Rote Marine - Heinz Jürgen Schneider - E-Book

Rote Marine E-Book

Heinz Jürgen Schneider

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Beschreibung

Rote Marine spielt in Hamburg der Jahre 1931 bis 1933. Das Buch folgt dem Leben und dem bisherigen Lebensweg von vier Menschen. Die schwere Wirtschaftskrise und ihre Folgen tragen sie mit Millionen Menschen. Sie suchen sich kleine Freuden in einer schwieriger werdenden Zeit. Alle vier sind Gegner der immer stärker werdenden Nazis und treten der braunen Gefahr entgegen. Ihr Widerstand führt zu teilweise schweren persönlichen Konsequenzen im Jahr 1933, als Hitler an die Macht kommt. Sie sind keine Helden, aber sie tun das Richtige als viele andere sich anpassen, schweigen oder begeistert mitmachen.

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EPUB
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Seitenzahl: 701

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Autoreninfo

Heinz Jürgen Schneider wurde 1954 geboren, lebt in Hamburg und war 30 Jahre Rechtsanwalt.

Von ihm sind vier historische Kriminalromane erschienen, die um 1933 oder in der Nachkriegszeit spielen. Tod in der Scheune (2009), Tod am Hafenkai (2011), Tod in der Ballnacht (2012) und Zwanzig Millionen (2018). Außerdem der Politkkrimi Im Land der Lügen (2015).

Kontakt:

[email protected]

Tel. 0173-9471085

Heinz Jürgen Schneider

Rote Marine

© 2024 Heinz Jürgen Schneider

Fotonachweis Titelblatt:

Geschichte des Roten Frontkämpferbundes, Dietz Verlag

Druck und Distribution im Auftrag des Autors tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

ISBN:

Paperback

978-3-384-14836-0

Hardcover

978-3-384-14837-7

e-Book

978-3-384-14838-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Heinz Jürgen Schneider, Glücksburger Straße 8, 22769 Hamburg, Deutschland.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Der Apparat

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Mobilmachung

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Feindesland

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 101

Kapitel 102

Kapitel 103

Kapitel 104

Kapitel 105

Kapitel 106

Kapitel 107

Kapitel 108

Kapitel 109

Kapitel 110

Kapitel 111

Kapitel 112

Kapitel 113

Kapitel 114

Kapitel 115

Kapitel 116

Kapitel 117

Kapitel 118

Kapitel 119

Kapitel 120

Kapitel 121

Kapitel 122

Kapitel 123

Nachwort

Rote Marine

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1

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Rote Marine

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Der Apparat

Gerüchte wurden am Montag zur Gewissheit. Überschrift und Artikel gingen am 16. März 1931 über die ganze erste Seite der Hamburger Volkszeitung. Schnell verbreitete sich die Nachricht in der Stadt.

Ernst Henning von Nazis ermordet!

In der Nacht von Sonnabend auf den Sonntag verübten vertierte SA-Banditen der Nazipartei einen wohlüberlegten Mord an dem Genossen H e n n i n g Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. Die Mörder waren in den Autobus, der von Zollenspieker (Vierlanden) nach Hamburg fährt, eingestiegen. In dem Autobus befanden sich die Genossen Henning und Cahnbley, die in Kirchwerder eine öffentliche Versammlung der KPD gegen Faschismus, Brüning-Diktatur und Young-Sklaverei abgehalten hatten. Obwohl noch 10 bis 12 andere Fahrgäste im Autobus waren, gaben die Nazimörder zahlreiche Schüsse auf unsere Genossen ab, durch die der Genosse Ernst Henning sofort getötet, der Genosse Cahnbley schwer verletzt wurde. Eine Berufsschullehrerin erhielt zwei Beinschüsse, eine andere Frau einen Schuss durch die Hand. Einer der Mörder zwang, nachdem die andren ausgestiegen waren und die Telephondrähte abgeschnitten hatten, den Chauffeur zum Weiterfahren bis ins

Hamburger Stadtgebiet.

Es war ruhig, aber nicht still. Die Ruhe der Gewissheit, nicht die Stille der Furcht. Der Zug hatte kurz nach 12 Uhr an der Leichenhalle Jarrestraße, Ecke Großheidestraße, begonnen. Der Sarg wurde zu einem offenen Wagen getragen, den zwei Pferde zogen. Dahinter Träger mit Kränzen und Fahnen. Die Männer setzten aus Respekt ihre Mützen und Hüte ab. Dann fuhr der Leichenwagen langsam in den Zug ein.

Die Spitze des Trauerzuges zum Krematorium stand schon Richtung Barmbecker Straße, dahinter zahlreiche Menschen, in geordneten Reihen. Kaum jemand trug die einfache Alltagskleidung, sondern das gute Zeug für Sonntags oder die letzte Ehre.

Alle waren auf Alles gefasst. Nach dem Mord an Ernst Henning hatte die KPD in Hamburg zum politischen Proteststreik und Aktionen aufgerufen. Der Senat der Hansestadt verbot daraufhin alle kommunistischen Versammlungen, die in Zusammenhang mit den Schüssen standen, sowie die Presse von KPD und NSDAP. Daraufhin kursierte in der Stadt ein Flugblatt der KPD Wasserkante, das zur Massenbeteilung und zum Spalierbilden beim Leichenzug aufforderte.

An diesem Sonntag um die Mittagszeit zeigte sich, wem heute die Straße gehörte. Tausende Menschen gingen hinter dem Sarg, tausende standen auf dem Bürgersteig, vor dem Postamt, dem Milchladen und dem Zigarrengeschäft. Kinder wurden hochgehalten, um zu schauen, der Leichenwagen öfters mit der erhobenen Faust gegrüßt. Von Balkonen blickten die Menschen, vereinzelt hingen Fahnen, blutrot mit Hammer und Sichel. Eine solche bedeckte auch den Sarg.

Berittene Schutzpolizei begleitete den Zug in Höhe des Leichenwagens. Die grünen Uniformen blieben spärlich, nur im Hintergrund. Sie griffen nicht an. Wie im Januar in Geesthacht, als zwei Tote auf ihre Rechnung gingen. Am Borgweg und der Alsterdorfer Straße standen aber sichtbar Mannschaftswagen mit kasernierten Kräften. Die Beamten der politischen Staatspolizei beobachteten und mischten sich in Zivil unter die Menschen am Straßenrand, begierig den Gesprächen lauschend.

Der Leichenzug war politisch, aber nicht wie sonst. Nur eine Schalmeienkapelle. Wenige Sprechchöre mit Parolen. Nur die Internationale wurde angestimmt. Alles gedämpft.

Aber Hass und Wut gab es, spürbar und in leisen Gesprächen auch geäußert. Aus Tatsachen und Hörensagen, aus Zeitungen und Gesprächen, ergab sich, Tage nach der Tat, ein erstes Bild.

Die Mörder sollen dem SA-Sturm Hammerbrook angehört haben. In Zivil warteten sie das Ende der Versammlung in Kirchwerder ab und bestiegen gegen Mitternacht den Autobus. Wahrscheinlich hielten sie einen der beiden Genossen für Etkar André, der den Nazis besonders verhassten Leiter des verbotenen Roten Frontkämpferbundes in Hamburg. Jedenfalls sollen sie 12 Schüsse abgegeben haben. Henning sofort tot. Louis Cahnbley schwer verletzt, vielleicht verliert er ein Auge. Auch zwei Frauen im Autobus von den Kugeln getroffen. Danach feierten sie in einer Kneipe. Intern wurde den SA-Männern Belobigung ausgesprochen und Schutz zugesagt. Nur für die Öffentlichkeit musste die Nazipartei vom Attentat in Worten abrücken. Erschossen, erstochen oder totgeprügelt hatten sie ihre politischen Feinde in den letzten Jahren schon oft, im ganzen Reich fielen Antifaschisten solchen Angriffen zum Opfer. Mit Ernst Henning traf es erstmals einen leitenden Funktionär im Bezirk Wasserkante. Arbeitermord durfte nicht ohne Antwort bleiben.

Es gab auch Wut. In aller Öffentlichkeit, am Mittwoch in der Bürgerschaftssitzung, hatte Bürgermeister Rudolf Ross dafür gesorgt. Es stand in den Bürgerblättern und in seinem sozialdemokratischen Hamburger Echo. Die Nationalsozialisten träfe die moralische Verantwortung. Die Kommunisten aber hätten mit Agitation und hemmungsloser Demagogie die Atmosphäre dafür mit geschaffen. Das empörte Viele. Es kam in der Bürgerschaft und draußen zu heftigen Protesten. Mörder und Gemordete auf einer Stufe. Wusste man im Rathaus nichts von den Überfällen, auch auf Parteilose und Sozialdemokraten vom Reichsbanner, von den Ausrottungsphantasien der Nazis gegen die Marxisten und was sie dafür hielten? Was war das für eine Demokratie, wenn ein gemordeter, von einem Teil des Volkes frei gewählter Abgeordneter eine Mitschuld an den Todesschüssen erhielt? Auch manche Sozialdemokraten erkannten diesen groben Misston.

Der Leichenzug wuchs. Frauen und Männer vom Straßenrand schlossen sich an. Für die Spitze kam das Gelände des Ohlsdorfer Friedhofs in Sicht. Ernst Henning war im Hamburger Stadtgebiet kein so bekannter Politiker wie Fiete Dettmann, Hermann Schubert oder Franz Jacob, die die KPD repräsentierten. Er wirkte im Osten der Stadt, in Bergedorf, den Vier- und Marschlanden, bis Lauenburg. Ein Vertrauensmann für überschuldete Gemüsebauern und kleine Pächter, gewählt in das Bergedorfer Stadtparlament und vor Jahren in die Bürgerschaft.

Wer war der Tote? Auch wenn der SPD-Senat die Volkszeitung verboten hatte, die Rote Fahne gab es am Hauptbahnhof, andere Blätter berichteten (meist über die verletzte Lehrerin, die Mutter von fünf Kindern war) oder man schnappte etwas auf. Die große Bürgerzeitung Hamburger Fremdenblatt brachte einen ordentlichen Artikel und ein Foto. Ernst Henning selbstbewusst lächelnd auf einem Motorrad. Eine Frau und zwei Kinder, ein Metallarbeiter mit einem politischen Leben wie viele in der Partei. Von der SPD zu den Kommunisten gekommen, Betriebsratsvorsitzender, Teilnehmer an den Tagen des Aufstands 23, dafür in Festungshaft. Er wurde nur 38 Jahre alt.

Auf dem Platz am Verwaltungsgebäude nahe dem Denkmal für die Revolutionsopfer von 1919 sollte eine Kundgebung stattfinden. Die eigentliche Beisetzung erfolgte dann in der kommenden Woche in Bergedorf. Nur ein Teil der Menschenmassen würde hier Platz finden. Auch wurde der Leichenwagen noch erwartet. Die Menge sammelte sich weit auf der Fuhlsbüttler Straße. Minutenlang blieb das Klappern der Pferdehufe auf dem Asphalt das einzige Geräusch. Als der Wagen seinen vorgesehenen Standort eingenommen hatte, betrat Ernst Thälmann den Platz. Der Vorsitzende der KPD trug einen gedeckten Anzug mit einer schwarzen Krawatte. Doch seine geübte Rednerstimme blieb für viele in der Masse unhörbar. Nur Satzfetzen gelangten auf die Straße oder wurden leise flüsternd weitergegeben.

Über 30.000 Menschen sind gekommen um Abschied zu nehmen….Der Befreiungskampf der Arbeiter hat ein neues Opfer gefunden…Die Schüsse der Nazimörder haben in ganz Deutschland lodernden Hass und tiefste Empörung ausgelöst. Haltet sie wach…Ernst Henning war ein treuer Soldat derRevolution…Die Bourgeoisie und ihre Helfershelfer, die Sozialdemokraten, gehen nicht etwa gegen die Mörder vor…sie antworten mit Verboten…Mit Verboten und Pistolenschüssen kann niemand unsere Bewegung aufhalten. Wer kräftig ist, marschiert vorwärts, trotz Verbot und Unterdrückung… Kämpfen wir wie er…alles für das Volk, für die siegreiche Volksrevolution.

Danach grüsste Thälmann mit der auf Schulterhöhe geballten Faust. Vielfach kam der Rot Front-Gruß zurück.

Rund um die kleine provisorische Rednertribüne und bis zur Straße standen verteilt Männer der Roten Marine. Auch wenn die Illegalität sie zwang, statt der Uniform nur ein einheitliches blaues Hemd und die gleichen Mützen zu tragen. Die Männer hatten ihre Aufgabe bislang erfüllt. Sie bestand in der Sicherung der Demonstration an der Spitze des Zuges, dem Schutz des Leichenwagens, des Parteivorsitzenden und der leitenden Genossen. Vorkommnisse gab es nicht. Die Fahrrad-Melder berichteten dies auch aus dem weiteren Zug, gesichert durch andere Rote Frontkämpfer. Schutzpolizei und die kasernierte Orpo wurden aber verstärkt in Barmbeck und Winterhude zusammen gezogen. Für später, besonders für die Nacht, bedeutete das nichts Gutes. Die Männer hielten ihren Platz, später hatten sie den Rückmarsch der Menschen zu Fuß oder über die benachbarte Bahnstation zu sichern. Ein Gedanke ging allen durch den Kopf und musste noch besprochen werden. Hätte der Parteischutz nicht vor einer Woche, um Mitternacht, im Autobus zwischen Zollenspieker und Hamburg sitzen müssen?

Wie ein großer, eben gefangener, noch zuckender Fisch liegt Hamburg an der Nordsee, hatte die Dichterin Larissa Reissner schon vor Jahren geschrieben. Von Hamburg an der Elbe, dem alten, schmutzigen Einkehrhaus für die Vagabunden des Ozeans. Kein Tag hält seinem blassen, windigen, launischen Morgen die Treue. Aber jeden Tag entsteht das feuchte, vom Grog der Hafenkneipe gewärmte, breitbeinig auf beiden Ufern der Elbe stehende Hamburg wieder.

Und wo stand Deutschlands zweitgrößte Stadt im beginnenden Frühling?

Über eine Million Menschen lebten, liebten, aßen, tranken, arbeiteten, wollten etwas. Aber nicht alle taten und wollten dasselbe.

Hamburg war immer eine gespaltene Stadt gewesen, auch früher schon. Hanseatischer Patrizier und einfacher Handwerksgeselle. Großkaufmann und kleiner Krauter. Der Arbeiter, der Kaffeesäcke im Hafen aus großen Frachtschiffen entlud. Und der Kaufmann und Reeder, dem Schiff und Ladung gehörten. Ohne Widerspruch, ohne Kampf dagegen, blieb dieser Zustand der Spaltung in Klassen nicht.

Doch das Große Geld aus Handel, Schiffbau, Banken und Hafen, im Volksmund die Pfeffersäcke genannt, dominierte. Spötter sagten über diese Herrschenden, sie hätten die Anmut einer Preisliste, die Liebenswürdigkeit einer Rechnung und die Freundlichkeit eines Frachtbriefes. Durch Verbindungen von Börse, Handelskammer und elitären Klubs mit dem Rathaus, mit Einfluss auf die Presse, auf Wissenschaft und die Ordnungskräfte, übten sie Macht aus. Das war unter dem Kaiser so gewesen und auch nach 1919 in der Republik. Mit den hanseatischen Sozialdemokraten gab es ein respektvolles ungeschriebenes Übereinkommen. Diese regierten, störten aber die Geschäfte nicht.

Noch vor einem Vierteljahrhundert wäre ein solches Arrangement widernatürlich gewesen. Was für aufrührerische Reden wurden am 1. Mai gehalten, mit welchen radikalen Forderungen zogen Sozialdemokraten aus der Stadt in den Reichstag. Doch spätestens mit dem Weltkrieg hatte sich vieles geändert. Die Partei stand, obwohl in der Opposition, treu zum Vaterland und bewilligte ihm nach 1914 im Parlament Kriegskredite.

Und in den wenigen, aber so wichtigen Wochen, von Ende 18 bis Anfang 19, wurde es Gewissheit. Der Krieg war für das Reich verloren, der Kaiser musste abdanken. Eine Revolution brach aus. Es gab Kräfte, dunkelrote Spartakisten, Unabhängige, Kommunisten, die wollten die ganze Ordnung umstürzen. Sozialismus schaffen, so wie in Russland. Die Rote Fahne wehte am Hamburger Rathaus, die Novemberrevolution brachte Bewaffnete mit roten Armbinden und aufständische Matrosen auf die Straße und einen Arbeiter- und Soldatenrat kurzzeitig an die Macht. Diese Erhebung in ruhige und vernünftige Bahnen gelenkt zu haben (auch unter Mithilfe von Einheiten der alten Kaiserarmee), die Fahne vom Rathaus geholt, die Bewaffneten entwaffnet, die Räte aufgelöst zu haben, war für die Pfeffersäcke ein großer Verdienst der hanseatischen SPD, der zu honorieren war. Dass ein paar Dunkelrote dabei totgeschossen wurden, mochte diesen als Warnung dienen, wenn sie auch nicht lange vorgehalten hatte. So funktionierte das Übereinkommen seit dem Jahre 19 an Elbe und Alster leidlich gut.

Dann kam die Krise. Seit dem Schwarzen Freitag 29 an der Börse im fernen New York taumelte die Wirtschaft immer weiter nach unten und nahm Menschen und Existenzen mit. Im Deutschen Reich war jeder Dritte ohne Arbeit, 4,5 Millionen mussten stempeln gehen. Über 2 Millionen bekamen karge Wohlfahrtsunterstützung. Arbeitslose erhielten 52 Reichsmark monatlich. Nach der Miete blieben noch gut zwei Mark pro Tag. Das Pfund Margarine kostete 80 Pfennige, die Milch 33, Salzhering und Roggenbrot 90, ein Kilo Rindfleisch 1,80. Zum Leben zuwenig, zum Sterben zuviel. Kein Kind war damit satt zu bekommen. Das Fahrrad für 72 RM oder der Staubsauger für 200 lagen außerhalb jeder Möglichkeit.

Wer zum Heer von über 100.000 Erwerbslosen in der Stadt gehörte, konnte keine Hoffnung haben. Bei den Arbeitsämtern gab es keine Arbeit, sondern den Meldestempel für den Bezug des Arbeitslosengeldes. Vor den Arbeits-Vermittlungsstellen wie am Baumwall standen schon frühmorgens Männer in einer langen Schlange für wenige Stellen an. In vielen Gesichtern lag nur noch wenig Stolz, gebrochen von Enttäuschung, Unsicherheit und schwindender Erwartung.

Die Spaltung der Stadt wurde noch tiefer. Manche wohnten in den Villen rund um die Außenalster, andere in den dunklen und feuchten Löchern im Gängeviertel der Neustadt. Manche schliefen in weißen Laken, andere im Park unter freiem Himmel oder winters im Obdachlosenasyl, ohne Bett, in Reihe sitzend, mit einem Seil vor dem Herunterfallen gesichert. Manche bestaunten die Auslagen bei den Juwelieren und dem Kaufhaus Tietz am Jungfernstieg, andere kauften dort Präsente. Auch das Hungergespenst der Kriegsjahre kehrte zurück. Bei der Armenspeisung der Kirche gab es einen Jesus-Spruch für die Seele und zwei Schlag Suppe für den Magen. Andere speisten im noblen Restaurant Randel oder in Cölln`s Austernkeller.

Neben diesen Extremen gab es auch etwas dazwischen. Die bröckelnde Mitte. Die Wohnungen und kleinen Geschäfte, wo die Angst herrschte. Vor Entlassung und Pleite, vor der Schwierigkeit, die nächste Rate zu zahlen oder den Geschäftskredit zu tilgen, vor Geldentwertung und Existenzvernichtung, vor Konkurs und Lohnkürzung, vor dem Abstieg, dem freien Fall nach unten.

Wohin würde sich das wenden? Denn so bleiben konnte die wirtschaftliche Krise nicht mehr für längere Zeit bis zu einer Explosion. Wie reagierte die Masse der Menschen? Ducken und Kleinmachen? Lerne leiden, ohne zu klagen? Sich abfinden oder aufbegehren? Persönliche Kapitulation oder Kampf? Suff oder Selbstmord? Die Wut des Kleingemachten, die er schändlicherweise mit Prügel für Frau und Kinder auslebte. Protestphrase oder Aktion? Warteten die Massen auf Gott oder den Starken Mann? Oder nahmen sie, organisiert und diszipliniert, die Sache selbst in die Hand? War die Frage der Überwindung der Arbeitslosigkeit eine Frage des Systems, oder genügte es, sich mit dem Schild Nehme jeder Arbeit an als besserer Sklave zu verkaufen?

Die Frage nach Essen und Existenz war nicht die einzige, die beantwortet werden musste. Auch diese: Wem folgten die Millionen Veteranen aus den blutigen Schützengräben von 14/18, wem die Kriegerwitwen? Den Trommlern vom Stahlhelm und anderen Soldatenbünden, die das Fronterlebnis verklärten, dem preußischen Militarismus frönten, die Republik und den Versailler Friedensvertrag hassten und einen neuen Revanchekrieg gegen Frankreich wollten? Oder den Kräften mit der Parole Nie wieder Krieg? Mit einem Programm zur Abschaffung von Kriegsgewinnlern, Kanonenkönigen, Generalität und preußischem Untertanengeist.

Im beginnenden Frühling 1931 gab es in Hamburg und in Deutschland auf die wichtigsten Fragen von Politik und Leben noch keine klare Antwort. Alles war im Flusse. Es gab Kampf, auf der Straße, in Betrieben, in Versammlungen, an Wahlurnen, hinter verschlossenen Türen und in aller Öffentlichkeit. Aber noch ohne Sieger.

An der Elbe würde es eine parlamentarische Antwort erst im Herbst, bei den nächsten Bürgerschaftswahlen, geben. Die Sozialdemokratische Partei stellte die stärkste Kraft und den Bürgermeister, verfügte über Bastionen in den Gewerkschaften, in der öffentlichen Verwaltung und der Facharbeiterschaft. Ihr Kurs gegen die Krise lief auf Sparmaßnahmen im Haushalt, Steuererhöhungen und kleine soziale Trostpflaster hinaus. Die Kommunistische Partei nahm an Einfluss zu, besonders unter Erwerbslosen und ihren Familien, ihr schloss sich an, wer revolutionäre Veränderungen wollte. Unter den noch beschäftigten Arbeitern und Angestellten war ihr Einfluss begrenzt. Die Nationalsozialisten hatten bei den letzten Wahlen 1928 nur wenige Stimmen erhalten. Doch ihr Einfluss auf der Straße und in den Köpfen wuchs. Bei den Reichstagswahlen im vergangenen Jahr legten sie stark zu. Das wurde auch für Hamburg erwartet.

An der Spree betrieb Reichskanzler Heinrich Brüning seit 1930 eine harte Politik. Mit seiner Regierung aus Zentrum, Liberalen und Deutschnationalen verfügte er Lohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerungen, Abbau von Sozialversicherung und Arbeitslosengeld, Steigerung der Massensteuern bei Senkung der Kapitalsteuern. Und dazu eine rigorose Sparpolitik. Die Arbeitslosenzahlen explodierten weiter. Das Elend wuchs. Über eine parlamentarische Mehrheit verfügte die Regierung nicht. Sie nutzte aber eine Hintertür der Verfassung. Der Reichspräsident konnte mit einer Notverordnung Regierungspläne in Kraft setzen. Das war dann genauso viel wert wie ein Gesetz. Der Reichskanzler, ein kaiserlicher Leutnant a.D., ging also – dutzende Male – zum Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, einem ehemaligen kaiserlichen Generalfeldmarschall, und holte sich die Zustimmung, wofür er gar keine Mehrheit im Reichstag bekommen hätte. Eine Aufweichung des Parlamentarismus und der Beginn einer schleichenden Diktatur.

Protest und Widerstand gegen diese Politik wuchsen. Auch in ganz Deutschland war nichts entschieden. Der Reichsverband der Deutschen Industrie lobte die Politik. Das Volk aber nannte Brüning den Hungerkanzler.

Der unauffällige Mann auf dem Bürgersteig vor dem Eingangsportal des Deutschen Schauspielhauses in der Kirchenallee war mittelgroß, gut in den Dreißigern, das Gesicht bartlos, die Augen blau (ostseeblau, wie seine Frau sagte), die dunkelblonden Haare verdeckt unter einer Mütze, die Hose gräulich, Hemd, Pullover, dazu trug er einen dunkelblauen Mantel, bieder und schon ein bisschen abgetragen. Seine linke Hand hielt eine braune Aktentasche. Er beobachtete den großen Platz vor dem Ostausgang des Hauptbahnhofs. Er wartete auf einen Reisenden, der mit dem Zug um 15 Uhr 40 aus Berlin eintreffen sollte. So lautete die Botschaft vor zwei Tagen.

Für einen Buchhalter mochte er nach seinem äußeren Erscheinungsbild gehalten werden (und stundenweise war er das tatsächlich auch). Kein Außenstehender sollte den unauffälligen Mann aber als Leiter des Nachrichtendienstes der KPD in Hamburg kennen. Deren militärpolitischen Abteilung, in der es um Aufklärung, Schutz und Sicherheit ging. Intern Der Apparat genannt. Wo sein Name Claus lautete. Eine Elektrische fuhr vorbei. Dann kam der erwartete Mann auf den Vorplatz, sie kannten sich, nahmen kurzen Sichtkontakt auf. Der Andere spazierte langsam über den Hachmannplatz auf die Ernst-Merck-Straße. Claus beobachtete weiter. Niemand aus dem Bahnhof ging in diese Richtung. Nun überquerte auch er den Platz und vergewisserte sich später beim Einbiegen auf den Glockengießerwall, dass auch er nicht verfolgt wurde. So sicherten beide immer ihre Treffen. Vereinbart wurden sie mit einer kurzen Nachricht per Brief, Fernsprecher oder in dringenden Fällen per Telegramm an eine der Deckadressen des Apparats. Die Männer gingen mit Abstand Richtung Lombardsbrücke.

Die großen Parteien organisierten alle den Schutz ihrer Politiker und Veranstaltungen. Auch wurde versucht, Informationen zu erlangen, durch das Eindringen in die Organisation des politischen Gegners oder aus anderen Quellen. Der kommunistische Apparat stand vor großen Aufgaben. Der Mord im Autobus letzten Monat und die Schlussfolgerungen daraus. Die zunehmenden Infiltrationsversuche in die Partei und deren Jugendverbandes durch Spitzel der Politischen von der Staatspolizei aus dem Stadthaus, aber auch von den Nazis. Und dann musste beschafft und ausgewertet werden, was sich im Netz verfing, das Claus über Betriebe, Verwaltung, Kontore, Politik, Justiz, Rathaus und Polizei ausgeworfen hatte. Seit einigen Monaten auch über die Salons der „besseren Kreise“. Oft verfing sich nur kleiner Beifang, Stimmungsberichte oder Schnipsel, die erst später ein Bild ergaben. Manchmal mehr. Viele Augen und Ohren arbeiteten ihm zu, Boten und Chauffeure, Leute aus Senatsdruckerei, Poststellen und Sekretariaten. Mit viel Fingerspitzengefühl und Umsicht behandelte er besondere Quellen und Kontakte, einen Regierungsrat und einen Redakteur. Er kam in ein, zwei Konsulate, aber auch an unanständige Orte.

Die Lombardsbrücke teile den zum See aufgestauten Fluss in die Binnenalster und die Außenalster. Ein Bauwerk für Automobile, die Bahn und Fußgänger, eine besondere Ausstrahlung besaß es nur durch die vier Kandelaber mit Glaskugeln, die bei Dunkelheit leuchteten. Unterhalb der Brücke, am betonierten Seitenstreifen, zugänglich durch eine Treppe, war der sichere Treffpunkt.

Claus begrüßte Franz freundlich, nicht überschwänglich. Sie waren politisch verbunden, kannten sich aber wenig, nicht einmal ihre Klarnamen. Franz arbeitete in der Zentrale des Apparats in Berlin, mehrmals im Jahr fuhr er nach Hamburg und anderen Orte im nördlichen Bezirk der KPD, um Aufträge zu erteilen und mehr über die Lage oder Probleme zu erfahren. Er war untersetzt und fast 10 Jahre jünger als Claus. In unregelmäßigen Abständen fanden auch Treffen, meist im größeren Kreis, in Berlin statt. Die Hauptstadt mit den Ministerien, den Spitzenverbänden, den Parteizentralen, den Wirtschaftsvereinigungen und der Reichswehr, bildete den Schwerpunkt der Aufklärungsarbeit des Apparats. Musste ein persönlicher Kontakt schnell zustande kommen, trafen sie sich auf halber Strecke auf einem Provinzbahnhof in Mecklenburg.

Zum Ritual jedes Gesprächbeginns gehörte für Franz, einem Urberliner, die einzigen zwei Worte seines hamburgischen Wortschatzes anzubringen. Moin und Schietwedder (obwohl es, trocken und windig, für Anfang April völlig normal war). Dann ging es um Tagespolitik, einen Artikel in der Zeitschrift Oktober (herausgegeben vom Apparat und natürlich nicht überall erhältlich), den Claus viel zu oberflächlich fand. Franz hatte eine Zigarette entzündet und meinte: „Schreib eine Entgegnung.“ Dann ging es um die Gewinnung von Mitarbeitern aus der Partei für den Apparat und welche schlechten Erfahrungen in Sachsen dabei gemacht worden waren. Anschließend berichtete Claus über die Untersuchung des Mordes an Ernst Henning.

Ursprünglich sollte ein anderer Genosse in der Versammlung sprechen, die Änderung erfolgte kurzfristig, war aber nicht entscheidend. Vorsicht war geboten. Erst im Januar hatte es in Geesthacht nahe Hamburg schwere Auseinandersetzungen gegeben, als von Henning organisiert, eine Nazi-Kundgebung gesprengt werden konnte. Es gab deshalb Sicherheitsvorkehrungen. Abholung vom Bus bis zur Gaststätte Albers und Begleitung auf dem Weg zurück kurz vor Mitternacht. Die Versammlung verlief ruhig. Für Bergedorf wurde keine Gefahr gesehen. Hennings Wohnung lag nahe einer Haltestelle, sie waren zu zweit, der andere Genosse von der Veranstaltung sollte dort übernachten. Das Mördertrio der SA stieg nicht an derselben Haltestelle zu wie ihre Opfer, erst später.

„Wir haben unterschätzt, dass sie in einem Autobus, ohne Maskierung, vor einem Dutzend Zeugen zuschlagen könnten. So etwas hat es bei uns noch nie gegeben.“ Franz nickte. Claus fuhr fort. „Jetzt haben die Nazis sie ausgeschlossen und gezwungen sich zu stellen. Ein durchsichtiges Manöver, weil die Empörung groß war. In der SA gelten sie als Helden. Einer der Strolche ist ein ehemaliger Polizist. Wir wissen noch nicht, warum er den Dienst quittieren musste. Unser Bericht kommt.“ Franz schnippte die Zigarette ins Wasser. „Die Sache hat Wellen geschlagen. Auch hinsichtlich der Schlussfolgerungen, zum Beispiel eine längere Begleitung unserer Redner, oder die Nutzung eigener Transportmittel, also Motorräder. Oder Pistolen ausgeben. Das sagt sich natürlich immer leicht.“ Franz lächelte. Dann gab er Claus die Information, dass die Zentrale schon vor Wochen einen Mann in der Hamburger SA platziert hatte, von außerhalb, mit guter Möglichkeit, weit nach oben zu kommen. „Wir führen ihn erstmal von uns aus, sehr vorsichtig. Mit viel Zeit. Nur damit Du Bescheid weißt.“

Ein Alsterdampfer fuhr unter der Brücke durch und brackiges Wasser spritze an das Ufer, wo die Männer standen. Beide knüpften ihre Mäntel zu. Eine Kühle stieg auf. Franz rauchte wieder und drängte zum Aufbruch. Es ging immer Richtung Dammtorbahnhof, von wo die Züge weiter in den Norden fuhren. Manchmal aßen sie dort eine Bockwurst oder tranken eine Tasse Kaffee. Die Männer überquerten die Lombardsbrücke und hielten sich rechts.

Franz berichtete über ein anderes Thema im Gehen. In diesem Monat wird etwas gegründet, was sich Aufbau-Arbeitskreise nennen wird und eine gleichnamige Zeitschrift herausgibt. Wir unterstützen. Es werden nicht viele werden und es ist nicht unser Milieu. Ehemalige Offiziere, Adlige, Intellektuelle, auch desillusionierte Mitglieder von Hitlers Partei. Sie wollen als Nationalrevolutionäre das Schicksal der Nation nicht den Nazis überlassen. Manche wurden durch das Kriegserlebnis Pazifisten und kritisieren die heimliche Aufrüstung der Reichswehr. Andere verstehen den Bismarck-Satz „Keinen Krieg mit Russland“ aktuell so, eine vernünftige Politik gegenüber der Sowjetunion zu verfolgen. Einige haben durchaus fortschrittliche Ansichten und vor allem viele Fragen. Auftrieb bekam die Sache noch, als letzten Monat der Genosse Kippenberger im Reichstag die Erklärung des Leutnants Scheringer verlesen hat, in der dieser sich von der nationalen und sozialen Demagogie der Nazis lossagt, aus der NSDAP austritt und sich zu uns bekennt. Das hat Wirbel gemacht. In Berlin werden wir mit diesem Kreis reden, auch, gerade, über Sozialismus und Patriotismus, was Befreiung bedeutet und was sie mit Kampf gegen den Kapitalismus zu tun hat. Recht anspruchsvoll, keene kleene Sache. Mitgliedergewinnung ist natürlich nicht das Ziel. Einige aus dem Aufbruch-Kreis können für uns aber, bei Vertrauen und Überzeugung, Türöffner und Spitzenquellen werden, sie kennen Leute und verkehren in Kreisen, die uns verschlossen sind. Für Hamburg und andere Bezirke bieten wir Referenten für Veranstaltungen an, ihr ladet ein, wer infrage kommt. Claus nickte. (Einen nationalgesinnten, pazifistischen Pastor mit Interesse an politischem Streit kannte er ja gut.)

Schon mit Blick auf den Dammtorbahnhof gab es für Claus noch einen konkreten Auftrag. In den letzten Monaten, sagte Franz, der ein wenig kurzatmig sprach, hat Hitler Reden gehalten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. „Von einer im Industriellenklub in Düsseldorf wissen wir. Jetzt ist bei euch im Nationalklub eine neue Rede geplant. Politisch lässt er die Hosen runter, sagt den Bonzen, was sie wirklich vorhaben. Mehr Einzelheiten kennen wir nicht. Die Zentrale interessiert, was er sagt und wie es ankommt. Wie ihr das löst, ist wie immer deine Sache.“

Claus nickte. Sie verabschiedeten sich vor dem Bahnhof mit festem Händedruck und kurzem Schulterklopfen. Zeit für einen Kaffee war heute nicht. Claus ging Richtung Mittelweg um die Straßenbahnlinie 4 Richtung Winterhude zu nehmen. Früh zu Frau und Sohn. Das geschah selten. Dann hieß er nicht mehr Claus.

Polizeibehörde Hamburg

Staatspolizei / Referat Ia

Sammlung KPD

Karteikarte Nr. 134

BREDEL Hans geb.19.3.1896 in Hamburg

Gertigstraße 108

DOSSIER Teilnahme Putschversuch 23 / Haftbefehl vers. Hochverrat/ / Neuerfassung 1927 / RFB-Reichstreffen 1928 / Oktoberfeier 30

Heute war tatsächlich Schietwedder. Wolken, Regen und Westwind. Nasskalt auf Hamburgs Straßen. Claus wartete unter einem Regenschirm am Anfang der Langen Reihe auf Anni, die er für die Mitarbeit im Apparat anwerben wollte. Eine junge Genossin, erst seit Anfang des Jahres Mitglied, Zimmermädchen im Graf Moltke, einem größeren Hotel hier um die Ecke. Hinweise auf geeignete Kandidaten für spezielle Aufträge bekam die Leitung regelmäßig von den Verantwortlichen der Zellen der Partei aus Betrieben oder Wohnvierteln.

Diese Annemarie Kröger, die er als Kurierin gewinnen wollte, war blond und nicht sehr groß, hatte eine kleine Nase und braune Augen, sie wurde als ruhig, gewissenhaft und einsatzfreudig beschrieben. (Was politische Bildung betraf noch mit Nachholbedarf.) Dafür gab es Verwendung im Apparat. Nicht für die Heißsporne und Draufgänger, für Schwätzer und Leichtsinnige. Sie war unabhängiger als andere. Hotelarbeit war anstrengend, es gab aber auch tagsüber Pausen. Als Ledige musste sie sicht nicht um Kinder und Haushalt kümmern (oder einen Mann).

Einmal sahen sie sich kurz vor einer Zellensitzung. Sie durfte Zeit und Ort ihres Treffens bestimmen und entschied sich für 11 Uhr 30. Dann konnte sie für eine halbe Stunde Pause machen. Anni erschien pünktlich, etwas außer Atem, aber geschützt vor dem Nieselregen durch einen Schirm. Claus ließ seinen Blick noch über die wenigen Fußgänger in Sichtweite streifen. Dann betrat auch er die Berliner Destille. Das Lokal öffnete erst um zwölf, ein Mann stellte die Stühle von den Tischen auf den Boden und grüsste flüchtig. („Mit ner Deern in mein Separee, Claus, Claus“, hatte er den ihm wohlbekannten Mann vorher geneckt.) Neben dem übel riechenden Abort gab es einen kleinen Raum mit zwei Bierfässern und verschiedenen Reinigungsgeräten.

Sie setzten sich auf die Fässer. Claus erklärte diesen Ort mit der Vertraulichkeit ihres Gesprächs. Anni blickte ihn konzentriert an, die Lippen zusammen gepresst. Dann fing er an. „Alles was wir politisch machen ist öffentlich. Wir wollen ja die Menschen erreichen, sie für uns gewinnen. Unsere Versammlungen, unsere Presse, oder, wenn Teddy eine Rede hält. Aber es gibt auch Nachrichten, Termine oder Material, die nur für uns sind, die wir sichern müssen, wo uns keiner in die Karten gucken darf. Unsere Geheimnisse, kleine, große, müssen wir bewahren können. Sonst können wir schlechter kämpfen. Verstehst Du soweit?“ Anni nickte stumm. „Wir können unsere Nachrichten also nicht immer der Reichspost anvertrauen oder dem Telefon. Beides gehört dem Gegner und ist nicht sicher. Deshalb gibt es bei uns in der Partei ein Kuriersystem. Stell es dir so vor: Eine mündliche Botschaft oder ein Zettel, ein Brief, wird in einer Kneipe hier in St. Georg abgeholt und zu einem Zigarrenladen, einem Geschäft oder einer Wohnung in Eimsbüttel gebracht. Die Arbeit ist klein, aber wichtig. Unsere Kuriere sind Rädchen, ohne die eine große Maschine nicht funktionieren kann. Möchtest Du so ein wichtiges Rädchen sein, Genossin Anni?“

Sie presste die Lippen nicht mehr zusammen. Es dauerte bis zu einer Antwort. „Wie oft ist das, diese…Botengänge?“ „Das lässt sich nicht genau sagen, vielleicht ein, zweimal die Woche, erwiderte Claus. „Heute will ich von Dir noch keine endgültige Antwort. Es ist absolut freiwillig. Denk in Ruhe nach. Kurier zu sein bedeutet absolute Zuverlässigkeit, Schweigen über die Arbeit, Maul halten, auch gegenüber befreundeten Genossen. Es bedeutet Vorrang vor privaten Wünschen, keine Lust zur Erfüllung eines Auftrags gibt es nicht. Und es besteht auch ein Vorrang vor der Arbeit in deiner Parteizelle hier in St.Georg. Ein Kurier muss immer bereit sein.“

Annis Lippen pressten wieder. „Wie funktioniert das. Wie kommt ein Auftrag zum Kurier?“

„Das findet sich und ist nicht kompliziert. Wir sehen uns in zwei Wochen wieder. Wenn Du meinen Vorschlag annimmst, erzähle ich Einzelheiten und du lernst das ABC der Sicherheit. Vielleicht machen wir sogar eine Übung. In zwei Wochen, Ort und Zeit wie heute.“

Sie verließen den Raum. „Eins noch“, Claus fasste Anni an den Unterarm. „Wichtiges Gebot der Sicherheit. Immer einen Grund für die Anwesenheit an einem Ort nennen können. Wenn dich also gleich eine Kollegin aus dem Hotel zufällig aus der Destille kommen sieht, sagst du, ich suchte Zusatzarbeit als Kellnerin, ist nichts geworden.“

Anni nickte und lächelte beim Herausgehen zum ersten Mal. Claus suchte einen Fensterplatz. Der Regen hatte aufgehört. Er fragte nach einem Kaffee. „Bohnenkaffee einen Groschen. Muckefuck ist mein Beitrag zur Revolution“, rief der Wirt aus der Küche. Claus las die Volkszeitung, verzehrte sein Butterbrot und trank den kostenlosen Malzkaffee. Sein nächster Treff sollte um halb zwei stattfinden. Diesmal am Holstenplatz vor der Musikhalle.

Der Treff wurde notwendig, weil sich die Erfüllung eines Auftrages als sehr schwierig herausstellte. Der Apparat konnte in Erfahrung bringen, dass der Hamburger Nationalklub für den 4. Mai um 7 Uhr abends einen Vortrag von Adolf Hitler im Blauen Saal des Hotel Atlantic ankündigte. Der Klub war ebenso elitär wie reaktionär. Unter den herrschenden Pfeffersäcken die harte Fraktion. Vor Jahren durfte Hitler dort schon einmal sprechen.

Kontakte in diesen Verein bestanden nicht. Pressevertreter, sofern nicht Mitglied, bekamen keinen Zugang. Im Atlantic existierte zwar keine Parteizelle, aber es gab kommunistische Beschäftigte, jedoch niemand mit Zugang zum Blauen Saal bei der Veranstaltung. Nach einer verdeckten Inspektion des Kellers im Atlantic wurde auch klar, dass es keine technische Möglichkeit zum Abhören der Rede gab. Eine ernste Lage. Claus ließ Karl eine Nachricht zukommen.

Sie trafen sich zwischen Künstlereingang der Musikhalle und der Buchhandlung Viva. Den Holstenplatz hatte Claus überblickt. Alles sicher. Sie betraten die kleine, linke Buchhandlung und gingen in die Ecke mit dem Ständer der Roten-Eine-Mark-Romane. Karl trug elegante Stiefeletten, einen beigefarbenen Rock, Mantel und Schal farblich abgestimmt, auf kurzen schwarzen Haaren einen Hut und Lippenstift. Der Deckname gehörte einer Frau. Claus berichtete die Lage, lästige Mithörer waren an diesem Ort nicht zu erwarten. „Ich dachte, vielleicht gibt es unter deinen Sprachschülern jemanden, den wir dahinbekommen und abschöpfen können.“

Karls richtiger Name lautete Alma Kalender, seit einem Jahr im Apparat, kein Mitglied, aber eine Sympathisantin der KPD. Sie studierte Kunstgeschichte und unterrichtete zum Geldverdienen deutsch/englisch an der Berlitz Sprachschule in der Gerhofstraße. „Ein Engländer vom Konsulat, ein Amerikaner von der Donner Bank kämen in Betracht. Beide könnten dem vorgetragenen Dreck aber nicht folgen. Ist die Idee nicht etwas weit hergeholt, Claus?“

Er roch einen leichten Hauch von Parfüm. „Nicht, wenn der Klub sich vom Interesse eines Ausländers geschmeichelt fühlt und dieser eine Dolmetscherin mitbringen darf. Der Amerikaner wäre besser geeignet. Ein von Berenberg ist im Vorstand des Klubs, die haben doch auch eine Bank.“ Alma lächelte breit. „Du möchtest also, dass ich den eher unpolitischen Mister Grant aus New Jersey dazu bringe, ihm und mir eine Einladung zu besorgen, im mausgrauen Kostüm neben ihm sitze und so gut es geht mitschreibe, nicht ohne mich vorher an der Hotelbar mit einem Aperitif gestärkt zu haben, weil man den Führer auf nüchternen Magen nicht ertragen kann?“

Claus wiegte den Kopf hin und her und musste auch lächeln. „Klooge Deern. Ein Plan mit vielen Ungewissheiten. Aber wir haben keinen anderen mehr. Und es ist wichtig.“ „Ein Plan mit Chuzpe“, erwiderte Alma. „Gefällt mir. Wir werden sehn.“ Sie verabschiedeten sich freundlich. Was ist mit der Reise, wollte Alma noch wissen. Claus versprach sich zu kümmern. Er hatte es vergessen. Wie unterschiedlich zwei fast gleichaltrige junge Frauen sein können, dachte er noch.

Gegenüber vom progressiven Buchladen hatte der Kommunistischen Jugendverbands sein kleines Büro. Weiter unten im Valentinskamp 42/44 befand sich das Parteihaus, auch mit Redaktion und Verlag der Volkszeitung und dem Roten Frauen und Mädchenbund. In den Parallelstraßen ging es noch weiter. In der Kaiser-Wilhelm-Straße (ausgerechnet) residierten die Internationale Arbeiterhilfe, der Volksfilm Verband, der rote Anwalt Dr. Hegewisch und die Marxistische Arbeiterschule. Die Rote Hilfe und die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition daneben im Straßenzug Kohlhöfen. Am Rand lag der Conventgarten, der gelegentlich gemietet wurde, vor allem aber Sagebiel, mit seinen Sälen an der Drehbahn, der Ort zahlreicher Versammlungen der KPD. In den Straßen lagen auch das Parteiverkehrslokal Dragonerstall und die gern besuchte Gastwirtschaft von Wilhelm Bauke. Das hatte sich so ergeben und verschiedene Namen. Roter Bezirk oder roter Platz. (Rote Meile war ja ganz was anderes.) Dann begann das Gängeviertel. Enge, schattige Straßen und kleine Wohnungen. Die Not groß, die Wählerstimmen der KPD hoch. Klein Moskau. Südlich, nahe zum Hafen, in der Rothesoodstraße befand sich der Internationale Seemannsklub, einer der Treffpunkte der Roten Marine.

Claus ging den Valentinskamp herunter. Vor dem Parteisitz parkten zwei Lieferwagen der Volkszeitung, mit großer Werbung für ein Preisausschreiben der HVZ. Zur Stadtleitung musste er nicht. Claus gehörte zu den wichtigen Funktionären, aber aus guten Gründen der Konspiration durfte er keine gewählte Parteifunktion einnehmen, nicht für Parlamente kandidieren und er sollte sich bei Auseinandersetzungen defensiv verhalten, um nicht ins Auge oder gar in die Hände der Polizei zu fallen. (Daran hielt er sich. Im letzten Jahr war er allerdings dann doch an einer handfesten Schlägerei mit Nazis beteiligt, die die Aufführung des Kinofilms Im Westen nichts Neues verhindern wollten. Als Frontsoldat konnte er nicht anders. Der Film über die Kriegsschrecken war gut gemacht.)

Stattdessen betrat er die Drogerie einen Eingang weiter. Hier holte er das Journal und Ordner ab. Heute Abend würde er für einen Festpreis die Quartalsabrechnung machen. Dann steuerte er einen Friseursalon an.

Der Kern des Apparats in Hamburg umfasste keine 15 Mitarbeiter. Sie planten, organisierten, führten aus, sammelten, werteten aus, setzten andere ein und warben neue Mitarbeiter. Geldmittel gab es so gut wie nicht, keine besoldete Stelle für einen hauptamtlichen Funktionär, kein Büro (wie für die Zentrale in Berlin) und nur einen Dachboden für das Archiv (natürlich nicht in offiziellen Parteiräumen).

Claus hatte aber einen Stellvertreter. Maus. Der tierische Spitzname kam vom Familiennamen Katz her und sein Träger trug ihn gern und schon lange. Der Deckname war Rolf. Mit den Decknamen war das so eine Sache. Sie dienten dem Schutz nach außen. Fiel Material den Falschen in die Hände, konnte es, so chiffriert, nicht einer Person zugeordnet werden, wenn ein Paul oder eine Marie als Urheber auftauchten. Auch sollte damit ein Aufrollen der Organisation im Ernstfall behindert und vor allem Quellen geschützt werden. Deren wirkliche Identität durfte nicht auftauchen. Kannten sich zwei aus dem Apparat schon lange persönlich, spielte das Konspirative natürlich keine Rolle. Die Quellen und Informanten kannten sich untereinander im Prinzip gar nicht.

Maus bestäubte den Kopf des Kunden mit ganz leicht parfümiertem Wasser, nahm den Umhang ab und säuberte Hals und Jackettkragen mit einem Pinsel. Kurz darauf trat er vor den Salon Baade (Damen & Herren. Frisur & Rasur) . Schwarze Hose, weißes Hemd, schwarze Fliege, die Zigarette schon im Mundwinkel, gepflegtes Bärtchen, angenehmer Duft. Der Besitzer des Salons hielt auf gut gekleidetes Personal in der noblen Innenstadt, besaß aber auch ein unerwartet rotes Herz. Maus gestattete er deshalb einige Freiheiten. Claus stand gegenüber vor dem Schaufenster von Zauberladen Bartl. Sie begrüßten sich kurz und gingen von den Colonaden aus eine Runde um den Block.

Claus gab Kurzberichte. Als Unteroffizier des Weltkrieges würde er zu einer Versammlung einladen, um vielleicht einen Aufbruch-Kreis in Hamburg zu gründen. (Maus: „Welche Knilche sollen denn da hinkommen?“). Dann über die Hitler-Rede (Maus: „Woran merkt man das er lügt? Er macht den Mund auf.“) Und die Schritte zur Ermittlung der Polizeitaktik am bevorstehenden 1. Mai. (Maus: „Polizeisenator Schönfelder. Gegen Hakenkreuz und Sowjetstern. Drohender Zeigefinger für die Nazis, den Gummiknüppel für uns.“)

Als ihre kleine Runde durch die Büschstraße den Gänsemarkt erreicht hatte, berichtete Maus von neuen Spitzelfällen. In Straßenzellen in Eimsbüttel und Horn hatten sie sich ereignet und im Erwerbslosenkampfkomitee Schanzenviertel. Immer das gleiche Muster. Arbeitslose, die Mitglieder werden und Geld für Berichte erhalten, angeworben von der Stapo und leicht einzuschleusen in eine Partei, die jetzt ständig Mitglieder gewinnt, aber in manchen Zellen ein Kommen-und-Gehen erlebt. Maus warf die Kippe weg. „Die fliegen alle hochkant raus. Wir müssen den Zellen aber auch etwas zum Aufspüren von Spitzeln an die Hand geben. Ohne Misstrauen zu schüren, aber die Sorglosigkeit überwinden. Der Druck wird größer.“

Polizeibehörde Hamburg

Staatspolizei / Referat Ia

Sammlung KPD

Karteikarte Nr. 222

KATZ, Arthur geb. 4.2.1901 in Schiffbek

Heitmannstr. 11 b. Krause

DOSSIER Vermutlich Putschteilnahme 23 / RFB Jungfrontleitung Gau Wasserkante 1927/ Urteil Geldstrafe Landfriedensbruch anlässlich RFB-Reichstreffen 28 / Personalien Razzia illg. RFB Treffen 21.2.32

Sie waren 12. Drei in der Fahrerkabine und neun auf der Ladefläche des Lastwagens. Der kleine Büssing gehörte einer Baufirma. Ein Genosse hatte ihn besorgt und fuhr. Es roch nach Zement. Anni und die anderen standen, hockten oder saßen. Es ging nach Egenbüttel. Eine kleine Gemeinde westlich von Hamburg, in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Ein Kuhdorf für die Großstädter, in einer reaktionären Gegend. Landsonntag. An einem Sonntag im Monat betrieb die kommunistische Zelle St.Georg Mitte zusätzliche Agitation. Entweder auf einem Dorf (dort hatten sie es nötig) oder mit Hausbesuchen im Viertel (dann konnten mehr Menschen als im Alltag erreicht werden).

Das Mitmachen war selbstverständlich. Die Wahl des Ortes frei. Anni entschied sich für das Dorf. Es fiel ihr immer noch nicht leicht, überzeugende Argumente im politischen Gespräch vorzubringen. Schnell und überzeugend. Ihre Gefühle für den Parteieintritt schon, aber das war nichts für die Haustür. Im Dorf war es vielleicht leichter. Niemand kannte sie dort. Außerdem lagen Zeitungen zum Verkauf in der Ecke der Ladefläche, Handzettel zum Verteilen und ältere Zeitschriften zum Verschenken. Ihre Eltern musste sie anlügen. Das gemeinsame Sonntagsessen, zweimal im Monat ein Ritual im Siedlungshaus in Iserbrook, sagte sie ab, sie müsse für eine Kollegin im Hotel einspringen, Sonderarbeit, wurde so von der Direktion angeordnet. Über Politik würde es mit ihrem Vater noch einen höllischen Streit geben.

Die Fahrt durch die Stadt und dann auf der Landstraße verlief still am frühen Sonntagmorgen. Die Planen um die Ladefläche verhinderten den Blick nach draußen. Nahe Krupunder, einem Dorf vor dem Ziel, hielt der Wagen. Alle raus. Es wurde Tee ausgeschenkt. „Wir kommen in eine schwarz-braune Gegend und wollen unsere rote Flagge zeigen“, sagte der Genossen aus der Leitung. Das sei nicht einfach. Neuland zu beackern. Gleich kommen noch genauere Informationen. Er trug seinen Plan vor. In Egenbüttel teilen wir uns auf. Für einen Propagandamarsch durchs Dorf sind wir zu wenige. Einige bleiben am Wagen auf dem Marktplatz, da geht es um die Kirchgänger und Neugierigen. Zwei mit Schlagfertigkeit und Überzeugungskraft gehen in die Gastwirtschaft. Der Rest bekommt Höfe und Häuser zugewiesen, wo Landarbeiterfamilien wohnen und ärmere Bauern. „Wir stellen uns vor, bieten Gespräche an und die Zeitschriften, die habt ihr schon gesehen. Wir lassen uns nicht provozieren und verteilen auf jeden Fall das Flugblatt mit dem Sofortprogramm zur Bauernhilfe.

Inzwischen war ein älterer Genosse aus Krupunder zu ihnen gestoßen. Er nahm gerne einen Becher heißen Tee und erzählte. Deutschnationale und Nazis hatten in Egenbüttel gemeinsam bei den Reichstagswahlen im letzten Jahr 53 Prozent erhalten. Die KPD nur sechs. Die Not bedrängte die Existenzen wie überall. Millionen Arbeitslose können weniger kaufen. Fallende Preise für Milch und Schlachtvieh. Steuerschulden. Hypotheken. Drohende Zwangsversteigerung der Höfe. Das Ventil der Not war vor Jahren noch die Landvolkbewegung, mit Steuerboykott und Bomben in Finanzämtern. Jetzt sind es die Nazis. Im Dorf gibt es eher Mittelbauern. Die paar Landarbeiter bewirtschaften auch noch etwas Eigenland, einen besseren Garten. Mit dem Einfluss auf die Köpfe der Menschen sei es wie auf so vielen Dörfern. Der Bürgermeister zählt und der Pastor. Die Männer gehen an den Tresen und in den Kriegerverein, die Frauen sind fast unsichtbar, außer beim Einkaufen und dem Feuerwehrball.

Das Dorf und sein Marktplatz waren kleiner als erwartet. In der Nähe stand eine Kirche. Ein Pferdegespann fuhr vorbei. Sonst kein Mensch zu sehen. Der Lastwagen wurde mit einer roten Fahne drapiert. An die Fahrertür lehnten sie ein Werbeschild mit der Aufschrift Mit der KPD gegen Hunger und Not. Für Volksrevolution. Kurz vor halb elf ging es los. Der Einsatz sollte vor dem sonntäglichen Mittagessen in den Häusern enden.

Anni ging mit Else, einer resoluten Reinemachefrau von gut vierzig Jahren. Sie hatten dieselbe Arbeitsstelle. Vor dem ersten Bauernhaus lag ein kleiner, gut gepflegter Vorgarten. Mit alter Eiche, einem Beet mit Frühlingsblumen und einem Rhododendron. Nach dem Klopfen an der Haustür schlug ein Hund an. Ein mürrischer alter Mann öffnete. Else grüsste und stellte sie beide vor. Es folgten Wörterbrocken in schwer zu verstehendem Holsteiner Platt und die Tür wurde zugeschlagen. Sie schoben einen Handzettel unter der Tür durch. Das Hundebellen hielt noch an, als sie schon weiter gezogen waren. Türen öffneten sich, nirgendwo bat man sie hinein, manche starrten sie an. Neugier schlug nicht in Interesse um. Leibhaftige Kommunistinnen. Das Bauernnotprogramm fand Abnehmer, eine Zeitung wurde verkauft („kann ik mi naher oock den Mors mit wischen“). An einem Hof öffnete ein kleines Mädchen die Tür, dann erschien deren Mutter und dann der Vater. Er bildete aus Daumen und Zeigefinder eine Pistole und drückte ab.

Eine Frau trafen sie beim Abnehmen der Wäsche von der Leine auf einem Rasenstück neben dem Haus. Sie faltete Laken und Kissen und legte sie in einem Korb. Dann kümmerte sie sich um Taschentücher, Tischdecken und Unterwäsche. Die drei Frauen kamen ins Gespräch. Eine düstere Geschichte. Die Frau ist selber eine Bauerntochter, der Mann fällt im Weltkrieg. Witwe mit 25, der Sohn jetzt 14. Keine neuer Mann, nur eine bessere Magd auf dem Hof von Schwiegereltern und Schwager. Keine Zeit für mal für was Schönes. Sie hörte aber auch zu, was die Frauen aus der Stadt zu sagen hatten. Aber Politik? Nur ein Schulterzucken. Hauptsache nicht noch mal so ein Männermorden. Er fiel in Frankreich, zwei Tage vor dem ersten Geburtstag seines Kindes. Anni legte ihr eine Arbeiter Illustrierte Zeitung in den Wäschekorb, da standen immer gute Geschichten drin, viele Bilder und die Seite für die Frau. Die 25 Pfennig zahlte sie. Den Nachbarhof ließen sie aus, dort wurde ein Schwein geschlachtet, sein kurzes Todesquicken gut hörbar.

Bei der Rückfahrt teilten sie erst den Proviant auf und zogen dann Bilanz. In der Gastwirtschaft gab es hitzige Gespräche. Immerhin. Politik und Forderungen der Partei kannte so richtig keiner. An den Haustüren begegnete ihnen Gleichgültigkeit und auch harte Ablehnung. Aber auch Offenheit und viele Klagen. Es gab Zeitungsverkäufe. Eine Partei der Hoffnung war die KPD in Egenbüttel nicht. Eher ein unbekannter Planet. Vielleicht sollte es dort mal eine öffentliche Versammlung geben. Kleine Erlebnisse wurden berichtet. Einige rauchten. Else verteilte Schokoladenplätzchen, Erwin spielte auf der Mundharmonika. Erst Seemannsstücke und dann Der Kleine Trompeter. Alle sangen oder summten mit. Anni saß auf dem Boden. Der Zucker des Plätzchens hatte sich angenehm im Mund verbreitet. Sie fühlte sich gut. Ein Rädchen in einer großen Maschine sein. Aber wo? Die Entscheidung reifte langsam.

Kaum eine andere Verbindung genoss einen Schutz wie Walter. Er diente in der kasernierten Ordnungspolizei, lebte und übernachtete in deren großen Kasernenkomplex an der Bundesstraße. Eine entdeckte Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Apparat bedeutete sofortige Dienstentlassung und noch Schlimmeres. (Für das Anzeigen solcher Kameraden gab es eine Uhr und Sonderurlaub.) Vor gut einem Jahr lief einer seiner Mitarbeiter einem als Lockspitzel arbeitenden Polizisten in die Falle. Daraus hatte Claus gelernt. Die Sache machte einen kleinen Skandal, der Genosse verhielt sich beim Verhör nicht den Vorgaben gemäß und wurde zu einem Jahr Festungshaft verurteilt. Das durfte nicht noch einmal passieren.

Claus wählte deshalb den indirekten Weg. Walter bekam er nur selten persönlich zu Gesicht. Der Kontakt lief über dessen Familie, insbesondere die Schwester, ein aktives Mitglied des Jugendverbandes. Walter bekam mehrmals in der Woche Ausgang und verbrachte dann viel Zeit zuhause, von der Mutter bekocht. Der Apparat stellte über die Schwester Fragen, erteilte auf diesem Weg kleine Aufträge und erhielt Stimmungsberichte. Die holte Claus sich dann später ab. In absoluten Notfällen konnte Walter das Alarmtelefon anrufen.

Einen Überblick über den Gegner besaß der Apparat. Über allem stand ein sozialdemokratischer Polizeisenator. In Hamburg taten etwa 5.000 Beamte Dienst. Das konnte aus den Unterlagen des Haushaltsausschusses der Bürgerschaft und anderen Quellen gefolgert werden. Davon gut 3.000 als Schupos auf den Wachen im Stadtgebiet (Adressen im Fernsprechbuch), bei der Wasserschutzpolizei im Hafen oder in der Kriminalpolizei. Knapp 2.000 dienten in der Orpo, der Ordnungspolizei. Gefährlich und berüchtigt. Eine kleine Bürgerkriegsarmee, Tschako mit Kinnriemen auf dem Kopf, mit Kriegswaffen ausgerüstet, zu harten Einsätzen bereit und geschult in jährlichen Manövern zur Aufstands-bekämpfung. Viele waren ehemalige Soldaten und dienten 18/19 in den paramilitärischen Freikorps zur Niederschlagung der Revolution. Ihre Gesinnung behielten sie als Polizisten der Republik bei, die viele innerlich ablehnten. Walter war nicht so, die Ordnungspolizei für ihn nur der Beginn einer sicheren Laufbahn. Politisch mit wachem Kopf und von der Familie, besonders Schwester und Onkel, bestärkt, gab er seit zwei Jahren Auskünfte. Loyalitätsprobleme kannte er nicht, die Welt des Großteils der Orpo-Kameraden war ganz und gar nicht seine. Nicht die falsche Kameraderie und nicht das Landsknechtsgehabe.

Zur Kriminalpolizei gehörte die politische Staatspolizei mit fast 60 Beamten und einem Fahndungskommando. Die politische Polizei führte eine Dossiersammlung über Funktionäre der KPD (nicht über tausende Mitglieder) und hielt sich V-Leute und Spitzel. Sie bezog die Monatsberichte zur Sicherheitslage der zentralen Nachrichtensammelstelle des Reichsinnenministeriums und wertete sie aus.

Der Auftrag an den Apparat lautete: Die Polizei ausforschen. Mit den erlangten Kenntnissen die Partei schützen. Das Unterdrückungsorgan so gut es geht zu zersetzen. Die Umsetzung des Auftrags erwies sich als außerordentlich schwierig.

Eine Einschleusung eigener Mitglieder blieb unmöglich. Zur Agitation und Kontaktaufnahme wurde Die rote Bereitschaft verteilt, mehr ein Flugblatt als eine Zeitung. Ausgelegt in Kneipen, die Polizisten frequentierten, über die rötlichen Mauern der Kaserne geworfen oder in die Privatbriefkästen von Schupos gesteckt. Mit der Kernaussage, nicht die Ordnung der Reichen zu schützen und die eigene Klasse zu verraten. Und dem Appell, nicht auf Streikende oder Protestierende zu schießen – es könnten Verwandte oder Freunde sein.

Die Resonanz blieb gering. Es bestanden Verbindungen zu Wachen, zu einem Beamten mit Zugang zum Fahndungsbuch und zum Erkennungsdienst. Dadurch konnte in Erfahrung gebracht werden, ob Festnahmen geplant waren, oder, was einem Festgenommenen vorgeworfen wurde. Eine andere Quelle arbeitete im Saal des Polizeifunks. Eine Warnung über anlaufende Maßnahmen erfolgte, wenn dieser Beamte Dienstschicht hatte und Gelegenheit fand, das Alarmtelefon der Partei anzurufen. Auch gab es zwei, drei pensionierte Polizisten, unzufriedene Sozialdemokraten, die sich zu Gesprächen und Hinweisen bereit fanden.

Mysteriös blieb ein anderer Kontakt. Er begann 29 mit einem Brief an das Büro des bekannten kommunistischen Anwalts Ernst Hegewisch. Das Kuvert enthielt nur einen 30seitigen Aufsatz. Der Kampfeinsatz bei inneren Unruhen. Mit Planspielen sowie einer Schilderung der Hamburger Oktoberunruhen 1923. Verfasst von einem Polizeioberst. Sonst nichts. Über den Anwalt ging das Dokument an die Bezirksleitung und von dort über die Stadtleitung der Partei an den Apparat. Überwiegend wurde dies als Provokation eingeschätzt. Sollte eine vertrauliche Denkschrift bei den Roten gefunden werden? Claus blieb ruhig. Er ließ das Material analysieren und sicher archivierten. Kein Zweifel an der Echtheit. Als Ausarbeitung des Gegners fand er im ganzen Apparat – nicht nur in Hamburg – Aufmerksamkeit. Seitdem trafen unregelmäßig neue Briefe ein. Interne Auswertungen, Szenarien und Planspiele, vertraulich und zugänglich nur der Führung der Polizei. Zuletzt die Manövervorgabe Beseitigung letzter Widerstandsnester nach bewaffnetem Aufstand in Industrieanlagen oder Wohnquartieren. Bereitstellungsmarsch. Entfaltung. Entwicklung. Feuergefecht. Angriff. Einbruch. Säuberung. Das Motiv für diese stille Post blieb offen, ein gewünschter Kontakt konnte nicht aufgebaut werden.

Claus stieg in den zweiten Stock hinauf. Von Walter gab es in Zukunft weniger Wichtiges zu erfahren. Er hatte seine drei Dienstjahre im kasernierten Verband bald abgerissen und seine Versetzung in ein Revier der Schutzpolizei schon beantragt. Eine neue Quelle wurde mit seiner Hilfe gefunden, aber sie war unsicher.

Der Apparat besaß also nur Grundlagenwissen über den Polizeiapparat insgesamt. Und begrenzt waren auch die Informationen zur Orpo, der Garde der Hamburger Pfeffersäcke zur Sicherung ihrer Ordnung. Etwas über den Waffenbestand, ihre Ausbildung und Manöver, den Grundriss der Kaserne, über die reaktionären Mannschaftsdienstgrade und die oft sozialdemokratischen Offiziere. In den Revolutionswochen 19 wurde ihre Kaserne angegriffen. Dieser Stachel saß tief hinter den Mauern an der Bundesstraße.

Am Küchentisch von Walters Familie angekommen, wurde eine Tasse Gerstenkaffee ausgeschenkt, dann las seine Schwester Claus ihre Gesprächsnotizen vor.

Walter sagte, zum 1. Mai, Freitag nächster Woche, ist nichts Beunruhigendes geplant. Routinemäßige Bereitschaft, aber keine Urlaubs- oder Ausgangssperren. Es wird nicht über ein mögliches Verbot der KPD-Versammlung auf der Moorweide, oder den Sternmärschen aus mehreren Stadtteilen dahin, gesprochen.

Ansonsten stimmungsmäßig nichts Neues. Die illegale Gruppe der NSDAP fand weiter Gehör. Eine Mitgliedschaft lehnten viele nur ab, weil das zur Entfernung aus dem Dienst führen konnte.

Das harte Durchgreifen in Barmbeck am Abend nach dem Henning-Trauerzug fanden im Prinzip alle gut. Man hat es den Bolschewiken gegeben an der Barrikade beim Bahnhof. Der offensive Schusswaffeneinsatz wurde gelobt. Auch wenn es einen unbeteiligten Zivilisten erwischt hatte. Die Offiziere mal keine Schlappschwänze. Da machte es Spaß zu dienen und den Befehlen zu folgen.

Glauben. Dienen. Befehl. Als Hans Bredel noch nicht den Decknamen Claus führte, spielten diese Begriffe eine große Rolle in seinem Leben.

Sein Vater diente. Der kaiserlichen Obrigkeit als Briefträger der Reichspost. Gott als bekennendes Mitglied einer freikirchlichen Gemeinde und als einer ihrer geachteten Laienprediger. Und seiner Familie diente er als Oberhaupt und Befehlsgeber, der streng erzog und dies selten durch Lob. Winkte als Preis doch, dass man durch dieses gottesfürchtige Leben am Ende der Tage, wenn der Messias sein Reich errichtet, zu den Auserwählten gehört.

Die kleine Wohnung gestaltete er als Ort von Verboten und Disziplin. Die dominierende Farbe war ein gefühltes Grau. Noch heute, wo in seiner eigenen Familie nicht gebetet wird und kein Kreuz an der Wand hängt, ist Einiges von damals ein Teil der Lebensführung von Hans Bredel. Strikter Nichtraucher, kaum Alkohol, Sparsamkeit, Anspruchslosigkeit, kein sonderliches Gefallen an Musik und Tanz. Auch mochte er vegetarische Küche, wie die Suppen und Salate seiner der Lebensreformbewegung anhängenden Mutter. Nach den Jahreszeiten mit frischen Kräutern und Gemüse aus dem Schrebergarten am Niendorfer Gehege.

Der Weg zum Glauben war lang und beschwerlich. Am Anfang, im Kindergottesdienst der Gemeinde, ging sein Herz auf für Jesus, der Wunder vollbrachte und Menschen Gutes tat. Belohnt wurde er dafür mit Verrat und Hinrichtung. Sein Tod sollte die Erlösung für alle sein. Später im Konfirmandenunterricht wurde viel über den Satz aus der Offenbarung Johannes gesprochen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht Gott der Herr. Auch über die gottesfürchtige Lebensführung und über das Verhältnis von weltlicher und göttlicher Macht. Beiden habe sich der Mensch zu unterwerfen.