Romantische Tage, reizvolle Nächte (3-teilige Serie) - Anne Mather - E-Book

Romantische Tage, reizvolle Nächte (3-teilige Serie) E-Book

Anne Mather

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Beschreibung

WOHIN MEIN HERZ MICH TRÄGT
Das schillernde Manhattan hat für Olivia seinen Glanz verloren. Zuflucht sucht sie in der sanften Hügellandschaft ihrer englischen Heimat. Doch gleich am Flughafen holt die Vergangenheit sie ein: Ihr Exmann Joel Armstrong steht vor ihr. Und sofort sind all die widerstreitenden Gefühle von damals wieder da: Wut, Leidenschaft, überwältigendes Begehren. Sie weiß, dass sie nur glücklich wird, wenn sie sich ihrem Schicksal stellt.

SO UNWIDERSTEHLICH REIZVOLL
Niemals wird Raphael auf das Lächeln der schönen Juliet hereinfallen. Schließlich hält er sie für die Verlobte seines verhassten Cousins. Geht es ihr nur um das Herrenhaus seiner Großmutter? Doch dann ist er mit Juliet allein - und plötzlich liegt sie in seinen Armen ...

ZÄRTLICHE NÄCHTE IM PARADIES
Was Frauen betrifft, lässt der Milliardär Nick Coleman nichts anbrennen. Nur Sarah ist für ihn tabu. Koste es, was es wolle - er ist ihr Vormund! Dabei begehrt er sie grenzenlos. Womit er nicht allein ist: Ihre Schönheit - und ihr Erbe - zieht die Verehrer magisch an …

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Seitenzahl: 599

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Anne Mather, Miranda Lee

Romantische Tage, reizvolle Nächte (3-teilige Serie)

IMPRESSUM

Wohin mein Herz mich trägt erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2007 by Anne Mather Originaltitel: „The Pregnancy Affair“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 1809 - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Marianne Wienert

Umschlagsmotive: AllaSerebrina / Depositphotos

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751504447

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Bitte anschnallen.

Automatisch überprüfte Olivia den Verschluss ihres Sicherheitsgurts, als der Hinweis über ihr aufleuchtete. Gleich darauf kam die freundliche Stimme einer Flugbegleiterin über die Lautsprecheranlage: „Meine Damen und Herren, in Kürze erreichen wir den internationalen Flughafen von Newcastle. Bitte versichern Sie sich, dass Ihr Handgepäck in dem Schließfach über Ihrem Sitz verstaut und das Tablett vor Ihnen hochgeklappt ist.“

Olivias Magen zog sich zusammen, als der Pilot zur Landung ansetzte. Schuld daran war jedoch nicht der viele Kaffee, den sie während des Flugs getrunken hatte, sondern das Bewusstsein, nach all den Jahren in ihr Heimatdorf Bridgeford zurückzukehren.

Die Landung verlief problemlos. Während die Maschine auf das Flughafengebäude zurollte, suchten die Passagiere ihre diversen Besitztümer zusammen und bereiteten sich zum Aussteigen vor. Gesprochen wurde nicht viel – von wenigen Touristen abgesehen handelte es sich bei den Fluggästen um Geschäftsreisende, die sich in Gedanken mit ihren bevorstehenden oder bereits abgeschlossenen Transaktionen befassten.

Olivia war weder zu ihrem Vergnügen noch geschäftlich unterwegs, und sie fragte sich erneut, ob es richtig gewesen war, diese Reise anzutreten. Trotz aller Versicherungen ihrer Schwester bezweifelte sie, dass ihr Vater großes Verlangen nach einem Wiedersehen mit ihr verspürte. Nachdem sie ihr Leben nicht einmal, sondern gleich zweimal verpfuscht hatte, durfte sie weder Mitgefühl noch Verständnis von ihm erwarten. Doch für derlei Überlegungen war es nun wirklich zu spät.

Die Kabinentüren wurden geöffnet, und jeder hatte es eilig, die Maschine zu verlassen. Nicht jedoch Olivia: Sie stieg als eine der Letzten aus. Fast wäre sie gestürzt, als sie sich mit einem ihrer Stilettoabsätze in der Metalltreppe verfing. Sie hätte flache Schuhe anziehen sollen, es wäre gescheiter gewesen. Aber ihr Stolz hatte wieder einmal über die Vernunft gesiegt, und um zu verbergen, wie elend sie sich fühlte, hatte sie sich besonders schick anziehen wollen.

Sie ging durch die Passkontrolle und dann zum Gepäckband, wo sie mit den übrigen Reisenden auf ihren kleinen Koffer wartete. Mehr hatte sie für den kurzen Aufenthalt, den sie plante, nicht dabei. Der Rest ihrer Sachen befand sich zur Aufbewahrung bei einer Lagerfirma in London, wo sie in Zukunft zu leben gedachte. Mit diesem Besuch in Bridgeford wollte sie sich selbst und ihrer Familie lediglich beweisen, dass sie keine Angst hatte, nach Hause zu kommen – trotz allem, was geschehen war.

Ihr Koffer war einer der ersten auf dem Gepäckband. Sie zerrte ihn herunter und machte sich langsam auf den Weg zur Ankunftshalle. Nun war es also so weit. Linda, ihre Schwester, hatte versprochen, sie abzuholen, und das war immerhin ein kleiner Trost – sie war die Verständnisvollste in der ganzen Familie.

Olivia musterte die Menschenmenge hinter der Absperrung. Viele der Wartenden hielten zur Identifizierung ein Namensschild in die Höhe, doch in der Richtung hatte sie keine Bedenken: Sie würde ihre Schwester sofort wiedererkennen. Ob das umgekehrt auch der Fall war, würde sich herausstellen.

Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen. Der Koffer, den sie hinter sich herzog, stieß ihr gegen die Kniekehlen, ohne dass sie es merkte. Wie betäubt starrte sie auf den hochgewachsenen Mann, der ganz hinten in der Menge wartete und den Ausgang beobachtete – er konnte doch nicht ihretwegen hier sein! Unwillkürlich drehte sie sich um: Niemand folgte ihr; sie war inzwischen die Letzte.

Dann kam er auch schon auf sie zu. „Hallo, Olivia“, grüßte er, als er sie erreichte. „Hattest du einen guten Flug?“ Er griff nach dem Koffer.

Sie konnte es nicht glauben. „Was willst du hier?“, fragte sie nicht gerade höflich, aber das war ihr egal. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und das Blut rauschte ihr in den Adern. Was um alles in der Welt hatte Joel Armstrong hier zu suchen? Sie war überzeugt gewesen, dass er sie wie die Pest meiden würde. „W…wo ist Linda?“

„Daheim.“ Er ging voran, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. „Dein Vater hat einen schlechten Tag. Sie wollte ihn nicht allein lassen.“

Olivia blinzelte. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte ihr Vater nur schlechte Tage, aber sie schob den Gedanken gleich wieder beiseite. Ihr Kopf schwirrte, während sie versuchte, mit dem Mann neben ihr Schritt zu halten. Von dem Zwanzigjährigen, den sie vor fünfzehn Jahren das letzte Mal gesehen hatte, war kaum noch etwas zu erkennen.

Sie musterte ihn verstohlen: Die Größe hatte sich nicht geändert, doch die Schultern unter der schwarzen Lederjacke waren viel breiter als damals. Das dunkle Haar war kürzer, als sie es in Erinnerung hatte, aber noch genauso rebellisch. Ein bläulicher Bartschatten ließ das eckige Kinn noch markanter erscheinen. Was sie jetzt sah, war ein ausgesprochen männliches, ein wenig harsches Gesicht mit winzigen Falten in den Augenwinkeln und deutlich ausgeprägten Linien um den schmallippigen Mund.

Er sieht fantastisch aus, dachte sie mit einem Anflug der alten Faszination; er ist noch anziehender als früher. War sie wirklich einmal mit ihm verheiratet gewesen? Unwillkürlich fragte sie sich, ob alles anders gekommen wäre, hätte sie damals ihren Stolz unterdrückt und versucht, die Ehe zu retten.

Als sie das Flughafengebäude verließen und in den milden Aprilmorgen hinaustraten, stolperte sie und verwünschte aufs Neue ihre Aufmachung. Warum hatte sie Linda unbedingt mit ihrer schlanken Figur, dem superkurzen Designerkostüm und den hochhackigen Schuhen, in denen sie kaum laufen konnte, beeindrucken wollen? Zum Friseur war sie auch noch gegangen und ein kleines Vermögen losgeworden für die hellen Strähnchen in dem honigblonden Haar. Was wollte sie damit beweisen?

Joel war stehen geblieben, um auf sie zu warten. „Hast du dir wehgetan?“

„Nein, ich bin okay“, erwiderte sie schnell. „Wo hast du geparkt?“

„Dort drüben.“ Er ging ein wenig langsamer, um sich ihr anzupassen. „Wir können von Glück reden, dass es nicht mehr regnet. Heute Morgen war es ziemlich nass.“

„Ach ja?“ Sie schwieg. Nach fünfzehn Jahren fiel ihm nichts Besseres ein, als über das Wetter zu reden, und er fand das anscheinend auch ganz normal. Im Gegensatz zu ihr war er völlig entspannt.

Wie sehr er sich verändert hat! ging es ihr durch den Kopf. Und nicht zu seinem Nachteil.

Sie erinnerte sich, dass er nach dem Abitur, trotz hervorragender Noten, sofort auf der Farm ihres Vaters angefangen hatte, weil sie so schnell wie möglich heiraten wollten. Bei der Hochzeit ein Jahr später war sie achtzehn und er ein paar Monate über neunzehn gewesen, und jeder im Dorf hatte erwartet, dass es fürs Leben war, sie und Joel am allermeisten. Zumindest war es ihr damals so vorgekommen. Jetzt, fünfzehn Jahre später, überlegte sie, ob sie sich nicht von Anfang an in ihm getäuscht hatte, ob es nicht eine der vielen Fehlentscheidungen in ihrem Leben gewesen war.

„Wie … wie ist es dir ergangen?“, fragte sie, um das Schweigen zu überbrücken. Ihre Füße schmerzten, während sie über den Parkplatz gingen und zwischen den Autoreihen nach seinem Wagen suchten. „Es ist ein Weilchen her, seit wir uns zuletzt gesehen haben.“

Joel warf ihr einen ironischen Blick zu. Auch das war neu – früher hätte er sie nie so angesehen. Es war, als mache er sich insgeheim über sie lustig. „Du siehst gut aus. Das Leben in den Staaten scheint dir zu bekommen.“

Er irrte sich, doch das behielt sie für sich. Sonst hätte sie womöglich erklären müssen, dass ihre schlechte Verfassung nicht an dem Land selbst lag, sondern an dem Mann, dem sie dorthin gefolgt war.

Vor einem imposanten Geländewagen blieb er stehen und öffnete die Hecktür, um ihren Koffer zu verstauen. Beeindruckt betrachtete sie das luxuriöse Fahrzeug und fragte sich, ob es ihm oder der Farm gehörte. In beiden Fällen bedeutete es, dass zumindest finanziell alles zum Besten stand.

Er ging nach vorn und öffnete die Beifahrertür.

„Nicht schlecht“, bemerkte sie, während sie ungeschickt auf den hohen Sitz kletterte, wobei ihr Minirock mehr von den Schenkeln enthüllte, als ihr lieb war. Sie wünschte, Joel würde anstatt auf ihren Rücken anderswo hinschauen – sein mokantes Lächeln war ihr nicht entgangen.

„Mir gefällt er.“ Er schlug die Tür hinter ihr zu und ging zur Fahrerseite. Mit seinen langen Beinen bereitete ihm das Einsteigen natürlich keinerlei Beschwerden. „Bist du so weit?“

Ein wenig verstimmt nickte sie. Als er nach dem Lenkrad griff, bemerkte sie den Ehering an seiner rechten Hand. Nicht den, den sie ihm damals an den Finger gesteckt hatte, sondern einen neuen, breiteren. Er musste einiges gekostet haben. Bei dem Anblick verspürte sie ein seltsames Ziehen in der Magengegend.

„Bist du verheiratet?“

Sie biss sich auf die Zunge. Die Frage war unangebracht – sein Privatleben ging sie nichts an. Außerdem war es ihr auch völlig gleichgültig. Er hatte sie also ersetzt – na und?

„Stört es dich?“

„Warum sollte es?“ Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, und wandte sich ab, um einem Flugzeug beim Landemanöver zuzuschauen. „Hier scheint ziemlich viel Betrieb zu sein – mehr, als ich in Erinnerung hatte.“

„Die Zeiten ändern sich.“ Geschickt lenkte er das wuchtige Fahrzeug aus der Parklücke und steuerte dem Ausgang zu. „Falls es dich interessiert – ich bin auch wieder geschieden. Anscheinend haben wir beide in der Richtung kein Glück.“

„Was willst du damit sagen?“

Er musterte sie spöttisch. „Linda hat mir erzählt, dass es bei deinem zweiten Versuch auch nicht geklappt hat. Bist du deshalb nach England zurückgekommen?“

Verärgert stieß Olivia den Atem aus. Sie hätte sich denken können, dass ihre Schwester den Mund nicht halten würde. „Nein“, erwiderte sie kurz. „Nicht deswegen, aus beruflichen Gründen. Ich kenne den amerikanischen Häusermarkt nicht gut genug, um in New York den richtigen Job zu finden.“

„Aha.“ Es klang nicht sehr überzeugt. „Willst du für eine Immobilienagentur in Newcastle arbeiten?“

„Nicht in Newcastle, in London.“ Warum fand sie es notwendig, ihm das alles zu erzählen? Was er von ihr dachte, war ihr doch gleichgültig, oder? Im Stillen verwünschte sie ihre Schwester. Hätte Linda ihn nicht gebeten, sie abzuholen, wäre ihr diese Unterhaltung erspart geblieben.

Sowie sie den Flughafen hinter sich gelassen hatten, bog Joel auf eine Landstraße in Richtung Norden ab. Der Himmel war jetzt von einem blassen, fast durchsichtigen Hellblau, an den Bäumen prangten zartgrün die jungen Blätter, und auf den Wiesen blühten noch ein paar Narzissen. Nach all den Jahren in der Großstadt hatte Olivia ganz vergessen, wie schön der englische Frühling sein konnte.

„Wie geht es meinem Vater?“, fragte sie nach einer Weile, als das Schweigen langsam ungemütlich wurde. „Ist er immer noch so leicht erregbar?“

„Er hat gute und schlechte Tage, aber das hat Linda dir bestimmt schon mitgeteilt. Nach dem Schlaganfall …“

„Schlaganfall? Davon ist mir nichts bekannt.“

„Ach? Vielleicht hätte ich es auch nicht erwähnen sollen. Dem alten Herrn liegt bestimmt nicht daran, dass jeder beliebige Mensch über seinen Zustand informiert ist.“

„Na hör mal! Ich bin doch nicht jeder beliebige Mensch, ich bin seine Tochter! Glaubst du nicht, dass ich über seine Krankheit Bescheid wissen sollte?“

„Das kommt darauf an, wie ihr zueinander steht“, erwiderte er gleichmütig. „Wann habt ihr euch das letzte Mal gesehen?“

„Du weißt genau, wie lange es her ist!“, entgegnete sie hitzig. „Nach unserer Trennung – ich meine, deiner und meiner – war ich zu Hause nicht gerade willkommen.“

„Soll das eine Entschuldigung sein?“

„Nein.“ Sie spürte, wie sie erneut rot wurde. „Eher eine Erklärung. Ich habe ihm geschrieben, aber er hat meine Briefe nie beantwortet. Und als ich versuchte, ihn anzurufen, wollte er nicht mit mir sprechen.“

„Davon wusste ich nichts.“

„Warum solltest du auch? Nach unserem … Zerwürfnis kann ich mir nicht vorstellen, dass du das Verlangen hattest, jemals wieder von mir zu hören.“

Er schüttelte den Kopf. „Das stimmt nicht, Liv. Über das, was du getan hast, bin ich längst hinweg. Seitdem habe ich, wie du jetzt weißt, wieder geheiratet und bin inzwischen Vater eines Sohns. Und was uns betrifft … Wir waren damals viel zu jung, um zu wissen, was wir wollten.“

Olivia zwang sich, den Blick starr nach vorn zu richten. Joel war Vater! Auf alles war sie gefasst gewesen, nur darauf nicht, und die Nachricht traf sie wie ein Messerstich.

Krampfhaft überlegte sie, was sie erwidern sollte; etwas musste sie schließlich sagen. Und was machte es ihr schon aus, ob er Vater war oder nicht! Doch wie sehr sie sich auch gegen die Erkenntnis wehrte, sie wusste, warum es ihr so naheging. Seine Worte öffneten eine Wunde, von der sie geglaubt hatte, dass sie inzwischen verheilt war. Und nun musste sie feststellen, dass sie heute noch ebenso schmerzte wie an jenem Tag, als sie Joels Baby verlor.

„Ach, wirklich?“ Sie hoffte, ihre Stimme verriet nicht, was in ihr vorging. „Wie dem auch sei – ich finde, Linda hätte mir Dads Schlaganfall mitteilen sollen.“

„Vielleicht hatte sie Angst, du wärst nicht gekommen, wenn du davon gewusst hättest. Ben macht es deiner Schwester nicht einfach, obwohl er ohne die Hilfe deines Schwagers nicht auskommen könnte.“

„Martin kümmert sich um die Farm?“, fragte Olivia erstaunt. „Ich dachte, er arbeitet für eine Gärtnerei.“

„Nicht mehr.“ Joel gab Gas, um einen Traktor zu überholen. „Er und Linda wohnen jetzt bei deinem Vater, was unter den Umständen das einzig Vernünftige ist.“

Olivia verstand überhaupt nichts mehr. Als sie von Bridgeford wegging, hatte Joel die Farm praktisch im Alleingang bewirtschaftet, und er sollte sie später einmal, wenn Ben sich zur Ruhe setzte, auch übernehmen. Was hatte Lindas Mann damit zu tun? Hatte ihr Vater Joel nach ihrem Fortgehen entlassen? Er hatte ihr nie verziehen, dass die Ehe in die Brüche ging, aber dafür konnte er doch Joel nicht bestrafen! Sie war es, die den Schlussstrich gezogen hatte …

Die kurvenreiche Straße machte erneut eine Biegung, und Olivia erhaschte einen ersten Blick auf Redes Bay, ihre Lieblingsbucht. In der Mittagssonne glänzte das Meer wie ein Spiegel. Bridgeford lag nur wenige Kilometer weiter entfernt.

„Du musst hungrig sein“, bemerkte Joel, und Olivia lächelte schwach. Obwohl sie außer Kaffee nichts im Magen hatte, war ihr nach Essen nicht zumute. „Wir sind bald da“, fuhr er fort. „Linda wartet wahrscheinlich schon mit dem Mittagessen. Sie backt noch immer die beste Fleischpastete im ganzen Dorf.“

„Wirklich?“ Bei dem Gedanken an Fleischpastete verging Olivia der Appetit noch mehr. Sie achtete auf ihr Gewicht und aß sehr kalorienbewusst, hauptsächlich Fisch und rohes Gemüse – Hasenfutter, wie ihre Schwester es nannte. Schweres fetthaltiges Essen war ihr ein Gräuel.

Anscheinend konnte Joel Gedanken lesen, denn nach einem Seitenblick fügte er hinzu: „Ein paar Pfund mehr würden dir nicht schaden.“

„Meinst du?“, bemerkte sie etwas verstimmt. „Du bevorzugst wohl den fülligen Typ.“

Er schmunzelte. „Damit hast du nicht ganz unrecht.“

Olivia stieg die Galle hoch. Sie war so stolz auf ihre schlanke Figur, und er machte sich über sie lustig.

„Ich nehme an, deine zweite Frau hatte all die Vorzüge, die mir abgehen“, entgegnete sie bissig. Sie wusste, dass sie dabei war, sich lächerlich zu machen, doch das war ihr im Moment egal. „Nun, in meinem Bekanntenkreis achten die Frauen auf ihre Linie, und ich persönlich lege keinen Wert darauf, wie eine Milchkuh auszusehen.“

Sofort verschwand das Lächeln von seinem Gesicht. „Das hast du bewiesen, als du unser Baby abgetrieben hast“, erwiderte er harsch. Er presste die Lippen zusammen, als befürchte er, noch mehr zu sagen, doch gleich darauf hatte er sich wieder unter Kontrolle. „Entschuldige, dass ich damit angefangen habe.“

Olivia schluckte. Sie hatte sich geschworen, dieses Thema nicht anzuschneiden, sollten sie sich während ihres Besuchs in Bridgeford zufällig begegnen. Doch jetzt konnte sie sich nicht zurückhalten. „Das habe ich nicht! Auf die Gefahr hin, dich mit meinen Wiederholungen zu langweilen – ich hatte eine Fehlgeburt. So etwas kommt vor, ob du es nun glaubst oder nicht.“

Joel umklammerte das Lenkrad so fest, dass die Knöchel an seinen Händen weiß hervortraten. „Was auch immer“, erwiderte er ausdruckslos, und sie wusste, dass er ihr heute ebenso wenig glaubte wie damals. „Wir sind gleich da. Es macht dir sicher nichts aus, wenn ich nicht bleibe, aber ich habe es eilig. Ich muss zurück zur Uni.“

„Zur Uni?“

„Ja. In Newcastle.“

„Du gehst zur Uni?“

„Ich arbeite dort. Davon hat Linda wohl auch nichts gesagt, wie?“

Olivia blieb der Mund offen stehen. „Nein.“

Ihre Schwester hatte Joel überhaupt nicht erwähnt. Olivia war davon ausgegangen, dass sie es aus Taktgefühl nicht getan hatte, und war deswegen umso überraschter, dass sie ihn zum Flughafen geschickt hatte.

„Schockiert dich das?“

Sie musste etwas erwidern, um nicht den Eindruck zu erwecken, neidisch zu sein. Sie selbst war nie zur Uni gegangen, hatte allerdings später an der Abendschule ein Volkswirtschaftsstudium nachgeholt.

Nicht, dass sie es jemals gebraucht hätte. Als sie ihr Diplom erhielt, arbeitete sie bereits für eine der führenden Immobilienagenturen in London, verdiente mit sechsundzwanzig ein sechsstelliges Jahreseinkommen und wohnte in einem schicken kleinen Apartment in Bloomsbury, einem der gepflegtesten Stadtteile.

All das hatte sie aufgegeben, als sie Bruce Garvey begegnete und zustimmte, als seine Frau mit ihm nach New York zu ziehen. Denn trotz der erfolgreichen Karriere war sie in London sehr einsam gewesen. Sie hatte kaum Freunde und ihre Familie und ehemaligen Bekannten arg vermisst. Sogar Joel, den sie nicht vergessen konnte, obwohl sie sich das nicht eingestand und ihm nie verzeihen würde, dass er sie, als sie ihn am meisten brauchte, im Stich gelassen hatte.

„Deinen Eltern war es bestimmt recht, dass du die Landwirtschaft aufgegeben hast“, sagte sie schließlich. „Ich ging davon aus, du arbeitest noch immer für meinen Vater.“

Joel schüttelte den Kopf. „Nach unserer Trennung konnte ich nicht mehr bleiben.“

„Willst du damit sagen, Dad hat dich entlassen?“

„Wo denkst du hin?“ Er musterte sie ironisch. „Du musst nicht glauben, dass sich alles nur um dich dreht, Olivia. Ich habe lediglich nachgeholt, was ich gleich nach dem Gymnasium hätte tun sollen. Ich ging nach Leeds auf die Universität und studierte für mein IT-Diplom.“

„IT?“

„Informationstechnik“, erklärte er geduldig. „Computerwissenschaft, wenn dir das lieber ist.“

„Oh.“ Sie lehnte sich nun in dem weichen Ledersitz zurück. „Nun, ich freue mich, dass für dich alles nach Wunsch gegangen ist.“

„So – meinst du?“ Er drehte sich zu ihr, und seine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. „Zweimal unglücklich verheiratet, ein Kind, das nie zur Welt kam – was mehr kann man sich wünschen? Und wie sieht es bei dir aus?“

2. KAPITEL

Die Antwort blieb Olivia zum Glück erspart, denn sie hatten Bridgeford erreicht, und Joel musste seine Aufmerksamkeit nun dem Verkehr widmen. Sie tat, als hätte sie die zynischen Worte nicht gehört, obwohl seine Gefühllosigkeit sie ins Herz traf und all die Qualen, die sie damals durchgestanden hatte, neu aufleben ließ. Um sich abzulenken, betrachtete sie die vertraute Umgebung, und der hübsche Anblick trug dazu bei, den Schmerz in ihrer Seele wieder zu lindern.

Kaum etwas hatte sich hier verändert. Viktorianische Wohnhäuser und vornehme alte Villen umringten nach wie vor den Park im Zentrum. Auch hier blühten die Narzissen und sogar schon die ersten Mandelbäume. Als sie an der Kirche vorbeifuhren, erspähte sie hinter der Friedhofsmauer ein paar Dächer, die es zu ihrer Zeit nicht gegeben hatte, ansonsten war alles wie früher.

„Wohnen deine Eltern noch immer im Dorf?“, fragte sie ein wenig steif. Besonders Mrs. Armstrong war gegen die Beziehung ihres Sohns zu Olivia gewesen und machte auch nach der Hochzeit kein Geheimnis daraus, dass sie Ben Foleys Tochter nicht gut genug für ihn fand.

„Ja, allerdings haben sie nach der Pensionierung meines Vaters auch eine Ferienwohnung in Spanien gekauft, wo sie jedes Jahr den Winter verbringen. Im Moment sind sie auch dort.“

Das erklärt, weshalb er am Flughafen war, überlegte Olivia zynisch. Joel wusste ja, wie seine Eltern über sie dachten, und wenn sie zu Hause gewesen wären, hätte er sich das mit dem Abholen wahrscheinlich zweimal überlegt.

Das Haus der Armstrongs lag an der Straße, die hinaus zur Farm führte. Es trug den schönen Namen Rose Cottage und war im Sommer hinter den üppig blühenden Heckenrosenbüschen kaum zu sehen. Hier hatte der Schulbus zum Gymnasium von Chevingham, einer Kleinstadt fünfzehn Kilometer südlich von Bridgeford, gehalten. Hier hatte Joel jeden Morgen am Gartentor auf sie gewartet. Sie gingen in die gleiche Schule – jedoch nicht in die gleiche Klasse, da er älter war als sie. Ihre Treffen beschränkten sich anfangs auf die Busfahrten, doch es dauerte nicht lange, bevor sie sich heimlich nach der Schule trafen und aus Kameradschaft Freundschaft und sehr bald mehr wurde. Vielleicht, dachte Olivia jetzt, war das der Grund, weshalb wir so vernarrt ineinander waren … das Gefühl, verbotene Früchte zu genießen …

„Und? Sieht alles noch so aus wie früher?“

Sie atmete tief durch. Es war nicht gut, Erinnerungen nachzuhängen. Wie er schon sagte – das Leben ging weiter.

„So ziemlich.“

Eine letzte Biegung, und sie erreichten die Einfahrt zur Farm. Sie passierten das weiß gestrichene Tor, vorbei an den Ställen für Kühe und Pferde, bis sie vor dem Wohnhaus standen, wo Joel anhielt und den Motor abstellte. Olivia war daheim – der Moment, ihrer Familie gegenüberzutreten, war gekommen. Wie würde ihr Vater sie aufnehmen? Die Einladung war nicht von ihm ausgegangen, sondern von Linda. Linda, die sie so wenig auf diesen Besuch vorbereitet hatte.

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Joel, als Olivia keine Anstalten machte, auszusteigen.

Wahrscheinlich fragt er sich, worauf ich warte, ging es ihr durch den Kopf. Joel mit seiner Universitätskarriere und seinem kostbaren Sohn. Er am allerwenigsten würde wissen, wie ihr zumute war.

„Wieso fragst du? Natürlich ist alles in Ordnung.“ Sie nahm ihre Handtasche und griff nach der Tür. „Danke, dass du mich abgeholt hast. Es war eine … interessante Fahrt.“ Sofort bereute sie die dumme Bemerkung. Guter Gott, was war nur mit ihr los?

Er betrachtete sie nachdenklich. „Irgendwie habe ich den Eindruck, dass du wütend auf mich bist.“

Bevor sie darauf antworten konnte, kam Linda aus dem Haus. Nervös fummelte Oliva an dem Griff – sie hatte es ebenso eilig, Joel endlich loszuwerden wie ihre Schwester zu begrüßen. Natürlich kam sie nicht zurecht, sodass er sich vorlehnte, um die Tür für sie aufzumachen. Dabei streifte er mit dem Arm ihre Brüste. Wie elektrisiert fuhr sie zurück, sprang aus dem hohen Fahrzeug und hätte sich um ein Haar den Knöchel verstaucht. Gerade rechtzeitig fing sie sich am Kotflügel auf. Nach einem tiefen Atemzug straffte sie die Schultern und ging ihrer Schwester etwas unsicher entgegen.

„Hallo, Linda. Schön, dich wiederzusehen.“

Linda machte eine Kopfbewegung, und Olivia stellte überrascht fest, dass ihrer Schwester Tränen in den Augen standen. „Livvy! Ich freue mich so, dass du da bist.“ Sie warf ihr beide Arme um die Schultern und drückte sie fest an sich.

Die überschwängliche Begrüßung brachte Olivia noch mehr aus dem Konzept. Linda war noch nie eine Schmusekatze gewesen, nicht einmal als kleines Mädchen. Anscheinend hatten die Jahre sie weicher gestimmt, denn sie betrachtete Olivia jetzt mit aufrichtiger Zuneigung. „Ich bin so froh, dass du gekommen bist. Die Farm ist nach wie vor dein Heim, vergiss das nicht.“ Sie trat einen Schritt zurück und nickte Joel zu, der dabei war, den Koffer aus dem Wagen zu heben. „Danke fürs Abholen, Joel, du hast mir einen großen Gefallen getan. Komm rein und sag Dad Guten Tag.“

„Das geht leider nicht.“ Mit einem leichten Knall ließ er die Hecktür einrasten. „Ich muss zur Uni zurück. Um vier habe ich eine Vorlesung.“

Eine Vorlesung! Er war also Dozent – noch etwas, das sie nicht gewusst hatte.

„Dann eben ein andermal. Lass dich bald wieder sehen, okay? Livvy ist kein Grund, uns zu vernachlässigen.“

„Natürlich nicht“, versicherte er eher kühl, doch Linda schien das nicht aufzufallen. Sie nahm ihm den Koffer aus der Hand, und Joel ging zum Wagen zurück. Er nickte Olivia kurz zu, dann setzte er sich ans Lenkrad, wendete und fuhr los. Sie sah ihm nach, und ihr wurde bewusst, dass sie sich nicht einmal von ihm verabschiedet hatte.

Achselzuckend drehte sie sich zu ihrer Schwester. „Gib mir den Koffer, ich kann ihn selber tragen.“

„In den Schuhen?“ Lindas Ton hatte etwas von der alten Schärfe, an die sich Olivia noch gut erinnerte. „Komm jetzt, Dad wartet schon.“

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass er einen Schlaganfall hatte?“

Linda versteifte sich. „Weil ich dachte, dass es besser ist“, entgegnete sie kurz und ging voran.

Im Flur angekommen, stellte sie den Koffer ab. „Du weißt, wie empfindlich er ist. Ich wollte nicht, dass er glaubt, du bist nur wegen seiner Krankheit gekommen.“

„Schön, das leuchtet mir ein. Wie geht es ihm? Joel hat nicht viel erzählt.“

„Nicht schlecht, jeden Tag ein wenig besser. Aber davon wirst du dich ja bald selbst überzeugen.“ Sie machte eine Pause. „Du dagegen siehst halb verhungert aus. Ich nehme an, das kommt von einer dieser verrückten Abmagerungskuren.“

Am liebsten hätte Olivia geantwortet, dass es Linda nicht schaden würde, ein paar Pfund loszuwerden. „Mir geht es ausgezeichnet“, versicherte sie kühl.

Gleichmütig zuckte ihre Schwester nun mit den Schultern. „Du musst es ja wissen. Komm – Dad ist bestimmt schon ungeduldig. Er hat jetzt das kleine Wohnzimmer für sich, das erspart ihm das Treppensteigen. Dich habe ich ganz oben in Mutters altem Nähzimmer untergebracht, ich hoffe, es ist dir recht. Jayne und Andrew haben unsere alten Zimmer.“

Olivia nickte. Wo sie schlief, war ihr ziemlich gleichgültig, sie hatte das Gefühl, dass ihr Besuch nicht von langer Dauer sein würde. Lindas Kinder hatte sie allerdings ganz vergessen. Als sie von Bridgeford wegging, waren die beiden fast noch Babys. Inzwischen musste Jayne achtzehn sein und Andrew siebzehn. Unglaublich! Ihre Nichte war im gleichen Alter wie sie damals, als sie Joel heiratete.

„Wo sind sie?“, erkundigte sie sich. „In der Schule?“

Linda blieb stehen. „Nein, damit sind sie schon lange fertig. Jayne arbeitet in einer Boutique in Chevingham. Es macht ihr Spaß, und sie kommt gut voran. Und Andy ist wahrscheinlich mit Martin nach Alnwick gefahren, um einen neuen Zylinder für den Traktor zu besorgen.“

„Ach …“, Olivias Überraschung war offensichtlich.

„Du meinst wohl, sie hätten Abitur machen sollen, wie?“ Linda musterte ihre Schwester unfreundlich. „So wie du damals. Dad musste vorn und hinten sparen, nur damit du aufs Gymnasium gehen konntest, und was hat es gebracht? Sowie du fertig warst, hast du Joel geheiratet.“

Olivia schwieg bestürzt. Dass es ihrem Vater schwergefallen war, sie aufs Gymnasium zu schicken, hörte sie zum ersten Mal.

„Wie dem auch sei …“, fuhr Linda fort, „… wir können uns das nicht leisten, Livvy. Seitdem wir bei der Maul- und Klauenseuche fast die ganze Herde verloren haben, sieht es alles andere als rosig aus. Die Regierung hat natürlich Entschädigung gezahlt, aber bei Weitem nicht genug. Deswegen versucht Martin ja auch, Dad zu überzeugen, dass es notwendig ist …“, sie verstummte abrupt, und Olivia fragte sich, ob Linda von ihrem Vater nicht gehört werden wollte oder ob sie ihretwegen nicht weitersprach. Was immer der Grund sein mochte, sie legte einen Finger auf den Mund, bevor sie die Tür zum Krankenzimmer einen Spalt öffnete und den Kopf hineinsteckte. „Dad? Du schläfst doch nicht, oder?“, fragte sie gekünstelt munter. „Livvy ist hier.“

Olivia vernahm ein paar undeutliche Worte und folgte ihrer Schwester. Als sie ihren Vater erblickte, musste sie an sich halten, um ihre Bestürzung nicht zu zeigen.

Zurückgelehnt ruhte der alte Herr in einem Sessel neben dem Fenster, eine Decke über den Knien. Seine linke Gesichtshälfte war gelähmt und sein Haar völlig ergraut.

„Hallo, Dad.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln, während sie auf ihn zuging und auf die gesunde Wange küsste. „Es ist lange her, seit wir uns gesehen haben.“

„Wessen Schuld ist das?“ Das Sprechen fiel ihm ganz offensichtlich schwer, aber zumindest verstand sie ihn.

„Meine, nehme ich an“, erwiderte sie ruhig, obwohl es nicht stimmte. Auch Ben Foley hatte damals nicht an eine Fehlgeburt geglaubt, und als sie sich von Joel trennte, hatte er sie mehr oder weniger vor die Tür gesetzt und jeden Kontakt mit ihr abgebrochen.

Jetzt fragte sie sich, ob er es danach, als Joel von der Farm wegzog, bedauerte. Vermutlich hatte er gehofft, dass sein Schwiegersohn nach der Scheidung zurückkommen und weiter für ihn arbeiten würde. Dass er es nicht getan hatte, war sicherlich eine bittere Enttäuschung für ihn.

Ungeduldig schob sie die Vergangenheit beiseite. „Wie du siehst, bin ich doch noch gekommen. Wie geht es dir, Dad?“

„Wie soll es mir schon gehen? Hast du keine Augen im Kopf?“, erwiderte er schroff, worauf Linda ihm besänftigend die Hand auf die Schulter legte.

„Livvy meint es doch nur gut, Dad. Sie macht sich Sorgen um dich.“

Olivia wäre es lieber gewesen, wenn ihre Schwester sich nicht eingemischt und sie mit ihrem Vater allein gelassen hätte. Aber diese Aussicht bestand wohl nicht, denn sie wollte wissen: „Möchtest du auch eine Tasse Tee, Dad? Während Livvy ihre Sachen auspackt, gehe ich uns eine frische Kanne kochen.“

Ben runzelte die Stirn. „Ich dachte, sie ist da, um mir Gesellschaft zu leisten.“

„Ja, deswegen bin ich …“, begann Olivia, doch Linda fiel ihr ins Wort. „Später, Dad. Sie ist eben erst angekommen, ihr habt noch viel Zeit zum Reden.“ Sorgsam steckte sie die Decke um seine Beine, dann richtete sie sich auf und gab ihrer Schwester ein Zeichen. „Komm! Ich bringe dich auf dein Zimmer.“

Nach einer unruhigen Nacht erwachte Joel am nächsten Morgen kurz vor sieben. Unausgeschlafen stand er auf und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen.

Sein Haus war nicht in Bridgeford, wo seine Ex-Frau Louise noch immer wohnte, sondern in Millford, etwa zwanzig Kilometer entfernt. Ironischerweise hatte er es erst nach der Scheidung gekauft, und im Grunde war es mit den vier Schlaf- und drei Badezimmern für ihn allein viel zu groß. Doch das störte ihn nicht. Hauptsache, sein Sohn Sean konnte jederzeit bei ihm übernachten – was er auch regelmäßig tat.

Joel und Louise hatten sich in gegenseitigem Einvernehmen getrennt, und Sean verbrachte die Wochenenden und einen Teil der Schulferien bei seinem Vater. Nach der Scheidung hatte Louise wieder geheiratet, und obgleich Joel ihren jetzigen Mann nicht besonders mochte, hatte er zugestimmt, dass der Junge bei ihnen wohnte, da er selbst tagsüber nicht zu Hause war.

Nur mit Boxershorts bekleidet stellte er sich, die Kaffeetasse in der Hand, ans Küchenfenster und schaute in den ausgedehnten Garten hinaus, in dem er und Sean oft Fußball spielten. Eine dichte Reihe von Nadelbäumen bildete die Grenze am anderen Ende, dahinter erstreckten sich Felder und eine Wiese, auf der jetzt eine Schafherde graste. Es war ein friedliches Bild, das so gar nicht zu seiner gegenwärtigen Gemütsverfassung passte. Seine Gedanken waren bei Olivia, und obwohl er sich einredete, dass ihre Rückkehr nichts zu bedeuten hatte, fühlte er sich alles andere als gelassen.

Das Wiedersehen war so ganz anders verlaufen als erwartet. Unbewusst hatte er damit gerechnet, dass die Jahre und die zunehmende Lebenserfahrung sie verändern würden. Dass die Frau von heute mit dem Bild, das er seit der Trennung von ihr bewahrte, nichts mehr gemeinsam hatte. Aber Olivia war jetzt noch genauso schön und sexy wie damals, und es machte ihn umso wütender.

Verstimmt sagte er sich, dass ihr Äußeres nichts zu bedeuten hatte, es bewies lediglich, dass sie auf sich achtete. An ihrem Charakter änderte es nichts – wie oft waren gerade die schönsten Blumen die giftigsten!

Dennoch …

Er strich sich über das unrasierte Kinn und trank einen Schluck Kaffee, dann wandte er sich um und schlurfte aus der Küche. Er musste duschen und sich rasieren, vielleicht fühlte er sich danach besser.

Er kam bis zur Treppe, als es an der Haustür klingelte. Überrascht warf er einen Blick auf sein Handgelenk und unterdrückte einen Fluch – die Armbanduhr lag noch oben auf dem Nachttisch. Wie spät mochte es sein? Höchstens halb acht. Wer um alles in der Welt wollte etwas von ihm, so früh am Morgen? Wahrscheinlich der Briefträger.

Verdrossen stellte er die Kaffeetasse auf die zweite Stufe und sah an sich hinab. Wenn er wenigstens einen Bademantel anhätte! Doch wer rechnete um diese Zeit schon mit Besuch? Und heute, wo er so schlecht gelaunt war, wollte er sowieso niemanden sehen.

Er schob den Riegel zurück und öffnete die schwere Eichentür. Dann blieb er wie angewurzelt stehen.

„Sean!“ Entgeistert betrachtete er seinen Sohn. Als er sah, dass er fröstelte, machte er die Tür weiter auf und trat einen Schritt zurück. „Komm rein.“

Sean folgte der Einladung, und Joel schloss die Tür, bevor er sich umdrehte. „Was willst du? Wie bist du hergekommen?“

Der Junge zuckte mit den Schultern. Für seine fast elf Jahre war er sehr groß, wenn auch viel zu dünn. Er hatte die dunklen Haare seines Vaters und den hellen Teint seiner Mutter, und Joel war aufgefallen, dass er seit einigen Wochen ein ziemlich aufmüpfiges Benehmen an den Tag legte.

„Mit dem Bus.“ Sean steuerte auf die Küche zu. „Hast du was Kaltes zu trinken?“

Sein Vater folgte ihm und sah zu, wie er eine Cola aus dem Kühlschrank holte und öffnete. „Um diese Zeit fahren noch keine Busse. Weiß deine Mutter, dass du hier bist?“

Sean trank durstig, dann setzte er die Dose ab. „Noch nicht, aber bald. Kann ich etwas zu essen haben?“

„Was soll das heißen – bald? Jetzt sag sofort, was passiert ist!“

„Ich bin abgehauen.“ Erneut öffnete er den Kühlschrank und entnahm ihm eine Packung Schinken. „Darf ich mir ein Sandwich machen? Ich bin wirklich hungrig.“

Joel starrte ihn an. „Nicht so schnell. Zuerst möchte ich wissen, warum du ausgerissen bist. Ich muss sofort deine Mutter anrufen, um sie zu beruhigen.“

„Wozu?“ Ohne aufzusehen, machte er sich an der Plastikhülle zu schaffen.

Mit einem Schritt war Joel bei ihm und entriss ihm den Schinken. „Erst will ich eine Antwort, danach kannst du frühstücken. Du zitterst ja immer noch – warst du die ganze Nacht unterwegs?“

„Natürlich nicht!“, erwiderte Sean entrüstet, doch Joel glaubte ihm nicht.

„Dann sag mir, wo du herkommst.“

Trotzig erwiderte er den Blick seines Vaters, dann senkte er die Augen. „Von der Scheune weiter oben.“

„Du warst die Nacht über in einer Scheune?“

Sean schnitt eine Grimasse. „Es war gar nicht so übel. Auf dem Dachboden lag jede Menge Stroh, und außerdem hatte ich eine alte Decke. Sie roch ein bisschen, das war alles.“

Ungläubig schüttelte Joel nun den Kopf. „Und deine Mutter weiß von nichts?“

„Nein. Sie und der Dicke waren gestern Abend aus. Und bevor sie schlafen geht, schaut sie normalerweise nicht mehr in mein Zimmer.“

„Sei nicht so frech, wenn du von Stewart sprichst!“, wies Joel ihn scharf zurecht, obwohl er insgeheim zugeben musste, dass Louises zweiter Mann einen ziemlichen Bierbauch hatte. „Sie haben dich allein im Haus gelassen?“

„Na und? Ich bin alt genug.“ Hungrig beäugte Sean den Schinken. „Dad, kann ich nicht erst was essen, bevor du Mum anrufst?“

Seufzend gab Joel ihm die Packung zurück. „Von mir aus. Im Kühlschrank sind Eier, falls du welche willst. Aber setz das Haus nicht in Brand.“

„Danke.“ Der Junge grinste. „Soll ich dir auch Frühstück machen?“

Sein Vater schüttelte den Kopf. „Nein, wenn ich telefoniert habe, muss ich unter die Dusche. Stell die Heizung an, wenn dir kalt ist.“

Er verließ die Küche, um in sein Schlafzimmer zu gehen. Auf der Treppe bückte er sich nach dem Kaffee, der natürlich inzwischen kalt war. Sei’s drum! Als Erstes musste er Louise anrufen.

Ihre Stimme klang unausgeschlafen und gereizt, und Joel vermutete, dass sie eine kurze Nacht hinter sich hatte. Zum ersten Mal fragte er sich, ob es richtig gewesen war, ihr und Stewart das Sorgerecht für Sean zu überlassen. Sie gaben dem Jungen weiß Gott kein gutes Beispiel.

„Ich bin’s“, sagte er kurz. „Weißt du, wo Sean ist?“

„Im Bett, nehme ich an. Ich habe schon zweimal bei ihm angeklopft, damit er aufsteht, aber er hört ja nicht auf mich. Wenn du mit ihm reden willst, rufst du besser am Abend an.“

Joel war versucht, „Okay“ zu sagen und aufzulegen, aber er hatte keine Lust, sich von Stewart Barlow vorwerfen zu lassen, er habe seinen eigenen Sohn gekidnappt.

„Bemüh dich nicht länger, er ist bei mir“, erwiderte er schroff. „Wenn du gestern Abend nach ihm geschaut hättest, dann wüsstest du, dass er nicht zu Hause ist.“

Einen Moment lang blieb es still in der Leitung. „Soll das heißen, er war die Nacht bei dir?“, fragte sie schließlich. „Das hättest du mir allerdings früher mitteilen können.“

„Woher weißt du, dass ich dich gestern Abend nicht angerufen habe?“

Wieder folgte eine Pause. „Er war also bei dir. Joel, ich …“

„Nein, er war nicht bei mir“, unterbrach er sie. „Was ich damit sagen will, ist, dass du gestern Abend nicht zu Hause warst. Ich war der Meinung, Kinder unter dreizehn dürfen nicht allein gelassen werden.“

Louise seufzte. „Es war ja nur für eine Stunde oder so …“

„Trotzdem …“

„Was hat Sean dir erzählt?“, fragte sie misstrauisch. „Du weißt, er kann ein kleiner Teufel sein.“

„Das gebe ich zu, aber Tatsache bleibt, dass er erst vor ein paar Minuten hier aufgetaucht ist.“

„Wo war er dann die ganze Nacht?“ Ihre Stimme klang jetzt unruhig.

„In einer Scheune.“

„Was?“, rief sie entsetzt. „Warum ist er nicht gleich zu dir gekommen?“

„Ich war auch nicht daheim“, gestand er widerwillig. „Wir hatten eine Besprechung an der Uni, und ich kam erst ziemlich spät nach Hause.“

„Du warst also nicht Teil des Empfangskomitees für Olivia Foley?“, spöttelte sie mit einem Anflug von Eifersucht. „Du weißt, dass sie ihren Vater besucht, oder?“

Joel unterdrückte eine scharfe Antwort – er beabsichtigte nicht, Olivias Heimkehr mit Louise zu diskutieren. „Wenn ich geahnt hätte, dass Sean hier erscheinen könnte, wäre ich nicht weggegangen“, erwiderte er brüsk. „Und du hättest ihn gestern Abend nicht allein lassen sollen.“

„Im Allgemeinen tue ich das auch nicht“, verteidigte sie sich. „Aber Stewart hatte Lust auf ein Bier – ist das ein Verbrechen? Wir waren nur im Pub um die Ecke. Sean hatte die Telefonnummer, unter der er uns im Notfall erreichen konnte.“

„Was auch immer.“ Er hatte es satt, dieses Thema noch länger am Telefon zu behandeln. „Wenn es dir recht ist, verbringt er den Tag bei mir, und heute Abend rede ich mit ihm. Ich muss herausfinden, warum er davongelaufen ist, und jetzt habe ich dazu keine Zeit. Hinterher rufe ich dich an, okay?“

„Und was ist mit der Schule?“

„Einen Tag kann er wohl schwänzen – es ist bestimmt nicht das erste Mal.“

„Was willst du damit sagen?“

„Nichts – also, was ist? Sind wir uns einig?“

Louise schwieg. Sie überlegte, dass Joel womöglich das Jugendamt von Seans Eskapade verständigte, wenn sie ihm Schwierigkeiten machte – zuzutrauen wäre es ihm. Das bedeutete, sie könnte das Sorgerecht für den Jungen verlieren …

„Na schön“, stimmte sie zu. „Aber am Abend bringst du ihn nach Hause.“

„Wir werden sehen. Ich rufe dich später wieder an.“ Damit legte er auf. Bevor er eine Entscheidung traf, musste er wissen, weshalb sein Sohn weggelaufen war.

Zum Glück hatte er heute nur am Vormittag Vorlesungen. Sean konnte ihn zur Uni begleiten und sich, während er wartete, in seinem Büro am Computer beschäftigen.

Er ging ins Bad, um zu duschen und sich zu rasieren. Als er sein Spiegelbild erblickte, verzog er das Gesicht. Er sah aus, als hätte er sich, wie seine Ex-Frau, die Nacht um die Ohren geschlagen.

Warum hatte er Louise geheiratet? War es, um über Olivia hinwegzukommen? Kaum. Die ersten vier Jahre nach der Trennung hatte er dem Studium gewidmet, und sie waren auch relativ schmerzlos verlaufen.

Erst später, als er wieder nach Bridgeford zurückkam, wurde ihm das Ausmaß seines Verlusts richtig bewusst. Hatte er geglaubt, dass eine neue Ehe und die Aussicht, Vater zu werden, ihm über sie hinweghelfen würden? Wenn ja, so hatte er sich gründlich getäuscht. Der einzige Lichtblick seiner Ehe mit Louise war Sean. Um nichts in der Welt würde er auf ihn verzichten wollen. Und er war fest entschlossen, dass der Junge unter den Fehlern des Vaters nicht leiden musste.

3. KAPITEL

Olivia war dabei, ihre Garderobe durchzusehen und überlegte gerade, ob sie in der benachbarten Stadt ein paar Sachen dazukaufen sollte, als es an der Tür klopfte und gleich darauf ihre Nichte den Kopf ins Zimmer steckte.

Jayne war eine regelmäßige Besucherin geworden. Jeden Tag kam sie bei ihr vorbei, mal unter diesem, mal unter jenem Vorwand, um sich ein wenig zu unterhalten. Dass ihre Tante jahrelang in New York gelebt hatte, fand sie anscheinend sehr beeindruckend, und ihre Bewunderung tat Olivia gut, nicht zuletzt wegen Martins ebenso offenkundiger Abneigung ihr gegenüber. Zum Glück begegneten sie sich meistens nur beim Abendessen, tagsüber war ihr Schwager draußen auf den Feldern beschäftigt.

„Na, wie geht’s?“ Mit neidischem Blick beäugte Jayne die Kleider auf dem Bett. Wie ihre Tante war sie groß und schlank, ansonsten ähnelte sie ihrem Vater; von ihm hatte sie auch das schöne kastanienbraune Haar geerbt. „Du hast so tolle Sachen!“, sagte sie bewundernd. Andächtig strich sie über die Rüschen einer elfenbeinfarbenen Seidenbluse.

„Danke. Ich bin am Überlegen, ob ich mir nicht eine Jeans und zwei oder drei T-Shirts anschaffen soll. Viel habe ich nicht mitgebracht, und das meiste eignet sich nicht so recht für hier.“

„Wer sagt das?“, fragte Jayne ohne wirkliches Interesse. Olivia ließ es dabei bewenden – es bestand kein Grund, ihrer Nichte mitzuteilen, wie missbilligend ihr Vater sie jedes Mal musterte, wenn sie sich zufällig über den Weg liefen.

Jayne setzte sich auf den Bettrand und betrachtete ihre Tante nachdenklich. „Kann ich dich etwas fragen?“

„Natürlich kannst du“, erwiderte sie mit einem Anflug von Belustigung.

„Warst du wirklich mit Joel Armstrong verheiratet?“

Verblüfft sah Olivia auf. „Ja“, erwiderte sie schließlich. „Warum willst du das wissen?“

„Nur so …“ Ein wenig verlegen fuhr Jayne fort: „Mum hat mir von euch erzählt. Und jetzt, wo ich dich kenne …“, sie stockte. „Ich finde, du bist nicht der Typ, der fremdgeht.“

„Fremd…“ Du liebe Güte! Was hatte Linda ihrer Tochter vorgelogen?

„Ja. Mum sagt, es gab einen anderen Mann in deinem Leben. Stimmt das?“

„Ganz und gar nicht. Joel und ich … Wir passten nicht zueinander, das war alles.“

„Wirklich? Ich meine nur … Findest du nicht, dass er total hinreißend ist? Na ja, anscheinend bist du anderer Meinung. Und dann fährt er diesen tollen Geländewagen … Für mich ist Joel Armstrong der perfekte Mann!“

Olivia war sprachlos. Das Mädchen himmelte ihren Ex an – ob Linda das wusste?

„Ich glaube, ich mache besser hier weiter“, sagte sie schließlich und zeigte auf das Bett. Sie wollte Jayne nicht vor den Kopf stoßen, doch ebenso wenig beabsichtigte sie, das Thema Joel länger mit ihr zu verfolgen. Du lieber Himmel – er war alt genug, um ihr Vater zu sein!

„Ja, natürlich.“ Sofort stand sie auf. „Dann gehe ich jetzt. Oh! Beinahe hätte ich es vergessen, Großvater möchte dich sehen. Er sagt, du sollst in sein Zimmer kommen.“

Olivia unterdrückte einen Seufzer. Eigentlich hatte sie vorgehabt, ein Bad zu nehmen, denn morgens beim Aufstehen war das, wie sie mittlerweile wusste, ein schwieriges Unterfangen. Ständig klopfte jemand an die Tür, um zu fragen, wie lange es noch dauerte.

„Danke, das werde ich.“ Als sie sah, wie sehnsüchtig Jayne ein seidenes Top mit Spitzenverzierung beäugte, nahm sie es vom Bett und hielt es ihr hin. „Du kannst es haben, wenn es dir gefällt.“

„Wirklich?“ Begeistert drückte das Mädchen das zarte Kleidungsstück an die Brust. „Tausend Dank, Tante Livvy! Ich finde es total sexy, so etwas habe ich noch nie gehabt.“

Olivia lächelte schwach, während sie mit ihrer Nichte das Zimmer verließ. Hoffentlich bekommt es ihr Vater nicht zu sehen, dachte sie, es wäre garantiert ein weiterer Minuspunkt für mich.

Auf dem Weg zu Ben hörte sie, dass Linda und Martin noch im Esszimmer saßen und sich unterhielten. Unbemerkt schlich sie vorbei – es sah so aus, als würde sie ihren Vater diesmal für sich allein haben. Sie hatte ihn schon mehrmals besucht, allerdings stets in Lindas Begleitung, angeblich, um ihr seine sarkastischen Bemerkungen zu ersparen. Olivia hätte ihr sagen können, dass sie durchaus in der Lage war, sich falls nötig gegen ihn zu behaupten, doch um des lieben Friedens willen hielt sie den Mund.

Als sie sein Zimmer betrat, lag er schon im Bett. „Hallo, Dad. Wie fühlst du dich?“

„Wenn ich dich sehe – bedeutend besser“, brummte er mit einem Anflug altmodischer Galanterie. „Wie hast du es geschafft, deinen Wachhund loszuwerden?“ Mit dem gesunden Arm zeigte er auf den Stuhl neben dem Bett. „Komm, setz dich zu mir.“

Olivia unterdrückte ein Lächeln und nahm Platz. „Danke. Es ist schön, mal mit dir allein zu sein … Obwohl ich mich manchmal frage, ob es dir auch recht ist, dass ich nach Hause gekommen bin.“

„Du meinst wegen Joel?“

„Ja.“

Er zuckte mit den Schultern. „Das ist alles doch schon lange her.“

„Du hast meine Briefe nie beantwortet. Linda sagt, du sprichst kaum von mir.“

„Nun ja …“, er räusperte sich. „Wir machen alle Fehler, Liv. Meiner war, dass ich dir meine Meinung aufdrängen wollte. Ich hätte daran denken sollen, wie unabhängig du schon immer warst.“

Olivia seufzte. „Wenn es dich tröstet – mein bisheriges Leben war kein großer Erfolg.“

„Ach?“ Er musterte sie überrascht. „Soviel ich weiß, hattest du einen sehr guten Job in London, bevor du mit diesem Mr. Garvey nach Amerika gegangen bist. Deine zweite Ehe war also nicht glücklicher als die erste, wenn ich dich richtig verstanden habe.“

Olivia senkte den Kopf. Meine Ehe mit Joel war glücklich, dachte sie. Wenigstens zuerst – bis ich dann schwanger wurde …

Sie erinnerte sich, als wäre es gestern, wie ihr damals zumute war. Heute würde sie anders reagieren, doch das tat nichts zur Sache. Alles, woran sie vor fünfzehn Jahren denken konnte, war, dass sie und Joel viel zu jung waren, um eine Familie zu gründen. Natürlich hatte sie das Baby gewollt – wie sollte es auch anders sein? Wie jede zukünftige Mutter hatte sie es in Gedanken vor sich gesehen, mit Joels dunklem Haar und seinen blauen Augen. Aber gleichzeitig war ihre Angst vor der Zukunft immer mehr gewachsen. Woher sollten sie die Mittel nehmen? Ihre Finanzen reichten kaum für zwei, geschweige denn drei …

Doch davon wollte ihr Vater jetzt gewiss nichts hören, er hatte genug mit sich selbst zu tun. So erwiderte sie stattdessen: „Ich hätte Bruce nicht heiraten sollen. Er sagte, dass er mich liebt, und für mich war das genug.“

„War er vermögend?“

Sie zuckte mit den Achseln. „Ja, ich glaube schon.“

„Hast du ihn deswegen geheiratet?“

„Nein. Ich war einsam und sehnte mich nach jemandem, der mich gern hat. Er war intelligent und sah gut aus, und ich dachte eben, es war die richtige Entscheidung.“

„Warum bist du nicht nach Hause gekommen, wenn du einsam warst?“

„Weil ich nicht wusste, ob du mich hier haben wolltest“, erwiderte sie aufrichtig. „Außerdem … Ich nahm an, dass Joel noch auf der Farm lebte.“

„Er zog aus, kurz nachdem du nach London gegangen bist.“

„Damals wusste ich das nicht.“

„Ich dachte, du und Linda, ihr wart in Kontakt.“

„Das waren wir auch.“ Aber von Joel hat sie nie etwas erwähnt. „Wie dem auch sei … Das alles ist Schnee von gestern.“

„Erzähl mir von deinem zweiten Mann – diesem Bruce Garvey. Hat er dich schlecht behandelt?“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ist eine lange Geschichte.“

Ben machte eine ungeduldige Handbewegung. „Ich habe viel Zeit und nichts Besseres zu tun, als hier zu liegen und zuzuhören.“

Olivia ergriff die Gelegenheit, um das Thema zu wechseln. „Das solltest du aber. Warum hast du keinen Rollstuhl? Dann kämst du doch aus dem Haus.“

„Ich will keinen Rollstuhl“, murrte Ben. „Rollstühle sind für Invaliden, und das bin ich noch nicht. Ich kann bloß nicht gehen.“

„Mit anderen Worten, du bist ein Invalide.“ Mit Taktgefühl kam man bei ihrem Vater nicht weiter, so viel wusste sie noch. Er war schon immer ein Dickkopf gewesen, obwohl er sich damit nur selbst schadete.

Sofort brauste er auf. „Selbst wenn … jedenfalls lege ich keinen Wert darauf, dass alle sehen, wie es um mich steht.“

„Dad! Das ist doch kein Geheimnis. Bridgeford ist nicht groß, jeder kennt dich und wünscht dir nur das Beste.“

„Darauf verzichte ich.“ Zornig wischte er sich den Speichel von der gelähmten Mundseite. „Ich brauche kein Mitleid – auch nicht von dir. Wenn das alles ist, was du zu sagen hast, dann kannst du gehen.“

Olivia seufzte. „Okay, okay … Reden wir nicht mehr davon, ich bin nicht hier, um mit dir zu streiten. Jayne sagt, du wolltest mich sehen.“

Ben entspannte sich ein wenig. „Warum sollte ich das nicht? Du bist meine Tochter und außerdem eine sehr schöne Frau.“

Sie lächelte. „Danke für das Kompliment, Dad.“

„Das ist kein Kompliment, sondern Tatsache. Du warst schon immer die Schönheit in der Familie. Und auch die Klügste, Gott sei’s geklagt.“

„Dad!“

„Ich vermute, du hast inzwischen mitbekommen, dass Linda und Martin jetzt das Zepter hier schwingen. Was hältst du von ihrer großartigen Idee?“

Olivia krauste die Stirn. „Welcher großartigen Idee?“

Bevor er antworten konnte, ging die Tür auf, und Linda eilte herein. „Olivia!“, rief sie verstimmt. „Ich suche dich schon überall. Ich dachte, du bist in deinem Zimmer.“ Mit strenger Miene wandte sie sich an ihren Vater. „Du weißt, du solltest längst schlafen, Dad. Eure Unterhaltung kann doch gewiss bis morgen warten.“

Am nächsten Tag stand Olivia zeitig auf. Sie war es leid, wie eine Gefangene zu Hause zu sitzen, und hatte beschlossen, mit dem Bus nach Newcastle zu fahren, um ein wenig einzukaufen. Außerdem wollte sie sich nach einem Mietwagen umsehen, was sie jedoch für sich behielt.

„Kannst du nicht in Chevingham einkaufen?“, fragte Linda, als sie vom Vorhaben ihrer Schwester erfuhr. „Andy kann dich mit dem Landrover hinfahren, da brauchst du keinen Bus zu nehmen.“

Höflich, aber bestimmt lehnte Olivia ab. „Das ist nett von ihm, aber ich möchte lieber nach Newcastle.“ Sie hatte Linda ihr selbstherrliches Verhalten vom Vorabend noch nicht verziehen. Musste sie denn jedes Mal, wenn sie ihrem Vater Gesellschaft leisten wollte, die Erlaubnis ihrer Schwester einholen? Sie war schließlich kein kleines Mädchen mehr!

Es war ein sonderbares Gefühl, nach all den Jahren in Newcastle zu sein, und sie erkannte die Stadt kaum wieder. Alles war viel belebter und ansprechender, als sie es in Erinnerung hatte, besonders das Zentrum mit den vielen neuen Gebäuden und Boutiquen.

In einem kleinen Café setzte sie sich an einen Fenstertisch, und während sie dem lebhaften Treiben zusah, trank sie zum ersten Mal seit Tagen wieder einen richtigen Kaffee – ein wahrer Genuss nach dem Gebräu, das ihre Schwester daheim servierte.

Voll Energie begann sie ihren Einkaufsbummel. An Auswahl fehlte es nicht, und bald hatte sie gefunden, wonach sie suchte: eine schicke Jeans, zwei T-Shirts und ein Paar robuste Stiefel, die sie auf der Farm gut gebrauchen konnte. Zu dem eleganten Wildlederkostüm, welches sie für ihren Stadtausflug angezogen hatte, sahen sie allerdings recht komisch aus. Sie lachte noch immer über die seltsame Kombination, als sie den Kopf hob und aus dem Schaufenster auf die Straße sah – geradewegs in Joel Armstrongs Augen.

Der Atem stockte ihr, und sie hörte kaum, was die Verkäuferin zu ihr sagte. „D…danke, ich … ich nehme sie“, brachte sie mühsam hervor und reichte der jungen Frau die Stiefel, bevor sie wieder in ihre Pumps schlüpfte.

An der Kasse musste sie warten, und während sie in der Schlange stand, spürte sie plötzlich seine Nähe. Ohne ihn zu sehen, wusste sie, dass er nur wenige Meter hinter ihr stand. Die Luft war mit einem Mal wie elektrisch geladen. Mit zitternden Fingern zahlte sie die Rechnung und nahm ihr Paket in Empfang, dann drehte sie sich um.

„Hi“, sagte er.

Olivia schluckte krampfhaft. Wie gut er aussah und wie vertraut! Er trug ein Cordjackett mit Lederflicken an den Ellbogen, dazu eine verwaschene Jeans, die seine schmalen Hüften und langen Beine bestens zur Geltung brachte. Sie versuchte, seinem Blick auszuweichen, und konnte es nicht. Wie gebannt starrte sie ihn an.

„Hi.“ Was sollte sie tun? Was sagen? „Willst du auch Schuhe kaufen?“

„Glaubst du, ich brauche ein Paar neue?“, fragte er, ein spöttisches Lächeln in den blauen Augen, und unwillkürlich schaute sie auf seine alten Ledermokassins. „Nicht wirklich.“

Joel öffnete die Ladentür, und sie traten auf den Bürgersteig. „Bist du allein hier?“

Sie nickte. „Und du?“

„Bis um halb drei, dann habe ich einen Termin an der Uni. Hast du zu Mittag gegessen?“

„Nein.“

„Darf ich dich zu einer Kleinigkeit einladen?“

Die Versuchung war groß – sehr groß. Und so war die Gefahr, mit ihm zusammen zu sein. Sie hatte geglaubt, dass sie über ihn hinweg war – und nun kribbelte es sie am ganzen Körper, bloß weil er sie zum Lunch einlud.

„Ich … ich wollte eigentlich nach einem Mietwagen suchen“, erwiderte sie zögerlich.

Er versteifte sich, dann zuckte er mit den Schultern. „Mit anderen Worten, du willst nicht. Na, dann vielleicht ein andermal.“ Er wandte sich zum Gehen.

„Warte.“ Sie ergriff ihn am Arm und hielt ihn fest. „Das mit dem Auto kann ich auch später noch erledigen. Außerdem bin ich hungrig. Warum nicht?“

Joel betrachtete sie gedankenvoll. Warum hatte er sie eingeladen? Es wäre bei Weitem besser, ihr aus dem Weg zu gehen.

„Ich habe das Gefühl, du willst mir damit einen Gefallen tun“, sagte er nach kurzer Pause. „Das brauchst du nicht, Olivia“, fügte er hinzu.

Sofort zog sie die Hand zurück. „Das wollte ich auch nicht.“ Ihre Kehle war plötzlich trocken. „Ich dachte nur, du fühlst dich verpflichtet, und da …“

„Warum sollte ich das?“

Machte er es ihr mit Absicht schwer? Oder hatte er es sich anders überlegt? „Du weißt, was ich meine“, sagte sie steif.

„Eigentlich nicht. Es sei denn, du denkst an das, was einmal gewesen ist.“ Seine Augen wurden schmal – die Genugtuung, dass er nichts von alldem vergessen hatte, was zwischen ihnen gewesen ist, würde er ihr nicht geben. „Was du vor fünfzehn Jahren getan oder nicht getan hast, spielt für mich keine Rolle mehr, Liv. Ich dachte, das hätte ich dir schon gesagt.“

Ein Kloß stieg ihr in die Kehle. Wie ungerecht, wie selbstgefällig er sein konnte! Hielt er sie wirklich für ein Ungeheuer?

Doch Joel war noch nicht mit ihr fertig. „Wenn du nicht verstehst …“, seine Stimme klang hart, „… dass meine Einladung rein freundschaftlich gemeint war, dann ist es wirklich besser, wir lassen es dabei bewenden und gehen unsere eigenen Wege.“

Er sah, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, und spürte einen Stich. Warum hatte er dieses Bedürfnis, sie abzustrafen? Hatte sie ihm nicht unbeabsichtigt den Weg geebnet? Ohne das, was sie getan hatte, würde er heute noch Felder pflügen und Kühe züchten. Mit einer Familie am Hals hätte er nie studieren können und wäre jetzt nicht Dozent.

„Wie du möchtest“, sagte sie leise.

Er biss die Zähne zusammen. Warum hatte sie bloß zurückkommen müssen?

„Was ich möchte, habe ich dir doch gesagt. Ich möchte mit dir zu Mittag essen, deshalb habe ich dich eingeladen. Ich hatte keine Ahnung, dass eine Staatsaffäre daraus wird.“

Olivia seufzte. „Es tut mir leid.“

„Mir auch.“ Aber nicht aus dem gleichen Grund, fügte er im Stillen hinzu.

„Also … wohin gehen wir?“, fragte sie.

Ins nächstbeste Hotel! schoss es ihm durch den Kopf.

Wie eine Vision sah er sie vor sich – den schlanken Körper verführerisch auf dem Bett ausgestreckt, das seidige Haar wie ein goldener Fächer auf dem Kopfkissen …

Erbittert ballte er die Fäuste und vergrub sie in den Taschen. „Ich schlage vor, wir besorgen uns ein Sandwich und essen im Park. Das Wetter ist schön.“

„Einverstanden.“

In einem nahe gelegenen Café kaufte er ihr Mittagessen. Und während sie nebeneinander in Richtung Park gingen, sagte er sich, dass er cool bleiben musste, freundlich und unverbindlich. Sie durfte nicht wissen, welche Wirkung sie noch immer auf ihn hatte, sonst war er verloren. Und das würde er sich nicht antun. Nicht diesmal. Einmal im Leben hatte ihm gereicht.

4. KAPITEL

Im Park wimmelte es von Besuchern. Alle Bänke waren belegt, überall auf dem Rasen saßen Gruppen junger Leute – unter ihnen eine Anzahl von Joels Studenten, mit denen er nicht unbedingt seine Mittagspause verbringen wollte.

Verärgert sagte er sich, er hätte daran denken sollen, dass bei dem sonnigen Wetter auch andere Menschen die Zeit gern im Freien verbrachten.

Wohin sollten sie gehen? Nur eine Alternative fiel ihm ein.

„Was hältst du davon, wenn wir in meinem Büro essen?“, fragte er Olivia.

„In deinem Büro?“

„Mein Zimmer an der Uni“, erklärte er ungeduldig. „Es sind nur ein paar Schritte, das Gebäude ist gleich um die Ecke.“

Sie zögerte. Allein mit ihm in einem Raum? Es war keine so gute Idee. Andererseits, was hatte sie zu befürchten? Er machte aus seinen Gefühlen für sie kein Geheimnis. Dass sie Vergangenes nicht vergessen konnte, war ihre Angelegenheit.

„Von mir aus gern.“

Auf dem Weg informierte Joel Olivia kurz über die Universität, an der er unterrichtete. Sie war nicht besonders groß, besaß jedoch einen ausgezeichneten Ruf auf dem Gebiet der Computerwissenschaften. „Wir haben Studenten aus aller Welt, nicht nur aus England“, berichtete er stolz. Insgeheim staunte er noch heute, dass man ihm gleich nach dem Studium einen Posten als Lehrer der Informationstechnik angeboten hatte.

Sein Büro lag im ersten Stock und ging auf den Innenhof des Universitätskomplexes hinaus. Unter dem Fenster befand sich ein hübscher kleiner Garten mit einer Art Bogengang, wie in einem Kloster. Hier konnten Studenten und Lehrer auch bei schlechtem Wetter umherspazieren und diskutieren.

Olivia trat ans Fenster und schaute so konzentriert in den Hof, dass Joel sich fragte, ob sie die Chancen für einen Fluchtweg abschätzte, für den Fall, dass sich die Notwendigkeit ergeben sollte …

„Nicht schlecht.“ Sie drehte sich um. An die Fensterbank gelehnt, betrachtete sie den großzügig angelegten Raum. „Hier lässt es sich aushalten.“

„Freut mich, dass es dir gefällt.“ Er stellte die Tragetüte mit den Broten und zwei Flaschen Mineralwasser auf den Schreibtisch. „Das Eingewöhnen hat ein Weilchen gedauert.“

„Meinst du dein Büro oder die neue Tätigkeit?“ Langsam durchquerte sie das Zimmer.

„Beides.“ Er lächelte flüchtig. „Ich hatte Glück.“

„Kaum.“ Nonchalant ließ sie sich in den Ledersessel hinter dem Schreibtisch fallen. Da sie nun einmal hier war, konnte sie sich ebenso gut entspannen. „Ich bin sicher, du bist ein ausgezeichneter Dozent.“

Joel verneigte sich spöttisch. „Wie großzügig von dir! Ich fühle mich geschmeichelt.“

„Spar dir den Sarkasmus.“ Verdrossen blitzte sie ihn an, dann sah sie, dass er sie neckte, und verzog das Gesicht. „Erzähl mir lieber von deiner Arbeit.“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen.“ Er nahm ein Sandwich aus der Tüte und entfernte die Verpackung. „Ich versuche, meine Begeisterung für Informationstechnik mit den Studenten zu teilen.“

„Ist das alles?“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Reicht das nicht?“ Als sie nichts erwiderte, fügte er hinzu: „Und nebenbei arbeite ich an meiner Doktorarbeit.“

„Aha! Schreibst du auch für Magazine?“

„Manchmal.“ Er schob ihr die Tüte mit den Broten hin. „Bedien dich.“

Olivia ignorierte das Essen und nahm sich stattdessen eine Flasche Mineralwasser. Sie war durstig – oder war ihre Kehle nur deshalb so trocken, weil sie mit ihm allein war?