Rond - Michael Knabe - E-Book

Rond E-Book

Michael Knabe

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Beschreibung

In blinder Wut warf Rond sich herum. »Lass meine Schwester aus dem Spiel, du dreckiger Hurensohn!« Ein geheimnisvoller Besucher macht dem verurteilten Mörder Rond ein Angebot: Wenn er auf der Insel Falun gefangene Frauen und Kinder befreit, erlangt nicht nur er, sondern auch seine ebenfalls für schuldig erklärte Schwester die Freiheit. Rond geht darauf ein. Bald muss er erkennen, dass hinter der Befreiungsaktion ein größerer Plan steckt – und er selbst auf dem Spielbrett der Macht nur als Bauernopfer dient.

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Ähnliche


 

 

HYBRID VERLAG

Vollständige elektronische Ausgabe

04/2023

 

 

Rond – Die Flüchtlings-Chroniken III

 

 

© by Michael Knabe

© by Hybrid Verlag

Westring 1

66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung: © 2023 by Andrea Gunschera;

magi digitalis | media production; www.magi-digitalis.de

Lektorat: Stefanie Maurer

Korrektorat: Petra Schütze

Buchsatz: Paul Lung

Autorenfoto:alex:jung fotografie, Emmendingen

 

 

Coverbild ›Sekandert – Königliches Blut‹

© 2022 by Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

Coverbild ›Kristallchroniken – Das Erbe des Zirkels‹

© 2022 by Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

 

 

ISBN 978-3-96741-201-7

 

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

 

Printed in Germany

 

 

Michael Knabe

 

Rond

-

Die Flüchtlings-Chroniken III

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fantasy

 

Der Auftrag

13

Kerker

26

Mauerdienst

32

Thronsaal

42

Statthalter

50

Golàbine

64

Fiondor

75

Landung

85

Rebellen

90

Ankunft

95

Verhandlung

104

Uyarafest

114

Ablenkung

120

Hindernisse

Der Fluss

129

131

Furt

141

Vor dem König

148

Aufstieg

154

Kerkerflüstern

163

Beschützer

169

Verhör

175

Kampf

184

Befreit

194

Leerstelle

202

Audienz

209

Diebstahl

216

Silber

225

Flussfahrt

238

Zweiter

245

Gestrandet

Das Gebirge

Hinauf

260

Heimspiel

267

Verfolger

275

Diebstahl

280

Felssturz

290

Ausgenutzt

302

Geschichten

318

Aufbruch

324

Verfolger

332

Rebellen

339

Klettern

345

Gefecht

350

Entscheidung

354

Krieg

361

Alte und neue Wunden

368

Gabash

379

Abreise

388

Wertpapiere

400

Merya

410

Reise

Danksagung

DER AUTOR

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Kirsten und Felix,

 

die wahren Helden meines Lebens

 

Erster Teil

 

Der Auftrag

 

 

Kerker

 

Winzige Füße trippelten in der Dunkelheit über Ronds Bein. Das Gefühl der kalten und glatten Sohlen bildete einen seltsamen Gegensatz zu den Krallen, die sich in seine Haut bohrten. Er atmete flach und unterdrückte den Impuls, sie mit dem anderen Fuß wegzuwischen.

Die Ratte schnüffelte an seinem Schienbein. Ihre Schnurrhaare kitzelten und er musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht weg zu zucken. Unendlich langsam hob er die Hand und wartete auf den Moment, in dem er zupacken konnte.

Jedes Mal, wenn er still lag, wagte sich die Ratte ein Stück weiter vor. Irgendwann würde sie ihn im Schlaf erwischen und anfressen. Er hatte Gefangene gesehen, deren Rattenbisse sich entzündeten, bis die schwärenden Wunden den Körper vergifteten. So musste er selbst das Raubtier sein und sie erschlagen, bevor sie ihm den Tod brachte. Sein Herzschlag verlangsamte sich. Er war der Fuchs im Gebüsch, der Wolf vor dem Sprung in den Nacken der Beute.

Jagdzeit.

Ein Knall ließ die Stille zersplittern. Die Tür zum Zellentrakt öffnete sich und ein Lichtstrahl durchschnitt das Dunkel. Mit einem Quietschen verschwand die Ratte in einem Mauerspalt.

Verdammt! Warum kamen die Wachen ausgerechnet dann, wenn endlich mal etwas passierte? Am liebsten hätte er mit der Faust auf den Felsboden geschlagen, aber der war mit fauligem Stroh und Scheiße bedeckt.

Allmählich kam Leben in die übrigen Zellen. Der Verrückte weiter hinten begann die nächste Strophe seines Klagegeheuls, bis ein dumpfer Schlag ihn verstummen ließ.

»Weg von den Türen!«

Unterdrücktes Ächzen aus den Nachbarzellen verriet Rond, dass die Gefangenen um die besten Plätze an der Tür kämpften. Wer vorn saß, bekam die größte Ration, die übrigen konnten sehen, wie sie überlebten. Wenn sie überlebten.

Rond blieb sitzen. Er hauste in einer eigenen Zelle und bekam genug zu fressen, so wie alle zum Tode Verurteilten im Palastkerker von Mis Manôr, damit der Strick um den Hals sich beim Hängen auch schön zuzog. Dabei wartete der Tod auf jeden, der hier einsaß. Am Galgen baumeln oder von Ratten gefressen werden, so sah es aus.

Fackelschein irrlichterte durch das Gitter und zeichnete bizarre Schatten an die Wand. Der Duft nach Brot drang in Ronds Nase und überdeckte den Gestank der Zelle.

Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Echtes Brot!

Er verbannte die Gier und verstaute sie tief in seinem Inneren. Brot gab es nur, wenn sie jemanden holten, so wie Gald vor einigen Tagen. Solange die Gefangenen sich um Futter balgten, machten sie den Wächtern keine Probleme. Vermutlich hatte sein Zellennachbar am Strick gebaumelt, noch ehe die Brotrinden in den Mägen der Gefangenen verschwunden waren.

Wen würden sie heute mitnehmen?

Die Schritte stoppten vor seiner Zellentür. Der Schlüssel klapperte im Schloss und ein schwerer Bolzen schabte in seiner Halterung.

Ein Blitz purer Panik schoss Rond durch die Adern und nagelte ihn auf dem Boden der Zelle fest. Sein Atem ging gehetzt und kalter Schweiß brach ihm aus allen Poren. Alles in ihm schrie, davonzulaufen wie die Ratte und sich zu verstecken. Zu keinem klaren Gedanken fähig kauerte er sich an der Rückwand des Verlieses zusammen.

»Schön sitzenbleiben, Freundchen. Keine falsche Bewegung!«

Das Licht biss in den Augen, eine ganz eigene Form der Folter nach Stunden der Dunkelheit. Die Fackelträger nahmen zu beiden Seiten der Tür Aufstellung und behielten die Hand am Schwertgriff, zwei weitere Wachen stellten sich mit blanken Waffen neben ihnen auf.

Jeder Muskel in Rond spannte sich an. Die Panik verschwand so rasch, wie sie gekommen war, und wich einer eiskalten, konzentrierten Aufmerksamkeit. Mit den Zehen suchte er auf dem glitschigen Boden nach einem Halt für den Sprung auf die Wachen.

Es lief immer gleich ab. Zwei, vielleicht auch vier Soldaten würden ihn festhalten, ein weiterer die Fußeisen öffnen. Zusätzliche Wachen würden mit gezogenen Waffen auf dem Gang warten, falls er Schwierigkeiten machte. Und beim stinkenden Arsch der Götter, das würde er! Lieber hier unten in der Scheiße sterben als zur Belustigung der Menge am Galgenseil tanzen. Lieber Stahl schmecken als Rattenzähne. Hier kam er ohnehin nicht mehr lebendig hinaus.

»Auf den Boden!«

Das hätten sie wohl gern, dass er sich in der Scheiße suhlte! Er verharrte reglos in der Hocke. Jede Nacht kletterte er an den Rissen und Vorsprüngen der Kerkerwand bis zur Gewölbedecke empor, um Arme und Beine kräftig zu halten. Alles für diesen Tag, für diesen Moment.

»Wird’s bald?« Einer der Soldaten trat drohend auf ihn zu.

»Wartet!«

Ein weiterer Soldat betrat die Zelle — halt, kein Soldat. Seine lächerlich weit geschnittene Pluderhose wallte um die Beine wie der Mantel eines Königs. Die Ziernähte, die ein kompliziertes Muster auf seiner Tunika bildeten, schienen aus echten Silberfäden zu bestehen und auch die Hose glitzerte im Schein der Fackeln. Er trug keine richtigen Schuhe, eher fein gesponnene Fußlappen mit Sohlen, die beim ersten Regen in Fetzen fallen würden. Ansonsten war alles, was er trug, schwarz wie der Tod.

»Das ist er?«

Die Stimme klang fremdländisch. Ein Levany? Nein, eher einer der feinen Herren vom Königshof, die mit einem Obstmesser am Gürtel herumliefen und glaubten, zwei Finger Stahl machten sie zu Helden.

Der würde sich wundern.

Der Fremde näherte sich der unauffälligen Markierung, die Rond anzeigte, wie weit seine Hände reichten. »Ihr seid Meister Rond? Ich muss mit Euch reden.«

Rond riss die Arme nach vorn und sprang mit einem Satz auf den Fremden zu wie ein Raubtier, das die Krallen in seine Beute schlug.

Die Eisen schnitten in seine Fußgelenke und stoppten ihn mitten im Flug. Keine Handbreit vor dem Fremden knallte er so hart auf den Steinboden, dass ihm der Aufprall die Luft aus den Lungen trieb. Er kratzte mit den Fingernägeln über den Fels im verzweifelten Versuch, wenigstens die Fußgelenke des Fremden zu erwischen, der genau außerhalb seiner Reichweite stand.

Verrechnet.

Mit einer Handbewegung hielt der Mann die Wachen zurück, die sich auf Rond stürzen wollten, und hockte sich hin. »Kann ich vor Eurem nächsten Mordversuch kurz mit Euch sprechen?«

»Geh bei der Wache heulen!« Rond rappelte sich auf und begutachtete seine Fußgelenke, wo das Eisen die Haut abgeschürft hatte. Heute Nacht würde die Ratte das Blut riechen.

Die Soldaten drängelten sich am Eingang, als könnten sie es kaum erwarten, ihn für seine Frechheit zu bestrafen. Sobald der Mann gegangen war, würden sie ihm jedes seiner Worte mit der Stiefelspitze in die Rippen stempeln.

Aber etwas stimmte hier nicht. Ein Höfling würde sich wohl kaum dazu herablassen, den stinkenden Katakomben unter dem Palast von Mis Manôr einen Besuch abzustatten.

Der Mann in Schwarz schien seine Gedanken zu erraten. »Ob Ihr es glaubt oder nicht, ich brauche Eure Hilfe.«

Ronds Lachen klang wie ein Grunzen. »Soll ich dir den Schwanz beim Pissen halten?«

Ein solcher Satz allein würde für eine Auspeitschung reichen.

Der Schwarzgekleidete zog lediglich eine Braue hoch. »Danke, aber ich brauche keine Spitalschwester, sondern Eure Augen, Eure Fähigkeiten in der Wildnis und Eure Hand. Vorzugsweise mit einem Schwertgriff darin.«

Rond schwieg. Das konnte nur eins der dreckigen Spiele sein, die der Adel mit Gefangenen trieb. Weck ihre Hoffnung, amüsiere dich über das Leuchten in ihren Augen. Lass sie betteln. Und dann: Ab an den Galgen mit ihnen! Wer einen Beamten des Königs tötete, für den gab es keinen anderen Weg aus dem Kerker.

Wortlos drehte Rond dem Besucher den Rücken zu. Vielleicht konnte er den Höfling ja durch Frechheit oder Desinteresse reizen. Vielleicht wurde der unvorsichtig und kam einen Schritt zu nahe. Dann würde er sein blaues Wunder erleben und das Letzte, was Rond mit sich in den Abgrund riss, wäre das erschrockene Gesicht einer Made in schwarzen Pluderhosen.

Glauben konnte er es nicht. Nach dem misslungenen Angriff würde der Mann nicht mehr auf den Trick hereinfallen.

Der Fremde sprach mit unbewegter Stimme weiter: »Seine Majestät hat sich in den Kopf gesetzt, Gefangene von der Insel Falun zu befreien. Ich dagegen habe mir in den Kopf gesetzt, ihm dabei zu helfen.« Sein levanischer Akzent verstärkte sich.

Rond blieb sitzen und versuchte den Schwarzgekleideten ebenso zu ignorieren wie Kopfschmerzen oder Krämpfe. Sie kamen und irgendwann gingen sie auch wieder.

Wenn da nur nicht die verdammte, verfluchte Hoffnung an ihm nagte, doch noch aus diesem Loch herauszukommen!

Widerstrebend wandte er sich wieder dem Fremden zu.

»… Euch der König die Freiheit schenken. Wäre das etwa nichts für Euch?«

Verdammt! Konnte der Kerl Gedanken lesen?

Rond winkte verächtlich ab. »Natürlich. Ich bringe einen Blutsauger des Königs um — und er lässt mich frei?« Er lachte dreckig. »Für einen wie mich gibt es nur das Galgenseil. Aber das kapiert keiner, der noch nie Ketten getragen hat.«

Großartig. Jetzt fing er schon selbst an zu predigen. Er wandte sich erneut von dem Fremden ab, der schmerzlich das Gesicht verzog, und stützte das Kinn auf die Hände. Mit dem Angriff wurde es nichts mehr. Und morgen … Morgen würden sie ihn holen. Ende der Geschichte. Aber ein Funke Hoffnung, winzig und doch quälend heiß, brannte in seiner Brust.

Das Brot in den übrigen Zellen musste längst in hungrigen Mägen verschwunden sein. Rülpsen und Rascheln tönte herüber.

»Hast du Weiberbesuch?«, grölte einer.

Aus einer anderen Zelle rief jemand zurück: »Nein, der wird gerade freigelassen. Frei wie Gald, wette ich.«

Gelächter.

Die Stimme des Fremden klang auf einmal dicht hinter ihm: »Eure Schwester Merya bekäme ebenfalls die Freiheit.«

In blinder Wut warf Rond sich herum und schnappte nach den Fußgelenken des Fremden, der sich mit einem Sprung aus der Gefahrenzone brachte.

»Lass meine Schwester aus dem Spiel, du dreckiger Hurensohn!«

»Meinetwegen. Aber so lautet nun einmal das Angebot des Königs. Ihr kommt mit mir, befreit eine Gruppe Gefangener — und Eure Schwester bekommt ebenso die Freiheit wie Ihr selbst. Andernfalls wartet der Galgen auf Euch. Ich habe bei allen Göttern genug verhandelt, um ihm dieses Versprechen abzuringen. Also lasst ihn nicht zu lange auf Eure Entscheidung warten. Eine Gefangenenbefreiung gegen zwei Leben — oder der Strick für beide.«

Daher wehte also der Wind. Wenn man ihn brauchte, zählte ein toter Beamter plötzlich nicht mehr viel.

»Sag mir einen Grund, warum ich dir glauben sollte.«

Dabei spürte er selbst, wie ihm der Schwarzgekleidete ein unsichtbares Band um die Brust gelegt hatte, das sich enger und enger zusammenzog. Freiheit. Freiheit für Merya. Verdammte, verfluchte Götter! Wie er hoffte, dass die Worte des Fremden stimmten.

»Glauben?« Die Gewänder des Fremden raschelten. »Wenn Ihr Sicherheit wollt, bleibt einfach hier sitzen. Da wisst Ihr genau, was Ihr bekommt.«

»An meiner Schwester picken doch längst die Krähen.«

»Seid Ihr da so sicher?«

Auf einen Wink des Fremden verließ einer der Gardisten die Zelle und brüllte einen Befehl.

Ketten klirrten. Dann schnitt Meryas Stimme durch den Lärm des Kerkers: »Habt ihr den verdammten Totschläger immer noch nicht aufgehängt?«

Rond fuhr in die Höhe und rang nach Luft. Für einen Augenblick standen sie sich in seiner Erinnerung wieder in Meryas Hurenhaus gegenüber — seit dem Tod der Eltern sein einziges Zuhause — und warfen einander Flüche und Beleidigungen an den Kopf.

Der Lärm aus den übrigen Zellen verstummte schlagartig.

»Wird wohl nichts mit dem Weiberbesuch«, spottete einer und eine Lachsalve fegte durch die Gewölbe.

Merya antwortete mit einer Reihe von Kraftausdrücken, für die sie Johlen und Beifall erntete. Der Wächter zerrte sie an einer eisernen Kette durch die offene Zellentür.

Ihre verfilzten Haare konnten nicht den Eisenring um den Hals verdecken, von dem die Kette zur Faust des Wächters führte. In ihren Augen stand Verbitterung, die lähmende Enttäuschung über ihr Hurenleben hatte sich in den Falten neben ihrem Mund eingegraben. Einen Atemzug später legte sich der bekannte Schleier aus Verachtung darüber.

»Sie hätten dich genauso ausweiden sollen wie du den Kerl in meiner Stube. Warum füttern sie so ein Stück Scheiße überhaupt noch durch? Wie ein Straßenköter sollst du verrecken!«

Der Wächter riss so stark an der Kette, dass sie taumelte.

»Los jetzt, Drecksweib!«

Er zerrte die keifende Merya hinter sich her. Erst das Zuschlagen der Kerkertür schnitt ihr Fluchen und Kettenrasseln ab. In den Nachbarzellen fielen noch ein paar derbe Späße, doch als Rond nicht antwortete, kehrte Ruhe ein.

Rond starrte auf den Boden. Seine Knochen fühlten sich an, als hätte jemand Blei hineingefüllt.

Ach, Merya.

Als er den Blick des Schwarzgekleideten bemerkte, der ihn schweigend beobachtete, setzte er eine unbeteiligte Miene auf. Doch der Fremde wusste offenbar längst, dass er gewonnen hatte.

 

***

 

Die Wachen warteten auf Erlaubnis zum Eintreten und stießen Rond grob durch die Tür. »Hier ist er, Gräfliche Hoheit.«

Ein Blaublütiger? Mit denen hatte Rond noch nie Glück gehabt. Das alles konnte nur in einer Katastrophe enden.

Der Schwarzgekleidete erhob sich aus einem dick gepolsterten Sessel vor dem Kamin, in dem ein frisch geschürtes Feuer flackerte. Ein zweiter Sessel stand ihm gegenüber. Den Raum dazwischen füllte ein niedriger Tisch, auf dem eine Karaffe und zwei silberne Becher mit hohen Stielen warteten.

Der Schein der Abendsonne fiel durch zwei riesige Fenster mit bleigefassten Glasscheiben und ließ die kostbaren Wandteppiche aufleuchten.

Abendsonne? Ganz schlecht. Nach Westen stand die Burg über einer lotrechten Felswand. Keine Chance, durchs Fenster zu fliehen.

Der Schwarzgekleidete sah selbst in dem rötlichen Licht bleich aus und seine Kleidung unterstrich den Effekt. Ein Levany also. Die gezierten Bewegungen des feinen Herren hatten etwas Brüchiges wie ein Gaul, der zu schwer gearbeitet hatte. Seine Augen blickten aus Höhlen, die sonst nur der Hunger formte, und sein Blick schoss durch das Gemach, als ob er ebenfalls nach einem Fluchtweg suchte.

Mit einer knappen Geste wies er auf Rond, ohne die Wachen anzusehen. »Nehmt ihm die Ketten ab.«

»Hoheit?«

»Ich denke, du hast mich verstanden.« Die Antwort des Levany fiel nur eine Nuance schärfer aus, doch der Soldat duckte sich wie unter einem Schlag.

Feigling.

»Wartet vor der Tür.« Der Fremde nahm wieder Platz und wies Rond den zweiten Sessel zu.

Der ließ sich ohne weitere Umstände hineinfallen und warf einen spöttischen Blick auf seinen Gastgeber. »Und jetzt? Wann kommen die Tänzerinnen?«

»Jetzt trinken wir einen Schluck und warten auf das Essen. König Dargon führt eine exzellente Küche und mit einem Happen im Bauch lässt sich viel besser besprechen, wofür ich Eure Hilfe brauche.« Mit einem eleganten Schwung hob der Schwarzgekleidete die Karaffe an, füllte beide Weinbecher und reichte Rond einen.

»Wie fandet Ihr die Palastbäder?«

Unwillkürlich wandte Rond den Blick ab. Er wusste, wie Männer aussahen, die aus dem Kerker kamen. Der Gesichtsausdruck der Bademägde und die schmutzigbraune Brühe, der er entstiegen war, hatten ihm genug über seinen Zustand verraten. Jetzt fühlten sich die bartlosen Wangen wund und roh an. Die frisch geschnittenen Haare wehten bei jedem Luftzug und kitzelten auf der Stirn. Die ungewohnte Umgebung und die Aufmerksamkeit des Adeligen verunsicherten ihn stärker, als er sich eingestehen wollte. Unwillkürlich duckte er sich und verwünschte im Stillen seine Feigheit. Besser, er machte zügig klar, dass er keinem hohen Herren in den Arsch kroch.

»Habt Ihr eigentlich einen Namen? Ich will wenigstens wissen, wem ich die Zähne ausschlage.«

»Ihr pflegt ja eine ausgesprochen sympathische Art, Euch vorzustellen.«

Rond schwieg und wartete.

»Also gut, Meister Rond.« Sein Gastgeber seufzte. »Al Yontar lautet mein Name, Shevon al Yontar. Mein Vater war Senator und oberster Quaestor in Levanon, als es dort noch so etwas wie einen Senat gab. Und ich spotte nun einmal gern über Leute, die mir ans Leben wollen.«

»Das müssen eine Menge sein.«

»Einige.« Der Fremde schien im Geiste nachzuzählen.

Es klopfte.

Mit einer fließenden Bewegung glitt Rond aus dem Sessel und hinter den Fremden, legte die Hände um dessen Hals und wartete, jederzeit bereit, zuzudrücken. Hier würde er ohne Geisel nicht hinausgelangen.

Doch durch die Tür kam nur die Magd mit dem Essen und ließ bei ihrem Anblick beinahe das Tablett fallen.

»Alles ist in bester Ordnung«, brachte al Yontar heraus. »Setz es ab und verschwinde.« Die Magd tat wie geheißen und hastete aus dem Raum.

Rond behielt die Hände am Hals des Levany, bis die Wachen mit gezogenen Waffen die Tür aufsprengten.

»Zurück, Dreckskerl! Zurück, oder du bist ein toter Mann!«

»Wenn ihr so weitermacht, bin gleich ich der Tote«, presste al Yontar hervor. »Verschwindet endlich und lasst uns essen.«

»Aber, Gräfliche …«

»Augenblicklich! Und lasst euch bloß nicht einfallen, hier mit einer Kompanie aufzutauchen!«

Die Verwirrung stand den Wachen ins Gesicht geschrieben, doch sie fügten sich. Schritt für Schritt zogen sie sich rückwärts auf den Gang zurück.

»Und schließt gefälligst die Tür!« Der Levany klang fast schon wieder so überheblich wie das ganze adelige Pack.

Rond blieb mit den Händen am Hals des Fremden stehen. Wahrscheinlich kamen die beiden gleich wieder hereingetrampelt. Erst nach längerer Zeit setzte er sich, bereit, jeden Augenblick erneut aufzuspringen.

Sein Gastgeber deckte die Schüsseln ab und schnupperte am Inhalt. »Wunderbar. Ich werde dem Oberhofkoch ein Kompliment zukommen lassen. Die Magd zeigte beeindruckende Disziplin, findet Ihr nicht? Bei jeder anderen müssten wir nun vom Boden speisen.« Er verfiel wieder in seinen Plauderton, doch die Schweißperlen auf der Stirn verrieten, dass er die Situation keineswegs so souverän durchgestanden hatte, wie er glauben machen wollte.

Gut so. Niemand sollte sich für unangreifbar halten.

Al Yontar machte eine einladende Handbewegung. »Guten Appetit! Wenn ein König einen verköstigt, sollte man sich auf keinen Fall zurückhalten.«

Das ließ Rond sich nicht zweimal sagen. Beim Anblick der Speisen wuchs seine Gier ins Unermessliche und er langte mit beiden Händen zu.

»Übrigens haben wir uns schon einmal getroffen«, erklärte Shevon al Yontar.

Rond antwortete nicht. Er riss mit den Zähnen das Fleisch von einem gebratenen Hühnerbein, warf den Knochen auf die Platte zurück und griff nach dem nächsten. Wenn sie ihn morgen aufhängten, starb er wenigstens satt.

Schließlich sah er auf. »An einen Milchbart wie Euch würde ich mich erinnern.«

»Es ist sieben oder acht Jahre her. Den Jungen mit zu viel Geld in der Tasche habt Ihr zwischen den Adeligen vermutlich einfach übersehen. Ihr hattet gerade Graf Gribush aus einem Kerker irgendwo im Osten herausgeholt und bei Hof konnte man sich nicht entscheiden, ob man Euch feiern oder einfach köpfen sollte.«

Nicht schon wieder die alte Geschichte. Der verdammte Berater der Krone hatte sich in Gham fern im Osten mit Prahlereien und Lügen ins Gefängnis geschwatzt und sich später über die unkomfortable Flucht beschwert.

Rond leerte den Weinbecher und stellte ihn etwas zu fest zurück auf den Tisch, dessen Platte sacht zu tanzen schien. Sie schenkten hier starkes Zeug aus und reichten kein Wasser zum Verdünnen. Er war einfach nichts Gutes mehr gewohnt. Wie lange hatte er in dem verdammten Kerker gefault? Er würde aufpassen müssen, um nicht betrunken vom Stuhl zu fallen.

Shevon al Yontar griff nach der Karaffe. Dabei rutschte sein Ärmel zurück und gab das Handgelenk frei. Knotig verwachsene Stränge schlangen sich ringförmig darum, als wüchse ihm eine Rolle Draht unter der Haut.

Der Mann war ausgepeitscht worden.

Unwillkürlich packte Rond die Hand des Fremden und hielt sie fest. »Was ist das?«

»Narben.« Der Fremde zog mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck die Hand weg und schenkte nach. »Das Abschiedsgeschenk eines Freundes, nachdem er meine Familie ermordet hatte. Ich suche noch nach einem passenden Gegengeschenk.« Die Karaffe klirrte, als er sie auf den Tisch stellte.

Gier brüllte Rond in die Ohren, den Wein auf einen Zug zu leeren. Widerstrebend hielt er sich zurück, denn der Alkohol in seinem Blut ließ bereits das Zimmer schwanken. »Ist es das, was ich tun soll? Den Mörder umbringen? Rache?«

Ein Lächeln schlich über das Gesicht des Fremden. »Ihr habt mir vorhin im Kerker nicht zugehört. Außerdem traue ich Euch so manches zu, Meister Rond, aber das dann doch nicht.«

Der Fremde traute ihm wohl nichts zu? Ha!

»Sagt mir, wer es ist, und ich bringe Euch seinen Kopf.«

Sein Gegenüber zog eine Braue hoch. »Na gut, Meister Rond. Wir sprechen über den Diktator von Levanon.« In Ronds verblüfftes Schweigen hinein fuhr er fort: »Ich habe Euch bereits von der Aufgabe erzählt. Wie früher schon einmal sollt Ihr Gefangene befreien, aber die Sache hat ein paar Tücken.«

Der Wechsel im Tonfall entging Rond nicht. Er schob den Weinbecher von sich, der irgendwie doch in seine Hand geraten war. Hühnerbeine, Wein und Badezuber stellten also nichts anderes dar als die Leimrute für Fliegengeschmeiß wie ihn. Jetzt kam der Preis.

Shevon al Yontar schenkte ihm schon wieder nach. »Die Gefangenen sitzen im Königspalast zu Gabash, wo König Toran von Falun eifersüchtig über sie wacht. Ein eitler Bursche, der im Leben nichts geleistet hat, als sein Land kampflos an Levanon zu übergeben, nachdem sein Vater durch meinen besiegt worden war. Die Bauleute, die seine marode Burg reparieren sollten, haben ihn verlassen und er glaubt, dass er sie zur Rückkehr zwingen kann. Eure Aufgabe …«

»Gawash? Wo ist das?« Rond zwang seine Hand, nicht nach dem Becher zu greifen.

»Gabash. Hauptstadt Faluns, einer Insel im Westen. Ein Land, in dem es mehr regnet, findet Ihr im ganzen Inselrund nicht. Ihr sollt die Gefangenen übernehmen und zu unserem Schiff bringen. Alles in allem eine Flucht von drei, vier Tagen, wenn es einmal losgeht.«

»Wieso hält dieser König Toran die Bauleute gefangen, wenn sie schon geflohen sind?« Es fiel ihm schwer, die Gedanken zusammenzuhalten. Verdammtes Gesöff.

»Die Bauleute sind geflohen, als sie keinen Lohn mehr bekamen. König Toran ist so gut wie mittellos.«

»Trotzdem hat er sie wieder einfangen lassen.«

»Nein.« Shevon al Yontars Gesicht blieb unbewegt. »Es handelt sich um ihre Frauen und Kinder. Sie wollten auf zwei Schiffen fliehen, aber das eine wurde geschnappt.«

»Ich soll … Moment mal. Mit einer Horde Frauen und Kindern durch die Wildnis?« Er lachte ungläubig und schüttelte vehement den Kopf. »Das ist Wahnsinn!«

»Das ist unumgänglich.«

»Welcher Idiot hat sich diesen Blödsinn ausgedacht?«

»König Dargon, Euer Herr.«

»So ein …« Rond sprang auf und blieb mit dem Fuß am Tischbein hängen. Er rettete sich mit einem Griff nach der Sessellehne des Levany, doch sein Weinbecher knallte auf den Boden und eine rote Lache breitete sich auf den Fliesen aus wie Blut beim Schlachter.

Verdammt. Verdammtes Gesöff. Verdammte Wächter. Natürlich würden sie es noch einmal probieren!

Vorsichtshalber nahm er wieder Aufstellung hinter al Yontar, der entnervt die Augen verdrehte.

»Muss das sein?«

Rond nickte und konzentrierte sich auf die Tür.

Wie erwartet stürmten die Wachen mit gezogenen Schwertern herein. Das Ganze glich immer mehr einer schlechten Bauernkomödie, die ständig die gleiche Szene zeigte.

»Seid Ihr wohlauf, Hoheit?«

»Durchaus.« Shevon al Yontar lehnte sich zurück. »Ein zerbrochener Kelch ist noch lange kein Grund zur Beunruhigung. Lasst uns allein und wartet draußen.«

»Zu Befehl, Hoheit.« Die Wachen zögerten, bis al Yontar sie mit ungeduldigem Handwedeln vor die Tür wies.

»Nun setzt Euch doch wieder, Meister Rond! Es gibt viel zu besprechen und die Zeit drängt.«

Rond blieb weiter hinter dem Grafen stehen.

Der warf sich unbeeindruckt ein paar Oliven in den Mund. »Für die Befreiung räumt uns König Dargon drei Mondläufe ein, beginnend heute. Wenn wir bis dahin mit den Gefangenen hier bei Hof eintreffen, bekommen Ihr und Eure Schwester die Freiheit und ich lege eine ordentliche Belohnung obendrauf. In Gold. Wenn nicht …« Der Fremde zuckte nonchalant mit den Schultern.

»Und wenn ich bei der Sache draufgehe?«

»Gilt unsere Vereinbarung trotzdem. Treffen die Gefangenen rechtzeitig hier ein, wird Eure Schwester freigelassen und ich zahle Eure Belohnung an sie aus.«

»Wer sagt Euch, dass ich mich nicht einfach heimlich aus dem Staub mache?«

»Niemand. Ihr müsstet dann freilich damit leben, dass Ihr Eure Schwester an den Galgen gebracht habt.«

Rond schnaubte. »Das kümmert mich einen Dreck. Merya wünscht mir ohnehin den Bluthusten an den Hals.«

Shevon al Yontar verdrehte sich auf seinem Sessel, um ihm in die Augen zu sehen. »Wisst Ihr, warum ich Euch das nicht glaube? Weil Ihr Eure Schwester vor dem Steuereintreiber gerettet habt. Weil Ihr nur ihretwegen im Kerker gelandet seid. Und weil sie das Einzige ist, das Euchauf dieser Welt noch etwas bedeutet. Ich habe vor unserem Gespräch Erkundigungen eingezogen.«

»Ich will …«

»Ihr könnt Euch gern etwas Zeit für die Entscheidung nehmen. Aber jeder Tag bringt Eure Schwester dem Strick näher und Ihr, Meister Rond, seid der Einzige, der sie jetzt noch vor dem Galgen retten kann.«

Er lehnte sich zurück, nippte an seinem Wein, und Rond musste alle Selbstbeherrschung zusammennehmen, um dieser verfluchten, selbstzufriedenen Palastratte nicht die Gurgel zuzudrücken.

 

 

 

Mauerdienst

 

Vendan da Gandre, Befehlshaber der Königsgarde Faluns, blickte durch einen Mauerriss ins Tal hinab, wo schwer beladene Karren über die Straße in Richtung des Dolnan rumpelten. Auf der gegenüberliegenden Seite verschwand der Bergwald in tief hängenden Regenwolken. Das ferne Rauschen des Wildbachs brach sich hinter Vendan an der Mauer des Bergfrieds. Das Ganze glich einem Kunstwerk, einem Fresko, wie es die besten Maler nicht an die Wände des neuen Palastgebäudes zaubern konnten.

Der Rahmen? Ein Loch in der Wehrmauer.

Zu Hause in Marny saßen seine Frau und die Kinder vermutlich vor dem Kamin in der großen Halle, spannen Wolle und erzählten sich die alten Geschichten über Uyara, die Erlöserin. Nur er hielt hier die ehrenvolle Familientradition hoch und bewachte eine Ruine.

Stetig fiel der Regen.

Eine Verwünschung murmelnd richtete Vendan sich auf.

Der Gardist, der ihn auf seinem Rundgang begleitete, winkte vom Eingang eines Halbturms herüber und deutete auf einen Spalt zwischen seinen Stiefeln. »Hauptmann? Hier ist noch einer.« Sein schwarzer Mantel hing an ihm herunter wie ein Lumpen aus dem Putzeimer. Der königliche Drache, in Silber auf den Wappenrock gestickt, zog das Gesicht in griesgrämige Falten. Auf dem Wehrgang trockneten die Kleider niemals, nicht einmal dort, wo das Dach noch existierte.

Vendan lachte bitter. Warum sollte König Toran auch die Ringmauer erneuern lassen, wenn er das Geld für ein neues Wohngebäude im modernen levanischen Villenstil brauchte? Hässlich und nutzlos thronte es seither mitten in der Burg und würde künftig jeden Versuch einer Verteidigung behindern.

Toran hatte nie die wahre Last der Krone tragen müssen. Er war ein unreifer Junge geblieben, eitel und weichlich.

Die Burg diente längst den Besatzern als Kommandantur und Vendans Männer bildeten lediglich die Ehrengarde eines Vasallenkönigs. Vielleicht standen hier auf dem alten Königssitz bald nur noch fremdländische Villen.

Nein, korrigierte Vendan sich stumm. Die Besatzer sahen ja selbst, was Shorons göttlicher Zorn mit Gebäuden der Levanyi anstellte. Von der Mauer aus ließ sich gut beobachten, wie das Becken im neuen Atrium vom Dauerregen überlief, und der königliche Brennholzvorrat ging schon zu Beginn der Regenzeit zur Neige, weil sich die offenen Räume kaum heizen ließen. Derweil wärmte sich der neue Statthalter drüben im Bergfried an einem der Kachelöfen, die man hier seit Generationen perfektioniert hatte, und falunische Knechte trugen ihm das Holz hinauf.

Regentropfen prallten von Vendans Lederhelm ab. Er würde ihn wieder fetten müssen, wenn er trocken war — was in der Regenzeit endlos dauerte. Vendan rümpfte die Nase. Seine Garde roch vermutlich als einzige im Inselrund nach ranzigem Fett. Aber was sollte er tun? Eisen kostete ein Vermögen, genau wie Bauleute, um endlich die Schäden an der Königsburg zu reparieren. Das Geld dafür lagerte in den Truhen des Statthalters oder ging als Steuer an den levanischen Kaiser. Die Besatzer ließen Falun ausbluten wie ein Schwein beim Schlachten.

»Hier, Hauptmann. Unter mir laufen die Hühner, die der Koch des Statthalters hält.« Der Gardist stampfte kräftig auf. Seine Tritte lösten mehrere Steine, die in den Hof hinabfielen. Aufgeregt gackernd flohen die Hühner in ihren Stall.

»Lass das!« Gegen seinen Willen musste Vendan lachen. »Wenn du ein Huhn erschlägst, wem setzt es der Statthalter wohl auf die Rechnung, hm?«

Der Mann sah betreten drein und schien erleichtert, als der Anführer der Ersten Wache auftauchte und er salutieren musste. »Wachführer!«

Carath da Malet schien den Regen nicht zu bemerken, der ihm vom Nasenschutz tropfte. »Wie viele Spalten habt ihr gefunden?« Mit einem Blick auf Vendan deutete er einen Salut an. »Hauptmann.«

Der Gardist stand stramm. »Vier, Wachführer. Alle breiter als eine Handspanne.«

Vendan runzelte die Stirn. Nicht einmal ein Viertel des Wehrgangs lag hinter ihnen. Das Holz der Stützen faulte, das kannte er. Aber generationenalte Mauern, die an der Basis mehr als zwei Klafter maßen? Die Königsburg, die seit Menschengedenken das Tal bewachte, schien in sich zusammenzusacken, als ob sich der Berg, der sie trug, plötzlich auflöste. Wenn König Toran nicht endlich Geld für die Reparaturen freigab, fand er sich irgendwann mitsamt den Trümmern seiner Burg im Tal wieder. Den Levanyi war angeblich genau das mit ihrer Hauptstadt widerfahren, doch sie verstärkten ihren Würgegriff um Falun nur noch weiter.

Schritt für Schritt umrundeten die drei Männer die Ringmauer. Sie passierten zackig salutierende Soldaten aus Caraths Wache und stiegen über Haufen herabgefallener Schindeln. Vendan rutschte auf einer Stufe aus und hielt sich am Pfosten des Geländers fest. Seine Finger drangen tief ins Holz, in dem der Schwamm saß. Mit der bloßen Hand riss er einen daumendicken Splitter aus dem Pfosten und hob das Holzstück anklagend empor.

Carath zuckte nur gleichmütig mit den Schultern, so wie immer bei Vendans Klagen über den Zustand der Burg. Er würde wohl auch dann noch lächeln, wenn die Mauer unter ihm in Stücke zerfiel.

Sie näherten sich dem Ausgangspunkt des Kontrollgangs. Prompt tauchten die Risse wieder auf.

Vendan schickte den Soldaten mit einem Wink zu den Mannschaftsbaracken und lehnte sich in einer Zinnenscharte weit über die Mauer hinaus. Unter ihm ragten die Felsen des Burgbergs aus dem Torfmoos hervor wie Knochen aus einer verrottenden Leiche. An seinem Fuß zogen sich Geröllfelder bis zum Bach und der Reichsstraße hinüber. Direkt unter Vendan wiesen sie einen helleren Farbton auf als am Rest des Hangs. Erst kürzlich musste hier ein Teil des Felsens abgerutscht sein. Vendan nahm sich vor, nicht nur die Mauer zu untersuchen, sondern auch das Gestein, das sie trug.

Er richtete sich auf. »Die Regenzeit ist bald vorüber. Wir müssen die Leute heimschicken.«

Vielleicht durfte er dann seiner Familie selbst einen Besuch abstatten. Die Kleine lief sicher längst allein.

»Zu früh. Die Hälfte weiß noch nicht einmal, wie man einen Bogen richtig hält.« Carath streckte sich. Der Regen, der ihm in die Ärmel rann, schien ihm nichts auszumachen. Sein sonniges Gemüt hielt ihn keineswegs davon ab, die Kampfkraft der falunischen Schattenarmee korrekt einzuschätzen. Regelmäßig brachten seine Kommentare Vendan an den Rand des Wahnsinns — und auf den Boden der Tatsachen zurück.

Genau dafür brauchte man gute Freunde.

»Jeder von ihnen weiß, wie man eine Sense hält«, erwiderte Vendan. »Auf den Feldern brauchen wir jeden Mann.« Leiser fügte er hinzu: »Wer den Umgang mit der Waffe jetzt nicht begriffen hat, lernt ihn auch nicht mehr. Drück ihnen eine Keule in die Hand und zeig ihnen, wo der Feind steht.«

Seine Bemerkung schien selbst Carath die gute Laune zu rauben. »Habe ich richtig gehört? Du willst sie ohne Ausbildung gegen eine levanische Legion schicken? Dann kannst du ihnen auch gleich befehlen, von der Mauer zu springen. Hast du die Levanyi exerzieren gesehen?«

»Bauern bleiben eben Bauern«, beharrte Vendan und versuchte das Bild dieser Masse aus Spangenpanzern wegzuschieben, die sich bewegte, als würde sie von einem einzigen Gehirn gesteuert. Nie zuvor hatte er Soldaten mit so tödlicher Präzision marschieren gesehen.

Carath hieb in die gleiche Kerbe. »Sie wirken, als ob sie keine Menschen mehr wären. Genauso kämpfen sie auch: unmenschlich.« Er ließ sich mit dem Rücken gegen die Brüstung fallen und Vendan unterdrückte den Impuls, ihn am Ärmel festzuhalten. Wer wusste schon, wann die nächste Zinne ins Tal stürzen würde?

»Auch die Levanyi haben Kriege verloren, sogar vor Kurzem.« Immer wenn Vendan an die Nachrichten aus Sabinon dachte, erfasste ihn eine Mischung aus Wut und Begeisterung. Nicht nur ihre Hauptstadt lag in Trümmern. Nein, die levanische Flotte war von Sabinons Wurfmaschinen auf den Meeresgrund geschickt und eine komplette Legion aufgerieben worden. »Wie viele solche Verluste können sie sich wohl leisten?«

»Genügend, um uns endgültig auszulöschen. Wir sind nicht Sabinon.«

Dass Carath wieder einmal recht behielt, machte es nicht angenehmer. Aus einer größeren Perspektive betrachtet war Falun nichts weiter als ein verregneter Flecken Land am Rand der Welt. Gäbe es die verdammten Silberminen nicht, die Levanyi hätten sich niemals hier blicken lassen. Nun saßen sie in den besten Mannschaftsbaracken der Königsburg wie ein Holzwurm im Dachgebälk.

Trotzdem konnte er Caraths Argument nicht einfach stehen lassen. »Die Niederlage hat sie geschwächt. Wenn wir zu lange warten, verschleppen sie unsere eigenen Leute in ihre Legionen.«

»Dann bekommen sie endlich eine anständige Ausbildung.« Carath lachte, doch dieses Mal klang es hohl. »Und anschließend schicken wir sie gegen ihre eigenen Lehrmeister. Ich muss zugeben, der Plan hat etwas.«

»Dazu müsstest du sie erst einmal aus dem Winkel der Welt zurückschaffen, in den man sie bis dahin transportiert hat.«

Der Gedanke schmerzte wie eine Dolchwunde. Jedes Jahr schleiften die Besatzer mehr falunische Bauernsöhne auf ihre Galeeren, damit sie irgendwo im Inselrund ihr Blut für Levanon vergossen. Schaffte es doch einmal jemand zurück nach Hause, dann sprach er besser levanisch als die Zunge seiner Vorfahren, faselte von Villen und Ländern voller Sonne und sah verächtlich auf seine Heimat herab, die dem Regen gehörte. Derweil verhungerte das Volk, weil niemand die Ernte einfuhr.

Das musste ein Ende haben. Sie konnten nicht endlos Männer ausbilden oder vor den Rekrutierungstrupps der Levanyi in den Wäldern verbergen. Nein, sie mussten zuschlagen, bevor Falun vollständig ausblutete.

»Wir haben nicht mehr viel Zeit«, murmelte er. »Irgendwann ist Falun so tot und kalt wie unsere Väter.«

Wenigstens dieser Gedanke schmerzte nicht mehr so wie früher. Varat da Gandre war für seinen König gestorben. Er konnte den Sieg der Levanyi nicht aufhalten, aber schwang bis zum letzten Atemzug das Schwert der Familie gegen die Besatzer. Er hätte auch von Vendan verlangt, bis zum Ende zu kämpfen.

Carath räusperte sich. »Übrigens will der Statthalter dich sprechen.«

»Spielst du jetzt schon den Botenjungen für sie?«

Carath schüttelte den Kopf. »Ich stand vor Seiner Majestät, als er das äußerte. Natürlich habe ich ihm gesagt, wenn er dich sprechen wolle, müsse er schon selbst jemanden schicken. Das hat ihm sichtbar missfallen, aber … ah, da kommt sein Bote schon!« Er wies auf einen levanischen Soldaten in Spangenrüstung, der den Wehrgang entlanggeeilt kam. Sein Helm trug eine breite Eisenkrempe, um den Regen abzuleiten. Die Levanyi lernten dazu.

Der Mann salutierte vor Vendan. »Seine Exzellenz der Statthalter wünscht Eure Aufwartung.« Er sprach levanisch, als verstünde die ganze Welt diesen albernen Singsang. Wenn sie nicht aufpassten, redeten in Falun bald alle so.

»Ich nehme Befehle nur von meinem König entgegen.« Vendan verschränkte die Arme und Carath grinste.

Der Soldat verzog keine Miene. »Der Mann da hat Euch sicher schon alles ausgerichtet. Euer König verlangt, dass Ihr dem Befehl des Statthalters Folge leistet. Augenblicklich.«

Carath zuckte nur mit den Schultern.

Mit einem Fluch stiefelte Vendan an dem fremden Soldaten vorbei und machte sich auf den Weg zur Treppe.

Die Stimme des Levany schallte ihm hinterher: »Ihr sollt vor dem Eintreten die Stiefel ablegen, damit Ihr ihm nicht den kostbaren Teppich volltropft.«

Für einen Moment verlor Vendan die Kontrolle über sich und reckte die Faust gegen den Bergfried.

 

 

Thronsaal

 

Graf Gribush empfing seine Gäste im vordersten Salon des Schlosstraktes, den er bewohnte. Genauer gesagt empfing er nur Shevon al Yontar; Rond übersah er wie einen räudigen Straßenköter.

Im Salon bleichten wuchtige Wandschränke im Sonnenlicht, das durch Fenster ohne Vorhänge fiel, und ein einfacher Läufer bedeckte den Dielenboden. Zwei Stühle und ein Tisch, auf dem ein Silbertablett mit einer Karaffe und zwei Bechern aus sabinoischem Glas stand, vervollständigten die Einrichtung. Immerhin leistete sich Gribush echte Glasfenster. Ein Diener in den Hausfarben des Grafen wartete in einer Nische und rümpfte bei Ronds Anblick die Nase, als hätte er etwas Unappetitliches gerochen.

Gribush selbst trug einen bequemen Rock, zusammengehalten von einem goldbestickten Gürtel, und ebenso lächerliche Pantoffeln wie Shevon al Yontar. Er ließ dem Levany Wein reichen und nahm selbst einen Becher.

»Ihr bleibt dabei, den König bei dieser Geschichte zu unterstützen?«, eröffnete Gribush abrupt das Gespräch.

Al Yontar nickte. »Ich weiß, wie es in Kerkern zugeht. Die Frauen und Kinder können einem leidtun.«

Also lag Rond mit seiner Vermutung richtig. Auch der Levany brachte Erfahrungen mit Gefängnissen mit. Aber was hieß das schon? Die da oben bekamen ein Zimmer mit Glasfenstern, Diener und Kleidung an die Hand und aßen am Tisch des Feindes, nur gegen das Versprechen, nicht davonzulaufen.

Gut, das galt wohl nicht immer. Bei seiner Befreiung waren Graf Gribush die von Ungeziefer verseuchten Kleider förmlich vom Körper gefault. Das hielt ihn freilich nicht davon ab, sich über die Strapazen der Flucht zu beklagen. Selbst in Lumpen hielt er sich für etwas Besseres.

Gerade zog er verächtlich eine Braue hoch. »Mitleid? Es sind die Frauen und Kinder gewöhnlicher Handwerker.«

Al Yontar zuckte mit den Schultern. »Im Kerker sehen wir alle gleich aus, nicht wahr? Wir bluten, wir stinken und die Flöhe zwicken uns genau wie alle anderen.« Er prostete dem Grafen zu, dessen Blick sich verfinsterte. Rond musste ein Grinsen unterdrücken. So mühelos unterlief sonst niemand Gribushs Geschichte von seiner heldenhaften Flucht.

Der Graf musterte al Yontar aus schmalen Augenschlitzen. »Was gewinnt Ihr eigentlich bei der Sache?« Als Shevon nicht sofort antwortete, fügte er in väterlich-jovialem Ton hinzu: »Mein lieber Graf, niemand würde sich einer derart banalen Geschichte annehmen, ohne ein eigenes Ziel zu verfolgen.«

»Wäre die Geschichte tatsächlich so banal, dann würde sich ein Graf Gribush nicht die Mühe machen, mich auszuhorchen«, erwiderte al Yontar und der Graf setzte eilig eine nichtssagende Miene auf.

Geschwätz, wie immer, wenn Adelige aufeinandertrafen. Rond wandte sich dem Fenster zu. Sein Blick fiel ins Leere, als ob die Königsburg von Mis Manôr auf einer Wolke schwebte. Das tat sie nicht; der Sträflingskarren auf dem Weg ins königliche Verlies hatte damals jedes Schlagloch in Ronds geschundenen Rücken gehämmert. Unten füllte die Hauptstadt des Königreichs Maror Sesal eine komplette Flussschleife des Lirran aus. Die regelmäßigen Vierecke der neu entstehenden Königsstadt drängten das chaotische Gewimmel baufälliger Häuser und kaum schulterbreiter Gassen zurück, das bis vor Kurzem Mis Manôrs Herz gebildet hatte. Es sah aus, als drückte ein steinernes Gitter die alte Stadt zu Tode. Rond suchte nach dem Dach von Meryas Hurenhaus, aber offenbar stand das schon gar nicht mehr. Wahrscheinlich hatten die königlichen Beamten es abreißen lassen, wie so viele andere. An der Stelle wuchs sicher schon der Palast eines Großhändlers empor, dessen Steuern die Kassen der Krone so viel besser füllte als die von Meryas Hurenhaus.

Ein Räuspern schreckte Rond auf. Beide Grafen blickten ihn an, der Levany aufmerksam, Gribush verächtlich.

»Seid Ihr Euch sicher, Graf Shevon, dass er der Richtige für diese Aufgabe ist?« Gribushs Stimme troff vor Sarkasmus. »Er soll über Tage durch die Wildnis fliehen und schafft es nicht einmal, eine halbe Stunde seinen Herren zu lauschen! Wie soll er vor Seiner Majestät stehen, ohne Euch zu beschämen?«

Rond zwang sich zur Ruhe. Gribush selbst zeichnete verantwortlich für Ronds Aufenthalt im Kerker. Vermutlich wollte der Graf jede Erinnerung an seine schändliche Gefangenschaft auslöschen. Er würde versuchen, Rond so lange zu reizen, bis der sich eine Blöße gab und der Graf ihn mit vollem Recht wieder dorthin zurückschicken konnte. Sollte er nur! Rond hatte mehr als genug Zeit gehabt, das Warten zu üben.

Auch al Yontar zuckte lediglich mit den Schultern. »Meister Rond löst normalerweise andere Aufgaben als sinnloses Herumstehen in Vorzimmern. Das überlässt er gern Euren Lakaien.« Er nickte zu dem Diener hinüber, der die Lippen zusammenpresste. »Ich vertraue darauf, dass er dieses Abenteuer ebenso gekonnt bewältigt wie Ihr selbst seinerzeit Eure eigene Befreiung.«

Schon wieder standen Zornesfalten auf Gribushs Stirn.

Der Levany schien sie nicht zu bemerken oder gekonnt zu ignorieren.

Unwillkürlich kniff Rond die Lippen zusammen. Dieser al Yontar musste sich vorsehen, es nicht zu übertreiben. Kannte er seinen Gegner überhaupt? Gribush griff niemals spontan an, sondern bevorzugte die Hetzjagd, die seine Beute ermüdete, bevor er sie gefahrlos erlegen konnte. Er würde Treiber sammeln und Hunde, und dann zur Jagd auf al Yontar blasen. Genau wie er Rond hatte jagen lassen.

Andererseits durfte man denen da oben auch nicht alles durchgehen lassen, sonst glaubten sie, dass sie einen ungestraft in den Staub treten konnten.

Gribush zog sich zurück, um formellere Garderobe anzulegen. Dabei ließ er sich so viel Zeit, dass Rond sich fragte, ob er überhaupt noch einmal erscheinen würde.

Als der Diener endlich die Tür aufhielt, um sie zur Audienz zu geleiten, stellte Rond seinen Stiefel auf dessen Pantoffel und trat herzhaft zu. Der Lakai verzog schmerzerfüllt das Gesicht, ohne einen Laut zu äußern. Rond nickte ihm zu und folgte den hohen Herren. Diese Palastratte sollte sich hüten, ihn noch einmal abfällig zu betrachten.

Der Diener führte sie durch einen endlosen Gang, dessen polierter Boden im Licht vieler Kerzen funkelte. Wer bei allen Dämonen der Finsternis brannte tagsüber teure Kerzen in einem Gang ab? Für solchen Luxus musste sich irgendein armer Tropf draußen im Land den Buckel krumm schuften und ein anderer anschließend das Wachs vom Boden kratzen.

Sie näherten sich einer Doppeltür, vor der zwei Soldaten Wache standen. Bei Gribushs Anblick nahmen sie Haltung an, doch er beachtete sie nicht und befahl mit einem Wink, die Tür zu öffnen. Mit einem Schwung, der seinen Mantel flattern ließ, betrat er den Saal. Shevon und Rond folgten ihm.

Die Luft stank nach Angst und Seife. Flankiert von zwei Burgwachen blickte ihnen eine Reihe Männer in den Festtagsgewändern der Stadtbürger entgegen. Nervös zerknautschten sie ihre Hüte. Mit ihren Wänsten und einer Aura von Angst und Erschöpfung wären sie im Kampf vollkommen nutzlos, das sah Rond schon von Weitem. Aber was sollte man von Handwerkern und Kaufleuten schon erwarten?

Ihre Familien drängten sich ängstlich an sie, doch die meisten Männer schienen allein gekommen. Vor allem sie sahen aus, als hätten sie seit Tagen nicht mehr geschlafen. Beim Anblick des Grafen verneigten sich alle. Eine Mutter riss ihrem Sohn hastig die Mütze vom Kopf.

»Papa, sind das die Männer, die Mama holen?«

Ein scharfes Zischen unterband die Frage des Kindes.

Gribush wies mit großer Gebärde auf al Yontar und Rond. »Meine braven Leutchen, vor Euch stehen die Retter Eurer Lieben. Von ihnen allein wird es abhängen, ob ihr sie jemals lebendig wiederseht, also begrüßt sie auch angemessen.« Der Graf wirkte nicht ganz bei der Sache, beinahe gelangweilt.

»Den Segen aller Götter dieser Welt für Euch tapfere Streiter«, rief einer der Männer.

Ein anderer trat einen Schritt vor. Augenblicklich drängten die Wachen ihn zurück. »Bitte«, stieß er mit Tränen in den Augen hervor. »Bitte bringt sie uns wieder! Ich gebe Euch alles, was ich habe.«

»Ich will meine Mama wieder!«

»Bitte!«

Wie ein Echo schlossen sich andere seinem Flehen an und inständige Bitten flatterten zwischen den Gewölbepfeilern hin und her.

Rond ballte die Fäuste. Was sollte er mit diesen Memmen? Sie taten nichts als abzuwarten und zu jammern.

»Wir werden unser Bestes geben«, erklärte Shevon al Yontar schlicht und wandte sich Gribush zu. »Die Audienz?«

Die Wünsche und Bitten der Handwerker und ihrer Familien rissen erst ab, als die Wachen die Tür schlossen.

Al Yontar schien der gleichen Meinung zu sein wie Rond. Seine Stimme zitterte vor Wut. »Was sollte dieses armselige Possenspiel? Glaubt Ihr etwa, wir werden unsere Aufgabe besser lösen, wenn uns ein Dutzend Handwerker an der Tunika hängt?«

Hinter Gribushs spöttischem Lächeln lauerte noch etwas anderes, das Rond nicht deuten konnte.

»Possenspiel? Seine Majestät höchstselbst wünschte, dass Ihr Eure Auftraggeber kennenlernt, Graf. Das sollte Euch als Grund genügen.«

 

***

 

Warten, immer warten. Gemeinsam mit al Yontar und dem Lakaien, der gehörig Abstand von ihm hielt, stand Rond sich neben dem Eingang des Kabinetts die Füße in den Bauch. Offenbar plante man sie als Zuschauer für die Schmierenkomödie ein, die König Dargon von Maror Sesal und seine Speichellecker gerade inszenierten. Der Herrscher, ein dicklicher kleiner Mann in den Vierzigern, besetzte die Mitte der imaginären Bühne. Eine Handvoll Diener harrte in einer Ecke aus und neben Rond behielten vier Schildwachen die Hand am Schwertgriff. Offenbar trauten sie ihm so wenig wie er ihnen.

Auch Gribush wartete. Drei Schritte hinter König Dargon verharrte er in seiner Verneigung. Der gab ihm keineswegs die Erlaubnis, sich aufzurichten, sondern plauderte angeregt mit einem Levany. Gribush schwankte und musste sich an einem Cal-shòn-Brett mit einer angefangenen Partie festhalten. Eisern bewahrte er sein Lächeln. Rond hätte jede Wette abgeschlossen, dass der Graf seinen Herrscher lieber heute als morgen erdolchen würde.

Der levanische Gast trug einen dieser lächerlichen Umhänge, aus dem man drei Tuniken nähen könnte. Toga nannte man das in Levanon, Segel traf es besser. Der Mann schien nicht älter als al Yontar, doch durch seine ausholenden Bewegungen strahlte er Überheblichkeit und Machtbewusstsein aus. Neben ihm wirkte der König von Maror Sesal in seinem goldbestickten Prunkrock wie ein kleiner Junge, der bei den Erwachsenen um Aufmerksamkeit bettelte.

»Nelbon al Tussar«, raunte Ronds Befreier mit unüberhörbarer Verachtung in der Stimme. »Angeblich einer der treuesten Speichellecker des levanischen Diktators. Wenn das stimmt, muss eine Menge Unappetitliches an seiner Zunge kleben.«

Rond wiederholte den Namen mehrmals im Kopf. Wer wusste schon, wann er das nächste Mal mit dem Mann zu tun bekam.

»Ah, da ist er ja«, rief der König schließlich und drehte sich Graf Gribush zu, als wäre der gerade erst erschienen. »Und hat seinen finsteren Helfer gleich mitgebracht. Sehr erfreut, Euch zu sehen.« Mit einem Wink gestattete er dem Grafen, sich zu erheben.

Der massierte sich unauffällig den Rücken. »Die Freude liegt ganz auf meiner Seite, Euer Majestät.«

Der Levany — Nelbon Irgendwas — wartete geduldig, bis Gribush ihn ins Auge fasste und die beiden einander grüßten. Eine Spannung lag im Raum, die Rond nicht deuten konnte. Aber die Spiele der Mächtigen blieben ja oft undurchschaubar.

Für einen Moment schien der stumme Austausch den König aus dem Konzept zu bringen, doch er riss den Gesprächsfaden wieder an sich: »Mein lieber Nelbon, Graf Shevon al Yontar dort drüben dürfte Euch bekannt sein. War nicht er es, der unter den Augen der levanischen Soldaten aus dem Palast Eures Diktators floh?«

»Ich kenne keine Zeugen dieser angeblichen Heldentat, Majestät.« Der Levany hob das Kinn und lächelte abfällig. »Als ich diesen Verbrecher dort das letzte Mal sah, wartete er an den Schandpfahl gekettet auf seine Hinrichtung.«

Shevon al Yontar versteifte sich und Rond behielt nur mühsam seine unbeteiligte Miene bei. Schandpfahl? Die Geschichte des Levany wurde ja richtig interessant.

»Nun, offenbar fiel die Hinrichtung aus«, versetzte der König. »Oder hat der Scharfrichter womöglich den Falschen getroffen?«

Auf seinen Wink hin stellten die Diener Wein und kleine Happen auf einem Tischchen bereit und einer präsentierte jedem der Herren in demütiger Pose einen Pokal.

Der König nahm einen herzhaften Schluck. »Kommt herüber, Graf al Yontar! Ich freue mich, Euch das Wiedersehen mit einem Eurer ganz persönlichen Feinde zu ermöglichen.«

So aufrecht, als hätte er ein Schwert verschluckt, trat al Yontar zu der Gruppe und stellte sich neben Gribush. Er verneigte sich vor dem König, die Hand auf dem Spielbrett. Den Levany ignorierte er, doch die Anspannung, die er ausstrahlte, glich einer Gewitterwolke kurz vor dem ersten Blitz. Von der unbeteiligten Haltung wie im Kerker war nichts mehr übrig.

Der andere Levany betrachtete al Yontar ungefähr so wie Gribushs Diener vorhin Rond.

Der König verfolgte mit amüsierter Miene das Zusammentreffen. »Ich sehe schon, es ist nicht notwendig, die Bekanntschaft der Herren zu erneuern. Umso gespannter warte ich auf das Spiel, das sich vor unseren Augen entfalten wird.«

Stumm richtete al Yontar seinen Blick auf das Spielbrett neben sich. Schließlich schob er eine schwarze Figur nach vorn. »So manches Spiel ist schon zu blutigem Ernst geworden.«

»Und die vornehmste Aufgabe der Edlen ist es, auch blutigen Ernst als Spiel zu betrachten. Das erhebt uns doch erst über den gemeinen Mann. Nicht wahr, Graf?« Beiläufig winkte er Gribush. »Was ist? Greift zu! Ihr seid doch der Meisterstratege, oder habe ich mich wieder einmal in Euch getäuscht?«

Gribushs Stirnfalten vertieften sich angesichts der neuerlichen Demütigung, doch er folgte dem Befehl seines Königs.

Das würde noch Ärger geben. Ronds Magen zog sich zu einem Klumpen zusammen. Egal ob Ernte oder Schlachtfeld, die da oben spielten immer nur um das Blut der einfachen Leute — es sei denn, sie sahen ihre Ehre bedroht. Dann wurden sie zur Gefahr für jeden, der sich ihnen in den Weg stellte.

Gribush setzte bedächtig eine weiße Figur. »Beim Cal-shòn riskieren auch die höchsten Offiziere, vom Spielbrett gefegt zu werden. Graf Shevon kann Euch sicher aus Sabinon berichten, besonders über den jähen Fall des Herzogs Styeban.«

»Ach was.« Der König wischte seine Antwort mit einem Handwedeln beiseite. »Wir reden über ein paar Handwerker, habt Ihr das vergessen? Ein ritterlicher Kampf um ihre Lieben, ein Spiel auf Leben und Tod für sie, eine aufregende Wette für uns.«

Wette? Alarmiert horchte Rond auf. Er verstand immer noch nicht, was dort vorn gespielt wurde, aber die Sache gefiel ihm mit jedem Atemzug weniger.

Eben zog al Yontar eine Figur aus dem Ärmel und platzierte sie auf dem Brett.

Gribush lächelte spöttisch. »Ich fürchte, mit dem Ding da habt Ihr Euch im Land vertan, Graf Shevon. Hier ist nicht Levanon. Bei uns spielt man nicht mit dem Flügelboten.«

»Das hat Levanon noch nie gekümmert«, erwiderte al Yontar trocken, und wieder musste Rond seiner scheinbaren Unbekümmertheit Respekt zollen.

Der levanische Gesandte verzog abfällig den Mund.

König Dargons Lachen klang gezwungen. »Lasst Euch nur nicht von den Regeln Eurer Gastgeber einengen. Ich setze darauf, dass Ihr diesem dummen Jungen, der sich König von Falun nennt, eine krachende Niederlage zufügt!«

»Darüber spreche ich lieber in kleiner Runde.« Man sah al Yontar das Unbehagen an, und Rond gab ihm recht. Wieso plauderte der König so offen über einen geheimen Auftrag?

Der strahlte, als hätte er das Spiel bereits gewonnen. »Graf Gribush, Ihr alter Heimlichtuer! Sind Graf Shevon die Bedingungen unseres kleinen Wettstreits etwa noch gar nicht bekannt? Nun, dann will ich ihm helfen.« Seine ausladende Armbewegung bezog al Yontar und den Gesandten ein. »Zwei Levanyi treten im Wettstreit um die Frauen und Kinder gegeneinander an — für uns Herrscher der freien Königreiche ein ganz besonderes Spektakel!«

»Ich trete in keinen Wettstreit mit dem da«, erwiderte al Yontar im gleichen Moment, in dem der andere kundtat: »Mit Ratten messe ich mich nicht.« Beide verstummten und starrten einander feindselig an.

»Köstlich, meine Herren!« Der König prostete ihnen lachend zu. »Dabei sind bereits sämtliche Figuren auf dem Brett verteilt.« Ungeduldig winkte er Gribush, mit dem Spiel fortzufahren. »Ich sehe schon, Ihr werdet einander großartig verstehen. Allerdings steht Euer Spielgegner nicht vor Euch, Graf Shevon, sondern befindet sich auf Falun. Es ist Irian al Gired, der levanische Statthalter in Falun.«

»Ich kenne ihn«, erklärte Shevon al Yontar.

Sein levanischer Widersacher dagegen stieß hervor: »Nicht mehr lange.« Wieder starrten sie einander an, der Gesandte verächtlich, al Yontar überrascht.

König Dargon zog amüsiert eine Braue hoch. »Graf Nelbon hier vertritt jedenfalls die Seite des levanischen Diktators.« An den Levany in der Toga gewandt fügte er hinzu: »Nelbon, ich erhöhe auf tausend Goldlevanyi. Gribush, wie viel setzt Ihr und auf wen?«

Für einen Moment glaubte Rond, sich verhört zu haben. Der König wettete mit Levanon um den Ausgang der Befreiungsaktion? Dann konnte er ihnen gleich den Strick mitgeben, an dem die Leute in Falun sie aufknüpfen würden.

Shevon al Yontar stand wie vom Donner gerührt. Mehrmals klappte er den Mund auf und schloss ihn wieder, ohne ein Wort herauszubekommen. Erst nach einer Weile fand er seine Sprache wieder. »Die Aufgabe ist bei allen Göttern schwierig genug. Warum wollt Ihr sie unmöglich machen?«

Gribush lächelte in sich hinein und tauschte einen schnellen Blick mit Nelbon.

»Was wäre ein Spiel ohne Einsatz und Risiko?« Die Begeisterung des Königs schien wie weggeblasen und sein Ton ließ die Haare auf Ronds Armen stehen.

Unwillkürlich machte er sich bereit zum Sprung. Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter. Er fuhr herum und blickte in die Augen eines Gardisten, der bedeutungsvoll den Kopf schüttelte. Rond nahm Haltung an, doch der Soldat zog die Hand nicht zurück. Wir haben dich unter Kontrolle, schien er unhörbar zu sagen.

Obwohl kleiner als al Yontar, schien der König auf ihn herabzublicken. »Viel zu lange habt Ihr mir mit Euren Forderungen in den Ohren gelegen, Graf.« Aus seinem Mund klang der Adelstitel wie eine Anklage. »Ihr glaubt, auf meine Kosten Euer Spiel treiben zu können, so wie Ihr es schon in Sabinon getan habt. Nur zu! Aber in meinem Land spielt Ihr nach meinen Regeln.« Er schnippte mit dem Zeigefinger den Flügelboten weg.

Al Yontar warf sich in die Flugbahn, fing die Figur aus der Luft und stürzte zu Boden. Mühsam rappelte er sich auf.

Mit einer nachlässigen Geste deutete der König auf Rond. »Ihr wollt diesen verkommenen Mörder dort drüben unbedingt in Eure Dienste nehmen? Nun gut. Wenn der Mann meinen Wunsch und Willen erfüllt, soll er meinetwegen sein armseliges Leben behalten und seine mörderische Schwester ebenfalls. Tut er das nicht …« Er sprach nicht weiter, doch unter seinen Fingern kippten zwei Schwertkämpfer auf dem Spielfeld um.

Der fremde Levany beobachtete die Szene mit einem abfälligen Zug um den Mund. »Ich nehme die Wette an, Majestät. Wie die Dinge stehen, gehört das Gold bereits mir.«

Graf Gribush nickte langsam und ein Ausdruck des Triumphs erschien auf seinem Gesicht. Sein Blick traf sich mit dem von Rond und er legte hastig ein nichtssagendes Lächeln auf.

Rond war beinahe froh über die Hand auf seiner Schulter.

Shevon al Yontar straffte sich und antwortete mit einer Verneigung: »Ich stehe tief in Eurer Schuld, Majestät. Meister Rond wird sein Bestes tun, um Euren Wunsch zu erfüllen.« Er drehte sich zu Gribush um und deutete auf das Cal-shòn-Brett und die umgestürzten weißen Schwertkämpfer. »Seht nur, Euer König hat exakt die richtigen Figuren gewählt. Ich fürchte, Graf Gribush, Ihr habt verloren.«

Gribush prüfte das Spiel und akzeptierte mit einer eleganten Neigung des Kopfes seine Niederlage.

Sein Blick versprach Mord.

 

 

Statthalter

 

Die Wachen vor Irian al Gireds Gemächern blockierten die Tür, bis Vendan sich nicht nur auf versteckte Waffen untersuchen ließ, sondern auch die Stiefel auszog. Nicht einmal die durchweichten Fußbinden durfte er anbehalten. Ohne den Befehl des Königs wäre er auf der Stelle umgekehrt. Wollte der Statthalter ihn allen Ernstes durch Kälte demütigen? Vendans Füße waren Schlimmeres gewohnt. Für jemanden, der bei jedem Wetter auf der Mauer stand, fühlte sich der glatte Kammerboden so warm an wie der Wehrgang an einem Sommernachmittag.

Barfuß betrat er die Gemächer seines Feindes und schritt auf das Schreibpult zu, hinter dem Irian al Gired in eine Schriftrolle vertieft schien. Der Teppich, den zu verschmutzen der Soldat auf der Mauer ihn gewarnt hatte, entpuppte sich als aufwendig gemusterte Knüpfarbeit aus dem Osten. Er bedeckte den Boden eines Podestes, welches das Pult wie einen Thron wirken und Irian selbst im Sitzen auf Vendan herabblicken ließ. Auch ohne die entwürdigende Zeremonie vor der Tür hätte Vendan keine Chance gehabt, seine Stiefel an dem teuren Stück abzuwischen.

Er wartete, doch nichts geschah.

Der Levany sollte sich vorsehen. Vendan würde sich nicht zur Belustigung des Feindes die Beine in den Bauch stehen wie ein levanischer Fußsoldat.

Erst als er sich abwandte und zur Tür ging, blickte der Statthalter auf. »Es wurde auch Zeit, dass Ihr kommt.«

»Gehen werde ich viel schneller.«

Irian al Gired ignorierte die schroffe Antwort. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Wie geht es den Kleinen? Und Eurer reizenden Gemahlin? Ihr habt sie allzu lange nicht mehr gesehen.«

Vendan überging die Spitze und blickte so lange schweigend geradeaus, bis der Statthalter die Geduld verlor.

Irian setzte sich auf. »Ich erwarte übrigens in den nächsten Tagen Besuch.«

»Was geht es mich an? Lasst den Hofkämmerer Eurem Besuch ein Zimmer zuweisen.« Vendan wusste so gut wie Irian, dass der alte Kämmerer nach Luft gierend in seinen Gemächern lag und auf den Tod wartete. »Oder braucht Ihr eine falunische Wache, um Euch vor Eurem eigenen Besuch zu schützen?« Er behielt die abweisende Miene bei, doch darunter rasten seine Gedanken. Jedes Mal, wenn er einbestellt wurde, brütete Irian eine neue Teufelei aus. Dass er Fiondor da Brineth, den Anführer der Zweiten Wache, zu seinem Schoßhund dressierte, um die Königsgarde zu unterwandern, stellte sicher nicht die letzte Demütigung dar.

Der Statthalter blickte verwirrt. Vielleicht war es Vendan tatsächlich gelungen, ihn für einen Moment zu irritieren.

Einen Atemzug später grub er sein verdammtes levanisches Lächeln wieder aus und glättete die Schriftrolle vor sich. »Ich müsste wohl eher meinen Besuch vor der Wache schützen. Es handelt sich übrigens um einen alten Bekannten von Euch.«

»Aha.« Vendan gelang es kaum, seine Unruhe zu verbergen. Er konnte dieses Wortduell einfach abbrechen und gehen, doch Irian al Gired würde ihn immer wieder einbestellen, bis er sein Gift verspritzt hatte. Da wartete man besser ab.

Der Levany lehnte sich auf seinem Tisch nach vorn. »Ich erwarte von Euch und Euren Männern tadelloses Verhalten und werde nicht eine einzige Unbotmäßigkeit dulden. Könnt Ihr das garantieren?«

»Für Carath da Gondras Männer: Ja. Herrn Fiondor befragt Ihr am besten selbst. Er leckt Euch ja oft genug die Stiefel.«

Irian al Gired legte spöttisch den Kopf schief. »Habt Ihr etwa Eure eigenen Leute nicht mehr im Griff?«

»Nur diejenigen nicht, die sich allzu oft im Bergfried herumschleichen«, konterte Vendan. Fiondor benahm sich längst wie ein halber Levany, weil ihm der Statthalter Faluns Silber in den Allerwertesten blies und er sich vor Vendans Strafe sicher fühlte. Jeder wusste, wer Fiondors Spielschulden bezahlte.

Irian beäugte ihn. »Und Ihr? Habt Ihr Euch selbst im Griff?«

»Ein Offizier Faluns hat sich jederzeit im Griff.« Die Frage allein stellte schon eine Beleidigung dar, für die sich Vendan in früheren Jahren geprügelt hätte.

»Auch wenn mein Besuch Shevon al Yontar heißt?«

Vendan stockte der Atem. Der verhasste Blutsauger kam zurück? Nach Levanons Sieg über Falun war er damals von seinem Vater zum Statthalter ernannt worden. Der schmächtige Bursche erkannte schnell, wo Faluns Reichtümer lagen. In nur einem Jahr sorgte er dafür, die Minen im Gebirge zu erschließen und das Land im großen Stil auszurauben. Dann verschwand er wieder nach Levanon und überließ anderen die Ausbeutung Faluns. Seit einiger Zeit kursierten jedoch ganz andere Geschichten über ihn, eine wilder als die andere: Er sollte Levanon verraten und versucht haben, den Diktator zu töten; er hatte als Sklave im Palast seines Feindes gelebt, die Königin von Sabinon verführt und ganz allein eine levanische Armee zu Fall gebracht.

Völliger Unsinn! Fest stand nur, dass Diktator Regul mit allen Mitteln versuchte, des Verräters habhaft zu werden. Nun erwartete Irian al Gired ihn also hier in Falun. Verheimlichte er dem Diktator etwas? Er schien sein eigenes Süppchen zu kochen. Wer wusste schon, wie viel von dem geraubten Silber wirklich in den Schatzkammern Levanons ankam.

Vendans Wut mischte sich mit grimmigem Vergnügen. Vielleicht ergaben sich hier ein paar Möglichkeiten, den Unterdrücker vor ihm in Schwierigkeiten zu bringen. Wenn es nur nicht ausgerechnet dieser al Yontar gewesen wäre!

Der Statthalter fegte ein Staubkörnchen von seinem Gewand. »Es gäbe da noch eine Kleinigkeit. Euer Herr, König Toran, ist in großer Sorge.«