Schatten des Waldes - Tanja Hilmer - E-Book

Schatten des Waldes E-Book

Tanja Hilmer

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Beschreibung

"Es gibt vieles auf dieser Welt, was wir nicht kennen und nicht wissen. Versteckte Kreaturen, die unter den Menschen leben. Keine Aliens, sondern Wesen, die es schon länger auf der Welt gibt, als die Menschen es sich überhaupt vorstellen können. Natürlich gibt es auch dort schwarze Schafe und niedere Beweggründe – wie bei den Menschen auch. Sie sind ja zur Hälfte Mensch. Mit den guten und den schlechten Eigenschaften", erklärt der charmante John der Vollwaise Katie ihre neue Welt, während ihre alte Welt gerade aus den Fugen zu geraten scheint, und das nicht nur in hormoneller Hinsicht … Ein Fantasyroman zum Dahinschmelzen, zum Schmunzeln und Träumen, zwischen Hoffen und Bangen, Zittern und Zaudern, mit Tränen der Furcht und Tränen der Freude – und einem ganz und gar ungewissen Ausgang.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 204

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99146-405-1

ISBN e-book: 978-3-99146-406-8

Lektorat: Alexandra Eryiğit-Klos

Umschlagabbildungen: Vladimir A, Csaba Vanyi, Benoit Daoust, Jelerz | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Widmung

Für meinen Mann Harald,

der mich immer in all meinen

Vorhaben und Träumen unterstützt.

Ich liebe Dich.

Katie

Es war ein Tag wie jeder andere. Der Wecker klingelte um 7.00 Uhr und ich wälzte mich mehr schlecht als recht aus meinem Bett. Lerche oder Eule? Eindeutig Eule. Nachdem ich angezogen und gesellschaftsfähig war, nahm ich Schlüssel, Handtasche und Coffee to go und verließ meine kleine Wohnung in Richtung Arbeit. Es war nichts Besonderes und mich verband auch keine große Leidenschaft mit meinem Job. Er diente einfach nur dazu, mein Leben zu finanzieren. Empfangsdame in einer Anwaltskanzlei war zwar wirklich kein schlechter Job, aber seien wir mal ehrlich. Schönsein und immer schön lächeln, das kann durchaus anstrengend sein. Ich musste schon viel von meinem Gehalt in meine Garderobe investieren, die ich privat nie tragen würde. Man könnte meinen, ich käme in meinem Etuikleidchen und den High Heels plus Designerhandtasche direkt aus der Serie „Suits“. Ich sehe es als meine tägliche Arbeitskleidung. Zu teure Arbeitskleidung.

Meine Eltern wären sicher stolz auf mich. Vor allem meine Mutter. Ich trage ihre Designerhandtasche. Eins der wenigen Dinge, die mir geblieben sind und die ich bewusst behalten habe. Ich war gerade 25 Jahre alt und gerade noch so in der Selbstfindungsphase, was meine Zukunft anbelangt. Ich wohnte immer noch bei meinen Eltern und tingelte von Praktikum zu Praktikum, weil ich überhaupt keine Ahnung hatte, was ich mal werden wollte. Doch, eigentlich wollte ich gerne Bloggerin werden. Aber das ist nun mal kein anerkannter Beruf und wirft auch nicht sofort ein Einkommen ab, um davon leben zu können.

Und meine Eltern rauften sich die Haare. Meine Mom war eine bekannte Geschäftsfrau hier in Vancouver in der Einrichtungsbranche und mein Dad CEO einer großen Werbeagentur. Beide sehr erfolgreich, beide absolute Arbeitstiere. Aber auch Genussmenschen, die gerne und gut lebten. Ein schönes Zuhause, schicke Autos, teure Reisen. Im Klartext, das hart verdiente Geld wurde mit vollen Händen ausgegeben. Auch für mich. Somit war ich nicht wirklich unter Druck mit meiner Zukunftsplanung. Ich lebte in den Tag hinein, probierte mal dies und mal das und hoffte, irgendwann küsst mich die Muse und ich weiß genau, wo mein Weg hingeht. Dazu wollte ich mich gerne verlieben in meinen Traummann und megaerfolgreich bloggen oder schreiben.

Am liebsten fuhr ich mit dem kleinen Cabrio meines Dads spazieren, in flatternden Hippieklamotten, und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Meine Clique waren lauter Söhne und Töchter aus gutem Hause, die ebenso auf Kosten ihrer Eltern das Dasein genossen. Und wir bestätigten uns jeden Tag aufs Neue, dass wir das Richtige tun würden. Partys, Shopping, ausschlafen und gelegentlich darüber nachdenken, was noch kommt im Leben. Ich dachte, ich sei glücklich, ich dachte, es gehe ewig so weiter, ich dachte, mir könne nix passieren. Bis zu dem einen Tag, der mein ganzes Leben auf den Kopf stellte. Meine heile Welt zerbrach innerhalb von Sekunden in tausend Scherben. Es war ein eisiger Winterabend und meine Eltern waren auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung eingeladen. Ich war allein zu Hause und hatte mir gerade frisches Popcorn zubereitet, als es an der Tür klingelte.

Da ich niemanden erwartete, dachte ich an eine Zustellung irgendeiner Bestellung von mir oder meiner Mom. Onlineshopping war unser gemeinsames Hobby. Ich öffnete die Tür und stand zwei Polizisten gegenüber. „Miss Katie Fuller?“ „Ja Sir, das bin ich.“ „Dürfen wir bitte reinkommen? Wir müssen Ihnen etwas mitteilen. Sie sollten sich lieber setzen.“ In diesem Moment rutschte mir das Herz in die Hose, mir wurde schlecht und schwindelig zugleich und ich stützte mich am Türrahmen ab. Die Beamten halfen mir ins Haus, platzierten mich aufs Sofa und ich bekam ihre Erklärung wie durch eine Nebelwand mit. „Miss, Ihre Eltern hatten einen Verkehrsunfall auf dem Weg zu der Benefizveranstaltung in der City. Ein Lkw-Fahrer hat die rote Ampel übersehen und Ihre Eltern gerammt. Jede Hilfe kam leider zu spät. Unser Beileid für Ihren Verlust.“

Wie in Trance erlebte ich die nächsten Tage und Wochen. Eine Menge Beileidsbekundungen und Blumen trafen ein, einige boten ihre Hilfe an, aber ich kapselte mich komplett von der Außenwelt ab. Mein Leben lag in Trümmern und ich war allein und auf mich gestellt. Wir hatten nur uns drei gehabt. Keine Großeltern, keine Tanten, keine Onkel oder Geschwister. Und jetzt war ich allein. Meine sogenannten „Freunde“ kamen mit der negativen Situation und meiner Stimmung und Laune nicht zurecht und zogen sich auch immer mehr von mir zurück. Ich passte nicht mehr in die oberflächliche Happy-Hour-Welt und es gab auch keinen Weg dahin zurück. Ich musste also jetzt mit 25 Jahren wirklich und wahrhaftig erwachsen werden, und zwar sofort.

Zu Beginn versuchte ich ein Testament zu finden, um herauszufinden, wie sich meine Eltern ihre Beerdigung vorgestellt hatten. Wir hatten ja nie wirklich darüber geredet. Warum auch? Der Gedanke, meine Eltern so früh zu verlieren, erschien mir absurd. Ich verschanzte mich im Büro meines Dads und durchforstete alle Unterlagen, die ich finden konnte. Von Bankunterlagen über Versicherungen bis hin zum Testament.

Darin war nur kurz und knapp beschrieben, dass ich alles bekommen würde, was zu diesem Zeitpunkt noch da wäre, und dass es ihnen völlig egal sei, wo und wie sie bestattet würden. Also versuchte ich nach meinen Vorstellungen eine Beerdigung auf die Beine zu stellen, die in meinen Augen meiner Eltern würdig war.

Es war ein sonniger Tag und auf dem Friedhof herrschte die übliche Ruhe. Ich hatte beide in einer Urne beisetzen lassen und eine Grabstätte in einer wunderschönen alten Friedhofsmauer organisiert. Es war nur ein kleiner Kreis Trauergäste aus dem beruflichen Umfeld meiner Eltern dabei. Meine Eltern waren Einzelgänger und nur mit sich und ihrem Beruf verheiratet gewesen. Es gab also weder Freunde noch Bekannte, nur Kollegen. Irgendwie traurig – aber Realität und mittlerweile auch meine Realität. Von meinen sogenannten „Freunden“ war niemand mehr da. Ich war völlig allein und auf mich gestellt. Früher hatte ich Mom und Dad gehabt. Ja, früher. Da ich keine anschließende Trauerfeier mit mir fremden Menschen mochte, war ich nach der Beisetzung allein zu Hause. Mit mir, meiner Trauer und meinem Schmerz. Ich betäubte mich mit einer Flasche Martini, sah mir alte Fotos von uns dreien an und versank vom Scheitel bis zur Sohle in Selbstmitleid. Irgendwann muss ich dann wohl auf dem Sofa eingeschlafen sein.

Das Klingeln an der Tür riss mich morgens aus meinem komatösen Schlaf, den ich dem Martini verdankte. Als ich öffnete, stand ein ziemlich unsympathischer Mann mittleren Alters im schwarzen Anzug vor mir. Und wieder begann der Satz mit: „… Miss Kathie Fuller?“ Mir schwante nichts Gutes. „Ja bitte?“ „Ich komme von der Bank von Vancouver und möchte Ihnen hiermit persönlich den Vollstreckungsbescheid übergeben.“ „Welchen Vollstreckungsbescheid bitte?! Von was genau sprechen Sie?“ „Ihre Eltern haben viel mit ihrem Geld spekuliert und auch immer gut und gerne ein wenig über ihre Verhältnisse gelebt. Die letzte Transaktion ist nicht wie gewünscht verlaufen. Und da nun weder Gehälter noch sonstige Zahlungen erfolgen, wird das Haus samt Inventar, das als Sicherheit diente, an die Bank überschrieben. Sie haben 14 Tage Zeit, entweder die Schulden zu tilgen oder das Haus zu räumen. Der Gerichtsvollzieher hilft Ihnen dabei, was Sie mitnehmen dürfen und was zur Banksicherheit hier bleiben muss.“ Wieder wurde mir schwarz vor Augen und schwindelig. Es zog mir regelrecht den Boden unter den Füßen weg. Jetzt würde ich auch noch mein Zuhause und alles, was dazugehörte, verlieren.

Wie sich herausstellte, hatten meine Eltern 2.000.000 kanadische Dollar verzockt. Das Haus samt Inventar hatten sie als Sicherheit hinterlegt und jetzt war alles weg. Sogar die Autos waren nur geleast und wurden in den nächsten Tagen bereits abgeholt. Zwei Wochen und ich bräuchte ein neues Zuhause. Ohne Job. Tolle Voraussetzungen.

Ich durchforstete den Immobilienteil der Zeitung. Schon eine kleine, also wirklich kleine Wohnung in Vancouver lag bei circa 1000 CAD Miete. Von Kaution, Lebenshaltungskosten etc. ganz zu schweigen. Und ohne Job keine Wohnung, ohne Wohnung keinen Job. Es war ein Teufelskreis.

Mir blieb nichts anderes übrig, als Klinken zu putzen bei den Firmen, die ich von meinen Eltern her kannte. Ich schrieb meinen sehr kurzen Lebenslauf, kopierte diesen circa 50-mal und machte mich persönlich auf den Weg. Egal wo ich hinkam, wurde ich zwar wegen des Todes meiner Eltern bemitleidet, aber mein Anliegen wurde immer abgewiesen mit den Worten: keine Ausbildung, keine Berufserfahrung, zu jung und noch so einiges mehr. Bei Kopie 47 hatte ich Glück. Ein Geschäftspartner meines Vaters hatte wohl so großes Mitleid mit mir, dass er mir anbot, eine Stelle am Empfang zu übernehmen. Dafür müssten meine Schulbildung und meine soziale Kompetenz wohl ausreichen, meinte er. Es war Mister John Newman. Persönlich hatte ich nie mit ihm zu tun. Alle Gespräche, wie oben beschrieben, wurden immer mit der Personalabteilung abgewickelt. Schien schwer beschäftigt zu sein, der Mann.

Gut, Punkt Nr. 1, Job mit Gehalt, war also erledigt. Punkt Nr. 2 war eine Wohnung. Als Erstes verkaufte ich den Schmuck und die teuren Designerstücke meiner Mom, um die Kaution und etwas Geld für die notwendigste Einrichtung zu haben. (Wenigstens diese Dinge hatte ich behalten dürfen.) Da wir die gleiche Konfektionsgröße hatten, behielt ich mir für meine neue Arbeit einige ihrer Etuikleider, High Heels und besagte Designertasche von Prada. Und die Rolex von meinem Dad. Sie war sein Heiligtum und ganzer Stolz gewesen.

Meine neue Bleibe war mitten in der City, unweit meiner Arbeitsstelle. Ein kleines Appartement mitten in Vancouver. Ich konnte zu Fuß zur Arbeit gehen. Auto hatte ich ja keins mehr. Der Gerichtsvollzieher rechnete alles bis auf den letzten Cent aus und es blieben mir noch ein paar Möbel und Haushaltswaren übrig, die ich mitnehmen konnte, um mich einzurichten. Und so schloss ich nach 25 Jahren zum letzten Mal unter Tränen die Türe zu meinem Elternhaus und verließ unser ehemaliges Grundstück mit einem gemieteten Minivan in Richtung neues Leben.

Fünf Jahre später:

Ich sitze am Empfang. Immer noch. Seit fünf Jahren. Es hat sich nicht viel verändert seit dem Tod meiner Eltern und meinem unfreiwilligen Start ins Leben. Immer noch der gleiche Job, immer noch die gleiche Wohnung, immer noch allein. Ich habe mich in meine eigene kleine Welt zurückgezogen. Es fällt mir schwer, anderen zu vertrauen nach den Enttäuschungen in der Vergangenheit. Ich halte mich weitestgehend von Menschen fern. Klar, in der Firma gibt es sicherlich den ein oder anderen netten Kollegen oder so manche liebe Kollegin und auf Feiern bin ich freundlich und zeige auch kurz Präsenz. Aber außerhalb der Arbeit bin ich lieber mit mir allein. Ich lese viel, gehe laufen im Park und mache es mir zu Hause gemütlich. Sobald ich meine Arbeitsuniform abgelegt und in meine Jeans, Sneakers und T-Shirt geschlüpft bin, bin ich ein anderer Mensch. Ohne Make-up, die Haare zum Pferdeschwanz gebunden, würde mich niemand von der Arbeit erkennen, wenn er mich zufällig träfe. Mir soll’s recht sein.

Es ist ein lauer Sommerabend, als ich im Park meine Runde laufe und das Gefühl, verfolgt zu werden, immer intensiver wird. Nicht das erste Mal in letzter Zeit. Aber ich sehe nichts und niemanden. Ich vernehme nur ein Flattern und spüre eine Nähe, die mir neu und fremd vorkommt und mir Angst macht. Ich laufe schneller und bin froh, als ich endlich meine Wohnung erreiche und den Schlüssel ins Türschloss stecke. Drehe ich etwa langsam durch? Verwandelt mich mein Einsiedlerleben in einen Psycho?

Unter der Dusche versuche ich meine negativen Gedanken abzuwaschen und innerlich zur Ruhe zu kommen. Schon seit Tagen habe ich immer wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich falle diese Nacht in einen unruhigen Schlaf und seltsame Träume schleichen sich in meinen Kopf. Dunkle Wälder, wilde Tiere wie Wölfe, Bären und Adler. Es ergibt überhaupt keinen Sinn und nach einer unruhigen Nacht reißt mich der Klingelton des Weckers unsanft aus meinen wirren Träumen. Schweißgebadet stehe ich fix und fertig auf. Ich habe ein komisches Gefühl in der Magengegend. Trotzdem mache ich mich wie gewohnt fertig und begebe mich auf den Weg in die Arbeit.

Gerade als ich in der Firma ankomme und meinen Platz am Empfang eingenommen habe, klingelt mein Telefon. Unser CEO ist am Apparat. „Katie, kommen Sie bitte kurz in mein Büro, danke.“ „Jawohl, ich bin sofort da.“

In meinem Kopf kreisen die Gedanken. Das letzte Mal, als wir miteinander gesprochen haben, war vor fünf Jahren, als er mir den Job gegeben hat. Und da lief eigentlich alles über die Personalabteilung; nur eine kurze Beileidsbekundung zum Tod meiner Eltern kam von ihm persönlich. Eigentlich kenne ich ihn nur vom Vorbeilaufen am Empfang. Und das sehr selten, da er wirklich komische Arbeitszeiten zu haben scheint. Berufliche Dinge werden mit der Vorzimmerdame geklärt und wenn es um meine Belange geht, ist die Personalabteilung zuständig. Auf Firmenfeiern habe ich ihn nie gesehen und auch sonst kommt er vor mir und geht nach mir. Dieser Mann wohnt quasi in seinem Büro.

Ich stelle mein Telefon nach Rücksprache auf die Chefsekretärin um und mache mich auf den Weg. Die Vorzimmerdame erwartet mich bereits und signalisiert mir, dass ich schon erwartet werde. Ich folge ihr und sie hält mir mit einem Lächeln die Türe auf. „Möchten Sie einen Kaffee oder ein Glas Wasser?“ „Gerne ein Glas Wasser, vielen Dank.“

Das Büro des CEO besteht zum größten Teil aus Fenstern bis zum Boden mit Aussicht über Vancouver. Ein großer, schwerer Marmortisch dient als Schreibtisch und eine kleine Sitzecke links davon wirkt erstaunlich einladend für ein Büro. Ich entdecke eine kleine Seitentüre, die einen Blick auf ein kleines Badezimmer freigibt, und eine Garderobe, an der mehrere Hemden und Anzüge hängen. Er wohnt wirklich hier. Außer einer einzigen grünen Palme und einer Schale mit Nüssen neben dem PC gibt es keinerlei Dekoration oder sonstigen Schnickschnack in diesem Raum.

„Schön, dass Sie so schnell da sind, Miss Fuller.“ Ich lächle, weil mir gerade nichts Passendes einfällt. Ich habe diesen Mann vor fünf Jahren das letzte Mal gesehen und anscheinend muss ich damals derart in meiner Trauer und Wut versunken gewesen sein, denn als ich ihn jetzt direkt ansehe, trifft es mich wie ein Blitz bei einem Gewitter. Er ist wahnsinnig attraktiv! Circa 1,85 Meter groß, sehr muskulös gebaut und hat volles, leicht welliges, schwarzes Haar, das perfekt gestylt ist. Seine grünen Augen strahlen wie Smaragde und senden kleine Blitze aus. Ein sehr charmantes Lächeln zeigt mir makellose weiße Zähne und lässt meine Knie weich werden.

„Ähm, ja natürlich. Was kann ich für Sie tun, Mister …“ Ich glaub es nicht, mir fällt der Name meines Bosses nicht mehr ein! Wie peinlich! „Mister Newman. Bitte setzen Sie sich, Miss Fuller.“ Er deutet zu der Sitzgruppe und ich nehme auf dem Minisofa Platz. Er setzt sich mir gegenüber in den passenden Sessel. Alles hier ist in Grau, Weiß und Schwarz gehalten. Jetzt erst entdecke ich gegenüber unserem Platz ein Wandbild, das einen dunklen Wald zeigt, über dem der Mond hell leuchtet. Ich erschrecke ein wenig, da mich dieses Bild sehr stark an meinen merkwürdigen Traum von letzter Nacht erinnert. Schnell schaue ich weg und direkt in diese magischen grünen Augen. „Was kann ich für Sie tun, Mister Newman?“

In diesem Moment kommt die Vorzimmerdame und bringt mir mein Wasser. Ich glaube, sie heißt Miranda. Sie lächelt zuerst mich an und ich bedanke mich mit einem Nicken. Den Blick, den sie dann Mister Newman zuwirft, würde ich nicht gerade als professionell bezeichnen, und ich merke, wie in mir eine Art Eifersucht hochkommt. Herrgott, jetzt komm mal runter und konzentrier dich gefälligst! Du bist doch kein Teenager mehr und außerdem hast du überhaupt kein Interesse an Männern oder sonst wem. Ich bin und bleibe lieber allein. Denn wer allein ist, der kann auch nicht verlassen oder enttäuscht werden.

„Miss Fuller, Sie arbeiten ja jetzt schon seit fünf Jahren bei uns am Empfang. Und wie ich gehört habe, gibt es nur Positives zu berichten über Sie und Ihre Arbeit.“ „Ah ja, danke, das freut mich zu hören.“ Ich schaffe es nicht, auch nur einen deutlichen langen Satz zu formulieren. Diese grünen Augen … als würden sie direkt in meine Seele blicken. „Miss Fuller?“, werde ich aus meinen Gedanken gerissen. „Ja, entschuldigen Sie. Ja, seit fünf Jahren arbeite ich hier und mache meinen Job wirklich gern.“ „Das freut wiederum mich zu hören“, erwidert er schmunzelnd. Was will er von mir? „Warum wollten Sie mich sprechen, Mister Newman?“ „Nun, kommen wir also sofort zur Sache. Meine Vorzimmerdame, Mrs. Blend, erwartet ein Baby und möchte so bald wie möglich ihre Stelle aufgeben, um für ihre Familie da zu sein. Ich brauche ab sofort jemanden, der mit der Firma vertraut ist, die Kollegen kennt und schnell eingearbeitet werden kann. Da der Empfang wesentlich leichter neu zu besetzen ist, möchte ich Ihnen eine Beförderung hier rauf in den 65. Stock bei mir im Vorzimmer anbieten. Sie hätten zwar ein wenig längere und manchmal flexible Arbeitszeiten am Abend oder auch mal am Wochenende, aber natürlich ein besseres Gehalt, ein Spesenkonto und einen Firmenwagen. Außerdem 14 Monatsgehälter und Urlaubsgeld sowie 35 Tage Urlaub. Was sagen Sie dazu?“ Triumphierend lächelt er mich an und mir wird bei diesem Lächeln ganz warm ums Herz und flau im Magen. So was habe ich bei noch keinem Menschen verspürt. Ich fühle mich so, als ob ich neben mir stehe und die Szene von woanders aus beobachte.

„Oh, ähm, wow. Ich weiß jetzt gar nicht, was ich sagen soll …“ „Ja, zum Beispiel. Das wäre die perfekte Antwort.“ Jetzt grinst er und zwinkert mir zu und wenn ich nicht schon sitzen würde, würde ich glatt aus den Latschen kippen. „Ich danke Ihnen sehr für dieses wahnsinnig gute Angebot und bedanke mich auch für Ihr Vertrauen, aber …“ „Ein Aber lasse ich nicht gelten. Was muss ich draufpacken, damit Sie Ja sagen?“ „Um Gottes willen, ich möchte nichts aushandeln. Es ist eine fantastische Chance. Aber ich weiß gar nicht, was mich da erwartet beziehungsweise um was für Tätigkeiten es sich genau handelt. Ich bin sicher nicht qualifiziert genug, der Aufgabe gerecht zu werden.“

Ich blicke zu Boden, da ich mir grad wirklich sehr klein vorkomme. Ich habe ja nix und bin auch nix. Schon der Job am Empfang war ein Glück für jemanden wie mich ohne Studium oder Ausbildung. Ich hatte ja erfolgreich meine Zeit mit Tochtersein verbracht, statt dafür zu sorgen, auf eigenen Beinen zu stehen. Wie soll ich so eine Position also bewerkstelligen?

„Miss Fuller, seien Sie sicher, Sie werden gut von Mrs. Blend eingearbeitet und exakt eingewiesen. Außerdem bin ich ja auch da und Sie können jederzeit ebenso bei mir nachfragen, wenn etwas unklar ist. Ich bin hier zwar der Boss, aber doch kein Unmensch! Passen Sie auf: Sie schlafen jetzt eine Nacht drüber und morgen lade ich Sie zum Lunch ein und wir reden noch mal über alles.“ „Ja, gut. Das klingt gut. So machen wir das.“ Ich stehe abrupt auf, drehe mich zur Tür, verlasse das Büro in einer Affengeschwindigkeit und schließe sofort die Türe hinter mir. Ich kann kaum noch atmen. Was zur Hölle ist los mit mir?

John

Schon vor fünf Jahren war sie mir sofort aufgefallen, mit ihren dunklen Haaren, den extrem hellen blauen Augen und dem schüchternen Lächeln. Damals suchte sie dringend einen Job, da sie quasi mittellos war und auf der Straße stand. Ohne Ausbildung oder Studium oder Erfahrung. Aber ich fühlte mich verantwortlich für sie. Wir halten nun mal zusammen, die wenigen, die es von uns gibt. Wir kennen und erkennen uns untereinander. Ich kannte ihre Eltern. Mit ihrem Dad war ich sogar das ein oder andere Mal geschäftlich auf dem Golfplatz. Ich wusste, dass er seine kleine Familie sehr eng an sich gebunden hatte und dass seine Tochter behütet, aber ziemlich abgeschottet bei ihnen aufwuchs. Er erzählte mir von ihren oberflächlichen Freundschaften und dass sie etwas Besonderes sei. Immer aufmerksam, aber verletzlich und lieber allein. Also drängte er sie auch nicht hinaus in die Welt, sondern ließ ihr Zeit, sich zu finden.

Wäre dann nicht dieser schreckliche Unfall passiert! Es geschah, noch bevor ihre Eltern sie in das Familiengeheimnis einweihen konnten und ihr zeigen konnten, wer wir sind, wie wir leben und welche Regeln bei uns herrschen. Sie wusste von nichts. Ich las von dieser Tragödie in der Zeitung. Obgleich ich nicht an die Unfalltheorie glaube, habe ich die Aufklärung nie weiterverfolgt. Wahrscheinlich aus Angst, selbst in irgendwelche dubiosen Machenschaften reingezogen zu werden. Ich wurde von meiner Familie vorbereitet, lebe aber trotzdem ein unauffälliges Leben unter normalen Menschen mit einem relativ normalen Alltag. Sehr zum Missfallen meines Clans. Aber ich bin ein Einzelgänger, genau wie sie. Ich dachte nur, ich muss ihr unter die Arme greifen. Also schaltete ich eine Stellenanzeige, ließ ihr die Zeitung zustellen und hoffte, sie würde anbeißen, da „ohne Vorkenntnisse und Ausbildung“ dabeistand.

Prompt ging mein Plan auf und ich erhielt eine Bewerbung. Also eigentlich circa 100. Jeder möchte in meiner Firma arbeiten. Egal als was. Mir gehört eine der größten Baufirmen, sie ist auf Ferienwohnanlagen in ganz Kanada spezialisiert. Ich schätze meine Mitarbeiter und zahle und behandle alle gut und fair. Das hat sich in der Branche herumgesprochen. Aber ich wollte ihr helfen. Daher habe ich die Personalabteilung angewiesen, sie sofort einzustellen und einzuarbeiten. Persönlich bin ich ihr aus dem Weg gegangen. Es fällt mir schwer, Nähe zuzulassen, noch dazu zu meinesgleichen. Normale Menschen ja, kein Problem. Natürlich weiß ich durchaus um mein attraktives Erscheinungsbild und meine Anziehung auf Frauen, was ich geschickt einsetze, um meinen Spaß zu haben. Mehr aber auch nicht. Keine Dates, keine Beziehungen, keine Romantik oder Gefühle. Einfach nur Sex. Wenn man niemanden an sich ranlässt, kann einem nichts passieren. Man wird nicht enttäuscht und nicht verlassen. Fertig. Trotzdem hatte ich damals das Gefühl, ihr helfen zu müssen, und das hab ich getan. Sicher fiel sie mir hier und da auf, wenn wir uns über den Weg gelaufen sind. Aber da sie sehr zurückgezogen lebt und auch auf Firmenfeiern nie lange präsent war – so wie ich auch, und wenn, dann nur kurz –, gab es kaum Berührungspunkte. Insofern hätte eigentlich alles so weiterlaufen und beim Alten bleiben können, wäre da nicht der Clan – sowie auch meine Verpflichtung gegenüber genau diesem.

Letzte Woche wurde eine weitere Familie von uns durch einen seltsamen Unfall ausgelöscht. Daraufhin wurde eine Krisensitzung einberufen. Wir müssen wieder stärker werden und uns zur Wehr setzen. Jeder der Unseren, der zu einem Wesen unserer Art Kontakt hat, wurde angewiesen, diese Beziehung zu intensivieren. Das heißt übersetzt, Nachkommen zu zeugen. Tja, und ich habe nun nicht nur die unliebsame Aufgabe, mich fortzupflanzen, sondern auch noch den Teil zu übernehmen, Katie erst mal zu erklären, wer sie eigentlich ist. Frei nach dem Motto: „Hallo, ich bin John, ein Gestaltwandler einer besonders seltenen Art, und möchte ein bis fünf Kinder mit dir. Und übrigens, du bist auch einer.“

Ich kam ziemlich angesäuert von unserer Clansitzung zurück. Ich möchte mich nicht binden oder Nachkommen zeugen. Aber leider habe ich keine Wahl. Meine Familie ist die Alphafamilie und ich kann mich nicht aus meiner Verantwortung stehlen und mich davor drücken, meiner Pflicht nachzukommen. Das würde uns und alle anderen schwächen und zu Freiwild für andere Gestaltwandler machen. Wir gehören einer besonders seltenen Art an. Im Normalfall haben Gestaltwandler ein Tier, in das sie sich verwandeln, sei es ein Bär, ein Wolf oder ein Panther. Egal was. Und sie bleiben unter sich in einem Rudel oder Clan. Wir können vier verschiedene Gestalten annehmen: Wolf, Adler, Panther und Bär. Das hat für uns den Vorteil, dass wir so gut wie unbesiegbar sind. Wir können uns jedem Kampf stellen und auch jederzeit fliehen. Adler ist sonst keinem Gestaltwandler möglich. Wir sind also jedem Menschen und jedem anderen Gestaltwandler überlegen. Leider herrscht unter den einzelnen Clans der diversen Gestaltwandler eine Art Rivalität. Jeder möchte der stärkste und mächtigste Clan sein. Ähnlich wie bei den Menschen regiert auch hier der Kampf um Macht und Ansehen.