Schicksal Hollywood - Rebecca Binchy - E-Book

Schicksal Hollywood E-Book

Rebecca Binchy

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Beschreibung

Die strahlenden Seiten des Lebens und der Karriere der Filmikone Doris Day sind vielen bekannt. Mit diesem biografischen Roman werden auch die Wechselfälle ihres Privatlebens einfühlsam beschrieben. Bei vier Ehen und den zahlreichen Auf und Abs der Unterhaltungsindustrie in den USA ergibt sich ein lohnender Blick hinter die Kulissen Ein Roman, der nicht nur Filmliebhaber begeistern wird!

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Seitenzahl: 345

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-437-1

ISBN e-book: 978-3-99130-438-8

Lektorat: Falk-M. Elbers

Umschlagfoto: Fiverr – Sienna Arts

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: www.alamy.de, Cincinnati Enquirer

www.novumverlag.com

Vorwort

Dieses Buch basiert auf verschiedensten Quellen über das Leben der Schauspielerin Doris Day, wobei mir ihre Autobiographie aus dem Jahr 1976 die liebste war. Alle Beschreibungen, Geschehnisse und Szenen, auch die erste, sind vor dem Hintergrund der verfügbaren Aufzeichnungen über ihr Leben entstanden und haben einen wahren Hintergrund und doch ist und bleibt es ein Roman.

Filme wie „Bettgeflüster“ aus dem Jahr 1959 mit Rock Hudson haben sie weltweit zum Star gemacht. Dieses Buch erzählt ihr Leben abseits der Filmsets, so wie es war oder hätte sein können.

Carmel-by-the-Sea, Kalifornien, 1987

Doris trug noch fast das Blond ihrer Jugend, sie hat sich etwas zurechtgemacht, nichts Auffälliges, aber doch schick. Das Haar geföhnt, ein leichtes Make-up, sie war 65 und sah gut aus. Die schwindende Berühmtheit empfand sie nicht nur als Segen, es war mehr als das: Sie genoss jeden einzelnen Tag, denn sie hatte ihre Herzensaufgabe gefunden. Sie musste für ihre Animal Fundation die nächste Spendenaktion organisieren. Deshalb war sie unterwegs in das Büro, das sie für diese Tätigkeit eingerichtet hat. Die Hunde, mit denen sie in den geräumigen Van stieg, kannten sich aus, sprangen sofort nach dem Öffnen der Autotür auf die Hintersitze und reihten sich wie wohlerzogene Kinder auf. Die Fahrt von ihrem Haus in Carmel-by-the-Sea ins Stadtzentrum war kurz. Das moderne Bürohaus hat eigene Parkplätze, aber die waren alle besetzt. Sie ärgerte sich nicht wirklich, so hatte sie einen Grund, weiter hinten in der Nähe der Grünflächen zu parken und mit den Hunden einen kleinen Umweg zum Büro zu gehen. Es war Frühling, die Sonne schien, die gepflegten Wege dieser Gegend waren menschenleer. Sie sah den Mann sehr spät, weil sie mit ihren Hunden beschäftigt war. Er war ein Schatten, dem sie nur Platz machen wollte, aber er blieb vor ihr stehen, sah sie an, sah ihr in die Augen auf eine Art, die sie anmaßend fand. „Guten Tag, steh ich im Weg?“, fragte er sie. Dann blickte an ihr vorbei auf die Hunde, stellte sich gerade hin. Er war in ihrem Alter, gutaussehend und . weit hinten in ihrem Gedächtnis öffnete sich eine Tür.

„Du erkennst mich nicht, Doris? Ich bin dein zweiter Ehemann“, sagte der Mann.

Jetzt erst sah sie ihm wirklich in die Augen und sie erkannte das Blau und die Erinnerung überkam sie wie eine Welle. Sie lächelte. Sie wollte ihn umarmen, aber das war so unangemessen nach ihren harschen Worten. „Ach Georg, ich glaube es nicht, wie lange haben wir uns nicht gesehen?“

„Schätze es sind dreißig Jahre, die du mich nicht gesehen hast.“, sagte Georg. „Ich habe dich viel gesehen, im Kino, im Fernsehen, in der Zeitung …“ Seine Stimme wurde leiser.

„Was machst du hier in diesem verschlafenen Nest?“ Doris konnte es immer noch nicht fassen.

„Was willst du hören? Das, was ich mir zurechtgelegt habe, oder die Wahrheit?“, fragte Georg, den Kopf leicht zur Seite neigend.

Sie sah ihn an. Das freundschaftliche Gefühl, das nach ihrer kurzen Ehe geblieben war, war wieder da. „Was hast du einstudiert?“, fragte sie ihn, ohne zu überlegen.

„Ach Doris, manchmal fühle ich mich mit meinen 61 Jahren sehr alt und ich weiß nicht, wie lange ich noch habe. Ich hörte von deiner Organisation, Animal Foundation, gerade als meine Katze starb, an Altersschwäche. Das war ein Zeichen. Ich dachte, ich fahr hin, es ist nicht weit und bring die Spende persönlich vorbei. Das bin ich Doris schuldig.“ Er sah sie breit lächelnd an.

Nun endlich umarmte sie ihn. „Wie schön, dass wir uns jetzt sehen!“ Doris lächelte. Ihr so ehrlicher Charme war noch da, wie George feststellte. „Lass uns einen Kaffee trinken“, sagte Doris und schlug den Weg zu ihrem Lieblingscafé ein.

Das Café war ein verwunschener Ort in einem Hinterhof. Blumen umrahmten die mit kleinen Steinen gepflasterten Kreise, auf denen runde Metalltische mit je vier verschnörkelten Metallstühlen standen. Georg merkte sofort, dass man sie dort kannte. Die Kellnerin grüßte von weitem und hielt Doris nicht von ihrem zielstrebigen Weg zu einem bestimmten Tisch ab. Als sie an den Tisch trat, bestellte Doris für Georg mit. Es war wie früher, das beruhigte ihn. Er lehnte sich zurück, um sich gleich wieder aufzurichten, die Lehne drückte hart in den Rücken. Seine Blicke schweiften über den zauberhaften Garten, dann sagte er: „Doris, ich glaube zu sehen, dass du glücklich bist.“ Er beugte sich vor und sprach leiser. „Waren es wirklich nur vier Ehemänner, habe ich etwas verpasst?“

Doris lachte. Er verstand es, ihr zu gefallen, selbst nach all den Jahren. „Du hast nichts verpasst, Georg, und du warst der Beste von allen.“ Sie lächelte auf eine Weise, die ihm sagte, dass sie es so meinte und es doch nur ein Kompliment war. „Du siehst aus wie ein Mensch, der angekommen ist, Doris“, sagte Georg.

„Du hast recht, mit jedem Wort. Es war ein langer Weg hierher. Aber ja, ich habe meinen Ort gefunden und etwas, was ich nicht suchen ging“, antwortete sie in der ihr eigenen pragmatischen Art.

„Erzähl es mir Doris, du bist es mir nicht schuldig, aber ich muss wissen, was es war, was ich dir nicht geben konnte.“ Mit diesem Satz leugnete er, dass er sie damals verließ, und es gefiel ihr.

Es waren die 1980er, sie hatte eine leichte, pinkfarbene Bluse an, er saß da, in weiten, hochgeschnittenen Hosen und Poloshirt. Im Hintergrund lief Countrymusik, ganz leise. Sie lehnten sich fast synchron zurück. Doris sah ihn an und es lag sehr viel Zuneigung in ihren Augen.

Cincinnati, Ohio, 1930

Das rote, zweistöckige Backsteinhaus in Evanston, einem Vorort von Cincinnati, war ihr zu Hause. Es stand in einer Stadt, deren Geschichte durch deutsche Einwanderer geprägt war. Ihre Eltern waren in der dritten Generation hier im Land und die Nachnamen ihrer Eltern William Kappelhoff und Alma Sophia Welz sagten genug über ihre Herkunft. Cincinnati war einmal Indianerland und deutsche Söldneroffiziere rangen es ihnen ab. Sie gaben der Stadt den Namen in Gedenken an Lucius Quinctius Cincinnatus, einen römischen Militärführer. Der Fluss sorgte dafür, dass Cincinnati von der tiefen wirtschaftlichen Depression der 1930er Jahre nicht so stark betroffen war wie der große Rest des Landes. Der Handel ging, wenn auch schleppend, weiter und es kam Geld in die Stadt. Geld, das die Menschen auch zur Christian Science trugen, wo ihr Vater Kirchenorganist und Chorleiter war. Sie war das Nesthäkchen, ihre Mutter eine Hausfrau mit Leib und Seele. Der frühe Tod ihres ersten Kindes Richard ließ sehr viel Liebe übrig, die sie auf ihren großen Bruder Paul und sie verteilte – zusätzlich, denn sie hatte mehr davon als andere Mütter. Jedes Mädchen liebt ihren Vater, es kann nichts dagegen tun und ihr Vater sah zudem gut aus. Wenn sie am Sonntag in die Kirche gingen und er besonders gut angezogen war, wurde er von den Gemeindemitgliedern mit „Herr Professor“ gegrüßt, einfach nur weil er es ausstrahlte. Wenn man die Kirchengemeinde fragte, beschrieben sie ihn als zurückhaltend und eher introvertiert in diesen Jahren seines Lebens.

Doris war im Jahr 1930 acht Jahre alt, blond, lebendig und bog wie fast immer rennend in den Weg zum Haus ein und bremste ab, wenn die Verandatür verschlossen war. Das war das Zeichen, dass ihr Vater einen Musikschüler dahatte. Sie ging dann nicht durch die Vordertür, sondern schlich sich hinten hinein. Das Quietschen des Violinschülers übertönte das der Tür.

An diesem Tag wartete ihre Mutter schon auf sie: „Komm schnell rein Doris, ich muss dir was zeigen.“ Sie zog sie am Arm durch die Küche, durch den Flur in Richtung des Wohnzimmers, öffnete die Tür und stellte sich in die Mitte des Raumes, die Arme weit ausgebreitet. „Oh Mom, was hast du wieder getan? Es ist so anders, so ganz anders!“, rief Doris. Alma glühte vor Stolz: „Es ist großartig, oder? Der Schrank ist aus dem Sichtfeld, wenn du reinkommst, die Sessel hier, da möchte sich doch jeder Gast gleich hinsetzen. Es war harte Arbeit, sag ich dir.“ Doris war nicht wirklich überrascht darüber, was hier gerade passiert war. Ihre Mutter räumte öfter um, wenn sie mit dem Putzen und Kochen fertig war. Sie tat in dieser Hinsicht mehr als andere Hausfrauen.

Als Paul aus der Schule kam, gab es Mittagessen in der Küche. Der Vater arbeitete noch. Doris saß mit dem Rücken zur Tür und erschrak, als er eintrat. Wortlos setzte er sich an den Tisch.

Alma holte geschäftig einen Teller, tat ihm die Suppe hinein, legte Brot und Löffel dazu, aber es half nichts. Er sah sie vorwurfsvoll an. „War das unbedingt nötig, Alma?“ „Ja, es war nötig. Am Wochenende haben wir doch unsere Houseparty. Ich kann es unmöglich jedes Mal gleich lassen.“ Williams Stimme war voller Resignation. „Du weißt, ich mag deine Partys nicht. Diese ewige Westernmusik zehrt an meinen Nerven.“ Er aß und sah sie nicht mehr an und keiner wagte, sein Schweigen zu stören.

Vor Jahren, als William und Alma sich kennenlernten, hatte diese Unterschiedlichkeit einen großen Reiz für beide dargestellt. Der andere zog sie magisch an. Wie zwei gegenteilig aufgeladene Magneten konnten sie nicht anders, als zu heiraten und Kinder zu zeugen. Beide waren zufrieden. Das Gehalt der Kirche reichte, dass sie sich um Haus und Kinder kümmern konnte. Der Alltag, das so wärmende Wesen, schlich sich ein, um Mann und Frau heimlich blutleer zu saugen. Und ehe sie es bemerkten, fehlte die Kraft, es zu ändern. William stand auf. „Ich muss nachher gleich noch einmal los, der Chor, die Vorbereitungen des Gottesdienstes, du weißt.“ Ihr Vater war abends sehr selten zu Hause.

Der Samstag kam und ihre Mutter verfiel in jene euphorische Geschäftigkeit, die Partys bei ihr auslösten. Es gab viel vorzubereiten, das Essen, die Musikauswahl, Tischkärtchen. Doris tanzte schon durchs Haus, in dem den ganzen Tag Western- und Countrymusik lief und freute sich auf die Leute, die bald das neu umgeräumte Wohnzimmer fluten würden. Endlich kamen die ersten den Weg herauf, die Schmids. Er war hager, etwas sonderbar in Kleidung und Auftreten und sie war auf eine spezielle Art schön. Sie waren wie ihre Eltern Mitte dreißig und Susanne Schmid strahlte übers ganze Gesicht. Sie waren die Vorhut und bald übertönten die Gespräche die Musik. Ihr Vater duldete den Trubel und saß gern etwas abseits. Doris lief hin und her, holte Gläser, bot Getränke an, brachte auch welche zu ihrem Vater, der sich mit Susanne unterhielt. Irgendwann schlich Doris die Treppe hoch, todmüde fiel sie in ihr Bett. Ihr Zimmer war ein Durchgangszimmer, vor dem Gästezimmer gelegen, das selten benutzt wurde. Es war klein und nur ein Bett und ein Schrank standen darin, es wurde nie umgeräumt.

Sie war so müde, dass sie sich nicht wie gewohnt zur Seite legte, sondern wie eine Aufgebahrte die Hände faltete und es hörte. Sie konnte es nicht ignorieren. Das Haus war innen nur mit leichten Holzwänden geteilt und es war jemand im Gästezimmer. Hellwach und wider Willen konzentrierte sie sich auf die andere Seite der Wand. Es waren zwei Menschen. Sie hörte das tiefe Atmen, das Bett knarrte, hörte das unterdrückte Stöhnen einer Frau. Mein Gott, sie war acht und das gehörte offenbar zum Leben, aber es ließ sie nicht einschlafen. Die Geräusche stürmten einem ihr unbekannten Höhepunkt entgegen. Musste das hier sein, Sie ärgerte sich schon etwas. Endlich drehte sie sich zur Seite, den Blick zur Tür zum Flur gerichtet. Sie war fast eingeschlafen, da öffnete sich die Tür des Gästezimmers. Ein Mann und eine Frau schlichen sich an ihr vorbei. Sie richtete sich die Haare, er stopfte im Gehen das Hemd in die Hose. Die Tür zum Flur öffnete sich und ein Lichtstrahl machte aus den Silhouetten Menschen, die sie kannte. Ein Paar, das keine Sekunde an das Mädchen dachte, das sie dabei beobachtete und dessen Welt dadurch ins Wanken geriet. Susanne Schmid schlüpfte geschickt durch die Tür und ihr Vater zog sie leise hinter sich zu, ohne zurückzusehen.

Am nächsten Morgen saßen sie alle am Frühstückstisch. Ihre Eltern gingen ganz normal miteinander um. Doris beruhigte das, aber sie hörte auch, dass ihr Vater von Verpflichtungen in der Kirche sprach und nicht den ganzen Tag Zeit haben würde. Hoffentlich hatte er nächsten Freitag Zeit, dachte sie, denn sie hatte einen großen Tanzauftritt bei der Schuster Marints Ballet School, die sie besuchte. Ihre Mutter hatte sie dort angemeldet und auch schon das Kostüm genäht. Sie würde mit Jerry tanzen, Jerry Doherty.

Cincinnati, Ohio, 1935

Fünf Jahre später, sie war jetzt zwölf Jahre und Jerry Doherty war immer noch an ihrer Seite. Sie waren ein wunderbares Paar, irgendwie sehr professionell. Es war Samstag, ein ganz besonderer Tag. „Komm, Doris, wir sind spät dran. Die Jury wird nicht auf uns warten.“ Alma war etwas aufgeregt. Es war zwar nur ein Tanzwettbewerb in einem Einkaufszentrum, aber er war mit 500 $ dotiert, das war wirklich viel. Doris war mittlerweile zu den Hesslers auf die Tanzschule gewechselt, der Talentschmiede für Hollywood. Sie stürmte die Treppe hinunter, noch immer rannte sie, wann immer es nicht unschicklich war: „Wird Vater kommen?“, fragte sie im Vorbeilaufen.

„Du weißt, dass er Kirchendienst hat. Er hat wenig Zeit dafür“, sagte Alma und Doris schluckte ihre Enttäuschung herunter.

Sie fuhren mit dem Auto zu den Dohertys. Die Kostüme hatte Alma genäht und in Verwahrung. Wenig später stiegen Jerry und seine Mutter mit einer Selbstverständlichkeit ins Auto, die zeigte, dass es schon so viele Auftritte und Fahrten zu ihnen gegeben hatte. Sie waren wie ein kleines Unternehmen, ein Tanz Duo mit Courtage und Management. Die Hausfrauen waren in diese Riege aufgestiegen, und Alma musste ihre Tochter zu nichts überreden. Sicher, sie motivierte sie, war immer dabei und war sehr stolz, aber Doris tat es nicht fürs Management, sie hatte einfach Freude am Tanzen.

Nach der Anmeldung an kleinen Tischen mit grau wirkenden jungen Menschen gingen sie in die freigehaltenen Räume neben den Toiletten, langsam füllte sich der leere Bereich vor der Bühne, die im Zentrum des großen Einkaufscenters aufgebaut worden war. Sehr viele kamen von weit weg, um hier teilzunehmen. Das Preisgeld rechtfertigte eine nicht unerhebliche Anreise. Doris musste ins Kostüm, die Mutter würde es noch zunähen, wenn sie drinsteckte, dann saß es besser. Ihr blondes Haar war da weniger schwierig. Sie war aufgeregt, wenn es losging, aber auf eine angenehme Weise. Jerry und sie waren ein Team. Er war gut, richtig gut und sie unterstrich es. Sie sah ihn verschwörerisch an, aber er war ein schüchterner Junge. „Jerry, ich glaube, wir können das hier gewinnen.“ Sie warteten auf ihren Auftritt. Jerrys Mutter zupft an ihm herum, Doris stand dicht bei ihrer Mutter Alma. „Du lächelst so schön, Doris, vergiss es nicht. Und freu dich darauf. Die Konkurrenz ist stark, aber ihr seid zusammen stärker“, sagte Alma.

Doris und Jerry gingen hinaus auf die Bühne und lieferten ab. Das Publikum und die Jury waren sich am Ende schnell einig. Alma nahm das sensationelle Preisgeld vom Veranstalter entgegen, strahlend teilten sie es im Auto auf.

Doris Kappelhoff und Jerry Doherty

Doris wollte so schnell wie möglich nach Hause und ihrem Vater von diesem Sieg erzählen. Er hatte ihr im letzten Jahr Violinunterricht gegeben, das war wenig erfolgreich, aber jetzt, das musste er wissen, war sie in etwas wirklich gut. Sie stürmte ins Haus, Paul, ihr Bruder, kam die Treppe hinunter, er sah sie traurig an und fragte: „Suchst du Vater?“ „Ja“, sie resignierte bereits. „Wir haben gewonnen, im Einkaufscenter …“ Paul war unbeeindruckt, er stand oben auf der halben Treppe und sah auf sie herab. „Er ist weg, heute Nachmittag kommt er nochmal, holt den Rest der Sachen.“ Doris stand unter Schock. Es war ihr nicht verborgen geblieben, sie hätte damit rechnen können. Damals mit acht hoffte sie noch, es war ein böser Traum, aber Vater war immer seltener am Tisch, die Eltern stritten, über die Musik, die Alma hörte, ihre Ruhelosigkeit. Dann stritten sie nicht mehr und ihr Vater war manchmal tagelang nicht zu Hause. Ihre Mutter wusste, dass William wahrscheinlich mehr als eine Affäre hatte und nun eine Frau gefunden hatte, zu der er ziehen wollte. Die Scheidung war vorbereitet, das Unmögliche schien wahr zu werden, denn es gab keine Scheidung in der Christian Church. Ihr Vater würde dadurch seine Anstellung verlieren. Ihr Eltern hatten es versucht, all die Jahre, aber sie zögerten das Ende nur hinaus.

Das Tanzen und der Erfolg schafften es, die Traurigkeit von Doris fernzuhalten, bis zu solchen Momenten. Als ihr Vater später kam, war sie im Wohnzimmer, sie stellte sich hinter einen der schweren Vorhänge. Er lief die Treppe hoch und runter, sprach mit Paul, ihre Mutter war nicht zu sehen. Doris stand hinter dem Vorhang und weinte. Sie weigerte sich, die Bühne zu betreten und es kam niemand, der sie drängte. Ohne Abschied verließ ihr Vater das Haus. Wie damals in der Nacht der Hausparty hatte er sie einfach vergessen. Noch im selben Jahr wurden ihre Eltern nach 19 Ehejahren geschieden. Ihr Bruder und sie blieben zurück.

Cincinnati, Ohio, Frühling 1937

Zwei Jahren später zogen sie aus dem Haus in Evanston zu ihrem Onkel. Sein Haus lag näher am Zentrum von Cincinnati und ihre Mutter half ihm unten in dessen Bäckerei. So hatten sie ein Auskommen und Alma konnte sich weiter gut um ihre Kinder kümmern.

Tanzwettbewerbe füllten unverändert die Wochenenden und die Erfolge und das Talent ihrer Tochter blieben nicht unbemerkt. Eine Künstleragentur in Los Angeles, am anderen Ende des Landes, hatte sie eingeladen, zum Vortanzen, und es gab verschiedene Castings, die sie besuchen konnten. Es war der Silberstreif einer glänzenden Zukunft in Hollywood, aber zunächst ohne eine Option darauf, Geld zu verdienen. Das Geld für die Reise aufzutreiben, war weder für Alma noch für die Eltern ihres Tanzpartners Jerry Doherty einfach, aber irgendwie schafften sie es.

Es war ein Montag im Mai, als es endlich los ging. Für die 2000 Kilometer würden sie fast eine Woche brauchen. Vorn im Auto saßen Jerrys Eltern, Mr. und Mrs. Dohorty, hinten war Doris zwischen Jerry und ihre Mutter gezwängt. Sie waren nun den zweiten Tag auf der Interstate 40 Richtung Los Angeles unterwegs. Die Aufregung hatte sich noch nicht gelegt und bei jedem Halt zum Tanken und Essen wurden die Menschen und ihre Gesichter fremder. Endlich hielten sie wieder und gingen in einen dieser zahllosten Drugstores. Es war heiß für die Jahreszeit und erleichtert fanden sie rasch einen Platz zwischen all den Reisenden, die sie keines Blicks würdigten. Jerry rutschte schnell in die Bank, aber Doris ließ den Blick über den schmierigen Tisch gleiten. „Ich geh mal für kleine Mädchen“, sagte sie. Auf dem Rückweg schlich sie an den Küchentüren vorbei und wartete, bis ein Pendeln der Türen einen Blick freigab. Der Koch spürte ihre Augen in seinem Rücken. Er war dick und schwitzte, Schweiß lief über seine fast kahle Stirn. Er drehte sich um und sah sie für die Ewigkeit einer Sekunde an. Doris war verängstigt. Was war das? Kein Schwarzer, kein Hispano, kein Weißer. Es verwirrte sie, all diese Menschen zu sehen, die in all diesen Küchen und Diners arbeiteten und nirgendwohin zu gehören schienen. Sie waren ihre Reisebegleiter ohne Stadt, ohne Wohnung und der hier auch ohne Zugehörigkeit zu einem Volk. Es ängstigte sie. Kaum saß sie am Tisch, kam die Kellnerin. Jeder gab seine Bestellung auf, aber Doris schüttelte den Kopf. Vor ihrem geistigen Auge sah sie gerade, wie der Schweißtropfen des Kochs auf das Rührei tropfte. „Was ist los Darling?“, fragte ihre Mutter. „Nichts Ma, ich hab die ganze Flasche Milch im Auto ausgetrunken, ich bin satt.“

Sie schliefen in billigen Motels am Rande des Highways. Den Küchencheck führte Doris nun bei jedem Halt durch. Es blieb dann öfter bei der Milch, die sie tatsächlich satt machte. In Los Angeles angekommen, fanden sie ihre Zimmer in einem Bungalow, der sich zwischen andere duckte, am Rande der Stadt. Es war das Billigste, das sie hatten aus der Entfernung finden können. Schmutzig vom Straßenstaub der Überquerung eines ganzen Kontinentes standen sie zu fünft in dem kleinen Apartment mit Wohn- und Schlafzimmer. Eines der drei Betten war an der Tür, man musste es herunterklappen. Alma übernahm wie immer das Zepter. Sie war eine große Frau, nicht teuer aber gepflegt gekleidet und ihre Haare saßen trotz der Strapazen perfekt. „Wir machen es wie besprochen: Nachts schlafen die Kinder und ich“ – sie wand sich den Dohertys zu – „und am Tag, ruhen Martha und Jack sich aus.“ Mr. Doherty nickte zustimmend, er und auch seine Eltern waren nie über die Grenzen Ohios hinausgekommen und dieses Abenteuer, das das Talent seines Sohnes ihm bescherte, war ein Höhepunkt in seinem Leben. Zum Glück war Lawrence, ihr älterer Sohn, groß genug und sie hatten ihn bei einer Tante zurückgelassen. Auch Almas Sohn Paul war gut bei seinen Verwandten aufgehoben.

Los Angeles war in den 1930er Jahren ein Sammelbecken für Menschen, die in der Filmindustrie Fuß fassen wollten. Das Naziregime in Übersee hatte dafür gesorgt, das viele talentierte Juden und freiheitsliebende Künstler von den Theatern in Europa oder den Filmstudios in Berlin hierher emigriert waren und ihr Wissen mitgebracht hatten. Das Niveau, das Hollywood zum weltweit führenden Ort für die Produktion beeindruckter Filme machte, wurde genährt durch all jene, die sich auf den Weg in diese so südlich gelegene, karge Landschaft an der Westküste machten. Alma Kappelhoff, ihre Tochter Doris, Jerry Doherty und seine Eltern gehörten dazu. Für ihren Traum gingen sie wie viele vor und nach ihnen ein Risiko ein. Alma hatte ihre Tochter nach Doris Kenton benannt, einer bekannten Schauspielerin, und sie wollte diesen Weg mit ihr gehen.

Und die Reisegruppe nutzte jeden Tag aus. Gut organisiert fuhren sie von Casting zu Casting und Doris und Jerry wurden zur Probe für die Fachon and Marco Stage Show engagiert, die rund um Hollywood tourte. Das Wunder geschah, sie wurden unter Vertrag genommen.

Carmel-by-the-Sea, Kalifornien, 1987

Georg sah das Verträumte in ihren Augen, sah, dass Doris’ Gedanken von weit aus der Vergangenheit kamen, und er wollte den Moment nutzen: „Wie war das mit Marty ? Ich habe so viel in der Presse gelesen. Es muss schrecklich gewesen sein.“ Er zögerte, dann sprach er weiter. „Ich hatte nur eine Kondolenzkarte für dich damals.“ Doris sah ihn etwas verständnislos an, aber sie wollte seine Frage beantworten. „Ja, erst sein plötzlicher Tod und dann die Erkenntnis, dass all mein Geld weg war. Die Sache hat hohe Wellen geschlagen, aber das sollten sechs Millionen Dollar auch tun. Es war bitter, glaube mir.“

„Du hast immer vertraut, Doris. Ich weiß nicht, ob das ein Fehler ist.“, sagte Georg und nippte an seinem Kaffee.

„Ja, das war es wohl, aber Marty war mein Mann und Manager. Wem sollte ich vertrauen, wenn nicht ihm? Rosenthal und er waren ein für mich nicht zu durchschauendes Team geworden – und sie spielten leider nicht auf meiner Seite.“ Sie sah sich kurz um, aber niemand im Café war in Hörweite. „Hast du es nicht geahnt, Doris?“, fragte Georg. „Ich habe viel gearbeitet in der Zeit, kam abends total erledigt nach Hause“, sagte Doris. Georg wollte sie trösten: „Rosenthal hat erst letztes Jahr seine Zulassung verloren, immerhin das“, sagte er. „Wie geht es dir nun? Nach Arbeit scheinst du nicht zu suchen.“

„Nein, Gott sei Dank gab es eine Versicherung, die den Schaden, wenn auch nicht ganz, abdeckte. Es ist genug, um meinen bescheidenen Lebensstil aufrechtzuerhalten. Ich könnte sogar etwas älter werden, und es reicht.“ In ihrer Stimme war kein Triumph. „Warum tat Marty das?“ Für ihn blieb es ein rätselhaftes Thema. „Du willst nicht, dass ich schlecht über Tote rede. Wir hatten auch gute Jahre, er hörte mir zu, war da für mich und mit Arwin Production, unserer gemeinsamen Firma, hatte er meine berufliche Existenz auf recht unabhängige Beine gestellt. Nach Warner Brothers haben wir über diese Firma fast alle Filme produziert, aber du hast recht, es war wie mit seiner ersten Frau.“

„Er war vorher schon einmal verheiratet?“, Georg war erstaunt. „Ja zweimal sogar, wie ich damals, das war nicht der Punkt. Aber es war keine schöne Sache, die sich vorher mit ihr abspielte. Patty Andrew war alles andere als begeistert über meine Existenz, und das bekam ich zu spüren. Sie war Sängerin und Schauspielerin, wie ich, nur nicht ganz so erfolgreich.“ Sie hob die Tasse mit Kaffee an und dachte wieder an den Beginn und nicht das Ende ihrer Karriere.

Cincinnati, Ohio, Herbst 1937

Doris war froh, nach mehr als drei Monaten auf Reisen in die Wohnung über der Bäckerei zurückzukehren. Die Tanztournee war anstrengend, nie allein sein war anstrengend, fremd sein war anstrengend. Sie nahmen ihren Alltag wieder auf und wie jeden Mittwoch besuchten sie und ihr Bruder den Vater. Es waren steife und irgendwie traurige Nachmittage, an denen sie in der Regel Essen gingen. Heute war Mittwoch und diesmal spürte sie den anklagenden Blick ihrer Mutter bereits jetzt im Rücken. Es war schwer für Alma zu wissen, dass ihre Kinder mit ihrem Vater an einem Tisch saßen und seit neustem mit einer Frau. Alma hatte sie von weitem gesehen, ihr Bruder hatte sie ihr gezeigt, als sie an der Bäckerei vorbeiging. Es waren nur ein Kopfnicken und ein Blick in ihre Richtung und sie wusste Bescheid. Die neue Geliebte ihres Ex-Mannes war sehr dünn, eine Klassik-Sängerin, elegant, reserviert und leise sprechend. Sie war das Gegenteil von Alma und das perfekte Gegenstück eines Mannes, der mal ihrer war. Das war kränkend, aber Alma hatte keine Zeit für Selbstmitleid, es gab tausend Sachen zu erledigen vor dem Umzug nach Hollywood. Die Wohnung wollte sie nur untervermieten, es sollte erstmal für ein Jahr sein. Doris war gerade 15 geworden, sie würde nicht mehr zur Schule gehen müssen nach diesem Sommer. Es war ein Abenteuer, diese Gegend zu verlassen, all ihre Verwandten, Cousinen, Tanten, die in Trenton, der Nachbarstadt, wohnten. Am Samstag gab es eine Abschiedsparty mit ihnen, ein Abschied in eine bewegte Zukunft.

„Sagt eurem Vater, dass es erstmals nichts mehr wird mit den Besuchen“, rief sie ihren Kindern hinterher. Paul, ihr Sohn, sah sie verständnislos an. „Warum? Ich möchte ihn sehen.“

Alma vergaß seine Anwesenheit ab und zu. Paul würde zu einer Tante nach Trenton ziehen, er sollte hier eine Arbeit finden. Sie atmete schwer ein: „Paul, solange du dir kein Auto leisten kannst, wirst du es mittwochs nicht zu deinem Vater schaffen.“ Paul wusste, dass sie recht hatte. Doris und er wurden zwar vom Vater hier abgeholt, aber sicher würde sein Vater nicht zweimal über 30 Meilen für den Hin- und Rückweg fahren, nur um mit ihm zu essen.

Als Alma das Auto von William die Straße herunterkommen sah, verschwand sie wortlos in der Haustür. Die hagere Silhouette neben ihm war ihr nicht entgangen. Doris und Paul stellten sich zum Einsteigen links und rechts der Fahrbahn auf. Der Wagen hielt, sie huschten hinein. Doris hatte sich hinter die neue Frau ihres Vaters gesetzt, sah aus dem Fenster des Autos und gähnte ausgiebig. Ihr Vater sah sie kurz über die Schulter an: „Doris, erzähl uns von Hollywood. Wo hast du da getanzt?“ „Mach ich später, Pa, am Tisch. Wo gehen wir nochmal essen?“, antwortete sie gelangweilt.

Trenton, Ohio, 13. Oktober 1937

Es war kühl geworden, und wie die Natur die Blüten verloren hatte, die Blätter abwarf und sich zurückzog, so war die Wohnung der Kappelhoffs nun ohne Kissen, Vasen, Bücher. Alles war bei Verwandten untergebracht oder lag in den Umzugskisten, nur die Möbel blieben für die Untermieter, so wie kahle Bäume im Herbstwald. Einige Kisten mussten sie noch ins Auto schleppen, das von Lawrence Doherty gefahren wurde. Er war der große Bruder von Jerry und so ganz anders, etwas klotzig, herb, männlich – keiner, bei dem man an Tanzen dachte, wenn man ihn sah.

Alma kam die Treppe im Hausflur hoch: „Doris, bitte nimm noch Kisten mit. Wir sind spät dran.“ Doris schleppte, wie auch Paul, die festen Kartons bis zum Kofferraum des riesigen Autos. Es war die letzte Tour nach Trenton und sie würden heute ihren Abschied feiern. Doris konnte es wie Jerry gar nicht glauben, dass sie ihren Heimatort nun für lange verlassen werden.

Sie sah den Schatten der Zukunft nicht, den Schatten ihrer Mutter, die all diese Kisten noch in diesem Jahr in diese Wohnung wieder hinaufschleppen würde. Doris stand auf der halben Treppe, griff nach den Kartons und pustete etwas vor Anstrengung, als der Schatten durch sie hindurch nach oben lief.

Doris freute sich sehr, all ihre Freunde und Verwandten zu treffen, und ja, sie freute sich darauf, mit Lawrence zu flirten. Er war schon fast 20 Jahre alt und erwachsen. Sie hätte gern neben ihm im Auto gesessen, aber es wäre nicht schicklich gewesen. Paul war älter, und so fuhren sie zu viert Richtung Norden aus Cincinnati heraus. Ihre Tante hatte die Party vorbereitet. Mutter hatte, was ging, dazugegeben, ihre Cousinen behandelten sie wie einen Star. Es war schon sehr besonders, dass Hollywood sie unter Vertrag genommen hatte, sie und ihre Mom hatten hart dafür gearbeitet.

Im Haus erwarteten sie schon alle, es gab Unmengen an Kuchen, kleinen Broten, sogar Hähnchen und Liköre, wie Doris herausfand. Sie saß mit Marion Bonekamp, einer Freundin, in einer Ecke, als Lawrence Doherty sich vor ihnen aufbaute: „Hi Mädels, hättet ihr nicht auf eine Spritztour Lust, nur hier um die Ecke zum Diner? Tante Betty meint, der Wein ist ausgegangen.“ Seine Stimme senkte sich bedeutungsvoll. „Alle trinken ganz vornehm Wein.“ Er rollte die Augen und streckte den kleinen Finger ab. „Ich fahr so gern Auto, kommt doch beide mit.“ Hinter ihm stand Albert Schroeder, der Freund von Marion und schrie ihm ins Ohr: „Ich bin dabei.“ Albert sah ihn an. „Wann habe ich dich gefragt?“ Alle lachten und es war klar, dass es losgehen konnte.

Sie zogen die Jacken an und Albert und Marion setzten sich sofort hinten ins Auto, da sie hier mal ganz für sich sein konnten. Doris war sehr zufrieden vorn neben Lawrence, in diesem schicken Auto. Es war schon dunkel und die spärlichen Straßenlampen zeigten nur wenig von dem, was um sie herum war. Lawrence Auto fuhr wie an einer Schnur gezogen Richtung der Fünften und der Hohen Straße, während gleichzeitig ein Güterzug nordwärts Richtung Pennsylvania auf die Stadt zurollte. Lawrence scherzte mit den Mädchen, die Straße war düster, aber zu sehen. Es gab einen Hinweis auf ein Bahngleis, sie hätten zehn Sekunden früher oder später ins Auto steigen sollen. Das Ampelsignal am Bahnübergang versagte, es blieb dunkel in dieser Nacht und sie unterhielten sich laut, hörten und sahen den kommenden Zug nicht einmal. In das Lachen von Marion hinein mischte sich der Lärm des zerberstenden Metalls, das kreischende Splittern der Windschutzscheibe. Der Zug kam von rechts, dort, wo Doris saß. Es gab keine Angst, es war passiert, ehe sie es begriffen. Der Triebwagen schob sie weg, überrollte sie nicht. Die Beifahrerseite war völlig zerstört. Doris sah, wie ihre Freunde gegen die Windschutzscheibe prallten, und als der Wagen hielt, war es totenstill. Sie konnte die Tür öffnen, stieg aus und stand kurz auf ihren Beinen, die ihr nicht mehr gehorchten, sie brach zusammen. Die doppelte Fraktur ihres Beines war die schwerste Verletzung aller Beteiligten. Später stand in der Zeitung, sie hätte gerufen „Holt meine Mutter!“. Sie konnte sich nicht erinnern.

Jerry besuchte sie am nächsten Morgen im Krankenhaus, er wusste nicht, wie schwer ihre Verletzungen waren. „Wie fühlst du dich, Doris?“ „Mein Bein ist gebrochen, Jerry“, sagte sie. Als er begriff, was es bedeutete, schluchzte er. „Sei nicht traurig, wir werden wieder tanzen Jerry.“ Doris sah ihn zuversichtlich an.

Die Klinik gab bekannt, dass Mr. Albert Schroeder, 20 und Marion Bonekamp, 18 in guter Verfassung seien. Lawrence Doherty habe nur leichte Verletzungen erlitten. Die Genesung von Doris Kappelhoff werde viele Monate dauern. Der Abend dieser Abschiedsparty war ein Abschied vom Leben als Tänzerin.

Zeitungsartikel: The Cincinnati Enquirer, 15.10.1937

Jerry und mit ihm die Dohertys verschwanden aus ihrem Leben. Doris Kappelhof, Scheidungskind aus Cincinnati, stand vor den Trümmern ihrer jungen Karriere und sie hätte es dabei belassen können. Jerry Doherty tat es, er wurde Milchmann.

Cincinnati, Winter 1937

Alma saß am Küchentisch in der Wohnung, die sie vor einem halben Jahr verlassen hatten. Das Radio lief, es war früher Morgen und der Duft der Bäckerei stieg durch ihr Fenster. Neben ihr saß ein schwarzer Hund, den sie angeschafft hatte, nachdem Doris aus dem Krankenhaus kam. Sie war viel allein und wenn sie auch nicht gleich mit ihm rausgehen konnte, so zwang er sie doch, sich zu bewegen. Alma war auf eine kurze Pause von der Bäckerei hochgekommen, um nach Doris zu sehen. Die kündigte sich mit einem Klacken und Schurren der Krücken an und zuerst erschien ihr noch geschientes Bein, dann ihr blonder Kopf im Türrahmen der Küche. Doris lächelte ihre Mutter an. „Guten Morgen, mein Kind. Dein erster Tag ohne Highschool. Ich weiß nicht, ob das richtig war, dich dort runterzunehmen“, sagte Alma. „Ach Mom, du glaubst nicht, wie schwer es war, nur hinzukommen. Sieh dir die Krücken an und ich muss mit drei Straßenbahnlinien fahren, zweimal umsteigen.“ „Das war Sport, das war gut für deine Arme.“ Almas Stimme war weniger überzeugt. Doris sah sie ernst an. „Natürlich waren alle in der Schule sehr nett zu mir. Betty hat mir immer die Bücher getragen. Aber wenn ich im nächsten Raum angekommen bin, war der Unterricht oft schon losgegangen. Ich war dadurch nur allein unterwegs.“ Alma sah nur zum Fenster hinaus. Was sollte sie darauf erwidern? Sie hatten die Entscheidung gemeinsam gefällt. Doris humpelte zum Radio, drehte es etwas lauter und sagte: „Es ist, wie es ist, Mutter. Ich mach das Beste daraus.“

Alma lächelte nun wieder. Die stoische Gelassenheit ihrer Tochter war ihr fremd und ein Segen in dieser Situation. „Wenn du magst, kannst du nachher unten helfen. Der Kuchen muss verziert werden, das machst du doch so gern.“ Doris saß ihr nun gegenüber, hatte das Bein ausgestreckt und trank ihre Milch. Sie würde nachher runtergehen.

Als die Tür ins Schloss fiel, stand sie auf, drehte das Radio noch etwas lauter und sang mit, während sie den Abwasch machte und Tiny, so hatte sie den Hund genannt, sie anhimmelte, damit sie sich ihm zuwandte. Sie sang, als sie die Zimmer aufräumte, und sang, als sie runterging. Sie achtete auf jeden Ton, die Intonation, bald kannte sie jedes Wort in jedem der Songs, die gespielt wurden. Das Bein heilte sehr langsam und gleich nach dem Unfall war klar, dass es keine Hoffnung gab, dass sie wieder würde tanzen können. Sie sollte sich eher wünschen, normal laufen zu können, sagten die Ärzte.

Cincinnati, Sommer 1938

Die Nachricht des Onkels, dass er die Bäckerei verkaufen würde, stellte noch einmal alles auf den Kopf. Von dem Geld hatte er in Hamilton, einem anderen Vorort von Cincinnati, eine Taverne gekauft und wieder zog Alma mit Doris in die Wohnung darüber. Alma führte die Gaststätte, war eine gute Köchin und Gastgeberin. Ihre selbst gewählte Erfahrung mit privaten Partys kam ihr zugute und sie liebte es noch immer, Gäste zu haben. Die Juxbox lief den ganzen Abend und es gab viel zu tun, auch für Doris, die trotz Krücken gern in der Küche half und dabei Musik hörte. Sie war die Tochter ihres Vaters, jeder hörte, dass sie sehr musikalisch war.

Es war noch nicht Mittag, als die Tür zum Gastraum aufging. Eine gut gekleidete, streng wirkende Frau stand dort. „Doris, komm bitte!“, rief Alma. „Ich möchte dir Grace vorstellen, Ms. Grace Raine.“

Doris sah die Frau erstaunt an, sie passte so gar nicht in die Taverne und war ganz sicher nicht die neue Bedienung. „Guten Tag Ms. Raine.“ Sie knickste fast. „Ich bin Doris, die Tochter.“ „Ich weiß, denn wegen dir bin ich hier“, sagte Ms. Raine. Doris sah ihre Mutter verwundert an. Alma stemmte die Hände leicht in die Hüften und wandte sich ihrer Tochter zu. „Sing etwas, Kind, sing den neuen Song, so wie du es immer tust.“ Doris verstand nicht. Warum sollte sie jetzt singen? Es war doch völlig unpassend in dieser Situation mit der fremden Frau. Das alles sah man auf ihrem Gesicht und die Frauen lachten. Endlich löste Alma die Situation auf. „Ms. Rain wird dich im Gesang unterrichten, sie ist eine Institution.“ Bedeutungsschwanger hob sie die Stimme zum Ende des Satzes. Doris strahlte jetzt. „Oh, das ist unglaublich, ich glaube, ich habe von Ihnen gehört, aber wusste nicht, dass wir Sie uns leisten können.“ „Das könnt ihr auch nicht.“ Grace lächelte milde. „Aber irgendwas flüsterte mir zu, ich sollte dich nach diesem Schicksalsschlag und dem Talent, das du angeblich hast, zum halben Preis unterrichten.“ „Wann fangen wir an?“, fragte Doris aufgeregt. „Ich würde sagen jetzt.“ Ms. Rain sah sich um. „Wohin können wir gehen?“

Alma führte beide in die Wohnung. Auf dem Tisch lag das Geld für zwei Unterrichtseinheiten für die erste Woche. Sie hatte es mühsam vom Trinkgeld zusammengespart. Während Doris und Grace das Repertoire besprachen, das Doris aus dem Radio bereits sang, servierte sie Tee und Limonade. Doris liebte Ella Fitzgerald, ihre Stimme faszinierte sie. „Ich lass euch allein.“ Alma ging in ihre geliebte Taverne, sie hatte viel zu tun.

Und Grace Rain war von Doris begeistert. Eine Schülerin, die bereits ein solches Niveau hatte, bevor sie mit ihr zu arbeiten begann, war eine Ausnahme und sie hatte eine Karriere vor sich, das war ihr nach den ersten Stunden klar. Sie kam nun wöchentlich und übte mit Doris Atmung, Tonfolgen und Lautstärke und Doris war eine dankbare Schülerin. Das Geld, das sie nahm, war eher symbolisch, aber Alma hatte Mühe, es immer abzuzweigen. Grace übte aber nicht nur Gesangstechnik mit Doris, denn ihre Schülerin war reif genug mit ihren 16 Jahren zu verstehen, dass es immer um mehr als Technik ging „Wenn du singst, Doris, sing nicht für ein großes Publikum. Sing für die eine Person, die dir wirklich zuhört, sing nur für sie.“

Es wurde Frühling und Grace wusste, wie eng es um die Finanzen der alleinstehenden Frau Kappelhoff bestellt war. An diesem Mittwoch kam sie früher und ging nicht wie gewohnt in die Wohnung hoch, sondern steckte den Kopf in die Taverne, wo Alma das Essen für die abendlichen Gäste vorbereitet, das Personal einwies und mit ihrem Bruder den Einkauf besprach. Alma freute sich sehr, sie zu sehen. Sie breitete die Arme aus.

„Ach Ms. Grace, Sie sind ein Segen für uns. Doris ist so ausgeglichen und voller Kraft. Sie haben es sicher bemerkt, die Krücken sind fast verschwunden.“ Dabei umschlang sie sie sanft und deutete Küsse rechts und links der Wangen an. „Frau Kappelhoff, Sie haben wirklich eine wunderbare Tochter, und ich würde das auch sagen, wenn sie nicht so gut singen könnte.“ Alma strahlte. „Setzen wir uns.“ Sie führte sie an den schönsten der zahlreichen Tische. „Ist alles in Ordnung oder kommen Sie nur auf einen Kaffee?“ „Ich bin gekommen, weil ich mit Ihnen über ein Angebot sprechen möchte, das mir zugetragen wurde.“ Sie lächelte sanft und genoss kurz den Augenblick des Erstaunens in Almas Augen. „Es geht um einen Job in einem Restaurant, das in Cincinnati eröffnet hat. Es ist ein sehr feines chinesisches Lokal, das Gäste mit Livemusik, besser gesagt Gesang anziehen möchte. Ein amerikanisches Mädchen nimmt die Fremdheit aus den Räumen. Sie suchen danach, es wäre perfekt für Doris.“ „Das hört sich gut an. Haben Sie Doris schon gefragt?“ Alma war über den Verlauf des Gespräches sehr zufrieden. „Ich wollte erst mit Ihnen darüber sprechen. Es wäre immer Samstagabend und das Honorar würde sich mit dem für die Gesangsstunden decken“, sagte Grace Rain. Alma sah sie breit lächelnd an. „Das ist wunderbar, meinen Segen haben Sie.“ Sie redeten noch etwas und Alma überlegte, wie sie es einrichtete, dass sie Samstag das Auto ihres Bruders und Zeit haben würde.