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Endlich! Ein langgehegter Traum geht in Erfüllung. Mit 63 Jahren verkauft er sein Unternehmen und zieht nach Spanien, auf sein Segelschiff. Nach vielen notwendigen Vorbereitungen geht es los. Hinein in sein erstes freies Segeljahr. Von Valencia aus segelt er, mit wechselnder Crew oder auch mal ganz allein, über die Balearen nach Sardinien, Korsika und nach Elba. Im diesem Buch erzählt der Autor mit viel Humor vom Leben an Bord, vielen schönen, lustigen, aber oft auch sehr bewegenden Begegnungen und spannenden Erlebnissen auf dem Meer, vor Anker und in den Häfen. Es berichtet darüber hinaus aber auch sehr ausführlich und informativ über die vielen Orte, Inseln und Städte, die während dieser Reise besucht werden. Ein Buch sicher nicht nur für Segler.
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Seitenzahl: 441
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Dieses Buch widme ich meiner lieben Ehefrau, die durch ihr großes Verständnis und Ihre Liebe, meine Segelträume erst möglich gemacht hat.
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Die in diesem Buch beschriebenen Erlebnisse beruhen größtenteils auf meine bisher gemachten Erfahrungen. Ob Missgeschicke, Fehler oder sonstige Dummheiten, auch die, die im Nachhinein heftiges Kopfschütteln auslösten. Jede Aktion brachte mich weiter (in die eine oder andere Richtung). Die Erlebnisse während meiner vielen Segelreisen habe ich so angeordnet, und zum Teil ergänzt, dass hoffentlich eine spannende und interessante Geschichte entstanden ist.
Die Protagonisten in diesem Buch wurden alle frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig und wurde auf keinen Fall beabsichtigt.
Ob es hilft? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich wird sich der eine oder andere doch wiedererkennen. Trotzdem haben sich alle Mitreisenden nach Rücksprache dafür ausgesprochen, diesen Passus zu verwenden. Zuspruch fand der Passus bei den Mitreisenden auch, weil es mir nicht möglich war, alle Stellen zu streichen, an denen Fehler gemacht wurden, peinliche Situationen entstanden oder dem Alkohol zugesprochen wurde. Der Roman wäre in diesem Fall vielleicht etwas zu langweilig, in jedem Fall aber zu kurz geraten.
Alle in diesem Buch gemachten navigatorischen Informationen dienen ausschließlich der Information. Damit sie sicher Segeln können, lässt sich der Erwerb von Eigenen Navigationsprogrammen etc. nicht vermeiden. Sollten sie mit den hier gemachten Angaben im Mittelmeer kreuzen wollen und dann festsitzen, ja dann haben sie an der falschen Stelle gespart.
Viel Spaß beim Lesen!
Ihr Klaus J. Jennes
Noch völlig verschlafen drehte ich mich auf die andere Seite und genoss die durch das Fenster scheinenden warmen Sonnenstrahlen, die in meinen noch geschlossenen Augen diese angenehmen Reflexionen verursachten. Wie schön es doch ist, einfach gemütlich im Bett zu liegen, dachte ich. Doch plötzlich fuhr ich erschreckt hoch. Mein Blick streifte den Wecker, 08:45 Uhr. Mein Gott, ich habe verschlafen und komme zu spät ins Büro. Doch nach dieser kurzen Schrecksekunde fiel ich lächelnd zurück in die Kissen und erinnerte mich daran, dass diese Zeiten nun wohl endgültig vorbei waren. Die neue Devise lautete: RUHESTAND. Ja, wirklich, ich war seit einigen Tagen im Ruhestand! Die Firma hatte ich endlich verkauft, die Übergabe war erfolgt und die Beratungszeit, zumindest die, die meine ständige Anwesenheit notwendig machte, war nun auch um. Ab jetzt konnte ich endlich Tun und Lassen, was mir gefällt. Und was gefällt mir?
Mir hatte es schon immer gefallen, unterwegs zu sein, neues zu entdecken und bekanntes, schönes wiederzusehen. Neugierig und gespannt zu sein auf das, was immer da auf mich zukommen sollte. Das alles möglichst während einer Reise auf einem Segelschiff, auf meinem Segelschiff. Ich wusste bis heute wirklich nicht, wie und wann ich mir diesen zwischenzeitlich sicher schon chronischen Virus eingefangen hatte. Aber ich wusste, dass der Drang auf dem Meer zu sein, mich schon gute fünfzig Jahre verfolgte und dass dieser Drang gerade in den vergangenen zwanzig Jahren immer weitergewachsen, ja fast schon gewuchert war. Es war ein Gefühl von Freiheit, das ich in mir spürte, wenn der Rhythmus eines Segelschiffes mir ganz langsam den Druck nahm und ich fast weinen konnte vor Glück, weil mich eine solche Zufriedenheit und Ruhe überkam. An dieser Stelle käme jetzt sicher das erste Veto meiner lieben Ehefrau, die das Ganze mit: „Pah, Ruhe, wo denn?“, kommentieren würde. Und sicher hätte Sie recht. Denn auch und besonders auf dem Segelschiff war ich immer aktiv. Immer gab es noch etwas zu trimmen, zu richten, oder besser einzustellen. So, dass andere sicher den Eindruck haben konnten, dass ich überspannt wirke. Und doch empfand ich so, aber ja, es ist wahr, es dauerte, bis etwas von dieser Ruhe in mich drang. Erst wenn alles erledigt war, die Reparaturen erfolgreich beendet wurden, die Ersatzteile alle angekommen waren, der Proviant an Bord gestaut war, kam ich langsam etwas runter. Und ja, ich bin bis heute auch immer noch und immer wieder nervös und angespannt, bevor es losgeht. Es ist so etwas wie Lampenfieber. Aber diese Spannung fiel ab, sobald die Leinen gelöst wurden und ich den Hafen verlassen hatte. Dann, wenn sich das Schiff leicht zur Seite neigte, der Wind die Segel blähte und das Schiff nach vorn trieb, dann fing ich an, alles zu genießen. Es war immer wieder der Rhythmus, der Geruch, die Geräusche, das unterwegs sein im Einklang mit der Umgebung. Angetrieben nur durch die Kräfte der Natur. Für mich war hierbei immer der Weg das Ziel. Unterwegs zu sein und die Gegebenheiten, die geboten wurden, zu akzeptieren.
Es galt stets Häfen zu meiden, wenn es möglich war, um in einer möglichst einsamen, sicheren Bucht vor Anker zu liegen. Die Ruhe und die Schönheit der Umgebung und des Augenblicks zu erkennen und zu genießen. Das alles war und ist immer nur möglich, wenn die Götter des Meeres, primär Rasmus und Neptun, einem wohlgesonnen waren. Aber abgesehen von den Launen der Götter hatte ich mir in der Vergangenheit oft selbst Stress gemacht, hatte mich unter Druck gesetzt, indem ich zu viele Termine auf einer Reise einbaute. So zum Beispiel durch zu- und aussteigende Gäste, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an beliebiger Stelle an Bord kamen und dann am Ende Ihrer Reise an einem vorher festgelegten Ziel wieder aussteigen wollten. Das sorgte dafür, dass spontane Ideen nicht gelebt werden konnten und einem festgelegten Fahrplan weichen mussten. Dies nicht selten unter ungünstigen Wetterbedingungen. So oft hatte ich mir in der Vergangenheit schon ausgemalt, wie schön es sein würde, wenn es erst einmal so weit wäre, ausreichend Zeit zu haben. Um ohne Zeitdruck einfach dann weiterzusegeln, wann ich es wollte und das Wetterfenster meinem Vorhaben nicht im Wege stünde. Für die zukünftige Zeit hatte ich mir vorgenommen, nur noch Gäste an Bord zu nehmen, die ein Mindestmaß an Flexibilität mitbrachten.
Ich streckte mich genüsslich in meinem gemütlichen Bett und freute mich, dass er nun endlich da war, dieser Moment, von dem ich schon so lange, so oft geträumt hatte. Aber bevor ich ein erstes Mal ohne festen Rückreisetermin in den Süden reisen konnte, mussten doch noch viele Dinge erledigt und organisiert werden. So galt es Kontovollmachten zu ändern, alles rund ums Haus zu regeln, aber auch die notwendigen Absprachen mit der Familie, den Kindern und meiner lieben Ehefrau, zu treffen. Die Kinder gingen bereits seit geraumer Zeit Ihrem Studium nach. Meine liebe Frau stand noch im Berufsleben als Rechtsanwältin und musste noch ein paar Jahre Ihre Kanzlei führen. Deshalb würde sie leider noch nicht permanent mit mir gemeinsam an Bord sein können. Aber ich konnte mich glücklich schätzen, dass sie meine Leidenschaft zumindest ansatzweise teilte und mit mir gemeinsam auf eigenem Kiel diese Reise erleben wollte. Und dass sie mir die Freiheit zugestand, meinen Traum trotz ihrer noch anstehenden Berufszeit und auch trotz der vorhandenen Risiken, die diese Form des Lebens mit sich brachte, zu leben, war nicht selbstverständlich. Das musste ich besonders durch die Kenntnis eines Ereignisses feststellen, das im letzten Monat passierte, und das mich wirklich ziemlich aus der Fassung gebracht hatte.
Ich erhielt diese Schreckensnachricht, die mir erst einmal die Beine wegzog und mich alles Geplante noch einmal hinterfragen ließ. Wir hatten im Jahre 2018 unsere erste Segelyacht verkauft, um unser heutiges Schiff, die Asante Sana zu erwerben. Die bisherigen Eigner, ein befreundetes Ehepaar, mit dem wir so einige Fahrten, Regatten etc. gemeinsam erlebt hatten, wollten ihr Schiff verkaufen, um sich einen Traum zu erfüllen. Sie ließen sich ihr Traumschiff, eine zweiundzwanzig Meter lange, wunderschöne Segelyacht bauen, brachen aus ihrem bisherigen Leben aus und machten sich auf den Weg, die Welt auf eigenem Kiel zu erkunden. Seitdem lebten sie das Leben, von dem ich noch immer träumte. Ich war nie neidisch auf die beiden, aber ich hatte sie ständig beneidet, wenn ich in ihrem Blog von den vielen wunderschönen Erlebnissen gelesen hatte. Schließlich lebten sie gemeinsam meinen Traum, und zwar im Heute. Jetzt, vier Jahre später, erhielt ich die schreckliche Nachricht, dass beide auf See sehr tragisch den Tod gefunden hatten. Sie hatten vor Bermuda ankernd den ersten von Westen heranziehenden Tropensturm ‚Alex‘ überstanden und machten sich danach auf den Weg in Richtung Kanada. Dieses Reiseziel spukte seit Langem in den Köpfen der beiden und konnte nun, nach langer, coronabedingter Einreiseverbote, endlich in Angriff genommen werden. Mit an Bord war ein Paar, dass über eine Mitreise – App mit den beiden in Kontakt getreten war.
Sie waren bereits seit vier Tagen unterwegs, hatten ca. sechshundert Seemeilen versegelt, als die U.S. Coast Guard in der Nacht einen Notruf empfing. Neben der Position, die ca. dreihundertundzwanzig Seemeilen südöstlich der Küste von Nova Scotia entfernt war, erhielt die Behörde die Information, dass die Frau des Skippers bewegungsunfähig an Oberdeck läge und scheinbar vom Bauchnabel abwärts gelähmt sei. Die Coast Guard positionierte sofort einen auf See befindlichen großen Rettungskreuzer so zwischen der Unfallposition und dem Land, dass die angeforderten Helikopter diesen Kreuzer als Zwischenlandungsbasis zum Auftanken nutzen konnten. Mehr als zehn Stunden dauerte es, bis der Helikopter an Bord des Rettungskreuzers zum Auftanken landen konnte, um anschließend zum Havaristen weiterzufliegen. Ein weiterer Rettungskreuzer war ebenfalls auf dem Weg zum Havaristen. Es hatte auf der Segelyacht scheinbar während der Fahrt durch die Nacht, Probleme mit dem Groß gegeben. Der Skipper, der zu dieser Zeit Freiwache hatte und unter Deck schlief, wurde geweckt, um zu helfen, weil die Crew die Segelfläche verkleinern wollte.
Zu dieser Zeit lief die Yacht einen Am Wind Kurs. Es herrschte starker Wind um 35 Knoten und bis zu acht Meter Welle. Der Skipper teilte alle ein, ging selbst an den Baum und der Steuermann versuchte den Bug in den Wind zu bringen. Dies war bei dem System am Groß notwendig, weil sonst die Reibung am Vorliek so groß war, dass ein Verkleinern der Segelfläche nicht möglich war. Plötzlich wurde die Frau des Skippers von der lose kommenden Großschot getroffen und aufs Deck geschleudert. Der Skipper, der das gesehen hatte, wollte seiner Frau augenblicklich zu Hilfe kommen. Dabei hörte er nicht die warnenden Schreie des Steuermanns als dieser ihn vor dem zurückschwingenden Baum warnen wollte. So wurde auch der Skipper von der abermals freikommenden Großschot getroffen. Die Schot erwischte ihn unterhalb des Knies und zerschlug ihm einen Unterschenkel mehrfach. Ab dieser Zeit war die Segelyacht außer Kontrolle geraten. Der Baum schlug wild nach beiden Seiten. Warum dies geschah, stand nicht fest. Es konnte ein Steuerfehler, oder aber auch ein Winddreher gewesen sein. Dieses Gebiet ist bekannt für ganz plötzlich drehende Winde. Wie auch immer. Der Skipper setzte einen Notruf ab, übergab aber dann den Funk an den Steuermann, der die weitere Koordination übernahm. Später gelang es dem mit segelndem Paar, den Baum notdürftig zu fixieren und sich um die Verletzungen zu kümmern. Die verunglückte Frau war scheinbar bewegungsunfähig und hatte keine Gefühle mehr in den Beinen. Der Skipper erlitt lebensgefährliche Verletzung, weil der offene, mehrfache Bruch eines seiner Beine für großen Blutverlust sorgte. Auch der Versuch, das Bein abzubinden, führte offensichtlich nicht zu dem gewünschten Erfolg. Nach mehr als fünfzehn Stunden wurde die Yacht schließlich gefunden. Beide Verletzte wurden vom Helikopter abgeborgen. Anschließend ging es wieder zurück zum Rettungskreuze, um dort abermals aufzutanken. Die Frau des Skippers verstarb wohl noch auf dem Flug und leider konnten die Ärzte auch für den Skipper nichts mehr tun. Er verstarb kurz darauf auf dem Rettungskreuzer. Die noch an Bord befindlichen Gäste wurden später ebenfalls abgeborgen und auf das zweite Rettungsschiff verbracht. Dort angekommen, erhielten sie die unfassbare Nachricht, dass beide Eigner ihren Verletzungen erlegen waren und nur noch der Tod festgestellt werden konnte.
Es war mir kaum möglich, meiner Frau diese schreckliche Nachricht zu erzählen, weil ich meine Trauer einfach nicht in Worte fassen konnte. Es schnürte mir immer wieder die Kehle zu und ich brach immer wieder in Tränen aus, die es mir unmöglich machten, zu sprechen. Wie schnell sich ein Traum in einen Albtraum wandeln kann. Wie nah liegen doch Glück und Unglück beieinander. Diese Gefühle hatten meine Vorfreude im zurückliegenden Monat heftig gedämpft und es mir, aber auch meiner Frau schwer gemacht, angstfrei zu den normalen Planungen zurückzukehren. Am achten Juli wurden beide gemeinsam beerdigt. Ich glaube fest daran, dass sie nun in einem anderen Universum sehr glücklich sind und dort ihren gemeinsamen Segeltraum weiterleben können.
Schließlich war es dann doch so weit. Es war alles geregelt. Ich hatte mich bei den letzten Treffen von meinen Freunden verabschiedet und sie herzlich eingeladen, mich zu besuchen, wann immer sie Zeit und Lust hatten. Ich stieg ins Auto und ließ mich von meiner lieben Frau zum Flughafen fahren. Um 11:40 sollte der Flieger in den Süden gehen. Während der Fahrt hatte ich und sicher nicht nur ich, ein etwas befremdliches, unwohles Gefühl. Es war bei mir eine Mischung aus großer Freude und Erwartungen, aber auch aus Ungewissheit und natürlich auch aus einem etwas schlechtem Gewissen gegenüber meiner Familie und vor allem gegenüber Mary, meiner Frau. Aber nun war es so, wie es war und ich wollte es auch nicht mehr ändern. Angekommen am Flughafen, verabschiedeten wir uns lange und herzlich voneinander. Wir stiegen aus, ich nahm meine zwei großen, schweren Koffer, mein Handgepäck aus dem Kofferraum ihres Autos und drückte sie nochmals fest an mich. Als sie in ihr Fahrzeug stieg und abfuhr, winkte ich ihr nach und stand dann mit meinem ganzen Gepäck allein am Flughafen. Ich freute mich schon jetzt darauf, dass meine Frau bald nachkommen würde. Gemeinsam mit einigen engen Freunden wollten wir ein paar wunderschöne Sommerwochen auf unserem Segelschiff verbringen.
Normalerweise reiste ich ja seit Jahren immer nur mit kleinem Handgepäck, weil wir eigentlich alles auf dem Schiff hatten. Dort an Bord existierte sozusagen ein zweiter Hausstand. Dieses Mal allerdings galt es, alles das vermeintlich Notwendige einzukaufen, einzupacken und mitzuschleppen, was an Bord noch so alles gebraucht werden konnte. So wurden selbstverständlich auch sehr viele Ersatzteile für das Schiff eingepackt, die die Koffer natürlich immer schwerer machten. Ich besorgte mir deshalb zunächst mal einen Kofferwagen, lud alles auf und machte mich im Flughafen auf den Weg zum nächsten ‚Drop off‘ Schalter. Bei der Kofferaufgabe wurde natürlich ein erhebliches Übergewicht festgestellt. Ja, und weil die vorgeschriebene Gewichtsgrenze deutlich überschritten wurde, musste ich den Schalter wechseln, um die errechneten Zusatzkosten zu begleichen. Etwas später saß ich ein wenig aufgeregt, aber im wahrsten Sinne des Wortes erleichtert im Flieger und schaute aus dem Fenster in den strahlend blauen Himmel, der sich mir über den Wolken bot. Die vereinzelten Schönwetterwolken lagen weit unter uns und ich genoss den ruhigen Flug in dem gut gebuchten Flieger. Der Pilot erklärte uns gerade, dass wir die Flughöhe erreicht hätten und es nun im Bogen über Belgien und Frankreich in Richtung Pyrenäen und schließlich zu unserem Zielflughafen gehen sollte. Das Wetter am Zielort wäre ausgesprochen sommerlich mit Temperaturen weit über 30° Celsius. Wie oft bin ich in den vergangenen Jahren diese Route geflogen, dachte ich. Wie viele Reisen hatte ich bereits mit der Familie, aber auch mit Freunden und Bekannten unternommen. Was zurückblickend mit einem Augenaufschlag vorbei war, hatte doch über Jahrzehnte bestand. Für die Zukunft aber sollte meine Flugfrequenz deutlich abnehmen und die Segelintervalle eindeutig länger werden, soweit zumindest mein Plan.
Bereits nach etwas mehr als zwei Stunden setzte der Pilot zur Landung an. In einer weiten Rechtskurve drehte der Flieger vom Meer aus in Richtung Flughafen und überflog dabei zunächst den großen Hafen und später die auch die Stadt Valencia mit ihrer ‚Ciudad de las Artes y de las Ciencias‘. Deutlich sah man die futuristischen Gebäude des weltberühmten Architekten Santiago Calatrava, wie das Opern- und Kulturhaus Palau de les Arts Reina Sofía, El Hemisférico, ein kulturelles Gebäude, das ein Planetarium und ein Kino beherbergte, oder das ‚MUSEO DE LAS CIENCIAS Prinzipe Felipe‘, ein naturwissenschaftliches Museum. Alles wurde in dem Jardín de Turia, in einer einzigartigen Anlage zusammengefügt und lockte jedes Jahr Millionen von Touristen in diese Stadt. Kurz nach dem Überflug landeten wir bereits und nach einer weiteren halben Stunde stand ich etwas verschwitzt mit meinen schweren Gepäckstücken am Ausgang des Flughafens, spürte die heiße Sommerluft und wartete auf meinen Freund Florián, der mich zur Feier des Tages vom Flughafen abholen wollte. Kurze Zeit später sah ich ihn auch schon in seinem neuen E-Auto vorfahren. Nach einer herzlichen Umarmung packten wir die Koffer in den Wagen und machten uns auf den Weg. Es ging aber nicht wie erwartet direkt zum Hafen. Florián hatte sich den Nachmittag freigehalten und wollte mit mir Essen gehen. Zunächst fuhren wir Richtung südlichen Stadtrand, folgten später der Küstenstraße durch Pinedo zur Playa des Creu. Dort parkten auf einem sandigen Parkplatz und besuchten das L’Estibador, ein wunderschönes, direkt am Strand gelegenes Restaurant südlich von Valencia. Florián hatte einen Tisch für uns reserviert. Im Schatten der Terrasse sitzend, blickten wir nun über einen weiten, weiß blendenden Sandstrand, dem das strahlende Blau des Mittelmeeres mit seinen verschiedenen Blauschattierungen folgte, welches sich später am Horizont mit dem wolkenlosen, tiefblauen Himmel vereinte. Als der Kellner, der‚ ‚Camarero‘ an unseren Tisch kam, bestellten wir zunächst eine gute Flasche Terras Gauda, ein Albariño aus Galicien, und stießen auf meinen Ruhestand an. Bei gegrillten Pulpo al la brasa, clochinas al vapor und Bacalao con patatas risoladas y verduras genossen wir so einen wunderschönen Nachmittag. Erst sehr viel später fuhren wir zurück zum Hafen, schleppten die schweren Koffer an Bord und verabschiedeten uns voneinander. Am Ende der Woche, so hatten wir vereinbart, wollten wir uns im Mercado de Ruzafa, der Markthalle, zum gemeinsamen Einkauf und abends zum gemeinsamen Abendessen mit seiner Frau Gloria treffen.
Florián war am Anfang nur eine Internetbekanntschaft. Erwachsen aus meinem Bedürfnis, Spanisch zu lernen. Über eine Internetplattform suchte ich damals Menschen, die spanische Muttersprachler waren und gerne Deutsch als Fremdsprache lernen wollten. Ich formulierte meine Idee, einander zu schreiben, ich in Spanisch und der Spanier in Deutsch. Jeder sollte den Text des anderen korrigieren und dann zurücksenden. Von einigen anfänglichen Kontakten verblieb mit den Jahren letztlich der Kontakt zu Florián. Anfangs etwas holprig, funktionierte dieses System einwandfrei und wir lernten im Laufe der Jahre sehr viel voneinander. Und damit meinte ich nicht nur die Sprache. Florián, ein Agent im Holzgroßhandel, kam in Europa viel herum und sprach wohl auch deshalb so viele Sprachen. Als er nach ein paar Wochen unseres Kontaktes mitteilte, dass er aus beruflichen Gründen ins Sauerland reisen müsse und er sich gerne mit mir in Köln am Flughafen treffen wollte, war ich ziemlich nervös. Bisher hatten unsere Kontakte fast ausschließlich schriftlich stattgefunden. So hatte ich immer ausreichend Zeit, um die richtigen Worte zu suchen und manchmal auch zu finden. Bei dem Gedanken, nun ein längeres persönliches Gespräch führen zu müssen, wurde mir etwas bang ums Herz. Ich schlug Florian statt des Treffens am Flughafen in Köln, ein Treffen in Solingen, meiner Heimatstadt vor. Ich organisierte ein Hotelzimmer in Solingen und wir luden ihn gemeinsam mit seiner Frau Gloria zum Abendessen ein. So trafen wir an diesem Abend das erste Mal aufeinander. Es war gut, dass Florián in seinen Deutschkenntnissen weiter war als ich mit meinen Spanischlektionen. Wir besuchten am Abend gemeinsam das italienische Restaurant eines Freundes. Leider war es dort so laut, dass ich wirklich Schwierigkeiten hatte, meine Gäste zu verstehen. Und ich war froh, dass ich Mary dabeihatte, weil sie viel besser verstand, was gesagt wurde. Es wurde ein Mix aus Deutsch, Englisch und Spanisch. Wir verbrachten einen schönen Abend und es war letztlich der Beginn unserer zwischenzeitlich langjährigen Freundschaft, die ich heute wirklich nicht missen möchte. Gerade in den ersten Jahren in Valencia hatte ich durch ihn so viel über die spanische Kultur und die Menschen gelernt. Viele Türen öffneten sich durch diese Freundschaft, die heute sicher auch die Freundschaft seiner lieben Frau Gloria beinhaltet. Es ist einfach gut, dass es die beiden für mich, für uns gibt.
Jetzt stand ich allein im Cockpit meines Segelschiffes und ließ erst einmal meinen Blick über den Hafen schweifen. Ich blickte auf einen ziemlich großen Hafen, in dem hauptsächlich Schiffseigner ihren Hafenplatz hatten. Es gab es nur wenige durchreisende Gastlieger hier. Ringsherum wurde gewerkelt, gereinigt und diskutiert. Das Wasser im Hafen leuchtet meist smaragdgrün und klar in der Sonne. Auf vielen Schiffen sah man Kinder, die es sich nicht nehmen ließen, immer wieder laut kreischend vom Bug ihres Schiffes aus in das warme Hafenwasser zu springen. In den Cafés saßen viele Gäste beim Menü del Dia, oder einem Cortado, einem Espresso mit Milch und hatten sich scheinbar viel zu erzählen. Spanier erzählen, ähnlich wie die Italiener, sehr gestenreich. Das gefiel mir, weil diese Gesten die Erzählungen so lebendig und ausdrucksstark machten. Natürlich waren jetzt in der Sommerzeit auch viele Liegeplätze frei. Viele Yachten waren bereits mit Ihren Besatzungen unterwegs auf dem direkten Weg Richtung der Islas Baleares, wo vor Ibiza und Formentera die herrlichsten Strände, türkisblaues Wasser in allen Schattierungen und wunderschöne Ankerbuchten auf Ihren Besuch warteten. Aber natürlich gab es, wie bei jeder Medaille immer zwei Seiten. So waren jetzt in der Haupturlaubszeit viele Ankergründe überfüllt. Leider hatte dies auch immer negative Folgen, weil mangelnde Erfahrung, Leichtsinn und auch der Genuss von Alkohol zu Problemen führen konnte. Wohl dem, der über eine ausreichend lange Ankerkette verfügte, um etwas weiter draußen mehr Ruhe zu finden.
Aber vor der Kür kommt die Pflicht, dachte ich mir und schleppte erst einmal die schweren Gepäckstücke nach unten, öffnete alle Luken und ließ das Bootsinnere gut durchlüften. Wie immer galt es zunächst, das Schiff bewohnbar zu machen. Wer ein Schiff sein Eigen nennt oder zumindest schon Erfahrungen mit einem gecharterten Boot gemacht hat, der weiß, dass die Götter des Meeres vor dem Vergnügen des Segelns den Schweiß und die Arbeit gesetzt hatten, D. h. Wäsche einräumen, Kojen beziehen, Kühlschränke einschalten, den Luftentfeuchter in den Trastero (Lagerraum im Hafen) bringen, die elektrischen Anlagen prüfen und die Ventile öffnen. Dann musste auch noch ein Einkaufszettel für den notwendigen Einkauf geschrieben werden, damit die Kühlschränke auch mit den zu kühlenden Produkten gefüllt werden konnten.
Später stand noch eine Inspektion des Unterwasserschiffes an. Bugstrahlruder, Antriebswelle und Ansaugstutzen mussten gereinigt, die Anoden überprüft und gegebenenfalls ausgetauscht werden. Die Garage mit dem Beiboot musste ebenfalls gereinigt werden, das Beiboot und die sonstigen Utensilien mussten gewartet und überprüft werden usw. usw.
Aber zunächst spannte ich das Bimini auf, um ein wenig Schatten im Cockpit zu haben, brachte die Polster und Kissen raus und setzte mich in Badehose ins Cockpit, um den Einkaufszettel zu schreiben. Es dauerte keine halbe Stunde, bis mir, obwohl im Schatten sitzend, der Schweiß aus allen Poren lief, sodass auch ich einen Sprung von der inzwischen abgesengten Badeplattform in die angenehm erfrischenden Fluten des Hafenwassers machte. Bei der Hitze musste das sein. Da ich noch kein kaltes Bier an Bord hatte, lief ich anschließend vor zu Mathias und Chris und ihrem wunderbaren kleinen Restaurant, das Val Paraíso, und erwarb dort ein paar Flaschen eisgekühltes Alhambra Bier. Natürlich benötigte ich für diese gefühlten vierhundert Meter fast eine Stunde, weil ich auf dem Weg dorthin immer wieder auf bekannte Gesichter stieß und es natürlich auch immer etwas Interessantes zu erzählen gab.
An dieser Stelle würde meine liebe Frau mit Sicherheit einwenden, dass es fast unmöglich wäre, mit mir einen Ausflug zu machen, weil ich zu geschwätzig sei. Sie kann einfach nicht verstehen, wieso man mit so vielen Menschen, Gespräche führen muss. Ich aber liebe zum einen diese kleinen ‚Schwätzchen‘, und weiß zum anderen auch, wie wichtig gute Kontakte in einem Hafen sein können. Schließlich habe ich nun etwas im Überfluss, was viele eben nicht haben. Und das ist Zeit. Also ist es doch schön, sich einfach treiben zu lassen.
Nachdem ich die kühlen Flaschen in den Getränkekühlschrank unseres Schiffes eingelagert hatte, schnappte ich mir ein paar leere Taschen und Körbe, machte ich mich auf den Weg ins Parkhaus, in dem unser alter, jetzt sicher sehr verstaubter Ford stand. Ich öffnete den Wagen und dann die Motorhaube, klemmte die Batterie an, fegte die Staubschicht grob von den Fenstern, stieg ein und versuchte, mit den Scheibenwischern auch den restlichen Staub von den Fenstern zu wischen. Dann kurbelte ich die Fensterscheiben herunter, fuhr langsam die zwei Kilometer lange Strecke durch den Hafen und erreichte schließlich die Schnellstraße, die mich zum nächsten Supermarkt führte. Ich spürte den warmen Fahrtwind auf meinem Körper und fühlte, dass ich angekommen war.
Während ich zu Hause immer mit schnellen, PS starken Fahrzeugen unterwegs gewesen war, reichte mir hier mein kleiner Ford völlig aus. Entschleunigung funktioniert hier sooo gut. Nach dem Einkauf, alles war an Bord geschleppt und eingeräumt, setzte ich mich mit einem guten Tinto ins Cockpit und schaute mir einen spektakulären Sonnenuntergang an. So endete dieser erste Tag an Bord und mit der vorhandenen Bettschwere suchte ich später meine Koje auf, schloss die Augen und versank augenblicklich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Als ich am nächsten Morgen ausgeruht aufwachte, hörte ich die mir so bekannten Geräusche des benachbarten Containerhafens. Wir hatten Nordwind. Und so hörte man heute alles etwas lauter als normalerweise. Das Piepen, wenn sich die riesigen Portalkräne in Bewegung setzten und das Tuten, wenn Containerriesen an- oder ablegten. Diese Geräusche waren ständige Begleiter in diesem Hafen. Hatte es mich in der ersten Zeit gestört, so gehört dies heute für mich zu den normalen Geräuschen, wie zu Hause das morgendliche Singen der Vögel. Schon oft hatte ich Gäste, die sich an dieser Geräuschkulisse störten und sich wunderten, dass es mich nicht störte. Für mich ist es einfach eine Geräuschkulisse, die zu einem Hafen gehört. Ich verbinde damit die Vorbereitungen zu einer Reise und den Aufbruch zu neuen Abenteuern. Geräusche und Gerüche gehören einfach zu einem großen Hafen dazu. Ich streckte mich, stand auf, machte mir einen Kaffee, setzte mich nach draußen und ließ den Tag langsam anlaufen. Heute wollte ich unter anderem den Unterwasserbereich reinigen. Ich bereitete also meinen ‚Freediver‘ vor. Hierbei handelt es sich um einen einfachen Kompressor, der über das Bordbatteriesystem, aber auch über eine eigene Batterie betrieben werden kann. Über einen fünfzehn Meter langen Schlauch wird die komprimierte Luft zu einem Lungenautomaten geleitet. Ausgerüstet mit einem Jackett und einigen Bleigewichten, verfügt man damit über einen geeigneten Aktionsradius. Dieses Gerät war schon in so vielen Fällen hilfreich. Auch und besonders, wenn es um Arbeiten im Unterwasserbereich ging. Egal, ob es um das Reinigen des Kaskos, oder um die Entfernung von Gegenständen wie Seile, Plastik, Netze etc. ging. Der Freediver ermöglichte mir immer, dass ich mir selbst helfen konnte. Deshalb war er immer mit an Bord, wenn wir auf Fahrt gingen.
Ich legte also neben dem Tauchkompressor alle notwendigen Werkzeuge, wie einen dreißig Zentimeter breiten Spachtel, einen Saugnapf mit Haltegriff, mit dem ich mich an der Bordwand festsaugen konnte, um mich daran festzuhalten und ein Schwammbrett zurecht. Dann zwängte mich in meinen (meist zu engen) Tauchanzug, legte den Kragen mit dem Automaten und den Gürtel mit den Bleigewichten an, fixierte alle Werkzeuge mit einem kurzen Seil an meinem Gürtel und sprang anschließend bewaffnet mit allem, in das heute, Gott sei Dank klare Hafenwasser. Ich tauchte ab und begutachtete erst einmal den Zustand des gesamten Unterwasserschiffes. Der Rumpf war bedeckt mit einem schleimigen Algenteppich, einigen Kalkablagerungen und vielen Seepocken am oberen Rand. Durch die nicht so weit entfernte Kläranlage war das Wasser hier sehr nährstoffreich, was in der Folge dafür sorgte, dass es mehr Bewuchs gab, als dies normalerweise der Fall gewesen wäre.
Aber für mich war dies kein wirklich großes Problem, weil ich ja einen Unterwasseranstrich von Coppercoat hatte. So begann ich mit meinem breiten Spachtel von vorn nach hinten die Schleimschicht abzuschaben. Damit ich mich unter dem Schiff besser auf der jeweiligen Position halten konnte, drückte ich den Saugnapf an den Schiffsrumpf, der sich dadurch festsaugte und an dessen Griff ich mich gut festhalten konnte. Sowohl Algen wie Kalkablagerungen, als auch die Seepocken ließen sich wirklich leicht entfernen. So arbeitete ich mich sukzessiv am Schiffsrumpf entlang nach achtern. Dann wurden noch die beiden Ruderblätter, das Bugstrahlruder und der Propeller gereinigt, einige Anoden ausgetauscht und schon erstrahlte das Unterwasserschiff wieder in altem Glanz.
Ich tauchte auf, reinigte meine Ausrüstung mit Süßwasser und freute mich, dass ich wieder einen Punkt auf der noch langen Arbeitsliste als erledigt abhaken konnte. Jetzt meldete sich bei mir ein erster Hunger und so bereitete ich mir erst einmal ein Müsli mit Joghurt, Früchten und Honig sowie einen weiteren großen Kaffee zu, setze mich an Oberdeck, genoss mein Frühstück und ließ mich von der Sonne wieder etwas aufwärmen. Es war so schön, einfach so in der Sonne sitzend die Zeit verstreichen zu lassen. Aber später gewann mein Gewissen dann doch den Kampf und ich entschied mich seufzend weiterzumachen. Der Wassermacher wurde in Betrieb genommen, die Filter wurden gespült, der Generator, der Außenborder und die Hauptmaschine wurden gewartet und gleich einer ersten Laufprobe unterzogen. Außerdem spülte ich noch die Wassertanks und füllte diese anschließend mit frischem Wasser. Und dann?
Ja, dann merkte ich ziemlich deutlich, wie mich mein Eifer verließ. Ich hatte schlicht und einfach keine Lust mehr, weiterzuarbeiten. Musste ich aber doch auch nicht, weil ich ab sofort über ein riesiges, um nicht zu sagen, über ein nahezu unbeschränktes Zeitfenster verfügte. Außerdem hatte ich noch ein paar Tage Zeit, meine To-Do liste abzuarbeiten, weil mein Freund Sepp erst dann im Hafen eintreffen sollte. Im Moment befand sich dieser noch an einem mir unbekannten Ort zwischen Bayern und Spanien. Auf einer unserer letzten Reisen erzählte er mir, dass er sich seinen alten Gäste-VW Bus ausbauen wolle. Er schilderte mir oft und in langen Beschreibungen jedes Detail, jede Einzelheit über den geplanten Ausbau und was er wie verbauen wollte. Und nun war er eben mit diesem Gefährt, in dem sowohl sein altes NSU-Motorrad als auch sein E-Bike untergebracht waren, unterwegs nach Spanien. Aber wer Sepp kannte, wusste sofort, dass eine solche Fahrt für ihn nicht einfach eine Strecke zwischen den Punkten A und B war. Er fuhr natürlich nicht den direkten und schnellsten Weg nach Spanien, sondern tingelte mit seinem Bus die schönsten Straßen entlang, die er sich vorher an langen Abenden herausgesucht hatte, blieb dort stehen, wo es ihm gefiel und fuhr erst weiter, wenn es ihn weitertrieb. So hatte nun mal jeder seine Träume, die es zu realisieren galt. Ich freute mich aber auf jeden Fall darauf, dass ich mit ihm einen guten Mitsegler hatte, der wie ich über viel Zeit verfügte und den die Idee einer langen Seereise fast so begeisterte wie mich.
Also, was soll’s. Jetzt sollte ich einfach mal die Füße hochlegen und nur mal einen ganz kurzen Moment die Augen schließen, dachte ich mir, legte mich in den Schatten des Bimini auf das Cockpitpolster und erwachte dann geschlagene zwei Stunden später im Cockpit, als die weitergewanderte Sonne mich an der Nase kitzelte. Ich richtete mich auf und schaute mich um. Als ich zum Nachbarschiff blickte, sah ich dort Paco, den Bootsmann, der die Segelyacht pflegte, die am gleichen Steg lag. Paco teilte mir lachend und augenzwinkernd mit, dass er schon ernsthafte Sorgen um mein Schiff gehabt hätte, weil er so extrem viele ‚Sägegeräusche‘ gehört hätte. Es entstand ein lustiger Schlagabtausch und nach diesem kurzen Gespräch mit Paco rappelte ich mich auf, steckte meine Brieftasche und mein Handy ein, schnappte mir mein Fahrrad und machte eine Tour durch den Hafen. Weil es mich weitertrieb, verließ ich das Hafengelände schließlich und fuhr weiter zum Südstrand Richtung Saler, setzte mich dort an einen kleinen Tisch auf die Terrasse einer kleinen Bar und bestellte mir einen schönen Cortado. Es war so wahnsinnig entspannend, hier zu sitzen und dem sommerlichen Treiben am weitläufigen Strand zu zuzusehen.
Da gab es das Rentnerehepaar, das Zwillingen gleich in kleinen Klappstühlen unter einem alten ausgeblichenen Sonnenschirm saß. Die Badehose und der Badeanzug waren scheinbar aus dem gleichen Blau-Rot-weiß gestreiften Stoff gefertigt. Die Frisur und die Haarfarbe waren nahezu gleich. Auch die Bäuche hatten nahezu die gleiche Ausdehnung. Vor den beiden stand ein kleiner Klapptisch, auf dem eine Kaffeekanne, zwei Tassen und einige große Teller standen, die aus der unter dem Klapptisch stehenden Box, gefüllt wurden. Sie sprachen praktisch nie miteinander und man hatte schon fast den Eindruck, dass sie eines dieser Ehepaare waren, die eines Tages mal auf Ihrem gemeinsamen Lebensweg alles gesagt hatten und nun nur noch aus Gewohnheit nebeneinander lebten. Machte man sich jedoch die Mühe und schaute etwas genauer hin, sah man, wie oft sie sich bei den Händen fassten und wie liebevoll sie miteinander umgingen. Hier waren scheinbar keine Worte mehr notwendig, um dem anderen mitzuteilen, was man dachte und fühlte.
Dann war da eine Gruppe junger Leute. Mädchen, die kichernd zusammen auf einer Decke saßen und genau darauf achteten, dass sie mit ihren sexy Bikinis wirklich optimal in Position saßen, damit die Jungs, die natürlich ihrerseits ‚cool‘ gestikulierend um die Mädchen herumstanden, sehr wohl ihre Vorzüge erkannten. Natürlich war auch das Balzverhalten der Jungs nicht zu übersehen. Jeder versuchte möglichst stark und überlegen zu wirken. Was für eine schöne Zeit, in der sich diese jungen Menschen gerade befinden, dachte ich und blickte weiter.
Ich sah einen Vater, der mit seinem jungen Sohn versuchte, einen Drachen steigen zu lassen. Zunächst mühten sie sich vergebens, weil der thermische Wind noch nicht stark genug war. Als es aber endlich gelang, stieg der Drachen, begleitet von den bewundernden und staunenden Augen des kleinen Jungen, immer höher in den Himmel und versuchte sich mit wild pendelnden Bewegungen scheinbar befreien zu wollen. Schließlich aber stand der Drachen ruhig am Himmel und der Vater übergab die Leine vorsichtig an seinen Sohn, der nun mächtig stolz, aber auch ein klein wenig ängstlich die Leine des Drachen hielt. Schließlich blickten beide stolz zu einer jungen Frau, die wohl die Mutter des Kindes war, weil diese auf einer Decke liegend, laut Bravo rufend und klatschend den kleinen Jungen anfeuerte.
Ich sah weitere Kinder, die im Klettergarten im großen Spinnennetz umher kletterten, während die dazugehörigen Familien gemeinsam um eine Decke herumsaßen, auf der wohl das gemeinsame Essen aufgebaut war. Die Frauen kümmerten sich, scheinbar im Wettkampf befindlich, darum, dass alles immer wieder optimal platziert wurde, während sich die Herren der Schöpfung, eine Flasche Bier in der Hand haltend, um die mehr oder weniger wichtigen Themen dieser Welt kümmerten und diese Themen laut lachend und gestenreich diskutierten. Wie schön es doch war, einfach hier zu sitzen und diese kostenfreien Darbietungen des normalen Lebens genießen zu können. Nach einer ganzen Weile zahlte ich meine Rechnung, steckte meine Brieftasche und mein Telefon ein, schnappte mir mein Fahrrad und machte mich langsam und gemütlich auf den Weg zurück in den Hafen. So vergingen meine ersten Tage in Valencia mit dem Abarbeiten der To-do-Liste, aber auch mit vielen ausgedehnten Pausen. So langsam bemerkte ich ein sich änderndes Tempo. Ich kam etwas zur Ruhe.
Freitags meldete sich Sepp am Telefon und teilte mir seine baldige Ankunft mit. Ich freute mich schon wahnsinnig auf ihn. Er trudelte am späten Nachmittag im Hafen ein und parkte seinen Bus oberhalb des Parkhauses. Dort holte ich ihn ab und wir brachten erst mal seine Sachen an Bord. Dann besorgten wir uns den Zugangscode, mit dem wir seinen Bus im Parkhaus abstellen konnten und räumten dann auch den Rest aus, der mit an Bord kommen sollte. Welche Freude, meinten wir beide wie aus einem Munde und sahen ein, dass es angebracht wäre, zunächst mal einen Willkommenstrunk zu nehmen. Und so machten wir uns auf den kurzen Weg ins Val Paraíso, unserer kleinen Bar im Hafen, bestellten zwei eiskalte Biere der Marke Alhambra und stießen auf die gemeinsame, vor uns liegende Zeit an. Wir hatten uns so viel zu erzählen und wir hatten, was anderen fehlte, wir hatten Zeit. So blieb es auch nicht bei diesem einem Bier. Wir genehmigten uns einige der dort so superleckeren Tapas, die wir mit einer schmackhaften Flasche Weißwein, einem Verdejo, nachspülten. Später machte sich bei Sepp aufgrund seiner langen Anreise die Müdigkeit bemerkbar und so zahlten wir unsere Rechnung und gingen gemütlich erzählend zurück auf unser Schiff.
Angekommen an Bord, räumte Sepp seine Sachen ein, baute die Koje, machte es sich dann im Cockpit auf den Polstern bequem und schlief augenblicklich ein. Als ich nach oben kam, dachte ich, dass dies doch eine hervorragende Idee sei, legte mich auf die andere Seite und schlief ebenfalls ein. Als ich später wieder erwachte und die Augen öffnete, saß Sepp grinsend über das ganze Gesicht auf seiner Cockpitbank und kommentierte umfassend meine ‚immensen Schlafgeräusche‘.
An diesem Abend blieben wir an Bord und genossen im Cockpit den traumhaft schönen, fast kitschig wirkenden Sonnenuntergang, während wir uns einen leckeren Sundowner schmecken ließen. So saßen wir noch bis spät in der Nacht bei angenehmen Temperaturen und einem leichten Abendwind an Oberdeck und beobachteten das bunte Treiben im Hafen. Wir sahen einlaufende Schiffe, die sich, wie auf dem Wasser schwebend, langsam auf den Weg zu Ihren Liegeplätzen machten und das rhythmische Rufen der Steuerfrau auf dem Sitz des langen Ruderbootes der Studierenden der Universität von Valencia. Das Team, das auch jetzt in der Dunkelheit noch mit kräftigen Schlägen ihrer Riemen durch das lange Hafenbecken zog, um für die nächsten Wettbewerbe fit zu sein und die Gruppe der Stand-up-Paddler, die in Begleitung ihres Instruktors vorbei an den festgemachten Booten durch die Fahrgassen paddelten und sich freuten, wenn sie nicht ins Wasser fielen. Es war ein Kommen und Gehen auf den anderen Booten und Schiffen. Wir vernahmen auch das leise Stimmengewirr auf den anderen Booten und erklärten uns im Laufe der Nacht mehrfach gegenseitig die Welt. So kamen wir spät, vielleicht zu spät in die Kojen und so wurde es am anderen Morgen etwas später, bis wir wieder munter waren.
Resümee des Tages:
Treibe im Strom und genieße, was dir geboten wird.
Eigentlich hätten wir früher rausgemusst, weil wir bereits um 08:00 Uhr mit meinem valencianischen Freund Florián im Mercado Ruzafa verabredet waren. Leider kamen wir aber dann zu spät. Es gab trotzdem ein freundliches Hallo von Florián, der, anders als der ‚normale‘ Spanier, eher die deutsche Pünktlichkeit lebte, der wir mit unserem Verhalten heute Morgen bedauerlicherweise nicht gerecht geworden waren. So schlenderten wir gemeinsam durch die bereits am frühen Morgen gut besuchten Markthallen des Mercado de Ruzafa und gelangten zunächst in die laute, nach Meer riechende Fischhalle mit ihren überbordenden Auslagen. Nahezu alles, was es im Meer an Essbarem zu fangen gab, wurde hier in absolut frischer Qualität angeboten. Beim Betrachten all dieser schmackhaften Fische und Meeresfrüchte lief uns das Wasser im Mund zusammen und so waren wir froh, als wir an ‚unserem‘ Fischstand ankamen. Dort gönnten wir uns zum Frühstück ein paar frische Austern und ein Glas Champagner. An diesem Morgen ließ ich mich auch zu einem Seeigel überreden. Leider erschloss sich mir nicht, warum man diesen so gerne aß.
Nach unserm gemeinsamen Frühstück schlenderten wir weiter und betrachteten die vielen angebotenen Waren. Es dauerte nicht lange und Sepp entwickelte wegen der vielen frischen und schmackhaften Auslagen mit großen Augen eine Einkaufsfreude, die ihresgleichen suchte. So brachte ich zwischendurch immer wieder mal eine Tasche, eine Kiste oder gar eine kleine Palette hinunter ins Parkhaus, um die erworbenen Waren in unserem alten Ford Focus zwischenzulagern. Schließlich aber trafen wir uns alle am Schinkenstand von Emilio wieder. Emilio, gebürtig von Gran Canaria, hat hier in der Markthalle von Ruzafa einen winzigen, aber feinen und immer gut besuchten Stand. Dieser Stand war vollgepackt mit so vielen leckeren Schinken, Würsten, Käse und sonstigen herrlichen Sachen, zum Beispiel Mojama, einem getrockneten, in Salz gelegten Thunfisch, der klein geschnitten in Olivenöl, mit viel frischem Knoblauch versehen, serviert wird. Emilio ist ein, im absoluten positiven Sinn gemeint, verrückter ‘Canario‘, der es liebt, Menschen zusammenzubringen. Als er uns sah, rief er uns winkend entgegen: ¿Hombres teneís hambre?“ Jungs, habt Ihr Hunger? Er machte, ohne eine Antwort abzuwarten, gleich einen Tinto auf, schnitt uns alle möglichen Sorten aus seinem Sortiment auf und verließ kurz seinen Stand, um beim benachbarten Bäcker frisches Brot für uns zu kaufen. Dann stießen wir gemeinsam auf unser Wiedersehen an und erzählten einander die jeweiligen Neuigkeiten, diskutierten über Politik, Paella, Frauen, Kinder und hatten viel Spaß miteinander. Natürlich war es nicht immer einfach zu verstehen, was Emilio oder auch sein Kollege, der aus Brasilien kam, von sich gaben. Spanisch, das sind so viele Akzente, so viele variierende Bedeutungen der Worte, die es einem nicht leicht machen zu verstehen. Aber mit Floriáns Hilfe wurde Notwendiges übersetzt. Erst einige Stunden später und einige Beutel voller herzhafter Schinkensorten mehr machten wir uns mit gefüllten Bäuchen auf den Rückweg. Schließlich ging es am Abend noch mit Florián und Gloria zum Essen. Da musste eine kleine Pause schon sein.
Ich hatte Emilio bereits vor Jahren kennengelernt, als ich das erste Mal mit Florián ‚seine‘ Markthalle besuchte. Auch damals landeten wir nach einem Rundgang an Emilios Stand. Florián stellte mich vor und sofort kamen wir ins Gespräch. Weil er nun wusste, dass ich aus Alemania kam, rief er sofort alle, die er kannte und die vorbeikamen und nach seinem Wissen in irgendeiner Art Deutsch sprachen, an seinen Stand, um mich vorzustellen. So rief er auch alle zu sich, die nach seinem Wissen eine gute Paella zubereiten konnten, weil ich ihm erklärt hatte, dass ich Paella Valeciana lieben würde. Es dauerte nicht lange, bis eine Traube von Menschen gemeinsam mit uns an seinem Stand zusammenstanden und sich bei einem Tinto und den vielen Leckereien, die Emilo immer wieder frisch für uns aufschnitt, angeregt unterhielten. Als ein weiterer Gast ankam, fragte ich Emilo auf Spanisch, ob es möglich sei, ein weiteres Glas zu bekommen. Er schaute mich nur an und sagte: „Heh, ich dachte, wir seien nun Freunde?“ Ich verstand erst nicht und schaute ihn wohl etwas ratlos an, als er meinte: „Wie heißt das unter Freunden?“ Also wiederholte ich meine Bitte in der von ihm favorisierten Form in etwa mit den Worten gib mal noch ein Glas her. „Na also“, antwortete er, reichte mir ein Glas und grinste mich an. Als ich später mit Florián gehen wollte, fragte ich ihn, was wir ihm schuldig seien. Schließlich hätten wir einige Flaschen Tinto und sicher auch vieles andere verzerrt. Er schaute mich nur an und meinte: „Fängst du schon wieder an?“ Also blieb mir nichts als, mich zu bedanken und mich herzlich zu verabschieden. Ich muss gestehen, dass ich dies anfangs zunächst für ein geschicktes Marketing gehalten hatte, weil ich glaubte, dass er so um neue Kunden warb.
Heute weiß ich aber mit absoluter Sicherheit, dass dies nicht so ist. Wenn Emilio jemanden mag, dann gibt er, was er hat. Ich war so oft an seinem Stand und ja, natürlich habe ich auch etwas von seinen leckeren Angeboten gekauft. Aber immer wieder blieben wir für Stunden an seinem Stand und unterhielten uns miteinander bei so manchem Glas Tinto. Nur kurz Einkaufen, das ging bei Emilio nicht. Da musste man schon ein paar Stunden einplanen. Ich erinnere mich noch an eine Begebenheit, als wir ihn während der Coronazeit an seinem Stand besucht hatten. Florián hatte uns angekündigt und als wir ankamen, hatte er in einem angrenzenden Straßencafé vor der Markthalle einen Tisch für uns reserviert, damit er uns dort bewirten konnte, weil es verboten war, am Stand etwas zu sich zu nehmen. Also bereitete er für uns kurzerhand einige Leckereien vor, besorgte Wein, Brot, rief eine Freundin zu sich, die in diesem Café arbeitete, drückte ihr alles in die Hand und bat sie den Tisch für uns vorzubereiten. Dann ging er gemeinsam mit uns zu dem Café, verbrachte gute zwei Stunden mit uns und überließ den Stand seinem brasilianischen Angestellten. Von dieser Aktion war ich wirklich sehr beeindruckt und ich fühlte mich sehr geehrt.
Zurück an Bord packten wir alles in die Kühlschränke, legten uns auf unsere Poster im Cockpit und unterzogen uns dann einem ausgiebigen Mittagsschlaf. Als wir wieder erwachten, war es bereits 17:00 Uhr. Bereits? Na ja, in Bezug auf das Abendessen war es eher noch früh. Abendessen in Spanien ist nicht zu vergleichen mit dem Abendessen in Deutschland. Zunächst ist da die Zeit. Wenn man in Spanien vor 20:00 Uhr zum Abendessen ein Restaurant besucht, weiß der Kellner definitiv, das sind keine Spanier. Ein Restaurant, insbesondere am Wochenende füllt sich erst ab 21:30 Uhr so langsam. Dann aber wird es voll und auch nicht selten laut. Oft, speziell im Sommer, geht die komplette Familie, mit Kind und Kegel, gemeinsam mit vielen Freunden zum Essen. Da wird laut gelacht und diskutiert, das geht quer über den Tisch. Auch Kinder, die zahlreich um die Tische laufen, werden nicht als störend empfunden. Man unterhält sich einfach etwas lauter und dann passt es wieder. Hat man sich einmal an diese Form des beisammen sein gewöhnt, ist es eine wahre Freude solch ein Treiben in einem Restaurant zu erleben.
Wir hatten also noch alle Zeit der Welt, gemütlich zum Duschen zu gehen und uns anschließend umzuziehen. So machte ich mich an diesem Samstagabend gemeinsam mit Sepp gegen 21:00 auf den Weg. Gloria, Floriáns Frau, hatte leider wegen eines dringenden Familientermins absagen müssen und so waren wir nur zu dritt. Männerrunde! Wir entschieden uns für ein rustikales Restaurant im Barrio Ruzafa, dem ‚JM‘ (gesprochen Chota Eme) ein uriges kleines Restaurant, in der vornehmlich Einheimische zu speisen pflegten. Es war so, wie es sich gehörte, voll, laut, scheinbar chaotisch und gleichzeitig einfach genial und entspannend. Uns wurde vom Camarero, dem Kellner, ein Tisch auf den Gehweg gestellt, ein paar Stühle wurden hinzugefügt und schon war die Welt in Ordnung. Man brachte Brot, Aioli, Oliven und eine gute Flasche Verdejo, empfahl uns die gemischte Fischplatte mit fangfrischem Fisch und Meeresfrüchten, nahm die Bestellung auf, kümmerte sich gleichzeitig um neu ankommende Gäste und unterhielt sich parallel mit weiteren Gästen über die Spielergebnisse des FC Valencia.
Wir erlebten im JM einen wundervollen authentischen Abend, lachten viel und verspeisten genüsslich die wirklich hervorragende Fischplatte, die von weiteren Flaschen gut gekühlten Weißweines begleitet wurde. Gegen Mitternacht zog der Spanier gerne weiter in die umliegenden Bars und Clubs. So machten wir es auch. Wir bedankten uns für das exzellente Essen, zahlten und besuchten anschließend noch eine kleine Bar, um den Abend, genauer gesagt die Nacht, dort mit einem, vielleicht waren es auch zwei Gin Tonic zu beschließen. Gegen 02:00 verabschiedeten wir uns von Florián, winkten ein Taxi heran und machten uns satt und zufrieden, aber auch ziemlich müde, auf den Weg zurück in den Hafen. An Bord angekommen, waren wir immer noch durstig und genehmigten uns eine letzte Cerveza. Nachdem jeder von uns beiden während unserer Unterhaltung im Cockpit mal kurz ‚weggenickt‘ war, beschlossen wir, dass es Zeit war, uns auf die Kojen zurückzuziehen. Es dauerte, soweit ich mich erinnern konnte, nur Sekunden, bis der Schlaf die Oberhand gewann.
Resümee des Tages:
Denke nicht, Lebe!
Diese Oberhand behielt der Schlaf noch lange. Der nächste Tag begann nicht nur spät, sondern auch sehr langsam. Aber das war egal. Schließlich war es Sonntag. Und sonntags darf man durchaus auch mal etwas länger über das Aufstehen nachdenken. Nachdem wir uns dann letztlich zum Aufstehen überredet hatten, begannen wir mit wem, was an einem solchen Tag gewöhnlich gemacht wurde. Außer ein paar Sprüngen ins Wasser, wenn die Temperatur zu unerträglich wurde, nichts! Und das war so entspannend. Der Montag verging mit den letzten noch unerledigten Aufgaben der To-do-Liste. Diese musste noch abgearbeitet werden.
Schließlich war es endlich so weit. Alle Arbeiten waren erledigt. Alles Notwendige war an Bord. Das Schiff war endgültig klar zur nächsten ausgiebigen Seefahrt. Abschließend holten wir noch den Wetterbericht für die nächsten Tage ein, nickten zufrieden und freuten uns auf den nächsten Morgen. Unseren letzten Abend im Hafen verbrachten wir in unserem Stammlokal, dem Val Paraiso, und gönnten uns einmal mehr die leckeren Tapas und ein paar gepflegte Cervezas.
Was für ein Morgen dachte ich beim Blick aus dem Niedergang. Ein intensiv tiefblauer, wolkenloser Himmel, eine leichte Brise und angenehme 24°Celsius begrüßten uns an diesem Vormittag. Heute sollte es endlich so weit sein. Der Proviant war an Bord, das Wasser gebunkert und so machten wir das Schiff klar zum Ablegemanöver. Der Motor lief, der Landanschluss und die nicht mehr benötigten Festmacher waren weggepackt, die letzten beiden Festmacher wurden gelöst und schon waren wir frei vom Steg. Zunächst verholten wir aber nur in den Real Club, zur Tankstelle. Dort füllten wir sowohl unseren Tank als auch die Reservekanister und machten uns dann endlich auf den Weg hinaus aufs Meer. Nachdem wir um 14:00 Uhr die Hafeneinfahrt passiert hatten, war das Schiff klar zum Segelsetzen. Groß und Code Zero wurden gesetzt und nach dem Trimmen der Segel wurde der Motor ausgeschaltet. Ist es nicht immer wieder ein befreiendes, entspannendes und tief befriedigendes Gefühl, wenn der Wind in die Segel bläst, sich das Schiff leicht auf die Seite neigt und nach vorn treibt? Kein Motorgeräusch stört diese Empfindungen. Du hörst nur die gurgelnden Geräusche des am Schiffsrumpf vorbeirauschenden Wassers und fühlst den Wind in deinen Haaren, (soweit ausreichendes Haar vorhanden ist), der dir den Schweiß von der Stirn bläst und du spürst die Erleichterung endlich wieder dort zu sein, wo du dich wohlfühlst, auf dem Meer.
Mit leichten Winden aus nördlichen Richtungen und einer flachen Dünung aus Nordost setzten wir Kurs 110° und passierten die Reede vor Valencia. Mit durchschnittlich fünf bis sechs Knoten ging es Richtung Ibiza. Nachdem alles eingerichtet war und der Trimm stimmte, schnappte sich Sepp die Angel, suchte sich einen schönen Köder aus und ließ circa achtzig bis einhundert Meter Schnur von der Rolle. „Es wäre doch zu schön, wenn Neptun uns heute etwas zum Grillen an die Angel heftet“, meinte Sepp und beschäftigte sich begeistert weiter mit der Angel. Ich kontrollierte unter Deck nochmals die Bilgen und die Maschine, notierte alle Wetterdaten ins Logbuch und setzte mich zufrieden ins Cockpit. So segelten wir bei schönem Wetter, kreuzten den Hauptverkehrsweg der Großschifffahrt und genossen diesen Tag in vollen Zügen. Leider ließ der Wind später etwas nach und drehte zurück auf Nordwest. Dadurch wurden wir deutlich langsamer und die Anzeige rutschte zeitweise gerne mal unter vier Knoten. Normalerweise wäre dies der Zeitpunkt, die Segel zu streichen und den Motor zu bemühen. Aber wieso eigentlich, fragten wir uns. Wir hatten doch wirklich alle Zeit dieser Welt. Und eben deshalb änderten wir überhaupt nichts und akzeptierten einfach, was Rasmus und Neptun zu geben bereit waren.
Der Dank für diese Entscheidung folgte auf dem Fuße. Durch die geringere Geschwindigkeit dauerte es nicht lange, bis ein erster Biss die Angelschnur mit einem lauten Surren ausrauschen ließ. Da hatte uns Neptun doch tatsächlich etwas an den Haken gesteckt. Ein kleiner Mahi Mahi, eine gemeine Goldmakrele, hatte angebissen und nachdem die Bremse etwas stärker gestellt wurde, legte sich der Fisch auf die Seite und surfte hinter unserem Segelschiff über die Wellen. Zehn Minuten später war er an Bord, wurde betäubt, getötet, ausgenommen und filetiert. Damit war eine erste Grundlage für unser Abendessen gelegt. Der Köder ging abermals über Bord und rauschte aus. Es war einfach herrlich. Wir ließen uns vom Wind treiben und fügten uns in den Rhythmus der Schiffsbewegungen. Es dauert ja erfahrungsgemäß immer einige Zeit, bis man ruhiger wird und herunterfährt. Aber einmal begreift man dann doch, dass alles seine Zeit hat. Sepp, der die Ruhe selbst war, legte anfangs häufiger den Finger in die Wunde, wenn ich mal wieder in die Hektik Spirale verfiel. Frei nach dem Motto „Ruhig, Brauner, gaaanz ruhig.“
Später in Laufe des Nachmittags surrte mit einem Mal die Angel erneut. Diesmal aber deutlich lauter, weil schneller und auch länger. Ich schmiss sofort die Schoten los, um den noch verbliebenden Druck aus den Segeln zu nehmen und drehte in den Wind. Trotz der