0,00 €
Scherben enthält drei Horrorgeschichten von Daniel G. Spieker.
Ein Mann entscheidet sich mit einer Puppe durchzubrennen, Sand überrascht zwei junge Studenten, ein Hauskauf bringt einen seltsamen Mieter mit sich.
- Friedrich fährt mit einer Puppe nach Spanien
- Sand
- Der Mieter
Daniel G. Spieker schreibt und spricht vom Untergang. Er begegnet Horror immer wieder zwischen traditionell und experimentell und versucht neue Facetten aus dem Genre zu kitzeln. Neben Scherben ist er auch der Autor von Ausgelöscht, Ein gutes Leben, Restmensch, Asche, Das Licht der Ankunft und entwickelt Computerspiele (SmokeSomeFrogs).
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Friedrich fährt mit einer Puppe nach Spanien
Sand
Der Mieter
Danksagung
Leseprobe: Restmensch
Diese Puppen sind nur ein Ersatz für Männer, die keine richtige Frau haben können, sagten sie. Sie starrten mich angewidert an, wenn ich mit Lana zusammen im Auto saß. Ich wusste, dass sie auf der Arbeit über mich lästerten. Der Friedrich ist jetzt meschugge, hat den Tod seiner Frau nicht verkraftet. Jaja. Ich durfte kein Glück haben, nichts, was nicht ganz normal war. Man muss genau so sein, wie sie wollen, sonst lachen sie über dich. So war das immer, so wird das immer sein.
Aber das würde diese Woche endlich vorbei sein. Der vorzeitige Ruhestand.
Als Silke noch gelebt hatte, wollte ich nicht früher in Rente gehen. Damals hätte meine Rente für uns beide reichen müssen, denn das bisschen, das sie bekommen hätte, wäre kaum ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen. Aber nun war Silke seit drei Jahren tot und ich hatte es satt, das alles ertragen zu müssen. Ich würde Jahre früher in Rente gehen – zwar mit massiven Einbußen, aber die letzten Jahre hatte ich von der Hand in den Mund gelebt, um mir das leisten zu können. Das Haus würde ich verkaufen und dann zusammen mit Lana irgendwo hinziehen, wo uns keiner kannte. Weit weg nach Spanien ins Niemandsland. Lana und ich, ganz allein, ohne diese ganzen urteilenden Blicke, und die letzten 20 Jahre genießen.
Morgen war der letzte Tag. Ich überlegte, nicht hinzugehen, aber es hatte ja auch gute Zeiten gegeben. Für Heinrich und Uwe hatten sie eine kleine Feier im Büro vorbereitet, kurze Ansprache, billiger Sekt. Ich wusste, dass ich mich ärgern würde, wenn ich zu Hause bliebe.
Ich wachte neben Lana auf und kuschelte mich an ihren weichen, nackten Körper. Es war 6:30 Uhr. Der letzte Tag in meinem Leben, an dem ich so früh rausmusste.
Ich stand zähneknirschend auf, machte mir eine Tasse Kaffee und starrte nach draußen. Es regnete und der Wind war stärker als sonst – zog ein Sturm auf? Ich hatte keine Lust das Haus zu verlassen, aber ging trotzdem. Genervt stieg ich ins Auto und fuhr die fünf Minuten. Silke und ich hatten das Haus damals so nah wie möglich an der Arbeit gekauft. Ich parkte auf meinem üblichen Platz, stieg aus, lief schneller, um nicht allzu nass zu werden und betrat das Gebäude. Direkt im Eingangsbereich hatte damals die Belegschaft gewartet und Heinrich und Uwe mit kleinen Geschenken begrüßt.
Zu meiner Überraschung gab es keinen Empfang. Niemand beachtete mich großartig. Nicht mal ein besonderer Gruß von der Sekretärin. Wahrscheinlich war kollektiv entschieden worden, dass ich das nicht verdient hatte oder man hatte mich schlichtweg vergessen. Ich räumte ein paar Sachen vom Schreibtisch und verließ das Gebäude. Der Regen peitschte mittlerweile noch stärker und als ich im Auto saß, war ich völlig durchnässt. Ich würde nicht mehr wiederkommen. Ich wollte diesen Ort nie wieder sehen. Ich hatte die letzten zwanzig Jahre kaum gefehlt und das war der Dank. Weder die Sekretärin am Eingang, noch die Kollegen in der Abteilung selbst, noch der Chef. Nicht mal eine Flasche billiger Wein auf dem Tisch. Nichts wert, alles umsonst. Ich wischte mir ein paar Tränen aus dem Gesicht und hatte das Gefühl mein Leben verschwendet zu haben. Die Genugtuung, die ich spürte, weil ich früher gegangen war, war lächerlich, peinlich, banal und das wusste ich.
Als ich zu Hause angekommen war, wechselte ich schnell die Klamotten. Dann setzte ich mich auf die Couch im Wohnzimmer und schüttete mir ein Glas Wein ein, stürzte es herunter. Es kam mir seltsam vor, dass mich das so mitnahm. Gedanken daran, dass ich ja auch irgendetwas Interessanteres hätte machen können; Autor sein oder Musiker. Aber ich hatte keine Ideen für Geschichten und war absolut talentlos was Musik betraf. Ich spülte die Gedanken mit einem weiteren Glas weg, stand auf und setzte mich dann zu Lana, die immer noch im Bett lag.
»Arbeit war nicht gut. Da hat niemand auf mich gewartet«, sagte ich. »Niemand wird mich da vermissen.«
Ich schaltete den Fernseher ein. Ein Krimi lief. Nach und nach trank den Rest der Flasche leer. Irgendwann legte ich die Flasche zur Seite und schaltete den Fernseher aus. Ich konnte der Handlung sowieso nicht mehr folgen. Völlig kaputt zog ich mich aus, legte mich hin und schaute zu Lana. Mein Kopf war schwer vom Alkohol.
»Ich wünschte, du wärst echt. Dass du mit mir redest«, lallte ich und fing an zu weinen.
Sie streichelte über meinen Kopf. »Es wird alles gut, Friedrich.«
Ich schlief lächelnd ein.
»Guten Morgen, Friedrich.«
Der Duft nach frisch aufgebrühtem Kaffee und Rührei. Lana stand neben dem Bett und hielt ein Tablett. Ich brauchte eine Sekunde, um zu realisieren, was gerade passierte. Ich wich zurück.
»Was bist du?«
»Lana. Deine Lana. Friedrich, du hast mich doch schon seit zwei Jahren.« Zum ersten Mal machte sie einen Gesichtsausdruck: Sie war verwundert – auch wenn ihre Augen seltsam leer blieben.
»Aber ...«
»Friedrich. Du hast dir das gewünscht. Weißt du nicht mehr?«
Dunkel erinnerte ich mich an gestern. Kopfschmerzen fluteten mein Gehirn.
»Weißt du, wo die Aspirin sind?«
»Hier auf dem Tablett!« Sie grinste verschmitzt und stellte es neben mir ab. Kaffee, Aspirin, Zigaretten, ein Aschenbecher und Rührei mitsamt Gabel.
Ich spürte, wie eine Träne über meine Wange rollte. Ich war glücklich. Ich war verwirrt. Träumte ich?
»Ist das ein Traum?«, fragte ich und kam mir dabei ziemlich dumm vor.
»Nein, Friedrich, das ist alles echt.«
Ich nahm die Aspirin und schluckte sie mit etwas Kaffee herunter. Wenn es nur ein Traum war, dann war es zumindest ein schöner. Das konnte ich ja auch einfach genießen.
Ich aß das Rührei und trank den Kaffee aus, dann zündete ich eine Zigarette an. Inhalieren. Tief ein- und ausatmen. Das tat gut. Ich drückte die Zigarette nach der Hälfte aus und überlegte einen Augenblick. Ich wollte austesten, was jetzt möglich war.
»Mach’s mir mit dem Mund.«