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Ein Richter a. D. verliert erst den Kopf, dann ist auch noch seine Frau verschwunden. Er beißt sich in der absurden Idee fest, seine Frau reize aushäusig. Technik-Phobiker WeWe, der eigentlich helfen sollte, macht das Chaos nur noch größer.
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Seitenzahl: 251
Veröffentlichungsjahr: 2025
Vorwort
Unklare Verhältnisse
Beide mit der 15
Berlin. Wir fahren nach Berlin
Von Kröten und Fröschen
Suchauftrag: Marmelade und Konstanze
Gewusst, wie
Verkrampft und lächerlich
Ice Baby
Und jetzt?
Sturmwarnung
Flaute
Eheliche Eskorte
Die Sache mit de Flönz
Auf Badisch beleidigt
Berliner Kultur-Schatz
Erkenntnisse
Wahrheiten
Rosa Wolken
Dank
Über die Autorin
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin. Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.
© 2025 Beate Chmiela, Eulenhardstraße 15, 51645 Gummersbach
Lektorat: Michael Lohmann · worttaten.de
Satz u. Layout / E-Book: Büchermacherei · Gabi Schmid · buechermacherei.de
Covergestaltung und Illustration: Gabriele Merl · merlimerl.jimdoweb.com
Druck und Distribution im Auftrag des Autors/der Autorin:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg
Softcover 978-3-384-54063-8
Hardcover 978-3-384-54064-5
E-Book 978-3-384-54065-2
Mädchen, die pfeifen, und Hühnern, die krähen, soll man beizeiten die Hälse umdrehen.
(Volksmund)
Frei nach Loriot, dem exzellenten Beobachter: »Ein Leben ohne Mann ist möglich, aber freudlos.« Er sprach vom Mops. Das Thema zu vertiefen, vermeide ich, um jedem Vorwurf von Sexismus entgegenzuwirken. Fest steht: Alle, die diese Zeilen lesen, sind Menschen. Männer inbegriffen.
Was Attribute betrifft, gibt es Unterschiede von Berufs wegen. Lehrer, Geistliche und Juristen zum Beispiel hatten in meiner Kindheit den Ruf, Respektspersonen zu sein.
Mindestens eine der genannten Gruppen ist heutzutage dabei, ihren Ruf zu ruinieren. Das vermitteln uns die Berichte in den Medien.
Und Lehrer, von denen man annahm, sie bildeten mit ihrem Norwegerpulli eine Symbiose, gab es schon zu meiner Schulzeit. Meist Referendare. Aber es war tabu, Lehrpersonen zu duzen. Heute ist das keinen Klassenbuch-Eintrag mehr wert.
Juristen umweht nach wie vor ein Hauch von Respekt und Geheimnis. Nicht jeder kommt im Leben mit dem ›Kosmos Gericht‹ in Berührung. Das wird der Grund sein.
Mit Robe bewegen sich diese Damen- und Herrschaften sofort ein wenig würdevoller. Ob der Besatz aus Satin oder Samt besteht, spielt keine Rolle. Ohne Robe sind sie quasi nackt. In der Regel keine allzu berückende Aussicht. Daher ist das Tragen der Amtstracht bei Land- und Oberlandesgerichten für Anwälte Pflicht.
Besonnen und mit Menschenkenntnis handeln und entscheiden. Das erwarten wir von Richtern. Denn sie fällen ihre Urteile ›im Namen des Volkes‹.
Davon humorvoll zu erzählen, was passiert, wenn ein gestandener Jurist den Kopf verliert, war die Idee. So entstand dieses Buch. Hier kommt Doktor Justus Breisach ins Spiel. Der hat es satt, sich seine Zeit durch Streitigkeiten anderer Leute stehlen zu lassen. Er hängt die Robe an den Nagel beziehungsweise den justizeigenen Garderobenständer und verabschiedet sich in den Ruhestand. Seine Frau Konstanze freut sich. Auf ReiZ – Reisen und Zeit. Justus ist nicht auf dem Weg, er ist auf dem Holzweg. Denn es geht darum, was ein gestandener Jurist anstellt, wenn er denkt, seine Frau reize aushäusig …
»Das habe ich kommen sehen!«, sagte WeWe, ohne Justus anzuschauen.
»Wie tröstlich. Nur bringt mich das gerade nicht weiter. Sie war einfach weg, ohne dass ich was dagegen tun konnte. Nichts habe ich rausgekriegt, gar nichts!«
Justus Breisach: sonst die Gelassenheit selbst, jetzt durcheinander, seine heilige Ordnung gestört. Das hatte viel mit Konstanze zu tun. Ruhe und Harmonie bestimmten sein Leben, seit es sie gab. Nun war Konstanze weg. Einfach so, und nichts mehr wie gewohnt. Er konnte es immer noch nicht fassen.
»Und du hast wirklich nicht …?«
Er schaute WeWe unwirsch an; der hockte seltsam verkrampft neben ihm auf der kleinen Mauer im Stadtgarten.
»Was?«, fragte er gereizt.
»Na, die Sache mit dem …« WeWe umkreiste sein linkes Auge mit dem Zeigefinger.
»Nein, zum Donnerwetter! Ich habe dem Kneilefeitz kein Haar gekrümmt! Diesem Kauz, Sonderling, affektierten … ach! Dürfte auch schwer sein, bei der Menge Haargel, die der benutzt!«
WeWe rutschte sofort ein Stück zur Seite. Justus beugte sich nach vorn und betrachtete dieses Paradebeispiel eines Hypochonders.
»Du meine Güte! Ich fresse dich schon nicht auf!«
Er berührte vorsichtig WeWes Arm. Der schien das gar nicht mitbekommen zu haben, sondern rutschte unablässig, als habe er Sandkörner im Allerwertesten, auf dem rauen Stein hin und her.
»Ich hatte Blut am Papier …«
»Hä? Welches Papier?« Justus runzelte die Stirn und zog die Nase kraus.
»Klopapier. Ich hatte Blut am Klopapier gestern früh.«
WeWe starrte vor sich hin und rutschte wieder ein Stück näher zu Justus heran.
»Werner! Du musst zum Arzt, am besten zum Proktologen, um das zu klären. Wahrscheinlich hast du Hämorrhoiden. Mann! Du immer gleich mit deiner Schwarzmalerei!«
»Von wegen Schwarzmalerei! Mein Stuhl war tatsächlich schwarz! Es ist bestimmt was Schlimmes!«
Justus verdrehte die Augen. »Schwarz … dunkel vielleicht, weil du wieder zu viel Spinat gefuttert hast. Och, Werner! Bitte lass uns das Thema wechseln. Mir geht’s echt scheiße gerade!«
»Scheiße hast jetzt du gesagt.«
WeWe schaute beleidigt in die Ferne, zog umständlich ein Stofftaschentuch aus der Hosentasche und schnäuzte sich übertrieben laut.
»Und die Nase läuft mir auch dauernd. Wahrscheinlich werde ich schon innerlich von Parasiten aufgefressen«, brummelte er vor sich hin.
»WeWe! Schluss jetzt! Hilf mir lieber, rauszufinden, wo Konstanze ist und vor allem, wer tatsächlich hinter diesem Veilchen steckt.«
WeWe holte tief Luft, und Justus griff ihm sofort in den Oberarm. Er wusste, sonst käme garantiert die Rechtfertigung, das habe er im Internet gelesen.
»Aua! Ist ja gut, aber ich …«
»Gusch!« Justus schaute ihn mit großen Augen an und ließ seinen Arm los. WeWe seufzte und sackte in sich zusammen.
Justus klopfte ihm ermunternd auf die Schulter: »Komm! Du hast versprochen, mir zu helfen. Und du bist der Beste. Keiner kann so unauffällig Menschen beobachten und Zusammenhänge so treffend erkennen.«
WeWes Körper streckte sich. »Meinst du das ernst?«
»Na klar! Werner! Hätte ich dich sonst gefragt?«
Justus legte ihm den Arm um die Schultern. »Mach einen Vorschlag. Wie fangen wir das am geschicktesten an? Also ich hätte da jetzt wirklich eine fabelhafte Idee …«
Er gab sich Mühe, selbstsicher zu wirken. Tatsächlich hatte er in diesem Moment keine Idee mehr. Er war verzweifelt, aufgeschmissen, wütend. Aber das durfte WeWe auf keinen Fall mitbekommen. Er ließ ihn los und schaute ihm fest in die Augen. Augenkontakt halten, das war das Wichtigste, nur keine Schwäche zeigen. Verdammt! Es musste doch eine Möglichkeit geben, an die Informationen zu kommen, die man brauchte. Schließlich lebte man im 21. Jahrhundert mit allen Raffinessen von Technik, die ein Mensch sich denken konnte. Ein technisch interessierter zumindest. Aber zu denen gehörte WeWe nicht, nein, das konnte man auch mit sehr viel gutem Willen nicht behaupten.
Der hob die Schultern. »Du und deine Ideen … du weißt genau, wie schwer ich mich mit diesem Kram tue. Und mehr als einmal ist deine vermeintlich so famose Idee ja schon gescheitert!«
Er blickte verzweifelt in den Himmel, als könne ihm von dort jemand helfen. Werner Wehmeyer, meistens zu WeWe verkürzt, fuhr sich durch seine nur noch spärlichen Haare am Hinterkopf. Man hatte stets das Gefühl, als habe WeWe Schmerzen. Seine schmächtige Statur und sein permanent ängstlicher Blick verstärkten diesen Eindruck noch.
Justus, ein schlanker und gut aussehender Endsechziger, Richter im Ruhestand, hatte gehofft, sein ehemaliger Kollege WeWe könnte ihn dabei unterstützen, sein altes Leben und Konstanze zurückzubekommen. Diese Hoffnung war zwar noch nicht gestorben, wartete aber schon auf die Letzte Ölung.
Seit gut zwei Jahren war Justus pensioniert und hätte den neuen Lebensabschnitt in Ruhe genießen können. Wäre da nicht sein Amt als Schiedsmann – und der Verdacht, der seit jenem Abend im Oktober auf ihm lastete.
Begonnen hatte das Ganze, wie fast alle Katastrophen, harmlos. An einem Septembermorgen beim Frühstück im Hause Breisach. Schon einige Tage vorher war Justus aufgefallen, dass Konstanze gleich nach dem Aufstehen ungewöhnlicherweise vor sich hin sang. Sogar vor und nach dem Zahnputz – beim Putzen selbst klang sie jämmerlich, stellte diesen Versuch deshalb ein – hörte sie damit nicht auf. Sie trällerte nicht irgendein Volkslied wie ›Im Frühtau zu Berge‹. Nein, ›Man müsste Klavier spielen können!‹ schallte es in Dauerschleife.
»Schatz? Sollte ich den Grund für deinen fröhlichen Singsang kennen?«, fragte Justus, ohne die Zeitung zu senken.
Zunächst Stille, dann flötete Konstanze: »Hm, nö. Das proben wir gerade bei den ›Strandlerchen‹. Hattest du noch nie einen Ohrwurm, Justus?«
»Ah, verstehe.« Er blickte kurz auf und vergrub sich wieder hinter seiner Lektüre.
Die ›Strandlerchen‹. Ein gemischter Chor, dem Konstanze kurz nach dem Umzug beigetreten war. Der Grund war die Werbung durch Inge.
Inge – bildlich gesprochen: eher ein fetter Kampfhahn, Kampfhenne würde in ihrem Fall das Bild verfälschen, denn eine Lerche – war in puncto Penetranz das Pendant zu WeWe. Nicht auf ihre Gesundheit bezogen, eher auf ihr Mundwerk. Sie redete gefühlt pausenlos, am liebsten über andere. Man konnte von Glück sprechen, wenn man eine ihrer seltenen Atempausen erwischte, um den Redefluss zu unterbrechen. Ihn zu stoppen, schien unmöglich zu sein.
Chor also. Konstanze hatte ihre Liebe zum Singen entdeckt. Sie müsse auch mal was für sich tun, wenn ihr Mann nun schon mehrmals im Monat ihr Heim zur Schiedsstelle mache. Dass Justus knapp ein halbes Jahr nach seiner Pensionierung die Wahl zum Schiedsmann angenommen hatte, war buchstäblich eine Schnapsidee. Beim monatlichen Richterstammtisch der ›Paragraphenreiter‹ im ›Anker‹ war die Sprache zu vorgerückter Stunde und bei entsprechend hohem Alkoholpegel auf die bevorstehende Schiedsamtswahl gekommen. Justus’ ehemalige Kolleginnen und Kollegen, allen voran WeWe, überzeugten, eher: überredeten ihn schließlich, sich beim Gemeindeamt zu bewerben.
Und nun prangte an der Breisach’schen Haustür ein Schild mit Landeswappen und der Aufschrift ›Schiedsstelle‹.
Zu Beginn seiner Amtszeit war er fest davon überzeugt, dass es hier in Trübensande und den angrenzenden Dörfern in seiner Zuständigkeit nicht viel zu schlichten gäbe. Vielleicht mal ein Nachbarschaftsstreit oder eine Unstimmigkeit von Wohnungseigentümern aus der Neubausiedlung am Rand des Städtchens, wo es einige neue Eigentumswohnungen gab.
Er sollte sich getäuscht haben. Fast jeden Monat gab es Fälle von Beleidigungen, Streitigkeiten aus dem Nachbarschaftsrecht oder leichter Körperverletzung, die ebenfalls zu den Aufgaben einer Schiedsstelle gehörten. Ganz zu schweigen von den sogenannten Tür-und-Angel-Fällen, denen oft ein Ortstermin vorausging, bevor man sich ohne Verhandlung einigte, quasi ›zwischen Tür und Angel‹.
Justus hatte den mit seinem Ehrenamt verbundenen Zeitaufwand tatsächlich unterschätzt. Er hielt nichts davon, die für die Schiedsverhandlungen vorgesehenen Räume im Rathaus für eine Schlichtung zu nutzen, sondern lud die Kontrahenten, der persönlicheren Atmosphäre wegen, lieber zu sich nach Hause. Zum Missfallen von Konstanze. Sie wollte endlich mehr ›ReiZ‹: Reisen und Zweisamkeit. Wahrscheinlich hatte Justus ihre kleinen Zeichen bisher schlicht übersehen. Was er allerdings in den letzten Tagen mitbekommen hatte, gab ihm zu denken. Sie war merkwürdig aufgekratzt, manchmal abwesend, aber eben nicht die Frau, in die er sich in Berlin verliebt hatte.
Er schaute über die Zeitung, und sein Blick fiel auf seine Angetraute, die ihm jetzt gegenübersaß. Er schob seine Brille von der Nasenspitze nach oben und starrte auf den mit einem weißen T-Shirt bedeckten Busen seiner Holden, auf dem in fetter schwarzer Schrift der Satz Du denkst, ich bin klein, lieb und nett? – BÖSER FEHLER! im Takt ihres Atems auf- und abwiegte.
»Neu?«, fragte er. Seine Stimme klang heiser.
»Was?«, fragte Konstanze.
»Dein T-Shirt … cooler Spruch!«
»Findest Du? Freut mich. Ich dachte, das passt.«
»Passt? Wozu? Ich versteh nicht …«
»Ach, einfach so. Ich bin doch nicht die Größte. Da dachte ich, dass es eben passt. Ich habe mir noch eins gekauft mit ›Die Lautesten haben oft nicht die leiseste Ahnung‹. Witzig, oder?«
Konstanze leckte den Marmeladenlöffel ab. Eine Angewohnheit, die Justus hasste. Schließlich könnte es sein, dass er noch Marmelade hätte essen wollen. Er verabscheute Marmelade, war eher der Typ deftig: Käse, Leberwurst und Mett. Aber allein Konstanzes in diesem Punkt fortwährende Ignoranz und die Art, wie sie den Löffel ableckte, ließ seinen Halsumfang anschwellen.
»Du wolltest doch keine mehr, oder?«, fragte sie im Aufstehen. Er schüttelte den Kopf und lächelte gequält. »Nein, danke, Schatz, ich esse noch einen Toast mit Käse.«
»Ich muss jetzt los. Konrad kommt heute Nachmittag später. Ich muss also etwas länger bleiben.« Konstanze drückte ihrem Mann einen Kuss auf die Wange und verschwand in der Diele.
»Ciao, bis heute Nachmittag!«, rief sie. Die Haustür fiel ins Schloss.
Justus zog eine Grimasse: »Konrad kommt heute Nachmittag später …«
Erschrocken über seine kurze Entgleisung biss er fest in seinen Käse-Toast.
Konrad war ebenfalls Sänger bei den ›Strandlerchen‹ und betrieb einen kleinen Gemüseladen gleich am Marktplatz. Nachdem er von Konstanzes ehemaligem Naturkostladen in Berlin erfahren hatte, hatte er ihr eine Teilzeitstelle angeboten. Nun jobbte sie drei Mal pro Woche, meistens montags, mittwochs und freitags, bei Konrad im ›Veggies‹.
Während Justus den Tisch abräumte und die Küche in Ordnung brachte, ging ihm durch den Kopf, dass er lange nicht in Berlin am Grab seiner Mutter gewesen war. Und genauso lange hatte er Jobst nicht gesehen. Jobst, Inhaber der kleinen Gärtnerei direkt am Friedhof, kümmerte sich um die Pflege der Gräber von Louise Breisach und Konstanzes Eltern. Und er war ein Freund geworden, mit dem Justus schon so manches durchgestanden hatte. Den Beginn seiner Liebe zu Konstanze hatte Jobst am intensivsten miterlebt.
Justus ging zum Telefon, wählte Jobsts Nummer und legte nach dem fünften Klingeln wieder auf. Vielleicht hatte Konstanze Lust, mitzukommen. Er würde sie am Abend fragen und erst danach Jobst wieder anrufen.
Der Wagen musste in die Werkstatt. In den letzten Tagen hatte sich ein seltsames, nervendes Geräusch breitgemacht. Da war das Auge des Profis gefragt.
Kurz vor Mittag fuhr er los. An der Ampel fiel sein Blick auf ein Plakat im Schaufenster des Buchladens. Das Konzert der ›Strandlerchen‹ wurde beworben: Oldies und neue Schlager – Beschwingte Melodien in neuem Gewand stand da. Die Ampel wurde grün und Justus konnte gerade noch: 19.00 Uhr lesen, aber nicht mehr den Veranstaltungsort.
An diesem Freitag herrschte ungewöhnlich großer Stau auf der Hauptstraße, und es ging nur im Stop-and-go voran. Deshalb hatte er Muße, den Blick auch rechts und links schweifen zu lassen. Die Sonne schien immer noch kräftig für die Jahreszeit. Je weiter er vorwärtskam, desto mehr Menschen standen auf dem Bürgersteig. Und dann sah er auch den Grund dafür: Klima-Aktivisten, die sich auf der Fahrbahn festgeklebt hatten und nun von der Polizei mühsam vom Asphalt gelöst und weggetragen wurden.
Es ging weiter. Er atmete tief ein, gab Gas und warf einen letzten Blick nach links: War das nicht Konstanze, die dort im Eiscafé neben einem ihm fremden Mann saß und sich offensichtlich äußerst wohlfühlte?
Im letzten Moment stieg er in die Eisen und kam mit Mühe haarscharf vor der Stoßstange seines Vordermannes zum Stehen. Hupkonzert jetzt auch hinter seinem Wagen. Er bog ab Richtung Werkstatteinfahrt und war froh, angekommen zu sein und aussteigen zu können.
Der Mann im blauen Overall hörte sich die Erklärung zu dem Geräusch-Problem an und legte die Hand ans Kinn. Er bat Justus, noch seine Besorgungen zu erledigen und am Nachmittag anzurufen. So ad hoc könne er nichts dazu sagen und schon gar nichts beheben.
»Das Wetter ist schön! Gönnen Sie sich ein Eis oder einen Kaffee im Freien. Im Gegensatz zu mir können Sie diesen herrlichen Tag doch richtig genießen!« Er nickte Justus zu.
»Okay! Wenn Sie meinen. Ich melde mich dann gegen vier, ist das in Ordnung?«
»Ja, von mir aus gern. Aber versprechen kann ich nichts.«
Eis war ein gutes Stichwort. Das Bild aus dem Eiscafé von vorhin ging Justus nicht aus dem Kopf. Er schlenderte gedankenverloren zurück Richtung Ampel und der Stelle mit den Klima-Klebern.
»Passen Sie doch auf!« Eine Dame mit ausladenden Körpermaßen, einem vollen Einkaufskorb und einem winzigen Hund an der Leine schüttelte den Kopf, auf dem sich ein Berg von Haaren in einem scheußlichen Rot auftürmte. Justus hatte gar nicht bemerkt, dass er sie angerempelt hatte und dem Winzling fast auf den Kopf getreten wäre.
»Komm, Tristan, nimm gar keine Notiz von diesem Rüpel!«, schimpfte das Schwergewicht. Sie nahm Tristan auf den Arm und warf Justus einen wütenden Blick zu.
»Entschuldigung, das tut mir …«, stammelte er und fragte sich im selben Moment, wie man einen Hund dieser Größe und Rasse ausgerechnet ›Tristan‹ nennen konnte. Kurz – sehr kurz – überlegte er, ob Tristans Gebieterin vielleicht Isolde hieße, verwarf den Gedanken aber sofort wieder.
»Viel zu klein für den Grill!«, hätte jetzt Konstanze, mit Blick auf den Hund, gesagt – und recht gehabt. Isolde hätte bestimmt mehr als eine Fußballmannschaft satt gemacht. Justus befürchtete beim Blick auf das kleine Geschöpf, sie könne es allein durch das ungeschickte Anwinkeln ihres rechten Oberarms zerquetschen. Das geschah aber gottlob nicht. Justus blieb stehen und schaute dem Duo hinterher: Tristan lief nun wieder brav an Frauchens strammer Wade, die eine weiße Sieben-Achtel-Leggins eng umschloss. Er ging weiter und achtete nun aufmerksam auf die ihm entgegenkommenden Passanten, um einem weiteren Zusammenstoß zu entgehen. Plötzlich traf ihn ein Schlag auf seiner rechten Schulter.
»Justus! Du zu Fuß unterwegs? Wo hast du Konstanze gelassen? Habt ihr euch getrennt, was, damit jeder mal in Ruhe shoppen kann bei diesem herrlichen Wetter?«
Justus fuhr herum und blickte in Konrads fröhliches Gesicht. Er strahlte Justus an, und seine roten Pausbacken schoben sich bis fast unter die spitzbübisch blitzenden Augen.
»Ko… Konrad!«, stotterte Justus. »Und du? Ach, Konstanze sagte ja, dass du später kommst und sie deshalb heute länger im Laden bleiben muss.«
Konrad schaute ihn verständnislos an.
»Wie? Wieso später länger im Laden? Der Laden ist heute geschlossen. Meine Nichte heiratet in einer Stunde. Ich muss mich sputen, sonst komme ich noch zu spät!«
Konrad hob die Hand, zog die Schultern hoch und eilte davon. Erst jetzt fiel Justus Konrads feiner Zwirn auf. Nun war er völlig verwirrt. Was, zum Teufel, ging da vor? Weshalb hatte Konstanze ihn, gelinde gesagt, heute früh beschwindelt? Und wer war dieser Mann aus dem Eiscafé? Inzwischen war er sich sicher, dass tatsächlich sie am Tisch gesessen hatte, als er vorhin vorbeigefahren war. Er überquerte die Straße und nahm Kurs auf die Reihe der Bistrotische vor dem Café. Nach kurzem Zögern setzte er sich und begann, eifrig in der übersichtlichen Eis-Karte zu lesen, den Blick immer verstohlen über dem Kartenrand – aber weder Konstanze noch ihr Begleiter waren zu sehen oder tauchten aus dem Innenraum auf. Justus bestellte einen doppelten Espresso, den er sofort bezahlte und in einem Schluck hinunterstürzte.
Dann machte er sich auf den Heimweg und war gespannt, wann seine Holde zu Hause sein würde.
Es war inzwischen kurz vor vier und Justus immer noch allein. Als er wenige Minuten später seine Jacke von der Garderobe fischte und die Haustür öffnete, stand Konstanze vor ihm, ein wenig verdutzt und den Schlüssel auf Höhe des Türschlosses in der Hand. Sie war bester Laune.
»Hallo, Schatz! Wohin des Wegs, Fremder?«, rief sie fröhlich und drehte ihn ein Stück zur Seite.
Sein Versuch, ein freundliches Lächeln zu erwidern, endete bei einem Hochziehen der Mundwinkel, was seinem Gesichtsausdruck etwas Quälendes verlieh.
»Hallo! Dir scheint’s ja richtig gut zu gehen; war wohl nicht so viel los heute im Laden?«, fragte er lauernd. Konstanze blieb gelassen.
»Ach, es ging. Aber du hast recht: Für einen Freitag war tatsächlich wenig zu tun. Wahrscheinlich hat der große Stau viele abgeschreckt. Ähm, das kannst du ja gar nicht wissen: Es war ein Mega-Stau auf der Hauptstraße. Wieder diese Klima-Kleber … schrecklich! Ich finde es gut, wenn etwas fürs Klima getan wird. Aber ob dieses Mittel das richtige ist? Die merken anscheinend nicht, dass sie damit mehr Leute verprellen, als auf ihre Seite zu bringen«, erklärte Konstanze mit dem Rücken zu Justus und schob ihre Sandalen unter die Garderobe.
Dann schaute sie ihn erwartungsvoll an und deutete mit dem Kinn auf die Jacke in seiner Hand: »Im Ernst: Wohin willst du so eilig? Hast du noch einen Termin?«
»Äh … ja, ich muss in die Werkstatt, den Wagen abholen. Die schließen um fünf. Und morgen ist Samstag, da ist dort geschlossen. Also, bis später. Oder möchtest du noch mal mit in die Stadt? Was gibt’s denn zum Abendbrot?«
Konstanze schaute den Jackenhalter erstaunt an. »Du hast den Wagen in die Werkstatt gebracht?«
»Ja, wegen dieses scheußlichen Geräusches beim Fahren. Es machte mich wahnsinnig, und ich hatte gerade heute Zeit, also war ich am frühen Nachmittag in der Werkstatt. Der Typ meinte, der Wagen müsse genau untersucht werden. Eben habe ich angerufen, ich kann ihn jetzt abholen. Also: Möchtest du mit in die Stadt, dann komm jetzt bitte, ich möchte nicht vor verschlossener Türe stehen und das gesamte Wochenende ohne Auto sein.«
»Aber dann nehmen wir meins.«
»Ich hätte sonst den Bus …« Justus machte einen Schritt zur Tür.
Konstanze bückte sich nach ihren Sandalen, schlüpfte hinein und wedelte mit ihrem Wagenschlüssel.
»Unsinn … Bus! Und ich nehme dann ein Taxi nach der Probe, oder was? Also, ab jetzt, mein Lieber, du warst doch gerade noch so eilig. Auf, auf!«
Während der Fahrt zur Werkstatt schwiegen beide zunächst. Justus sah Konstanze verstohlen von der Seite an und fragte schließlich: »Sollen wir gleich zum Essen in den ›Anker‹? Dann musst du heute Abend nicht noch kochen. Was hältst du davon?«
Konstanzes Antwort ließ kurz auf sich warten, dann meinte sie: »Ach, das passt eigentlich ganz gut. Wir haben ja, wie gesagt, eh heute Abend noch außerordentliche Chorprobe wegen des Konzerts am übernächsten Wochenende. Ich habe mein Auto dabei, dann kannst du mit deinem schon heimfahren. Ich weiß nicht, wie spät es wird.«
»Ja, genau, das hatten wir ja heute schon mal …«, sagte Justus zum Armaturenbrett.
»Was hast du gesagt?« Konstanze schaute kurz zu ihm hinüber.
»Ich sagte: ›Das ist ja schon mal gut‹«, antwortete Justus übertrieben laut.
Konstanze schüttelte amüsiert den Kopf. »Warum schreist du denn so? Ich hatte gerade nur nicht genau zugehört.«
»Ich schreie doch nicht! Ich habe lediglich deutlich gesagt, dass es ja dann gut ist, dass ich die Idee mit dem Essen hatte!«
»Ist ja okay, Schatz, beruhige dich! Gleich hast du dein Auto zurück, dann geht es dir auch wieder besser.«
»So ein Blödsinn! Mir geht es sehr gut, auch ohne Auto. Ich wollte halt bloß …«
»Schätzle! Wir sind da. Aussteigen, Wagen abholen. Ach, was war eigentlich kaputt?«
»Was? Oh, ich habe keine Ahnung. Gleich bin ich schlauer. Das wird sicher nicht billig, aber sei’s drum! Wenn nur dieses Wahnsinnsgeräusch weg ist, bin ich der Glücklichste aller Menschen.«
Justus stieg aus und blies erleichtert die Wangen auf. Konstanze schien nichts von seinem Argwohn bemerkt zu haben.
Die Reparatur hatte ihn tatsächlich rund dreihundert Euro gekostet, aber wenigstens ließ sich jetzt wieder geräuschlos fahren. Konstanze und er saßen im ›Anker‹ und lasen die Speisekarte. Eigentlich überflüssig, denn die war recht kurz, und außerdem kannten sie beide fast auswendig.
»Ich nehme die 15, wie immer«, erklärte Konstanze und klappte die Karte zu.
Justus schaute auf sein Exemplar und stutzte: »Nur einen Capricciosa-Salat? Und wieso wie immer? Den hast du hier noch nie gegessen.«
»Habe ich wohl! Da warst du gar nicht dabei!«, verteidigte sich sein Goldstück.
Justus ließ die Karte sinken und zog die Augenbrauen hoch.
»Aha! Das ist ja interessant! Du gehst hier öfter allein hin?«
»Gar nicht allein und nicht öfter!«, maulte Konstanze. Justus schwieg und war sich kurz unsicher, ob die dezente Röte ihrer Wangen nun Zorn oder Verlegenheit war.
»Nach der Chorprobe bleiben einige noch zum Essen hier, und da habe ich eben ab und zu einen Capricciosa-Salat gegessen. Wegen der späten Essenszeit. Ich wollte halt was Leichtes! Mein Gott, warum muss ich mich eigentlich rechtfertigen, bloß, weil ich einen Salat essen möchte?« Konstanze rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Die Bedienung stellte die Getränke auf den Tisch und entfernte sich wortlos. Justus schämte sich. Wahrscheinlich sah er tatsächlich Gespenster und hinter jedem Capricciosa-Salat den Mann aus der Eisdiele. Obwohl …
»Entschuldige, Schatz, ich wollte dich nicht verdächtigen. Aber ich habe mich wirklich über deine Wie-immer-Wahl gewundert. Komm, lass uns anstoßen!« Er hob sein Glas.
Konstanze zog einen Schmollmund, stieß aber schließlich doch ihr Glas gegen seines.
»Haben Sie was gefunden?«, fragte der junge Mann mit blauer Schürze, der an den Tisch getreten war.
»Für mich die 15.«
»Und ich nehme eine Hühnersuppe«, ergänzte Justus und schaute den Kellner freundlich an.
»Hühnersuppe ist aus!«, erklärte der.
»Hühnerfrikassee wäre noch da … würde ich aber nicht empfehlen … und Schnitzel Wiener Art.« Weil auch bei Schnitzel sein Gesichtsausdruck nicht vertrauenerweckend ausfiel, seufzte Justus. »Dann auch für mich einen Capricciosa-Salat, bitte!«
Als das Essen auf dem Tisch stand, stocherten beide schweigend in dem Berg von grünem Salat, Thunfisch, Ei, Schinken, Tomate, Artischocken und Mais herum. Dann tippte Justus mit seiner Gabel auf Konstanzes Tellerrand und begann: »Du, Schatz, was hältst du davon, wenn wir beide am nächsten Wochenende mal wieder nach Berlin fahren? Schließlich ist es schon eine Weile her, seit wir auf dem Friedhof waren, und Jobst und Britta haben wir auch so lange nicht gesehen.«
Konstanze schob sich ein Stück Tomate in den Mund, schaute Justus an und kaute.
»Hast du verstanden, was ich gefragt habe?«
»Hm, aber ich musste kurz überlegen, ob das mit dem Termin vom Chorkonzert zusammenpasst. Aber das ist ja erst eine Woche später. Ja, das können wir gerne machen. Dann übernachten wir aber auch dort, ja? Dann kann ich nämlich mit Britta ins Theater gehen, und ihr beiden Männer könnt den Abend nach eurem Gusto verbringen.«
Justus war erleichtert, strahlte und legte seine Hand auf Konstanzes.
»Fein, ich freue mich! Gleich wenn ich zu Hause bin, rufe ich Jobst an und mache alles klar.«
Zufrieden aß er den Rest seines Salats auf und lehnte sich zurück. Schließlich brach er auf, Konstanze blieb noch zur Chorprobe.
Jobst freute sich hörbar, als Justus ihn kurz drauf erreichte. Eigentlich hätte er jetzt in Ruhe Konstanzes Rückkehr erwarten können. Aber eine merkwürdige innere Unruhe trieb ihn wieder zurück zum ›Anker‹. Vielleicht lag die Lösung zum Eisdielen-Mann ja gerade im Chor?
Justus parkte ein Stück von der Gaststätte entfernt, aber nah genug, um den Eingang im Blick zu haben. Halb elf vorbei. Jetzt müsste gleich die Türe aufgehen und die ersten ›Strandlerchen‹ den Heimweg antreten.
Da … Edelgard, WeWes Angetraute, gefolgt von Hubert und Konstanze, die noch einmal zurück in den Schankraum ging, um dann in Begleitung eines großen, schlanken Mannes zurückzukommen. Die beiden blieben auf dem Absatz vor der Türe stehen und sprachen miteinander. Das Ganze sah verdammt vertraut aus! Wer war das? Den Kerl kannte Justus nicht. Hatte der etwa auf Konstanze gewartet? Verflixt! Es war zu dunkel, um genau sehen zu können, ob das der Eisdielen-Mann war. Und jetzt, genau zum falschen Zeitpunkt, stapfte Inge aus der Tür und stellte sich so genial ins Bild, dass die Szene auf dem Absatz vor der Tür vollends verdeckt war! Super gemacht, du olles Walross!
Es musste was passieren! Ein unverdächtiger Spion musste her, um zu berichten, was sich da im Chor tat: WeWe! Gleich morgen würde Justus ihn fragen, ob er sich unter einem Vorwand als neues Mitglied einreihen könnte. So schlüge er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Infos für Justus, Kontrolle über seine Edelgard. Wer wusste schließlich, was da noch so abging bei den ›Lerchen‹? Im Augenblick allerdings hieß es, Ruhe zu bewahren und sich so rechtzeitig zu erkennen zu geben, dass Konstanze keinen Verdacht schöpfte.
Justus stieg aus und war einen Moment abgelenkt. Als er wieder zur Tür des ›Anker‹ schaute, war Inge zwar endlich verschwunden, aber auch Konstanzes Begleiter. Sie kam langsam über den Parkplatz zu ihrem Auto, als sie Justus erkannte.
»Was machst du denn hier um diese Zeit?«, fragte sie, eher misstrauisch als verwundert, »ich dachte, du seist längst auf der Couch eingeschlafen.«
Erwischt! Nun musste Justus sich eine plausible Erklärung einfallen lassen.
»Ooch, du, ich wollte dich einfach mal abholen. Und erst auf der Fahrt ist mir eingefallen, dass du ja dein Auto dabei hast … dann fahren wir halt jetzt hintereinander her, gell?« Super Erklärung! Er lächelte ziemlich dämlich. Konstanze zog die Augenbrauen hoch und stieg kopfschüttelnd in ihr Auto.
Am nächsten Morgen war alles wie gehabt: Konstanze sang und trällerte den Johannes-Heesters-Titel, gefolgt von ›Mein kleiner grüner Kaktus‹ und war bester Laune. Selbst beim Frühstück summte sie unablässig, und Justus zermarterte sich hinter der Zeitung das Hirn, welchen Titel dieses Summen trug, und ob sich damit das Geheimnis um den fremden Mann lüften ließe. Aber nichts wollte ihm dazu einfallen. Auch das auffällig laute Rascheln mit der Zeitung weckte seine grauen Zellen nicht auf.
»Morgenmuffel!«, brummte er.
»Bitte?« Konstanze fuhr sich mit der Hand über ihren kurzgeschnittenen Schopf.
Justus schaute erschrocken über den Rand seiner Lektüre.
»Nein, nicht du! Ich sprach mit meinem Gehirn. Ich habe überlegt und komme einfach nicht drauf.«
Konstanze schüttelte den Kopf, und zauberte damit plötzlich ein Lächeln in Justus’ Gesicht.
Sie sah so verdammt gut aus, seine Frau. Und die neue Frisur, an die er sich erst hatte gewöhnen müssen, passte viel besser zu ihr als die langen Haare mit Madonnenscheitel, die sie trug, als sich beide kennengelernt hatten, damals in Berlin – ausgerechnet auf dem Friedhof.
Apropos Berlin. Konstanze wusste noch nichts davon, dass er mit Jobst alles klar gemacht hatte für ihren gemeinsamen Besuch.
»Nach was sucht denn dein Gehirn so verzweifelt?«, kam Konstanze seinem Ansatz zuvor.
»Wie bitte?«
»Na, dein Gehirn, der Morgenmuffel. Vielleicht kann ich dir helfen.«
»Ach, das. Ja, nein, ich …«
»Na?« Konstanze legte den Kopf schief.
»Blöd! Mir fällt einfach der Titel nicht ein«, erklärte Justus und ärgerte sich in diesem Moment über sich selbst.
»Von was?«
Justus schaute verdutzt.
»Welcher Titel fällt dir nicht ein?«, fragte sie ungeduldig.
»Na, von deinem Gesumme die ganze Zeit! Was ist das eigentlich? Dauernd singst oder summst du; du bist so anders in letzter Zeit!«
»Wie … anders? Was heißt das denn? Mir geht es gut, ich freue mich auf das Konzert. Phil hat so großartige Titel ausgesucht und so wunderbare Arrangements geschrieben!« Konstanzes Augen bekamen ein Leuchten, das Justus ängstlich und unsicher machte. Das und Phil. Phil … was war das denn für ein Name? So hieß doch niemand. Höchstens, wenn er ein Käse war oder vielleicht auch eine Torte. Aber dann mit einer vernünftigen Endung wie ›adelphia‹. Philadelphia. Ja, das war ein Name! Vollmundig und schmackhaft. Justus leckte sich bei diesen Gedanken instinktiv die Lippen.
»Na, und? Hast du’s endlich?«
»Was?«
»Nach was du gesucht hast, beziehungsweise dein Gehirn.«
»Habe ich doch gesagt: Nach dem Titel von dem, was du die ganze Zeit summst.«