Scary Harry (Band 9) - Das Skelett mit der goldenen Sense - Sonja Kaiblinger - E-Book

Scary Harry (Band 9) - Das Skelett mit der goldenen Sense E-Book

Sonja Kaiblinger

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Beschreibung

Ich sag euch, Leute, ich brauche dringend mal wieder ein Erfolgserlebnis. Unsere Rettungsmission in Qualcatraz ist schiefgelaufen. Und Darko, der Boss des SBI*, ist nicht nur fies und gruselig, jetzt hat er auch noch eine uralte goldene Sense in die Finger bekommen, die ihn unbesiegbar macht! Es scheint aussichtslos zu sein. Aber ich bin mir sicher, dass Otto und Vincent irgendeinen gefährlichen Plan aushecken. Was genau dahintersteckt, finde ich schon raus. Nicht, dass Otto nach diesem Abenteuer die Radieschen von unten angucken muss! Euer Harold (Sensenmann im 524. Dienstjahr) *  Seelen-Beförderungs-Institut Der neunte Band der kultigen Kinderbuch-Reihe von Sonja Kaiblinger um den Jungen Otto, seine Freundin Emily und Sensenmann Harold – ein spannendes, lustiges und Geist-reiches Abenteuer mit witzigen Bildern von Star-Illustrator Fréderic Bertrand für kleine und große Leser*innen ab 10 Jahren. Der Titel ist auf Antolin gelistet.

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Seitenzahl: 198

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Inhalt

Funkstille

Ein gruseliger Besuch

Last Minute

Einer zu wenig

Ein Transporter kommt selten allein

Der englische Patient

Schwester Smith in dringender Mission

Sigmund Freud und der Knastgeist

Das Geheimnis der goldenen Sense

Das Geister-Sicherheitskommando

Ein geplantes Verbrechen

Gefangener 2001

Ein unmoralisches Angebot

Brieftaube Vincent

Die Wundersense

Der andere Teil der Abmachung

Der Kerker der Ewigkeit

Ein unerwarteter Helfer

Und nichts bleibt, wie es war

Funkstille

Mannomann, Otto, was soll denn das sein?«, fragte Harold und stemmte die knochigen Arme in die Hüften. Er prüfte ein Brett an Ottos Wand, auf das mit schwarzer Kreide unzählige Striche gemalt worden waren. Es sah so aus, als würde ein Gefängnisinsasse die Tage seiner Haft abzählen.

»Das da?«

»Ja, genau. Deine Adventskalender waren auch schon mal kreativer. Außerdem sind es noch knappe zwanzig Tage bis Weihnachten. Und nicht …« Er schien die Striche auf der Tafel zu zählen. »… siebenundfünfzig.«

»Das ist auch kein Adventskalender«, erklärte Otto. Dass Harold ausgerechnet Ottos Strichliste ins Visier nahm, gefiel ihm so ganz und gar nicht.

»Und was dann? Die Tage im Jahr, an denen Vincent nervt?«, riet der Sensenmann jetzt, den Blick immer noch auf die Kreidestriche geheftet. »Ach, warte, Moment. Das wären dann keine siebenundfünfzig, sondern dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr. Hoppla!«

»Dreihundertsechsundsechzig«, lachte Vincent überlegen, der auf Ottos Bettpfosten hockte. »Dieses Jahr haben wir ein Schaltjahr, Hohlkopf.«

Harold lachte. »Haha, also gibst du’s zu?«

»Was zugeben?«

»Na, dass du nervst, Fellknäuel.« Harold lachte. »Außerdem, selber Hohlkopf.«

Otto ließ sich aufs Sofa fallen. Nun, da Harold und Vincent wieder bei ihren üblichen Querelen angelangt waren, stellte der Sensenmann wenigstens keine Fragen mehr zu Ottos Strichliste. Denn anders als Harold vermutet hatte, waren das hier nicht die Tage bis Weihnachten oder die Tage im Jahr, an denen Vincent nervte, sondern die genaue Anzahl an Tagen, seitdem Otto keinen neuen Hinweis von Darko erhalten hatte. Und in denen er der Rettung seiner Eltern um kein Stück näher gekommen war.

Dabei hatte zuletzt alles so gut ausgesehen. Darko hatte ihnen vor Monaten einen Brief zukommen lassen, in dem stand, dass er um ein Treffen am Brunnen um Mitternacht bat. Wie ein stinknormaler Briefträger war er dazu vor Tante Sharons Haustüre erschienen. Danach hatte Onkel Archibald zwei Wochen lang wie verrückt in der geheimen Kammer gearbeitet, um etwas zu erfinden, das Darko bei diesem Treffen hätte in Schach halten können. Etwas, mit dem man sich gegen ihn hätte wehren können. Aber leider war die Zeit zu knapp für ausgereifte Erfindungen und Darko einfach zu mächtig. Er war leider immer noch der Boss des SBI – einer Firma aus dem Jenseits, die sich um das Einfangen von Seelen kümmerte: das Seelen-Beförderungs-Institut.

Deshalb hatte Onkel Archibald Otto schließlich verboten, zu diesem Treffen um Mitternacht zu gehen. Sogar Harold hatte Otto davon abgeraten, denn die Sache roch überaus verdächtig nach einer Falle. Nach vielen, vielen Diskussionen hatte Otto es schließlich eingesehen. Wenn ihm etwas zustieß, half das niemandem. Danach war keine weitere Nachricht von Darko mehr eingetrudelt. Keine weitere Frage nach einem Treffen, beim Brunnen oder sonst wo. Siebenundfünfzig Tage lang schon.

Jaja. Ein Adventskalender wäre ihm lieber gewesen.

Müde rieb er sich über die Stirn. Seit seine Eltern im Jenseitsgefängnis Qualcatraz festsaßen, verging kein Tag, an dem Otto nicht an die beiden dachte. Blöd nur, dass der Einzige, der sie begnadigen konnte, eben Darko, der oberste Boss des SBI war. Und der war genau seit siebenundfünfzig Tagen unauffindbar.

Der einzige Lichtblick in dieser ausweglosen Situation war Ottos beste Freundin Emily, die es als Einzige schaffte, ihn zumindest ab und zu aufzumuntern und zum Lachen zu bringen. Als unten im Vorraum schließlich die Klingel ertönte und Tante Sharon Ottos beste Freundin hineinbat, spürte er, wie sich seine Laune ein wenig besserte.

»Hey, Otto.« Als Emily schließlich in Ottos Zimmer angelangt war, blieb ihr Blick auf Ottos versteinerter Miene hängen. »Oh, man, sei nicht so traurig. Ich weiß, die Situation ist echt mies, aber lass den Kopf nicht hängen. Gemeinsam schaffen wir alles!«

»Jaja, du hast ja recht«, gab Otto zu. Er hatte Emily versprochen, nicht mehr tagtäglich über seine Eltern zu reden. Natürlich dachte er fast jede Minute an die beiden, aber sich ständig Sorgen zu machen und mit Trauermiene rumzulaufen brachte ihn nicht weiter. Deshalb war es Emilys erklärter Plan, erst mal nicht die Nerven zu verlieren, bis Darko sich endlich meldete und die Befreiung seiner Eltern weitergehen konnte.

»Außerdem hat Tante Sharon Kuchen gebacken«, sagte Emily und deutete in den Flur, wo sie hergekommen war. »Und du weißt ja, dass das noch seltener vorkommt als Botschaften von Darko.«

Jetzt roch Otto es auch und er spürte, wie seine Laune sich augenblicklich besserte. Der Geruch war wirklich wunderbar. Anders als sonst gab es heute Nachmittag offenbar keine Rohkost mit Joghurtdip, die Tante Sharon neuerdings des Öfteren auf den Tisch stellte, damit Otto sich gesünder ernährte. Vielleicht war das gesunde Essen aber auch für Harold gedacht, weil der sich während des letzten Abenteuers in Italien den Magen das eine oder andere Mal mit Pizza verdorben hatte. Möglich war beides. Aber egal, Hauptsache, es gab endlich wieder Kuchen.

Unten im Wohnzimmer stellte Otto zufrieden fest, dass es sogar heiße Schokolade dazu gab. Und das kam bei Tante Sharon nun mal echt selten vor.

»Haben wir was zu feiern? Ist die Katze tot?«, krächzte Vincent vergnügt vom Kronleuchter.

»Vincent«, tadelte ihn Tante Sharon streng. »Der Katze geht’s ausgezeichnet.«

»Zu schade«, jammerte Ottos Hausfledermaus und verspeiste genüsslich eine Fliege, die an der Zimmerdecke gesessen und Vincent wohl viel zu spät gesehen hatte. »Aber irgendeinen Grund muss es ja geben, dass ihr uns mit süßem Zeug vollstopft. Wollt ihr uns mästen? Ach, und nur zur Info …« Er deutete mit dem rechten Flügel auf Harold, der neben Otto am Esstisch Platz nahm. »… die Bohnenstange wird in diesem Leben kein Gewicht mehr zulegen.«

»Der Kuchen ist für mich«, verkündete Onkel Archibald, der gerade zur Tür hereinkam. Er trug seinen weißen Arbeitsmantel und dazu eine Brille, die dicht an seinem Kopf saß und ein wenig an eine Taucherbrille erinnerte. »Sharon hat ihn gebacken, damit ich mit meinen Forschungen besser vorankomme. Sie hat ihn mit Traubenzucker gebacken. Das hilft mir, besser zu denken.«

»Oh, Forschungen.« Gut gelaunt nahm Emily einen Bissen vom Kuchen. »Worum geht’s denn, Archibald?«

Otto bemerkte, dass Onkel Archibald zögerte. Fast schien es, als würde er Otto und Harold einen prüfenden Blick zuwerfen. »Tja, das … das ist noch geheim. Zu gegebener Zeit werde ich es natürlich verraten. Aber jetzt noch nicht.«

Otto warf seinem Onkel wiederum einen misstrauischen Blick zu. »Ist das der Grund, weswegen du die geheime Bücherkammer unter meinem Zimmer seit Kurzem immer absperrst?«, platzte es aus Otto heraus. Es tat ihm leid, dass Onkel Archibald jetzt seine schlechte Laune abbekam, aber es führte kein Weg daran vorbei. »Es nervt, wenn du nachts die Kammer absperrst, in mein Zimmer kletterst und von dort in dein Schlafzimmer wanderst. Davon werde ich jedes Mal wach.«

Onkel Archibald seufzte. »Ihr wisst, ich würde euch total gerne erzählen, woran ich arbeite. Aber mein aktueller Auftraggeber verbietet es mir. Sonst könnte es sein, dass er jemand anderem den Auftrag gibt. Tut mir wirklich leid.«

Emily hob die Schultern. »Ist doch okay. Wenn die Sache so geheim ist, dann ist es bestimmt etwas Superspannendes«, erklärte sie und nahm noch einen Bissen. Dann entschied sie sich wohl, das Thema fallen zu lassen und nicht weiter nachzubohren, denn als Nächstes sprach sie über das Wetter und fragte, ob es für Heiligabend eigentlich schon einen Wetterbericht gab und man auf Schnee hoffen durfte.

»Ich habe jedenfalls noch keine Geschenke gekauft«, mischte sich Tante Sharon nun ins Gespräch ein und nippte an ihrer heißen Schokolade. »Obwohl ich neulich im Trödelladen schon etwas gesehen hätte, was ich meinen Freundinnen schenken könnte, mit denen ich immer ins Theater …«

»Na toll!« Otto verschränkte die Arme. Was Tante Sharon erzählte, hatte er gar nicht gehört, stattdessen spürte er, wie eine Welle aus Wut und Enttäuschung ihn übermannte. »Ich finde das total fies von dir, Onkel Archibald. Anstatt mir zu helfen, meine Eltern zu befreien, hockst du Nacht für Nacht an irgendwelchen öden Forschungsprojekten für irgendwelche Wissenschaftsinstitute, die vermutlich eh schon reich genug sind.« Geräuschvoll ließ er die Gabel auf den Porzellanteller fallen. »So schaffen wir es niemals, meine Eltern zu befreien!«

»Otto!« Jetzt war es Scary Harry, der sprach. Bis eben hatte der nämlich unermüdlich Kuchen in sich hineingestopft. »Mach dir keine Sorgen. Wir schaffen das schon. Außerdem können wir jetzt ohnehin nichts tun, solange Darko verschollen ist.« Er hob die Schultern. »Wer weiß, vielleicht hockt er im australischen Busch und macht seiner Geliebten Ludmilla ein paar Handtaschen aus Krokodilleder. Oder fällt im Regenwald ein paar Urwaldbäume. Oder treibt anderen Schurkenkram, irgendwo am anderen Ende der Welt. Wer weiß das schon?«

»Wir hätten das Treffen am Brunnen nicht versäumen sollen.« Otto spürte langsam, woher seine Verzweiflung und die plötzliche Wut auf seinen Onkel und dessen neuestes Forschungsprojekt kamen.

»Das Treffen am Brunnen?«, fragte Harold. »Dieser Verrückte hat Gina einen Brief in die Hand gedrückt. Deiner Verehrerin Gina! Einem normalen Menschen. Im Sichtbar-Modus. Der Typ ist irre.«

»Sie ist nicht meine Verehrerin«, murmelte Otto. Gina war ein Mädchen aus Ottos Stadt, das Otto neulich besucht hatte. Emily konnte sie nicht ausstehen. Dass sie tatsächlich Darko gesehen hatte, im Vorgarten von Tante Sharons Haus, fühlte sich immer noch seltsam an. Otto wollte ihr danach alles erzählen, doch sie war von der sonderbaren Geschichte so verwirrt gewesen, dass Emily ihr schnell eingeredet hatte, das wäre doch alles nur für ein neues Theaterstück an der Schule.

»Aber nichts zu tun fühlt sich schlimm an. Besonders an Weihnachten«, setzte Otto hinterher.

Stille. Betreten starrte Otto auf seinen unangetasteten Kuchen auf dem Porzellanteller, während er die mitleidigen Blicke der anderen deutlich spüren konnte.

»Okay.« Scary Harry stand auf. Er hatte den Kuchen aufgegessen. »Ich glaube, es ist wieder mal Zeit.«

»Zeit wofür?« Emily sah ihn erwartungsvoll an.

»Um abzuhauen«, krakeelte Vincent böse und tat, als wollte er dem Sensenmann zum Abschied noch winken. »Mach’s gut und gute Reise, Knochenmann!« Dann fügte er hinzu: »Wow, nicht zu fassen, dass Harold neuerdings begreift, wann er anfängt zu nerven!«

»Freu dich nicht zu früh, Pelzgesicht«, erwiderte Harold. »Ich gehe nirgendwohin. Stattdessen werden Otto, Emily und ich einen kurzen Besuch über Raum 006 wagen. Es ist eine halbe Ewigkeit her, dass wir Ottos Eltern zuletzt gesehen haben.«

»Raum 006?« Tante Sharon schüttelte den Kopf. »Ich finde, das ist gar keine gute Idee. Wisst ihr, was da alles passieren kann? Ein anderer Sensenmann könnte euch entdecken, während ihr den Jenseitstransporter einstellt. Oder noch schlimmer, was ist, wenn der Jenseitstransporter plötzlich nicht mehr richtig funktioniert und ihr in Einzelteilen in Qualcatraz landet? Oder euch einer der Wächter bemerkt? Oder euch dieser elende Zellennachbar deiner Eltern, Joe, etwas antut …«

»Oder wir uns an einem Stück Kuchen verschlucken, hier und jetzt an diesem Tisch«, unterbrach Otto sie gereizt. Dass seine Tante so übervorsichtig war, raubte ihm oft den letzten Nerv. Passieren konnte schließlich überall was. Auch ganz ohne dass man heimlich, über einen geheimen Raum beim SBI, dem Seelen-Beförderungs-Institut, in den Jenseitsknast reiste. »Tante Sharon, wenn du dir so große Sorgen machst, dann komm doch einfach mit.«

Tante Sharon knabberte an ihrer Unterlippe. Jetzt, wo es um den furchtbarsten Knast zwischen Diesseits und Jenseits ging, war auch ihr offensichtlich der Appetit vergangen. »Tja, das wäre eigentlich keine schlechte Idee. Onkel Archibald sollte besser hierbleiben und forschen, aber irgendjemand sollte euch auf jeden Fall begleiten.«

Emily hob die Schultern. »Nun ja, wir sind beide dreizehn, also fast erwachsen.«

Tante Sharon sah streng aus. »Das sehe ich anders. Mit dreizehn ist man längst noch nicht erwachsen.«

»Mit fünfhundertzweiundzwanzig allerdings schon. Harold passt auf uns auf«, mischte Otto sich ein und deutete mit dem Kinn auf Scary Harry. Jetzt musste er doch ein wenig grinsen. Wenn der Sensenmann nicht erwachsen war, wer war es denn dann?

»Der zählt nicht. Der ist doch der größte Kindskopf von allen«, bellte Vincent wieder mal aus der Richtung des Kronleuchters. Harold strafte ihn mit einem bösen Blick.

»Außerdem hat Harold kein Gehirn«, sagte Tante Sharon und während sie es aussprach, sah Otto seiner Tante an, dass es ihr ein wenig leidtat. »Sorry, Harold, aber so ist es nun mal. Und aus diesem Grund sollte euch wirklich ein Erwachsener begleiten. Ein erwachsener Mensch, wohlgemerkt.«

»Hey, das ist jetzt aber ungerecht.« Harold stemmte die knochigen Arme in die Hüften. »Ich habe ja auch keinen Magen und kann trotzdem essen. Deshalb kann ich auch ganz ohne Gehirn denken. Das ist also nun wirklich kein Grund.«

Tante Sharon rollte mit den Augen. »Wie das bei euch Sensenmännern so funktioniert, hab ich immer noch nicht verstanden.«

»Würg.« Wieder Vincent von oben. »Könnten wir bitte aufhören, uns beim Essen über Gehirne zu unterhalten? Mir kommt gleich die Fliege von eben wieder hoch.«

»Hochgewürgte tote Fliegen sind aber auch nicht besonders appetitlich, Vincent«, mahnte Emily.

»Entschuldigt.« Scary Harry strich sich die Kutte glatt. »Also, was ist nun? Wenn wir es unentdeckt nach Qualcatraz schaffen und nicht gerade einem diensthabenden Sensenmann über den Weg laufen wollen, der in den Gängen patrouilliert, dann sollten wir aufbrechen.« Er sah abwartend in die Runde. »Oder wollt ihr lieber bis in alle Ewigkeit als echte Gefangene dort festsitzen, weil ihr euch unerlaubt dorthin begeben habt?«

»Nie im Leben«, erklärte Otto und stand auf. So energiegeladen wie eben fühlte er sich schon lange nicht mehr. Endlich ein Plan! »Dass Mum und Dad dort festsitzen, ist ja wohl schon schlimm genug.«

In diesem Moment piepte Emilys Handy. »Mist, ich muss nach Hause. Du musst allein mit Harold ins Jenseits reisen, Otto. Aber schreibe mir sofort, wenn ihr wieder da seid! Ich will ganz genau wissen, was passiert ist!«

»Gut, dann komme ich mit.« Tante Sharon stapelte die Teller. »Ich spüle nur noch schnell das Geschirr, damit hier alles wieder sauber ist, und dann können wir …«

»Keine Zeit für die Teller.« Harold prüfte die Uhrzeit auf seinem Seelen-Messenger. »Los jetzt, Sharon.«

»Das erledige ich.« Onkel Archibald gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange. »Und dann werde ich mich wieder mit meinen Forschungen beschäftigen.«

Ottos Blick blieb einen Moment lang an Onkel Archibald hängen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Bei einem Ausflug ins Jenseits war er normalerweise immer mit von der Partie. Und nun … vergrub er sich in seltsame Forschungen und wich jedes Mal, wenn er davon sprach, Ottos Blick aus. Vermutlich hatte er tatsächlich ein schlechtes Gewissen, weil er ihm gerade nicht helfen konnte. Zu Recht, wie Otto fand. Zumindest half er Tante Sharon mit dem Geschirr.

Aber Otto hatte keine Zeit, um sich länger über Archibalds seltsames Verhalten Gedanken zu machen. Während Vincent – hoch motiviert für einen Ausflug nach Qualcatraz – auf Ottos Schulter landete, folgte dieser Scary Harry und Tante Sharon nach oben in sein Zimmer. Von dort würde die Reise losgehen. Nächster Stopp: Qualcatraz!

Ein gruseliger Besuch

Der Jenseitsknast Qualcatraz wirkte heute noch düsterer als sonst. Die Wände waren kahl und feucht, das Licht flackerte unentwegt und ein rauer Wind wehte durch die Zellengänge. Otto bewunderte seine Eltern. Er hätte es keine drei Tage in diesem Loch hier ausgehalten. Mum und Dad saßen hier allerdings schon seit … seit einer gefühlten Ewigkeit.

»Dieser verfluchte Jenseitstransporter«, murmelte Harold und spähte vorsichtig um die Ecke in den Flur, wo sich die Zellen der Gefangenen aneinanderreihten. »Immer kommen wir woanders an. Wo zum Geier sind wir? Und wo sind deine Eltern?«

»Das lag bestimmt an Tante Sharon. Die kennt sich nur mit den Einstellungen ihres Staubsaugers aus. Und nicht mit komplizierten Gerätschaften im Jenseits«, meckerte Vincent und verdrehte dabei die Augen. »Deshalb müssen wir quer durch diese Hölle laufen. Hoffentlich sind wir bald da.«

»Psst«, zischte Otto. Seine Tante Sharon war vorhin im geheimen Raum 006 geblieben, der sich im SBI-Hauptquartier im Jenseits befand. Immerhin musste jemand den Jenseitstransporter dort bedienen, um sie wieder zurückzuholen.

In diesem Moment flog eine Kerkertür zu und das Rasseln eines Schlüsselbundes war zu hören. Dann war es totenstill.

»Okay, Schichtwechsel beim Personal«, sagte Harold und prüfte seine Sanduhr. Wie er da die Uhrzeit ablesen wollte, wusste Otto nicht genau, aber Hauptsache, der Sensenmann hatte einen Plan. »Jetzt aber schnell, wir haben nicht viel Zeit. Wo liegt die Zelle deiner Eltern noch mal?«

»Da drüben!« Otto deutete ins Eck.

Sein Vater erkannte ihn gleich. Wie immer sah er etwas mitgenommen aus, aber sein Lächeln war warm. Er kauerte an der Wand.

»Otto! Was für eine schöne Überraschung«, begrüßte er ihn. »Du hast meine Nachricht also erhalten. Danke, dass du so schnell kommen konntest. Oh, hallo, Harold!«

In Ottos Kopf ratterte es. Nachricht? So schnell kommen konntest? Er hatte keine Nachricht seiner Eltern bekommen. Wie hätte er auch? Die Snowbyte 6S hatte keinen Anruf seiner Eltern angezeigt. Mit dieser Schneekugel konnte man nämlich, ähnlich, ins Jenseits telefonieren.

»Nachricht? Wovon sprichst du?«, fragte Otto verwirrt. Ein komisches Gefühl machte sich in seiner Magengrube breit. »Ich bin zufällig hier. Harold, Vincent und ich wollten euch besuchen. Wir haben nicht lang Zeit.«

»Dieser Joe!«, fluchte Ottos Dad und stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Wir hatten einen Deal! Ich wusste, man kann ihm nicht trauen.«

Joe war der biestige Zellenkollege von Ottos Eltern. Er hatte schon ein paarmal versucht, Otto und dessen Eltern dazu zu bringen, ihn aus dem Jenseitsknast zu befreien. Doch heute stand die Zelle neben Ottos Eltern leer.

»Wegen guter Führung darf Joe öfter in den Gefängnishof als wir«, erklärte sein Vater zähneknirschend. »Und er hat angeblich einflussreiche Freunde. Ich dachte wirklich, er könnte Kontakt mit dir aufnehmen.« Sein Vater seufzte. »Tja, hier hat man nicht viele Menschen, denen man trauen kann. Ich hätte es besser wissen müssen.«

»Dass Joe nicht euer Freund ist, hätte ich euch auch sagen können«, grummelte Harry.

»Gute Freunde sind schwer zu finden. Deswegen muss ich mich ja mit dieser hohlen Dumpfbacke rumschlagen«, kommentierte Vincent, der in Ottos Kapuzenpullover saß.

Harold schnaubte. »Klappe, sonst bleibst du hier!«

»Bin schon still«, murmelte Vincent kleinlaut. Hierbleiben wollte er offenbar nicht unbedingt.

»Aber was wolltet ihr uns denn sagen?«, wollte Otto wissen. Er spähte an seinem Vater vorbei, auf der Suche nach seiner Mutter, die offensichtlich hinten auf der kleinen Pritsche schlief. Am anderen Ende der Zelle war es sehr dunkel.

Ottos Vater zögerte, bevor er sprach. »Wir haben lange überlegt, deine Mum und ich. Und du weißt ja, wir wollen begnadigt werden, damit wir nicht auf ewig in Angst vor dem SBI leben müssen. Ausbrechen war keine Option«, sagte sein Vater schließlich. »Aber wir haben unsere Meinung geändert. Wir haben es sogar geschafft, unsere unsichtbaren Fesseln loszuwerden, mit denen wir an das Gefängnis gebunden waren. Dazu hatte ich Hilfe! Ein Freund namens …«

»Ist das dein Ernst?« Ottos Puls beschleunigte sich. Wollte sein Vater wirklich mit Ottos und Harolds Hilfe ausbrechen? Statt seinen Vater weitersprechen zu lassen, fuhren Ottos Gedanken Achterbahn. Sie könnten einen Plan entwickeln! Über den Raum 006. Danach könnten Ottos Eltern erst mal im Diesseits untertauchen. Sie würden … auf einer kleinen, unbewohnten Insel leben. Ja! Das war eine gute Idee! Ohne Menschen. Wo nicht gestorben wird. Dann hätte das SBI die Insel auch nicht auf dem Radar. Otto, Tante Sharon und Onkel Archibald könnten regelmäßig dorthin fliegen, um die beiden zu besuchen. Und dann, wenn erst mal Gras über die Sache gewachsen war, dann …

»Es muss sein. Deiner Mutter geht es schlecht«, unterbrach sein Vater die hastigen Pläne in Ottos Kopf. »Und Medikamente alleine helfen nicht.« Er wandte sich um und gab erstmals den Blick auf Ottos Mutter frei.

Entweder es war das gräuliche Licht hier drin oder die Haut von Ottos Mutter wirkte noch fahler als sonst. Zugegebenermaßen war es keine Seltenheit, dass entweder Ottos Mutter oder Vater in Qualcatraz kränkelte. Aber wenn sein Vater ihn darum bat, hier auszubrechen, dann … dann war die Sache ernst. Todernst.

»Sie hustet den ganzen Tag und alles, was diese elenden Wärter ihr geben, ist Tee. Davon wird sie nicht gesund. Ich glaube, sie muss dringend zu einem Arzt. Im Diesseits«, erklärte Ottos Vater entschieden.

»Das ist kein Problem«, erwiderte Otto, ohne mit der Wimper zu zucken. In seinem Kopf rasten die Gedanken. Dann würden sie Ottos Mutter eben erst gesund pflegen, bis es auf die entlegene Insel ging. Das warme Klima würde ihr guttun. »Wir schaffen sie hier raus, so schnell wie möglich. Und dann sorgen wir dafür, dass sie gesund wird.«

»Und dann, Otto, dann musst du uns wieder hierher zurückbringen«, machte Ottos Vater weiter. »Sonst setzen die Himmel und Hölle in Bewegung, um uns zu finden.«

Ottos Ausbruchspläne stoppten abrupt. »Warte mal. Zurückbringen? Ich dachte, ihr wollt ausbrechen?«

Der Seufzer von Ottos Vater war lang und tief. »Wir können nicht für immer von hier verschwinden, Otto.« Ottos Vater blickte sich um und sah prüfend in die Zelle nebenan, wo Joe immer saß. Sie stand aber noch leer. »Du weißt doch, nur eine Begnadigung kann helfen. Sie werden nicht aufhören, uns zu suchen.«

»Dein Vater hat recht«, mischte sich Harold ein. »Du kennst Darko. Er lässt deine Eltern nicht einfach so abhauen. Jetzt, wo er weiß, dass du alles daransetzt, uns hier rauszuholen, wird er nicht klein beigeben.«

Otto seufzte. Das letzte Wörtchen zu diesem Thema war noch nicht gesprochen. Wenn seine Mutter erst mal im Diesseits beim Arzt war, würde sie selber einsehen, dass hierher zurückzukehren keine Option war.

»Wie auch immer«, sagte Otto ausweichend. »Ich weiß jedenfalls schon, wie wir Mum zum Arzt schaffen. Über den Raum 006. Genauso wie ich auch immer reise. Morgen Nacht.«

»So schnell?« Ottos Vater strahlte.

»Ich rede mit Tante Sharon und Onkel Archibald. Und Emily. Wir machen das möglich. Nicht wahr, Harold?«, sagte Otto und sah seinen knochigen Kumpel flehend an. Er musste mitmachen. Harold musste einfach mithelfen. Morgen – das war ziemlich kurzfristig. Trotzdem durfte er nicht Nein sagen!

Scary Harry blickte zu Ottos Mutter, die in diesem Moment hustete. Es war ein rasselnder Husten und hörte sich alles andere als gut an. Als Sensenmann wusste man vermutlich, wann jemand schwer krank war. Sein Blick zumindest verhieß nichts Gutes.

»Na fein. Ich kann nichts versprechen.« Er sah sich um. »Heute ist es ruhig hier, aber wer weiß, was die Wachen morgen hier anstellen. Sie könnten wieder öfter patrouillieren.« Er zögerte. »In Qualcatraz macht man keine Experimente.«

»Bis es so weit ist, habe ich ein Geschenk für euch«, fiel Otto plötzlich ein. Das gerahmte Foto in seinem Rucksack, das er für seine Eltern vorbereitet hatte, hatte er beinahe vergessen. Er reichte es seinem Vater durch die Gitterstäbe. »Hier. Damit ihr etwas habt, auf das ihr euch freuen könnt. Bald sind wir wieder zusammen.«

Gerührt nahm Ottos Vater den Fotorahmen in beide Hände und sah sich das Bild an. Auf dem Foto waren Otto, Emily, Tante Sharon und Onkel Archibald abgebildet. Sogar Vincent war drauf. Es war letztes Weihnachten aufgenommen worden. Otto hatte sogar den Rahmen bemalt und mit glitzernden Steinen beklebt.

Ottos Vater seufzte. »Wer weiß, vielleicht klappt es mit der Reise ins Diesseits morgen.« Er beugte sich noch etwas näher. »Zwischen zwölf und zwei Uhr nachts feiert einer der Wärter seinen fünfhundertsten Geburtstag. Ich gehe davon aus, dass die Zellen in der Zwischenzeit nicht kontrolliert … huch!«

Das Scheppern eines Schlüsselbunds ließ Otto herumfahren. Da kam jemand. Hastig blickte er auf die Uhr. Mist, war es denn schon so spät? Hätten sie nicht schon längst zurückgemusst?

»Schnell!«, rief Ottos Vater. »Versteckt euch! Da, hinter der Mauer.«

Auch Harolds Blick war nun ernster als noch vorhin. »Wir machen wohl besser, was dein Vater sagt.« Dann zog er Otto hinter die nächste Ecke und bedeutete ihm mit seinem knochigen Zeigefinger zu schweigen. Sie durften keinen Mucks machen.