Schatten der Dämmerung - Karsten Peter Steiner - E-Book

Schatten der Dämmerung E-Book

Karsten Peter Steiner

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Beschreibung

Schatten der Dämmerung ist eine Sammlung unheimlicher Geschichten, die auch hartgesottenen Horror-Fans den Atem stocken lässt. Perfekt für jene, die den Nervenkitzel lieben und sich nur zu gern der Angst überlassen, entfaltet dieses Buch eine Reihe düsterer Erzählungen, die am besten bei flackerndem Kerzenlicht gelesen werden. Jede Geschichte ist auf ihre eigene Art beklemmend und eindringlich und eignet sich ideal für alle, die nach wirklich gruseligen Geschichten für Erwachsene suchen.

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EPUB
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Seitenzahl: 170

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Schatten der DämmerungvonKarsten Peter Steiner

Dieses Buch widme ich meiner Familie – ohne euch wären meine Romane nie entstanden. Besonders gedenke ich meiner verstorbenen Mutter, Ursula Steiner. Es war ihre stetige Ermutigung, die mich dazu bewegte, diesen Roman zu schreiben, und ihr Einfluss begleitet mich in jedem Wort, das ich niederschrieb.

Karsten Peter Steiner

Schatten der Dämmerung

Band 2

© 2024 Karsten Peter Steiner

Umschlag, Illustration: Karsten Peter Steiner

Herausgegeben von: Karsten Peter Steiner

Druck und Distribution im Auftragdes Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist Karsten Peter Steiner verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

E-Book ISBN 978-3-384-40373-5

Softcover ISBN 978-3-384-40183-0

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Das letzte Klassentreffen

Die Tochter des Bösen

Das Haus an der Friedhofsmauer

Die Nacht der Schreie

Die Truhe der Verdammnis

Das Haus des Schreckens

Halloween

Das Monster im Kleiderschrank

Der Geist von Schloss Tratzberg

Die Katze des Todes

Der Fluch der Hexe

Die Maske des Grauens

Der Kannibale von Bonn

Das Diadem von Marie-Antoinette

Die Guillotine von Versailles

Todesschatten

Einführung

S

chatten der Dämmerung ist eine Sammlung unheimlicher Geschichten, die auch hartgesottenen Horror-Fans den Atem stocken lässt. Perfekt für jene, die den Nervenkitzel lieben und sich nur zu gern der Angst überlassen, entfaltet dieses Buch eine Reihe düsterer Erzählungen, die am besten bei flackerndem Kerzenlicht gelesen werden. Jede Geschichte ist auf ihre eigene Art beklemmend und eindringlich und eignet sich ideal für alle, die nach wirklich gruseligen Geschichten für Erwachsene suchen.

In diesen Seiten erwarten Sie Kreaturen, die in den Schatten lauern, Geister, die mit ihrer bloßen Anwesenheit die Luft kälter werden lassen, und Menschen, die dem Wahnsinn näherkommen, als sie jemals zugeben würden. Diese Geschichten zeigen Ihnen nicht nur, was im Dunkeln lauert – sie lassen es Sie spüren, bis Ihnen ein kalter Schauer den Rücken hinabläuft.

Ob langjähriger Horror-Liebhaber oder Neugieriger, der nur nach einem packenden Schreck sucht – „Schatten der Dämmerung“ hält für jeden ein Erlebnis bereit, das das Herz schneller schlagen lässt. Diese Sammlung ist perfekt für jene Nächte, in denen Sie spüren wollen, wie sich die Finsternis langsam über Ihre Gedanken legt.

Das letzte Klassentreffen

M

arie stand am Fenster ihres kleinen Büros und blickte hinaus auf den grauen Nachmittag. Der Regen peitschte gegen die Scheiben, und der Himmel hing wie eine schwere Decke über der Stadt. Auf ihrem Schreibtisch lagen die Einladungen zum zwanzigjährigen Klassentreffen, ordentlich aufgereiht, fast fertig zum Verschicken. Lange hatte sie gezögert, bevor sie den Entschluss gefasst hatte, das Treffen zu organisieren. Zwanzig Jahre – eine lange Zeit. Es schien der richtige Moment zu sein, die alten Erinnerungen wieder aufleben zu lassen.

Doch Marie wusste, dass es um mehr ging. Die Vergangenheit hatte ihre Spuren in ihrem Leben hinterlassen, und obwohl sie beruflich erfolgreich war, gab es diese leise, nagende Stimme in ihrem Kopf, die immer wieder an etwas Dunklem kratzte. Sven. Sein Name hallte in ihrem Bewusstsein wider wie ein fernes Echo, ein Schatten, der sich nie ganz auflöste.

Niemand sprach gerne über Sven. Und doch wussten alle, dass seine Abwesenheit die Klasse 12b für immer geprägt hatte. Damals war er einfach verschwunden – ohne Vorwarnung, ohne Erklärung. Die Polizei hatte gesucht, Freunde und Familie hatten Fragen gestellt, aber nichts gefunden. Es blieb ein Mysterium, ein dunkler Fleck in ihrer gemeinsamen Vergangenheit, der nie wirklich geklärt wurde.

Marie seufzte tief, griff nach den letzten Einladungen und steckte sie in Umschläge. Fast alle hatten zugesagt. Nur einer fehlte: Sven. Natürlich. Sie hatte ihm keine Einladung geschickt. Wie auch? Er war nicht mehr da. Oder doch? Für einen kurzen Moment erstarrte sie, als die Erinnerung an ihn schmerzhaft lebendig wurde. Dann schüttelte sie den Gedanken ab. Das Treffen in der alten Schule würde gut gehen. Es war nur ein Abend, ein Wiedersehen mit alten Freunden, nichts weiter. Es würde schon alles in Ordnung sein.

Der Tag des Treffens kam schneller, als Marie erwartet hatte. Der Herbst hatte das kleine Dorf in ein orange-rotes Meer aus Blättern getaucht, und die Straßen waren mit nassem Laub bedeckt. Sie fuhr die vertrauten Wege entlang, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Die alte Schule lag verlassen am Rande des Dorfes, vergessen und in sich selbst versunken. Ihre Fassade war bröckelig, die Fenster staubig, und über ihr lasteten dunkle Wolken, die das Gebäude noch bedrückender wirken ließen, als Marie es in Erinnerung hatte.

Als sie aus dem Auto stieg, peitschte der Wind ihr ins Gesicht und ließ die Blätter wie Geister durch die leeren Straßen tanzen. Die Stille war nicht friedlich, sondern beklemmend. „Das ist... irgendwie gruselig“, sagte Jonas, der plötzlich neben ihr stand. Der ehemalige Klassenclown versuchte, wie damals die Stimmung aufzulockern, aber sein Lächeln wirkte gezwungen. Auch er hatte lange gezögert, doch zugesagt.

Marie nickte ihm kurz zu und öffnete die schwere Eingangstür der Schule. Das Knarren war ohrenbetäubend und hallte durch die stillen Flure. Als sie eintrat, schlug ihr die abgestandene Luft entgegen, dick und feucht wie eine Erinnerung an die längst vergangenen Tage. Es fühlte sich an, als hätte der Ort seit Jahren niemanden mehr gesehen – und vielleicht war das auch so. Die Schule war vor langer Zeit geschlossen worden, und die verwaisten Räume schienen von der Zeit vergessen worden zu sein. Der modrige Geruch von Staub und Verfall lag in der Luft, und der Klang ihrer Schritte hallte hohl durch die verlassenen Gänge.

„Es ist, als wäre die Zeit hier stehengeblieben“, flüsterte Lisa, als sie die Aula betraten. Jonas, gewohnt, Witze zu machen, versuchte es mit einem Kommentar über den schrecklichen DJ beim Abschlussball, doch niemand lachte. Die Aula sah fast genauso aus wie damals, nur verfallener. Spinnweben hingen in den Ecken, der Staub lag dick auf den Möbeln, und die Stühle standen in einem Kreis um den alten Holztisch. Es wirkte wie eine Szene aus einem vergessenen Traum, der sich in Dunkelheit auflöste. Ein Stuhl jedoch war leer – und jeder wusste, warum.

Als alle Platz genommen hatten, versuchten sie, sich in alte Erinnerungen zu verlieren. Das übliche Lachen und die nostalgischen Geschichten, die immer wieder erzählt wurden, wenn alte Freunde sich trafen, begannen. Aber es war nicht wie sonst. Niemand sprach es aus, aber die Abwesenheit von Sven war wie ein unsichtbares Gewicht im Raum, eine stumme Präsenz, die zwischen ihnen schwebte und die Gespräche erstickte, bevor sie richtig beginnen konnten.

Lisa war die Erste, die das Schweigen durchbrach. „Erinnert ihr euch an den Abschlussball?“, fragte sie mit einem nervösen Lachen. „Der DJ war schrecklich, oder?“ Jonas, der neben ihr saß, machte einen gezwungenen Witz, doch es klang hohl. Die Gespräche plätscherten dahin, jeder versuchte, sich wohlzufühlen, aber die Spannung im Raum war spürbar.

Marie spürte es auch. Irgendetwas war anders. Der Raum wirkte seltsam. Es war mehr als die abgestandene Luft und der Verfall. Es fühlte sich an, als wäre die Aula lebendig, als hätte sie in den zwanzig Jahren seit ihrer letzten Begegnung mit der Vergangenheit etwas Dunkles in sich aufgenommen. Die Aula, die einst hell und lebendig gewesen war, schien jetzt nur noch aus Schatten zu bestehen.

Plötzlich begann das Licht zu flackern. Ein schwaches, zuckendes Leuchten von den alten Deckenlampen, die seit Jahren keinen Strom mehr gesehen hatten. „Großartige Elektrik hier“, murmelte Jonas und versuchte, die unheimliche Atmosphäre mit einem Scherz zu entschärfen. Doch es fühlte sich nicht wie ein Witz an. Ein kalter Luftzug wehte durch den Raum, obwohl die Fenster fest verschlossen waren.

Anna, die damals schon eine stille, schüchterne Mitschülerin gewesen war, warf nervöse Blicke in die Dunkelheit, die sich am Rand der Aula ausbreitete. „Habt ihr das gehört?“, fragte sie leise. Marie spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Da war etwas. Ein Geräusch, fast wie Schritte, die in der Ferne hallten. Sie versuchte, sich zu beruhigen. „Das ist doch nur der Wind“, sagte sie, aber ihre Stimme zitterte.

Marie zwang sich, ihre Nervosität zu ignorieren und die Liste der Anwesenden durchzugehen. Ihre Hände zitterten leicht, als sie die Namen las. Jonas, Lisa, Anna – alle waren hier. Alle bis auf einen. Sven.

Sie schluckte schwer und setzte sich wieder hin. Der Stuhl, der für Sven vorgesehen war, blieb leer, doch es fühlte sich an, als würde der leere Platz mehr Raum einnehmen als alle anderen zusammen. Jeder im Raum dachte an ihn. Jeder erinnerte sich an den Tag, als Sven verschwunden war, und niemand wagte es, darüber zu sprechen. Doch in der Stille schienen die Erinnerungen an diesen Tag wieder lebendig zu werden, als würde die Vergangenheit zurückkehren und ihre Antworten fordern.

Ein leises Knarren ließ die Gruppe zusammenzucken. Die schwere Schultür, die Marie vorhin fest verschlossen hatte, schwang langsam auf. Ein kalter Windstoß durchzog den Raum, und alle Augen richteten sich auf die Tür. „Wer spielt hier einen Streich?“, fragte Jonas mit zittriger Stimme, doch niemand lachte. Die Tür bewegte sich, als ob eine unsichtbare Hand sie geöffnet hätte, und die Luft, die durch den Raum strömte, fühlte sich anders an – schwerer, kälter.

Anna stand auf und trat ans Fenster. Sie legte ihre Hand auf das kalte Glas und sah hinaus in den nebligen Hof. „Das ist nicht normal“, flüsterte sie. Die Luft um sie herum schien kälter zu werden, und der Raum selbst schien sich zu verändern. Es war, als hätte sich eine unsichtbare Last auf die Schultern der Anwesenden gelegt, die immer schwerer wurde. Marie spürte es jetzt auch. Eine unsichtbare Präsenz erfüllte den Raum – etwas, das nicht hätte da sein sollen.

Das Licht flackerte erneut, dann erlosch es vollständig. Die Gruppe saß in völliger Dunkelheit. Die Stille, die folgte, war erdrückend. Kein Atemzug war zu hören, keine Bewegung. Es war, als hätte der Raum seinen Atem angehalten, als würde er auf etwas warten. Maries Herz pochte bis zum Hals, aber sie wagte es nicht, sich zu rühren. Sie fühlte sich wie gelähmt, von einer Kälte umgeben, die tief in ihre Knochen kroch.

Dann, plötzlich, ein Geräusch. Ein Flüstern, das die Stille durchbrach. Die Stimme war fremd, aber die Worte waren klar und deutlich: „Ihr habt mich vergessen.“ Die Worte schnitten wie ein Messer durch die Dunkelheit und hallten in Maries Kopf wider. Ihr Magen zog sich zusammen, und die Luft blieb ihr weg. Die Stimme war leise, emotionslos, aber sie trug eine Schärfe, die ihr den Atem raubte.

Niemand sagte etwas. Alle saßen regungslos da, als wäre die Dunkelheit um sie herum lebendig geworden, als würde sie auf das nächste Zeichen warten. Dann flackerte das Licht wieder auf. Es war schwach und flackernd, doch es reichte aus, um die Gestalt in der Mitte des Raumes zu erkennen. Marie keuchte, als ihr Blick auf ihn fiel.

Mitten in der Aula stand Sven.

Sven stand dort, seine blasse, fast durchscheinende Gestalt hob sich kaum von der Dunkelheit ab, die ihn zu umgeben schien. Seine Augen waren tief und leer, und er sah durch die Gruppe hindurch, als wären sie gar nicht da. „Ihr habt mich vergessen“, wiederholte er, seine Stimme emotionslos, beinahe mechanisch.

Marie spürte, wie ihr Herz raste. Niemand rührte sich, niemand sagte ein Wort. Die Luft in der Aula wurde schwerer, kälter. Es fühlte sich an, als hätte Sven nicht nur den Raum betreten, sondern etwas Dunkles, etwas Unerklärliches mitgebracht. Die Stille um sie herum wurde immer drückender, als ob die Dunkelheit selbst sie zu verschlingen drohte.

Jonas, der sonst immer einen Scherz auf den Lippen hatte, sprang plötzlich auf. „Das ist unmöglich!“, schrie er. Seine Stimme durchbrach die erdrückende Stille, doch statt Erleichterung brachte sie nur noch mehr Unruhe. Panisch rannte er zur Tür und riss daran, doch sie war fest verschlossen. „Nein, dass... das ist nicht real!“, rief er verzweifelt und schlug gegen die schwere Holztür, die sich keinen Zentimeter rührte.

Die anderen begannen, sich zu bewegen, standen auf, stolperten rückwärts, weg von Sven, als ob seine bloße Anwesenheit sie überwältigte. Die Panik in ihren Gesichtern spiegelte sich in Maries eigenen Gefühlen wider. Etwas war hier, etwas, das nicht hier sein sollte. Es war mehr als nur Sven – es war die Dunkelheit, die ihn umgab, die mit ihm gekommen war.

Die Aula, die einst so vertraut und sicher gewesen war, begann sich zu verändern. Die Wände schienen zu schwanken, als ob sie nicht mehr stabil wären, und die Umrisse der Möbel verwischten sich, als wären sie Teil eines Traums, der dabei war, in einen Albtraum abzugleiten. Dunkelheit kroch aus den Ecken des Raumes wie ein lebendiger Nebel, der alles verschluckte, was ihm in die Quere kam.

„Das ist nicht echt!“, rief Jonas erneut, aber seine Stimme klang hohl, fast so, als würde der Raum selbst sie verschlucken. Seine Worte brachten keinen Trost, nicht einmal ihm selbst. Der Boden unter seinen Füßen begann zu schwanken, als hätte er das Gleichgewicht verloren, obwohl er stillstand.

Marie wollte etwas sagen, doch ihre Stimme blieb ihr im Hals stecken. Die Luft in der Aula wurde so dicht, dass sie kaum noch atmen konnte. Sie spürte, wie ihr Körper anfing zu zittern, und ihre Beine fühlten sich plötzlich schwer an, als wären sie aus Blei. Sie wollte sich bewegen, wollte fliehen, aber ihre Füße klebten am Boden fest. Der Raum um sie herum schien sich zu verformen, und Sven, der sich nicht rührte, schien doch immer näher zu kommen, als würde die Dunkelheit ihn mit sich tragen.

„Ihr habt mich vergessen“, sagte Sven erneut, und mit jedem Wort schien die Dunkelheit dichter zu werden. „Niemand hat nach mir gesucht.“ Seine Stimme klang nicht wütend, sie war kalt und leer, als wäre ihm jede Emotion längst abhandengekommen. „Und jetzt werdet ihr für immer bei mir bleiben.“

In diesem Moment schrie Jonas plötzlich auf. Er stolperte zurück, verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten in die Dunkelheit, die wie lebendiger Nebel auf ihn zukroch. „Hilfe!“, schrie er verzweifelt, doch seine Stimme wurde von der erdrückenden Stille verschluckt, die alles überlagerte. Marie hörte noch sein verzweifeltes Keuchen, dann war er einfach weg. Als ob er nie da gewesen wäre.

Die übrigen Schüler starrten fassungslos auf die Stelle, an der Jonas gestanden hatte. Panik ergriff sie alle. „Was passiert hier?“, schrie Lisa, ihre Stimme bebend vor Angst. Sie klammerte sich an einen der Stühle, als ob er sie in der Realität verankern könnte, doch der Stuhl schien sich in Schatten aufzulösen, und Lisa taumelte zurück, ihre Augen weit vor Schrecken.

Marie spürte, wie die Kälte immer weiter in ihren Körper kroch. Es fühlte sich an, als würde die Dunkelheit sie von innen heraus ersticken, als würde sie jeden Atemzug schwerer machen. Sie wollte schreien, doch ihre Stimme versagte. Jeder Schritt, den sie machte, fühlte sich an, als würde sie durch zähen Schlamm waten, als hätte die Dunkelheit sie in ihren kalten Griff genommen und ließ sie nicht mehr los.

Sven trat auf Marie zu, langsam und fast lautlos. Seine Augen waren starr auf sie gerichtet, seine Gestalt durchscheinend und doch unheilvoll präsent. „Du hättest mich retten können“, sagte er leise, seine Stimme ein tonloses Flüstern, das wie ein Echo in Maries Kopf widerhallte. „Aber du hast weggesehen.“

Marie spürte, wie die Schuld schwer auf ihr lastete, als würde sich der Boden unter ihren Füßen öffnen und sie verschlucken. Ja, sie hätte mehr tun können. Damals, als Sven noch Teil ihrer Klasse war, als er sich immer mehr von der Gruppe zurückzog, hatte sie seine Einsamkeit gespürt. Sie hatte es gewusst, aber sie hatte nichts unternommen. Es war so einfach gewesen, wegzusehen, als er immer stiller und unsichtbarer geworden war. Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt, genau wie alle anderen. Jetzt holte sie die Vergangenheit ein, und sie konnte sich nicht mehr verstecken.

„Es tut mir leid“, flüsterte sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch. Tränen stiegen ihr in die Augen, und ihre Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Aber sie wusste, dass es zu spät war. Sven war nicht mehr der stille Junge, der er einst gewesen war. Etwas Dunkles hatte ihn verändert, und nun war er zurückgekehrt, um das einzufordern, was ihm damals verweigert worden war – Aufmerksamkeit, Anerkennung, vielleicht sogar Gerechtigkeit.

Sven blieb direkt vor ihr stehen, und obwohl seine Augen auf sie gerichtet waren, schienen sie nichts mehr zu sehen. „Es ist zu spät“, sagte er, und die Worte ließen den Raum noch kälter werden. Die Dunkelheit um Marie herum begann sich zu bewegen, sie umschloss ihre Beine, dann ihre Arme, bis sie nichts mehr spüren konnte außer der eisigen Kälte, die sie langsam verschlang.

Marie schloss die Augen. Sie spürte, wie sie tiefer und tiefer in die leere gezogen wurde, und mit jedem Atemzug wurde es schwerer, die Dunkelheit abzuwehren. Svens kalte, leere Augen folgten ihr in die Tiefe, bis sie nichts mehr von der Welt um sich herum wahrnahm.

Nur noch wenige von ihnen waren übrig. Die Dunkelheit hatte fast alle verschlungen, einer nach dem anderen war in ihr verschwunden, bis kaum noch jemand übrigblieb. Anna stand zitternd in einer Ecke, während Lisa verzweifelt versuchte, ein Fenster zu öffnen, das nicht mehr da zu sein schien. Ihre Hände griffen nach dem Nichts, als ob die Realität um sie herum aufhörte zu existieren.

„Erinnerst du dich an mich?“, fragte Anna plötzlich mit erstickter Stimme. Sie sprach nicht zu Lisa, nicht zu den anderen, sondern direkt zu Sven. „Ich war wie du“, fuhr sie fort, ihre Stimme leise und bebend vor Angst. „Ich habe dich verstanden.“

Für einen Moment schien Sven innezuhalten. Seine leeren Augen fixierten Anna, als würde er ihre Worte verarbeiten, als würde er sie erkennen. Doch dann schüttelte er langsam den Kopf. „Niemand versteht mich“, sagte er leise, und seine Worte waren wie ein endgültiges Urteil.

Mit diesen Worten verschlang auch sie die Dunkelheit. Anna schrie nicht, sie verschwand einfach, als hätte sie nie existiert. Lisa schrie laut auf, doch es schien, als würde selbst dieser letzte Schrei in der erdrückenden Stille verstummen, die sich über den Raum gelegt hatte.

Marie stand als Letzte in der Aula. Sie war allein, und um sie herum breitete sich eine endlose leere aus. Sven war nirgendwo mehr zu sehen, doch seine Präsenz war überall. Die Dunkelheit kroch langsam auf sie zu, unaufhaltsam, wie ein zäher Nebel, der alles verschlang, was sich ihm in den Weg stellte.

„Ich...“, begann sie, doch die Worte verließen ihre Lippen nicht. Sie fühlte, wie die Dunkelheit sie umschloss, wie sie ihren letzten Atemzug nahm, bevor sie von der Leere verschlungen wurde.

Als die Dunkelheit sich endlich verzog, war der Raum wieder leer. Alles sah so aus, als wäre nichts geschehen. Es war still, bis auf das leise Ticken der Uhr an der Wand, die auf seltsame Weise noch immer funktionierte. Ein altes Klassenfoto lag auf dem Boden, halb verdeckt von Staub. Zwölf Schüler, lachend und unbeschwert, und in der Mitte stand Sven, mit einem stillen Lächeln, als wäre er nie fort gewesen.

Die Aula war wieder verlassen, genauso still und leer wie vor zwanzig Jahren. Niemand würde je erfahren, was in dieser Nacht wirklich geschehen war. Das Klassentreffen war zu Ende, und die Schule kehrte zurück in ihre ewige, schattenhafte Stille.

Doch irgendwo, tief in der Dunkelheit der verlassenen Flure, in den Ecken, wo niemand hinsah, lebte die Vergangenheit weiter. Sie lauerte, unsichtbar, doch allgegenwärtig, bereit, jeden zu verschlingen, der sich ihr zu sehr näherte.

Ein paar Tage nach dem Klassentreffen fiel im Dorf niemandem das Verschwinden der ehemaligen Schüler auf. Das Dorf selbst war klein, unscheinbar, und Aufregung war selten. Die alte Schule, die am Rande des Ortes lag, ein verfallenes Relikt vergangener Zeiten, war seit Jahren nicht mehr betreten worden. Niemand fragte nach den Menschen, die in jener Nacht dorthin gegangen waren.

Es war ein kalter Morgen, als ein älterer Mann, der die Schule auf seinem täglichen Spaziergang umkreiste, bemerkte, dass die Tür weit offenstand. Verwundert blieb er stehen, warf einen flüchtigen Blick in den dunklen Flur, doch es schien nichts Ungewöhnliches zu geben. Nach einem kurzen Zögern schüttelte er den Kopf und setzte seinen Weg fort. Niemand wollte sich mit der verlassenen Schule beschäftigen – und es gab keinen Grund, hineinzusehen. Sie war nur eine alte Ruine, ein Stück Vergangenheit, das die meisten vergessen wollten.