Rote Arbeit - Karla Holm - E-Book

Rote Arbeit E-Book

Karla Holm

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Graf Gereon zu Ahrstetten-Pfeil lädt zur alljährlichen Bock-Jagd in sein Wasser-Schloss im Harbach-Tal nahe Sinzig am Rhein ein. Unter den Gästen ist auch sein Freund, der Lindauer Juwelier Martin Meisen, der sich auf amüsante Tage im Rheinland freut. Da passiert schon am ersten Abend ein furchtbarer Unglücksfall! Nach einer Veranstaltung im Sinziger Schloss wird ein Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums tot aufgefunden. Der Verdacht fällt aufgrund der Vorgeschichte auf Martin Meisen. Als einen Tag später eine wahre Tragödie das ganze Schloss erzittern lässt, führt eine weitere Spur in die Vergangenheit und zu Übergriffen unter Heranwachsenden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2016

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Karla Holm

Rote Arbeit

Krimi mit Martin Meisen Vol.2

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Rote Arbeit von Karla Holm

 

 

Karla Holm

 

Rote Arbeit

Kriminalroman mit Martin Meisen

 

 

 

 

 

Taschenbuch: Karla Holm

E-Book: Karla Holm

Autorin: Karla Holm

Erstveröffentlichung: März 2015

 

Fotos im Buch: Karla Holm

Alle Rechte vorbehalten.

 

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

 

Jede Verwertung und Vervielfältigung, auch auszugsweise,

ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung

der Autorin gestattet. Alle Rechte, auch die der Übersetzung des Werkes,

liegen beim Autor. Zuwiderhandlung ist strafbar und verpflichtet zum Schadenersatz.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Widmung

Für xxx

 

 

 

 

Die Geschichte zu meinem Kriminalroman Rote Arbeit ist frei erfunden, ebenso alle Figuren, die darin mitspielen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, Privathäusern, die Friseur- und Patisserie-Läden und andere sind rein zufällig.

Die Orte und Sehenswürdigkeiten gibt es allerdings tatsächlich, wie das Wasser-Schloss Ahrenthal bei Sinzig, erbaut 1330/1331. Im Buch trägt es den Namen Ahrstetten. Seit 2011 beherbergt das Schloss ein Seminarhotel und kann nur von außen betrachtet werden.

 

Des Weiteren das Schloss Sinzig, eine neugotische Villa, die als Sommerresidenz von einem Kölner Kaufmann gebaut worden war. Den Laacher See, nahe der bekannten Benediktinerabtei Maria Laach, der aus einem ehemaligen Vulkan entstanden ist, sowie die Rennstrecke Nürburgring, die jetzt einem russischen Milliardär gehören soll, was die letzten Nachrichten Ende Oktober 2014 berichtet haben.

 

 

 

 

 

Prolog

 

Verflixt. Der Alte wollte, dass er das noch schnell erledigte. Er hasste es, dass einfach über seinen Kopf hinweg bestimmt wurde, und wünschte ihn schon deshalb zum hunderttausendsten Mal dorthin, wo der Pfeffer wächst. Bei ihm wuchs der auf dem Mond. Die Vorstellung amüsierte ihn. Er lachte auf, hielt kurz inne und wischte sich mit dem Handrücken eine verschwitzte Haarsträhne von der Stirn, bevor er mit dem monotonen Kneten fortfuhr.

 

Niemals hatte er den Wunsch geäußert, das zu tun. Aber er musste. Familientradition. Also schlug und schlug und schlug er auf den Teig-Berg ein. Seine Hiebe wurden immer wilder und schneller, je länger er schlug. Er holte weit aus und ließ die geschlossene Faust auf den Teig heruntersausen. Die Adern auf seinen Händen schwollen an und liefen in dicken blaugrünen Linien kreuz und quer über seinen Handrücken.

 

Nach einer Weile griff er erneut nach der Tüte Mehl, die am Rande des Arbeitstisches stand, und schüttete etwas davon auf den Teig. Kleine Klümpchen des süßen Gemischs blieben an der weißen Papiertüte kleben. Eine Mehlstaubwolke, die sich aus der Packung in die Luft erhob, zog in seine Nase, so dass er niesen musste. Gerade noch schaffte er es, seinen Ellbogen in Richtung Gesicht zu ziehen, sonst wären seine Auswürfe auf dem rohen Gebäck gelandet, dass er jetzt formte.

 

Das war sein Alltag: Morgens zur Schule, mittags schnell nach Hause. Hausaufgaben? Waren nicht wichtig! Wozu auch? Seine Zukunft war gesichert. Er war der Älteste und würde den Betrieb in Bad Godesberg einmal übernehmen.

 

Seine Mutter sah alles still mit an. Ihn wunderte stets, dass sie es mit dem Vater aushielt. Wenn er allein in der Backstube war und den langweiligen Arbeiten nachging, dachte er oft über das Verhältnis zwischen seinen Eltern nach. Geduldig nahm die Mutter alles hin, was ihr Mann sagte und anordnete. Er konnte sich an kein einziges Mal erinnern, an dem sie für ihn Partei ergriffen hatte. Auch über seine kreativen Back-Ideen hatte sie gegenüber dem Vater niemals ein Sterbenswörtchen verloren. Seine künstlerischen Ambitionen landeten allesamt in süßen und salzigen Teigen und vertrockneten brutal im Ofen bei 200 Grad Celsius.

 

Jedes Mal, wenn er anfing, ernsthaft über seine Situation nachzudenken, überfiel ihn eine bleierne Traurigkeit. Er fürchtete sich davor. Denn seine Gedanken, einmal in Gang gesetzt, konnte er willentlich nicht mehr stoppen. Wie ein reißender Fluss bei Hochwasser, der Brücken und Häuser unter sich begräbt, wurde er in eine unbändige Wut hineingezogen, je länger die Gedankenspirale kreiste. Bis es so schlimm wurde bis er es nicht mehr aushielt und ein Ventil brauchte. Ein Ventil, das ihm half, seine ausweglosen Gedanken abzuwälzen, damit er wieder frei durchatmen konnte.

 

*****

 

 

Von der Straße her drang das Geräusch eines Dieselmotors zu ihm in die Backstube. Er hatte es schon tausende Male gehört. Der Wagen verlangsamte die Geschwindigkeit, wendete und parkte. Dann war es kurz still, bevor eine Autotür geöffnet und wieder zugeworfen wurde. Sekunden später hörte er, wie die Seitentür des Wagens mit Schwung zur Seite geschoben wurde. Körbe landeten geräuschvoll auf dem Bürgersteig, weitere wurden krachend übereinander gestapelt. Dann wurde die Seitentür wieder zugezogen.

 

Lange Schritte im gefliesten Hausflur, an der Backstube vorbei. Dann stieg der Vater die ausgelatschten Treppenstufen hoch in die erste Etage, wo ihre Wohnung lag. Die Körbe standen immer noch da, wo sie ausgeladen worden waren, und warteten darauf, von ihm hereingetragen zu werden.

 

Um die Geräusche genau zu verfolgen, hatte er aufgehört zu kneten. Sein Frustpegel stieg weiter an, als er an die Körbe dachte, um die er sich als nächstes kümmern musste.

Dabei waren alle seine Schulfreunde um diese Uhrzeit draußen, spielten Fußball im Panoramapark oder fuhren Rad durch das Villenviertel. Nur er durfte nicht mit, weil er hier arbeiten musste. Der Stachel der Erniedrigung saß tief. Er war doch erst sechzehn! Das Blut pochte in seinen Adern. Sein Kopf wurde rot und er spürte, wie ihm heiß wurde.

 

Die Backstube lag im rückwärtigen Teil des Gebäudes. Durch zwei kleine Fenster fielen schmale Lichtkegel in den Raum. Die anfängliche Grübelei hatte sie sich in blinde Wut gesteigert, die böse in ihm flackerte. Ganz still stand er da, als er erneut ein Geräusch vernahm.

 

Die Tür zur Backstube öffnete sich mit einem leisen Knarzen. Ein Arm schob sich durch den Spalt. Kleine Finger tasteten an der Wand entlang und suchten den Lichtschalter rechts neben der Tür. Der schmale fettige Drücker legte sich nach unten. Zuckend fingen die langen Neonröhren an zu brennen, bevor grelles Licht den Raum erhellte.

 

Da standen sie sich gegenüber. Er konnte nicht anders. Er musste Frust abbauen, sonst würde er ausrasten.

 

„Wie gut, dass du gekommen bist“, säuselte er leise, „du kannst mir grade eben helfen.“

„… die Mutter hat gesagt, du sollst zum Essen kommen…“, antwortete sie, die in der Tür stehen geblieben war und sich gleich wieder zum Gehen wenden wollte. Ihr Blick war auf den Boden geheftet. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie erneut seine Stimme vernahm.

„Ach, komm schon. Es dauert nur kurz. Hilf mir eben. Du brauchst nur die Tortenplatte anzuheben“, antwortete er süß und schnalzte mit der Zunge.

Sie drehte sich zu ihm um, hob ihren Blick und sah ihn stumm und mit großen Augen an.

„Los, komm schon. Memme! Komm her, hab ich dir gesagt!“

Er fixierte sie mit kalten Blicken.

 

Mit kleinen Schritten lief sie zögernd auf ihn zu. In ihren Haaren steckte eine große Schleife, die ihr die Mutter zum Schulantritt geschenkt hatte. Alle Mädchen in der fünften Klasse trugen so etwas, und nach langem Bitten und Betteln hatte sie endlich auch eine bekommen.

 

Warum um alles in der Welt tat sie das? Wie hypnotisiert nahm sie die Tortenplatte in ihre kleinen Hände und hob sie hoch. Starrte auf den krümeligen Arbeitstisch vor ihr. Verkrampfte ihren kleinen Körper so sehr, dass sie sich aus Versehen auf die Unterlippe biss. Sie schmeckte blutigen Speichel, den sie würgend hinunterschluckte.

 

Er stand direkt hinter ihr. Sein warmer Atem blies in ihren Nacken. Langsam zog er die schöne neue Schleife aus ihrem Haar.

 

Von oben hörten sie die Stimme der Mutter, die abermals zum Essen rief. Das war ihre Rettung! Sie drehte sich um und lief, so schnell sie konnte, aus der Backstube und die Treppe hoch. Die Tortenplatte lag, garniert mit Biskuitteig, in tausend Scherben auf dem Boden.

 

Schlaraffen

 

„Zur frohen Kunde

 

und des heiteren Gemüt‘

 

wird geladen zu später Stunde

 

für allerfeinstes Treffen in guter Stüb‘

 

Gesang und Poesie Euch gefallen wolle

 

Euch, Schlaraffen und Burgfrauen,

 

zur Leineburg es ziehen möge!“

 

„Auch schlecht“, fluchte er, und zerknüllte genervt das Blatt Papier, auf dem er das Gedicht geschrieben hatte, um es in den Mülleimer zu werfen. Es fehlte das Ziel. Landete stattdessen auf der ledernen Kante des Papierkorbs, fiel auf den Boden und kullerte weiter, bis es beim hinteren linken Bein seines schweren Schreibtisches liegenblieb.

 

Noch einen allerletzten Versuch wollte er unternehmen, bevor er seine Einladung in zwei, drei Sätzen formulieren würde. Der Termin für die Uhubaumfeyer** im April stand schon eine ganze Weile fest. Sicherlich warteten die Schlaraffen längst auf seine Einladung, die er endlich aussprechen musste. Wenn er sich nur nicht so schwer tun würde mit der Reimerei!

 

Leider war er, was die Dichterkunst betraf, nicht so gesegnet wie sein Freund Manuel, der anscheinend mühelos und ohne große Vorbereitungen wunderbarste Fechsungen*** zum Besten geben konnte.

 

Graf Gereon zu Ahrstetten-Pfeil nahm das Glas zur Hand, trank einen großen Schluck vom vollmundigen Rotwein und besann sich. Sein Wasserschloss, das Schloss Ahrstetten, war seit vielen Jahren ihre Leineburg, der Treffpunkt der Schlaraffen im Rhein-Ahr-Kreis. Er und seine Frau, Gräfin Helene, liebten die niveauvollen, künstlerisch gestalteten Abende sehr und stellten daher auch gerne die Räumlichkeiten zur Verfügung. Obwohl sie ansonsten von Geheimbünden nicht fiel hielten. Bei den Schlaraffen ging es auch nicht um politische Themen oder gar darum, Rache zu üben. Ganz im Gegenteil. Das Amüsement, das Musizieren und die freie Rede, und natürlich auch die Dichterkunst, waren ausschließlicher Inhalt ihrer humorvollen Treffen.

 

Also, wie man es drehte und wendete, Lyrik und Poesie gehörten einfach nicht zu seinen Stärken! Nach weiteren Schlucken Wein aus dem heimischen Ahrtal beugte er sich zum Boden hinunter, krabbelte halb unter seinen Schreibtisch und griff nach dem soeben zerknüllten Papier. Dann faltete er es auseinander und strich es glatt.

„So bleibt es jetzt“, sprach er mit sich selbst und begann damit, den Reim, versehen mit Datum und Uhrzeit, auf sieben Einladungskarten zu übertragen.

 

Nachdem er die Karten beschriftet hatte, lehnte er sich zufrieden zurück und sah dem Feuer zu, das im offenen Kamin vor sich hin prasselte. Dieses Mal waren sie eine sehr kleine Runde, was er sehr schade fand. Aber es herrschte Unfrieden im regionalen Uhuversum, seit geraumer Zeit schon. Je mehr er darüber nachdachte, desto unklarer wurde das Bild, das er von den vergangenen Feyern hatte. Wer war der Störenfried? Es gelang ihm nicht, die Verbindungen zu entzerren, um den Querulanten zu entlarven. Daher blieb ihm nichts anderes übrig, als alle Schlaraffen erneut einzuladen.

 

 

*****

 

 

Am Abend der Uhubaumfeyer (so heißen die Treffen der Schlaraffen) Ende April fuhren nacheinander sieben schwarze Wagen in den Schlosshof ein. Paare stiegen aus, öffneten ihre dunklen Regenschirme und machten sich auf den mit Fackeln beleuchteten Weg hin zum Schloss.

 

Es nieselte leicht, April-Wetter eben. Verkleidete Männer und Frauen in edlen, rot-goldenen Uniformen wie aus dem Märchen huschten schnellen Schrittes über den Weg. Ihre Absätze knirschten auf den kleinen weißen Kieselsteinen. Als sie die Freitreppe erreichten, die zum Schlosseingang führte, hoben die Damen ihre Gewänder an und stiegen, gefolgt von den Herren, eilig die Steinstufen hoch. Oben angekommen, stellten sie ihre Schirme in den großen weißen Krug hinein, der auf dem Eingangsplateau stand. Kurz darauf waren sie im Schloss verschwunden.

 

 

****

 

Die Glocke der kleinen Kapelle läutete erst viermal für die volle Stunde und dann zwanzigmal. Als hätte sie nur auf dieses Zeichen gewartet, verriegelte sich wie durch Zauberhand die große Schlosstür.

 

Graf Gereon erwartete seine Gäste im festlich geschmückten, geheimen Saal. Er begrüßte die Schlaraffen und Burgfrauen freudestrahlend und belächelte wieder einmal selbst seine Dichterkunst. Manuel, der gute Manuel, gab perfekt und amüsant wie gewohnt seine Reime zum Besten. Es wurde gesungen und gelacht und gut geschmaust.

 

Der Abend verging wie im Flug. Im Nachhinein betrachtet war es eine schöne Feyer zum Abschluss der diesjährigen Winterung**** gewesen. Obwohl… was war es nur? Es brodelte unterschwellig. Selbst ein dickfelliger Mensch hätte an diesem Abend etwas gemerkt. … Da war etwas zwischen zwei Familien, und doch konnte man es nicht benennen. Die Münder lachten, die Augen nicht…

 

Zu fortgeschrittener Stunde griffen die verkleideten Figuren wieder nach ihren Schirmen aus dem irdenen Gefäß und liefen zurück zu ihren Wagen. Es schüttete aus vollen Eimern, als ein Wagen nach dem anderen vom schlosseigenen Parkplatz rechts auf die Bundesstraße L82 in Richtung Sinzig abbog.

 

Am nächsten Morgen stieg dichter Nebel aus dem Tal auf. Der Schlossherr trat aus der Tür und begab sich mit seinem Jagdhund über die feuchte Wiese hin zum Wald.

 

 

_________________

 

 

Die Schlaraffen sind ein Geheimbund, Mitte des 19. Jahrhunderts in Prag gegründet. Ihre Amtssprache ist Deutsch. Es gibt ungefähr 10.000 Schlaraffen weltweit. Sie pflegen Kunst, Humor und Freundschaft.

* 1860 beginnt die Zeitrechnung der Schlaraffen. Uhui 155 ist also das Jahr 2014

** Uhubaumfeyer: Lustiges und geselliges Treffen der Schlaraffen

*** Fechsung: Damit ist die Dichterkunst gemeint

**** Winterung ist das Winterhalbjahr, in dem sich die Schlaraffen zu Uhubaumfeyern in ihrer Leineburg (geheimer Ort) treffen. Die Winterung geht vom 30.10. bis 30.04. des nächsten Jahres

Ende der Fußnoten

 

Anfang Mai

Lindau am Bodensee. Heute Morgen hatte Martin lange geschlafen. Er war froh, dass er nach Monaten schlafloser Nächte endlich wieder die ersehnte Ruhe gefunden hatte. Die Ereignisse vom vergangenen November hatten ihn derart erschöpft, dass er, das erste Mal während seiner Berufstätigkeit, einen Betriebsurlaub vom 01. bis zum 15. Januar angeordnet hatte. In den drei Läden auf Lindau-Insel, in Wasserburg und Friedrichshafen hingen Aushänge an der Eingangstür, welche die Kunden über die Schließung informierten:

 

 

Juwelier Meisen macht Winterpause!

 

 

Letztendlich war er sich sicher gewesen, dass sich keiner seiner Stammkunden darüber auch nur im Entferntesten gewundert hatte. Nachdem er seinen Vater Kurt, den Begründer der Meisen-Dynastie, beerdigt, und sich auch seine Frau Clara nach und nach von den Strapazen erholt hatte, hatte die Erschöpfung schlussendlich auch bei ihm erbarmungslos zugeschlagen.

 

Clara war seit dem Mordanschlag auf ihre Person außerordentlich ängstlich geworden, sobald es abends dunkel wurde. Das war besonders schlimm, da die Abenddämmerung am Bodensee im Winter bereits schon vor sechszehn Uhr eintrat. Claras Versuch, ihre seelische Schieflage mit Alkohol zu therapieren, schlug fehl. Ihr Zustand verbesserte sich erst, als es Frühling wurde und die Tage wieder länger heller blieben.

 

An diesem Morgen Anfang Mai schien also die Sonne fröhlich in das große Esszimmer der Villa Meisen hinein. Auf dem langen Tisch stand eine silberne Champagner-Schale, in der sich, anstatt des perlenden Getränks, ein herrliches Bukett an Blumen und Rosen in allen Rosa- und Rot-Tönen befand. George, der Butler der Familie Meisen, hatte soeben Martins Frühstückswunsch, Bacon und Eier, an die Küche weitergegeben. Leise öffnete er abermals die Tür zum Esszimmer, um Martin die Lindauer Zeitung und die Briefe zu bringen, die soeben zugestellt worden waren.

 

Heiße Kaffeedämpfe entströmten der zarten Porzellantasse und verbreiteten eine gemütliche Atmosphäre im Raum. Martin nahm den Stapel Briefe in die Hand und blätterte sie durch. Ein Briefumschlag zog seine Aufmerksamkeit besonders auf sich. Er nahm ihn aus dem Stapel heraus und besah ihn genauer. Die Adresse war schwungvoll mit schwarzer Tinte geschrieben worden. Martin drehte den Umschlag um und erblickte ein bekanntes Wappen, das auf der Rückseite in das Papier eingeprägt war.

 

Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel in stiller Vorfreude auf das, was er gleich lesen würde. Martin öffnete den aus feinstem handgeschöpftem Papier gefertigten Umschlag mit einem vergoldeten Brieföffner, den George ihm in weiser Voraussicht neben sein Gedeck gelegt hatte.

 

„Wie lange habe ich von Graf Ahrstetten-Pfeil nichts mehr gehört!“, dachte Martin, als er eine Karte aus dem Umschlag zog. Es war bestimmt ein Jahr her, vielleicht auch noch länger. Er nahm den Briefbogen, der sorgfältig zweimal der Breite nach gefaltet worden war, auseinander und begann zu lesen:

 

Mein lieber Martin,

der Frühling ist da, und mit ihm die Zeit der Bock-Jagd.