Schattengänger - Craig H. Manhoff - E-Book

Schattengänger E-Book

Craig H. Manhoff

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Beschreibung

Rory McAllister, Polizist in Monterey, hat das Gefühl, vom Regen in die Traufe zu kommen. Ursprünglich Officer in Los Angeles ließ er sich in die kleine Stadt Monterey versetzen, um von nun an nichts mehr mit Kapitalverbrechen zu tun zu haben. Ausgerechnet in Monterey nimmt eine Mordserie ihren Anfang, bei der die Opfer in wenigen Sekunden eingefroren werden. Die undurchsichtige und rätselhafte Immobilienmaklerin Mara Bergner ist seine erste Verdächtige, doch was wirklich hinter den Morden steckt, wird ihm erst nach und nach klar. Doch dann ist nichts mehr so, wie es mal war.

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Ähnliche


Schattengänger

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Gefroren

Mara

Lucius

Die Bibliothek

Maras Spurensuche

Der Nachtclub

Das Verhör

Der Flug

Observierung

McAllisters Irritation

Odirer und Amoraner

Die Festplatte

Das zweite Bruchstück

Konfrontationen

Das Angebot

Unter Verdacht

Zarte Bande

Neue Spuren

Der Parasit

Letzte Patrone

In Dallas

Verrat

Monterey

Das Portal

Epilog

Prolog

Carl Henderson rekelte sich im Liegestuhl und genoss die warmen Sonnenstrahlen. Der erste Urlaubstag seit ... er wusste gar nicht mehr genau, wann er den letzten Urlaub genommen hatte. Für den Aufbau seines kleinen Unternehmens hatte er in den vergangenen Jahren seine ganze Kraft gebraucht. Dankbar ergriff er die Hand seiner Frau Paula, die sich just in diesem Augenblick neben ihm sonnte. Ohne ihre Unterstützung hätte er es nie durchgestanden, doch nun hatten sie es endlich geschafft. Das Geschäft florierte und warf gute Gewinne ab. Sie waren weit davon entfernt, Millionäre zu werden, aber sie konnten sorgenfrei davon leben.Nun ließen sie sich auf einer angemieteten Jacht treiben, eine Meile vor der Küste von Monterey. Drei Wochen Urlaub lagen vor ihnen. Erholung, die sie beide nötig hatten.

»Würdest du mir einen Gefallen tun?«, erkundigte sich Paula in diesem Moment bei ihm.

»Aber sicher doch, mein Mäuschen. Was soll denn dein moppeliger, dicker Kater für dich tun?«

»Könntest du mir bitte die Sonnencreme von unten holen?«

Carl benötigte ein paar Sekunden, bis er sich von seinem gemütlichen Liegestuhl erhoben hatte. Mit nackten Füßen tapste er die Treppe hinab in den Innenraum der kleinen Jacht. Sie hätten sich auch durchaus ein größeres Schiff mieten können, aber irgendwie hatte Paula diese intime, kuschelige Atmosphäre in der Kabine besonders gut gefallen. Carls erster Weg führte ihn zu dem winzigen Kühlschrank, aus dem er ein Bier entnahm. Mit einem schlechten Gewissen blickte er an seinem Körper hinunter. Er war noch keine vierzig Jahre alt, aber sein Bauch fiel ihm bereits über den Gummizug seiner Badehose. Das Leben in den letzten zehn Jahren hatte ihn regelrecht aufgeschwemmt. Zu viel Arbeit und zu wenig Sport. Dazu kam noch die schädliche Angewohnheit, fast täglich Bier zu trinken und sich ungesund zu ernähren. Das musste anders werden und er würde heute damit beginnen. Oder doch erst morgen? Nein, heute!

Resolut stellte er das Büchsenbier zurück in den Kühlschrank, bevor er sich auf die Suche nach der Sonnencreme für seine Frau begab.

»Carl?«, rief ihn seine Frau, noch bevor er den Schrank geöffnet hatte.

»Ich komme gleich. Ich habe die Sonnenmilch noch nicht gefunden.«

»Komm bitte nach oben, Carl!«

Er zog verwundert eine Augenbraue nach oben. Was konnte es denn so Dringendes geben? Dennoch bequemte er sich die Treppe hinauf, bis er wieder das Deck betrat.

»Was gibt es denn, mein ...«

Doch der Kosename blieb ihm im Hals stecken, als er das Naturschauspiel sah. Dichter, dunkler Nebel hatte sich auf dem Meer ausgebreitet und näherte sich langsam und irgendwie bedrohlich der Jacht.

»Wir sollten zurückfahren, Carl.«Er warf einen Blick in Richtung Himmel. Kaum ein Wölkchen zu sehen. Was also hatte es mit dem Nebel auf sich?

»Vielleicht klart es gleich wieder auf«, verlieh Carl seiner Hoffnung Ausdruck. »Am Himmel deutet jedenfalls nichts auf schlechtes Wetter hin.«

Das Ehepaar sah fasziniert dem Schauspiel zu, als sich der Nebel langsam auf die Meeresoberfläche senkte. Ein merkwürdiges Zischen und leises Krachen ertönte und ließ die Verwunderung der beiden Menschen in Besorgnis umschlagen.

Alarmiert zeigte Paula auf das Meer hinaus. »Was passiert hier? Was ist das?«

Carl glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können. Er sah, wie Eisplatten von einer Sekunde auf die andere das Meer bedeckten und sich bedrohlich der Jacht näherten.

»Lass uns hier verschwinden!«, sagte er schließlich und eilte nach oben zum Cockpit der Jacht.

Mit fliegenden Fingern startete er den Motor. Brummend sprang die Maschine an, doch als er Gas gab, rührte sich die Heckschraube nicht und die Jacht nahm keine Fahrt auf. Entsetzt sah er hinunter auf das Eis, dass die Jacht nun schon komplett einschloss.

»Geh in die Kabine, Paula!«, rief er seiner Frau zu, während er versuchte, die Schraube durch abwechselnde Vor- und Rückfahrt freizubekommen.

Sie hastete nach unten in die Kajüte, warf die Tür hinter sich zu und kroch auf das Sofa, das an der Rückwand der Kabine stand und nachts als Bett diente. Panisch vor Angst musste sie mit ansehen, wie die Bullaugen langsam von Eis bedeckt wurden und das Licht im Innenraum immer mehr dämmte. Eisige Kälte griff nach ihr. Mit schon steifen Fingern zog sie die Decken zu sich heran, um ein wenig Schutz zu finden.

»Carl!«, flüsterte sie noch, schon am Rande der Bewusstlosigkeit.

Dann war jedes Geräusch auf dem Schiff erstorben.

Gefroren

Mit verkniffener Miene stand Rory McAllister, Detective bei der Polizei in Monterey, am Kai des kleinen Schiffverleihs. Seit sechs Monaten war er nun hier im Dienst und das Schlimmste, was in diesem Zeitraum passiert war, hatte mit zerkratztem Lack an einem alten Dodge zu tun. Monterey war so eine gemütliche, verschlafene Kleinstadt und ausgerechnet hier musste so eine Scheiße passieren.

Der Schlepper mit der Jacht am Haken war höchstens noch fünfzehn Minuten vom Kai entfernt. McAllister fröstelte es ein wenig bei dem Gedanken, was er wohl gleich zu sehen bekäme.

»Der Strand und der Boulevard sind weiträumig abgesperrt«, meldete sein Kollege Fred Halpert, der zu ihm herangetreten war. »Meinst du, diese Dinger sind wirklich notwendig?«, fragte er, während er auf die Schutzanzüge zu ihren Füßen deutete. »Es sind fast dreißig Grad. Da drin schwitzt man doch bestimmt wie in der Sauna.«

»Willst du dir vielleicht etwas einfangen?«, fragte Rory kühl. »Der Bericht des Bootsverleihers war jedenfalls nicht so, dass ich mich der Jacht ohne besonderen Schutz nähern würde. Und du auch nicht, sonst darf ich nachher noch einen Bericht schreiben, wenn du japsend und mit grünem Schleim bedeckt im Krankenhaus liegst.«

Was das zu erwartende wenig angenehme Klima in den Schutzanzügen anging, hatte McAllister aber trotz seiner motivierenden Ansprache ähnliche Befürchtungen. Daher warteten beide Männer mit dem Anlegen der Schutzkleidung, bis der Schlepper die Jacht an den vorbestimmten Liegeplatz gezogen hatte. Sie waren gerade mit der Einkleidung fertig geworden, als sich zwei weitere Männer in vergleichbarer Kluft zu ihnen gesellten. Die beiden medizinischen Spezialisten hatte McAllisters Vorgesetzter direkt nach der Meldung vom Bootsverleiher beim LAPD angefordert. Sie hatten sich als Dr. Jones und Dr. Jackson vorgestellt und die Nachdrücklichkeit, mit der sie die Doktortitel betonten, hatten ihnen einen Eintrag unter ’Arrogante Fatzken' in McAllisters Notizbuch verschafft.

»Fassen Sie bitte nichts an, wenn mein Kollege oder ich es Ihnen nicht ausdrücklich erlauben«, wurden McAllister und Halpert von Dr. Jackson belehrt.

»Elender Wichtigtuer«, murmelte McAllister leise, während die Vierergruppe die Jacht betrat.

Halpert und Jones machten sich an der Kabinentür zu schaffen, derweil sich McAllister und Jackson dem Cockpit der Jacht näherten. Trotz der Hitze im Schutzanzug spürte Rory, wie es ihm eiskalt den Rücken herunterlief. Hoch aufgerichtet stand eine tiefgefrorene Gestalt vor dem Sitzplatz und hatte eine Hand am Steuerrad und die andere am Gashebel platziert.

»Erfroren«, stellte der Detective fest.

»Was Sie nicht sagen. Darauf wäre ich nie gekommen«, kam Jacksons bissige Replik, der damit nicht gerade Sympathiepunkte auf Rorys Konto ansammelte.

Dennoch schluckte McAllister die scharfe Erwiderung hinunter, die ihm auf der Zunge lag. »Aber wie ist das möglich? Wir hatten die letzten Tage nie unter zwanzig Grad hier in Monterey.«

Jackson gab zunächst keine Antwort, sondern nahm die Leiche genauer in Augenschein. »Als ob ihn jemand in flüssigem Sauerstoff gebadet hätte.«

»Vielleicht war ihm zu warm und er hat ihn sich über den Kopf gegossen.«

Jackson schenkte McAllister nur einen finsteren Blick. »Sorgen Sie für den Abtransport in die Pathologie. Mein Kollege und ich werden uns den Toten genauer ansehen, nachdem er aufgetaut wurde.«

»Wir werden ihn wohl aus dem Boden sägen müssen«, murmelte McAllister, während er sich die Füße der Leiche ansah.

»Wir haben unten noch eine Tote«, meldete sich Fred Halpert, der aus dem Inneren der Jacht an Deck gekommen war.

Im Vorbeigehen schlug McAllister seinem Kollegen aufmunternd auf die Schulter. Er konnte nachvollziehen, wie schlecht sich der Mann fühlen musste. Halpert versah nun seit zwei Jahren seinen Dienst in Monterey, aber von zwei Eifersuchtsdramen abgesehen hatte er es noch nie mit Kapitalverbrechen zu tun gehabt. Und nun bekam er so etwas serviert.

»Gleiche Todesursache wie bei dem armen Tropf an Deck«, meldete Jackson nach kurzer Untersuchung.

»Wir werden die Decke entfernen müssen, um an den Körper zu gelangen«, sagte Halpert mit nicht ganz sicherer Stimme.

»Den Mann oben scheint es sofort erwischt zu haben. Sie hingegen hat wohl noch versucht, sich irgendwie zu schützen«, ergänzte Jackson.

»Da hätte Sie aber noch einige Decken mehr gebraucht«, sagte McAllister lakonisch und kassierte prompt einen Rüffel von Dr. Jones.

»Ich bitte mir etwas mehr Pietät aus, Detective. Hier handelt es sich aller Voraussicht nach um ein Kapitalverbrechen und nicht um einen Eierdiebstahl, mit dem Sie es gewöhnlich zu tun bekommen.«

Halpert kannte die aufbrausende Art seines Kollegen und zog ihn am Arm aus der Kabine, bevor die Stimmung eskalieren konnte.

*****

Die beiden Polizisten hatten alles Nötige in die Wege geleitet, standen nun am Kai und sahen dem Abtransport der tiefgefrorenen Leichen zu. Sie hatten sich mittlerweile der Schutzkleidung entledigt und McAllister zündete sich nachdenklich eine Zigarette an.

»Ich dachte, du hättest das Rauchen aufgegeben?«, zog ihn sein Kollege auf.

»Ich dachte auch, ich hätte diese oder ähnlich kranke Scheiße hinter mir gelassen, als ich mich von Los Angeles nach Monterey versetzen ließ. Da haben wir uns wohl beide geirrt.«

»Was glaubst du, wie die beiden gestorben sind?«

McAllister zuckte mit den Schultern. »Ins Blaue hinein geraten würde ich vermuten, dass man sie irgendwo erschossen und danach tiefgefroren hat. Dagegen spricht aber die Aussage des Bootsverleihers, dass ein Ehepaar dieses Boot gemietet hat. Falls dieses Pärchen unsere beiden kalten Turteltäubchen sind, ergibt meine Theorie wenig Sinn. Warum sollte der Mörder sie von dem Boot entführen, an einem anderen Ort töten, einfrieren und dann wieder auf die Jacht bringen? Wir müssen ohnehin erst einmal abwarten, was die Obduktion für Ergebnisse bringt, bevor wir weiter spekulieren.«

Für einen Moment standen die beiden Männer schweigend nebeneinander.

»Der Chief will uns übrigens nachher sprechen«, sagte Halpert schließlich nach einer Weile.

»Hab ich mir schon gedacht.«

McAllister schnippte die halb gerauchte Zigarette in den Sand. »Dann lass uns mal fahren. Ich fürchte, unser Vorgesetzter wird über den Bericht nicht sonderlich erfreut sein.«

*****

Die Pathologie hatte schon in Los Angeles nicht zu Rorys bevorzugten Aufenthaltsorten gehört. In Monterey hatte er sie bisher nicht aufsuchen müssen, doch nun stand er hier und sog die so unangenehm vertrauten Gerüche ein. JayJay, wie der Detective die beiden Doktoren Jones und Jackson insgeheim mittlerweile nannte, standen um die männliche der beiden tiefgefrorenen Leichen herum. Auf Schutzanzüge konnte man nach Jacksons Aussage verzichten. McAllister war dies einerseits ganz recht, weil diese Anzüge äußerst unbequem waren, aber andererseits fühlte er sich in Gegenwart dieser Erfrorenen ohne zusätzlichen Schutz nicht ganz wohl.

»Wann können wir mit den ersten Ergebnissen rechnen?«, erkundigte er sich bei Dr. Jones, der mit etwas verkniffener Miene neben ihm stand.

»Kann ich nicht genau sagen«, lautete die brummige und unbestimmte Antwort.

»Warum nicht?«

»Weil wir warten müssen, bis ... der Auftauvorgang gestaltet sich schwieriger, als wir es erwartet haben.«

»Wieso?«

McAllister genoss es, die offensichtlich leicht verwirrten JayJays zu piesacken und auf die Palme zu bringen.

»Weil sich etwas ... dagegen wehrt, aufgetaut zu werden.«

»Aha. Soll ich das so dem Chief mitteilen? Ich bin untröstlich, Chief, aber das Eis weigert sich leider, aufzutauen.«

»Wir melden uns, sobald wir nähere Erkenntnisse haben, Detective«, kam Jackson seinem Kollegen zu Hilfe. »Bis dahin lassen Sie uns bitte unsere Arbeit machen.«

»Natürlich. Falls die Herren Wissenschaftler noch in Erfahrung bringen wollen, bei welcher Temperatur Eis schmilzt, könnte ich Ihnen mit einem Physikbuch für Anfänger aus der Klemme helfen.«

McAllister wäre auf der Stelle tot umgefallen, wenn einer der Doktoren den Todesblick beherrscht hätte. So aber konnte der Polizist mit einem breiten Grinsen auf den Lippen die Pathologie verlassen. Schlecht schien der Tag dann doch nicht zu werden.

Mara

Mara genoss die morgendliche Dusche, mit der sie die Spuren ihres Frühsportprogramms einfach abspülte. Dieses Ritual gehörte zu ihrem Tagesablauf dazu, genau wie das Frühstück, das sie im Morgenmantel auf dem Balkon ihrer Wohnung mit Blick auf den Strand einnahm.

Später schob sie bedauernd ihre bequeme Freizeitkleidung im Kleiderschrank zur Seite und entnahm ihm stattdessen ein hochmodernes Kostüm, das ihre Figur betonte. Heute standen drei Termine und ein geschäftliches Mittagessen auf ihrer Agenda. Auch wenn sie ihre Arbeit zum Tragen von Businesskleidung zwang, weil ihre Kunden dies erwarteten, so gehörte der Job doch zu den Angenehmsten, die sie bisher ausgeübt hatte. Seit acht Jahren arbeitete sie nun schon als Maklerin und ebenso lange wohnte sie auch in Monterey. Langsam näherte sich der Zeitpunkt, an dem sie sich von ihrer Wohnung und von ihrem Arbeitsplatz würde verabschieden müssen. Früher war es ihr immer leicht gefallen, aber diesmal, das wusste sie, würde es anders sein. Es war ja nicht nur die Stadt und die Arbeit, die ihr außergewöhnlich gut gefielen; sie hatte auch Freunde gefunden. Und schon bald würde sie all dies zurücklassen müssen.

*****

Mara liebte es, zu Fuß durch Monterey zu gehen. Sie hatte nie verstanden, warum die meisten Menschen in den USA für jede noch so kleine Entfernung unbedingt ihren Wagen benutzen mussten. Selbst hier in Kalifornien, wo das äußere Erscheinungsbild für jeden Mann und jede Frau so eminent wichtig war, wurde das Fahrzeug für jede Besorgung verwendet. Man fuhr zum Fitnesstraining, benutzte den Aufzug oder die Rolltreppe, um zum Studio zu gelangen, und simulierte dort auf einem Stepper das Treppensteigen. 'Einfach absurd', lächelte sie nachsichtig.

Sie hingegen ließ den Wagen, so oft es möglich war, in der Garage stehen. Selbst bei ihrer Arbeit als Immobilienmaklerin versuchte sie, auf ihr Fahrzeug zu verzichten, wenn das zu besichtigende Objekt innerhalb der Stadtgrenzen lag.

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Heute Abend würde sie Geschäftliches mit Privatem verbinden. Die Dawsons hatten sie zum Abendessen eingeladen, um den Einzug in ihr neues Heim zu feiern, das Mara ihnen zu einem sehr guten Preis vermittelt hatte. Bill und Joana waren aber nicht nur ihre Kunden, sondern auch gute Freunde. Oftmals hatte Mara das Eingehen von Freundschaften nach Möglichkeit vermieden. Mit jemandem befreundet zu sein, führte in ihrem Fall früher oder später zu Komplikationen. Doch immer konnte sie diese Regel nicht durchhalten, denn sie war nicht zur Einsiedlerin geboren.

*****

»... und hier ist mein kleiner Partykeller.«Stolz deutete Bill auf die vier Barhocker, die in einer Ecke standen und noch komplett in Folie eingewickelt waren. Sonst war der Raum vollkommen leer. Für die Glühbirne, die nackt an einem Kabel von der Decke baumelte und den Keller in ein schummriges Licht tauchte, gab es noch nicht viel zu beleuchten.

»Ja, ich kann jetzt schon die ausladende Theke, die Spielautomaten, das Billard und die Lichtorgel an der Wand sehen«, lachte Mara. »Übertreib es aber nicht mit der Feierei.«

»Ich habe schon so einiges bestellt«, erwiderte Bill. »Die Sachen werden nächsten Monat geliefert und dann steigt auch die große Einweihungsparty. Hüte also deine spitze Zunge, sonst verpasst du die Party deines Lebens!«

»Hat dir mein Mann schon von dem Flipperautomaten erzählt, den er dort hinten in die Ecke stellen will?«, erkundigte sich Bills Frau Joana, die nun ebenfalls den Keller betreten hatte, mit gutmütigem Spott.

»Ein restauriertes Modell aus den späten achtziger Jahren«, verkündete Bill stolz. »Den Flipper wollte ich schon immer kaufen, aber ich hatte nie den Platz, um ihn aufzustellen.«

»Bedank dich bei Mara«, forderte Joana ihn auf. »Ohne ihr Talent hätten wir für dieses Domizil viel mehr bezahlen müssen oder wir wären immer noch auf der Suche nach unserem Traumhaus. Sie ist eine Super-Maklerin!«

»Das ist nicht mein Verdienst«, wehrte Mara bescheiden ab. »Der Kunde musste dringend verkaufen, weil er einen sehr guten Posten an der Ostküste bekam und ich hatte Glück, dass ich mit euch sofort einen Käufer an der Angel hatte. So kam eins zum anderen und wir haben alle bekommen, was wir wollten.«

»Jetzt kommt aber ins Wohnzimmer«, forderte Joana ihren Mann und Mara auf. »Sonst kann ich das Abendessen direkt im Mülleimer entsorgen.«

*****

Nach dem gemütlichen Beisammensein geleitete Joana ihren Gast noch durch die verschiedenen Räume.

»Dieses Zimmer ist mein persönliches Refugium«, sagte die Gastgeberin schließlich mit ein wenig Stolz in der Stimme, als sie Mara in einen Raum im ersten Stock führte. »Bill hat seinen Partykeller und ich habe mir hier einen kleinen Rückzugsort eingerichtet.«

Mara nickte anerkennend, während sie die Einrichtung des Zimmers begutachtete. Neben wandhohen Regalen für Bücher, einer Vitrine mit allerlei Zierrat und einer Musikanlage befand sich auch ein ausgesprochen bequem aussehender Liegesessel in dem Raum. Mit kaum verhüllten Stolz war Joana an der Tür stehen geblieben, derweil sich Mara beeindruckt im Zimmer umsah.

»Kann ich mich hier einmieten?«, erkundigte sie sich mit einem Augenzwinkern. »Hast du denn genug Bücher, um die ganzen Regale zu füllen?«

»Mehr als genug«, winkte Joana ab. »Ich werde wohl später noch ein paar Regale über der Tür anbringen müssen. Mit dem vorgesehenen Platz für die Lautsprecher bin ich auch nicht vollständig glücklich. Aber das wird schon noch. Ich habe ja Zeit.«

»Ein paar Dinge musst du wohl noch einräumen«, lachte Mara und deutete auf ein rundes Dutzend Umzugskartons, die an der Wand neben der Vitrine aufgereiht waren.

Sie trat zu den Kisten hin und fuhr mit einer Hand über den oberen Karton. Sie hatte die Pappe kaum berührt, als sie blass werdend zusammenfuhr und zwei Schritte zurücktorkelte.

»Ist dir nicht gut?«, erkundigte sich Joana besorgt, während sie zu ihrer Freundin hintrat.

»Nein, es geht schon«, beruhigte Mara sie. »Ich war nur für einen Augenblick ... egal. Lass uns doch wieder nach unten gehen. Ich habe heute vielleicht zu wenig Flüssigkeit zu mir genommen.«

*****

In der Küche trank Mara hastig zwei volle Gläser Wasser, die sie von ihrer besorgten Freundin gereicht bekam.

»Fühlst du dich wieder besser, Mara?«

Sie nickte und bedankte sich. »Viel besser. Ich muss mir wirklich angewöhnen, tagsüber mehr zu trinken.«

Joana führte ihre Freundin zurück ins Wohnzimmer, wo Bill bereits den Sekt präpariert hatte, mit dem sie nun auf den Hauseinzug anstoßen wollten. Mara versuchte krampfhaft, das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken - ohne viel Erfolg. Sie konnte sich selbst nicht erklären, was mit ihr los war. Während des gemütlichen Beisammenseins schweiften ihre Gedanken immer wieder zu dem kurzen Augenblick ab, an dem sich ein grelles, erschreckendes Bild vor ihrem geistigen Auge geformt hatte. Sie konnte sich einfach nicht erklären, was passiert war.

Obwohl sie sich immer wieder zusammenriss, um den Abend mit ihren Freunden zu genießen, war sie dennoch froh, als sie sich verabschieden konnte. Joana umarmte sie zum Abschied und zum zweiten Mal an diesem Abend erlebte Mara eine Überraschung. Sie schmunzelte ein wenig, als sie das Haus ihrer Freunde verlassen hatte, und fragte sich, ob Joana wohl schon wusste, dass sie seit rund drei Wochen schwanger war.

Lucius

Zum ersten Mal seit langer Zeit war Mara nicht sonderlich aufmerksam bei der Arbeit. Sie musste sich immer wieder zusammenreißen, um ihre Gedanken nicht zum gestrigen Abend hin abschweifen zu lassen. Das Ehepaar, dem sie gerade eine kleine Eigentumswohnung am Strandboulevard schmackhaft zu machen versuchte, warf sich schon fragende Blicke zu.

»Wir können auch gerne morgen wiederkommen, wenn Sie heute etwas Besseres zu tun haben«, warf der Mann bissig ein, als Mara erneut rückfragen musste.

»Es tut mir leid«, erwiderte sie mit einem peinlich berührten Lächeln. »Sie haben recht, ich bin heute etwas unaufmerksam. Entschuldigen Sie bitte, es kommt nicht noch einmal vor.«

»Private Probleme?«, erkundigte sich die Kundin mitfühlend. »Es kommen auch wieder bessere Tage, glauben Sie mir.«

Mit einem leichten Kopfnicken bedankte sich Mara für den gespendeten Trost, bevor sie ihre Kunden zum Bad führte.

»Das Badezimmer wurde erst vor zwei Jahren neu gefliest und mit qualitativ hochwertigen Armaturen versehen. Neben der ...«

Mara stockte in ihren Erklärungen, drehte sich langsam um und schritt auf die Ausgangstür zu, als ob sie in Trance wäre. Das Ehepaar sah sich verwundert an.

»Also, das ist doch ...«, knurrte der Mann verärgert. »Miss? Hallo, Miss? Kennen Sie uns noch, oder sind Sie nun ins Traumland abgereist? ... Komm, Emilia, wir gehen!«

Resolut packte er seine Frau bei der Hand. Sie stürmten an Mara vorbei, die versonnen durch das Fenster blickte, durch das sie den Strand sehen konnte. Selbst die laut zugeschlagene Wohnungstür holte sie nicht aus der Erstarrung. Erst nach mehreren Minuten verließ sie ebenfalls die Wohnung.

Sie betrat den Bürgersteig vor dem Haus und überquerte die Straße, ohne auf den Straßenverkehr zu achten. Quietschende Reifen und empörte Rufe störten Mara nicht. Sie ging unverdrossen weiter geradeaus. Verwundert sahen die zahlreichen Passanten mit an, wie eine elegant gekleidete Frau in hochhackigen Schuhen durch den Sand in Richtung des Ozeans ging.

Das salzige Wasser umspülte bereits ihre Füße, als Mara stoppte, in die Hocke ging, die Augen schloss und ihre beiden Hände in den nassen Sand presste.

Im nächsten Augenblick befand sie sich mitten in einem Inferno. Das Meerwasser hatte sich in feurige Lava verwandelt. Der Himmel glühte rot und die Wolken waren nicht mehr weiß, sondern gräulich-schwarz. Sie warf einen Blick auf die Strandpromenade hinter sich. Die Häuser entlang der Straße standen ausnahmslos in hellen Flammen. Menschen torkelten in Feuer gehüllt schreiend umher oder brachen zusammen. Als Mara wieder auf das Lavameer hinausblickte, sah sie aus den Flammen Kreaturen auftauchen, die aus einem Horrorfilm entsprungen schienen. Riesige Insekten mit glühend-roten Augen, Chimären, in deren Mäulern rasiermesserscharfe Zähne blitzten und fliegende Greife mit brennenden Flügeln.

Mara holte entsetzt Luft und riss die Augen auf. Sie kniete mitten im flachen Wasser und hatte immer noch die Hände in den Sand gepresst.

»Geht es dir nicht gut?«, fragte ein kleines Mädchen.

Mara brachte nur ein verzerrtes Lächeln zustande, während sie sich langsam wieder erhob

»Mit mir ist alles in Ordnung. Danke für deine Sorge um mich.«

»Dann ist es ja gut.«

Sie sah dem Mädchen nach, das nun sorglos zum Strand zurücklief. Mara hingegen zitterten von ihrer Vision noch die Beine und ihre nun vollends ruinierten Schuhe waren auch nicht hilfreich, um das Gleichgewicht zu halten. Sie zog daher die Fußbekleidung aus und stopfte sie in den nächsten Mülleimer.

An einer nahe gelegenen Strandbar fand sie nach einem Cuba Libre ihre seelische Balance wieder. Sie hatte schon sehr lange keine solche Vision mehr gehabt. Schon gestern in Joanas Bibliothek hatte sie etwas gespürt, eine Art Bedrohung, aber das war beileibe nicht so intensiv gewesen, wie vorhin. Dies war kein gutes Zeichen und sie würde definitiv Hilfe brauchen. Mit einem Wink bestellte sie beim Barkeeper einen weiteren Cocktail. Sie würde für den bevorstehenden Anruf jede erdenkliche Unterstützung benötigen, die sie kriegen konnte.

*****

Die Bar, in der Lucius regelmäßig seine nachmittäglichen Drinks zu sich nahm, gehörte nicht unbedingt zu den Schenken in New York, in denen sich Touristen verirrten. Eigentlich suchten nur zwielichtige Gestalten diese Hinterhofkneipe auf, aber genau aus dem Grund gefiel es ihm hier. Den Barkeeper interessierte es nicht, wenn vor seinen Augen irgendwelche Geschäfte liefen, solange genügend Alkohol dabei umgesetzt wurde. Und Lucius trank häufig und viel, war daher auch ein gern gesehener Stammgast.

Das Geräusch der sich öffnenden Tür ließ ihn einen Blick in den kleinen Spiegel hinter der Bar werfen. Aus irgendeinem Grund hatte Carlos, der Inhaber dieser Spelunke, ihn dort aufgehangen und es war so ziemlich der einzige Einrichtungsgegenstand in der Kneipe, der regelmäßig gesäubert wurde. Daher konnte Lucius auch die drei Kleiderschränke identifizieren, die soeben die Bar betreten hatten. Er kannte die Typen und wusste daher auch, dass Ärger ins Haus stand.

»Vladimir will mit dir reden!«, knurrte der größte und wahrscheinlich auch hirnloseste der drei Muskelprotze.

Sein starker russischer Akzent war nicht zu überhören.

»Sag Vlad, er muss sich noch ein wenig gedulden. Ich werde ihm schon noch bei Gelegenheit seinen Frontspoiler neu justieren.«

Lucius drehte sich nach diesen Worten um und konnte sehen, wie die drei Gestalten seine Worte erfolglos zu verarbeiten versuchten.

»Vladimir will dich sehen!«, entschied sich das Genie von vorhin, die Aufforderung noch einmal zu wiederholen.

Um seinem Willen den nötigen Nachdruck zu verleihen, hob er den Schürhaken drohend an, den er in der rechten Hand trug. Lucius lächelte grimmig, stieß sich von der Theke ab und ging auf die Gruppe zu, bis er direkt vor dem offensichtlichen Anführer der drei Schläger stand.

»Ich habe mir schon gedacht, dass meine gewählte Ausdrucksweise für dein Spatzenhirn ein wenig zu hoch ist. Daher will ich es noch einmal in auch für dich verständlichen Worten ausdrücken: Ich werde Vladimir demnächst mächtig auf die Schnauze hauen!«

Diese Worte hatte der Kleiderschrank verstanden, aber er konnte wohl nicht glauben, was er da gehört hatte, und glotzte Lucius nur ungläubig an.

»Nix kapiert?«, erkundigte sich Lucius. »Dann will ich es mal demonstrieren.«

Mit einer schnellen und kraftvollen Bewegung riss er dem Schläger den Schürhaken aus der Hand und rammte ihm das stählerne runde Griffende mit voller Wucht in das Gesicht. Wo vorher noch die Nase des Mannes gewesen war, sprudelte nun helles Blut wie aus einer Fontäne und besudelte dessen Kleidung. Rücklings brach er zusammen und riss dabei zwei Stühle mit sich zu Boden. Dem zweiten Kleiderschrank erging es nicht besser, nur traf ihn der Schürhaken an der Schläfe.

Bevor sich Lucius dem letzten Gegner widmen konnte, krachte ein Schuss. Der dritte Schläger hatte seine Überraschung abgeschüttelt, eine Waffe gezogen und seinem Gegenüber in die Brust geschossen. Ungläubig blickte Lucius auf das Einschussloch in der Lederjacke.

»Die Jacke war brandneu und mit Sicherheit teurer als alles, was du in deinen dreckigen Taschen mit dir herumschleppst!«, zischte er dem letzten noch aufrecht stehenden Russen zu.

Der stierte seinen Kontrahenten nur fassungslos an, bekam aber keine Zeit, sich von dieser Überraschung zu erholen. Mit einem heftigen Schlag auf das Handgelenk entwaffnete Lucius seinen Gegner. Er legte das Griffstück des Schürhakens um dessen Hals, wirbelte ihn herum und ließ den Mann Kopf voran in die Thekenbegrenzung knallen. Rasch setzte er nach, schlug dem Russen den Feuerhaken in den Rücken und trat ihm danach sofort in die Rippen, sodass der wieder auf demselbigen zu liegen kam. Lucius lächelte grimmig, während er das spitze Ende des Schürhakens wenige Zentimeter vom Auge des wie gelähmt daliegenden Russen entfernt hielt.

»Welches von deinen Augen willst du denn verlieren? Noch hast du die Wahl ... Entschuldige bitte einen Moment«, sagte er, da sein Handy klingelte.

Ohne die eiserne Waffe zurückzuziehen, zog er das Telefon aus der Hosentasche und nahm das Gespräch an.

»Ja?«

»Hallo Lucius, hier ist Mara. Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen.«

Der Mann verdrehte die Augen. »Frauen!«, sagte er entschuldigend und lächelte den stocksteif daliegenden Russen zu seinen Füßen freundlich an. »Es dauert nicht lange.«

»Was gibt es denn?«, fragte er die Anruferin. »Ich quatsche gerade mit einem Freund über meine ruinierte Jacke. Hat es nicht noch etwas Zeit? Außerdem hätte ich nicht gedacht, so bald wieder von dir zu hören. War denn nicht ausgemacht ...«

»Hör mir endlich zu!«, zischte Mara ins Telefon. »Wenn es nicht wichtig wäre, dann würde ich dich auch nicht anrufen! Folgendes ist passiert ...«

»Ich ruf dich gleich zurück, Schätzchen. Ich muss erst noch meinen Kumpel verabschieden.«

»Es ist dringend, Lucius!«

»Ja ja, das habe ich schon verstanden, aber du wirst es ja wohl noch ein paar Minuten abwarten können.«

Ohne auf eine Reaktion zu warten, beendete er das Gespräch und wandte sich wieder seinem russischen Gesprächspartner zu.

»Jetzt hör mal zu, Ivan ...«

»Sergej!«

»Klingt auch nicht besser. Dann hör mir zu, Sergej! Bestell Vlad von mir, dass er mir nicht auf die Pelle rücken soll. Andernfalls werde ich ihm dieses Teil hier so tief in seinen Arsch schieben, dass es oben wieder herauskommt. Hast du alles verstanden?«

»Da!«, bestätigte der Russe ängstlich. »Keine Pelle, sonst im Arsch.«

»Kann ich so akzeptieren«, erwiderte Lucius, entfernte den Schürhaken von Sergejs Gesicht und ließ ihn aufstehen. »Und jetzt nimm deine schlafenden Kumpane ans Händchen und verschwinde!«

Das ließ sich der Schläger nicht zweimal sagen, und noch bevor sich Lucius zur Bar umgedreht hatte, fiel die Ausgangstür auch schon hinter Sergej ins Schloss.

»He, du hast deine Freunde vergessen!«, rief Lucius ihm noch nach, aber der Russe war schon verschwunden. »Dann eben nicht«, brummte er nur gleichgültig.

Mit einer Handbewegung bestellte er ein neues Getränk, pulte im Einschussloch in seiner Jacke herum und förderte eine Kugel zutage.

»Hier!«, sagte er dem Barkeeper und rollte ihm die Kugel hin. »Steck sie zu den anderen Andenken.«

»Immer gut, wenn man eine kugelsichere Weste hat«, grinste der Wirt faunisch, während er die Kugel von der Theke entfernte.

»Genau«, wiederholte Lucius nachdenklich. »So etwas sollte man immer anziehen, bevor man in eine Bar geht. Wenn man eine hat.«

*****

Angenehm berauscht verließ Lucius nach einer weiteren Stunde die Bar und lehnte sich draußen an die Wand, während er in den Taschen nach seinen Zigaretten kramte. Er förderte eine fast leere Packung aus der Hosentasche, entnahm den letzten Glimmstängel und ließ die Zigarettenpackung achtlos auf den Boden fallen.

'Wieder kein Feuerzeug', dachte er seufzend. 'Dann muss es halt so gehen'.

Lucius steckte die Zigarette in den Mund und hielt die Innenseite seiner Hand an das Zigarettenende. Nach wenigen Augenblicken konnte schon er den Tabakrauch inhalieren, bevor er sich auf den Weg zu seiner Wohnung machte. Er hatte kaum drei Schritte zurückgelegt, als das Mobiltelefon in der Jackentasche zu klingeln begann. Lucius' Mienenspiel zeigte deutlich, dass er mit Ärger rechnete. Das Gespräch hatte er ganz vergessen. Mara würde sauer sein. Er zögerte kurz, nahm aber dann doch sein Handy aus der Hosentasche.

»Bevor du mich wüst beschimpfst, weil ich dich nicht zurückgerufen habe: Ich war beschäftigt!«, versuchte er sich an einer Entschuldigung.

»Spar dir deine Ausflüchte«, kam es ziemlich laut aus dem Handy. »Ich bin auch nicht scharf darauf, mit dir zu reden.«

»Da haben wir ja etwas gemeinsam.«

»Sei still und hör einfach nur zu!«

Mara erzählte ihm alles über das Bedrohungsgefühl, das sie bei den Dawsons erlebt hatte, und auch über die Vision, die sie heute am Strand gesehen hatte. Lucius rauchte derweil seine Zigarette auf, schüttelte hin und wieder gelangweilt den Kopf und stand zweimal kurz davor, das Gespräch zu beenden und das Handy zu entsorgen.

»Und warum glaubst du, dass mich dies interessiert?«, erkundigte er sich, nachdem Mara ihre Geschichte beendet hatte.

»Ja verstehst du es denn nicht? Dieses Gefühl, die Vision ... alles deutet doch auf einen Skiadolon, vielleicht auf einen Schattengänger hin!«

»Und was geht es mich an? Es sind deine Freunde, deine Visionen, deine Probleme. Ich habe hier nichts festgestellt, was mir Sorgen bereiten könnte. Du kannst mich ja noch einmal anrufen, wenn du ein geöffnetes Portal aufgetrieben hast. Oder besser noch: Ruf mich nicht mehr an, Mara! Es hat seine Gründe, warum du an der Westküste und ich an der Ostküste lebe. Das Arrangement hat sich bewährt und dabei wollen wir es auch belassen. Viel Vergnügen in Kalifornien!«

Lucius beendete das Telefonat und schaltete das Handy aus. Unschlüssig blieb er ein paar Augenblicke stehen, bevor er in die Bar zurückging. Das Gespräch hatte seinen Rausch verfliegen lassen. Er musste dringend nachtanken. Wenn Mara ihn anrief, dann stand etwas Unangenehmes bevor. 'Wer weiß, wie lange ich noch ungestört etwas trinken kann', dachte er nur, während er einen neuen Drink bestellte.

Die Bibliothek

Vorsichtig stieg Joana mit einem Dutzend Büchern die Leiter nach oben. Sie hoffte nur, dass Bill nicht in diesem Moment ins Zimmer kommen würde. Er wäre nicht davon angetan, dass sie diese etwas wackelige Kletterpartie ohne seine Absicherung unternahm. Aber die Gefahr bestand nicht, da er sicher noch eine ganze Weile mit der Einrichtung des Partykellers beschäftigt sein würde. Zudem war heute sein geliebter Flipper geliefert und aufgestellt worden und es würde sie sehr überraschen, wenn ihr Mann nicht schon die eine oder andere Partie gespielt hätte.

Behutsam stellte Joana die Bücher in das Regal und richtete sie in einer geraden Linie aus. Bücher waren für sie zwar ein Gebrauchsgegenstand, aber dies bedeutete ja nicht, dass es dabei unordentlich aussehen musste. Bill zog sie oft genug mit ihrer Ordnungsliebe auf, aber schließlich war dies ihr Zimmer und da wurde dann auch nach ihren Regeln gespielt.

- Ende der Buchvorschau -

Impressum

Texte © Copyright by Craig H. Manhoff c/o Hoffmann St. Vither Str. 11 50933 Köln [email protected]

Bildmaterialien © Copyright by www.magicalcover.de

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7394-2798-0