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Ein altes Familiengeheimnis. Eine eigenwillige junge Frau. Und eine düstere Sage ... An der Nordküste Cornwalls spukt es, wenn man den Einheimischen Glauben schenkt. Menschen sind verschwunden, geholt vom fahlen Seemann, der dazu verdammt ist, über die Meere zu fahren, bis ihn jemand aus seiner Einsamkeit erlöst. Luna Walker, eine junge Frau aus London, hält nichts von dieser Sagengestalt. Sie hat das Häuschen ihrer Tante geerbt und möchte hier an der Küste einen Neuanfang wagen. Robert Byrne, der aus der Gegend stammt, aber längst nicht mehr dort lebt, belächelt den Aberglauben der Küstenbewohner ebenfalls. Er ist nur zurück, um endlich sein Elternhaus zu verkaufen. Zu viele düstere Erinnerungen lasten auf dem schlossähnlichen Haus, das oben auf den Klippen thront. Erinnerungen an die Familie, die Robert dort verloren hat. Als sich seine Wege mit Lunas kreuzen, drängen die Schatten der Vergangenheit jedoch gefährlich nah ans Licht ... »Beim Lesen habe ich oft die Wellen rauschen und den Wind heulen hören. Eine dicke Überraschung kommt am Ende der Geschichte!« Amazon-Rezension Ein atmosphärisches Spannungs-Highlight für alle Fans von Katherine Webb und Charlotte Link – als eBook bei dotbooks erhältlich und als Hörbuch bei Saga Storify.
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Über dieses Buch:
An der Nordküste Cornwalls spukt es, wenn man den Einheimischen Glauben schenkt. Menschen sind verschwunden, geholt vom fahlen Seemann, der dazu verdammt ist, über die Meere zu fahren, bis ihn jemand aus seiner Einsamkeit erlöst. Luna Walker, eine junge Frau aus London, hält nichts von dieser Sagengestalt. Sie hat das Häuschen ihrer Tante geerbt und möchte hier an der Küste einen Neuanfang wagen.
Robert Byrne, der aus der Gegend stammt, aber längst nicht mehr dort lebt, belächelt den Aberglauben der Küstenbewohner ebenfalls. Er ist nur zurück, um endlich sein Elternhaus zu verkaufen. Zu viele düstere Erinnerungen lasten auf dem schlossähnlichen Haus, das oben auf den Klippen thront. Erinnerungen an die Familie, die Robert dort verloren hat.
Als sich seine Wege mit Lunas kreuzen, drängen die Schatten der Vergangenheit jedoch gefährlich nah ans Licht ...
Über die Autorin:
Eva Lirot lebt mit Mann und Hund in Limburg a. d. Lahn. Sie studierte Psychologie und schloss den Magister in Literaturwissenschaft ab, bevor sie sie sich dem Schreiben von Thrillern und Küstenkrimis widmete.
Mehr über die Autorin auf Social Media: www.facebook.com/liroteva
Ihr Cornwall-Thriller »Schattenkind sowie ihre INSELKOMMISSARIN-Reihe um Frieda Lieken ist bei Saga Storify im Hörbuch erhältlich.
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eBook-Neuausgabe Juni 2025
Copyright © der Originalausgabe 2020 Eva Lirot
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Lektorat/Korrektorat: Otto von Kubritz
Titelbildgestaltung: Elena Betti unter Verwendung von Bildmotiven von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ma)
ISBN 978-3-98952-785-0
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Handlung und Figuren in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig. Bei den Ortsangaben wurden heutige Namen verwendet, dennoch sind alle Angaben als fiktiv zu verstehen. Außerdem wurden landschaftliche Gegebenheiten verändert, wenn es für den Handlungsfluss zweckmäßig erschien.
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Eva Lirot
Schattenkind
Ein Luna-Walker-Roman
dotbooks.
Vorwort
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Nachwort
Zu diesem Roman
Lesetipps
Es gibt Sagen,
in denen mehr steckt
als nur ein Funken Wahrheit.
Er stand am Rand der steilen Felsen, sein linker Fuß halb über der Klippe, die Arme weit ausgebreitet. Seinen Kopf hatte er in den Nacken gelegt. Der Sturm zerrte an ihm, ließ seinen zerlumpten Parka um seinen knochigen Leib flattern. Sein von der Gischt nasses Haar wurde mit aller Macht nach hinten geweht. Er hielt die Augen geschlossen und dachte an den alten Baum oben an der Küste, den der Wind im Laufe der Zeit krummgeblasen hatte, und dessen Äste im neunzig Grad Winkel ins Landesinnere wiesen.
Er war wie er selbst, dieser alte Baum. Hatte sich in der Erde verwurzelt, blieb für sich und behauptete stumm seinen Platz. Tag für Tag. Jahr für Jahr. Egal, was um ihn herum geschah.
Er hob die Lider und verengte den Blick. Der Wind peitschte die Gischt in sein Gesicht. Seine Augen brannten. Die wenigen Sterne am Nachthimmel sah er nur verschwommen. Er ließ seine Arme sinken und schaute ins tiefschwarze unruhige Wasser hinab. Die Wellen rauschten, donnerten gegen die zerklüfteten Felsen, ließen Holz bersten, konnten Knochen zerschmettern. Er reckte seine Nase und schnupperte, leckte sich über die Lippen und schmeckte Salz.
Der Sturm rüttelte weiter an ihm. Eine starke Böe ließ ihn schwanken. Doch er trotzte der Naturgewalt.
So wie er allem und jedem trotzte.
Schon seit langer Zeit.
Er streckte die Hände vor. Gebieterisch. Er stellte sich vor, wie er den Sturm anhält. Er verharrte in der Position. Und gewann den Eindruck, dass sich das Wetter tatsächlich ein wenig beruhigte. Er verspürte Zufriedenheit. Sein bleiches, von Falten freies Gesicht blieb jedoch ausdruckslos.
Er lächelte nie.
Sprach nie.
Weinte nie.
Lediglich Schmerz konnte eine Regung seiner Gesichtsmuskeln hervorrufen. Traf ihn die Pein unerwartet, löste sich ein Klagelaut aus seiner Kehle. Es war ein rauer Ton, klang wie ein trockener Husten. Gefolgt von hechelndem Atem. Das hörte aber auf, sobald er die Wunde lokalisiert hatte, von der der Schmerz herrührte. So wie zuletzt, als er sich an einem spitzkantigen Gegenstand, der im Wasser verborgen lag, die Fußsohle aufgeritzt hatte.
Schmerzen dieser Art widerfuhren ihm nicht oft. Er hatte von Anfang an gelernt, sich geschickt zu bewegen und Vorsicht walten zu lassen, wenn er unbekanntes Terrain betrat. Den spitzkantigen Gegenstand hatten die Wellen an eine Uferstelle gespült, die er sehr gut kannte. Nur so hatte es passieren können, dass er die Gefahr übersah. Die lange dicke Glasscherbe befand sich nun bei seinen anderen Sachen und würde ihm sicher noch gute Dienste erweisen.
Beim Ausnehmen von Fischen zum Beispiel.
Oder beim Schlachten. Wenn er ein Lamm raubte. Oder ein Huhn.
Manchmal kam es vor, dass er einige Zeit überbrücken musste bis er sich ausreichend mit Nahrungsmitteln bevorraten konnte. Besonders in der Winterzeit. Wenn die Temperaturen konstant niedrig waren, der Wind übers Land raste und den oft heftigen Regen in Schräglage drückte. Dann blieben die Menschen in ihren Häusern, und er fand nur selten Gelegenheit, sich das bisschen, was er brauchte, irgendwo zu stehlen, ohne zu riskieren, dabei entdeckt zu werden.
Denn das wollte er auf keinen Fall.
Entdeckt werden.
Weil er das, wofür er lebte, weshalb er atmete, nur tun konnte, wenn niemand ihn sah. Wenn niemand von seinem Dasein wusste.
Er starrte ins schwarze Wasser, ignorierte die Feuchtkälte auf seiner Haut, verließ die Gegenwart und schaute in die Zukunft.
Die nahe Zukunft.
Bald, wenn die Gezeiten es ihm erlaubten, würde er nicht mehr nur für sich alleine spielen, so wie in den letzten langen Monaten. Nein, er würde sich für einen kurzen Augenblick aus seiner Unsichtbarkeit hervorwagen und wieder jemanden holen.
Jemand, den es nicht störte, dass er nicht sprach.
Jemand, der ihn und seine Kunst begreifen würde. Genießen würde. Mit ihm auf diese Weise kommunizieren würde.
Die Feuchte intensivierte sich, in die Gischt mischte sich feiner Regen, der aus den dichten Nachtwolken fiel. Sie schluckten die wenigen Sterne wie ein gefräßiges Monster, das sich von Licht ernährte.
Er merkte nichts von der rauen Witterung, blieb reglos stehen und träumte vor sich hin. Mit offenen Augen. Seine blanken Füße und die unbedeckten Waden kühlten langsam aus, ohne dass er es wahrnahm. Umfangen von der nahen Zukunft, die er mit jedem Tag mehr herbeisehnte, war er unempfänglich für Signale seines Körpers. Dabei hätte er nur die Beine seiner zerschlissenen Jeans herunterkrempeln müssen. Trotz der kalten Nacht war er so losgelaufen, damit die Hose nicht zu nass wurde, wenn er seine Festung verließ und ins Freie watete.
Was er nur tat, wenn er sich absolut sicher fühlte. Im Schutze kalter und unwirtlicher Nächte wie dieser.
Wie die Sonne aussah – daran konnte er sich kaum noch erinnern. Eines Tages hatte es angefangen, in seinen Augen zu schmerzen, das Sonnenlicht. Weil er es nicht mehr gewohnt war. Also mied er es. Das Licht. Und die Menschen, die ihn enttäuscht hatten. Wieder und wieder. Seit er sich ihrer das erste Mal gewahr geworden war.
Sein Leid war erst erträglich geworden, nachdem er sich für dieses karge und einsame Leben entschieden hatte.
Es hatte so sein müssen.
Weil es für ihn keinen anderen Weg gab, wenn er tun wollte, wofür sein Herz schlug.
Luna
Eine raue Nacht. Der Wind draußen, er tobt, pfeift, heult, als wäre er ein Lebewesen aus Fleisch und Blut, das eine große Wut verspürt. Ich könnte mir vorstellen, dass es mich umwehen würde, wenn ich in seine Fänge geriet.
Ich bin nicht sehr groß, messe gerade mal fünf Fuß und drei Inch. Einssechzig würde man auf dem Kontinent sagen. Besonders kräftig bin ich auch nicht, bringe keine fünfzig Kilo auf die Waage. Da hätte das zornige Lebewesen sicher ein leichtes Spiel.
Macht aber nichts, ich muss ja nicht rausgehen, solange es dort draußen derart wütet. In meiner kleinen Stube ist es herrlich behaglich. Ich liege im Bett, in die kuschelige Decke gehüllt und höre dem Windwesen zu wie es am Fenster rüttelt und die Dachziegel klappern lässt. Morgen früh hat es sich bestimmt beruhigt. Ein wenig zumindest. War bisher immer so, seit ich hier bin.
Also seit knapp sieben Wochen.
Eigentlich hatte ich gar nicht bleiben wollen. Solange, meine ich. Ich war aufgebrochen, um mir die Welt anzuschauen.
Bis Cornwall bin ich gekommen.
Von London aus.
Dort lebte ich bisher, bin da aufgewachsen. War gefangen. Jedenfalls empfand ich das mit jedem Jahr, das ich älter wurde, stärker so.
Ich weiß auch nicht, woran es liegt oder wie es dazu gekommen ist. Aber irgendwie bin ich ein Fremdkörper innerhalb meiner eigenen Familie. Ich gehöre nicht dorthin.
Dabei habe ich es versucht. Mich in den Kreis dieser Menschen einzufügen, meine ich. Fast fünfundzwanzig Jahre lang. Wobei ich zugeben muss, dass ich mich an die Zeit als Kleinstkind natürlich nicht wirklich erinnere. Aber seit ich bewusst wahrnehmen kann, was um mich herum passiert, spüre ich sie. Diese unsichtbare Wand.
Die Wand zwischen meinen Eltern, meiner Schwester und mir.
Isabella stand immer im Zentrum.
Isabella, die »Göttliche«.
So hatte es auf irgendeiner Internetseite gestanden, auf der es um vornehme englische Mädchennamen ging, und die Isabella prompt hatte finden müssen, um dann allen mit ihrer vermeintlichen »Göttlichkeit« auf die Nerven zu fallen.
Der Vorname, der für mich ausgesucht worden war, zementiert die gewaltige Differenz zwischen meiner Schwester und mir.
Mich nannten sie Molly.
Die »Bitterkeit«.
Stand auf derselben Internetseite zu lesen. Ernsthaft. War ein gefundenes Fressen für Isabella, logisch.
Meine Eltern hatten sich vermutlich nichts weiter dabei gedacht. Keine Ahnung, wie sie auf Molly kamen. Ich denke immer an ein Schaf, wenn ich diesen Namen höre.
Spielt aber keine Rolle. Ich weiß jedenfalls sicher, dass sich meine Eltern nie für die angebliche Bedeutung von Namen interessierten. Das war ein Steckenpferd der »Göttlichen«.
Kein Wunder, oder? Hätte ich an ihrer Stelle auch toll gefunden, allein wegen des Namens göttlich zu sein, da bin ich ehrlich.
Also habe ich mir einen anderen Vornamen für mich überlegt und dafür gesorgt, dass mich alle nur noch so nennen: Luna. »Göttin des Mondes«.
Ätsch! Ich freute mich diebisch, als ich Isabella unter die Nase reiben konnte, dass ich ihr nun ebenbürtig war.
Albern, nicht wahr?
Aber so war das bei uns.
Konkurrenz unter Schwestern, bei der sich ein Kampf nicht lohnte, weil die Siegerin von vornherein feststand.
Isabella stand immer im Mittelpunkt.
Ich war die kleine Stille mit dem merkwürdigen Blick.
Hinzu kam, dass ich sowieso überhaupt keine Lust auf meine acht Jahre ältere Schwester hatte. Wenn sie sich mit ihren eingebildeten Freundinnen durch die Läden shoppte, trieb ich mich lieber im Park herum. Fütterte die zutraulichen Eichhörnchen aus der Hand, die durch die vielen Touristen an Menschen gewöhnt waren.
Für Isabella gibt es keinen schöneren Platz auf der Welt als die Champs-Élysées in Paris. Gefolgt von der Viktor-Emanuel-Passage in Mailand. Oder die Fifth Avenue in New York. Die Via Del Corso in Rom ginge selbstverständlich auch. Hauptsache, schillernde Großstadt mit langer Einkaufsmeile. Party und Shopping. »Stößchen«, höre ich sie mit ihrer künstlich höher geschraubten Stimme flöten und sehe vor mir, wie sie vom Champagner nippt und mit gekonntem Augenaufschlag beobachtet, wie sie auf andere wirkt.
Wie furchtbar! Muss ungeheuer anstrengend sein, sich so gekünstelt durchs Leben zu bewegen.
Und Großstädte finde ich auch anstrengend.
Also bin ich erstmal nach Brighton gefahren. »London-by-the-Sea«, wie wir es nennen. Obwohl es keine zwei Autostunden von Belgravia entfernt ist – das ist das Nobelviertel, in dem meine Familie lebt – war ich noch nie dort. Bin lieber bei Tante Mae an der Nordküste gewesen, habe regelmäßig meine Ferien bei ihr verbracht. Frische Luft, rauschendes Wasser, zerklüftete Felsen – das zieht mich an. Wie die Motte das Licht. Die rauen Gewässer des Atlantiks, sie sind mir tausend Mal lieber wie jedes südliche Meer. Weiß auch nicht warum.
Ich war einmal mit der Familie an der Adria. Bella Italia. Pinienwälder, kilometerlange Sandstrände. Schon schön. Aber langweilig. Fand ich. Außerdem war es mir in diesem Luxushotel viel zu versnobt zugegangen. Jedes Mal groß in Schale werfen, bevor es zum Frühstück ging. Nein. Nicht meins. Bin mehr der Jeans und Sweatshirt-Typ, habe morgens sowieso nie Hunger und mag es lieber romantisch-düster statt sonnig-verkitscht.
Das ist eben so. Punkt.
Deshalb war ich meistens bei meiner Tante geblieben, statt in einem der Luxusresorts abhängen zu müssen, in denen der Rest meiner Familie so gerne Urlaub macht.
Selbst in Brighton habe ich es keine zwei Tage ausgehalten. Obwohl es nur geregnet hatte, von sonnig-verkitscht also keine Rede sein konnte. Aber das Flair dort – puh! Schicke Läden, Restaurant an Restaurant und jede Menge Leute, denen man auf den ersten Blick ansehen kann, dass ihnen nichts wichtiger ist als ihr Aussehen. Isabella-Place, eindeutig.
Sie wollte immer Model werden, meine große Schwester. Hat bisher nicht geklappt. Und jetzt, mit Anfang dreißig, dürfte der Zug wohl abgefahren sein. Das ändert aber nichts daran, dass sie sich manchmal immer noch aufführt wie Naomi Campell in ihren zickigsten Zeiten.
Ich hatte die mal live erlebt. Die Campell, meine ich. War bei Victoria‘s Secret in der New Bond Street gewesen. Die lassen ihre Dessous nicht nur häufig von Supermodels vorführen, die kaufen anscheinend auch dort ein, die Supermodels.
Die Campell belagerte einen kompletten Ladenflügel, von drei Bodyguards begleitet. Sie ließ die Verkäuferinnen um sich herumschwirren wie eifrige Bienchen beim Honigsammeln und tat so, als würde sie die anderen Kunden im Laden gar nicht wahrnehmen. Außer, wenn sie merkte, dass jemand das Handy zückte und sie fotografierte. Da regte sie sich tierisch auf, ganz Superstar.
War natürlich alles Show. Das wusste ich damals schon mit fünfzehn. Wenn eine Person wie Naomi Campell hätte für sich sein wollen, hätte sie einen Termin außerhalb der regulären Geschäftszeit bekommen. Also bitte, es war alles nur Gehabe, um sich in Szene zu setzen. Genauso wie Isabella es macht, wenn sie meint, nicht genug Aufmerksamkeit zu bekommen.
Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie anstrengend eine solche Schwester sein kann.
Aber das ist noch nicht alles. Denn wenn Isabella gerade mal nicht nervt, übernimmt Mutter ihren Part. Cecilia Jane Walker. Früh verwitwet, wieder geheiratet und seitdem rundum sorglos. Was echte Sorgen betrifft, meine ich. Ihren Job in der Teeabteilung bei Fortnum & Mason müsste sie nicht machen. Sie arbeitet in dem feinen Kaufhaus am Piccadilly rein aus Prestigegründen. Ist ihr sehr wichtig, ihr Prestige. Wehe, es sagt einer Verkäuferin zu ihr, dann rastet sie aus und belehrt: »Ich bin Fachangestellte, das ist etwas ganz anderes!«
Nicht nur in der Hinsicht sind sie und meine Schwester wie eineiige Zwillinge. Wenn die zwei sich unterhalten, hört es sich für mich an wie beim Vokabeltraining in der Markensprache. Die beiden besitzen keine Handtaschen, nein, sie haben eine Bridge, die Louis Vuitton, ihre Dior, die Chanel, die Hermès Birkin. Und wenn sie mal tiefstapeln wollen, wie sie es nennen, greifen sie zur Gucci. Oder zu der schlichten Tod’s.
Wahnsinnig schlicht, das Ding, doch, echt! Ich würde mit dem cremefarbenen Trümmer nicht vor die Tür gehen, da kann ich auch gleich den Reise-Trolley nehmen. Na, egal.
Was ich damit sagen will: Geld ist im Hause Walker wahrlich nicht das Problem. Arthur, mein Stiefvater, den ich immer nur beim Vornamen nenne, ist ein waschechter Earl mit Gutsbesitz in Sussex. In London unterhält er eine Anwaltskanzlei. Das heißt, er steuert seinen Namen und den Titel bei und lässt die anderen machen, während er im Gentlemen Club verweilt, Zeitung liest und kluge Gespräche mit seinesgleichen führt.
Auch ich könnte das herrlichste Luxusleben führen.
Problem: Ich mag keinen Luxus dieser Art. Und erst recht nicht die Leute, die das mögen.
Ist mir zuwider, dieses Zur-Schau-Stellen. Das Getue. Das sinnlose Hocken in irgendwelchen, gerade angesagten Restaurants. Oder die Besuche »kultureller Events«, bei denen »man sich unbedingt sehen lassen muss«.
Kotz! Wird mir übel, wenn ich nur daran denke.
Ich gehe lieber in den Park, wie gesagt. Oder lese. Alles mögliche, was mir in die Hände fällt. Und ständig, seit es diesen Reader gibt. Den schleppe ich überall mit mir herum. Wenn ich irgendwo warten muss, in der Metro, beim Arzt, oder wenn ich auf einer Wiese sitze – solange eine Geschichte es schafft, mich in eine andere Welt zu entführen, bin ich dabei. Egal, wo sie spielt. Oder um was es geht.
Schon seit einiger Zeit hat es mir aber nicht mehr gereicht, meine Welt in London nur im Geist zu verlassen. Ich wollte endlich ganz raus. Mit allen Sinnen, meine ich.
Also habe ich mein Studium am College of Fashion geschmissen, habe zwei Koffer gepackt und bin los.
Es hatte sowieso von vorneherein keinen Zweck mit diesem Studium. Es interessierte mich nicht die Bohne. Ich hatte mich nur deshalb immatrikulieren lassen, damit Mutter Ruhe gab.
Mutter, die nicht akzeptieren kann, dass ihre jüngere Tochter keine zweite Isabella ist.
Mutter, die wahrscheinlich schon am Tag meiner Geburt, als sie mich das erste Mal hielt, diese Distanz zu mir entwickelt hatte.
Wegen meiner Iris-Heterochromie.
Mein rechtes Auge ist dunkelblau, das linke deutlich heller. Je nachdem, wie die Lichtverhältnisse sind, bekommt es außerdem einen leichten Gelbstich. Meine Sehkraft ist durch diese »Fehlbildung«, wie Mutter es nennt, nicht beeinträchtigt. Auch ansonsten bin ich rundum gesund.
Aber eben nicht makellos.
In den Augen meiner Mutter.
Luna, die Außenseiterin.
Luna, das seltsame Kind.
Luna, mit der sie nichts anfangen kann.
Mehr als einmal habe ich sie so von mir sprechen hören, wenn sie glaubte, dass ich mich außer Hörweite befand.
Anfangs tat es mir weh. Sehr sogar. Später, das heißt zu Teenagerzeiten, fing ich an, mich über meinen Außenseiterstatus zu definieren. Begann, für mein Anderssein Stolz zu empfinden. Tat alles, um mich vom Rest meiner Familie abzugrenzen – was dem ohnehin angespannten Verhältnis nicht gerade dienlich war, schon klar.
Aber egal.
Ich bin, was ich bin.
Gehe schon länger meinen eigenen Weg, bin erwachsen und in der Lage, für mich selbst zu sorgen.
Daher habe ich beschlossen, in Zukunft nicht nur anders, sondern auch anderswo zu sein.
Nicht nur ein paar Wochen lang.
Nein, für immer.
Robert Byrne
Er spürte sie deutlich, die innere Unruhe. Dabei verlief der Flug ruhig. Der Kapitän hatte vor wenigen Minuten durchgesagt, dass es ein wenig rütteln könnte, wenn sie die britischen Inseln anflogen. Von Norden her fegte ein Sturm übers Land. Die planmäßige Landung am London/Heathrow würde dies aber nicht beeinträchtigen. Die cornische Küste war weit genug weg, die Winde beruhigten sich, je weiter es landeinwärts ging.
Robert Byrne wischte auf seinem Tablet herum, ohne sich die Seiten anzusehen, die es zeigte. Seine Gedanken verweilten an seinem Zielort. Nach dem Anschlussflug nach Newquay würde er ihn mit seinem Auto erreichen, das am Cornwall Airport parkte.
Es war ein Ort, den er liebte und hasste zugleich.
Im Moment jedenfalls.
Byrne nagte an seiner vorgestreckten Zungenspitze. Dann rieb er sich über die kraus gezogene Nase. Das kleine Mädchen mit den geflochtenen Zöpfen, das ein paar Reihen vor ihm saß, ihn beobachtete und kicherte, sich über seine Fratzen lustig machte, bemerkte er nicht. Und auch nicht die Mutter, die ihrer Kleinen Einhalt gebot und ihren Blick einen Tick zulange auf Byrne beließ.
Mit seinem rotbraunen, welligen Haar, den braunen Augen, dem sommersprossigen Teint und seinem drahtigen Körper wirkte der Anfang Dreißigjährige auf die meisten Menschen sympathisch und war es gewohnt, vom anderen Geschlecht mit Beachtung überhäuft zu werden.
Von kurzlebigen Affären hielt Byrne jedoch nichts. Er war seit fünf Jahren fest mit Jessie liiert. Amerikanerin, lebte und arbeitete in New York City. Ihre Eltern führten einen kleinen, aber noblen Schmuckladen in der Fivth Avenue, den sie in absehbarer Zeit übernehmen sollte. Ein Umzug nach England kam für sie also nicht in Betracht. Wohingegen er seine Beratertätigkeit überall ausüben könnte, wie sie meinte – und seit einiger Zeit bei jedem Treffen hartnäckiger zur Sprache brachte. Dass er ohne seine Kontakte in London, Liverpool und Leeds kein müdes Pfund verdienen würde, davon wollte sie nichts hören.
Ebenso wenig beeindruckte sie das Haus der Byrnes an der Nordküste Cornwalls, etwas ortsaußerhalb gelegen. Vor rund hundert Jahren war es erbaut worden und seit jeher in den Händen der Byrnes. Altirisches Geschlecht, das zu neuen Ufern aufbrach, als der Urgroßvater sich in ein Mädchen aus Bideford verliebt hatte. Ihre Familie hatte das Land besessen, auf dem das einem kleinen Schloss ähnliche Herrenhaus stand.
Jessie war einmal dort gewesen, hatte sich jedoch nicht für das im viktorianischen Stil gebaute und sehr gepflegte Gebäude erwärmen können. Das raue Klima, die schroffen Felsen, die dünne Besiedelung und das Landvolk passten nicht zu der quirligen Brünetten, die sich ein Leben ohne manikürte Fingernägel, Fitness-Studio, Sushi-Bar und Modefrisör nur schwer vorstellen konnte.
Robert Byrne zog die Brauen zusammen, als er sich erinnerte wie Jessie sich aufgeführt hatte, nachdem der Wind ihre frisch gelegten Locken zerzaust hatte und die Gischt ihr Gesicht benetzte. Schon da waren ihm Zweifel an der Beständigkeit ihrer Bindung gekommen. Offenbar ließ sie sich von seinem Äußeren täuschen, sah ihn nur in seinen eleganten Businessanzügen und wollte den cornischen Burschen nicht wahrnehmen, der lieber in den Pub ging statt zum Japaner, und der kein Problem damit hatte, einen ganzen Tag »sinnlos am Wasser zu verplempern«.
Also hatte er seinen Besuch bei Jessie dieses Mal vorzeitig abgebrochen. Aber nicht nur, um ihr zu zeigen, dass sie mit Druck bei ihm gar nichts erreichte.
Es lag auch am Datum.
Byrne ließ seine Zähne knirschen und wedelte mit der Hand hin und her, als wolle er etwas verscheuchen.
Was nicht klappte.
Wenn er ehrlich sich selbst gegenüber war, musste er zugeben, dass er auch dann spätestens heute zurück nach England geflogen wäre, wenn Jessie und er ein Traumpaar abgäben, das kurz vor der Hochzeit stand.
Es war lächerlich, was er da tat.
Und er verachtete sich dafür.
Doch er konnte nicht anders, hatte dieses Flugzeug so dringend besteigen müssen, als hingen Leben davon ab. Dabei kehrte er nicht etwa wegen eines familiären Notfalls oder einer anderen, eiligen Verpflichtung zurück nach Hause.
Nein.
Er kam zurück, weil er sich um etwas sorgte, an das er nicht glaubte.
Der Spieler
Das Feuer flackerte munter, als er von seinem kurzen Ausflug zu den Felsen zurückkehrte. Er ließ es nie ganz ausgehen, sorgte dafür, dass zumindest etwas Glut glomm, die er schnell wieder entfachen konnte.
Die Feuerstelle hatte er selbst gebaut, die Steine hergeschleppt und sie kreisförmig aneinandergelegt. Als Zunder nahm er trockenes, zerriebenes Gras, zerrupfte Seile, manchmal auch Vogelnester oder -federn. Als Kleinholz dienten ihm dünne, abgestorbene Zweige und trockene Baumrinde.
Wie man die Stöckchen zum Anfachen schnitzte, wusste er seit seiner Kindheit. Hatte er bei den Pfadfindern gelernt. Ebenso wie das Aneinanderschlagen der beiden Katzengold-Stücke, um Funken zu erzeugen. Die Mineralien gab es in dem kleinen Fluss, der den Ort in der Nähe in zwei Hälften teilte. Auch das war ihm noch aus seinem früheren Leben präsent.
Es war ein Leben aus fernen Tagen.
Ein Leben, an das er sich kaum erinnerte, weil es wie hinter einem schweren Theatervorhang verborgen lag, der sich nur noch selten hob. Und wenn doch, trübte dichter Nebel das Bühnenbild ein, sodass er fast nichts mehr erkennen konnte.
Er nahm eines der Stöckchen zum Anfachen und stocherte in den Flammen herum, triezte sie, ließ sie lodern. Seine Behausung kühlte rasch aus und war ständig feucht, wenn die Grundwärme fehlte. Manchmal passierte es, dass ein heftiger Windstoß das Feuer erlöschen ließ, wenn es zu schwach glomm.