Scheibensommer
Michael Pick
Impressum © 2025 Michael Pick
Alle Rechte vorbehaltenDie in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten realen Personen ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.Kein Teil dieses Buches darf ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Herausgebers reproduziert oder in einem Abrufsystem gespeichert oder in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise elektronisch, mechanisch, fotokopiert, aufgezeichnet oder auf andere Weise übertragen werden.CopyrightMichael PickImkenarde 15g23898
[email protected]Scheibensommer
Lyrik
Michael Pick
Sommerscheiben
Auf Zehenspitzenüberblickt er die Hügelkuppe,wo unter Eichenkronen Tische leuchten,und eine Frau im weißen Sommerkleiddie Schlange der Gäste dirigiert—leicht wie Wind.
Er tastet nach den Sommerscheibenin seinen Hosentaschen,während Musik vom Hang herüberweht,Bäume dazu tanzen,Jungen rufen, Röcke fliegen,und die Alten im Grasmit jungen Augen lächeln.
Die Äpfel spannen die Taschen.Vorhin noch prächtig,jetzt plötzlich mickrig:der eine schrumpelig,der andere mit brauner Stelle.Zwei Stück. Nicht mehr.
Er stolpert fast vor ihre Füße.Sie lächelt, Augen voll Licht;sein Herz steht in Flammen.Finger graben in Stoff—zwei kleine Sommermünzenglänzen in seiner Hand.
In der Mitte des Tischesschiebt sie einen Platz frei,eine schlichte Holzschale wartet.Sie legt die Sommerscheiben hinein.„Danke“, flüstert sie,so leise, dass es alle hören,und doch nur er gemeint ist.
Die Blicke der anderenwerden leicht.Ein Lächeln huscht über sein Gesicht.Den Rest des Festeslehnt er an einen Baumund betrachtet sein Mädchenim weißen Sommerkleid.
Heute kommt Marie
Beinahe falle ich aus dem Bett,so viel Eile in den Knochen,so wenig Plan, womit beginnen.
Heute kommt Marie.Ich rufe es in die leere Wohnung,die Worte flitzen durch zwei Zimmer,springen aus dem Fenster wie Spatzen.Ich reiße es auf, lüfte die Freude,denn Marie liebt frische Luft.
Ich greife zur Hose für ungerade Tage,obwohl Sonnabend ist,ziehe das Hemd an – anlassbezogene Nutzung,wichtig und ein bisschen bescheuert.Im Spiegel suche ich meinen Mund,Rasierschaum erbricht sich auf die Finger,Klinge über Haut, eine letzte Tube Zahnpastalächelt aus dem Schrank.
Heute kommt Marie.Ein fester Termin im leeren Kalender,rot unterstrichen, damit er weit zu sehen ist.Die Tür fällt ins Schloss;auf dem Flurplan ist mein Name durchgestrichen,als wohnte ich hier schon lange nicht mehr.Mag sein – ich war nie ein großer Treppenputzer.
Die Stadt verändert sich, während ich gehe.Die Leningrader Straße heißt anders –»Wir müssen jetzt mit der Zeit gehen«,sagt eine Stimme, und mir wird bange:Wohin nimmt die Zeit mich mit?
Links trägt eine Hochbrücke Autos über den Mühlenteich,sie führt mich am alten Lokschuppen vorbei,Ziegel, politisch rot, jetzt blass,Türen, die im Wind Geschichte schlagen.Ich mag die alten Gebäude,vielleicht, weil wir uns ähneln.Doch nicht heute. Heute kommt Marie.
In Pfützen sehe ich mich vor fünfzehn Jahren:Ich wollte die Welt verändern.Die Welt hat sich verändert – ohne mich.Also halte ich fest, was bleibt:Marie ist die Konstante.
Im Lindengarten liegt Zeit begraben,eine Sonnenuhr wie ein Grabstein,umstanden von Linden,die ihren Schatten über Zahlen legen.Vielleicht geht es gar nicht um die Stunde.Vielleicht schwimmen in dieser Uhr Seelen –auch meine.Ich denke schnell an Marie,und die dunklen Gedanken zerreißen wie Wolken im Sturm.
Der Lindengarten endet am Bahnhof –wie es sich gehört: Anfang, Ende, Bewegung.Der Bau ist grau geworden, ein wenig nachlässig,Urin im Tunnel, Ferne auf den Bahnsteigen,über den Bänken der Nebel der Sehnsucht.Unter dem Dach stauen sich Gedanken:Abschied, Freude, Tränen, Umarmung.Ankunft.Heute kommt Marie.
Manchmal wünschte ich, ich wäre Fremder,alles in Weiß gehüllt,neu zu färben nach meinem Blick.Die Kirche, groß geraten, hieße wie sie;
---ENDE DER LESEPROBE---