Rott - Jürgen F. Fiedler - E-Book

Rott E-Book

Jürgen F. Fiedler

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Beschreibung

Rott Nach dem schrecklichen Tod ihrer 9-jährigen Tochter Hanna und den monatelangen posttraumatischen Belastungsstörungen versucht die Großindustriellenfamilie Wienberg, sich ansatzweise in ihrem Lebensalltag zurechtzufinden.Dass Kriminalhauptkommissar Herbert Krause auf der Suche nach dem Mörder mehrerer Mädchen in ein Wespennest aus illegalem Organhandel stechen und dabei die kaum verheilten Wunden wieder aufreißen würde, konnte niemand ahnen. Mit der exzellenten Fallanalytikerin des BKA, Jasmin Deckenhart, und dem leitenden Ermittler Rainer Bruckmann an seiner Seite versucht Kriminalhauptkommissar Herbert Krause, den emotionslosen, intelligenten und psychisch schwer gestörten Serienkiller zu stellen.

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Seitenzahl: 231

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Jürgen F. Fiedler

Der Autor:

Jürgen F. Fiedler, geb. 1961 in Nürnberg, lebt heute mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Garmisch-Partenkirchen. Sein erster Roman erscheint als Taschenbuch, gebundenes Exemplar und als E-Book.

Für Carmen, die mich ermutigt hat, meinen Traum wahr werden zu lassen.

Rott

Thriller

Von Jürgen F. Fiedler

www.tredition.de

© 2013 Jürgen F. Fiedler

1. Auflage

Umschlaggestaltung, Illustration:

Sieben Quellen: Grafik Design Eschenlohe

Lektorat, Korrektorat: Ursula Wenke

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-8495-7123-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieser Roman erhebt keinen Faktizitätsanspruch, obwohl reale Unternehmen beschrieben und realistische Prozesse thematisiert wurden.

Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Prolog

Günther verspürte rasende Kopfschmerzen, als er schwerfällig begann, seine Augen zu öffnen. Er nahm alles verschwommen wahr. Die Helligkeit empfand er wie Nadelstiche. Er konnte sich nicht erinnern, dass im Schlafzimmer Neonröhren existierten. Außerdem hörte er ein gleichmäßiges Piepen neben sich. Langsam begann sein Verstand zu arbeiten. Günter lag nicht in seinem Bett. Er lag in einem Krankenzimmer. Was war geschehen? Heftige Schmerzen fluteten seinen Körper. Er zog das weiße Bettlaken zur Seite und erstarrte. Sein linkes Bein war amputiert! Ein Arzt kam. Dieser fuhr mit einem Wattestäbchen in seiner Mundhöhle umher. Danach schabte er mit einer Klinge an seinem Arm rauf und runter, sodass kleine Hautschuppen in einen sterilen Plastikbeutel fielen. Ene mene meck und du bist weg!

Kapitel 1 2008

Dienstag, 26. August, 7.00 Uhr Gronstadt, Grubenkopfstr 1, Seegrundstück

Jürgen Wienberg genoss es, am Montag um 7.00 Uhr noch im Bett zu liegen. Als Geschäftsführer der Wienberg Membran KG, eines der führenden Wirtschaftsunternehmen, nahm er sich diesen Luxus heraus.

Mit Albert Grüttli verfügte er über einen Stellvertreter, der die Philosophie der Wienberg KG umsetzte, dem er vertraute. Sie ergänzten und respektierten sich gegenseitig.

Ein steigender Jahresumsatz von momentan bis zu 45 Millionen Euro und der hieraus resultierende Gedanke an eine Expansion auf amerikanischem Boden ließen Jürgen beruhigt die Bettdecke noch etwas höher ziehen.

Wienbergs waren ein Paradebeispiel für eine moderne Patchworkfamilie.

Carmen, seine zweite Ehefrau, hatte sich früher um die Versorgung der beiden Nachkommen gekümmert.

Für die Dynastie Wienberg bestand ein oberstes Anliegen den Kindern gegenüber, den durch ihren Lebensstil zu erwartenden Snobismus in den Entwicklungsjahren zu vermindern beziehungsweise nach Möglichkeit zu unterbinden.

So hatte Jürgen die Aussage der beiden Nachkömmlinge, in späteren Jahren den Konzern nicht als Nachfolger übernehmen zu wollen, zähneknirschend respektiert.

Lisa weilte nur ab und an zu Hause.

Sie studierte Sozialpädagogik in Innsbruck. Die gut aussehende 22-Jährige agierte stets im Mittelpunkt der Ich-zeige-eine-riesenhafte-Beule-in-der-Hose-Fraktion.

Sebastian, Jürgens Sohn aus erster Ehe, war weitaus schwieriger zu erziehen.

Die täglichen Kleinkriege mit seiner Stiefmutter kosteten alle Nerven und Zeit. Die Hoffnung und Zuversicht Jürgen Wienbergs, dass sein männlicher Nachfahre die Firma in der dritten Generation weiterführen würde, waren frühzeitig enttäuscht worden.

Sein Sohn entschloss sich zielstrebig für eine Ausbildung zum Karosserie- und Fahrzeugmechaniker, mit dem Ziel, später eine Führungsposition in einem großen Ingolstädter Automobilunternehmen erlangen zu können.

Hanna, das dritte Kind und die gemeinsame Tochter der beiden, lebte nur neun Jahre.

Vor drei Jahren wurde sie vergewaltigt und umgebracht. Hannas Niere wurde entfernt. Das Mädchen lag zwischen Dickicht und Moos an einem Autobahnparkplatz.

Der Täter wurde bis heute nicht überführt!

Für die Eltern brach damals eine Welt zusammen. Nur mit jahrelanger gemeinsamer Psychotherapie verstanden sie, ihre Verlustängste zu meistern, um ein Leben in Normalität zu führen.

Die Gefühlsebene blieb aber auf der Strecke, denn Jürgen beharrte wie besessen darauf, den Mörder zu finden.

Carmen arbeitete nicht, die sportliche 51-Jährige verfügte über alles, was man sich wünschen konnte – einen eigenen Geländewagen, ein Haus im Landhausstil, ein Chalet in der Schweiz, Freunde, auf die sie sich verlassen konnte.

Eines allerdings gab es nicht mehr: das Lachen ihrer Tochter.

Dienstag, 26. August, 8.30 Uhr Polizeidienststelle Bruck Pfälzer-Wald-Str. 13

Kriminalhauptkommissar Herbert Krause, 63 Jahre, leitender Ermittler der Soko „Lissi“, saß 35 Kilometer entfernt in seinem Büro in Bruck und las die Unterlagen seiner Interpol-Kollegen aus Thailand.

Innerhalb von 21 Monaten waren drei kleine Mädchen gestorben, bestialisch ermordet und geschändet.

Die wachsende Kriminalität machte dem alten Haudegen zu schaffen. Herbert Krause hatte sich nach oben gekämpft, vom einfachen Streifenpolizisten zum Leiter der Kriminalabteilung in Bruck. Hochgearbeitet, nachdem man ihn bei der ersten Beförderungswelle übergangen hatte. Mit Fleiß, Zielsetzung und einer Spürnase für das Wesentliche, aber auch mit Ellenbogenmentalität demonstrierte er Durchsetzungsvermögen. Der Erfolg gab ihm recht.

Neidlos mussten seine Kollegen anerkennen, dass der übergewichtige, gelegentlich ein klein wenig sonderbare glatzköpfige Ermittler eine hohe Aufklärungsquote zustande brachte.

Seine Vorgehensweise bei der Untersuchung von Mordfällen entsprach nicht dem Standard, den die Anwärter in ihren Lehrbüchern an den Polizeihochschulen vermittelt bekamen.

Herbert Krause zeigte etwas anderes.

Er agierte pragmatisch, zielorientiert und bewies Feingefühl, dazu eine enorme Ausdauer. Einmal auf der passenden Fährte, konnte er sich festbeißen.

Überstunden machten ihm beileibe nichts aus. Im Gegenteil, als seine Frau überraschend an Krebs starb, wählte er sein Büro als Rückzugsort für seine Trauer. Die Arbeit half ihm darüber hinweg. In diesem Zeitraum heiratete er Erna Stoll, seine rechte Hand und seit fast 31 Jahren seine Sekretärin sowie die Mutter der Soko „Lissi“.

Erna war es, die Herbert nach dem Tod seiner Ehefrau auffing, ihm Lebensmut und Trost spendete, für ihn kochte bzw. putzte. Sie gab ihm auch das Gefühl, noch lange nicht zum alten Eisen zu gehören. Mit der Zeit merkten die beiden, dass sie gern den Herbst ihres Lebens miteinander verbringen wollten.

Dienstag, 26. August, 8.37 Uhr Privatklinik für plastische Chirurgie Großbreitenberg

Für Professor Dr. Reinhard Rott gestaltete es sich zusehends schwieriger, sein hohes Arbeitspensum zu bewältigen. Prof. Rott war eine führende Kapazität auf dem Gebiet der plastischen Chirurgie, wenngleich sein Schwerpunkt mehr im ästhetischen als im kosmetischen Bereich lag.

Vorrangig war für ihn die Wiederherstellung von Unfallopfern. Natürlich half er genauso seinen schwerreichen Privatpatienten, ihre Sehnsucht nach Schönheitsidealen zu befriedigen, wie auch den Kassenpatienten. Weiterhin besaß er eine Stelle als Gastdozent am Klinikum Remscheid und an der Universität Willstadt, zudem einen Lehrauftrag für Herz- und Thoraxchirurgie am Uniklinikum in Großbreitenberg.

Er hatte zudem sein Leben den Büchern gewidmet und für diese Passion sogar einen Sechszehn-Stunden-Tag in Kauf genommen. Jetzt, mit 67, war er Universitätsprofessor und sorgte dafür, dass seine Studenten aus seinen Büchern lernten.

Vor zwei Jahren, nach einer vierwöchigen Reise durch Indien und Birma, hatte er zum ersten Mal die vielen unglücklichen Augen der Kinder gesehen, die während des Bürgerkriegs ihre Familien verloren hatten, die sich in Pfützen der verregneten Straßen die Zähne putzten. Außerdem hatten sie den Glauben und die Hoffnung auf ein besseres Dasein verloren. Ihr Lebensinhalt beschränkte sich auf Prostitution.

In diesem Moment hatte Prof. Dr. Reinhard Rott sich eingestanden, wie privilegiert er lebte, im Überschuss, im Wohlstand. Er hatte beschlossen, wenigstens ein kleines Kontingent des Erfolges in seinem Leben mit Menschen zu teilen, die im Abseits, am Rande oder am Abgrund standen.

Dienstag, 26. August, 8.40 Uhr Gronstadt

Als Jürgen kurz nach 8.40 Uhr aus dem Schlafzimmer kam, gab er Carmen einen zärtlichen Kuss, umarmte sie und freute sich, wenigstens den Vormittag mit ihr verbringen zu können.

Sie deckte soeben den Frühstückstisch auf der Terrasse ihres Hauses. Jürgen wollte zur Entlastung seiner Frau immer eine Haushaltshilfe einstellen, aber mit Nachdruck gab sie ihm zu verstehen, dass sie ihre Eigenständigkeit nicht aufgeben wolle. Im Gegenteil, sie machte sich Gedanken, als Personalcoach zu arbeiten.

Es begann ein wunderschöner Tag mit wolkenlosem Himmel; atemberaubend der Blick über den kleinen See, der direkt vor dem Anwesen lag. Dieses Leben verdankte Jürgen zum Teil seinem Erzeuger, Bruno Wienberg. Er hatte in den 50er- und 60er-Jahren die Firma aufgebaut, war ein kolossales Risiko eingegangen und bei seinen Versuchen, neue Kredite und Bankbürgschaften zu erhalten, oftmals belächelt oder im erbärmlichsten Fall abgewiesen worden.

Im Jahre 1960 hielt man die Businesspläne, die sein Vater den Filialleitern vorlegte, für nicht realisierbar. Doch es sollte sich herausstellen, dass Bruno Wienberg seiner Zeit voraus war und mit einer maximalen Kombination aus Kreativität und Idealismus zu Werke ging. Ein spezifisches Konzept sowie ein bisschen Glück gehörten natürlich auch dazu.

Als Jürgen sich eine zweite Tasse Kaffee einschenkte, klingelte das Handy. Auf dem Display erkannte er, dass es seine Schwester Petra Kastner war.

Als ihr Vater starb, hatten die Geschwister das Vermögen aufgeteilt.

Jürgen bekam die kleine Fabrik, seine Schwester die beiden Häuser und die wunderschöne Berghütte in Prättigau/Davos in der Schweiz.

Der Kontakt und die Annäherung waren erst in den letzten Jahren zustande gekommen.

Was wollte damals eine zur Frau heranreifende Achtzehnjährige mit einem nicht geplanten blöden Bruder, der sie nur neckte und nicht verstehen konnte, warum sie einfach nicht mit ihm Cowboy und Indianer spielen wollte?

Seine Schwester lebte geschieden, erzog zwei Kinder, Jutta und Jochen.

Jochen Kastner forschte als Chemielaborant, arbeitete in enger Kooperation mit Naturwissenschaftlern an Instituten zur Untersuchung von Biomembranen.

Zudem war er als freiberuflicher Berater im Unternehmen seines Onkels tätig. Manchmal nahm er sich auch eine berufliche oder private Auszeit. In dieser Zeit bereiste er als Rucksacktourist asiatische Kulturen, um Lebensmentalitäten kennenzulernen.

Petra wollte Jürgen nur mitteilen, dass sie abermals für ein paar Tage in die Schweiz führe. Er wünschte ihr einen erholsamen Urlaub und verabschiedete sich mit dem Versprechen, sie früher oder später ein weiteres Mal zu besuchen. Er war sichtlich froh, dass nach so vielen Jahren der Kontakt zu seiner Schwester inniger geworden war.

Nachdem Günther erneut erwacht war, bemerkte er, dass er nicht klar denken konnte, weil ein Gefühl der Taubheit und des Nebels seine Sinne umgab. Und als er seine glasigen Augen nach unten wandern ließ, entdeckte er, dass man ihm einen venösen Zugang am Handgelenk zur Vorbereitung einer Infusion gelegt hatte, der zweiten nach der Amputation seines Beines. Er musste einen entsetzlichen Unfall erlebt haben nach dem Gastspiel in der Rio-Label-Bar in Bangkok. Aber warum fixierten die Ärzte ihn?

Welcher Tag war? Wie lange hatte er geschlafen? Als sein Blick die Zeiger seiner Uhr suchte, erschrak er fast zu Tode. Aus seiner Kehle kam ein Schrei.

Ein Stumpf verriet, dass sein Arm amputiert worden war.

Ene, mene, muh und raus bist du!

Dienstag, 26. August, 8.58 Uhr Büro des leitenden Ermittlers

Kriminalhauptkommissar Herbert Krause hatte noch drei Jahre, denn auch die Sparmaßnahmen im Beamtendienst konnten nicht beschönigt werden. So wechselten Polizisten vorzeitig in den Ruhestand, um die Nachfolger in eine erheblich niedrigere Besoldungsgruppe einzustufen.

Die Motivation der Kollegen war dementsprechend!

„Grüß dich Jens“, sagte Herbert am Telefon, „was weißt du über die Kindermorde in Thailand? Ich bekam gestern die Faxe mit den Berichten.

Wenn du willst ‚komm‘ einmal runter zu mir und bringe gleich eine Tasse Kaffee mit“, hörte sich Herbert noch sagen, bevor die Verbindung abbrach.

Jens Fiedler, Krauses Mitarbeiter, gehörte mit seinen 34 Lebensjahren zur jüngeren Garde der Ermittler. Er sollte in drei Jahren sein Nachfolger werden.

„Also die Morde“, sagte Jens, als er auf dem antiquarischen Stuhl im Büro seines Chefs Platz nahm und Herbert den inzwischen lauwarmen Kaffee reichte, „stammten offenkundig vom identischen Täter. “

„Ja, das glaube ich auch“, stimmte Herbert seinem Kollegen zu, „aber in dem Bericht stand, und das ist ungewöhnlich, dass nur Mädchen eine Rolle spielten und man ihnen die Nieren entnahm! Warum nur Mädchen?“

„Wir müssen uns noch etwa drei bis vier Wochen gedulden, bis die Experten eine forensische DNA-Analytik erstellt haben, erst dann können wir vergleichen und sehen, ob es dadurch zu brauchbaren Hinweisen kommt, Herbert.“

„In Thailand geraten jeden Monat Straßenkinder oder halbwüchsige Prostituierte in Mordfälle, aber diese spezifische Regelmäßigkeit kann nur einem Serientäter zugeordnet werden“, mutmaßte Herbert.

„Was muss in diesem perfiden kranken Kopf vorgehen“, bemerkte Jens und sah seinen Chef nachdenklich an.

„Die ganze Gewalttätigkeit wird auf die Medien Fernsehen und Internet geschoben, trotz alledem ich kann das nicht bestätigen“, erwiderte Herbert. „Weißt du Jens, auch in den 50ern, 60ern und 70ern existierten Psychopathen. Sagt dir der Name Jürgen Bartsch etwas oder Fritz Haarmann?“

Jens schüttelte den Kopf.

„Ich entstamme offenkundig der unwissenden Generation“, sinnierte er, verstand aber, worauf Herbert hinauswollte.

Irgendetwas begann sich in Krauses Hinterstübchen zu rühren, er konnte es sich jedoch nicht in Erinnerung rufen.

„Meinst du, dass hinter diesen elendigen Morden ein Organhandel steckt?“

„Wir sollten diesen Verdacht nicht vollständig unter den Tisch kehren, denn die Möglichkeit besteht durchaus. Außerdem dürfte es sinnvoll sein, mit der Soko ‚Transplant‘ zu sprechen. Die ist auf diese ungeheuerlich andersartige Art der Kriminalität spezialisiert“, sprach Jens und spazierte aus dem Dienstraum.

Dienstag, 26. August, 10.23 Uhr Büro des Chefarztes der Baltus-Klinik

Prof. Dr. Reinhard Rott verfiel in eine leichte Euphorie, nachdem er über seinen Plan, eine Klinik in der Dritten Welt zu eröffnen, nachgedacht hatte. Ärzte sollten pro bono operieren, so wie es bei Rechtsanwälten in Amerika bereits üblich war, um auch der Schicht der Bevölkerung, die aus finanziellen Gründen nie diese Möglichkeit in Anspruch nehmen konnte, eine Rechtsberatung für ihre Verteidigung zukommen zu lassen.

Mit seinen 67 Jahren wollte er sich langsam aus dem Berufsleben zurückziehen. Nur noch zum Spaß arbeiten, um dabei das Gefühl zu entwickeln, auf der guten Seite zu stehen, zumal er mit seinem Sprössling Dr. Erika Jansen eine würdige Vertraute besaß.

Seine Tochter hatte das Studium der Humanmedizin mit 1,0 absolviert, das erste sowie das zweite Staatsexamen gemacht, sich anschließend zum Facharzt ausbilden lassen. Ihr Hauptaugenmerk war auf die Unfall- und Kinderchirurgie gefallen, bevor sie sich in der Klinik ihres Vaters spezialisierte, mit Schwerpunkt plastische Chirurgie. Erika, eine Powerfrau mit ihren 1,62 m und ihren durchtrainierten 59 kg, nahm es, was die Kondition betraf, leicht mit jüngeren Kollegen oder Kolleginnen auf, besonders weil sie ungemein auf ihr Äußeres achtete. Mit ihren 48 Jahren war sie eine attraktive Erscheinung, wenngleich die vielen Nachtdienste deutliche Spuren und Augenränder hinterlassen hatten.

Mit 21 hatte sie sich kurz selbst bestätigen müssen, indem sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in einer kitschigen kleinen Kirche in San Francisco ihren Studentenfreund Reinhard Jansen heiratete. Vier Monate später hatten beide ihren Fehler erkannt und ihre Ehe annullieren lassen.

Mit 46 Betten und drei Operationssälen gehörte das Baltus-Krankenhaus zu den fünf größten Privatkliniken in Deutschland.

Prof. Dr. Reinhard Rott dachte bereits über eine Stiftung nach, die zu Lebzeiten bzw. nach seinem Tod ordentliche Erträge ausschütten würde, sodass die Klinik auf fundierten Beinen gedeihen konnte. Ob mit Aktien, alternativen Investments, Immobilienfonds oder festverzinslichen Wertpapieren, in den kommenden Wochen würde es unumgänglich, sich mit einem Stiftungsrat auszutauschen.

Dienstag, 26. August, 10.34 Uhr Wienberg-Villa in Gronstadt

„Jürgen“, informierte ihn seine Gemahlin, die sich eben ein Brötchen belegte, „ich erzählte dir doch mehrmals, dass ich gern beruflich tätig sein möchte. Der Zeitpunkt könnte idealer nicht sein, jetzt, nachdem die Kinder sich langsam von der Nabelschnur der elterlichen Bevormundung lösen, um ihre Eigenständigkeit unter Beweis zu stellen.

Mir fällt zu Hause die Decke auf den Kopf, vor allem, wenn du deine Zeit geschäftlich im Ausland zubringst. Das kam in den zurückliegenden Monaten öfter vor. Du weißt, ich unterstütze dich, auch dein Vorhaben in Amerika, um mit deiner Tochterfirma dort Fuß zu fassen, aber halte mich nicht in einem goldenen Käfig.“

Jürgen schien unübersehbar verblüfft über die offenen Worte seiner Frau.

„Ja, ich weiß, Carmen, und wie stellst du dir das Metier als Personalcoach vor?“, artikulierte er etwas baff.

„Ich könnte von zu Hause aus einen Fernlehrgang mit Präsenzseminar absolvieren. Er ist von der Qualitätsgemeinschaft Coach Ausbildung (QCA) geprüft und zertifiziert“, erklärte sie.

Jürgen war sichtlich erstaunt, wie akribisch sich seine Frau bereits auf dieses Gespräch mit ihm vorbereitet hatte.

„Carmen, ich werde dir selbstverständlich keinerlei Steine in den Weg legen, wenn das deine Erfüllung ist, so versuche es. Ich denke auch, dass es für dich eine wirksame Ablenkung ist.“

„Es soll keine Zerstreuung sein, ich bin überzeugt, du begreifst mich nicht!“, thematisierte Carmen in einem Ton, der ihm zu verstehen gab: Nimm mich wichtig, es ist eine Aufgabe.

„Ich steckte all die Jahre zurück, für dich, für dein Werk, nun ist es an der Zeit, dass ich mich verwirklichen kann“, erwiderte Carmen mit einem Blick, der das Ganze unterstrich.

Jürgen kam es vor, als engagierte sich Carmen ohnehin extrem lange für diese Thematik. Vielleicht war er wirklich zu viel mit sich selbst beschäftigt, sodass er die leisen Hilferufe seiner Frau nicht hörte oder hören wollte.

Irritiert sagte Jürgen: „Ich glaube, dass solltest du tun. Ich werde jetzt in die Firma fahren.“ Nach dem gemeinsamen Frühstück verabschiedete er sich von seiner Frau mit einem Kuss auf die Wange. Er setzte sich in den Sportwagen, ließ das elektrische Dach nach hinten gleiten und fuhr über die Kiesauffahrt Richtung Wienberg KG. Zurück blieben die Häuser, Bungalows mit Vorgärten, Swimmingpools und Tennisplätzen.

Gronstadt füngierte als ein Rückzugsort zahlreicher Millionäre, die das ländliche Ambiente liebten.

Die Gesamtheit der Hausbesitzer konnte ihre architektonischen Vorlieben in die Planungen ihrer Villen mit einfließen lassen. Es gab keinerlei Satzung zum Schutz des Orts- und Straßenbildes oder zur Erhaltung baulicher Anlagen im Ortskern.

Als Jürgen Wienberg seinen Porsche Boxster auf dem überdachten Privatparkplatz vor der Firmenzentrale abstellte, machte er sich keine Gedanken mehr über das Gespräch mit seiner Ehefrau, denn eine 24 km lange Fahrt, mit offenem Verdeck, ließ ihn die Wärme des Sommers spüren und er genoss jeden Luftzug, der es schaffte, in den Innenraum des fulminanten Sportwagens zu gelangen.

Jürgen sah mit seinen 52 Lenzen noch verdammt attraktiv aus. Sein grau meliertes Haar passte angenehm zu seiner Bräune. Vor zwanzig Jahren hatte er mit dem Rauchen aufgehört, nachdem sein Arzt ihm gesagt hatte, seine Lunge sei auf dem Weg ins Nirwana. Mittlerweile konnte er einen sportlich durchtrainierten Körper aufweisen.

Dienstag, 26. August, 11.00 Uhr Firmenzentrale der Wienberg KG

„Guten Morgen, Herr Wienberg“, grüßte ihn seine langjährige Sekretärin mit einem Lächeln, das einen Großteil der Sorgen und Probleme, die noch kommen sollten, vergessen ließ.

„Die Vorstandschaft säße seit geraumer Zeit im Besprechungszimmer“, teilte sie mit ihrer leicht verruchten Stimme mit.

„Guten Morgen, Alexandra, Sie sehen heute umwerfend aus“, grinste Jürgen.

Schlagartig übertrug sich Alexandras positive Laune auf ihren Arbeitgeber. Und das liebte Jürgen Wienberg so an ihr.

Für die vier Vorstände gehörte es zum Ritual, einmal die Woche in einem Meeting zu sitzen, um sich Verbesserungsvorschläge, Analysen zur Qualitätssicherung oder zur Wirtschaftlichkeit des Unternehmens anzuhören und Erfahrungen auszutauschen.

„Hallo Dr. Kellermann“, begrüßte Jürgen seinen Finanzvorstand, der bereits über sechs Jahre in der Firma tätig war.

Links neben ihm saß Albert Grüttli, der Schweizer Entwicklungschef, rechts von ihm Carsten Wellersheim, der zuständige Manager für Programmierung und Projektmanagement.

Nur einer sollte bei dieser Besprechung nicht anwesend sein, Günther Nowak, Chef für Marketing und Vertrieb, der mit der Planung der Tochterfirma in Boston betraut war und im Gedächtnis und der Retrospektive der gesamten Vorstandschaft konturlos zu verblassen begann. Bereits seit 27 Monaten wurde Günther nach einem dreiwöchigen Urlaub vermisst.

Die Schmerzen ließen Günther aufwachen, er verlor jegliches Zeitgefühl.

Wie viele unzählige Tage lag er hier und wo befand er sich? Er versuchte, sich die letzten Stunden in Erinnerung zu rufen.

Es gelang ihm nicht.

Wenn er in einem Krankenzimmer lag, so musste er doch Stimmen und Geräusche hören. Aber in dem unwirklichen Raum erlangte er den Eindruck, von der Außenwelt isoliert zu sein. Er sank sofort zum wiederholten Male in einen leichten Schlaf.

Tri-tra-trallala!

Mittwoch, 27. August, 11.24 Uhr Büro des leitenden Ermittlers

„Kriminalhauptkommissar Krause, Soko ‚Lissi‘“, sprach Herbert am Telefon.

„Bruckmann, was gibt es?“, meldete sich der leitende Ermittler der zuständigen Soko „Transplant“, die sich auf illegalen Organhandel spezialisiert hatte.

Heute konnte man bei ihm, wie so oft am Morgen, die phasenbedingte Wandelhaftigkeit des Mondes anhand seiner Stimmung in Erfahrung bringen. Auf Deutsch gesagt: Er hatte eine Scheißlaune. „Sag Rainer“, sprach Herbert, „hast du irgendetwas gehört, das die Vermutung nahelegt, den Tod der drei Mädchen in Thailand, die man förmlich abgeschlachtet hat, denen man dann ihre Organe entnommen hat, irgendwie mit kriminellem Organhandel in Verbindung zu bringen?“

„Ich glaube nicht daran, weil ich noch nie hörte, dass Opfer vorher vergewaltigt, geschweige denn geschändet und entsorgt werden.

Nein, bei Organhandel geht es um irre viele Dollars.

Nur eine Änderung des Transplantationsgesetzes kann diesem Handel Einhalt gebieten.

Für mich verkörpert der Täter einen Psychopathen mit einem Hang zur Pädophilie“, erklärte Rainer Bruckmann seinem Kollegen am Telefon.

„Ich ließ mir gestern Akten bringen“, erwähnte Herbert, „es gab einmal bei uns einen Fall, in dem ein Mädchen ermordet und zudem ihre Niere entnommen wurde.

Wir glaubten an eine Form des Satanismus, zumal wir am Fundort der Leiche bei der Spurenauswertung ein Henkelkreuz auffanden“, artikulierte Herbert nachdrücklich langsam, damit Bruckmann auch jedes Wort einwandfrei deuten konnte.

„Es wird mit dem altägyptischen Symbol des Lebens und der Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht. Der Verbrecher ist bis heute nicht gefasst und ich glaube allemal“, bekräftigte Herbert, „ob man nicht versuchte, uns auf eine falsche Fährte zu leiten.“

„Also für mich ist das ein Indiz, welches vom Täter absichtlich hinterlassen wurde“, mutmaßte Rainer, „um von den verursachten Spuren bewusst abzulenken.“

„Ja, ich denke, wir sind einer Meinung“, stärkte Herbert seinen Zuspruch. „Ich melde mich von Neuem bei dir, sobald ich Näheres weiß, und du bleib am Ball, sofern sich doch der Verdacht auf Organhandel verdichten sollte.“

Krause legte den Hörer auf, mit dem Gefühl, er müsse sich jetzt verstärkt um die verschiedenen Täterprofile kümmern.

Samstag, 13. September, 10.26 Uhr Stationszimmer der Baltus-Klinik

Er hörte sie nicht kommen.

„Hallo Paps!“, lispelte Erika, küsste Prof.

Dr. Reinhard Rott zärtlich auf die Wange.

Dr. Rott freute sich, wenn seine Tochter an der Begutachtung der Patienten am Krankenbett teilnahm. Obwohl sie die Nachtschicht übernommen hatte, ließ sie es sich nicht nehmen, bei der Visite des Familienoberhauptes mit anwesend zu sein. „Erika, ich muss mit dir reden“, beteuerte ihr Vater, „es geht um das Projekt in Bangkok. Kannst du es einrichten, morgen mit uns essen zu gehen? Ich reserviere einen Tisch im Le Canare für drei Personen.“

„Warum drei?“, fiel seine Tochter ihm ins Wort.

„Dr. Palmberger ist dabei!“

Für einen Moment konnte man ein Strahlen in ihren Augen erkennen, das aber sogleich wieder verschwand.

Erika glaubte nicht, dass ihr Vater irgendetwas davon ahnte, was zwischen Andreas und ihr ablief. Oder lief überhaupt etwas?

Andreas war die Inkarnation eines Draufgängers, ein Vagabund und ein Herzensbrecher. Mit seinem einnehmenden Wesen, seinem Charme, seiner Natürlichkeit und dem Aussehen eines Filmstars eroberte er sofort Erikas Herz.

Man ging abends zum Essen, verbrachte die Nacht miteinander, frühstückte zusammen. Anschließend kreuzte man getrennt in der Klinik auf.

Die heutige Visite nahm nicht viel Zeit in Anspruch: eine Nasenkorrektur bei einer 21-jährigen Frau. Ein Wiederaufbau der linken Gesichtshälfte nach einem schweren Autounfall. Ein angehendes Fotomodell glaubte, ihr Silikonbusen wäre immer noch zu kleinformatig. Bei einem halbwüchsigen Jungen probierte man, nach einer schmerzhaften Verbrennung die Narben durch Laserpolierung optisch unauffälliger zu gestalten.

Samstag, 13. September, 11.30 Uhr Außerordentliche Vorstandssitzung der Wienberg KG

Es passierte nicht das erste Mal, dass Jochen Kastner nicht zur Sitzung erschien.

„Haben die Herren etwas von Herrn Kastner gehört?“, fragte Wienberg in die Runde der versammelten Abteilungsleiter.

„Nein“, erwiderten sie wie aus einem Munde. Jürgen tippte auf die Gegensprechanlage, um Genaueres von seiner Sekretärin zu erfragen. „Alexandra, hat sich mein Neffe bei Ihnen gemeldet?“

„Warum? Ist er nicht in der Sitzung?“

„Nein, rufen Sie ihn bitte auf dem Handy oder zu Hause an. Schauen Sie, ob die Fluggesellschaft Verspätung meldete, kümmern Sie sich darum.“ Jürgen beendete mit Sorgenfalten das Gespräch. „In Ordnung, meine Herren!“ Jochen hatte heute das Exposé und den Handlungsverlauf für eine Firmenzentrale in Boston präsentieren sollen. „Wir dachten an eine Company Limited. In Amerika wird sie auch von bedeutenden Firmen genutzt. Sie gleicht der deutschen GmbH am meisten und der Vorteil ist, dass wir als Ausländer als Managing Direktor mit uneingeschränkter Unterschriftengewalt eingetragen werden können. Für den Bau der Fertigungshalle sind wir in der Lage, 5,3 Millionen Euro zu investieren“, las Dr. Ulf Kellermann aus seinen Notizen vor. „Mit dem jetzigen Entwicklungsstand der Maschinen dürften wir in zwei bis drei Monaten so weit sein, um in Produktion zu gehen“, erklärte anschließend der Schweizer Entwicklungschef Albert Grüttli.

„Und Carsten, wie geht es mit den Planungen der Programmierung voran?“, fragte der leicht in Gedanken versunkene Firmenchef seinen Projektmanager.

„Wenn wir auf keine Hindernisse stoßen und alles im grünen Bereich vonstattengeht, beginnen wir in zwei Monaten“, erläuterte Carsten Wellersheim in seiner coolen Art.

Jürgen Wienberg, zufrieden mit dem Verlauf der bisherigen Arbeit seiner exzellenten Leute, gönnte sich ein Lächeln.

„Ich werde, sobald ich Brisantes von Jochen weiß, euch über Outlook Informationen zukommen lassen. Ich denke, wir können in diesem Sinne die Sitzung früher beenden. Vielen Dank, meine Herren.“

Noch einige Minuten, nachdem der letzte der Vorstände die schwere Eichentür hinter sich geschlossen hatte, stand Jürgen Wienberg mit versteinerter Miene an der Glasfront. Irgendetwas stimmte nicht!

Er sollte recht behalten.

Sonntag, 14. September, 20.15 Uhr Nobelrestaurant Le Canare

Erika war noch immer erregt, als sie gegen 20.30 Uhr im Beisein von Dr. Andreas Palmberger das Nobelrestaurant Le Canare betrat, in dem ihr Vater einen Tisch reserviert hatte.

Sie hatte sich auf dem Weg mit Andreas getroffen. Der Quickie in seinem Auto war kurz und geil gewesen und hatte bei ihr zur vollständigen, bedingungslosen Hingabe an diesen Mann geführt, zu einem Gefühl der Abhängigkeit, einer Emotion, alle in ihr verborgenen Sehnsüchte ausleben zu dürfen.

Bei Erika begannen Bindungsgefühle durch diesen fantastischen Sex mit Andreas an die Oberfläche ihres Bewusstseins zu dringen; das musste sie verhindern. Sie wollte sich nicht binden, obwohl ihr neuerdings Zweifel kamen. Ob Andreas auch so dachte?

„Hallo Paps!“ „Guten Abend, Dr. Rott.“

Beide begrüßen den Chefarzt der Baltus-Klinik. Mit seinem Schmunzeln erweckte er den Eindruck, sie mit seiner Menschenkenntnis und Lebenserfahrung bereits durchschaut zu haben.

„Wunderbar, ich freue mich, euch zu sehen!“

Erika und Andreas grinsten.

„Ich erlaubte mir im Vorfeld, das heutige Fünf-Gänge-Menü für uns gemeinsam zu bestellen“, signalisierte ihr Vater. Erika nahm es gelassen zur Kenntnis.

Die Bevormundung, dieses Gefühl, sie verfüge über einen beschränkten Untertanenverstand, würde sie ihrem Herrn Papa nicht mehr austreiben. Gott sei Dank bezog sich dieser Tadel nur auf kulinarische Gesichtspunkte.

„Ab und zu ließ ich euch gegenüber den verdeckten Hinweis fallen, dass ich mit 67 Jahren langsam daran denke, mich aus dem Arbeitsleben zurückzuziehen. Es wird Zeit, die Klinik in erfahrene Hände weiterzugeben“, äußerte ihr Vater mit Augen, die erkennen ließen, wie schwer es im fiel. „Das Leben schenkte mir immer viel Glück, dazu eine Tochter, auf die ich stolz sein kann. Nicht zuletzt mit Ihnen, Andreas, einen stellvertretenden Chefarzt, der mir inzwischen in der Führungs- und Leitungsposition absolut gleichgestellt ist. Deshalb überschreibe ich Erika in zwei Monaten die Klinikleitung, wenn ihr einverstanden seid.“

Ihr Vater kämpfte mit den Tränen.

Auch Erika musste alle Kraft zusammennehmen, um dieses innere Beben nicht nach außen dringen zu lassen. Sicherlich rechnen alle Thronfolger bzw. Nachfolger mit dieser Situation, aber sämtliche Planung und Vorbereitung endet in diesem Moment in einem leeren Raum. Man fühlt sich isoliert und überfordert.

„Hallo, seid ihr ansprechbar?“, rief Prof.

Dr. Reinhard Rott, „die Welt geht nicht unter, ihr beide fungiert als gleichwertige Ärzte. Dieses Aufgabengebiet erfordert alle Kraft und Zuverlässigkeit und keinen Gedanken an einen alten Mann, der sich in seinen wohlverdienten Ruhestand zurückziehen möchte. Thailand soll meine Heimat werden. Außerdem plane ich nach wie vor eine brandneue Herausforderung. Genaueres erzähle ich euch beim Dessert.“

An diesen Abend sollten sich Erika und Andreas noch lange erinnern.

Morphium wird in der Medizin als eines der stärksten Schmerzmittel eingesetzt. Die unerwünschten Nebenwirkungen bestehen unter anderem aus Zeitverlustempfinden. Deshalb wusste der Proband nicht mehr, wann dieser Albtraum seinen Anfang genommen hatte.

Günther bekam Morphin in Injektionslösungen verabreicht, da es nach der Abtrennung seines rechten Beines zu Amputationsneuromen kam.

Die Schmerzen geißelten den Körper.

Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?

Niemand!

Wenn er aber kommt, dann laufen wir davon!