Rückkehr durch die Hintertür - Epeli Hau’ofa - E-Book

Rückkehr durch die Hintertür E-Book

Epeli Hau'ofa

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Beschreibung

In Tonga gilt als miserabler Erzähler, wer seine Zuhörer nicht zum Lachen bringt. Lach- und Lügengeschichten über seine kleine Insel im Pazifik erzählt auch Epeli Hau’ofa. Hier gelten ganz andere Regeln als für den Rest der Welt. Die größte Tugend ist heiteres Nichtstun, das allerdings immer wieder durch penetrante Entwicklungshelfer gestört wird. Sie haben die Insel als ideales Terrain für Hilfsprojekte entdeckt, was allerhand lästige Betriebsamkeit verursacht. Doch bald entwickeln sich die Bewohner zu international hochgeschätzten Experten im Einreichen korrekter Gesuche und Empfangen von Hilfe. Epeli Hau’ofas geschliffene Satiren funkeln vor Spott und Selbstironie und gehören heute zum grundlegenden Lesestoff und Denkanstoß der pazifischen Welt.

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Seitenzahl: 180

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Über dieses Buch

Auf der kleinen Pazifikinsel Tiko, wo die größte Tugend heiteres Nichtstun ist, stören übereifrige Entwicklungshelfer die Ruhe der Bevölkerung. Epeli Hau’ofas geschliffene Satiren funkeln vor Spott und Selbstironie und gehören heute zum grundlegenden Lesestoff und Denkanstoß der pazifischen Welt.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Epeli Hau’ofa (1939–2009) studierte in Kanada und Australien Geschichte und Anthropologie. Er verfasste zahlreiche sozialwissenschaftliche Studien über seine Heimat Tonga und den Pazifik und war Privatsekretär des Königs von Tonga. 1997 gründete er das Oceania Centre for Arts and Culture.

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Johano Strasser (*1939) ist nach einem Studium der Philosophie und Politik seit 1983 als freier Schriftsteller tätig. Ab 1995 war er Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums Deutschland, von 2002 bis 2013 dessen Direktor.

Zur Webseite von Johano Strasser.

Irene Knauf arbeitete nach ihrem Studium der Germanistik und Anglistik einige Jahre als Lehrerin, bevor sie als Übersetzerin und Autorin tätig wurde.

Zur Webseite von Irene Knauf.

Ina Boesch (*1955) arbeitete viele Jahre beim Schweizer Radiosender DRS2 und als Kulturwissenschaftlerin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich. Für Entwicklungsorganisationen war sie im In- und Ausland tätig.

Zur Webseite von Ina Boesch.

Renate von Gizycki ist Ethnologin, studierte und promovierte in Göttingen und bereist den Südpazifik und Hawaii seit 1975 im Rahmen längerer Forschungsaufenthalte.

Zur Webseite von Renate von Gizycki.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Epeli Hau’ofa

Rückkehr durch die Hintertür

Aus dem Englischen von Ina Boesch, Renate von Gizycki, Irene Knauf und Johano Strasser Mit einem Nachwort von Ina Boesch

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.

Impressum

Englische Ausgaben erschienen 1983 unter dem Titel Tales of the Tikongs bei Longman Paul, New Zealand, und 1994 bei der University of Hawai’i Press.

Eine Teilausgabe dieser Erzählungen erschien 1988 bei tolling, Nürnberg.

Die Übersetzung dieses Werks wurde unterstützt durch die Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. (litprom) in Zusammenarbeit mit der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.

Originaltitel: Tales of the Tikongs (1983)

© by Epeli Hau’ofa 1983

© by Unionsverlag, Zürich 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Pam Debenham, Paradise Lost, 1995

Umschlaggestaltung: Heinz Unternährer

ISBN 978-3-293-30302-7

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Version vom 25.06.2024, 20:35h

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Inhaltsverzeichnis

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Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

RÜCKKEHR DURCH DIE HINTERTÜR

Der Siebte Tag und andere TageDer gewundene Weg zum HimmelAlter Wein in neuen SchläuchenDer Turm zu BabelDer Fortschritt eines PilgersDer Sünde SoldPfade zum RuhmRückkehr durch die HintertürDer große BockmistSelig sind die SanftmütigenBopeeps GlockenDer glorreiche pazifische WegBegegnung mit Epeli Hau’ofa (1998)Nachwort zur deutschen Erstausgabe

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Über Epeli Hau’ofa

Über Johano Strasser

Über Irene Knauf

Über Ina Boesch

Über Renate von Gizycki

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Der Siebte Tag und andere Tage

Als Gott in sechs Tagen das Universum schuf und am siebten ruhte, befand Er, dass es so gut sei und dass der Mensch seine Arbeits- und Ruhetage ebenso regeln solle. Abrahams Kinder befolgten die Regel, und so tun es die Christen auf der ganzen Welt – außer in dem kleinen Land Tiko, ungeachtet seiner strengen Gesetze zum Sonntagsgebot. Das heißt nicht, dass in Tiko sieben oder auch nur fünf Tage die Woche gearbeitet wird. Weit gefehlt. Um Tiko zu verstehen, muss man zuerst die Wege des Lieben Gottes kennen und sich dann das Gegenteil vorstellen. Während der Herr in eine Richtung geht, gefolgt von den Christen auf der ganzen Welt, schlägt Tiko die entgegengesetzte Richtung ein, und zwar ganz allein. Wenn also der Herr an sechs Tagen arbeitet und am siebten ruht, ruht Tiko an sechs Tagen und arbeitet am siebten.

»Und das ist die Wahrheit«, sagte Manu und nickte mit seinem schweren Kopf. »Da unsere Leute am Sonntag so hart arbeiten, müssen sie sich sechs Tage lang von den Strapazen erholen.«

»Das ist nicht wahr!«, rief der alte Priester. »Niemand arbeitet oder spielt am Sonntag, das ist gegen das Gesetz!«

Da er nicht mit einem starrköpfigen Achtzigjährigen streiten wollte, erzählte Manu dem Prediger von seinem bedeutenden Verwandten Sione Falesi.

Sione ist eine äußerst wichtige Person, die im Königreich hohe weltliche und religiöse Ämter bekleidet. Sione ist einen Meter achtzig groß, wiegt sicherlich seine dreihundert Pfund, und jedes Gramm an ihm verrät den großen polynesischen Aristokraten, wie Satusi, seine fünfundzwanzigjährige Frau, es auszudrücken pflegt. Tatsächlich ist Sione ein richtiger polynesischer Häuptling, ein praktizierender Christ und ein erklärter Sündiger, der jeden Sonntag in die Kirche geht, vor allem um Gott für seine vielen, vielen Fehler um Verzeihung zu bitten.

Siones Haus steht nicht allzu weit von der Kirche des Ortes entfernt, die eine riesige Glocke hat. Jeden Sonntagmorgen exakt um vier Uhr dreißig dröhnt die große Glocke. Ja, sie dröhnt, denn in Tiko läuten die Glocken nicht. Zudem dröhnt die Glocke von Siones Kirche genau zur selben Zeit wie Tausende anderer Glocken im Königreich, wo es viermal mehr Kirchen gibt als öffentliche Einrichtungen, selbst wenn man alle zusammenzählt.

Beim ersten Dröhnen rollt Sione von seiner Frau herunter und kracht auf den Boden, ist hellwach. Auch Satusi schreckt auf, fällt auf ihn drauf und ist ziemlich sauer wegen dieser Unterbrechung. Ihre sechzehn Kinder springen ebenfalls auf, allerdings geben sie keinen Mucks von sich, da sie sonst den Hintern versohlt bekämen. Alle Leute im Land springen zur selben Zeit auf wie Sione und seine Familie. Und die Glocken hören erst dann auf zu dröhnen, wenn alle in der Kirche sind. Es gibt keine andere Möglichkeit, die Glocken anzuhalten, was erklärt, warum annähernd hundert Prozent in die Kirche gehen. Alle gehen in die Kirche, alle außer Manu, der das einzige Paar Ohrstöpsel im Land besitzt. Und deshalb kann Manu durchschlafen.

So beginnt der Sonntag im kleinen Tiko, ein langer Tag. Alle zwei Stunden dröhnen die großen Glocken, und alle zwei Stunden gehen alle in die Kirche, außer Manu. Alle singen, alle beten, alle beichten; sitzend, stehend, kniend. Und während des ganzen Siebten Tags wird der Herr gelobt, wird dem Herrn geschmeichelt, wird der Herr um etwas gebeten. Doch vielleicht hört es der Herr gar nicht, weil es sein freier Tag ist.

Der letzte Akt der Frömmigkeit findet um zehn Uhr abends statt, wenn jede Familie zusammenkommt, um das Familiengebet herzusagen, bevor sie sich in ihre sechstägige Ruhe- und Erholungsphase zurückzieht.

Sione hat sechzehn Kinder, und keines ist an einem Sonntag geboren worden. Seine Frau ist wieder schwanger, und es ist ganz sicher, dass das Kind an jedem anderen Tag auf die Welt kommen wird als am Siebten Tag. Tatsächlich ist niemand im Königreich an einem Sonntag zwischen Sonnenaufgang und Mitternacht empfangen oder geboren worden, und zwar wegen der Glocken, die die Menschen in den Kirchen halten. Es ist unmöglich, am Siebten Tag irgendeine Sünde zu begehen. Kinder können nur an einem Sonntag geboren werden, wenn ihre Erzeuger an diesem Tag gesündigt haben, sagen die Ärzte vom staatlichen Krankenhaus. Doch niemand tut es, nicht einmal Sione, obwohl er eine äußerst wichtige Person ist.

»Der Siebte Tag ist der Tag des Herrn, jeder andere Tag gehört dem Teufel«, erklärte Manu. Und der Teufel tut, wie die Sonntagsschullehrer predigen, nichts anderes, als die Menschen in Versuchung zu führen. Deshalb sind die sechs Tage, die dem Versucher gehören, nicht nur eine Phase der Ruhe und Erholung, sondern auch der Verführung und vielen, vielen Sünde.

Ungeachtet ihrer Frömmelei und der scheinheiligen Beteuerungen, würden Sione und seine Freunde es nicht anders haben wollen. So hat Sione dank der Ruhe und des ach so sündigen Lebens während der sechs auf den Siebten folgenden Tage sechzehn Kinder gezeugt, und es sollten noch mehr kommen. Sione ist fest davon überzeugt, dass er mit einer großen Familie dem Allmächtigen einen hübschen Gefallen tut. Sagte Gott nicht zu Abraham, er solle so viele Kinder zeugen wie Sandkörner auf der Erde oder Sterne am Firmament? So war es, sagte Sione, und es gibt noch nicht einmal so viele Menschen in Tiko wie Sandkörner in einer Hand.

So kann Sione nicht anders, als sich gegen die Vereinigung für Familienplanung (VFP) und das, was sie repräsentiert, zu stellen. Als die Vereinigung über die Bevölkerungsexplosion sprach, gab Sione scharf zurück, dass es auf Tiko keine Explosionen gäbe außer denjenigen, die von den Hintern der VFP-Mitglieder losgehen würden. Als die Vereinigung den Gedanken äußerte, dass die Menschen sich weniger fortpflanzten, wenn sie weniger ruhten, entgegnete Sione, dass Ruhe und Fortpflanzung ein Geschenk Gottes an den Menschen seien und deshalb die VFP nichts angehe. Als die Vereinigung den Klerus anflehte, die sonntägliche Bürde zu erleichtern, sodass die Menschen an den übrigen Tagen zu Hause nicht so viel Zeit mit Ausruhen verbrächten, wollte der Klerus den Vorschlag nicht unterstützen, sondern erklärte: Erst wenn alle seine Schäfchen in den Himmel kämen, ruhten sie auch sonntags. An den anderen Tagen dürften sie ruhen, soviel sie wollten. Und das tun sie auch: zu Hause, im Busch, auf Stühlen, überall.

Sione beispielsweise fährt von Montag bis Freitag jeden Morgen in sein Büro, um auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch zu faulenzen. Um drei Uhr nachmittags eilt er dann nach Hause, um den Rest des Tages auf seiner Frau zu verbringen.

All dies ist der staatlichen Einrichtung nicht gerade förderlich, sagte der weise Mann von der Denkbehörde. Diese weisen Männer stellten einst einen Übersee-Experten ein, der prüfen sollte, ob die Möglichkeit bestünde, dass die Tikongs auch am Werktag arbeiten. Der Experte, ein gewisser Mr Merv Dolittle von der Abteilung der Angelegenheiten für Ureinwohner, Canberra, Australien, interviewte ein halbes Dutzend VIPs, unter ihnen Sione Falesi. Mr Dolittle kam eine Stunde früher als vereinbart in Siones Büro, wo er ihn mit seiner Sekretärin Ana Taipe beim Kartenspiel antraf. »Bitte, kommen Sie herein, kommen Sie herein, Mr Dolittle. Sie kommen etwas zu früh, nicht wahr?« Sione begrüßte seinen Gast ohne einen Anflug von Verlegenheit. »Möchten Sie mit uns spielen? Nicht? Wie schade. Dann nehmen Sie Platz. Wir halten nur gerade unsere Teepause ab.«

»Teepause?«, fragte Mr Dolittle und schaute auf seine Uhr. Es war neun. Seine Augen suchten das Büro nach Teetassen ab.

»Sie werden nichts finden, Mr Dolittle. Wir haben kein Geld für Tee, weshalb wir die für eine Teepause vorgesehene Zeit mit Kartenspielen totschlagen. Wenn man nichts zum Beißen hat, kann man geradeso gut mit den Fingern herumfummeln, das ist jedenfalls meine Meinung. Ana, wisch den Tisch ab und nimm die Karten mit. Braves Mädchen. Wir werden in der Mittagspause das Spiel wieder aufnehmen.«

Die Sekretärin verließ das Büro, und Sione wandte sich dem Experten zu. »Nettes Mädchen. Sie ist die raffinierteste Kartenspielerin in Tiko. Deshalb habe ich sie angestellt. Sie taugt sonst nicht viel. Die guten Sekretärinnen sind in Neuseeland.«

»Was macht Ana?«

»Verschiedenes, Mr Dolittle. Sie und ich spielen jeweils in den Pausen am Morgen und am Mittag Karten. Oft kommen wir richtig in Fahrt und spielen dann einfach weiter. Was sind schon zwei Stunden?«

»Was macht sie sonst noch?«

»Verschiedenes, wie ich bereits sagte«, erwiderte Sione und zerbrach sich den Kopf über Anas positive Eigenschaften. »Sie ist eine verdammt gute Masseuse. Ich habe einen Bandscheibenvorfall, wie Sie sehen, und sie bearbeitet ihn seit fünf Jahren. Und das täglich. Sie ist klasse, Sie müssen sie eines Tages ausprobieren.«

»Haben Sie an Ihrer Arbeit schwer zu tragen, Mr Falesi?«

»O ja, sehr. Sie sollten mich am Sonntag sehen, wenn ich achtzehn Stunden durchgehend für Gott arbeite. Das Leben ist eine Last, eine enorme Last«, seufzte Sione schwer. »Aber man muss das Seine beitragen für den Allmächtigen. Er war sehr gut zu Tiko, man kann es überall feststellen …«

»Wie steht es mit den anderen Tagen?«, unterbrach ihn Mr Dolittle.

»Wie bitte? O ja, die anderen Tage, selbstverständlich. Nun, sehen Sie, Mr Dolittle …« Sione hielt inne, als ob ihm plötzlich etwas in den Sinn gekommen wäre. Dann überzog ein großes Grinsen sein Gesicht. »Unglaublich!«, stieß er hervor. »Wie wäre es damit?«

»Wie wäre es womit?«

»Ihr Name. Dolittle. Er ist so schön. Du lieber Himmel, Sie müssen einer von uns sein! Ana! Ana! Bring die Karten zurück!«

»Ich muss schon sagen, niemals in meinem ganzen Leben habe ich …« Mr Dolittle begann, Einwände zu erheben, dann aber besann er sich eines Besseren, erhob sich, entschuldigte sich und machte sich schnell aus dem Staub. Der Vorfall genügte vollends, um das Wesen des Problems zu erfassen. Mr Dolittle beendete seine Mission noch am selben Tag, lud zu einer Pressekonferenz ein und erklärte, dass diese ganzen Einheimischen genau wie die australischen Ureinwohner ein enormes, unausgeschöpftes Arbeitspotenzial hätten; allerdings müsste die Regierung Seiner Exzellenz zuerst die protestantische Ethik importieren, zwei kleine Wörter, die bis dahin im Reich unbekannt waren, obwohl die meisten Tikongs Protestanten sind. Als Radio AP2U die vollständige Bedeutung der erwähnten Ethik erklärte, stellte sich die gesamte Bevölkerung plötzlich taub.

»Und Taubheit kommt von zu viel Ruhe«, erklärte Manu.

Wenn man zu viel ruht, wachsen einem zu viele Haare in den Ohren, die jedes Geräusch unterdrücken, nicht aber den süßen Ton des Schmeichelns. Deshalb sind die einfachen Leute, also die große Mehrheit der Tikongs, die geschicktesten Schmeichler im ganzen Pazifik: Sie haben viel Zeit damit verbracht. Und für die vielen wichtigen Personen, für die sogenannten Sesselkleber, weisen Männer, traumatisierten Experten, verschlagenen Händler und die zu ihnen passenden Schwarzröcke, ist die Schmeichlerei süßer als Speiseeis.

Einer dieser Sesselkleber ist selbstverständlich Manus gigantischer Verwandter Sione, Racheengel der Vereinigung für Familienplanung und Vater von sechzehn Kindern. An einem Montagmorgen saß Sione hinter dem Schreibtisch seines Büros. Die Tischplatte war blitzblank, und auf ihr lag nichts außer einer Ausgabe von »Penthouse«, die auf einer amerikanischen Jacht vor Tiko konfisziert worden war.

Siones Entwicklungshelfer, dem er all seine Arbeit übergeben hatte, betrat an diesem schönen Montagmorgen das Büro und gab bekannt, dass seine Organisation am Rande des Bankrotts stehe. Sione saß reglos da und starrte aus dem Fenster, nicht ein einziger Muskel bewegte sich. Er hörte nichts, er sah nichts; er war ganz in sich versunken wie immer an dem Tag, der dem Siebten Tag folgte.

Dennoch konnte der Entwicklungshelfer beobachten, dass sich die langen Haare, die aus Siones Ohren ragten, aufstellten, sobald er seinen Mund öffnete, und so die Ohrlöcher ähnlich gut verstopften wie Manus Ohrstöpsel. Der Berater gab einige Gemeinplätze von sich, ging angewidert hinaus, irrte umher, um sich schließlich zusammengesackt über dem Tresen des Tikoklubs wiederzufinden, so wie immer.

Unmittelbar danach schlich Lea Fakahekeheke, der unterbezahlte Putzmann, ins Büro, pflanzte sich hinter Sione auf und flüsterte in sein Ohr: »Höchst respektierter Herr, die neuseeländische Delegation für Entwicklungshilfe, die letzten Freitag hier war, sagte mir, dass Sie der weiseste und hübscheste Mann der Welt seien.«

Noch bevor Lea seine Lippen bewegte, entwirrten sich die Haare in Siones Ohren, so, als ob sie wüssten, was sie da zu hören bekommen würden, und leiteten die honigsüßen Worte schnell in sein Hirn weiter. Plötzlich floss das Leben wieder in ihn zurück, er begann zu strahlen, jauchzte und umarmte Lea.

Dann öffnete er den Safe der Agentur, nahm zwei Fünf-Dollar-Scheine heraus, drückte sie in Leas halb widerstrebende Hände und befahl ihm, den Tag freizunehmen. Lea glitt überaus zufrieden davon. Fünfzehn Jahre lang und noch ein wenig länger ging Lea jede zweite Woche ins Büro, flüsterte hübsche Dinge in Siones Ohren, und der große Mann versäumte es nie, ihn regelmäßig mit mindestens zehn Dollar zu belohnen, was um einiges mehr war, als was er sonst in zwei Wochen verdiente.

»Und wer regiert wen in Tiko?«, fragte Manu, ohne auch nur im Entferntesten eine Antwort zu erwarten.

Übersetzt von Ina Boesch

Der gewundene Weg zum Himmel

Religion und Erziehung zerstören die ursprüngliche Weisheit«, steht in schreienden Lettern auf der Rückseite von Manus Hemd. »Zu viel Fremdeinfluss«, steht auf der Vorderseite desselben Kleidungsstücks. Der Träger dieses Hemdes ist eine der bekanntesten Persönlichkeiten in Tiko; zwar ist Seine Exzellenz die berühmteste, aber Manu kommt gleich danach auf Platz zwei. So, wie die Dinge liegen, ist Manu der einzige Künder großer Wahrheiten im Königreich. Damit soll nicht gesagt sein, dass unser Land ein Volk von Lügnern beherbergt, wie einige uninformierte Fremde zu glauben scheinen. Weit gefehlt. Die Wahrheit kommt in Portionen zum Vorschein, in großen und kleinen, aber nie als ganze. Wie unsere Vorfahren sind wir geübte Künder von Halbwahrheiten, Viertelwahrheiten und Ein-Prozent-Wahrheiten. Als Tevita Alanoa seines Nachbarn Schwein stahl und, nachdem er erwischt worden war, unter Protest vorbrachte, dass er nur ein Bein gegessen habe, da sagte er eine Viertelwahrheit. Und als er behauptete, dass sein geschädigter Nachbar der Bruder seiner Mutter und er, Tevita, daher nicht eigentlich ein Dieb sei, da sagte er eine Halbwahrheit. Und als er dann abgeführt wurde und sagte, dass er Schweine des Bruders seiner Mutter nehmen dürfe, ohne zu fragen, und von seinem Onkel daraufhin einen Schlag auf die Nase erhielt, da sagte Tevita eine Ein-Prozent-Wahrheit.

Mit Halb- und Viertelwahrheiten kann man ganz gut über die Runden kommen, und in der Tat schlagen die meisten Menschen sich auf diese Weise fröhlich durchs Leben; aber es ist nicht so einfach, mit einer Ein-Prozent-Wahrheit ungeschoren davonzukommen, wie Tevita mit blutverschmierter Nase feststellte. Schon das Verkünden einer Ein-Prozent-Wahrheit selbst erfordert ein gerüttelt Maß an Scharfsinn, wie man es nur erwirbt, wenn man sechs Jahre moderner Erziehung an einem kirchlichen College hinter sich gebracht hat.

Nehmen wir den Fall von Inoke Nimavave, der einen Scheck über hundert Dollar fälschte und einlöste. Vor Gericht argumentierte Inoke, nachdem er auf die Bibel vereidigt worden war, dass an allem der schielende Kassierer in der Bank von Tiko schuld sei. Gemäß seiner Verteidigung hatte der sehbehinderte Angestellte auf dem Scheck 100 Dollar gelesen statt, wie es richtig gewesen wäre, 1,00 Dollar; eine kleine Summe, die Inoke benötigte, um das Taxi zum Krankenhaus zu bezahlen, wo er seine sterbende Mutter besuchen wollte. Und warum er die neunundneunzig Komma null, null Dollar dem Angestellten der Bank von Tiko nicht zurückgegeben hätte, fragte der Richter. Inoke weinte und antwortete mit einer Frage, die so formuliert war, dass sie an jenem warmen, warmen Oktobermorgen allen im Gerichtssaal das Herz zerriss. Wie, so gab er zu bedenken, hätte er an Geld denken können, da doch alle seine Gedanken bei seiner armen Mama waren, die sich auf dem Weg zum Himmel befand? Ja, in der Tat, wie hätte er; und die Engel weinten, und der Richter weinte und verurteilte Inoke zu sechs Monaten Haft mit Zwangsarbeit. Der arme Inoke! Seine Mitgefangenen nannten ihn Null-Null, was höchst irreführend war, denn er war ein brillanter Rechner und einer der besten Absolventen des Potopoto College.

Wenn es schon schwierig ist, eine Ein-Prozent-Wahrheit zu verkünden, dann ist das Verkünden von Wahrheiten unter einem Prozent Lügen, und das ist fast unmöglich. Aus diesem Grund gibt es in Tiko kaum Lügner; sie können leicht am Geruch ausgemacht werden; und jedermann nennt sie »loi’elo«, was so viel heißt wie »stinkende Lügner«. Und da unser Volk schlechten Geruch hasst, besonders wenn er aus dem Munde kommt, lügen die Menschen hier selten.