Scary Harry (Band 8) - Zu tot, um wahr zu sein - Sonja Kaiblinger - E-Book

Scary Harry (Band 8) - Zu tot, um wahr zu sein E-Book

Sonja Kaiblinger

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Beschreibung

SBI-Boss Darko hat die Geister-Mafia angeheuert, und prompt wird Scary Harry entführt! Jetzt muss Otto den Job als Sensenmann übernehmen. Klar, dass Emily ihn da nicht alleine lässt. Ausgerüstet mit Kutte und Seelen-Messenger kommen die beiden dunklen Machenschaften auf die Schliche. Wurde Scary Harry etwa mit einer vergifteten Pizza außer Gefecht gesetzt? Kaum äußert Otto diesen Verdacht, gerät er auch schon an die Klapperbinieri, die italienischen Sensenmänner und Gesetzeshüter. Nach Dolce Vita klingt das nicht gerade! Der achte Band der kultigen Kinderbuch-Reihe von Sonja Kaibliner rund um den Jungen Otto, seine Freundin Emily und Sensenmann Harold – ein spannendes, lustiges und Geist-reiches Abenteuer mit witzigen Bildern für kleine und große Leser ab 10 Jahren. Mehr Infos rund um Scary Harry unter: scaryharry (Punkt) de. Der Titel ist auf Antolin gelistet.

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Seitenzahl: 197

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Inhalt

Der Gefangene, der zu viel wusste

Darkos Schnitzeljagd

Willkommen in Paris

Einladung zum Mitternachtsdinner

Pizza zum Frühstück

Harolds Sensenmagie

Ottos Stunteinlage

Einzelhaft

Frühstück mit Folgen

Spionage im Radieschenweg

Der digitale Spürhund

Willkommen in Italien

Das Ketchup aus Monstertomaten

Ein Wettlauf gegen die Zeit

Ein Hinweis, mit dem keiner gerechnet hätte

Der Gefangene, der zu viel wusste

Also, Leute, ihr habt die Qual der Wahl«, begann Harold an diesem Freitagabend und holte eine Kiste mit DVDs unter seinem Fernseher hervor. »Leider habe ich nur Jenseitsfilme im Angebot, die sind natürlich alle in Schwarz-Weiß und somit etwas öde. Aber keine Sorge, meine Freunde. Ich habe unerlaubterweise ein paar Filme aus dem Diesseits mitgeschmuggelt – Spiel mir das Lied vom Tod, Ghost – Nachricht von Sam und natürlich Ghostbusters.« Er schauderte. »Letzterer gilt im Jenseits allerdings als Horrorfilm.«

»Als Horrorfilm?«, krächzte Vincent überrascht, der auf Ottos Schulter saß und eine Grimasse zog. »Ghostbusters ist doch nun wirklich der ungruseligste Geisterfilm, den es gibt. Ein schleimiger Geist und ein paar schräge Typen in lustigen Anzügen. Also bitte, Leute.«

»Für euch Bewohner des Diesseits ist er vielleicht nicht gruselig. Ihr werdet im Film ja auch nicht von den Ghostbusters in merkwürdige Staubsauger eingefangen«, erklärte Scary Harry und grinste schief. »Die Jenseitsbewohner haben sich da ganz schön erschrocken, das könnt ihr mir glauben.« Er wedelte mit der DVD vor Ottos und Emilys Nase herum. »Aber da hier keine schreckhaften Geisterwesen anwesend sind, können wir ihn ja gefahrlos gucken. Seid ihr einverstanden?«

»Bin ich«, erklärte Emily gut gelaunt und ließ sich rückwärts auf Harolds Couch fallen. »Ich finde den nämlich ganz und gar nicht gruselig, sondern irre witzig. Was sagst du, Vincent? Hast du einen Lieblingsfilm?«

Vincent erhob sich von Ottos Schulter und flatterte in Harolds Wohnung im Kreis. »Ach, ich weiß nicht! Findet ihr nicht, dass es viel zu wenige Filme gibt, in denen Fledermäuse mitspielen? Wenn überhaupt, sieht man bestenfalls Vampire. Was meinst du, Otto? Wäre es nicht höchste Zeit für einen Film, in dem eine Fledermaus die Hauptrolle spielt? Mein Lieblingsfilm ist übrigens die Verfilmung des Romans über Graf Dracula.« Er seufzte wehmütig. »Davon habe ich so gut beißen gelernt. Den hast du nicht zufällig im Angebot, Sensenmann, oder?«

Harold schüttelte den Kopf.

Vincent landete auf dem Fernseher und begann dort zu posieren. »Wie schade. Wusstet ihr übrigens, dass ich schon lange überlege, zum Film zu gehen? Ich wäre ein toller Schauspieler! Die Kamera liebt mich! Ich bin ein geborener Star!«

Otto ließ den Kopf hängen. Dass Vincent, Emily und sogar der sonst meist miesepetrige Sensenmann Scary Harry heute so prächtige Laune hatten, konnte er nicht recht nachvollziehen. Obwohl, nun ja, ein bisschen konnte er das schon. Immerhin war heute der letzte Schultag gewesen und nun standen die Sommerferien vor der Tür. Deshalb hatte Harold seine Freunde auch zu einer Party in seine kleine Wohnung im Jenseits eingeladen. Sogar Tante Sharon hatte zugestimmt, obwohl sie bei Jenseitsreisen normalerweise immer große Angst um Otto und Emily hatte.

Doch anstatt sich über die Party im Jenseits zu freuen, geisterte seit Wochen nur ein einziger Gedanke durch Ottos Kopf. Darko, der Boss des SBI, galt immer noch als verschwunden. Seit die Freunde ihn während ihres letzten großen Abenteuers in Russland aus den Augen verloren hatten, fehlte von ihm jede Spur. Dabei war er der Einzige, der die Macht hatte, Ottos Eltern aus dem Jenseitsgefängnis Qualcatraz zu entlassen. Nun war er abgetaucht – nicht nur, weil er, wie es offiziell hieß, mit seiner Flamme Ludmilla Kalaschnikow in den Urlaub gefahren war, sondern weil er noch mehr Dreck am Stecken hatte als bloß die Inhaftierung zweier unschuldiger Menschen. Darauf hätte Otto seinen letzten Penny verwettet.

»Na gut. Otto hat offenbar keine Meinung«, scherzte Scary Harry, weil Otto immer noch gedankenversunken auf der Couch saß. Schulterzuckend legte er die DVD ein. »Dann eben Ghostbusters. Seid ihr bereit, Leute?«

Während die Ghostbusters-Titelmelodie lief, Vincent voller Eifer mitsang und Emily nach dem grauen Jenseitspopcorn griff, spürte Otto, wie sein Ärger hochquoll. Wie konnten seine Freunde nur so gute Laune haben, während das Problem um Ottos Eltern immer noch nicht gelöst war? Wütend schnappte er sich die Fernbedienung und drückte auf die Stummtaste.

»Hey!«, protestierte Scary Harry verärgert.

»Mann, Leute, ich verstehe euch nicht«, schimpfte Otto und ließ den Kopf hängen. »Seit unserer Russlandreise sind mehrere Monate vergangen und Darko ist immer noch wie vom Erdboden verschluckt. Wir sollten etwas tun, anstatt rumzusitzen und Filme zu gucken. Davon kommen meine Eltern nicht zurück.«

»Ach, Otto.« Emily seufzte und ließ den Kopf hängen. So mitleidig, wie sie Otto jetzt ansah, war ihm das beinahe unangenehm. »Ich weiß, wie schwer das alles für dich ist. Aber Kopf hoch, ab und zu muss man sich auch mal von den Sorgen des Alltags ablenken! Außerdem sind Sommerferien!«

»Genau! Es sind Ferien, die schönste Zeit des Jahres! Ohne Schularbeiten, ohne früh aus den Federn zu müssen und ohne bescheuerte Lehrer wie deinen Biologielehrer MrWalker«, krähte Vincent. »Und in den Ferien ist es nämlich per Gesetz verboten, ständig mit einer Miene herumzulaufen, als hätte dein Haustier das Zeitliche gesegnet. Also, freu dich deines Lebens!« Er sah sich um. »Auch wenn wir uns hier in der Totenwelt befinden. Aber du weißt, wie ich das meine.«

Otto warf Vincent einen finsteren Blick zu. Gerade Vincent, der in Russland von Darko und Ludmilla Kalaschnikow festgehalten und in einen winzigen Käfig gesperrt worden war, müsste doch selbst alles daransetzen wollen, die beiden Übeltäter endlich zu finden. Aber offenbar waren ihm gemütliche DVD-Abende in Harolds Wohnung wichtiger.

»Ich sage es nur ungern, aber Otto hat recht.« Überraschenderweise bekam Otto Unterstützung von Harold. »Hier zu sitzen und nichts zu tun, fühlt sich falsch an.«

»Aber wir tun doch nicht nichts«, beschwerte sich Vincent. »Wir sehen fern!«

Harold tat, als hätte er nichts gehört. Er stand auf und griff nach seiner Sense, die im Regenschirmständer steckte. »Kommt, Leute, ich weiß, was wir tun können, um die Sache voranzutreiben. In Qualcatraz ist in einer halben Stunde Wachablöse.«

»Heißt das …« Ottos Gesichtszüge hellten sich hoffnungsvoll auf. War das wahr, was Harold gerade andeutete? Qualcatraz? Das Gefängnis, in dem seine Eltern festsaßen? Würden sie seine Mum und seinen Dad etwa heute noch besuchen?

»Na klar!« Jetzt zückte Harold seinen Seelen-Messenger. »Wir können deine Eltern zwar nicht aus dem Knast holen, aber wir können uns zu ihnen teleportieren und mal kurz Hallöchen sagen. Was ist, seid ihr bereit?«

Jetzt grinste Otto bis über beide Ohren. Scary Harry oder Harold, wie der Sensenmann wirklich hieß, war einfach der Beste. Seit Otto sich vor mehreren Jahren mit dem Knochengerippe angefreundet hatte, hatten er, Emily, Vincent und Scary Harry eine ganze Menge wilder Abenteuer zwischen Diesseits und Jenseits erlebt – bei denen der knochige Kerl Otto und Emily nicht ein einziges Mal im Stich gelassen hatte. Und auch beim größten Abenteuer von allen – der Befreiung von Ottos Eltern – ließ ihn Harold nicht hängen. Selbst wenn dieser Ausflug bloß dazu diente, Ottos Kummer loszuwerden.

»Natürlich sind wir bereit.« Emily griff nach Ottos Hand, dann flüsterte sie ihm ins Ohr: »Ach, und entschuldige wegen vorhin, Otto. Ich wollte nicht fies zu dir sein. Ich dachte, einen Film zu gucken lenkt dich ab.«

Otto zuckte mit den Schultern. Ein kleines Schmunzeln stahl sich auf seine Lippen. »Hätte es bestimmt auch«, gab er schließlich zu. »Aber Ghostbusters kenne ich schon. Sir Tony, Bert und Molly wollen ihn immer sehen.«

»Also, was ist?«, fragte Scary Harry und sah abwartend in die Runde. »Bereit für einen Ausflug nach Qualcatraz?«

»Tja, na fein«, seufzte Vincent matt, der in der Popcornschüssel lag und mit den Flügeln schlug, als wollte er einen Schnee-Engel darin machen. »Bye, bye, gemütlicher Abend auf der Couch, hallo, gefährliches Abenteuer in durchgeknalltem Jenseitsknast.« Er knabberte an einem Stück Popcorn. »Na ja, zumindest schmecken die Maden und Fliegen dort deutlich besser als dieses salzige Jenseitspopcorn.«

***

Der Zwischenstopp in Raum 006, dem Transportraum des SBI, diente lediglich dazu, das weitere Vorgehen des Plans zu besprechen. Inzwischen wusste Otto, dass einer aus der Truppe in diesem Raum zurückbleiben musste, um die übrigen Reisenden nach Qualcatraz und danach wieder heil in den Raum 006 zu bringen. Da Harold mit dem Gefangenentransporter 3000 schon gut umgehen konnte, hatte er sich dafür angeboten.

»Fünf Minuten, okay?«, mahnte Harold, während sich Otto, Emily und Vincent auf das große X hinter dem Gerät stellten, das den Startpunkt markierte. »Ihr habt wieder mal keine Jenseits-Sonnencreme aufgetragen, somit würde ich euch raten, im Knast nicht aufzufallen, habt ihr verstanden? Nicht, dass euch ein Wärter in die Finger bekommt.«

»Stimmt«, murmelte Emily. »Diesmal wird jedenfalls keine Ludmilla Kalaschnikow da sein, um uns zu retten.«

Otto seufzte. Dass sie während ihres letzten Abenteuers Doppelagentin Ludmilla Kalaschnikow auf den Leim gegangen waren, die gemeinsame Sache mit dem Boss des SBI machte, ärgerte ihn noch immer. Aber jetzt waren sie schlauer und wussten, dass man Fremden nicht einfach so trauen konnte. »Keine Sorge, Harold. Wir haben alles …«

Noch bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte, hatte Harold auch schon den Gefangenentransporter aktiviert. Ein Surren ertönte, dann blitzte das Gerät auf, bis Otto schließlich ein kräftiger Sog erfasste, ihn von seinen Beinen riss und ins Nichts schleuderte. Die ziemlich rumpelige Reise dauerte eine ganze Weile, bis sein Kopf schließlich in etwas Nassem, Breiigem landete. Ein schmatzendes Geräusch ertönte.

»Oje, oje«, tönte eine tiefe Stimme von der Seite. »Das war ja mal eine missglückte Landung, mein Junge. Geht es euch gut, Otto und Emily? Hört zu, ihr müsst leise sein. Joe schläft. Er darf auf keinen Fall …«

»Dad?«, murmelte Otto benommen. Um ihn herum war es beinahe stockdunkel, nur eine einsame Glühbirne verströmte hellgraues Licht. Emily war direkt neben ihm gelandet. »Bist du das?«

»Igitt, ist das ungemütlich hier«, meldete sich Vincents Stimme aus Ottos Jackentasche. Leider nicht gerade leise. Dann kroch er hervor und deutete mit dem Flügel auf eine glatzköpfige Gestalt, die in der Zellenecke kauerte, nur mit Lumpen bekleidet war und mit dem Kopf an die Wand gelehnt schlief. »Sag mal, Otto, bist du da gerade im Kartoffelbrei von diesem haarigen, hässlichen Gefangenen da …«

Bevor Vincent zu Ende sprechen konnte, hatte der Gefangene schon die Augen aufgeschlagen und stürzte auf Otto, Vincent und Emily zu. Otto kam noch nicht mal dazu, sich den klebrigen Brei von der Wange zu wischen.

»Er ist wieder da!«, rief der Gefangene, deutete auf Otto und vollführte dabei ein kleines Freudentänzchen. Er schien jetzt hellwach. »Ich wusste, der Junge und das Mädchen würden zurückkommen! Ich wusste es!«

»Na, der freut sich aber, uns zu sehen«, wisperte Emily in Ottos Ohr. Sie musterte den knochigen Kerl mit dem verschlagenen Blick. »Warte mal! Ist das nicht der komische Zellennachbar deiner Eltern? Wir sind offenbar, genau wie beim letzten Mal, wieder in seiner Zelle gelandet. Mist.«

Nun warf der Zellennachbar einen triumphierenden Blick zu Ottos Eltern in der Zelle daneben. »Seht ihr! Ich habe mir doch nicht alles eingebildet«, jauchzte er dabei. »Ihr habt mir erzählt, ihr hättet gar keinen Sohn namens Otto und ich hätte seinen letzten Besuch nur geträumt. Ihr habt gesagt, niemand auf der Welt könnte aus Qualcatraz verschwinden. Aber dieser Junge kann es! Ich habe es genau gesehen!«

Wortlos krabbelte Emily an Ottos Seite und starrte in die wild glühenden Augen des Gefangenen. Auch Otto konnte sich noch an den hinterlistigen Zellennachbarn seiner Eltern erinnern. Er hieß Joe und war ein übler Ganove. Beim letzten Mal hatte er Otto bei den Wächtern verpetzen wollen, was ihm auch beinahe gelungen wäre, hätten Ottos Eltern nicht ihr Essen dafür gegeben, dass sich Joe dann doch noch ruhig verhielt.

Doch was war dann passiert? Hatten seine Eltern danach so getan, als hätte Joe Ottos Besuch in Qualcatraz nur geträumt? Was ging hier vor sich?

»Lass die beiden Kinder in Ruhe, Joe!«, erklärte Ottos Vater entschieden. »Die beiden werden dich hier nicht rausholen, verstanden? Du wirst deine Strafe hier absitzen wie alle anderen auch.«

»Doch, das können und das werden sie!«, grölte Joe entschlossen. Seine Augen funkelten bedrohlich. »Wenn Otto und Emily mich nicht mitnehmen, dann bekommt ihr alle es mit mir zu tun! Ich habe mächtige Freunde. Sehr mächtige Freunde! Und zwar bei der Mafia!« Er hielt Otto und Emily am Arm fest. »Komm schon, Junge, beam uns zurück.«

Otto wurde ganz angst und bange. Verfluchter Mist. In wenigen Minuten würde Harold Otto, Emily und Vincent tatsächlich in den Raum 006 zurückteleportieren – und es war gut möglich, dass Joe dann einfach mitreisen würde, wenn er sich so wie jetzt an Ottos Arm festklammerte. Das wäre eine Katastrophe!

»Vergiss es!«, rief Ottos Mutter. Voller Panik hielt sie die Eisenstangen umklammert, die ihre Zelle von Joes Zelle trennte. »Selbst wenn Otto dich zurücktransportiert, hast du genau wie wir unsichtbare Fesseln an deinen Beinen. Damit kann man nicht einfach so verschwinden. Also gib lieber gleich auf.«

»Ah! Die unsichtbaren Fesseln«, flüsterte Emily Otto ins Ohr. »Weißt du noch, davon haben wir vor einigen Monaten erfahren. Sie ketten die Gefangenen hier fest und machen es unmöglich, aus Qualcatraz zu flüchten. Joe kann uns also gar nicht begleiten, selbst wenn er möchte. Ein Glück!«

»Unsichtbare Fesseln?« Joe lachte jetzt. Inzwischen drückte er sich fest an Ottos Seite, sodass dieser seinen widerlichen Gestank einatmen musste. »Die interessieren mich schon längst nicht mehr! Die bin ich losgeworden. Ich habe den Wärter mit ein paar Zigaretten bestochen, dafür hat er sie mir abgenommen. Ich habe so getan, als bekäme ich davon ganz üble Kopfschmerzen.«

Ottos Mutter wurde käsebleich. »Ist das wahr?«

Joe nickte frech.

Otto schluckte und blickte auf seine Armbanduhr. Es war nur noch eine Minute bis zum Rücktransport. So hatte er sich seinen Besuch bei Mum und Dad jedenfalls nicht vorgestellt.

»Verschwinden Sie!« Mit aller Kraft versuchte Otto, sich aus Joes Griff zu befreien und ihn von sich zu schieben. »Wir nehmen Sie nicht mit, Sie Verbrecher! Es wird schon seinen Grund haben, weswegen Sie in Qualcatraz Ihre Strafe absitzen müssen.«

»Den hat es«, bestätigte Ottos Vater ernst. »Er war damals ein Gauner und ein Betrüger und ist auch im Gefängnis dafür berüchtigt, krumme Deals einzugehen, Essen zu klauen und Zigaretten zu schmuggeln. Er ist mit allen Wassern gewaschen! Es würde mich nicht wundern, wenn er seine unsichtbaren Fesseln tatsächlich losgeworden wäre.«

»Passt lieber auf, was ihr sagt!«, knurrte Joe und fletschte seine fauligen Zähne. Jetzt drückte er Otto und Emily gegen die Zellenwand. »Ich habe mächtige Freunde! Sehr mächtige Freunde! Die Geistermafia ist berüchtigt und knallhart! Wenn ihr mich nicht von hier befreit, dann …«

»Das sagtest du doch schon«, knurrte Ottos Mutter genervt. »Geistermafia, wir glauben dir kein Wort. So etwas gibt es doch gar nicht. Ein paar Trunkenbolde, Diebe und Kleinkriminelle sind keine mächtigen Freunde, Joe.«

»Otto«, wisperte Emily in Ottos Ohr, während Joe sich mit Ottos Eltern Wortgefechte lieferte. Ihre Stimme klang nervös. »Es ist so weit. Wir werden gleich zurücktransportiert. Wir sollten diesen nervigen Jenseitsganoven ganz dringend loswerden, sonst …«

»Loswerden? Nichts leichter als das!«, krähte Vincent, der sich in die muffige Luft der Zelle schwang.

»Vincent!«, rief Otto erleichtert. Seine Hausfledermaus hätte er beinahe vergessen. Vincent war seine letzte Rettung. Und wie es aussah, hatte auch Joe noch nicht begriffen, dass sich in seiner Zelle nicht nur zwei, sondern sogar drei Eindringlinge aufhielten. »Schnell! Mach irgendwas! Egal was, damit Joe uns nicht länger auf die Pelle rückt. Wir haben nicht mehr viel Zeit, bis uns Harold holt.«

»Jetzt zeige ich euch mal, dass man beim Fernsehen auch was lernen kann«, erklärte Vincent, sauste im Sturzflug hinab und biss Joe fest in den Hals. »Nennt mich Graf Dracula!«

»Was zur … autsch! Mich hat eben ein Moskito gestochen. Seit wann gibt es denn hier aggressive Stechmücken?«, jaulte Joe und ging vor Otto und Emily zu Boden. Endlich konnten sie sich aus seinem Griff befreien.

»Willst du mich veräppeln?« Vincent hatte nicht vor, den Streit gut sein zu lassen, obwohl Joe sichtlich unter Schmerzen litt. »Ich bin doch keine Stechmücke! Das war ein astreiner doppelter Kreuzbiss, wie er im Buche steht. Haben Stechmücken etwa zwei spitze, glänzende Beißerchen?«

»Ist das etwa eine Fledermaus?«, rief Joe.

»Fledermaus? Ich bin Graf Dracula. Na ja, zumindest etwas Ähnliches«, lachte Vincent triumphierend und flatterte über Joes Kopf im Kreis, der sich immer noch vor Schmerzen am Boden krümmte. »Wenn du mir nicht glaubst, dann beiß ich dich gleich noch mal …«

»Nein! Bitte nicht!«, schrie Joe und ging in Deckung.

Bevor Vincent zu einem neuerlichen Sturzflug ansetzen konnte, zog ihn Emily an sich. »Jetzt komm schon in die Gänge, du kleiner Vampir.«

Vincent hob die Schultern. »Na gut, okay. Ich glaube, der Kerl hat schon genug gelitten. Besser, er lässt sich gleich mal gegen Tetanus impfen.«

»Teta-was?«, grölte Joe verdutzt.

Doch weder Otto, Emily noch Vincent kamen dazu, ihm zu antworten. So schnell sie konnten, flüchteten sie in die gegenüberliegende Ecke der Zelle, bis schließlich der wackelige Rücktransport einsetzte.

Keine Sekunde zu früh.

Darkos Schnitzeljagd

Ich wollte Mum und Dad liebe Grüße von Ihnen bestellen, aber die Zeit war leider zu knapp«, erklärte Otto am nächsten Nachmittag auf dem Friedhof. Igor, der einäugige Friedhofswärter, war gerade dabei, ein Grab auszuheben. »Und dann gab es noch einen ziemlich unangenehmen Zwischenfall mit dem nervigen Zellennachbarn meiner Eltern.«

»Mach dir keinen Kopf, mein Junge«, erklärte Igor gutmütig und tätschelte Ottos Schulter. »Viel wichtiger ist es doch, dass wir einen Weg finden, deine Mutter und deinen Vater für immer aus der Gefangenschaft zu befreien.« Er überlegte angestrengt. »Und dieser Kerl vom SBI, dieser Oberheini, der die beiden eingebuchtet hat, hat immer noch kein Lebenszeichen von sich gegeben?«

»Oberheini? Sie meinen Darko? Leider nein«, gab Otto geknickt zu. Nach dem aufregenden Abenteuer in Russland hatte er Igor, dem Friedhofswärter, vor dem er sich vor wenigen Monaten noch ordentlich gegruselt hatte, jedes noch so kleine Geheimnis aus seinem Leben erzählt. Denn seit Otto wusste, dass der einäugige Kerl mit seinen Eltern befreundet gewesen war, vertraute er dem Friedhofswärter – auch wenn er es immer noch seltsam fand, dass Igor, genau wie er selbst, Geister und selbst Sensenmänner sehen konnte. Die Antwort, warum das so war, hatte er jedenfalls noch nicht herausfinden können.

»Wie seltsam. Und du, Sensenmann?«, fragte Igor jetzt und deutete auf Scary Harry, der auf einer Parkbank saß und gedankenverloren auf seinen Seelen-Messenger starrte. »Hast du beim SBI nichts über Darko herausfinden können?« Er schürzte die Lippen und betrachtete ihn nachdenklich. »Was machst du denn da eigentlich die ganze Zeit auf deinem Handy? Du bist ja schon genauso handysüchtig wie all die Teenager. Meine Nichte Gina hängt neuerdings auch immer an diesem Gerät. Irgendein neues Handyspiel hat es ihr offensichtlich angetan.«

»Jetzt mach mal halblang, Igor«, beschwerte sich Harold und verdrehte die Augen. »Ich bin kein handysüchtiger Teenager, ich sortiere bloß die Werbung in meinem E-Mail-Postfach aus. Der Speicher für meine Mailbox war nämlich voll. Da bekomme ich schon gar nicht mehr mit, wann wieder eine Seele abzuholen ist.« Er hob verzweifelt die Schultern. »Volle E-Mail-Postfächer rauben einem auch im Jenseits den letzten Nerv, das könnt ihr mir glauben.«

Otto und Igor warfen sich amüsierte Blicke zu. Im Diesseits war das nicht anders.

»Nein, ich will keinem Prinzen aus Afrika Geld überweisen«, knurrte Harold im nächsten Moment, den Blick weiterhin auf das Display gerichtet, und drückte den Löschknopf auf seinem Handy. »Und ich glaube auch nicht, dass ich an einem Tag eine Million Pfund verdienen kann. So ein Blödsinn. Moment … halt. Da ist etwas in meinem Spam-Postfach, das euch interessieren könnte.«

Otto horchte auf. »Eine E-Mail?«

»Ja! Eine Werbemail! Ich habe eine Werbemail einer Pizzeria bekommen!«, jauchzte Harold erfreut.

»Eine Werbemail?« Otto schnitt verärgert eine Grimasse. »Ich dachte, du hasst Werbemails?«

»Ja, streng genommen natürlich schon«, gab Harold zu und grinste. »Aber diese ist der Knaller! Sie stammt von der Pizzeria Knochico. Das ist eine internationale Restaurantkette, die jenseitsweit für ihre original italienischen, superleckeren Pizzen berühmt ist.« Er klatschte begeistert in die knochigen Hände. »Und sie eröffnet schon bald ihre erste Filiale in der Stadt. Direkt unter meinem Apartment. Jetzt kann ich mir im Schlafanzug Pizza holen. Ist das nicht großartig?!«

Otto seufzte enttäuscht. Eine Werbemail einer Pizzeriakette! Deswegen spielte Harold verrückt und benahm sich, als wären Weihnachten und sein Geburtstag auf ein und denselben Tag gefallen? Andererseits, was hatte Otto eigentlich erwartet? Hatte er etwa angenommen, dass sich die Lösung für all seine Probleme in Harolds E-Mail-Postfach befand? Hatte er angenommen, dass Darko höchstpersönlich eine E-Mail an Harold senden würde? Eher nicht.

»Schön für dich«, murmelte Otto und setzte sich neben Igor, der inzwischen mit seiner Arbeit fertig war und seine Schaufel gegen den Grabstein gelehnt hatte, auf die Parkbank. »Tante Sharon würde durchdrehen, wenn sich direkt neben unserer Villa eine Pizzeria befinden würde. Sie hasst ungesundes Essen.«

Harold grinste. »Ich weiß. Was für ein Glück, dass sie sich deshalb direkt unter meiner Wohnung befindet, nicht wahr? Stell dir das nur mal vor. Jetzt kann ich mir zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Abendbrot Pizza liefern lassen. Ananaspizza, Schinkenpizza, Gemüsepizza, Salamipizza, Käsepizza, doppelte Käsepizza, doppelte Käsepizza mit Käsekruste …«

»Lass mich raten, Otto«, flüsterte Igor in Ottos Richtung und betrachtete dabei dessen grüblerische Miene. »Du denkst, dass ihr Darko nie finden werdet, solange Harold sich nur fürs Essen interessiert, nicht wahr?«

Otto lief vor Verlegenheit rot an. Waren seine Gedanken wirklich so leicht zu erraten gewesen?

»Ich freue mich ja für ihn. Harold hat oft gute Laune und macht sich nie Sorgen. Und wenn doch, dann kann ihn so etwas Simples wie eine Pizza aufheitern«, wisperte Otto zurück. »Aber gleichzeitig frage ich mich jede Sekunde, wo sich Darko aufhält. Er könnte irgendwo im Jenseits sein, aber genauso im Diesseits stecken, hier bei uns, gleich um die Ecke. Ach, Igor, es ist so gut wie unmöglich, ihn jemals aufzuspüren …«

»Huch, da ist noch eine Mail, die dich interessieren könnte, Otto«, unterbrach ihn Harold plötzlich. Es war beinahe unmöglich, aber dieses Mal sah Harold noch erfreuter aus als vorhin, als die Werbemail der Pizzeria Knochico eingetroffen war. Er klebte förmlich an seinem Handybildschirm und sah aus, als könnte er kaum glauben, was er da las.

»Was denn jetzt?« Otto konnte nicht verhindern, dass er ein wenig genervt klang. »Hat jetzt auch noch eine Konditorei mit den weltbesten Torten neben dir eröffnet? Oder eine unglaublich tolle Eisdiele?«

»Das … das ist keine Werbemail, Otto.« Irrte Otto sich oder sah Harolds knochiger Schädel plötzlich etwas blasser aus als sonst? »Sondern eine Nachricht von Darko!«

»Wie bitte?«, schrie Igor, noch bevor Otto überhaupt nach Luft schnappen konnte. Der einäugige Friedhofswärter stürmte auf Harold zu und riss ihm das Handy aus der Hand. »Machst du auch ganz sicher keine Witze, Sensenmann? Lass mal sehen! Tatsächlich … und auch die E-Mail-Adresse deutet ganz darauf hin. [email protected]

»Lies vor.« Ottos Stimme war nichts als ein Hauchen. In seiner Magengegend kribbelte es wild vor Aufregung. Damit hatte er nun wirklich nicht mehr gerechnet. »Oder glaubst du, es könnte eine Fälschung sein?«

»Hmm.« Harold kratzte sich am Kopf. »Die E-Mail-Adresse ist jedenfalls korrekt. Jeder beim SBI weiß, dass nur der Oberboss eine solche Adresse besitzt. Aber die Art, wie er schreibt … Entweder ist die Mail nichts weiter als ein sehr guter Witz, den sich jemand mit uns erlaubt, oder unser Oberboss hat tatsächlich den Verstand verloren.«

Jetzt hielt es Otto nicht mehr länger aus. Die Art, wie er schrieb? Den Verstand verloren? Vor lauter Aufregung riss er den Seelen-Messenger aus Igors Hand und überflog den Text.

»Spaß?« Otto hob die Augenbrauen. »So viel Spaß hatte ich nicht mehr, seit MrWalker mich zu einer Woche Nachsitzen verdonnert hat. Was ist denn in Darko gefahren?«

»Lies weiter!«, befahl Harold aufgeregt.

Otto gehorchte.