Russische Frauen - Olga Kaminer - E-Book

Russische Frauen E-Book

Olga Kaminer

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Beschreibung

"Was wissen die Westeuropäer über die Frauen aus Osteuropa? Was wissen sie über die russischen Frauen? Dass diese laut sind, sich grell schminken und nuttig anziehen, Schuhe mit sehr hohen Absätzen tragen und in Gold gefasste dicke Klunker lieben. Kurzum, sie wissen gar nichts." Von Olga Kaminer kann Frau lernen, dass man Mutter und Diva, Kriegerin und Gefährtin zugleich sein kann, Wladimir Kaminer verrät im Vorwort, was er vom Konzept der RF und dessen Verkörperungen hält. Olga Kaminer stellt schillernde Frauengestalten aus der russischen Geschichte vor, die ihren Mann gestanden und dabei oft auch noch gut ausgesehen haben, darunter Katharina die Große, Lilja Brik und Elsa Triolet, Gala Éluard Dalí sowie diverse Sowjet-Ikonen wie die Feministin Alexandra Kollontai und die Flugpionierin Marina Raskowa. Kaminer beschreibt die russische Frau wie eine "Marke", deshalb auch die logofähige Abkürzung "RF". Wer wissen möchte, ob eine RF "echt" ist, muss nur prüfen, ob die besagte Frau bedingte Selbstaufgabe mit unbedingter ästhetischer Selbsterhaltung vereinen kann. Olga Kaminer erzählt gewohnt selbstironisch aus der Perspektive einer echten RF. Die geschichtliche Aufklärung über die verschwiegene historische Bedeutung von Frauen in Russland und anderswo bekommt der Leser ganz unangestrengt nebenbei vermittelt.

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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Ähnliche


Olga Kaminer

RF

Russische Frauen

Inhalt

Cover

Titelseite

Inhalt

Vorwort von Wladimir Kaminer

Einleitung: Russische Frauen

Wo ist die Schwan hingeflogen?

Staatsgründerin: Lybid von Kiew

Potentatin: Fürstin Olga von Kiew

Reformerin: Anna von Kiew

Feministin: Adelheid von Kiew

Ein seltsamer Mix

Die RF

Erscheinungsbild

Make-up

Frisur

Nägel

Parfüm

Mode

Pelz

Schuhe

Unterwäsche

Schmuck

Exkurs: Ästhetische Ethik

Designertüte

Autos

Haustiere

Prominente

Rauchen

Baden

Pantoffeln

Sport

Diät

Kochen

Zerstreuung

Aberglaube

Innenleben

Beste Freundin

Männer

Ehe

Eifersucht

Wesen

Tätige Liebe: Jekaterina II.

Mannhafte Weiblichkeit: Nadeschda Durowa

Selbstaufopferung: Die Dekabristinnen

Revolutionsgeist: Alexandra Kollontai

Tatkraft: Marija Pawlowna Romanowa

Kampfkraft: Gulia Korolewa

Heldenmut: Marina Raskowa

Abenteuerlust: Jekaterina Desnizkaja

Die RF als Muse

Avantgardemusen: Elsa und Lilja Kagan

Schachmuse: Olga Capablanca

Übermuse: Gala

Aussichten

Danksagung der Autorin

Über die Autorin

Bibliografie

Links

Impressum

Vorwort von Wladimir Kaminer

Meine Frau hat die ganze Zeit mit ihren russischen Frauen angegeben, als wären sie eine Kaste, als würden diese Frauen irgendwie anders sein, sich vom Rest der Welt unterscheiden.

Ihr Äußeres ist besonders gepflegt, ihr Inneres widersprüchlich. Oft tun sie nichts, sie schlafen gern bis Nachmittag, doch wenn sie aufstehen, sind ihrem Lebensgestaltungswillen keine Grenzen gesetzt. Olga bestand darauf: Diese „russischen Frauen“ seien nicht an ihrer Nationalität festzumachen, es müssten nicht unbedingt Russinnen sein, jede Frau, egal woher, könnte als „russische Frau“ durchgehen. In manchen Zeiten passiert es, dass die meisten aus Amerika kommen, umgekehrt seien nicht viele Frauen Russlands dieses Namens würdig. So wie Olga davon erzählt, haben diese Frauen oft übermenschliche Qualitäten, Eigenschaften, die nicht zusammen passen. So können sie schwach und zärtlich sein, gleichzeitig aber die Welt retten, sie können kleine gemütliche Nester bauen und gleichzeitig große Militäreinheiten befehlen, Liebesgedichte schreiben und wilde Pferde reiten. Sie können auf der Suche nach ihrem Freund dreimal um die Welt joggen – ohne ihre Stöckelschuhe auszuziehen. Vor allem aber warten diese klugen Frauen nicht, bis der Richtige kommt, sondern bauen sich an Ort und Stelle aus dem vorhandenen Material einen Richtigen zurecht. Die Erfahrung sagt, man kann mit Lust und Liebe aus jedem Mist einen Prinzen machen.

Außerdem ziehen sie ihre Kinder ohne erzieherische Konzepte groß, ohne ihnen den Lebensweg zu weisen und Ratschläge oder Anweisungen zu geben – nur mit Liebe, Verständnis und unendlicher Geduld. In der Regel schaffen sie das auch viel besser als jeder professionelle Erzieher.

Eine Pflanze muss bloß begossen werden, am besten regelmäßig, damit sie Früchte bringt. Das Gleiche gilt auch für Prinzen. Die russischen Frauen sorgen sich, dass ihre Mitmenschen erfolgreich und glücklich sind, sie selbst bleiben im Schatten. Sie sind ziemlich unsportlich, würden nie einen Berg besteigen, interessieren sich nicht für Politik, haben keine Ahnung von Wissenschaft. Die Männer solcher Frauen werden aber oft große Politiker, berühmte Sportler oder Nobelpreisträger. Dafür bekommen sie zu Hause Liebe, Geduld und Zuneigung serviert. So ungefähr habe ich das Buch meiner Frau verstanden. Wenn diese Beschreibung stimmt, dann muss ich zugeben, hatte ich die ganze Zeit nur mit russischen Frauen zu tun.

Mit sechs Jahren hat mich das gleichaltrige Mädchen Mascha aus Liebe in den Busch geschubst, um zu sehen, ob ich vielleicht eine Heulsuse bin. Die Narbe auf meinem linken Knie erinnert mich noch heute an diesen Vorfall. Mascha war von mir enttäuscht und hat sich später, in der zehnten Klasse, sehr ernst in einen Jungen aus unserer Schule verliebt, der vier Jahre jünger als sie war. Wegen ihres Altersunterschieds lachte die ganze Schule die beiden aus. Sie wollten zusammen durchbrennen, Mascha erklärte ihrer Liebe, was er auf die lange Reise mitnehmen sollte. Die Eltern des kleinen Jungen konnten jedoch die Absichten des Liebespaares rechtzeitig aufdecken, sie beschwerten sich bei Maschas Eltern. Diese schlossen Mascha in ihrem Zimmer ein, sie durfte die Wohnung nicht mehr verlassen. Mascha machte es den Musketieren nach, sie band mehrere Bettlaken zusammen und kletterte aus dem vierten Stock vom Balkon runter. Leider war ihr Junge eine noch schlimmere Heulsuse als ich, er verriet sie an die Eltern, ein gemütliches Leben mit seiner Mama zog er dem Abenteuer mit einer echten russischen Frau vor. Später spielte Mascha in einer Punkband Bass, die Band hieß Nacht vor Weihnachten, ein großes Versprechen steckte in diesem Namen. Laut dem russischen Volksglauben können in der Nacht vor Weihnachten wundersame Dinge geschehen, jeder Zauber kann wahr werden und einfache Menschen können an den Sternen ihre Zukunft ablesen. Mascha pflegte ihr Hexen-Image nicht nur auf der Bühne, auf der Schwelle des Erfolgs heiratete sie einen Holländer und verließ das Land. Sehr oft nämlich werden russische Frauen zu einer begehrten Exportware, viele von ihnen sind ins Ausland gegangen. Seitdem lernte ich eine Menge russische Frauen kennen. Ich lernte welche kennen, die ganzkörperparfümiert auf hohen Absätzen in den Wald zu den wilden Tieren gingen – nur um ihrem Mann, der ein leidenschaftlicher Jäger war, zu Gefallen zu sein. Ich habe russische Frauen kennengelernt, die mit der Waffe in der Hand ihre Männer gegen Banditen verteidigten, oder die für ihre Männer schwer arbeiten gingen, damit diese Männer Zeit hatten, sich künstlerisch zu entfalten. Dabei gehen echte russische Frauen nie arbeiten – ohne einen triftigen Grund. Ich kannte auch mal welche, die Drogen nehmen mussten, um die Welt ihrer Kinder besser zu verstehen. Es gibt nichts auf der Welt, was eine russische Frau nicht tun würde, um Menschen, die sie liebt, zu helfen.

Gleichzeitig ist sie oft egoistisch, schläft bis halb zwölf und hat am frühen Vormittag überhaupt keine Lust zu reden. Ich kenne das von meiner eigenen Frau. Sie habe ich in Berlin kennengelernt, wir zogen zusammen und sieh an, was sie in den einigen Jahren vollbracht hat. Aus mir, der hoffnungslos im Dickicht des Theaterlebens verlaufen war und von einer künstlerischen Offerte in die nächste torkelte, machte sie einen erfolgreichen Schriftsteller. Sie hat eine Tochter gemacht, die bereits mit zehn Jahren hundert Gedichte auswendig kann und mit vierzehn aus Die Brüder Karamasow zitiert. Später hat sie einen Sohn auf die Welt gebracht, der bereits in der Grundschule zu einem Kung-Fu-Kämpfer und geschickten Schwarzweiß-Fotografen heranreifte. Sie hat drei Katzen, fünf Bäume und eine Unzahl von Pflanzen hochgezogen. Das geht ihr leicht von der Hand, denn sie kennt das richtige Rezept. Man muss immer rechtzeitig gießen.

Einleitung: Russische Frauen

Was wissen die Westeuropäer über die Frauen aus Osteuropa? Was wissen sie über die russischen Frauen?

Dass diese laut sind, sich grell schminken und nuttig anziehen, Schuhe mit sehr hohen Absätzen tragen und in Gold gefasste dicke Klunker lieben. Kurzum, sie wissen gar nichts. Alles Klischees und Vorurteile, zufällig Aufgeschnapptes und Erlebnisse aus zweiter Hand.

„Die russischen Frauen sind Halbwilde, die melodisch im Chor singen und auf primitive Tänze stehen“ vertraute im 16. Jahrhundert ein deutscher Apotheker seinem Tagebuch an. Nicht weniger bizarr wurde das Bild der deutschen Frau in Russland konstruiert. Im 18. Jahrhundert beobachtete der russische Schriftsteller Denis Iwanowitsch Fonwisin1, während er durch Deutschland reiste, wie eine Mutter mit roten Haaren ihren lauthals kreischenden Sohn mit einem Schlag auf den Hintern zur Ordnung rief und dabei „Ruhe!“ schrie. Daraufhin schrieb Fonwisin in seinen Reisenotizen: „Deutsche Frauen färben sich gerne die Haare und schlagen ihre Kinder. Nichts ist ihnen wichtiger als die Ruhe, sie schreien danach.“ Diese Bemerkung, die später in einem Buch des Schriftstellers veröffentlicht wurde, prägte lange Zeit das russische Bild von der deutschen Frau.

Überall auf der Welt fallen Frauen dümmlichen Klischees zum Opfer. Niemand macht sich die Mühe, herauszufinden, wie sie wirklich sind.

Wo ist die Schwan hingeflogen?

Das Verschweigen und Herunterspielen der geschichtlichen Bedeutung von Frauen ist kein speziell russisches Phänomen, doch hat man es in Russland besonders gründlich betrieben. Das hat mit dem tradierten russischen Frauenbild zu tun.

Von einer russischen Frau wurde früher völlige Selbstaufgabe erwartet. Als Person konnte sie sich nur in der Liebe zu ihrem Mann und in der Treue zu ihrer Familie verwirklichen. Die gesellschaftlich vorbestimmte Aufgabe einer Frau bestand im Selbstopfer zugunsten ihrer Nächsten.

Bereits hier erkennt man, dass in Russland die Taten von Männern und Frauen mit zweierlei Maß gemessen wurden. Was bei den Männern als Heldentat galt, mit einem Denkmal honoriert wurde und in die Geschichtsbücher einging: das Selbstopfer – bei den Frauen wurde es als Selbstverständlichkeit angesehen.

Im Grunde genommen ist die gesamte russische Geschichte eine Geschichte der Leugnung und Verharmlosung von Frauentaten, denn hinter jedem Zaren, jedem Fürst und jedem Hünen mit dicken Muskeln, scharfem Schwert und langem Speer verbarg sich eine kluge Weggefährtin, welche die Fäden zog. Für diese verheimlichte Macht der Frauen gibt es Beispiele ohne Ende.

Staatsgründerin: Lybid von Kiew

So kann man in jedem russischen Geschichtsbuch nachlesen, wer die Gründer des so genannten Ur-Russlands, der Kiewer Rus2 waren: die Brüder Kyj, Schtschek, Choriw und ihre Schwester Lybid, zu deutsch: Schwan. Zusammen gründeten die Geschwister drei Städtchen, welche die Namen der Brüder bekamen.

Die Schwester Schwan hingegen verschwand schon im zweiten Satz spurlos aus der Geschichte – so als wäre sie nie dabei gewesen. Angeblich soll sie gleich nach der Gründung der Rus in einem Kiewer Fluss ertrunken sein. Einer anderen Legende zufolge hat sie sich in eben diesen Fluss, die Lybid, verwandelt, um die Fruchtbarkeit der Region zu steigern. Einer dritten Legende nach war die Schwester Schwan von Anfang an überhaupt keine Frau, sondern besagter Fluss. Ich persönlich glaube, dass die Brüder ihre Schwester einfach über Bord geworfen und deren Mitwirkung bei der Gründung dann später verschwiegen haben.

Den männlichen Gründern der Kiewer Rus hat man ein Denkmal gesetzt, es steht mitten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew und sieht aus wie ein großes Boot. Im Boot sitzen die Brüder Kyj, Schtschek, Choriw, ihre Schwester Schwan ist als Galionsfigur am Bug des Schiffes verewigt.

Lybid, mit im Schiff, aber nicht mit an Bord

Das Denkmal ist eine beliebte Pilgerstätte für Hochzeitsgesellschaften. Die Bräutigame werfen den drei Brüdern Blumensträuße ins Boot. Obwohl das Boot etwas hoch angebracht wurde, ist dies eigentlich nicht besonders schwierig. Die meisten Bräutigame sind aber sehr betrunken und verfehlen deshalb ihr Ziel, während die Bräute, welche nichts werfen dürfen, ihnen untätig zur Seite stehen.

Potentatin: Fürstin Olga von Kiew

Einer der ersten Herrscher der Kiewer Rus, der legendäre Fürst Igor3, wurde bei einer Auseinandersetzung mit tatarischen Nomadenstämmen getötet. Seine Witwe, die Fürstin Olga4, übernahm den Thron und rächte ihren Mann, indem sie einen Gesandten der Tataren samt Eskorte lebendig in ihrer Sauna verbrennen ließ.

Olgas Sauna-Rache

In den zehn Jahren ihrer Herrschaft ließ Fürstin Olga die erste Volkszählung der russischen Geschichte durchführen, unmissverständlich die Landesgrenzen markieren und ein fortschrittliches Steuermodell einführen. Sie gewann zwei große Schlachten und nahm diplomatische Beziehungen zu entfernten Staaten auf.

In die russische Geschichte eingegangen ist sie aber nicht als große Herrscherin, sondern einzig und allein als beleidigte Witwe und dreiste Rächerin Igors.

Reformerin: Anna von Kiew

Ein Enkel Olgas, Jaroslaw der Weise5, verheiratete seine Tochter Anna6 mit dem französischen König Heinrich I.7, woraufhin diese russische Schönheit, ohne je offiziell an der Macht gewesen zu sein, Frankreich reformierte:

Anna von Kiew

Königin Annas weise Ratschläge wurden zunächst von ihrem Mann und später von ihren drei Söhnen in die Tat umgesetzt. Ihr ältester Sohn herrschte achtundvierzig Jahre lang über Frankreich – Rekord!

Nach dem Tod Heinrichs I. zog sich Anna in ein Kloster zurück, um ihren Gatten zu betrauern, doch wurde sie von dort vom Grafen von Valois, Amiens, Vexin und Crépy8 entführt. Der pietätlose Graf zwang Anna mit Gewalt, seine Frau zu werden, – nicht der einzige Grund, warum diese Ehe unter keinem guten Stern stand. Vor allem war der Graf bereits verheiratet und wurde deshalb wegen Bigamie aus der Kirche ausgeschlossen.

Feministin: Adelheid von Kiew

Als Nichte Annas und Enkelin Jaroslaws des Weisen wurde Adelheid von Kiew9 mit dem deutschen König Heinrich IV.10 verheiratet.

In deutschen und russischen Chroniken gleichermaßen wird Königin Anna als „Schlampe“ beschimpft, nur weil sie es sich erlaubte, eine eigene politische Meinung zu haben: Im Machtkampf zwischen ihrem Mann und dessen Sohn aus erster Ehe stellte sie sich auf die Seite ihres Stiefsohnes und beschwerte sich beim Papst über die Dummheit und Herzlosigkeit ihres Mannes – zurecht, wie man in Rom fand.

Dessen ungeachtet wurde sie sowohl von der Russisch-Orthodoxen Kirche als auch vom deutschen Adel scharf angegriffen. Eine anständige Ehefrau, so die vorherrschende Meinung damals, würde ihren Ehemann niemals beim Papst verpfeifen.

Ein seltsamer Mix

Während der dreihundertjährigen Herrschaft der Tataren11 sperrten die russischen Männer ihre Frauen weg, um sie vor den asiatischen Wüstlingen zu schützen, wobei sie deren Traditionen und Bräuche vielfach stillschweigend übernahmen: Eine Frau durfte jetzt nicht mehr allein aus dem Haus gehen, nicht mit Fremden reden, ihr Gesicht nicht zeigen und war dazu verpflichtet, ständig eine groteske Kopfbedeckung zu tragen, unter der ihre langen Haare fremden Blicken entzogen waren. Diese mit Gold und Edelsteinen geschmückten Hauben wogen so schwer, dass die Trägerin bereits nach zehnminütigem Tragen Kopfschmerzen bekam. Zu Hause wurden die Frauen wie Puppen geschminkt und wie Tannenbäume mit Schmuck behängt.

Frau als Dekorationsobjekt (historisierende Fotografie, 19. Jh.)

Nicht nur die Sitten, auch der Geschmack der Russen wurde stark von den Nomaden beeinflusst. Speisen schätzte man süß und fett, Frauen üppig und rosig.

Nach dem Ende der mongolisch-tatarischen Herrschaft zogen sich die Nomaden in die innerasiatischen Steppen zurück, ihre Bräuche aber blieben. Die Frauen wurden weiterhin vor der Öffentlichkeit verborgen, weil man in Form einer neuen Gesellschaftsordnung aus der Not der Besatzungszeit eine Tugend gemacht hatte.

Nach damaligem Recht durften sowohl verheiratete Frauen als auch Männer von der Kirche die Scheidung erbitten. Trotzdem wurden hundert Prozent aller Scheidungen von Männern angestrengt, wobei der am häufigsten genannte Grund „Untreue“ hieß. In diesem Fall wurde die Frau ehrlos und erniedrigt zu ihren Eltern zurückgeschickt, ohne jede Chance, eine neue Ehe eingehen zu können.

Beim Beichten in der Kirche bekamen die Gläubigen von den Popen geschlechtsspezifische Standardfragen gestellt. Die Männer fragte man, ob sie der Reichtum ihres Nachbarn neidisch mache und sie deshalb womöglich schwarze Gedanken im Herzen trügen. Die Frauen fragte man direkt, ob sie sich vorstellen könnten, ihren Mann umzubringen.

In der damaligen Gesellschaft war es für eine Frau tatsächlich leichter, einen unliebsamen Ehemann ins Jenseits zu befördern als sich von diesem scheiden zu lassen. Nicht wenige Frauen wählten deshalb den einfacheren Weg. Gattenmörderinnen wurden an öffentlichen Orten bis zum Hals eingegraben – nur ihre Köpfe ragten noch aus der Erde. Man gab ihnen nichts zu trinken und so starben diese Frauen eines langsamen und qualvollen Todes.

Im Falle von familiären Schwierigkeiten half den Frauen weder Pope, Richter noch Zar. Aus diesem Grund nahmen viele Frauen Zuflucht zu volkstümlicher Magie. Für jedes weibliche Problem, sei es ein gewalttätiger Ehemann, eine unerwiderte Liebe oder eine gefährliche Rivalin, gab es das passende Ritual. Anders als Kirche und Staat versprach die Magie auch den Schutzlosen Schutz und den Hilflosen Hilfe. Natürlich war die Lage nicht für alle russischen Frauen gleich düster, es gab auch damals schon den einen oder anderen anständigen Ehemann, den man nicht gleich um die Ecke bringen wollte.

Außerhalb der Familie genossen die Frauen einige Rechte: Sie durften in beschränktem Rahmen berufstätig sein und Geschäfte machen. Es war ihnen gestattet Kneipen zu betreiben, Geldkredite zu geben, zu säen und zu ernten. Ihren größten, allerdings inoffiziellen Einfluss hatten die russischen Frauen bei beiden Geschlechtern und durch sämtliche Gesellschaftsschichten hindurch als Ratgeberinnen in allen Lebenslagen.

Die RF

Die auch nach Abzug der Tataren weiterbestehende Symbiose aus asiatischer Nomaden- und christlicher Sesshaftenkultur in Russland hat ein ganz besonderes Frauenmodell hervorgebracht, welches einem auch heute noch häufig begegnet: die russische Frau, kurz „RF“.

Auf der einen Seite ist diese RF selbstlos, tritt bescheiden in den Hintergrund und geht vollkommen in ihrer Familienrolle auf. Ihr Erfolg ist der Erfolg ihres Mannes und der Erfolg ihrer Kinder. Es geht ihr gut, wenn es der Familie gut geht.

Andererseits ist die RF narzisstisch, wird niemals müde sich zu schmücken und ihre glamouröse Wirkung durch Glitzer, Pelz und teuren Schnickschnack zu unterstreichen.

Glamourös und mütterlich

Aus Sicht der RF stellen diese beiden Seiten keinen Widerspruch dar, sondern machen ihr historisch geformtes Wesen aus.

Erscheinungsbild

Gleich zu Anfang sei hier gesagt, dass nicht alle Wesen weiblichen Geschlechts, die in Russland auf die Welt gekommen und dort aufgewachsen sind, gleich „RF“ genannt werden können. Diese Bezeichnung ist kein Herkunftsmerkmal.

RF zu sein ist ein Geisteszustand, eine Weltanschauung, Lebenshaltung, Wesensart, welche auch jenseits der russischen Grenzen, in einer Italienerin, einer Deutschen oder einer Chinesin in Erscheinung treten kann.

Doch die meisten dieser besonderen Frauen kommen in Russland zur Welt. Wo auch immer eine RF herkommen mag, sie ist stets leicht zu erkennen: an hohen Absätzen, engen Kleidern, aufwendiger Kosmetik und einer Designertüte in der Hand.

Make-up

Eine RF ohne Make-up wird man nirgends finden. Selbst die eigenen Männer von russischen Frauen wissen oft auch nach dreißig Jahren Ehe nicht, wie die Dame an ihrer Seite ohne Make-up aussieht. Das immer perfekte Erscheinungsbild der RF macht natürlich einige Vorsichtsmaßnahmen notwendig.

Die RF ist eine Diva

Wenn eine RF im Meer baden geht, darf sie nicht untertauchen und selbstverständlich auch nicht ins Wasser springen. Im Wasser kann man sie leicht am hoch herausragenden Kopf erkennen sowie dem großen Collier am Hals, das jede andere Frau längst in die Tiefe gezogen hätte. – Im Winter darf die RF aus den gleichen Gründen nicht zu lange in der Sauna sitzen.

Meine Freundin A., eine waschechte RF, hat sich sogar im Geburtshaus, als sie schon mitten im Gebären war, trotz der Wehenschmerzen immer wieder schön das Gesicht hergerichtet, Augen und Lippen betont, damit ihr Mann sich nicht erschrecken muss und ihr Sohn gleich bei seiner Geburt den richtigen Eindruck von ihr bekommt. Allerdings hat sie ausnahmsweise keine kräftigen Farben benutzt und allzu tolle Kontraste vermieden, sondern sich auf Pastellfarben konzentriert, um den Vorstellungen ihres Mannes von einer müden, aber glücklichen jungen Mutter zu entsprechen.

Man weiß heute, dass russische Frauen sich bereits zur Zeit der Kiewer Rus mit Haut- und Gesichtspflege intensiv befassten. Anstatt in Spas gingen sie in die „Banja“12, die russische Variante einer finnischen Sauna. Noch heute verwendet man darin Mischungen aus Honig und Salz, mit denen man sich einreiben muss, um eine glatte Haut zu bekommen, sowie den obligatorischen „Wenik“13, das ist ein Strauß aus Birkenzweigen mit Blättern, den man zur Ganzkörpermassage braucht. Wenn man einander lange genug mit dem Wenik über den Rücken schlägt, kommt man zehn Jahre jünger aus der Banja heraus.