18,99 €
Die Sprache unseres Körpers – wie können wir sie verstehen? Wie können wir seine Botschaften entschlüsseln? Wie schaffen wir es, wieder in Dialog mit ihm – unserem besten Freund – zu treten, um Krankheitssymptome richtig interpretieren, behandeln und heilen zu können? Antworten auf diese Fragen möchte dieses Buch liefern. Dabei steht weniger die Theorie im Mittelpunkt als die Praxis. Die Autorin kann hier unzählige beispielhafte Fälle aus ihrer 30-jährigen Berufserfahrung als Körpertherapeutin anführen. Dabei weiß sie viele aufschlussreiche, interessante, aber auch amüsante Geschichten zu erzählen. Sie nimmt uns mit auf eine Reise durch unseren Körper. Es werden beispielgebende Körperteile beleuchtet, um die Ursachen für die unterschiedlichsten Symptome zu erfahren.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 435
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2024 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99146-201-9
ISBN e-book: 978-3-99146-202-6
Lektorat: Sandra Pichler
Umschlag- & Innenabbildungen: Carola Ramsauer
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
Danksagung
Allem voraus danke ich meinen beiden Kindern, Paula und Richard, für ihre Geduld mit mir.
Dankeschön an all die besonderen Anleiter und Lehrer, Menschen, die mein Denken erweiterten. Ausbildungen und Einweihungen erlaubten mir, den menschlichen Körper in seiner Sprache verstehen zu lernen. Diese Erkenntnisse darf ich nur durch grundlegendes Wissen meiner Vorgänger und darauf aufbauender eigener Forschungen teilen. Ich danke allen Patienten und Ärzten, die mir ihr Vertrauen schenken.
Danke an alle, die mir Mut machten, dieses Buch fertigzustellen und allen Lesern.
Danke Helmut Kinon, meinem außergewöhnlichen Lehrer in Cranio-Sacral-Therapie, Dr. Ines Oberscheid, Franz Renggli, Anne Elfriede Gruhn, dem Autor Jürgen Seibold, Thomas Schmidt und allen, die mit mir ihr Wissen teilen.
Hochachtungsvoll
Carola Ramsauer
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser.
Wo kämen wir denn hin, wenn jeder sagen würde: „Wo kämen wir denn hin?“ Und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir denn kämen, wenn wir gingen.
Wie geht es dir gerade jetzt, heute und überhaupt?
Was hast du zu erzählen?
Jetzt haben wir Zeit für eine Pause und Zeit für eine Be-Sinnung.
Schön, dass wir uns treffen.
Wo zwickt es denn?“
Du zeigst vielleicht mit einer großen Armbewegung rund um dich herum.
„Eigentlich überall.“
„Das ist gut. Hören wir diesem Zwicken doch mal genau zu.“
Dieses Buch entstand in und aus meiner Praxis.
Vorwort
Wenn wir unseren Körper verstehen, ist das der Beginn einer wundervollen Freundschaft.
„Schatz, wir müssen reden“, sagt dein Körper, wenn es zwickt.
Dein Körper ist die beste Wahrsagerin. Keine Kartenlegerin oder gar ein Medium schafft es, eine so ehrliche, konkrete Aussage über deine Ängste, Nöte und Möglichkeiten zu verraten. Vertraue deinem Freund, dem Körper, und du läufst einem leichteren und lebendigeren Leben direkt in die Arme.
Mit dem besseren Verstehen deines eigenen Körpers kannst du die Zukunft einfacher und sinnvoller gestalten. Eine anerzogene Sichtweise veranlasste uns, bisweilen Angst vor dem eigenen Körper zu haben. Doch diese Angst ist unbegründet.
Wir betrachten in diesem Buch verschiedene Aspekte unseres Lebens, vor allem Aspekte von Krankheitssymptomen aus der Sicht unseres Körpers. Sie lassen uns erkennen, dass wir einfach perfekt sind. Wenn wir wissen, warum wir krank sind, werden wir schneller gesund.
Die Sprache deines Körpers ist eine Liebeserklärung an dich
Lassen wir uns so beginnen: Ich spreche im Namen unseres Körpers, der zwar oft auf sich aufmerksam macht, aber manchmal nicht wirklich gehört und verstanden wird.
Denn nicht selten werden die Lebenszeichen, die unser Körper von sich gibt, falsch gedeutet oder sofort unterdrückt. Das liegt daran, dass manchmal die Angst im Vordergrund unseres Denkens steht und uns daran hindert, den Signalen des Körpers überhaupt Aufmerksamkeit schenken zu wollen: Angst vor Mangel, Angst vor Schmerz und ganz allgemein Angst vor Krankheit.
Viel zu oft verschwindet das Geschenk, das uns der eigene, wunderbare Körper in Form eines Symptoms macht, unausgepackt und mit bunten Pillen als Beigabe in einer Schublade, wo es sich entweder auflöst oder hart und unschön wird.
Es ist eine wertvolle Erfahrung, die Angst vor dem eigenen Körper zu verlieren. Wir dürfen lauschen und neugierig auf die Hinweise unseres Körpers achten, seiner Sprache zuhören und unserem Inneren vertrauen.
Freilich sind die Neuerungen der Pharmaindustrie eine wertvolle Bereicherung. Und doch ist es möglich, sich fast schon freudig von der Angst vor dem eigenen Körper zu verabschieden und mit Humor die Sprache unseres Körpers zu verstehen. Dann verlieren wir die Panik und Unsicherheit. Es entstehen dadurch neuartige Gespräche mit unserem Körper, unserer wirklichen Heimat.
Ich möchte in diesem Buch aus meiner täglichen Praxis erzählen. Oft entdecken hier Menschen, dass noch mehr hinter ihren Beschwerden steckt, als sie auf den ersten Blick denken würden. Diese Erfahrungen sind sehr individuell, denn jedes Krankheitssymptom hat eine eigene Geschichte, und kein Schmerz ist wirklich mit dem anderen vergleichbar. Jeder Köper spricht in seiner ganz speziellen Sprache. Kein Lexikon der Welt und keine Internetseite wird uns die vielen kleinen Aufmerksamkeiten unseres Körpers einzeln aufgliedern, aufmalen oder zeigen können. Das ist auch nicht Ziel unserer Begegnung. Jeder Mensch ist ein kleines Universum für sich und jeder Körper ist einzigartig. Die Beispiele im Buch können einen Einblick in die Schönheit unseres Körpers bieten – und eine Idee von den wirklichen Ursachen und dem „Wozu“ von sogenannten Symptomen und Schmerzregionen bieten.
Unser Körper ist genial. Auch wenn wir ihn leider oft beschimpfen und seine Funktionen als unzureichend einordnen, meint es unser Körper immer und zu jeder Sekunde gut mit uns. Wie ein kleines Tierbaby versucht unser Körper einfach zu überleben, mithalten zu können, beim Rudel bleiben zu dürfen. Dafür tut unser Körper sein Menschenmöglichstes und möchte uns eine hilfreiche Stütze in unserem physischen Leben sein. Er gibt uns konkrete Hinweise darauf, was wir wirklich brauchen.
Hast du dich schon mit der Einzigartigkeit, der wundervollen Sinnhaftigkeit deines Körpers bekannt gemacht? Beachte einmal, wie stabil und gleichzeitig weich der strategisch gigantische Aufbau der Knochen ist und wie genial die hochkomplizierten und fast undurchschaubaren Stoffwechselvorgänge sind. Schau dir das lenkende und reagierende Hormonsystem an. Das wundervoll denkende Gehirn, das zielsichere Bauchgefühl. Füße, die uns durch unser Leben tragen. Hände, mit denen wir unser Leben begreifen und formen – jeden Tag aufs Neue. Arme, die halten, tragen, wegschubsen und stemmen können. Beine, die rennen, gehen und uns zum Sitzen bringen. Unser wundervoller Bauch, der alles schluckt, verdaut, für Energie sorgt. Blut, welches uns in Schuss hält. Ein Herz, das pumpt, liebt und brechen kann.
Die kleinen Unebenheiten, Unvollkommenheiten, Bögen und Dellen, alles ist an seinem Platz und so, wie wir es brauchen. Kein Körperteil eines Menschen reagiert zufällig mit Symptomen, Aussehen, Formung und Übersensibilität. Unfälle mit entsprechenden Risswunden oder Frakturen passieren nicht zufällig an genau dieser nun „demolierten“ Stelle. Damit sich jemand einen Knochen an einer bestimmten Körperregion brechen kann, müssen Voraussetzungen vorhanden sein. In einem passenden Bereich gibt es eine ganz bestimmte Weichheit, Härte, poröse Stelle, die freilich vor dem Unfall nicht diagnostiziert wurde. Warum auch? Sogenannte Unfälle sind häufig dumme Zufälle, eher Kleinigkeiten; wie von der zweiten Stufe einer Leiter zu stürzen. Nur wenn unser Körper einen Grund hat, sich zu verletzen, kommt es beim Stolpern oder Ausrutschen auch zu einer entsprechenden Wunde, Störung oder, wie wir es dann nennen, einer Krankheit.
Ist dann das Symptom erst einmal da, ist der erste Reflex, es so schnell wie möglich loswerden zu wollen. Strategien zur Vermeidung von Schmerz gibt es so viele wie Sandkörner am Strand. Menschen sind sehr erprobt darin, Schmerz nicht als Chance wahrnehmen zu wollen oder als Erfahrung, die es zu durchleben gilt. Unangenehm ist es sicher, das bezweifelt niemand. Sich die Situation schönzureden, meine ich auch nicht. Sondern im Hier und Jetzt dem Körper Be-Achtung und nicht VER-Achtung zu schenken. Ja, ich weiß, leicht ist es nicht, aber wertvoll und hilfreich für die jetzige Lebenssituation.
Natürlich ist es einfach, wenn es zwickt oder zwackt, eine erprobte Tablette einzuwerfen. Viel trinken, kurz abwarten – schon ist der Schmerz weg. Die neusten medizinischen Forschungen und Entwicklungen erlauben uns, trotz Wehwehchen schnell weiterzumachen. Und die Werbung suggeriert dem modernen Menschen, dass wir gut gelaunt ins Kino gehen können, obwohl wir wegen lästiger Kopfschmerzen schon kurz davor waren, dem Freund abzusagen. Wir müssen nur die Kopfschmerztablette schlucken, schon ist alles beim Alten. Aber Angstgedanken ziehen Krankheit an. Und Angst macht krank. Krankheit ist nur eine Reaktion des Lebens.
Unsere moderne Medizin ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass es sogar verbreitet ist, Gesunde als asymptomatisch Kranke zu definieren.
Der Wunsch, Leidende wirklich von Krankheit zu heilen, ist so alt wie die Menschheit selbst und war der Antrieb für unzählige Entdeckungen und Errungenschaften. Angeblich schädliche Bakterien können vernichtet, Lepra geheilt, Frakturen verdrahtet werden. Großen Dank an alle Denker, die nächtelang, zunächst höchst verborgen und zum Teil in Selbstversuchen, alles getan haben, um der Menschheit große Hilfe zu leisten. Großen Dank und Hochachtung an alle Notfallmediziner, Hebammen, Kardiologen, Internisten, Allgemeinärzte, Chirurgen, Anästhesisten. Nicht zu vergessen – dem wundervollen Pflegepersonal, welches meist über die menschlichen Grenzen hinaus für das Wohl der Patienten sorgt. Dank an alle Therapeuten, Psychologen, Rehabilitationseinrichtungen für ihre Geduld, Kraft und ihren Einsatz. Ihnen allen verdanken Millionen Menschen ihr Leben. Ein verändertes Bewusstsein zum eigenen Körper, zum Heilsein, zum eigenen Leben macht jedoch die Gesundung unter Behandlung viel leichter und schneller möglich.
Zuerst frage dich doch einmal, was dein Körper für dich bedeutet. Ich persönlich sehe meinen Körper als mein Haus, mein Fahrgestell, meinen Fühler, Seher, Hörer, mein Aktionspotenzial. Mit meinem Körper kann ich lesen, schreiben, nachdenken, ich kann Geld verdienen, mir einen Partner suchen und überhaupt alles Erdenkliche tun.
Beim Besuch der Ausstellung „Körperwelten“ höre ich gern anderen Besuchern zu, wie sie die dort ausgestellten Präparate kommentieren:
„Wie war das nochmal? … Ist das die Leber? … Wie groß ist die eigentlich? … Wo liegt die Milz, links oder rechts? … Ist links jetzt in meinem Körper oder wird das nicht immer in Draufsicht dokumentiert, wie wenn der Arzt jetzt mir gegenübersteht? … Was und wo ist der Meniskus? Da wurde ich doch schon operiert. … Ach, so sieht eine Hand von innen aus. Wie interessant! … Und die Ursprünge der Fingermuskulatur sind zum großen Teil im Unterarm? Darum heißt mein Handtrainer also Unterarm-Trainer?!“
Auch in meiner Praxis befinden sich mehrere Modelle und Skelette vom menschlichen Körper. Wenn meine Patienten diese ansehen, weise ich sehr deutlich darauf hin, dass die Figuren die Originalgröße sind. „So ein Modell bist genau genommen du selbst. He, das bist du, so siehst du von innen aus, das ist nicht irgendetwas Fremdes, Eigenartiges, das bist du!“
Manchmal erschrecken dann die Menschen, weil dadurch der Bezug zu einer möglichen Zerbrechlichkeit, Verletzung und Veränderung näher in den Fokus rückt. Plötzlich wird klar, dass alles auch endlich ist. Ganz direkt wird das Skelett Bestandteil der eigenen Körperwahrnehmung.
Derselbe Effekt ist oft beim Betrachten von detaillierten Anatomie-Bildern in allen Variationen und Darstellungen zu spüren. Sich dem eigenen Innenleben zu nähern, scheint viele noch zu ängstigen. Die meisten Menschen haben das Kochbuch und die Steuerregeln griffbereit, ein Anatomie-Atlas ist eher seltener anzutreffen. Dabei wäre das doch ein ganz wichtiges Buch in jedem Haushalt. Es lohnt sich, einmal im Internet nach Bildern von Faszien oder einzelnen Organen zu stöbern.
Wie wäre es mit einem kleinen Telefonat mit unserem Körper? Wenn ein Freund uns braucht, rufen wir öfter an, um zu zeigen, dass wir an ihn denken. Manchmal unternehmen wir etwas gemeinsam oder machen dem Vertrauten mit kleinen Geschenken eine Freude. Unsere Beine sind zum Beispiel solch treue Freunde. Sie tragen uns seit vielen Jahren. Immer genau so, wie wir es möchten, und genau dorthin, wohin wir wollen. Also klingeln wir doch mal bei unseren Beinen an. Erst bei dem einen, dann horchen wir in das andere hinein. Wie geht es gerade jetzt unseren Beinen?
„Hallo, liebes Bein, wie groß bist du? Wie stark bist du? Vielleicht schon mehr oder weniger ruiniert oder ramponiert? Vielleicht bist du dick, dünn, mit Krampfadern, hast also einen Klotz an dir hängen oder bist ganz fein und dünnhäutig. Du, mein liebes Bein, erlaubst mir zu sitzen, zu stehen, zu laufen, zu kriechen, zu hüpfen, zu joggen, Kinder auf den Schoß zu setzen. Danke, dass du immer für mich da bist.“
Ups, da ist noch sehr viel, was unsere Beine alles leisten. Wenn’s mal nicht alles wie geschmiert läuft, merken wir das sofort. Wenn nichts schmerzt, vergessen wir sie aber auch oft. Schenken wir unserem Körper doch regelmäßig unsere ganz ungeteilte Aufmerksamkeit, wie es sich unter besten Freunden gehört.
Durch ihn und nur mit ihm, werden uns viele Gelegenheiten und sinnliche Freundlichkeiten ermöglicht. Es kann lustig sein, sich in diesem Zusammenhang nochmal Otto Waalkes Sketch „Der menschliche Körper“ anzusehen: „Milz an Auge: Ich sehe was, was du nicht siehst. Auge an Milz: Das glaubst du doch selber nicht, du blinde Nuss!“
Tausende Male erzählen mir Patienten, dass es ihnen nicht klar war, wie groß die Einschränkungen im Alltag sind, wenn dieses oder jenes Körperteil nicht mehr funktioniert.
Doch wollen wir tatsächlich die Möglichkeit außer Acht lassen, an schmerzhaften Erlebnissen zu wachsen? Ist es überhaupt so, dass der Mensch nur durch Leid lernen kann?
Jede Kleinigkeit im Alltag ist speziell und wird dann Zufall genannt. Dir fällt nur etwas zu, wenn du es brauchst. Klar, wir haben alle unsere Wissensgebiete und Vorlieben. Mit dem menschlichen Körper befassen sich wenige, außer wenn sie beruflich damit zu tun haben.
Eine Operation ist nicht nur eine Reparatur oder ein Austausch einer Funktionseinheit. Am Ende braucht der Körper Zeit zum Ausheilen, Fließenlassen und Gedeihen. Wir benötigen Pflege, Liebe, Geduld und Zuwendung zum eigenen Ich.
Übernimmt der Patient ein Stück der Verantwortung für sich selbst, wird die Heilung des Körpers erheblich erleichtert.
Gespräche mit deinem Herzen: ein erster Versuch, sich selbst näher zu kommen
Hast du schon einmal mit deinem Herzen gesprochen? Versuch es doch mal so:
„Wie siehst du aus, mein Herz? Wie groß bist du? Du, liebes Herz, schlägst schon so lange, Sekunde für Sekunde für mich. Hältst alles in Schwung, unermüdlich, egal, ob ich wache oder schlafe, traurig oder fröhlich bin. Du, liebes Herz, schlägst immer. Eigentlich gehört dir mindestens ein Managergehalt, zusätzlich Weihnachtsgeld und das 14. Monatsgehalt, weil du niemals Urlaub machst.“
Umarme liebevoll und ehrlich gedanklich dein Herz! Oder lausche für ein paar Minuten dem Herzschlag deines Partners oder deines Kindes – Ohr auflegen und zuhören. Dieser Ton, diese Gleichmäßigkeit lässt Demut in uns entstehen. Mit dem Herz sprechen ist so wichtig: „Hey, wie geht es dir? Was brauchst du?“
Antoine de Saint-Exupéry hat das Geheimnis am besten auf den Punkt gebracht:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Unser Herz beginnt am 20. Tag nach Einnistung der befruchteten Zelle im Mutterleib zu schlagen.
Hier lege ich mich nicht auf den Tag genau fest, denn zum einen werden in den Recherchen unterschiedliche Zahlen genannt, zum anderen sind diese Fakten auf Laboruntersuchungen zurückzuführen. Das Pulsieren des Herzens entsteht durch eine rhythmische Abgabe von Elektroimpulsen. Später übernimmt der Sinusknoten diese Funktion und bringt, ebenfalls über Elektroimpulse, den Rhythmus des Herzens in Schwung. Darum halte ich es, nebenbei bemerkt, für sehr unklug, die Handys in der linken Brusttasche zu tragen. Im zarten Alter von 3 Wochen entscheiden wir uns definitiv dafür, hier auf Erden leben zu wollen.
Das sagt unser Herz. Mit zunehmendem Alter gerät das kleine Herz dann in Vergessenheit; es wird zum Organ, zur Maßeinheit, zum Messen der sogenannten Körperbefindlichkeit herangezogen. Letzen Endes sterben wir dann alle an Herzversagen, egal, was dem Ganzen vorausging.
Unser Herz ist weitaus mehr als nur die Pumpe, die unser Blut durch die Adern befördert und irgendwann aufhört zu schlagen. Joe Dispenza schreibt in seinem Buch „Werde übernatürlich“: „1991 zeigt J. Andrew Armour, dass das Herz im wahrsten Sinne des Wortes seinen eigenen Geist hat. Es verfügt über ein Nervensystem aus bis zu 40 000 Neuronen, das unabhängig vom Gehirn funktioniert und als Herzgehirn bezeichnet wird. Heute gibt es das Wissenschaftsgebiet Neurokardiologie.“1
Unser Herz bestimmt die Denkweisen in unserer Kindheit; wir weinen, lachen und spielen aus ganzem Herzen. Mit kindlicher Herzlichkeit rühren wir die großen Menschen. Auch Vergebung kann einzig und allein aus dem Herzen geschehen. Mit unserem Verstand sind wir in die Lage versetzt, Geschehnisse aus der Vergangenheit zu überdenken und zu akzeptieren. Wirkliches Verzeihen aber kann ich nur über das versöhnte Herz in Gang bringen.
Manchmal sitze ich vor Menschen und kann mit den Erzählungen dieser Menschen nicht sofort mitfühlen oder verstehen. Ich habe mir angewöhnt, folgenden Satz zu denken: „Ich hab’ dich so lieb.“
Kaum ist der Satz gedacht, entsteht wie von Geisterhand geführt augenblicklich ein neues, liebevolles Gefühl gegenüber meinem Gesprächspartner.
Probiere das doch einmal aus:
Du sprichst mit einem anderen Menschen und kannst seiner Meinung verstandesmäßig nicht ganz zustimmen. Dann denkst du dir diesen Satz: „Ich hab’ dich so lieb.“
Und schwupp, wirst du leibhaftig erleben, dass sich dein Gefühl sofort ändert und du Mitgefühl aus dem Herzen entwickelt hast.
Höre im Zweifelsfall auf dein Herz, nicht auf das Gehirn. Es ist ja eine uralte Weisheit, dass das Herz immer den richtigen Weg weiß.
Neulich erzählte mir eine Freundin, sie hätte zufällig ihren Blutdruck gemessen und der Messwert wäre schulmedizinisch und nach Skala eingeteilt zu hoch. Symptome oder Schmerzen hatte sie keine. Aber sie war beunruhigt, weil die Quantität laut Tabelle eben hoch sei. Beim Nachfragen, was denn gerade los ist, was sie benötigt, um überhaupt noch in „Schwung bleiben“ zu können, erzählte sie, dass die Arbeitsstelle so ätzend sei, dass sie am liebsten tot umfallen möchte. Na, da sagt das Herz freilich: „Meine Liebe, so geht das nicht, wir haben noch ganz viel vor, wir werden gebraucht. Also, bevor du jetzt in die Leblosigkeit verfällst, bringe ich als Herz kurz Schwung in den Laden und pumpe etwas schneller, fester und mit etwas mehr Druck, denn so können wir das Gesamtsystem unseres Körpers prima erhalten.“
Was machte meine Freundin aber schon in ihrer erlernten Angst? Sie googelte nach Herzmedikamenten bis hin zu Betablockern. Stellen wir uns das jetzt aus Sicht des Körpers vor!
Das Herz ermöglicht ihr gerade, die jetzige Situation glimpflich zu meistern, und sie sucht in alter Gewohnheit nach Medikamenten, um das Notfallprogramm ihres Herzens zu stoppen. Die Angst kann sich in so einem Fall hochschaukeln. Haben wir erst einmal Furcht vor Schlaganfall, Hirnschlag und darüber hinaus eine große Auswahl an Wahnvorstellungen verschiedenster Krankheitsbilder, reagiert unser Herz mit all seiner liebevollen Herzlichkeit und pumpt feste weiter dagegen an, bis der Besitzer vielleicht versteht und begreift, dass der ganze Zinnober nur vorübergehend und doch eigentlich alles im Lot ist.
Das Herz weiß ja nichts davon, dass es bei Google und Co. alles Mögliche an Schreckensutopien gibt, die der Mensch als einzige Wahrheit versteht.
In meiner Praxiserfahrung hat sich gezeigt, dass Probleme mit dem Herzen sehr oft mit dem Thema Herzlichkeit und Revierabgrenzung zu tun haben.
Fragen wie „Wer tritt auf meiner Persönlichkeit herum?“ oder „Wer überschreitet gerade massiv meine Grenzen?“ sollten hier zugelassen werden. Wir sprechen von Herzensangelegenheiten, überbringen herzliche Grüße, unser Herz bricht bei Liebeskummer. Wenn jemand bedrückt aussieht, hat er etwas auf dem Herzen.
Möchte jemand über seine Gefühle sprechen, schüttet er uns sein Herz aus. Wenn jemand geradeheraus sagt, was er denkt, trägt er das Herz auf der Zunge. Wenn jemand Angst bekommt, rutscht ihm das Herz in die Hose. Ist jemand erleichtert, fällt ihm ein Stein vom Herzen. Jemand kann ein Herz aus Gold, Stein oder ein Herz für Tiere haben. Unser Wortschatz ist voll von Redewendungen, die eine Verbindung von Gefühl und Herz beschreiben. Auch klinisch ist inzwischen anerkannt, dass ein Gebrochenes-Herz-Syndrom veränderte Herzstromkurven im EKG zeigt.
Alles, was uns am Herzen liegt, machen wir mit Freude und Schwung. Damit ist unser Herz unser intimster Vertrauter. Wir hören auf unseren Herzensweg und sollten unserem Herzen gegenüber auch ein gebender Freund sein.
1 Werde übernatürlich, Dr. Joe Dispenza.
Was uns krank machen kann
Wir unterliegen inzwischen der Massensuggestion, dass Krankheit normal sei. Es wurde uns über Jahrhunderte beigebracht und eingeredet, dass wir selbst unseren Körper nicht beeinflussen können. Gesundheit ist jedoch der Normalzustand unseres Körpers.
Wenn du dieses Buch in den Händen hältst, bist du wahrscheinlich jemand, der neugierig ist. Jemand, der Zusammenhänge verstehen will und der vermutet, dass hinter Schmerzen und Beschwerden mehr stecken könnte als nur ein isoliertes Symptom.
Wenn du zurückschaust, wie würdest du das Verhältnis zu deinem Körper in der letzten Zeit beschreiben? Hast du ihn als Freund wahrgenommen? Auch wenn er an manchen Stellen schon ein wenig abgenutzt ist? Liebst du ihn so, wie er ist? Und bekommt er ab und zu eine Extraportion Beachtung, Pflege und ungeteilte Aufmerksamkeit?
Wünschenswert ist, dass aus einer reinen Nutzung – aus einer Vernunftsbekanntschaft – eine innige Beziehung zu deinem Körper entsteht, voller Freude, Leichtigkeit und Achtsamkeit.
Wie gehst du mit meinem Buch um? Den ersten Teil kannst du dir wie ein großes Puzzle vorstellen.
Jeder Abschnitt, jeder Bereich und Teilbereich ist ein Puzzleteil. Puzzlestücke, die ich in den 58 Jahren meines Lebens und meiner 30-jährigen Berufserfahrung gesammelt und als Schatz verwahrt habe. Manche Teile bestehen aus Erfahrungen, manche aus Erlerntem. Einige Stücke sind das Wissen, das schon immer da war, und dazwischen gibt es das, was ich als Erkenntnisstücke bezeichnen möchte.
Wie beim echten Puzzle bastele ich zuerst einmal an einem bestimmten Punkt, dann vervollständige ich eine andere Stelle. Anschließend fange ich mit der Himmelslinie an. Danach entdecke ich ein Puzzleteil, das zum linken Rand gehört. Und so arbeite ich mich Stück für Stück vorwärts und nach innen, bis zum letzten freien Puzzlefeld.
Zusammen ergibt es das große Ganze. Das letzte Stück, das ich in die Lücke gesetzt habe, ist meine Erkenntnis, meine Essenz:Dein Körper liebt dich von ganzem Herzen.
Du kannst das Buch als Einladung verstehen, sich mit mir auf eine Entdeckungsreise zu begeben. Das geschieht wie beim Puzzeln: Auf einmal hast du das richtige, passende Stück in der Hand. Wir üben uns im Beob-Achten. Wenn du dich durch den ersten Teil des Lesebuchs gearbeitet hast, bin ich mir sicher, dass wir die gleiche Erkenntnis teilen werden. Jeder kann von sich sagen: Mein Körper liebt mich!
Im zweiten Teil des Buches schildere ich Symptom-Geschichten, die ich in meinem Praxisalltag erlebe. Ich habe diesen Abschnitt „Plaudereien aus dem Nähkästchen“ genannt. Die Beobachtungen eignen sich zum Stöbern und zum Nachschlagen und können so ein im Alltag erprobtes Potpourri sein, das dir viel Gelegenheit zum Schmunzeln geben wird. Du wirst in Gedanken ganz oft „Aaahaaa“ sagen können.
Darf ich vorstellen: dein Körper
Wenn du dich ganz offen und mit neuem Blick daran machst, deinen Körper kennenzulernen, erlebst du ihn aus einer völlig neuen Perspektive. Du machst Bekanntschaft mit einem Körper, der dir neuartig und wundersam erscheinen wird. Vielleicht wird es dir vorkommen, als dürftest du einen Menschen neu kennenlernen, der dir täglich spannende und interessante Geschichten erzählt. Und in den du dich immer mehr verliebst, manchmal auch auf den ersten Blick.
Es kann auch sein, dass du deinen Körper ganz anders erlebst. Vielleicht wie eine liebevolle Mutter. Eine Mutter, die alles für ihr Kind gibt, die über ihr Kind wacht, es unterstützt, stärkt und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften beschützt.
Oder dein Körper kommt dir vor wie eine Landschaft, durch die du in Gedanken reisen kannst. Mit Hügeln und Schluchten, warmen und kühleren Regionen, schwierigen, vielleicht schmerzhaften Gegenden und anderen, die sich einfach nur gut anfühlen.
Interessant ist, dass viele Vorstellungen über unseren Körper eigentlich von außen kommen und gar nicht von uns selbst erfühlt worden sind. Zum ThemaUmdenkenundneue Sichtweisen einnehmengibt es eine schöne Geschichte, die mich sehr inspiriert hat:
Der Wettkampf der Frösche
Drei Frösche treten gegeneinander an. Sie möchten um die Wette auf einen Berg hüpfen.
Das gesammelte Volk der Frösche trifft sich, um dem Spektakel zuzusehen. Es jubelt und feuert die Frösche vorab an. Aber immer wieder werden Rufe laut: „Diese Wette ist nicht zu schaffen. Der Aufstieg ist zu schwer für Frösche. Ihr werdet sehen, das schafft keiner.“Der Wettbewerb startet am nächsten Morgen, und die drei Frösche erklimmen den Bergfuß.
Ihr Weg wird steiler und damit mühsamer. Am Mittag gibt der erste Frosch auf, er ist zu schwach geworden und hüpft wieder abwärts. „Oh, oho“, sagen die Zuschauer. „Du hast es gut gemacht, aber wir haben es ja gleich gewusst, das ist zu schwer für Frösche.“
Eine Stunde später gibt der zweite Frosch auf.
Das Volk hat nichts anderes erwartet, denn dieses Unterfangen ist einfach nicht zu schaffen, und es spendet auch dem zweiten absteigenden Frosch lautstark anerkennenden Applaus. Dem dritten Frosch rufen alle zu: „Komm runter, hör auf zu hüpfen, es ist zu schwierig, du schaffst das sowieso nicht!“
Doch der dritte Frosch klettert und klettert und ist voller Kraft und Mut, bis er ganz oben am Berg ankommt und dem Fröschevolk zuwinkt. Die Zuschauer sind sprachlos.
Dann macht auch er sich an den Abstieg und als er unten wieder ankommt, fragen sich die anderen: „Warum ist er weiter geklettert? Warum hat er nicht beachtet, dass wir geschrien haben, er solle aufhören?“
Da stellt sich heraus, dass der Frosch taub ist und die Rufe und Ängste des Volkes gar nicht gehört hat.
Fazit: Höre als Erstes auf deine eigenen Empfindungen und nicht so sehr auf die Meinung anderer.
Wie ein Chamäleon müssen wir uns schon als Kind an unsere Umwelt anpassen – eine Überlebensstrategie. Wir übernehmen die Gefühle, Gewohnheiten, die Kleidung, Haltung, Charaktere der Menschen, die uns umgeben. Täglich wechseln wir auch als Erwachsene die Farben, je nachdem, bei wem und in welcher Situation wir uns gerade befinden. Ein Mischmasch an Farben entsteht so. Das meiste davon gehört nicht einmal zu uns.
Wen wundert es da, dass viele Menschen mit steigender Belastung in Beruf und Privatleben an Grenzen geraten? Irgendwann melden die Organe, der Rücken oder der Körper: „Stopp!“
Ob Stoffwechselstörung, Allergie, Organschwäche, sogenannte Hyperaktivität oder Leistungseinschränkungen beim Rechnen oder Schreiben – alles hat einen Sinn für uns. Finden wir den wahren Grund des Verhaltens bzw. der Erkrankung, kann sofort ein Umdenken, ein Umfühlen beginnen, was eine große Erleichterung für uns in unserem Leben darstellt.
Unsere ganz persönliche Entwicklung
Unser Gehirn ist bereits sehr alt. Direkt zum Einstieg ein paar Fakten und Zahlen.
Unsere Erde ist ungefähr 4,5 Milliarden Jahre alt, erste Bakterienkolonien entstanden vor ca. 3,7 Milliarden Jahren.
Man nimmt heute an, dass die Menschwerdung vor etwa 8 bis 5 Millionen Jahren begann. Vor ungefähr 2 Millionen Jahren entstanden erste Formen des Menschen mit „menschlichem Gehirn“, der sogenannte Urmensch.
Es liegen Millionen Jahre der Entwicklung und Anpassung im generationsübergreifenden menschlichen Leben. MILLIONEN!
Die ersten Arten des Homo habiens, des geschickten Menschen, lebten in Ostafrika. Die bislang bekannten Funde von Menschen wurden auf ein Alter von ca. 2,1 bis 1,5 Millionen Jahren datiert.2Unser Vorfahr Homo sapiens hatte alle anatomischen Merkmale des modernen Menschen (lateinischhomo sapiens: Verstehender, verständiger Mensch). Der sogenannte Frühmensch lebte vor ca. 40.000 Jahren – also vor 160.000 Generationen, wenn für eine Generation ca. 25 Jahre angesetzt werden. Erst spätere Arten wurden als Jäger und Sammler bezeichnet.
Wir sprechen hier also von einem Zeitabschnitt von mehreren Millionen Jahren.
Die Zeitangaben werden in der Wissenschaft sehr verschieden gehandhabt. Hier gibt es noch unzählige Ungereimtheiten. Für uns ist nur wichtig, ein Verständnis zu entwickeln, mit welch riesigen Zeitabständen wir es hier zu tun haben, bis aus simpleren Nervensystemen der Organismen die wohl komplexeste Struktur im Universum wurde: das Gehirn.
Auch wenn die Technologie sehr schnell fortgeschritten ist, sind wir in unserer Körperphysiologie noch lange nicht an die heutige hochtechnisierte und schnelllebige Zeit mit ihren vielen Informationen angepasst. Evolution braucht Zeit. Biologische Anpassungen an die Umweltgegebenheiten entwickeln sich sehr langsam. Diese Zeit haben wir in den letzten Jahren nicht irgendwie wundersam eingeholt.
Seit dem Beginn unserer Zeitrechnung sind im Moment 2023 Jahre vergangen. Bei der folgenden Betrachtung von Zeitabschnitten möchte ich mich nicht an Zahlen festhalten, sondern vielmehr Augen und Ohren für die Relationen öffnen und ein Bewusstsein dafür schaffen, in was für einem kurzen Zeitraum wir doch eigentlich erst schalten und walten.
Wenn wir uns die Entwicklung der Erde bis hin zum heutigen Menschen im Zeitstrahl eines Jahres vorstellen, ergeben sich interessante Vergleichsparameter.
Etwa im Oktober lebten die Saurier. Wir Menschen entstanden am 31. Dezember um die Mittagszeit. Auf ein Jahr gerechnet, in einem solchen Zeitstrahl gemessen, sind wir also gerade einmal einen halben Tag alt.
Zum besseren Verständnis rechnen wir häufig in Generationen: Bisher wurde eine Generation von der Geburt eines Elternteils bis zur Geburt seines Kindes mit 25 Jahren berechnet. Inzwischen wird die Generationsspanne für heutige Verhältnisse mit dem Faktor 31,7 berechnet. Wir bleiben hier der Einfachheit halber bei 25 Jahren. Die Beispiele an sich sind beeindruckend genug.
All diese Zahlen sind grob über den Daumen gepeilt, weil der Schwerpunkt der Betrachtung hier nicht auf den Zahlen liegen soll, die je nach Quelle und Studie variieren können. Vielmehr soll die zeitliche Einordnung zu einem besseren Verständnis für unseren eigenen, jetzt lebenden Körper und seine Sprache gehen.
Vor fünf Generationen, also vor 125 Jahren, lebte ein Großteil der Menschen von der Landwirtschaft. Der Tageslauf wurde durch die Arbeit in der Natur bestimmt. So ging man nach der Feldarbeit und dem Abendessen zur Ruhe.
Im Winter beschäftigte man sich mit handwerklichen Notwendigkeiten, wie Besen binden, flicken, nähen, Kleidung oder Bänder stricken, Strohsäcke stopfen.
Man unterhielt sich am Abend, löste gesprochene Rätsel, machte selbst Musik, sang und tanzte.
Die Zeit des Zubettgehens war im Sommer um 7 Uhr abends, denn man stand um 3 Uhr wieder auf. Im Winter gingen die Menschen etwa um 23 Uhr zu Bett und standen um 6 Uhr wieder auf.
Man ging sehr viel zu Fuß, fuhr ein Fuhrwerk oder ritt auf Pferden. Die Fortbewegung war insgesamt beschwerlicher. Zumeist wurden die Ehepartner vermittelt und es wurde nicht unbedingt eine Liebesheirat erwartet.
Und die Kinder?
Die Kinder kamen offiziell aus dem Kindlesbrunnen. Na, so einfach war das auch damals nicht. Die Wöchnerinnen gingen sofort nach der Geburt ihres Babys wieder auf das Feld oder bekamen ihre Kinder gleich auf dem Feld. Damals unterstützten sich allerdings die Frauen noch gegenseitig. Eine feste Rollenverteilung war überlebensnotwendig und alltäglich.
Jede Frau war gleichzeitig Hausärztin, Krankenpflegerin, Arbeiterin und Mutter und wusste über Heilkräuter, Verbände, Wickel und verschiedene Heilmittel Bescheid. Die Frauen hatten die Aufgabe, ihre Familie, also das eigene Rudel, zusammenzuhalten und dafür zu sorgen, dass alle gesund blieben. Sie sorgten für Geborgenheit, den Zusammenhalt und das Überleben der Familie.
Vor nur vier Generationen, also vor nur knapp 100 Jahren, hatten unsere Vorfahren, die wir leicht im Stammbaum finden können, nicht regelmäßig Strom.
Die meisten Familien lebten mit dem Licht des Tagesablaufes und des Feuers und sorgten mit Öllampen und Kerzen für Beleuchtung.
Erst nach dem Ersten Weltkrieg begann die Industrialisierung im großen Stil. Kriegsversehrte prägten das Bild der Gesellschaften und Familien. Notwendig war durch den Krieg die schnelle Entwicklung einer medizinischen Versorgung auch außerhalb der Familien.
Durch die Industrialisierung waren plötzlich große Teile der Bevölkerung gezwungen, außerhalb ihres dörflichen Umfeldes in Fabriken zu arbeiten. Es entstanden künstlich herbeigeführte Trennungen von Lebensbereichen. Landwirtschafts- und Handwerksbetriebe wurden oft als Familienunternehmen über mehrere Generationen geführt. Die Familie wohnte meist zusammen auf den Höfen. Das wurde nun anders.
Die Industrialisierung und die maschinelle Fertigung von Massenprodukten zwang die Menschen, sich räumlich für die Zeit der Fabrikarbeit zu trennen. Es entstand ein Gegensatzpaar: Arbeit versus Freizeit. Die stärker hervortretende Unterscheidung zwischen Arbeit und Freizeit erweckte außerdem das zusätzliche Bedürfnis nach noch mehr Konsum und Urlaub, was wiederum die Wirtschaft ankurbelte.
Die Nachrichtenübermittlung war im Gegensatz zu heute überschaubar. Mit der Tageszeitung kam maximal einmal am Tag das Neuste aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft auf den Frühstückstisch. Die Papierzeitung wurde nicht selten im Schein einer Kerze gelesen, denn die meisten Haushalte mussten noch ohne Stromversorgung auskommen: Erst zwischen 1925 und 1930 stieg die Zahl der mit Strom versorgten Haushalte von ca. 27 % auf 76 % an.
Warum ich das erzähle?
Weil wir Menschen immer davon ausgehen, dass wir der heutigen Technik und damit dem veränderten Tagesablauf auch nur annähernd angepasst sind oder sein müssen. Das ist mitnichten so. Wir haben das Handy immer in der Jeanstasche, sind rund um die Uhr erreichbar, machen zur Stressbewältigung Achtsamkeitstraining und Yoga, lesen Zitate von Konfuzius und glauben tatsächlich, dass wir unseren Arbeitsalltag wuppen, wenn wir nur genügend „Work-Life-Balance“ einhalten.
Doch um einer kollektiven Erkrankung der Gesellschaft entgegenzuwirken, sollte ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, welche Zeitabschnitte nötig sind, um sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Die Menschheitsentwicklung erstreckte sich über Millionen Jahre, und nun glauben wir tatsächlich, dass wir uns in weniger als 150 Jahren an neue Technologien auch körperlich vollends angepasst haben?
Hier, mein lieber Leser, darf ich etwas ent-täuschen.
Rein entwicklungstechnisch und physiologisch sind wir noch Steinzeitmenschen. Unser Körper ist auch nach heutigem Stand der Evolution noch immer im Einklang mit dem Naturgesetz, und dafür möchte ich ein Verständnis erwecken. Wir sind normal, wenn unser Körper mit Unregelmäßigkeiten zur Anpassung an einen ganz neuen technologisierten Alltag reagiert. Heute nennen wir diese Veränderung und Regulierung oder das Leiden an den Umständen allerdings Krankheit.
Ich möchte gern dazu beitragen, dass wir unseren Körper verstehen lernen. Das bedeutet, mit ihm zu arbeiten und nicht dauernd auf ihm herumzuhacken und Veränderungen als Mangel zu bezeichnen.
Die Errungenschaften der einzelnen Wissensgebiete zusammenzuführen und gleichzeitig die Genialität unseres Körpers zu verstehen, ist ein wertvolles, gesundendes und hilfreiches Ziel unserer Begegnung mit uns selbst.
Schauen wir uns nun das Mittelstück unseres Lebenspuzzles einmal näher an.
2 Friedemann Schrenk, Ottmar Kullmer und Timothy Bromage: The Earliest Putative Homo Fossils. Kapitel 9 in: Winfried Henke und Ian Tattersall: Handbook of Paleoanthropology. Springer Verlag, Berlin und Heidelberg 2007, S. 1611–1631.
Unser Gehirn
Ich möchte dieses Kapitel bewusst ganz einfach halten. Unser Gehirn ist so genial wie unser gesamter Körper. Hier soll es nur um ein ganz grobes Verständnis der Zusammenhänge zwischen Gedanken und Körper gehen.
Unser Gehirn verfügt, einfach gesagt, über zwei deutlich voneinander getrennte Gehirnareale oder -zentren.
Zum einen das unbewusste Reagieren und zum zweiten das bewusste, gesteuerte Denken. Nur 10 % unseres Handelns läuft bewusst ab.
Das lässt sich so veranschaulichen: In einer angenommenen Wegstrecke von 1000 m denken wir nur 50 m bewusst. Das heißt, 950 m laufen in unserem Kopf unbewusst ab.
Der Teil des Gehirns, der für die 50 m bewussten Gedankenschritte verantwortlich ist, heißt Neocortex oder Großhirnrinde. Das ist das Gebiet des freien Willens, der Willenskraft, der aktiven Bestimmung von Handeln, der Überlegung von perspektivischen Situationen und gezielten, „überdachten“Taten und des bewussten Handelns. Hier können wir willentlich Bilder hervorrufen, bewusst atmen und motorische Handlungen gezielt ausführen.
Wir können unser Bewusstsein vorübergehend verlieren, wenn der Neocortex ausgeschaltet wird. Ich lebe noch, atme, bin aber nicht im Hier und Jetzt. Der Neocortex ist evolutionär nach dem Mittelhirn entstanden. Durch Konzentration erreichen wir unsere fokussierte Gedankenwelt im Neocortex.
Die Großhirnrinde – unser in der Menschheitsentwicklung neu hinzugekommenes Gehirnareal – steuert das bewusste Denken, die Vorherplanung und komplexe Denkprozesse. Der damit verbundene Verstand gehört somit auch zu unserer ausgereiften Persönlichkeit. Ohne die Arbeit des Neocortex sind wir bewusstlos.
Fließend sprechen, lesen, rechnen, Gehörtes einordnen, in unserer bewussten Bildwahrnehmung Bekanntes mit Unbekanntem vergleichen und etwas strukturieren – das ermöglicht der Neocortex. Weil der „neue“ Gehirnteil erst zuletzt dazu gekommen ist, gebrauchen wir es noch sehr wenig. Es braucht eben Zeit, bis ein neuer Entwicklungsschritt vollständig integriert ist: Viele Tausend Jahre müssen vergehen, bis neu dazu gewonnene Gehirnanteile eingebettet sind und in vollem Umfang genutzt werden können.
Das Zentralhirn, Kleinhirn und der Hirnstamm
Diese Regionen regieren das Unterbewusstsein und entsprechen damit den 950 m aus unserem Beispiel.
Hier wird unser Körper in seinen Überlebensfunktionen gesteuert. Diese Hirnbereiche sind beim Menschen im Verhältnis zu anderen Säugetieren gleich groß wie bei allen Säugetieren. Also im Grunde ticken wir zu großen Teilen genau so wie unser Hund.
Das Mittelhirn ist evolutionär viele Millionen Jahre älter als die Großhirnrinde.
Dieses zentrale Nervensystem besteht im Groben aus den topographisch unteren Gehirnstrukturen. Es reicht also vom Kopf über das Rückenmark in der Wirbelsäule und ist zuständig für das Senden und Empfangen von Impulsen.
Um angemessen und sofort reagieren zu können, benötigt das zentrale Hirn also Informationen vom Körper, welche über ein riesig verbreitetes Nervengeflecht eingesammelt und nach oben geschickt werden.
Einfach ausgedrückt: Die gefühlten Fakten über den derzeitigen Zustand unseres Körpers werden als Botschaft vom äußeren zum inneren Nervensystem nach oben geleitet.
Beispielsweise: „Mir ist kalt.“
Diese Mitteilung wird sensorisch vom Körper wahrgenommen und nach oben zum Hirn gesendet, damit der Körper entsprechende regulierende Anweisungen erhält. Für eine körperliche Reaktion benötigt der Impulsgeber Gehirn also die verschiedenen Informationen vom Körper. Sofort werden Muskeln und Organe in Gang gesetzt, damit unser Überleben sichergestellt werden kann.
Vom Mittelhirn und den unteren Hirnstrukturen wird nun über eine entsprechende Chemie und verschiedenste Impulse eine Reaktion im Körper ausgelöst und gesteuert. Der Begriff „untere Strukturen“ bedeutet, dass diese Strukturen anatomisch unter dem Großhirn liegen und nicht, dass sie weniger wert sind.
Diese ganze Reaktionskette geschieht einfach so, von alleine, unbewusst. Und das ist auch sinnvoll, denn würden wir ständig über die Chemie unseres Körpers nachdenken, wären wir handlungsunfähig. Unbewusste Körpervorgänge sind beispielsweise unser Herzschlag, unsere Verdauung, unsere selbstständige Atmung und die reflexartige Steuerung unserer Enzyme und Hormone.
Jedoch können wir über eine bewusst gesteuerte Regulierung des Atems und der Motorik auch Einfluss auf Herzschlag und Verdauung nehmen. Durch Visualisieren, Meditieren und Selbsthypnose können neben Bewegung und Körperhaltung die sogenannten Lebensfunktionen zusätzlich bewusst beeinflusst werden.
Diesen sehr großen und wichtigen Teil des Gehirns – das Mittelhirn – haben alle Säugetiere.
Wir reagieren bei Alltagsschwierigkeiten, die als Gefahr wahrgenommen werden, ebenso gleich und unbewusst wie Tiere im Rudel. Das Unbewusste ist einfach unendlich schneller als die Logik. Bei körperlichen und sensorischen Wahrnehmungen, die als Bedrohung wahrgenommen werden, reagieren wir immer lebenserhaltend und für einen Rudelzusammenhalt. Wenn ich also eine Gefahr sehe, höre oder fühle, reagiere ich sofort und blitzartig unbewusst.
Das Mittelhirn ist sozusagen unser Gefühlshirn und hat großen Einfluss auf unser Verhalten. Weil dieses Gebiet so lebenswichtig ist und auch noch ein selbstregulierendes Kontrollsystem des Körpers bildet, ist es praktischerweise noch zusätzlich unterteilt.
Auch hier die Kurzversion: Es gibt das sympathische und das parasympathische Nervensystem.
Sympathisch reagieren wir automatisch auf eine Notfallsituation. Der Körper wird für Gefahrensituationen sofort auf Flucht, Aktivität, Hochleistung, Kampf, Aggression oder auch auf den Totstellreflex, das Erstarren vorbereitet. Diese Energie bleibt länger im Körper erhalten.
Ein Beispiel für das Wirken des Sympathikus: Wenn ein vermeintlicher Gewalttäter hinter dir her ist, wird dein Körper ruckzuck auf Flucht programmiert. Beine und Arme werden sofort durchblutet, die Muskeln aktiviert. So kannst du schneller als üblich rennen. Dazu steigt der Blutdruck, die Atmung wird schneller und das Labor im Hirn stellt unter anderem eine große Portion Adrenalin zur Verfügung. Dieser Cocktail beschleunigt den Körper massiv und verringert die Schmerzwahrnehmung.
Das parasympathische Nervensystem ist als Gegenspieler zu sehen. Es sorgt für Ruhe, Schlaf, Verdauung, Regeneration und Fortpflanzung. Wir speichern mithilfe des parasympathischen Nervensystems Vorräte (für die nächste Attacke), regenerieren, wachsen und gesunden. Wenn wir Menschenwesen sicher einem Angriff entkommen sind, unsere Flucht also gelungen ist, benötigt unser Körper Regeneration, Ruhe und Wachstum. Dafür sorgt unser parasympathisches System.
Unser heutiger Alltag ist allerdings durch das Maß an Technik, mit dem er durchdrungen ist, ein ganz anderer als der, auf den uns die Evolution in Jahrmillionen vorbereitet hat. Durch die Flut an nie endenden Informationen, die oft einfach nur virtuell auf uns einprasseln, wird unser Körper permanent in Alarmzustand versetzt und gerät in einen Flucht- und Kampfmodus, aus dem er gar nicht mehr aussteigen kann – außer wir geben ihm aktiv seine wohlverdienten Ruhepausen.
Die sozialen Medien schüren besonders bei Jugendlichen, aber auch bei vielen Erwachsenen den Leistungsdruck, Konkurrenzkampf und Anpassungszwang.
Der kleine Bildschirm der Smartphones, in dessen begrenztem Rahmen sich das gesamte Leben abzuspielen und widerzuspiegeln scheint, strapaziert die Konzentration, die Nackenmuskulatur und den Sehnerv, der direkt mit dem zentralen Nervensystem gekoppelt ist.
Damit steht unser Körper überwiegend unter einem erhöhten Adrenalinpegel. Nutzen wir digitale Technologien zum Beispiel wie die sogenannten „digitalen Nomaden“ rund um die Uhr und spartenübergreifend – nämlich für private Kommunikation, Beruf, Unterhaltung und Nachrichten – überflutet ein künstlicher Hormonausstoß fast nonstop unsere Zellen und sorgt so für eine neurohormonale Dauerstressreaktion.
Die pausenlose Anspannung des sympathischen Nervensystems wiederum gibt dann wenig Raum für Gesundung, Regeneration, Wachstum und Zellerneuerung. Im Gegenteil, die Überbeanspruchung schädigt sogar Gefäße, Zellen und Immunsystem und macht uns auf Dauer schwach und krankheitsanfällig.
Wenn man sich klarmacht, welche großen Auswirkungen bewusste oder auch unbewusste Gedanken auf unser gesamtes Sein haben, wird es interessant.
Es geht in diesem Kapitel um die Wichtigkeit unserer unbewussten Gedanken, welche in der Eile vom Neocortex noch nicht ausreichend geprüft und strukturiert werden konnten.
Den Großteil unseres Lebensalltages gestalten wir tatsächlich noch immer ohne den Einsatz des Großhirns. Somit liegt die Zentrale unserer hauptsächlichen Handlungsstrategien im täglichen Verhalten noch immer im Mittelhirn. Blitzschnell werden im Alltag die gegebenen Situationen mit alten Erfahrungen, Erlebnissen, Überlebensstrategien und dem Bedürfnis nach Geborgenheit und Frieden vom unteren Hirnareal regiert.
Oft wird das menschliche Denken und Handeln auch mit einem Eisberg verglichen, von dem nur die obere Spitze sichtbar ist und der unter Wasser liegende erst seine wahre Größe entfaltet. Der größte Teil des Eisbergs unter Wasser steht in diesem bildlichen Vergleich für das Unterbewusstsein. Das Bewusste dagegen macht nur 5 % aus. 95 % des Tagesgeschehens wird durch einen völlig unbewusst gesteuerten Chemiecocktail im Gehirn ausgelöst. Dieser bestimmt, welche Gefühle wir fühlen und wie unser Körper darauf reagiert.
Ein Überbleibsel aus unserer Evolution ist das sogenannte Aushaken. Meist völlig unpassend und wenig gewinnbringend hakt sich unser Großhirn manchmal vom Mittelhirn ab. Bei übergroßen Gefühlen wie Wut, Hass, Angst oder auch Verliebtheit hakt sich das Großhirn aus. Wir kennen den Spruch: „Ich glaube, bei dir (oder bei mir) hakt es aus.“ Jawohl, das ist tatsächlich so.
Was bei Fluchttieren noch absolut überlebensnotwendig ist, kommt uns Neuzeitmenschen heute nicht immer wirklich zugute. Denn dann sind wir nur noch vom Gefühlshirn gesteuert und haben wegen der Unverbundenheit zum Großhirn keinen Zugang zu überlegten und diplomatischen Handlungen. In so einem Fall reagieren wir nur noch – aus heutiger Sicht – ohne Sinn und Ziel. Dieses Handeln und Aushaken war jedoch für unsere Vorfahren noch dringend zum Überleben notwendig.
Praktisches Beispiel:
Schon allein bei dem konkreten Gedanken: „Schade, meine Freundin kommt mich heute nicht wie geplant besuchen“, wird sofort ein Chemie-Cocktail gemischt, und du fühlst dich traurig. Deine Körperhaltung passt sich diesem Zustand in Sekundenschnelle an, du lässt die Schultern hängen, der Kopf ist ein wenig nach unten gebeugt. Du lässt „die Ohren hängen“. Dir ist vielleicht kalt und du fühlst dich kraftlos. Kommt plötzlich die Nachricht, dass die Freundin heute doch noch kommt, wird ein neuer Cocktail gemischt. Sofort fühlst du dich erleichtert und fröhlich, dein Körper ist beschwingt und fühlt sich lockerer und flexibler an.
Dieser Zusammenhang eröffnet dir die Möglichkeit, deinen Körper aktiv zu beeinflussen und zu überlisten. Wie? Probiere einmal Folgendes aus: Verändere ungefähr für eine Minute deine Mimik absichtlich zu einem Lächeln. Lass deine Mundwinkel einfach nach oben wandern, auch wenn du keinen Grund verspürst, wirklich zu lächeln. Selbst wenn du das Lachen nur vortäuschst und das Ergebnis eher einer Grimasse gleicht, löst du durch die Anspannung der Muskeln im Gesicht einen Druck auf den fünften Hirnnerv aus, den Nervus trigeminus. Damit denkt das Gehirn nach 60 Sekunden, du wärst glücklich. Und was passiert? Du fühlst dich tatsächlich deutlich wohler. Probiere es bitte einfach einmal aus. Morgens eine Minute absichtlich lächeln, das Gesicht entsprechend formen und schon reduziert sich die Anspannung im Körper und du kannst entspannter in den Tag starten. Ein freundliches „Guten Morgen“ in den Spiegel verstärkt die gute Laune.
Praktisches Beispiel:
Du gehst am Strand spazieren und siehst, dass in den Dünen zwischen dem schönen Seegras Müll herumliegt. Wie reagierst du?
Du kannst dich ganz dem Ärger hingeben und dich über den Müll aufregen, ihn einsammeln, deinen Spaziergang abbrechen und dich an der Hotelrezeption beschweren.
Oder du konzentrierst dich trotz des flatternden Papiers auf das Schöne des Augenblicks:
Den Sand, das Wasser, die Muscheln, den Wind in deinem Haar und die wunderbare Küstenlandschaft. Wenn du deinen Fokus auf die ursprüngliche Schönheit der Natur lenkst, wird das Chemielabor in dir sofort reagieren. Vielleicht wirst du das Papier aufsammeln, aber du wirst voller Dankbarkeit die Fülle der Natur genießen können, die dich umgibt.
Unsere unbewussten Gedanken steuern unser Leben täglich und rufen mit kurz- und langfristig Reaktionen im Körper Gewohnheiten und Körperhaltungen hervor. Wenn wir uns täglich darauf konzentrieren, Gefahren im Leben zu erwarten, werden wir auch viele Gefahrenquellen finden und unser Körper ist ständig in Habachtstellung. Dazu benötigt der Körper allerhand Adrenalin im Chemiecocktail. Auf Dauer wird es anstrengend und wir werden schneller krank. Ist meine Aufmerksamkeit auf schöne Dinge konzentriert, wird mir häufiger etwas auffallen, das mich freut. Ich nehme ein Glücksgefühl wahr und habe damit eine völlig andere Körperchemie und Körperhaltung, die wiederum mein Immunsystem stärkt, weil ich mich im Frieden und in Geborgenheit fühle.
Denn wir haben noch einen besonderen Teil im Hirn – das Frontalhirn – direkt hinter der Stirn, mit dem wir in der Lage sind, unser Bewusstsein aktiv zu steuern. Damit können wir bewusst und gezielt unsere Gedanken beeinflussen und sogar kreativ sein. In diesem Zusammenhang finde ich den Begriff „engstirnig“ sehr interessant. Wer nicht gut umdenken kann und wenig kreativ ist, wird engstirnig genannt. Hier ist das Frontalhirn beengt.
Nach bisheriger Erkenntnis unterscheidet uns genau dieser Aspekt, kreative Lösungen bewusst zu erdenken, von den Tieren. Ich glaube jedoch, dass wir Tiere unterschätzen. Unser bewusstes neues Denken löst die entsprechende Chemie im Gehirn aus. Diese wiederum reguliert unseren Körper in seiner gesamten Struktur, in seiner Chemie, in seinem Wirken.
Wir können über den Körper unsere Gedanken ändern. Stell dir vor, du bist abgeschlafft und müde und nimmst dadurch eine entsprechende Körperhaltung ein. Das passiert wie von selbst, denn dein Körper hört auf dich und fühlt, was du fühlst. Die Schultern hängen herunter, dein Kopf senkt sich nach unten, du sitzt zusammengekauert mit entsprechender Mimik auf einem Stuhl. Deine Augen wirken glanzlos, die Wangen sind blass, deine Mundwinkel bewegen sich in Richtung Kinn oder Knie. „Ich bin ja sooo müde …“
Nun richte einmal bewusst und absichtlich deinen Körper auf, stell dich trotz Müdigkeit aufrecht hin, nimm die Schultern nach hinten, Bauch rein, Po raus. Dein Gesicht bringst du zu einem Leuchten, du strahlst, lächelst. Stell dir vor, du stehst auf einer Bühne und wirst bejubelt! Halte diese Stellung fünf Minuten lang, gib alles! Einfach so, nur um es auszuprobieren, obwohl du jetzt gerade müde bist. Probiere es einmal dir selbst zuliebe aus: Was passiert?
Sofort werden entsprechende Hormone ausgeschüttet, dein Chemiecocktail im Gehirn und damit im Blut angepasst und du fühlst dich deutlich wohler. Mit dem Gefühl eines beachteten Siegers oder eines stolzen Menschen kannst du einfach schlechter abgeschlafft, lasch und lustlos sein.
Fazit: Auch durch eine aktiv gesteuerte Veränderung der Motorik, einem bewussten Wechsel deiner Körperhaltung und Muskelspannung, mit einer Korrektur deiner Mimik kannst du eine Regulierung im Gehirn und damit in deiner Chemie in Gang setzen. Wir können also unsere Aufmerksamkeit, unsere Gedanken und damit unsere Gefühle bewusst verändern und lenken. Was wir denken wollen, können wir uns ausdenken. Denn wir sind nicht ferngesteuert von Körper und Geist, wir haben die Wahl, unsere Aufmerksamkeit zu kontrollieren, wir geben den Ton an.