlich war in der Eingangshalle noch Betrieb, Gäste kamen von ihren abendlichen Ausflügen zurück, einige saßen sicherlich noch in der Bar. Vielleicht auch Nevio. Jasmine schluckte. Zu gerne hätte sie sich noch einmal mit ihm unterhalten in der unbefangenen Atmosphäre von gestern Abend. Aber das ging nun einmal nicht. Die Dinge hatten sich geändert, schließlich hatte er sie als Zimmermädchen entlarvt.

Und sie ihn als den neuen Besitzer des Hotels. Jasmine schüttelte den Kopf über sich selbst. Warum war sie bei seinem Vornamen nicht hellhörig geworden? Ihre Schwester hatte ihn schließlich oft genug genannt. Nevio, der Hotelseelendieb. Andererseits war er wirklich nicht der einzige Mann, der so hieß, und über ihre Nachnamen hatten sie schließlich nicht gesprochen. Jasmine hatte sich in den vergangenen Monaten ein Bild von dem neuen Hoteleigentümer gemacht. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, dass er gut aussehend und sympathisch sein könnte. Außerdem hätte Jasmine den Hotelbesitzer wirklich nicht wie sie als Gast getarnt in der Bar erwartet. Sie musste bei diesem Gedanken lächeln, besonders als sie wieder seinen warmen Blick vor sich sah und die Leidenschaft in seinen Augen, wenn er erzählte.

Jasmine sah sich um, bevor sie sich nach oben stahl. Das Hotel hatte mehrere Bereiche, die Gäste nicht kannten. Vielleicht würde man vermuten, dass hinter der unscheinbaren Tür, die ebenso prunkvoll tapeziert war wie der Rest der Eingangshalle, eine Besenkammer war. Doch von hier aus führte ein Gang zu dem zweiten Treppenhaus, das nur die Bediensteten benutzten.