Saving Sophie  - Ihr letzter Moment könnte auch Deiner sein. - Sam Carrington - E-Book

Saving Sophie - Ihr letzter Moment könnte auch Deiner sein. E-Book

Sam Carrington

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Beschreibung

Du steigst mit deiner Freundin in ein Taxi, doch sie kommt nie zu Hause an...

Die 17-jährige Sophie wird nach einem Abend im Club völlig betrunken von der Polizei aufgegriffen. Was für ihre Eltern zunächst nur nach einer zu wilden Party mit Freunden aussieht, wird 12 Stunden später zum Albtraum: Sophies beste Freundin Amy ist in dieser Nacht nicht nach Hause gekommen, und Sophie fehlt jede Erinnerung an den Abend. Als kurze Zeit später die Leiche eines jungen Mädchens gefunden wird und Sophie sich immer mehr zurückzieht, kommen ihrer Mutter Karen erste Zweifel: Was ist in der besagten Nacht wirklich geschehen? Weiß Sophie mehr, als sie zugibt? Oder ist sie womöglich in Gefahr?

Ein fesselnder Psychothriller über Freundschaft, Rivalität und Rache

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Seitenzahl: 590

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SAM CARRINGTON war nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester und einem Abschluss in Psychologie lange Zeit als Therapeutin im Strafvollzug tätig. Ihre Erfahrungen in diesem Bereich haben sie zum Schreiben inspiriert. »Saving Sophie« ist ihr Thrillerdebüt. Sam Carrington lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Devon.

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Sam Carrington

Saving Sophie

Ihr letzter Moment könnte auch Deiner sein.

Thriller

Aus dem Englischen von Melike Karamustafa

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die englische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »Saving Sophie« bei Harper Collins (Avon), London.

PENGUIN und das Penguin Logo sind Markenzeichen

von Penguin Books Limited und werden

hier unter Lizenz benutzt.

Copyright © 2016 by Sam Carrington

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 by

Penguin Verlag,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: Hafen Werbeagentur

Covermotiv: © Mark Owen / Trevillion Images; Pixelsatwork / GettyImages; Sakarin Sawasdinaka / shutterstock

Redaktion: Susann Rehlein

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-22496-7V004

www.penguin-verlag.de

In Erinnerung an meinen Dad, Norman, und meine Mum, Mary

Ich vermisse euch jeden einzelnen Tag.

Prolog

Samstag

»Sch-sch … Sei still!« Mit der linken Hand löst er den Riemen, mit dem der Gummiknebel befestigt ist. Mit der rechten greift er in ihr langes, lockiges Haar, zieht daran, wickelt es sich um die Hand, sodass sie ihren Kopf nicht mehr bewegen kann. So fest, dass sie keine Möglichkeit hat, von ihm abzurücken. So fest, dass ganze Strähnen ihrer schwarzen Extensions abreißen; jede mit einem leisen Ploppen, das seltsam laut in ihren Ohren klingt.

Der Knebel trifft mit einem dumpfen Klatschen auf dem Betonboden auf. Ein unschuldiges, beinahe sanftes Geräusch, vollkommen unpassend, angesichts der Funktion, die er eben noch erfüllt hat.

»Sei jetzt still. Ganz ruhig. Es ist bald vorbei.«

Er hält seine Stirn an ihre Schläfe. Sein Schweiß bedeckt ihre Haut, als er den Druck verstärkt, sich über ihre Stirn bewegt. Sein widerlicher Geruch steigt ihr in die Nase. Sie versucht, die Luft anzuhalten; ein Wimmern kommt über ihre Lippen. Ihr Mund ist trocken.

»Nein. Kein Laut, hab ich gesagt.« Seine Stimme ist rau, drohend.

Sie hat die vom Weinen geschwollenen Augen weit aufgerissen, frische Tränen glitzern darin; das Salz der getrockneten Tränen hat Schlieren auf ihren Wangen hinterlassen. Sie ­öffnet den Mund, nur ein klein wenig, um die stummen Worte in ihrem Kopf herauszuschreien: Bitte, töte mich nicht.

Er bemerkt die winzige Bewegung ihrer Lippen und presst sofort die Finger darauf; unterdrückt die Worte, noch bevor sie sie formen kann. Nur ihr Atem dringt durch die schmalen Schlitze zwischen seinen Fingern; ein ersticktes Ausatmen.

Ihr letztes.

1

Karen

Das Bellen des Hundes weckte sie, noch bevor die spätabendlichen Besucher klingeln konnten.

Gedämpftes Reden drang herein, als Mike die Haustür öffnete. Dann eine Stimme, die sie kannte. Karen sprang vom Sofa auf, nahm den Hund auf den Arm und rannte in den Flur. Das Bild, das sich ihr bot, traf sie vollkommen unerwartet. Eingekeilt zwischen zwei Polizeibeamten stand ein verwahrlostes Mädchen.

Sophie.

»Was ist passiert?« Sie stürzte zur Haustür und ließ den Hund auf den Boden fallen. Das Bellen verwandelte sich in ein Knurren. Sie ignorierte es, die Aufmerksamkeit ganz auf ihre Tochter gerichtet. Tränen hatten Spuren auf ihrem viel zu stark geschminkten Gesicht hinterlassen, der rote Lippenstift war um den Mund herum verschmiert.

»Keine Sorge, sie steckt nicht in Schwierigkeiten. Wir sind nur unserer Sorgfaltspflicht nachgekommen, indem wir sie nach Hause gebracht haben.« Der Polizist redete weiter, aber Karen hörte nicht mehr zu.

Was in aller Welt war ihr zugestoßen?

Sophie wirkte auf einmal viel jünger als die siebzehn Jahre, die sie war; ihr kleines Mädchen war kaum in der Lage, aufrecht zu stehen. Erschöpft lehnte sie am Geländer, das die Veranda begrenzte, versuchte, den Mund zu öffnen, um einen zusammenhängenden Satz herauszubringen.

Es gelang ihr nicht.

Nur Fetzen dessen, was die Polizeibeamten sagten, drangen zu Karen durch, während sie ihre Tochter panisch von oben bis unten musterte. »… gefunden, als sie alleine die Hauptstraße entlanglief …« Vorsichtig tupfte sie Sophies nasses Gesicht mit dem Ärmel ihres Pullovers ab. »… ganz in Schwarz gekleidet … nicht sicher …« Sie fasste Sophie bei den Armen und blickte ihr in die dunklen, erweiterten Pupillen. Wie viel hatte sie getrunken?

Sie standen noch immer auf der Veranda, die Tür hinter ihnen weit geöffnet, die Polizeibeamten – groß, offiziell – auf der Türschwelle. Bei den Nachbarn bewegte sich ein Vorhang. Mit zitternden Händen versuchte Karen, ihre Tochter zu stabilisieren, als sie mit den hohen Lackleder-High Heels auf dem glatten Fliesenboden ausrutschte. Sie sah Mike nicht an, nahm nur am Rande wahr, dass er sich bei den Polizisten bedankte.

»Warum warst du ohne die anderen unterwegs?«, rief Karen aus. »Haben sie dich wieder allein gelassen?« Es kümmerte sie nicht, was die Beamten oder die Nachbarn dachten oder was Mike ihr warnend zuraunte – all das verschwamm zu einem Hintergrundrauschen.

Sophie starrte ins Leere, einen fremden Ausdruck im Gesicht. Das sonst so lebhafte Hellblau ihrer Augen, das Karen so vertraut war, hatte sich verdunkelt; jegliches Gefühl schien daraus gewichen zu sein. Ausdruckslos starrte sie vor sich hin. Aber als ihre Mutter konnte Karen das verängstigte junge Mädchen dahinter sehen.

Das hier waren nicht nur die Auswirkungen von zu viel Alkohol.

Als die Polizisten weg waren, gingen sie wie unter Schock ins Wohnzimmer. »Was hast du dir dabei gedacht, Sophie?«, sagte Mike, nur Zentimeter von ihrem blassen Gesicht entfernt. »Du stinkst nach Alkohol.« Er trat kopfschüttelnd einen Schritt zurück.

»Ich weiß nicht, was sie getan hat …« Sophie sah auf, bemüht, den Blick zu fokussieren.

»Wer was getan hat, Liebes?« Karen stützte die schwankende Sophie, ihr Ton jetzt ruhiger, sanfter als Mikes.

»Ich weiß nicht, wer sie ist.« Ihre Stimme klang schwerfällig; die einzelnen Silben, die ihr über die Lippen kamen, schienen nicht zu ihrer Mundbewegung zu passen. »Woher soll ich wissen, warum Amy Amy sein wollte?«

»Hast du irgendwas genommen, Sophie?« Mike trat wieder einen Schritt vor, umfasste ihren Arm, zwang sie, sich auf das durchhängende cremefarbene Sofa zu setzen.

»Nein. Nein …«

»Mike! Sie ist viel zu betrunken, um zu verstehen, was du sagst.« Karen sah ihm suchend ins Gesicht. Er musste sich daran erinnern, dass sie selbst damals, zu ihrer Zeit, oft genauso betrunken gewesen waren. Das passierte allen Teenagern mal, oder etwa nicht?

»Und das macht es weniger schlimm? Karen, sieh sie dir an. Es ist halb elf. Sie ist vor gerade mal viereinhalb Stunden aus dem Haus gegangen.« Er stand auf, um im Wohnzimmer auf und ab zu laufen. Dann ließ er sich schwer auf das Zweisitzersofa gegenüber fallen, rieb sich über das Gesicht, fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Dir hätte alles Mögliche passieren können. Verstehst du, Sophie?« Er spie die Worte aus, das Gesicht wutverzerrt – ein hässlicher Ausdruck, den Karen nicht zum ersten Mal an ihm sah.

Das Lachen platzte in kurzen, abgehackten Salven aus ihr heraus. Unnatürlich. Ganz anders als Sophies sonst so leichtes, ansteckendes Kichern. Dieses Lachen war unheimlich und nervtötend.

»Glaubst du etwa, das hier sei witzig?« Mike sprang auf die Beine und stürzte mit wenigen großen Schritten auf Sophie zu, die mehr auf dem Sofa hing denn saß, das Kinn auf die Brust gesunken. Wenn sie noch weiter vorrutschte, würde sie auf den Boden fallen.

»Bitte.« Karen hob die Hände, um Mike zurückzuhalten. Seine Wut machte alles nur noch schlimmer. Sie löste den Blick von ihm und wandte sich wieder ihrer Tochter zu. »Sophie, Liebes, warst du mit Amy zusammen?«

»Was spielt es für eine Rolle, dass sie Amy sein wollte?«, murmelte sie vor sich hin. Es war zwecklos; unwahrscheinlich, dass sie an diesem Abend noch irgendeinen zusammenhängenden Satz aus ihr herausbekommen würden.

Karen holte tief Luft, um den aufflammenden Zorn im Zaum zu halten. Sie war sich sicher, dass Sophies Freunde ohne sie weitergezogen waren. Es wäre nicht das erste Mal. Vor gerade einmal drei Monaten hatte Mike mitten in der Nacht einen Anruf erhalten. Sophie war ohne Geld in Torquay gestrandet, wo ihre sogenannten Freunde sie zurückgelassen hatten. Das übliche »So sind die Teenager heutzutage eben« reichte in diesem Fall als Erklärung nicht aus. Es war die reinste Selbstsucht, die diese Kinder antrieb.

»Ich muss aufs Klo.« Sophie versuchte, vom Sofa aufzustehen. »Ich muss ganz dringend pinkeln«, murmelte sie schleppend.

»Ich helfe dir.« Karen schlang ihr einen Arm um die Taille, den anderen hatte sie ausgestreckt, um die Balance zu halten, während sie ihre schwankende Tochter zum Bad im Erdgeschoss führte. Sie mussten aussehen wie zwei Kinder, die für ein dreibeiniges Rennen ihre Beine aneinandergebunden hatten.

Mike lief im Wohnzimmer auf und ab. Sein Gesicht war vor Wut rot gefleckt.

Die Stirn gegen die Tür der Toilettentür gelehnt, wartete Karen darauf, dass Sophie wieder herauskam. Es würde eine lange Nacht werden.

Sie hörte die Spülung, dann ein Poltern.

»Alles okay, Liebes?«

Ein Kichern, dann öffnete Sophie, halb schlitternd, halb fallend die Tür. Zusammen machten sie sich zurück auf den Weg ins Wohnzimmer.

»Sie muss ins Bett.«

»Was du nicht sagst.« Mike wandte den Blick ab.

Karen manövrierte Sophie in Richtung der Treppe, die in den ersten Stock hinaufführte. »Kannst du ihr bitte ein Glas Wasser holen?«

Mit einem unwilligen Schnauben verschwand er in der Küche.

Karen schleppte Sophie die Stufen hinauf, wobei sie Mühe hatte, den schwankenden Körper ihrer Tochter aufrecht zu halten. Der Tochter, die in der einen Minute lachen und in der nächsten weinen konnte, als würde eine ganze Welt zusammenbrechen; es war gerade einmal ein paar Stunden her, dass sie in einem neuen schwarzen Kleid, hübsch und sorglos, das Haus verlassen hatte.

Karen kniff die Augen zusammen. Sie durfte nicht weinen. Nicht jetzt. Dieses Mädchen war nicht ihre Sophie. Nicht die Sophie, die immer für ihre Freunde da war, sie aufbaute, wenn sie einen Fehler gemacht hatten, ihnen eine Schulter zum Ausweinen bot, sie nach Hause brachte, wenn sie sich betrunken hatten. Warum hatten sie sie in diesem Zustand alleingelassen? Oder war Sophie diejenige gewesen, die ohne sie weitergezogen war? Sie hörte nicht auf, irgendetwas über Amy vor sich hin zu brabbeln; sie schien sich Sorgen um sie zu machen.

Auf einmal hatte Karen das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

Wo war Amy?

2

Karen saß mit angezogenen Knien, den Kopf gegen das weiche, samtbezogene Kopfteil gelehnt, auf dem Bett und tippte eine Nachricht in ihr Telefon.

»Was machst du?«, fragte Mike und ging um das Bett herum auf seine Seite.

»Ich schreibe Liz.«

»Herrgott noch mal, Karen, es ist Mitternacht. Lass es gut sein!« Er ließ sich auf die Bettkante fallen und zog sich die Hose aus. Ein paar Münzen fielen aus den Taschen und verteilten sich klackernd im ganzen Schlafzimmer. »Verdammt!«

»Ich muss wissen, ob Amy sicher zu Hause angekommen ist.« Karen bemühte sich um einen sanften, ruhigen Tonfall, in der Hoffnung, an sein Verständnis zu appellieren.

»Sophie ist doch viel zu besoffen, um sich zu erinnern, mit wem sie überhaupt unterwegs gewesen ist. Wer auch immer es war – sie hat sich von ihnen getrennt, und die anderen werden bis um drei in irgendeinem Club weiterfeiern. Du musst Liz deswegen nicht aufscheuchen. Geh einfach schlafen.« Er war müde. Gereizt. Karen wusste nur zu gut, wie sehr er es hasste, dass sie die Dinge nie einfach auf sich beruhen lassen konnte.

»Als könnte ich jetzt auch nur ein Auge zutun. Ich glaube nicht, dass sie bloß Alkohol getrunken hat.«

»Entspann dich.« Er warf sich auf der Matratze hin und her, um eine bequeme Position zu finden, dann zog er sich die Decke bis über die Schultern und drehte sich auf die Seite. Von ihr weg.

»Mike«, insistierte sie. Sie weigerte sich, die Unterhaltung als beendet anzusehen. Da waren zu viele Dinge, die ihr durch den Kopf gingen. Verstörende Dinge. »Findest du nicht, dass sie aussah, als hätte sie Drogen genommen? Oder dass jemand sie unter Drogen gesetzt hat? Sie hat so komisch geredet …«

»Ist das dein Ernst?« Mike schlug aufgebracht die Decke zurück, sodass sein trainierter nackter Oberkörper zu sehen war, dann setzte er sich auf und starrte sie wütend an. »Glaubst du nicht, dass uns die beiden Polizisten informiert hätten, wenn ihnen irgendetwas in der Richtung aufgefallen wäre? Nur weil du mal mit einem Haufen verkorkster Krimineller gearbeitet hast, heißt das noch lange nicht, dass Sophie jedes Mal, wenn sie ausgeht, ins Visier irgendwelcher Vergewaltiger gerät.«

»Du warst derjenige, der Sophie angeschrien hat, dass ihr alles Mögliche hätte passieren können. Waren das nicht deine Worte, alles Mögliche?«, schoss Karen zurück.

Er rieb sich mit einem genervten Stöhnen die Stirn. »Ich meinte damit, dass jemand sie über den Haufen hätte fahren können, dass sie im nächsten Graben hätte landen können. Und ja, es ist mir durchaus auch in den Sinn gekommen, dass jemand ihren Zustand hätte ausnutzen können. Aber das ist ganz offensichtlich nicht geschehen. Du behauptest dagegen, dass sie unter Drogen gesetzt wurde. Mit Absicht. Ich habe keine Ahnung, was in deinem Kopf vorgeht. Und jetzt lass mich bitte schlafen. Wir reden morgen früh mit ihr. Das Ganze wird sich sowieso nur als irgendein bescheuertes Teenie-Drama herausstellen. Wahrscheinlich hat sie sich mit Amy gestritten.« Er drehte sich wieder auf die Seite, das Gesicht dem Fenster zugewandt, mit dem Rücken zu ihr.

Eine Träne rollte Karens Wange hinab und tropfte auf die Bettdecke. Einen Moment lang starrte sie auf den Mascara-Fleck auf dem Bezug, dann wischte sie mit einem Finger darüber. Wie konnte er so unsensibel sein? Hatte er vergessen, warum sie war, wie sie nun mal war? Der Angriff war fast auf den Tag genau zwei Jahre her.

Mit leerem Blick starrte sie auf den Fleck. Sie würde den Bezug waschen müssen.

Für einige Sekunden starrte sie den Hinterkopf des Mannes an, mit dem sie seit bald dreiundzwanzig Jahren verheiratet war. Dann tippte sie ihre Nachricht an Liz weiter.

Hi Liz, entschuldige, dass ich dir so spät noch schreibe. Hast du etwas von Amy gehört? Sophie ist von der Polizei nach Hause gebracht worden, sie war total betrunken. Ich habe keine Ahnung, warum sie nicht mit ihren Freunden zusammen war. Ich hoffe, den anderen Mädels ist es besser ergangen. Schreib mir bitte zurück, wenn du meine Nachricht gelesen hast.

Sie stellte das Handy auf Vibrationsalarm und schob es unter ihr Kopfkissen. Dann nahm sie den Blister mit den Antidepressiva vom Nachttisch, würgte zwei Tabletten ohne Wasser hinunter und stand auf, um noch einmal nach Sophie zu sehen.

3

Sonntag

Das Klappern von Tellern und das Klirren von Besteck drangen in Karens Schlaf. Wie spät war es? In der Ferne war das tiefe Läuten der Glocken zu hören, die zum Sonntagsgottesdienst riefen. Mal lauter, mal leiser, je nachdem, wie der Wind stand. Früher hatte sie das Geläute entspannend gefunden, beruhigend sogar. Doch irgendwann hatte es begonnen, ihr auf die Nerven zu gehen. Es war eine stetige Erinnerung daran, wie lang sie bereits in Ambrook lebte. Von der Stadt in die Abgeschiedenheit zu ziehen, in die Grafschaft Devon im Südwesten Englands, war ihnen vor zehn Jahren wie eine gute Idee erschienen. Eines der netten alten Cottages hatten sie sich nicht leisten können, stattdessen hatten sie eine moderne, sehr viel weniger charmante Doppelhaushälfte gekauft. Aber der Ausblick auf die wunderschöne Landschaft von Dartmoor hatte sie für alles entschädigt. Doch inzwischen interessierte selbst der sie nicht mehr. Sie hatten zu lange gezögert wegzuziehen, und nun ließ ihr Zustand eine so große Veränderung nicht mehr zu.

Das Geräusch tapsender Pfoten neben dem Bett ließ sie die Augen öffnen. Ein schweres Gewicht landete auf ihren Beinen, dann arbeitete sich Bailey bis zu ihrem Gesicht vor, um ihr einen Gutenmorgenkuss zu geben. Lustlos kraulte sie ihm den Bauch, bevor sie sich aufsetzte. Sie wandte sich zu Mikes Bettseite um. Leer. Dann war also er derjenige, der den Krach in der Küche veranstaltete. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits 8.45 Uhr war. Warum hatte er sie nicht geweckt?

Karen drückte Bailey unsanft beiseite und schob die Füße in die Slipper, die vor dem Bett standen, dann schlüpfte sie in ihren Morgenmantel und ging über den Flur in Richtung Treppe. Vor Sophies Tür hielt sie inne. Angestrengt horchte sie auf Bewegungen oder tiefe Atemzüge, die verrieten, dass ihre Tochter noch schlief.

Bitte, lass sie noch atmen. Lass sie nicht an ihrem eigenen Erbrochenen erstickt sein.

Karen hatte eine zitternde Hand auf den Türknauf gelegt. Während der vergangenen unruhigen Nacht hatte sie ein paarmal nach ihrer Tochter gesehen. Das letzte Mal vor drei Stunden.

Sie holte tief Luft und öffnete die Tür.

Sie lag auf dem Bauch. Ein Wust hellbrauner Haare bedeckte das Kissen und Teile ihres Gesichts. Sie lag genau in derselben Position da wie noch vor wenigen Stunden. Alles, was Karen hören konnte, waren ihre eigenen Atemzüge: hektisch, flach. Warum gab Sophie keinen Laut von sich? Sie streckte die Hand aus, ließ sie einen Augenblick in der Luft schweben, bevor sie sanft die Finger auf den Rücken ihrer Tochter legte. Sie war warm. Karen ließ die Schultern sinken. Gott sei Dank.

»Sophie«, flüsterte sie. Dann etwas lauter: »Sophie.«

Sie bewegte sich. Öffnete die Augen. Die Pupillen noch immer dunkel und erweitert, der Blick noch immer abwesend.

»Was ist?« Mit dem Handrücken wischte sie sich einen Speichelfaden aus dem Mundwinkel und setzte sich auf.

»Wie fühlst du dich?«

»Okay«, sagte sie mit einem Gähnen. »Müde.« Mit gerunzelter Stirn fuhr sie suchend mit einer Hand über die Matratze. »Hast du mein Handy gesehen?«

Karen hatte es auf der Arbeitsplatte in der Küche liegen lassen, wo sie es frustriert hingeworfen hatte, nachdem sie vergeblich versucht hatte, Sophies Nachrichten zu lesen. SMS, Anrufe, die ein wenig Licht auf die Ereignisse des vergangenen Abends hätten werfen können.

»Ja, es ist unten.«

»Oh …« Sophie sah verwirrt aus. Normalerweise bewegte sie sich ohne ihr Handy keine zwei Meter weit.

»Wie bist du gestern Abend nach Hause gekommen?« Karen hatte sich vorgenommen, die Unwissende zu spielen. Sie wollte es aus Sophies Mund hören; wollte, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte wegen des ganzen Ärgers, für den sie verantwortlich war.

»Äh … mit dem Taxi?« Sie schwang die Beine von der Matratze, blieb aber auf der Bettkante sitzen, um sich im Zimmer umzusehen. »Wo ist meine Handtasche?«

»Sophie.« Karens Stimme hatte an Schärfe gewonnen. »Deine Handtasche ist auch unten. Hör zu, du hast kein Taxi nach Hause genommen. Kannst du dich denn gar nicht daran erinnern, wie du zurückgekommen bist?«

Sophie sah starr geradeaus und schwieg. »Dann wird mich jemand mitgenommen haben«, sagte sie schließlich mit einem Blick auf Karen. Ihr Gesichtsausdruck wirkte neutral; keine Anzeichen für Schuldgefühle oder eine plötzliche Erinnerung daran, dass sie von der Polizei nach Hause gebracht worden war.

»Verdammt noch mal, Sophie!« Karen verschränkte die Arme vor der Brust.

»Was? Ich kann mich eben nicht erinnern, das ist alles. Ich bin zu Hause, mir geht’s gut. Oder etwa nicht?« Sophie ließ sich aufs Bett zurückfallen und zog sich die Decke bis unters Kinn hoch. »Ich bin müde. Ich will noch schlafen.«

»Aha.« Karen spürte, wie sie vor Wut rot anlief. Sie hatte sich Mühe gegeben, sanft und verständnisvoll zu sein, doch Sophie ging ihr mit ihrer scheinbar unbeteiligten, trotzigen Haltung wahnsinnig auf die Nerven. »Soll ich dir erzählen, wie du nach Hause gekommen bist?«

»Oh, Mann, kannst du mich nicht bitte einfach in Ruhe lassen? Wir können doch später noch reden.«

Karen riss ihr die Decke vom Körper. »Nein, Sophie, wir werden jetzt darüber reden.«

»Verdammt, Mum, was soll das?« Sie setzte sich auf, um die Decke wieder über sich zu ziehen.

»Ich kann einfach nicht glauben, dass du dich nicht daran erinnerst.« Karen beugte sich zu Sophie hinunter, bis ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten. »Die Polizei hat dich nach Hause gebracht, Sophie. Die Polizei!« Sie starrte ihre Tochter an, wartete auf eine Reaktion, auf das obligatorische »Sorry, Mum«. Aber es kam nichts. »Willst du überhaupt nichts dazu sagen? Dein Vater wäre beinahe ausgeflippt.«

Das Lächeln, das sich auf Sophies Gesicht ausbreitete, traf Karen wie eine Ohrfeige. Was fiel ihr ein, in dieser Situation auch noch zu lachen? Hatte Mike recht damit, dass sie die ganze Sache für komisch hielt?

»Okay, genug. Ich hab’s kapiert. Ich hätte nicht so viel trinken dürfen. Offensichtlich hab ich dich und Dad ziemlich auf die Palme gebracht. Es tut mir leid. Nicht witzig. Aber ist ja schließlich nicht so, als wärst du noch nie in deinem Leben betrunken gewesen, oder? Kannst du mich jetzt also bitte in Ruhe lassen, damit ich meinen Kater ausschlafen kann?« Sophie starrte Karen herausfordernd an. »Oh, und hör auf, so bescheuert den Kopf schief zu legen, wie du es immer machst, wenn du glaubst, dass man dich anlügt …«

Karen konnte es nicht fassen. »Im Ernst? Du meinst, das war genug? Ich habe noch nicht mal richtig angefangen. Das Ganze war kein Witz für uns. Glaub mir, keiner von uns hat gestern Abend gelacht. Und du hast uns auch nicht irgendwann mitten in der Nacht geweckt. Die Polizei hat dich um halb elf nach Hause gebracht. Wie in Gottes Namen hast du es bitte geschafft, dich innerhalb von ein paar Stunden in diesen Zustand zu versetzen?« Und bevor Sophie etwas erwidern konnte, fügte sie noch hinzu: »Vielleicht ist das der Grund dafür, dass mein Kopf so bescheuert reagiert.« Karen neigte den Kopf in einer übertriebenen Geste zur Seite. Dann schwieg sie, wartete auf eine Erklärung. Doch beim Anblick von Sophies schockiertem Gesichtsausdruck vergaß sie ihre Wut sofort wieder. Anscheinend konnte sie sich wirklich nicht an die Fahrt im Polizeiwagen erinnern. Karens Magen verkrampfte sich. Sanft schob sie ihre Tochter ein Stück beiseite, um sich neben ihr auf die Bettkante zu setzen. Dann nahm sie Sophies Hand. »Warum warst du allein? Wo waren deine Freundinnen?«

»Ich … ich bin mir nicht sicher. Ich kann mich nicht erinnern.«

»Versuch es. Bitte. Es ist wichtig.«

»Warum?«

»Das musst du wirklich fragen? Man hat dich aufgegriffen, als du mutterseelenallein und sturzbetrunken die Hauptstraße entlanggetorkelt bist. In der Nähe des Kreisverkehrs stadtauswärts. Und nachdem sie dich nach Hause gebracht hatten, hast du nicht aufgehört, irgendwelchen Unsinn über Amy vor dich hin zu brabbeln. Du hast immer wieder irgendwas wiederholt; dass du nichts darüber wusstest, dass sie Amy sein will …«

»Komisch.« Sophie ließ den Kopf sinken. »Ich verstehe nicht …«

»Geht mir genauso. Warum warst du ohne deine Freunde unterwegs? Bist du weggegangen, oder haben sie dich allein gelassen, so wie üblich?«

»Oh, Mann, fang nicht wieder damit an.« Sophie entzog Karen ihre Hand. »Lass mich kurz mal nachdenken. Ich kann mich nicht …« Sie rieb sich übers Gesicht. »Ich bin zu müde, um nachzudenken. Wenn ich noch eine Runde geschlafen habe, funktioniert mein Gedächtnis bestimmt wieder besser.« Sie ließ sich zurück aufs Kissen sinken und schloss die Augen.

Karen blieb noch eine Weile sitzen und blickte auf ihre Tochter hinab. Die ganze letzte Nacht hatte sie bereits eine dunkle Ahnung gehabt, dass es sich bei den gestrigen Ereignissen um mehr handelte als nur um ein paar harmlose, betrunkene Stunden.

Jetzt war sie sich sicher.

4

»Na, ist sie von den Toten auferstanden?« Mike hob kurz den Blick von seinem iPad, als Karen in die Küche kam, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Display richtete. Wenn er an seinen freien Tagen nicht gerade fernsah oder sich in seinem Arbeitszimmer verkroch, starrte er normalerweise auf sein geliebtes Tablet. Karen hatte sich schon mehr als einmal gewünscht, es ihm damals nicht geschenkt zu haben.

»Ich habe sie geweckt.« Sie schob sich an Mike vorbei, um an den Wasserkocher zu kommen. »Möchtest du auch einen Kaffee?«

Keine Antwort.

»Mike«, sagte sie laut, »möchtest du einen Kaffee?«

»Nein, danke. Hab eben einen getrunken.« Er legte das iPad auf die Kücheninsel. »Und, was hatte sie zu ihrer Verteidigung zu sagen? Irgendwelche Erklärungen?«

»Sie kann sich an nichts erinnern …«

»Oh, natürlich nicht.« Er verdrehte die Augen. »War ja klar, dass sie so tun würde, als hätte sie alles vergessen.«

»Ich glaube, das ist es nicht. Sie scheint wirklich eine Gedächtnislücke zu haben.«

»Sei nicht immer so verdammt leichtgläubig.« Er schnaubte verächtlich – eine ärgerliche Angewohnheit, mit der er Karen in letzter Zeit immer häufiger herabzusetzen versuchte wegen irgendetwas, das sie getan oder gesagt hatte. »Sie weiß, dass sie Ärger kriegen wird, also versucht sie, sich das Leben mit diesem ›Ich kann mich nicht erinnern‹-Schwachsinn leichter zu machen. Das kaufe ich ihr nicht ab.« Wütend sprang er auf. Das Quietschen des Barhockers ließ Karen zusammenzucken.

»Was hast du vor?«

»Herausfinden, was letzte Nacht passiert ist.« Er war schon halb zur Küchentür hinaus.

»Nein, lass es. Du wirst sowieso kein Wort aus ihr rauskriegen.«

»Das werden wir ja sehen. Ihr Verhalten gestern Abend war vollkommen daneben. Sie muss wissen, was sie mit solchen Aktionen anrichtet, was sie dir damit antut.«

»Sie hat mir nichts …«

»Es reicht!« Er starrte sie mit finsterer Miene an. »Hör auf, sie zu verteidigen. Sie hat sich danebenbenommen, und sie muss lernen, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat.« Damit verschwand er aus der Küche und polterte die Treppe hinauf.

Karen rührte in ihrem Kaffee, während sie sich ausmalte, was als Nächstes passieren würde. Mike würde Sophie anschreien, sie würde schmollen, dann würde er Karen die Schuld für ihre Reaktion geben; wie immer würde er jede Unzulänglichkeit ihrer Tochter auf Karen abwälzen, dann wäre er für eine Woche unerträglich, bevor er schließlich zerknirscht einsehen würde, dass er überreagiert hatte.

Karen seufzte und trank einen Schluck von ihrem Kaffee. Mit dem Becher in der Hand schlich sie zur Treppe. Kein Geschrei. Das war ungewöhnlich. Sie blieb noch eine Weile stehen und horchte angestrengt, doch alles, was von oben zu hören war, waren gedämpfte Stimmen.

Als die Tür zu Sophies Zimmer geöffnet wurde, stürzte Karen so hastig zurück in die Küche, dass heißer Kaffee auf ihre Hand spritzte. Verdammt. Sie hörte seine Schritte auf der Treppe und setzte sich schnell auf einen der Barhocker an der Kücheninsel.

»Und?«, fragte sie, als er hereinkam.

»Du hattest recht.«

Karen hätte vor Überraschung beinahe ihre Tasse fallen lassen. »Wie meinst du das?«

»Sie hat wirklich absolut keine Ahnung, was gestern Abend passiert ist, Karen.« Er ließ sich auf den Hocker ihr gegenüber sinken. »Aber ich kapiere nicht, warum. Wie um alles in der Welt konnte sie sich so schnell so heftig betrinken, dass sie keine Erinnerung an das hat, was nach sieben Uhr passiert ist? Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut.« Nachdenklich rieb er sich mit dem Zeigefinger über die Unterlippe.

Die Haare an Karens Armen stellten sich auf, ihre Haut prickelte. Das nagende Unbehagen in ihrem Magen verfestigte sich zu einem harten Knoten. Ihr fiel ein, dass sie ganz vergessen hatte, auf ihr Handy zu sehen. Vielleicht hatte Liz inzwischen geantwortet. Hastig sprang sie auf und lief hoch ins Schlafzimmer. Mit zittrigen Fingern versuchte sie, die Nachrichten-App zu öffnen.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Liz hatte ihr schon vor ein paar Stunden geantwortet. Amy ist nicht nach Hause gekommen. Sie geht nicht ans Handy. Weiß Sophie, wo sie ist? Liz

Karen stürmte aus dem Schlafzimmer, die Treppe hinunter und in die Küche, wo sie Mike das Telefon vors Gesicht hielt.

»Ich habe dir gesagt, dass du ihr nicht schreiben sollst, Karen.«

»Im Ernst? Darüber willst du jetzt diskutieren? Hast du gelesen, was da steht? Scheiße. Sophie hat gestern Abend die ganze Zeit irgendetwas über Amy vor sich hin gebrabbelt, und jetzt ist sie verschwunden.«

»Verschwunden ist ein bisschen übertrieben, oder?« Sein Tonfall war sarkastisch. »Sie hat wahrscheinlich nur bei irgendeiner Freundin übernachtet und schläft gerade ihren Rausch aus. Genau wie Sophie.«

Vermutlich hatte er recht. Nur warum wollte dann diese Unruhe, die von ihr Besitz ergriffen hatte, einfach nicht verschwinden? Wie sollte sie Liz erklären, dass sich Sophie an nichts erinnern konnte, was letzte Nacht passiert war, und dass sie vor allem keine Ahnung hatte, wo Amy war?

Sie las sich noch einmal Liz’ SMS durch, bevor sie ihr antwortete.

5

Sophie

Warum fiel es ihr so schwer, den vergangenen Abend zu rekonstruieren? Sophie saß im Schneidersitz auf ihrem Bett. Mit geschlossenen Augen versuchte sie irgendwelche Erinnerungen an die Oberfläche zu zerren. Sie hatten bei Amy vorgeglüht – so viel wusste sie noch. Sie waren zu sechst gewesen, die übliche Mädels-Clique: sie selbst, Amy, Erin, Becks, Alice und Rosie. Dann waren noch ein paar der Jungs dazugestoßen – Dan, Jack und Tom. Sie hatten Shots gekippt und die Mädchen aufgefordert mitzumachen. Sophie hatte mindestens drei gehabt; das war nach dem Wein gewesen. Allerdings hatte sie die Flasche nicht ausgetrunken. Sie erinnerte sich, dass er irgendwie sauer geschmeckt hatte. Für die wenigen Stunden war das ziemlich viel Alkohol gewesen, aber sie hatte in der Vergangenheit schon viel mehr getrunken und trotzdem nie einen Blackout gehabt. Zumindest keinen, der sich über einen ganzen Abend erstreckt hatte.

Ihr Kopf tat weh. Ein stechender Schmerz direkt hinter den Augen. Sie rieb sich die Stirn und die Schläfen, in der Hoffnung, so den Druck zu lindern, doch es funktionierte nicht. Sie ließ sich zurück in die Kissen sinken, zog sich die Decke bis unter die Nase und schloss die Augen. Ihre Lider fühlten sich unglaublich schwer an. Igitt, warum hatte sie bloß diese Shots getrunken? Die waren eindeutig zu viel gewesen.

Immer wieder ging sie in Gedanken durch, was ihre Eltern am Morgen gesagt hatten. Wie kann es sein, dass du von der Polizei nach Hause gebracht wirst und nichts mehr davon weißt? Dass man sie alleine in der Nähe des Kreisverkehrs gefunden hatte, machte absolut keinen Sinn. War sie in dem Club gewesen, der sich dort in der Nähe befand? Aber eigentlich gingen sie nie vor Mitternacht dorthin. Ihr Vater würde mit seinen Fragen nicht lockerlassen. Aber wie sollte sie ihm von etwas erzählen, an das sie sich nicht erinnern konnte? Ihre einzige Hoffnung bestand darin, dass ihre Freunde ihr helfen konnten, die Lücken zu füllen.

Ihr Handy. Sie musste inzwischen mindestens eine Million Nachrichten haben. Was hatte ihre Mutter noch mal gesagt, wo es war? Oh, nein, verdammt. Unten. Mühsam setzte sie sich auf. Sie hatte das Gefühl, sich in Zeitlupe zu bewegen, als würde ihr Gehirn losgelöst von ihrem Körper existieren. Schwerfällig schleppte sie sich durchs Haus. Sie war alles andere als scharf darauf, ihren Eltern gegenüberzutreten, aber sie konnte ihre Stimmen in der Küche hören, und wenn sie ihr Handy haben wollte, würde ihr nichts anderes übrig bleiben. So langsam, wie sie sich fortbewegte, war nicht mal daran zu denken, dass sie in die Küche hinein- und hinausschlüpfen konnte, ohne bemerkt zu werden.

Als sie die Küche betrat, sprang ihre Mutter auf. »Amy ist letzte Nacht nicht nach Hause gekommen.«

Ihr Dad verdrehte seufzend die Augen.

»Ich wollte gerade nachsehen, ob ich irgendwelche SMS bekommen habe. Wahrscheinlich hat sie bei jemandem auf dem Sofa übernachtet.« Sophie fuhr mit dem Daumen über das Display, um es zu entsperren.

»Das versuche ich deiner Mutter auch schon die ganze Zeit klarzumachen«, sagte ihr Dad mit einem genervten Kopfschütteln.

Sophies Puls beschleunigte sich, als sie die Dutzenden Nachrichten überflog, die sie in der Zwischenzeit erhalten hatte. Vier stammten von Tom. Geht es dir gut, Süße? Wo bist du? Ich kann dich nicht finden, mache mir Sorgen. Und die Letzte: Amy hat gesagt, Erin hat dir ein Taxi gerufen, und sie haben dich reingeschoben, damit du nach Hause fährst, haha! Im Ernst, ich hoffe, dir geht’s einigermaßen.

Sophie scrollte weiter, um zu sehen, ob Erin ihr auch geschrieben hatte. Hatte sie nicht. Wahrscheinlich hatte sie ihr Handy ausgeschaltet, weil ihr die ganzen Nachrichten auf dem Gruppenchat auf den Geist gingen.

Sophie sah auf. Ihre Mutter und ihr Vater starrten sie an, warteten darauf, dass sie ihnen Antworten lieferte. Was sollte sie ihnen erzählen? Dass die Mädels sie in ein Taxi verfrachtet hatten? Warum hatte man sie dann in der genau entgegengesetzten Richtung, am anderen Ende von Coleton, aufgegriffen? Großartig. Das bedeutete nur noch mehr Fragen.

In ihrem Kopf pochte noch immer ein dumpfer Schmerz, das typische Kater-Kopfweh, gepaart mit wachsender Angst. Sie holte ein paarmal tief Luft, bevor sie sagte: »Tom hat geschrieben, dass Amy und Erin mich in ein Taxi gesetzt haben, damit ich nach Hause fahre.«

Die Versuchung, einfach zurück in ihr Zimmer zu gehen und sich die Decke über den Kopf zu ziehen, war groß. Aber der seltsam stumpfe Ausdruck in den Augen ihrer Mutter hinderte sie daran. Die dunklen Augenringe ließen sie krank aussehen, gequält. Tiefe Falten hatten sich in ihre Stirn gegraben. Sie wirkte älter, abgespannt. Die sonst so lebhaften Locken fielen ihr schlaff und strähnig auf die Schultern. Sophie vermutete stark, dass sie nicht ganz unschuldig daran war, wie ihre Mutter heute aussah. Wahrscheinlich war sie die ganze Nacht wach gewesen und hatte sich Sorgen gemacht.

»Warum hat dich das Taxi dann nicht nach Hause gefahren?« Die Stimme ihrer Mutter zitterte.

»Keine Ahnung. Ich kann mich ja nicht mal daran erinnern, überhaupt in ein Taxi eingestiegen zu sein. Um ehrlich zu sein, kann ich mich an gar nichts erinnern.« Sophie vergrub das Gesicht in den Händen.

»Was ist mit Amy? Hast du irgendwelche Nachrichten von ihr bekommen?«

»Nur eine«, log sie. »Sie hat was Ähnliches geschrieben wie Tom. Dass sie hofft, dass ich okay bin, und dass sie mich morgen anruft.« Warum hatte sie das gesagt? Es war dumm, aber sie wollte nicht, dass ihre Eltern ihr weitere Fragen stellten.

»Schreib ihr zurück, Sophie. Liz macht sich Sorgen.«

»Wenn sie Liz nicht antwortet, wird sie mir auch nicht schreiben. Wahrscheinlich schläft sie gerade ihren Kater aus. Danach meldet sie sich bestimmt.«

»Es hat keinen Sinn, Karen«, warf ihr Vater ein. »Du weißt, wie die Kids drauf sind, nachdem sie eine Nacht unterwegs waren. Abgesehen davon, dass du überhaupt nicht trinken solltest, Sophie.«

Der Signalton von Sophies Handy ließ sie alle erschrocken zusammenzucken.

»Von wem?«, fragte ihre Mutter ungeduldig.

»Gib mir eine Sekunde, dann kann ich es dir sagen.« Sophie fummelte mit fahrigen Bewegungen an ihrem Telefon herum. Sie konnte die erwartungsvollen Blicke ihrer Eltern auf sich spüren, während sie die SMS las. Dann sah sie auf. »Das war Maxi. Von Andersons. Sie war gestern Abend nicht dabei. Sie will nur wissen, ob ich diese Woche arbeite oder College habe.« Sie spürte, wie das Gewicht ihrer Enttäuschung sie niederdrückte. »Sorry.«

Für einen Moment herrschte Stille, die nur vom unablässigen Rauschen des Wassers in der Spülmaschine durchbrochen wurde.

Sophie wollte aus der Küche in ihr Zimmer flüchten. Langsam drehte sie sich um und ging auf die Tür zu.

»Wo willst du hin?«

»Zurück ins Bett. Ich bin echt kaputt.«

»Im Ernst, du willst wieder schlafen gehen, obwohl du nicht weißt, was mit deiner Freundin passiert ist? Machst du dir gar keine Sorgen um sie? Ich finde, du solltest auf Facebook nachsehen, ob sie vielleicht irgendetwas gepostet …«

»Nein! Hast du nicht gehört, was ich eben gesagt habe? Sie ist garantiert bei irgendwem zu Hause …«

»Nicht nur, um rauszufinden, wo sie steckt. Ich will auch wissen, welches Taxiunternehmen Erin angerufen hat. Ich will wissen, wie spät sie dich angeblich in das Taxi gesetzt haben.«

»Was soll das heißen, angeblich?«

»Also ich finde es ziemlich seltsam, dass sie behaupten, dir ein Taxi gerufen zu haben, mit dem du nicht zu Hause angekommen bist. Entweder die beiden lügen, oder irgendetwas ist während der Fahrt passiert. Ich will wissen, was da los war.«

»Warum sollten sie lügen? Ehrlich, Mum, du bist so was von nervig.« Sophie wandte sich ab und marschierte aus der Küche.

»Oh, ich weiß nicht, warum sie lügen sollten«, schrie ihre Mutter ihr hinterher. »Vielleicht weil sie schlechte Freunde sind, die sich nur gegenseitig decken wollen?« Sie folgte Sophie, ohne ihre Tirade zu unterbrechen. »Sie haben dich irgendwo allein gelassen. Und anstatt dazu zu stehen, haben sie sich eine Geschichte ausgedacht, weil sie wussten, dass du zu betrunken bist, um dich später an das erinnern zu können, was wirklich passiert ist.«

Sophie ging den Flur hinunter, ohne zu antworten. Dann schlug sie ihrer Mutter die Tür vor der Nase zu und warf sich aufs Bett. Alles drehte sich. Sie schloss die Augen. Hatte ihre Mutter recht damit, dass ihre Freundinnen sie irgendwo zurückgelassen und sich hinterher eine passende Story zurechtgelegt hatten? Ihr fiel kein vernünftiger Grund ein, warum sie so etwas hätten tun sollen. Okay, es war schon vorgekommen, dass sie sich irgendwann in der Nacht verloren hatten, aber es war nie so schlimm gewesen, wie ihre Mutter es darzustellen versuchte. Sie waren einfach zu betrunken gewesen, hatten sich mit anderen Leuten unterhalten und sich dabei aus den Augen verloren. Dass einer mal nicht ans Telefon ging, hieß noch lange nichts. In Pubs war es eben ziemlich laut. Nur ihre Mutter schien das einfach nicht kapieren zu wollen. Bei der nächsten »Zu meiner Zeit war das anders«-Geschichte würde Sophie sich übergeben müssen, so viel stand fest.

Natürlich hatte Erin ihr ein Taxi gerufen, sie hatte immer auf Sophie aufgepasst, schon in der Schule. Erin war die Vernünftige von ihnen beiden, und Sophie vertraute ihr hundertprozentig. Trotzdem, wieso war sie dann am anderen Ende der Stadt gelandet? Sophie versuchte, den vergangenen Abend noch einmal Revue passieren zu lassen. Aber es war sinnlos. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, was geschehen war, nachdem sie von Amy zu Fuß in die Stadt losgegangen waren. Sie wusste nur, dass sie zu dem Zeitpunkt definitiv noch alle zusammen gewesen waren.

Ihr Handy vibrierte. Sie betete, dass es Amy war.

Die Nachricht kam von Dan. Der Schatz. Er passte immer auf sie auf. Schade, dass sie nicht auf ihn stand, sonst war er in jeder Hinsicht perfekt. Zu perfekt. Definitiv zu wenig Bad Boy für ihren Geschmack.

Guten Morgen, meine Schöne. Wie geht’s deinem Kopf? xx

Trotz ihres dröhnenden Schädels und des stressigen Morgens musste sie lächeln. Sie tippte eine Antwort.

Nicht besonders. Was ist letzte Nacht passiert?

Sie wartete, den Blick fest auf das Display gerichtet. Betete, dass er eine Antwort parat hatte, die diesem ganzen Mysterium ein Ende bereiten würde.

Du warst ganz schön voll, Süße. Wolltest nach dem zweiten Pub nach Hause! Weichei ;-) xx

Okay, langsam kam Licht ins Dunkel. Wenn sie nach Hause gewollt hatte, musste ihr wirklich schlecht gewesen sein. Sie kannte ihre Grenzen, und wenn sie sie überschritt, ging sie nach Hause. Immer. Also war sie wirklich in ein Taxi gestiegen, so wie Tom geschrieben hatte. Das warf allerdings andere kompliziertere Fragen auf. Fragen, mit denen sie sich im Moment nicht beschäftigen wollte. Scheiße. Ihre Mum würde eine riesige Sache daraus machen. Garantiert würde sie zur Polizei gehen, um den Taxifahrer anzuzeigen. Das war unvermeidlich. Ihr Job hatte sie gelehrt, von jedem Menschen nur das Schlechteste zu denken.

Warst du bis zum Ende dabei? Wer ist noch geblieben?

Ihre langen Acrylnägel klickten gegen das Plastikgehäuse ihres Handys. Es dauerte beinahe zehn Minuten, bevor sie eine Antwort bekam.

Wir sind im Shafters gelandet, wie üblich. Die Jungs waren alle bis zum Schluss dabei, Amy und Erin haben wir irgendwann verloren. Lange bevor wir in den Club gegangen sind.

Das war ganz und gar nicht, was sie hatte lesen wollen. Sie nannten den Club, in dessen Nähe die Polizei sie aufgegriffen hatte, Shafters. Erin hatte wahrscheinlich irgendwann genug gehabt und war zu ihrem Dad nach Hause gegangen; sie war kein großer Fan von Clubs und hing lieber in Pubs ab. Aber die Tatsache, dass Amy die Jungs nicht begleitet hatte, machte Sophie Sorgen. Wo war sie hängen geblieben?

Es war nicht ungewöhnlich, dass sich Amy nachts irgendwann von der Clique trennte. Sie kannte jede Menge Leute und liebte es, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Aufmerksamkeit, die sie normalerweise auch bekam. Jedes Mal, wenn sie ausgingen, war es, als handelte es sich bei Amy um den Hauptact beim Glastonbury-Musikfestival: Die Leute rissen sich geradezu darum, von ihr beachtet zu werden. Ihr wunderschönes, glänzendes, langes dunkles Haar, ihre ebenmäßigen Gesichtszüge, ihre lebhafte Art – andere Menschen fühlten sich von ihr angezogen wie Motten vom Licht. Sie war ohne Frage das beliebteste Mädchen in ihrer Clique. Sophie und sie hatten sich bei der Arbeit kennengelernt. Amy arbeitete im selben Kaufhaus wie Sophie, in der Make-up-Abteilung. Sie hatten sich von Anfang an blendend verstanden, obwohl Amy zwei Jahre älter war als sie selbst.

Wo hast du Amy das letzte Mal gesehen?

Nervös biss sie auf der Nagelhaut an ihrem Daumen herum. Warum brauchte er so lange, um zu antworten? Wenn das so weiterging, musste sie danach dringend zur Maniküre. Vielleicht sollte sie an die ganze Gruppe schreiben. Wahrscheinlich würde sie auf diese Weise schneller an die Antworten kommen, die sie so dringend brauchte.

Das Handy vibrierte. Endlich.

Ich habe mitbekommen, wie sie und Erin dich vor dem White Hart ins Taxi verfrachtet haben. Und danach ist sie, glaube ich, noch mit uns ins Farmer gekommen. Ich kann mich nicht erinnern, sie danach noch mal gesehen zu haben. Wahrscheinlich ist sie mit irgendeinem Kerl nach Hause gegangen. Du weißt ja, wie sie ist. xx

Ja. Sie wusste, wie Amy war. Und genau das war es, was ihr Sorgen machte.

6

Di., 19.00 Uhr

Wo bist du gewesen, meine Süße? Ich hoffe, du antwortest mir heute Abend. Ich habe genug davon, die ganze Zeit Nachrichten zu schicken, auf die ich keine Antwort bekomme. Ich vermisse unsere Unterhaltungen– es ist jetzt schon 2 Tage her! Ich will wissen, wie die Pläne für unser »Date« aussehen. Mir kommt es vor, als würde ich schon ewig darauf warten. Du weißt doch, ein Mann kann nicht ewig warten.

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Fr., 23.57 Uhr

Es tut mir so leid, dass ich bisher nicht geantwortet habe. Ich hatte wahnsinnig viel zu tun. Hier ist gerade so viel los, dass ich nicht weiß, ob ich es zu unserem Date morgen schaffe. Sieht so aus, als müsstest du dich noch ein wenig länger gedulden!

xxx

7

Karen

Eine Pushnachricht nach der nächsten ließ ihr Handy im Sekundentakt vibrieren. Karen entsperrte das Display und öffnete die Facebook-App. Augenblicklich sackte sie in sich zusammen. Da war sie, die Statusmeldung, vor der sie sich die ganze Zeit gefürchtet hatte:

Hat irgendjemand Amy gesehen oder von ihr gehört? Sie ist letzte Nacht nicht nach Hause gekommen, und jeder Anruf landet direkt auf ihrer Mailbox. Bitte leitet diese Meldung weiter. Wir sind sehr besorgt.

Es hatte begonnen. Jetzt würden die unvermeidbaren Fragen folgen.

»Sophie? Sophie!« Karen rannte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe in den ersten Stock hinauf.

»Was?« Sophie stand in ihrer Zimmertür.

Sie war ihnen den ganzen Tag aus dem Weg gegangen und nur nach unten gekommen, um sich etwas zu essen zu holen. Danach war sie jedes Mal so schnell wie möglich wieder in ihrem Zimmer verschwunden, bevor Mike sie weiter verhören konnte. Karen hatte sie in Ruhe gelassen. Es brachte nichts, sie weiter mit Fragen zu quälen, auf die sie ja doch keine Antworten hatte. Ihr Plan war gewesen, Sophies Freunde ohne ihr Wissen zu kontaktieren. Über die sozialen Netzwerke war das einfach: sich umhören, herausfinden, welches Taxiunternehmen die Mädchen angerufen hatten, und mit dem gewonnenen Wissen weitermachen. Doch Liz’ Statusmeldung änderte alles. Jetzt war die Sache ernst.

»Liz schreibt auf Facebook, dass Amy nicht auf Anrufe oder Nachrichten reagiert, und fragt, ob irgendjemand von ihr gehört hat. Hast du?«

Sophie machte ein zerknirschtes Gesicht. »Nein. Nichts. Ich habe ihr bestimmt zwanzig SMS oder so geschickt. Und mehrere Nachrichten über den Gruppenchat. So wie alle anderen auch.«

»Alle anderen? Wer ist alle anderen?«

»Unsere Clique. Fast alle, die gestern Abend dabei waren. Niemand hat sie gesehen oder was von ihr gehört.«

»Was zum Teufel war letzte Nacht los? Irgendetwas muss passiert sein. Bitte, Sophie, du musst dich erinnern.«

»Ich kann nicht. Und dass du ständig wiederholst, ich muss mich erinnern, hilft auch nicht. Ich. Erinnere. Mich. Nicht. Kapiert?« Sie trat einen Schritt zurück und knallte die Zimmertür hinter sich zu.

Karen blieb stocksteif vor der Tür stehen. Diese ganze Geschichte entwickelte sich zu einem absoluten Albtraum. Sophie schien sich nicht halb so sehr zu sorgen wie sie selbst. Warum? Sie wäre außer sich vor Angst, wenn eine ihrer Freundinnen verschwunden wäre. Und sie würde alles dafür tun, zu helfen.

Karen versuchte, sich zu beruhigen. Vermutlich gab es zu diesem Zeitpunkt nicht viele andere Möglichkeiten, als zu versuchen, Amy über ihr Handy zu erreichen, und mit den anderen über den Gruppenchat in Verbindung zu bleiben.

Sie ging wieder nach unten ins Esszimmer und fuhr ihren Laptop hoch. Aus irgendeinem Grund machte es der große Bildschirm noch schlimmer: mindestens dreißig besorgte Kommentare von Liz’ Freunden und einigen der Teenager, die gestern Abend auf die Clique getroffen waren. Doch niemand wusste, wo Amy war. Mit zittrigen Fingern gab Karen bei Google Vermisste Personen ein. Ein paar Klicks später klappte sie den Laptop entsetzt zu. Vielleicht war es besser, nicht zu viel darüber zu lesen, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.

Wie lange wartete man ab, bevor man die Polizei informierte?

Karen wählte Liz’ Nummer.

»Irgendwelche Neuigkeiten?« Mike hob den Blick von seinem iPad, als Karen hereinkam. Er hatte es also von der Küche bis ins Wohnzimmer geschafft. Ganze vier Meter immerhin. Er saß, mit dem Rücken gegen das Sofa gelehnt, auf dem Fußboden und balancierte das Tablet auf den ausgestreckten Oberschenkeln.

»Liz will noch eine Stunde abwarten, bevor sie die Polizei einschaltet. Ich begreife nicht, wie sie das aushält. Ich hätte schon längst dort angerufen.«

»Wäre ziemlich peinlich, wenn man seine Tochter als vermisst meldet und die ein paar Stunden später mit einem Kater zu Hause aufkreuzt. Kleinlaut, weil sie den ganzen Tag verschlafen hat.«

»Das wäre mir lieber, als eine Stunde untätig zu Hause rumzusitzen, um hinterher feststellen zu müssen, dass diese eine Stunde entscheidend gewesen wäre. Das könnte ich mir niemals verzeihen.«

»Dann sei dankbar, dass es nicht deine Tochter ist.«

»Verdammt, Mike.« Frustriert wandte sie sich ab. Sie sollte irgendetwas Konstruktives tun. Wenn erst die Polizei ins Spiel kam, würde Sophies Wissen über die Nacht essenziell sein.

»Was ist mit Erin? Hat sie dir gesagt, in welches Taxi sie Sophie gesetzt hat?«, rief Mike ihr hinterher.

»Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen, sie zu fragen. Sophie hat nichts von ihr gehört, glaube ich.«

»Dir ist schon klar, dass es unter diesen Umständen ziemlich wahrscheinlich ist, dass die beiden Mädchen zusammen sind?«

»Das wäre gut. Ich hoffe wirklich, dass das der Fall ist. Ich rufe Rachel an, um rauszufinden, ob sie was weiß.« Karen ging in die Küche hinüber, während ihre Gedanken unaufhaltsam um die Frage kreisten, was Sophie gestern Abend passiert war. Und was Amy zugestoßen sein mochte. Sie stellte noch einmal den Wasserkocher an; ohne Kaffee konnte sie nicht denken. »Ich frage mich, ob Liz die umliegenden Krankenhäuser angerufen hat«, sagte sie, mehr zu sich selbst als zu Mike.

Während sie darauf wartete, dass das Wasser zu kochen begann, lehnte sie sich an die Küchenanrichte und öffnete noch einmal die Facebook-App auf ihrem Handy. Mehr Kommentare von Leuten, die »Umarmungen« schickten; einige hatten dieselbe Idee wie Karen gehabt und sich nach den Krankenhäusern erkundigt. Liz hatte bereits geantwortet, dass sie in den Kliniken angerufen hatte.

Die Polizei war eindeutig der nächste Schritt.

Es gab nicht viel, was sie im Moment hätte tun können. Sie würde die Facebook-App geöffnet lassen, und mit etwas Glück gab es vielleicht bald schon Neuigkeiten.

Sie seufzte. Die nasse Wäsche war noch immer in der Maschine – Mikes Ranger-Uniform, die er für die Arbeit morgen brauchte. Am besten steckte sie die Sachen in den Trockner. Er konnte auf keinen Fall mit feuchter Kleidung im Moor herumlaufen. Und gegessen hatten sie auch noch nichts. Sie war viel zu beschäftigt mit anderen Dingen gewesen, um auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, was sie kochen könnte.

Ihre Brust zog sich zusammen, und die gewohnte nervöse Unruhe ergriff erneut von ihr Besitz. Morgen würde es so viel zu tun geben. Sie hasste Montage. Abgesehen von der anstehenden Hausarbeit musste sie auch noch zu ihrer Therapiestunde. Um sich zu beruhigen, stützte sie die Handflächen auf die Arbeitsfläche und atmete tief durch die Nase ein, bevor sie kurz innehielt und den Atem langsam durch den Mund wieder ausströmen ließ. Atmen. Die Vorstellung, den Tag mit all den unbeantworteten Fragen anzugehen, war erschreckend, entmutigend.

Das Klingeln ihres Handys unterbrach ihre Gedanken. Es war Rachel. Vielleicht würde eine kurze Unterhaltung mit ihrer ältesten Freundin dabei helfen, ihre Stimmung ein wenig zu heben. Außerdem könnte sie sie bitten, Erin nach dem Taxiunternehmen zu fragen. Es war ein paar Wochen her, seit sie das letzte Mal richtig mit Rachel gesprochen hatte. Allerdings war es nicht ungewöhnlich, dass Wochen vergingen, manchmal sogar Monate, in denen sie sich nur mit vereinzelten Nachrichten bei der jeweils anderen erkundigten, ob es ihr gut ging. Ihre Bindung war stark genug, als dass sie dadurch hätte Schaden nehmen können. Rachel war Karens Fels in der Brandung, war es schon immer gewesen. Ohne ihre beste Freundin hätte sie die letzten zwei Jahre nicht überstanden.

Schnell wischte Karen mit dem Daumen über das Display, um den Anruf entgegenzunehmen. »Hey, Rachel. Du warst schneller – ich wollte dich auch gerade anrufen.«

8

Sophie

Sie fühlte sich noch immer benommen. Ein ganzer Tag, an dem sie so gut wie tot gewesen war – war es das wert gewesen? Jeder Knochen in ihrem Körper schmerzte von der Sitzposition, in der sie seit Stunden verharrte. Mit dem Daumen scrollte sie durch den Newsfeed auf Facebook, um nachzusehen, ob es irgendwelche Neuigkeiten gab.

Das Ping klang seltsam laut in ihrem sonst stillen Zimmer – ein anderer Ton als der, den sie normalerweise für Benachrichtigungen eingestellt hatte. Sie tippte auf den Bildschirm. Eine neue E-Mail. Es war eine ganze Weile her, dass sie eine bekommen hatte. Seit Monaten hatte sie nicht mehr in ihren Account gesehen.

Der unbekannte Absender hatte einen Link mitgeschickt. Sie sollte die E-Mail am besten sofort löschen; wahrscheinlich war es Spam, irgendein Virus. Sie wollte gerade auf Löschen drücken, als sie innehielt. Der Text in der Mail ließ sie zögern:

Das hier wirst du sehen wollen. Es werden mehr folgen. Erkennst du sie?

Ohne länger darüber nachzudenken, berührte sie den Link.

Das Foto war beschnitten worden. Der Kopf fehlte. Ein schwarzes Kleid, hochgezogen, die nackten Beine entblößt. Am Knöchel war ein kleines Tattoo zu erkennen.

Sie schluckte. Ihre Kehle fühlte sich wie eingeschnürt an, schmerzte. Sie wusste sofort, wer das war.

9

Karen

»Weißt du, dass Amy vermisst wird?« Ein ängstlicher Unterton schwang in Rachels sanfter Stimme mit.

»Ich behalte schon den ganzen Tag Facebook im Auge, damit ich sofort mitbekomme, wenn es etwas Neues gibt. Weißt du irgendwas?«

»Ich hatte gehofft, dass du mehr Infos hast. Sie war gestern Abend mit Sophie unterwegs, oder?«

»Ehrlich gesagt drehe ich deswegen gerade vor Sorge beinahe durch. Du kennst mich, Rachel. Du weißt, wie ich in solchen Situationen reagiere …«

Ein trockenes, nervöses Lachen, und dann: »Na los, erzähl endlich!«

Karen berichtete ihrer Freundin von den Ereignissen des letzten Abends: den zwei Polizeibeamten, Sophies merkwürdigem Gefasel über Amy, ihrem kompletten Blackout. Karens Augen brannten, Tränen liefen ihr über die Wangen. Auf einmal rückten die Ereignisse viel zu nahe an sie heran. Darüber auf Facebook zu lesen, war eine Sache, darüber zu sprechen eine ganz andere. Plötzlich fühlte sich das alles zu real an. Da war keine Grenze mehr. Das hier passierte nicht irgendwelchen Leuten, mit denen sie nichts zu tun hatte, die sie nicht kannte. Es passierte hier, den Menschen, die sie liebte und um die sie sich sorgte.

»Mach dir bitte nicht zu viele Gedanken. Ich habe noch nicht mit Erin gesprochen, vielleicht weiß sie mehr. Wahrscheinlich ist alles ganz harmlos. Es wird eine vernünftige Erklärung geben.«

»Wie kann es sein, dass du noch nicht mit Erin gesprochen hast?« Das hätte sie als Allererstes tun müssen.

»Ihr Handy ist ausgeschaltet. Und sie übernachtet bei Adam … Wusstest du, dass er bei ihr eingezogen ist?«

»Nein! Es ist doch gerade mal vier Monate her, dass er dich verlassen hat. Oh, Rachel, das tut mir so leid! Ich war in letzter Zeit wirklich keine gute Freundin. Du hättest mich anrufen sollen …« Geistesabwesend rieb Karen mit Daumen und Zeigefinger über den Höcker auf ihrem Nasenrücken.

»Na ja, du hattest selbst genug um die Ohren. Wir reden ein andermal darüber – möglichst bei einer ganzen Flasche Wein. Oder auch zweien.«

»Was für ein Schlag ins Gesicht. Er ist wirklich ein Idiot.«

»Du konntest ihn noch nie leiden. Aber wie auch immer – das verdammte Haus steht mitten im Zentrum von Coleton, und das findet Erin natürlich geradezu brillant. Plötzlich ist ihr Dad die beste Sache auf der Welt seit der Erfindung des Smartphones. Denn schließlich gehört ihm jetzt ein Haus, das sich nicht nur in der Nähe ihrer Freunde befindet, sondern von dem aus sie außerdem viel schneller bei der Arbeit ist. Am Wochenende sehe ich sie kaum noch. Meist geht sie aus, in irgendwelche Clubs, und danach wankt sie nach Hause zu ihm. Und zu ihr.«

»Der Traum eines jeden Teenagers.« Karen schnaubte. »Aber für dich tut es mir natürlich leid. Das muss wehtun.«

»Als würde sie mir eine Klinge direkt ins Herz bohren. Du weißt, wie viel ich für diese Familie gegeben habe und dass ich Erin über alles liebe. Es bringt mich schier um. Er kennt diese Frau kaum, und trotzdem ist er schon mit ihr zusammengezogen. Aber egal, wir sollten uns jetzt auf Amy konzentrieren.«

»Nach dem, was du mir gerade erzählt hast, denke ich, dass klar ist, wo die beiden stecken. Ich wette, Amy ist zusammen mit Erin bei Adam. Du musst ihn anrufen.«

Eine lange Pause entstand.

»Okay, wenn es unbedingt sein muss.«

»Ja, natürlich. Du musst dich darum kümmern, bevor die Polizei eingeschaltet wird. Falls Liz das nicht sowieso schon gemacht hat.«

»Wahrscheinlich hatte ich einfach gehofft, dass du inzwischen weißt, wo Amy ist, und ich mir die Peinlichkeit ersparen kann.«

»Es geht nur um einen einzigen kurzen Anruf. Frag, was du fragen musst, und dann leg schnell wieder auf. Ganz einfach. Es tut mir leid, dass ich dir keine größere Hilfe bin – hier bist du leider selbst gefragt, meine Liebe.«

Rachel lachte bitter. »Okay, ich sag dir Bescheid, wenn ich mehr weiß.«

»Danke. Aber ruf danach auf jeden Fall zuerst Liz an. Sie ist außer sich vor Sorge.«

»Natürlich. Klar. Ich bin mir sicher, es wird sich alles aufklären.«

Karen stieß erleichtert den Atem aus. Nur noch zehn Minuten, dann ist diese Geschichte endlich vorbei. Zumindest der Teil, in dem Amy vermisst wurde. Alles andere blieb ein Rätsel. Sie wussten noch immer nicht, was in den zweieinhalb Stunden passiert war, nachdem Sophie ins Taxi gesetzt und bevor sie von den Polizeibeamten zu Hause abgeliefert worden war. Irgendwie ahnte Karen, dass es nicht einfach werden würde, der Sache auf den Grund zu gehen.

10

Sophie

Das Foto zeigte sie. In den Sachen, die sie gestern Abend getragen hatte. Und es war kein Selfie.

Sophie warf das Handy aufs Bett, als hätte sie sich daran verbrannt. Dann starrte sie darauf und schüttelte ein paarmal den Kopf, rieb sich die Augen, versuchte, sich zu erinnern. Aber da war nichts. Wer hatte dieses Bild aufgenommen und wo? Was hatte er damit vor, und wie viele würden noch folgen?

Sophie stand wie paralysiert mitten in ihrem Zimmer, ballte die Hände zu Fäusten, bevor sie die Knöchel knacken ließ. Gewissenhaft zog sie an einem Finger nach dem anderen, bis sie beim Daumen angelangt war.

Was sollte sie tun? Sie zwang sich, das Telefon vom Bett zu nehmen. Ihre Hände zitterten. Das Foto war noch immer auf dem Bildschirm zu sehen. Sie musste sich damit auseinandersetzen, herausfinden, was es zu bedeuten hatte.

Mit zwei Fingern zoomte sie in das Bild hinein und zog es dann nach rechts und links, um herauszufinden, ob ihr irgendetwas an dem Hintergrund bekannt vorkam. Es sah so aus, als würde sie auf einem Stuhl sitzen, die Beine gespreizt. Der Winkel, in dem ihr Körper nach hinten gebogen war, ließ darauf schließen, dass sie den Kopf in den Nacken geworfen hatte; ihre Haare waren nicht zu sehen. Sophie drehte das Handy. Abgesehen von dem schwarzen Kleid und dem verschwommenen dunklen Bild auf ihrem Knöchel, das ihr Schlangentattoo sein musste, hätte das Foto jeden zeigen können.

Eine Welle der Erleichterung durchströmte sie. Vielleicht war sie doch nicht die Person auf dem Foto. Heutzutage hatte jedes junge Mädchen ein Tattoo, und es war auch gar nicht richtig zu erkennen, ob es sich um eine Schlange oder irgendein anderes Motiv handelte. Und wer bitte besaß kein kurzes, schwarzes Kleid? Irgendjemand erlaubte sich hier einen ziemlich kranken Scherz. Wahrscheinlich wollte einer der Jungs sie verarschen. Das Bild konnte genauso gut mit Photoshop zusammengebastelt worden sein. Optimistisch, dass es sich tatsächlich nur um einen bescheuerten Witz handelte, ließ sich Sophie auf ihr zerwühltes Bett fallen und öffnete noch einmal die Mail, um nach Hinweisen zu suchen, bei welchem ihrer sogenannten Freunde sie sich dafür bedanken konnte, dass er sie fast zu Tode erschreckt hatte.

Sie brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass der Absender nicht zu identifizieren war. Die Adresse stammte von keinem Standard-Account. Der Name ergab überhaupt keinen Sinn; nichts daran kam ihr bekannt vor. Trotzdem würde es vermutlich nicht lange dauern, bis herauskam, wer von den Jungs dahintersteckte – keiner von ihnen war in der Lage, länger als fünf Minuten die Klappe zu halten. Wer auch immer es war, vermutlich juckte es ihm schon jetzt in den Fingern, eine SMS, Facebook-Nachricht oder einen Tweet zu schreiben, damit auch ja jeder erfuhr, wer sich den tollen Gag ausgedacht hatte. Diese kindischen Arschlöcher hielten sich anscheinend für verdammt witzig. Dabei war wirklich nichts Lustiges daran, vor allem da Amy noch nicht aufgetaucht war. Langsam fing Sophie an, sich Sorgen zu machen; es war halb sechs, und noch immer gab es keine Spur von ihr. Inzwischen hätte sie ihren Kater längst ausgeschlafen haben müssen.

Widerstrebend loggte sich Sophie bei Facebook ein. Hunderte Status-Updates, aber kein einziges davon stammte von Amy; keiner ihrer Freunde hatte geschrieben »Amy ist wieder da«.

Herrgott, Amy, wo zur Hölle bist du?

Als Sophie aufstand, hätten ihre Beine beinahe unter ihr nachgegeben, so erschöpft war sie. Langsam schlich sie die Treppe hinunter. Vielleicht hatte ihre Mutter inzwischen irgendetwas Neues erfahren.

»Hast du schon …« Ihre Mutter sprang auf, als sie den Raum betrat.

Augenblicklich fühlte sich Sophies Mund staubtrocken an. »Was?« Ihre Stimme brach. Irgendetwas Schlimmes ist passiert.

»Ich meinte, ob du schon was von Amy gehört hast?«

»Mum!« Sophie presste sich die Hand aufs Herz und stieß den Atem aus. »Du hast mich zu Tode erschreckt. Ich dachte, du meintest …«

»Oh, nein. Entschuldige. Ich habe gerade mit Rachel telefoniert. Sie hat mir erzählt, dass Erin in letzter Zeit am Wochenende oft bei ihrem Dad übernachtet hat. Du hast mir gar nicht erzählt, dass Erins Vater mit dieser neuen Frau zusammengezogen ist. Warum nicht?«

»Komm zum Punkt.« Ungeduldig verlagerte Sophie ihr Gewicht auf das andere Bein und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Entschuldige. Also, ich gehe davon aus, dass die beiden wahrscheinlich zusammen sind. Ich meine Erin und Amy. Rachel hat gesagt, dass sie auch noch nichts von Erin gehört hat.«

»Das würde Sinn machen. Dan hat mir geschrieben, dass alle noch mit in den Club gegangen sind, nur Amy und Erin waren anscheinend nicht mehr dabei. Gut. Dann wird es so sein, wie du sagst.« Aber ihre Worte überzeugten sie selbst nicht.