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Das Beseitigen von Giftmüllfässern in einer Bottroper Kiesgrube war eigentlich todsicher. Dann geht alles schief. Eine Drogensüchtige rennt vor den Lkw und bevor alle Spuren beseitigt werden können, wird ein seltener Vogel dort entdeckt und setzt eine Kette von schicksalhaften Ereignissen in Gang. Ein Drogenboss bekommt Panik weil sein Rauschgift tödlich ist. In Frankreich wird ein Toter mit einem Koffer voller Geld gefunden und ein designierter Minister bangt um sein Firmenimperium. 30 Jahre alter Giftmüll, der längst vernichtet sein sollte, taucht wieder auf und Politiker fürchten um ihren Ruf. Der Essener Kriminalhauptkommissar "Jesse" Jesberg mit seinem Wildwest-Tick und sein pedantischer Kollege Bökenbrink müssen diese Fäden entwirren, ständig behindert von einem nervenden Vorgesetzten. Schließlich kommt es zum westernähnlichen Showdown. Ein harter Ruhrgebietskrimi mit brutalen Drogendealern, viel Lokalkolorit, aber auch vielen skurrilen Figuren und ganz viel Augenzwinkern.
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Seitenzahl: 536
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Schicksalsvogel
Von Michael Sandkühler
Buchbeschreibung:
Das Beseitigen von Giftmüllfässern in einer Bottroper Kiesgrube war eigentlich
todsicher. Dann geht alles schief. Eine Drogensüchtige rennt vor den Lkw und bevor alle Spuren beseitigt werden können, wird ein seltener Vogel dort entdeckt und setzt eine Kette von schicksalhaften Ereignissen in Gang. Ein Drogenboss bekommt Panik weil sein Rauschgift tödlich ist. In Frankreich wird ein Toter mit einem Koffer voller Geld gefunden und ein designierter Minister bangt um sein Firmenimperium. 30 Jahre alter Giftmüll, der längst vernichtet sein sollte, taucht wieder auf und Politiker fürchten um ihren Ruf.
Der Essener Kriminalhauptkommissar „Jesse“ Jesberg mit seinem Wildwest-Tick undsein pedantischer Kollege Bökenbrink müssen diese Fäden entwirren, ständig
behindert von einem nervenden Vorgesetzten. Schließlich kommt es zum
westernähnlichen Showdown.
Ein harter Ruhrgebietskrimi mit brutalen Drogendealern, viel Lokalkolorit, aber auch vielen skurrilen Figuren und ganz viel Augenzwinkern.
Über den Autor:
Michael Sandkühler ist pensionierter Kriminalhauptkom-missar. Er wurde 1959 in Marl im Ruhrgebiet geboren. Nach Studium in Dortmund, war er bei der Kriminalpolizei Recklinghausen im Erkennungsdienst, in Mordkommissio-nen und insbesondere über 25 Jahre im Kommissariat für internationale organisierte Kriminalität tätig.
Der vorliegende Kriminalroman ist sein Erstlingswerk, das sich durch exakte Kenntnis der Örtlichkeiten und Perso-nen, intensive Dialoge und authentische Beschreibung der kriminellen Szene auszeichnet.
Bisherige Veröffentlichungen als Co-Autor:
Zuwanderung in Marl: Band 1. Zuwanderung in Politik und Siedlung, KLARTEXT Verlag 2014
Schicksalsvogel
Ein Ruhrpottsheriff ermittelt
Von Michael Sandkühler
Widukindstr.3
45770 Marl
Telefon: 015782741417
1. Auflage, 2023
© 2023 Michael Sandkühler – alle Rechte vorbehalten.
Widukindstr.3
45770 Marl
Michael Sandkühler
Kapitel 1
Bottrop
Grete wankte. Sie wusste nicht mehr, wo sie war. Der Schotterweg knirschte unter ihren stampfenden Schritten. Ihre Fußsohlen brannten, wie der Rest ihres Körpers. Sie musste es haben. Es ging nicht mehr. Hier klappte es nicht. Der Regen nervte. Wohin? Der Würgereiz aus ihrem Magen wurde stärker. Sie brauchte es. Jetzt!
Ihre langen roten Haare trieften vor Nässe und hingen ihr ins Gesicht, der Speichel lief ihr aus den Mundwinkeln. Wohin? Das Alupäckchen mit dem Heroin hielt sie verkrampft in ihrer Hand. Keine Feuchtigkeit sollte das seligmachende Pulver erreichen können.
Die Dunkelheit machte es nicht einfacher, einen trockenen Ort zu finden, an dem sie ihre Spritze aufziehen konnte. Wo war sie hier?
Erdal war ein Arsch. Er hatte sie aus dem Auto geworfen, nachdem sie den Stoff bekommen hatte. Sie hatten sich gestritten, wobei sie schon vergessen hatte aus welchem Grund. Ihre Gedanken kreisten nur noch um das Zeug. Jetzt stand sie hier und wusste nicht wohin.
Der Feldweg links musste einfach zu einem trockenen Platz führen. Sie wankte den Weg entlang. Der Entzug begann. Ihr Brustkorb fühlte sich eingeengt an, wie in einem Schraubstock. Der Atem ging stoßweise. Grete bemerkte nicht mehr den Schlamm, durch den sie stapfte und hatte nur das nasse Dunkel vor Augen. Hier musste es doch irgendwo trocken sein.
Der Jutebeutel mit ihren Habseligkeiten rutschte ihr von der Schulter und blieb im feuchten Schlamm liegen. Es war ihr egal. Weiter ..., weiter ..., wo konnte sie nur hin?
Der Weg wurde immer schlammiger, Lkw-Reifen hatten ihn völlig aufgeweicht. Jeder Schritt wurde zur Überwindung. Sollte sie sich fallen lassen? Nein, der Schmerz würde gleich verschwinden, sie musste nur die Spritze haben.
Weiter ..., weiter ....
Erdal war ihr Gott. Er hatte immer Stoff, um ihre Qual zu besiegen. Dass er mit ihr umging, wie mit einer Sklavin, war ihr egal. Er gab es ihr sogar auf Kommission, wenn sie gerade kein Geld hatte. Sie würde es später bezahlen. Es störte sie im Moment auch nicht mehr, dass er sie in dieser einsamen Gegend einfach aus dem Auto gestoßen hatte, weil sie ihm die Autositze versaut hatte. Ihr war schlecht geworden und sie hatte es nicht mehr geschafft, die Autotür aufzumachen und kotze ihm das Auto voll. Er hatte sich einen Dreck um sie gekümmert, aus dem Wagen geworfen und war weitergefahren.
Der Schmerz wurde langsam unerträglich.
Wohin..., wohin...? Lange würde sie es nicht mehr aushalten. Der stechende Schmerz ging jetzt auf den ganzen Körper über. Sie würgte und fiel auf die Knie. Nein, nicht schlappmachen, irgendwo musste sie hin.
Da sah sie die Hütte. Sie erschien ihr wie ein Palast. Die Tür schwang im Wind hin und her. Mit schmerzenden Beinen wankte sie hinein und fiel auf den Betonboden.
Der Wind und der Regen waren vergessen. Jetzt musste es schnell gehen. Sie tastete in ihrer Jacke nach dem Alupäckchen. Ihre zittrigen Hände leerten ihre Jackentaschen, ohne den Löffel und die Schnur zu finden. Ruhig, ruhig, sonst ist alles vorbei.
Sie fummelte an dem Aluminiumpäckchen in ihrer Hand herum. Gut verpackt. Wo war der Löffel? Sie musste das Pulver erhitzen. Sie konnte nicht mehr klar denken. Der Löffel war doch eben noch da. Panikartig durchsuchte sie erneut ihre Taschen. Sie griff in ihr Taschenmesser und schnitt ihren Mittelfinger auf. Egal. Der Löffel.
Dann hatte sie ihn. Mit zittriger Hand schüttete sie sich das Pulver aus der Alufolie auf den Löffel. Sie fluchte, als ein bisschen danebenfiel. Ein Paar Spritzer Vitamin C drauf und dann das Feuerzeug unter den Löffel. Hunderte Male schon hatte sie es so gemacht.
Wo war die Spritze? Das Pulver löste sich auf und die Spritze saugte es in sich auf.
Wie in Trance schlang sie die Sisalschnur um ihren Arm und schnürte ihn ab. Die blauen Venen in der Armbeuge dehnten sich nach außen und Grete stach die Spritze hinein. Jetzt musste sie kommen - die Erlösung. Der Schmerz würde verschwinden. Sie sank gegen die Wand der Hütte. Geschafft. Erdal ich liebe dich. Ihre Augenlider flatterten, der Atem rasselte. Was war das? Das Wohlgefühl wollte sich nicht einstellen. Das Pochen ihres Herzens wurde immer lauter. Sie wollte sprechen, aber konnte nicht. Das Prasseln des Regens auf dem Metalldach der Hütte machte sie fast wahnsinnig. Was war das?
Bunte Kreise vor ihren Augen und ein pochender Schmerz in ihrem Kopf. Was geschah mit ihr? Das Fenster der Baracke erglühte und Grete bekam Panik. Jetzt war auch wieder der Schmerz in ihrer Brust da. Erdal hatte sie beschissen. Das Zeug taugte nichts. Wahrscheinlich hatte er es aus Gier wieder mit irgendwelchem Dreck gestreckt. Das Fenster glühte immer stärker und nun kam auch noch der Kotzreiz zurück. Grete wollte schreien, doch kein Ton kam aus ihrer Kehle. Sie zog sich an dem Tisch hoch und schaute aus dem Fenster.
Ein Drache-!
Der glühende Atem kam immer näher. Sie musste weg. Nur raus aus dieser Hütte bevor er sie verschlang. Jetzt hörte sie sein Brummen. Weg von dem Drachen. Der Speichel rann ihr immer noch aus den Mundwinkeln und mit letzter Kraft drückte sie die Klinke der Tür herunter. Sie musste hier weg. Das Brummen des Drachen kam immer näher.
Sie rannte aus der Tür und schaut direkt in die glühenden Drachenaugen. Es war ihr egal. Der Schmerz in ihrer Brust war mittlerweile so heftig, dass der Drache nebensächlich geworden war. Sie rang verzweifelt nach Luft, konnte aber ihre Lungen nicht füllen. Die bunten Kreise vor ihren Augen drehten sich immer schneller.
Gleich würde der Drache sie verschlingen. Grete kippte nach vorn, als ihr Herz aufhörte zu schlagen.
Dann ... ein dumpfer Schlag…
Jürgen Wegner stellte das Radio etwas lauter. Der Regen prasselte derart heftig auf die Scheiben, dass die Nachrichten schlecht zu verstehen waren. Der Schlammweg zur Sandgrube war kaum noch zu erkennen, weil die Scheibenwischer trotz schnellster Einstellung die Wassermassen so gerade noch schaffen konnten. Es war zwar schon später Freitagabend, aber Wegner machte sich keine Gedanken über die Zeit. Nur noch eine halbe Stunde und er konnte nach Hause ins Wochenende. Die Tour war fast beendet.
Durch den Regen war die Sicht stark eingeschränkt, aber Wegner kannte den Weg. In den letzten Jahren war er ihn schon viele Male gefahren. Gleich musste links die Pförtnerhütte der Kiesgrube kommen, dann noch eine Rechtskurve und er konnte abladen. Da war ja die Hütte schon.
Später konnte er nicht mehr sagen, ob er genau gesehen hatte, was oder wer aus der Hütte gelaufen kam. Es war nur ein Schatten im Scheinwerfer. Es gab einen dumpfen Knall und einen kurzen Ruck im Lkw. Instinktiv trat Wegner auf die Bremse. Was war das? Er zog seine Jacke an, öffnete die Fahrertür und sprang aus dem Führerhaus. Der Regen durchnässte ihn sofort und prasselte so laut, so dass er keinerlei andere Geräusche wahrnahm.
Wegner schaute unter den linken Kotflügel und hätte sich fast übergeben. Dort lag eine junge Frau. Sie bewegte sich nicht mehr. Er wankte und hielt sich mit letzter Kraft am Türgriff der Fahrertür fest. Seine Gedanken schwirrten immer schneller durch seinen Kopf. Er konnte doch nichts dafür! Die war ihm in den Wagen gelaufen!
Hitzewellen überkamen Wegner. Was sollte er tun? Er traute sich nicht, näher an die junge Frau heranzutreten. Der linke Vorderreifen hatte sie überrollt. Seiner Meinung nach war da nichts mehr zu machen. Aber durfte man so denken.
Was jetzt? Ein Arzt. Die Polizei! Wegner stand im Regen und rührte sich nicht. Dann schaute er erneut unter den Wagen. Er konnte das Gesicht der jungen Frau sehen. Es kam ihm bekannt vor. Grete! Nein, nicht Grete!
Wegner kannte sie nur flüchtig, weil ihre Eltern früher in der gleichen Straße wie sie gewohnt hatten. Er wusste zwar, dass sie drogensüchtig war, aber was kümmerte es ihn.
Was sollte er jetzt machen? Sein erster Gedanke war die Polizei, aber die würde fragen, was er im Dunkeln in dieser Kiesgrube wollte. Wegner stieg langsam und abwesend wieder in das Führerhaus und suchte nach seinem Handy. Die Nummer, die er brauchte, war eingespeichert.
„Nun geh schon ran“, dachte er ungeduldig. Nach kurzem Klingeln meldete sich der Angerufene:
„Frickenhoff.“
„Sie ist tot“.
„Was…wer ist denn da?“
„Sie ist tot. Herr Frickenhoff“
„Wenn sie mich verarschen wollen, ist das ein schlechter Scherz“, brüllte Frickenhoff ins Telefon.
„Wegner hier…sie ist tot.“
„Wegner… Mann, was wollen Sie überhaupt?“
„Ich hab sie überfahren…konnte überhaupt nichts dazu…sie war plötzlich vor dem Wagen…was soll ich tun?“
„Wegner, jetzt mal ganz ruhig, was ist passiert?“
„Ich bin hier in der Kiesgrube und wollte gerade entladen, da springt die mir vor den Wagen…tot.“
„Wegner…wer ist tot und …hat das jemand gesehen?“
„Ein Mädchen…die kenne ich von früher...aus meiner Nachbarschaft.“
„Hat das jemand gesehen?“
„Nein…hier ist doch abends keiner… aber sie ist tot.“
„Wegner, jetzt beruhigen sie sich doch. Haben sie schon abgeladen?“
„Nein…ist doch jetzt auch nicht mehr wichtig…“
„…und ob das wichtig ist! Sie fahren jetzt sofort zum Sumpfloch und kippen die Scheiße da rein. Haben sie verstanden?“
„Aber sie ist tot…“
„Wegner… jetzt hören sie mir mal zu. Wenn das Mädchen tot ist können sie sowieso nichts mehr ändern… sie fahren jetzt ihre Ladung zum Sumpfloch und kippen sie dort hinein.“
„Ich kann nicht…“
„Wegner…Herrgott…reißen sie sich zusammen. Sie wissen ganz genau, was sie hier ständig für mich transportieren. Was glauben sie denn was passiert, wenn sie jetzt die Polizei rufen?“
„…“
„Wegner…sind sie noch dran?“
„…die Grete…die hat doch nur ein Scheißleben gehabt…“
„Wegner…bleiben sie wo sie sind…ich bin in einer halben Stunde da. Haben sie gehört?“
„Ja ist gut...“
Frickenhoff warf sich seinen Mantel über und rannte aus dem Haus. Seine Villa im Essener Süden war hell erleuchtet, aber der Empfang für Geschäftsfreunde musste warten. Seine Abwesenheit würde sowieso nicht weiter auffallen, da alle zurzeit ums Buffet kämpften. Er beschleunigte seinen Jaguar bis an die Grenze der erlaubten Geschwindigkeit. Jetzt nur nicht von der Polizei angehalten werden. Die Ausfallstraße Richtung Bottrop war um diese Zeit fast menschenleer.
Wegner… er hatte gleich ein ungutes Gefühl, als er diesen Idioten für die Fahrten einstellte.
Andererseits war seine Einfalt das beste Mittel, um Fragen aus dem Wege zu gehen. Der Auftrag des Chemiegiganten Norton Chemical war eine Lizenz zum Gelddrucken. Ein Auftrag, den Frickenhoffs Firma nicht erfüllen könnte, wenn man ihn nicht etwas großzügig handhabte. Die Kiesgrube, wird demnächst sowieso zugekippt und dann wird keiner mehr fragen, was da vorher los war.
Der ehemalige Bergbau unter der Kiesgrube sorgte für reichlich „Biotope“ die mit allerlei Sachen gefüllt werden konnten. Mit dem kleinen Unterschied, dass Frickenhoff sich mit den Euros seine Firma sanieren konnte. Wenn nur Wegner jetzt keinen Mist baut.
Die Innenstadt Bottrops ließ Frickenhoff hinter sich und kam in die verlassene Gegend, in der die Kiesgrube lag. Da links war er schon, der Feldweg. Schlamm spritzte auf, als er ohne zu bremsen einbog und überzog den schwarzen Lack des Jaguars mit beigen Schlammspritzern.
Von weitem sah Frickenhoff schon die Warnblinkanlage des Lkw hinter den Sandbergen leuchten. Wegner, dieser Trottel… warum zündete er nicht gleich ein Feuerwerk an? Nach der nächsten Biegung kam der Jaguar hinter dem Lkw zum Stehen und er sprang aus dem Wagen. Der Regen hatte nicht nachgelassen. Wegner war nirgends zu sehen. Durch das dauernde Blinken der Warnblinkanlage war kaum etwas von der Umgebung zu erkennen.
Frickenhoff ging zum Lkw, öffnet die Fahrertür und sah Wegner zusammengesunken über dem Lenkrad kauern. Er weinte.
„Wegner…reißen sie sich zusammen…Los raus.“
Wegner schaute ihn aus verweinten Augen an und schüttelte nur den Kopf.
„Wegner …ich schmeiß sie raus…dann können sie wieder stempeln gehen…Los…helfen sie mir.“
Wegner schaute ihn an, überlegte und schwang sich dann aus dem Führerhaus. Frickenhoff zeigte auf Grete unter dem Wagen und sagte nur:
„Pack an…die muss weg.“
Wegner bewegte sich wie in Zeitlupe.
Frickenhoff zog an den Beinen der Frau und konnte sie so unter dem Lkw hervorziehen. Wegner stand bewegungslos daneben.
„Ich hab sie totgemacht…“, war das Einzige, was er von sich gab.
Frickenhoff tobte:
„Wegner…wenn sie nicht augenblicklich wieder zu sich kommen, können sie sich gleich daneben legen.“
Frickenhoff sah im Licht des Lkw Scheinwerfers, dass der Brustkorb der Frau durch den Lkw-Reifen völlig eingedrückt war und da nichts mehr zu machen war. Aus den Mundwinkeln lief ein dünnes Blutrinnsal und verschmierte ihre nassen roten Haare. Der Lastwagenreifen hatte deutliche Spuren auf ihrem Körper hinterlassen. Frickenhoff ging zum Lkw zurück und schrie Wegner an:
„Jetzt mach… kipp die Scheiße rein. Montag kippen wir die Grube sowieso zu. Reiß dich endlich zusammen.“
Wegner sah ihn aus toten Augen an, nickte und stieg wieder ins Führerhaus. Der Motor des Lkw startete und Wegner fuhr zum Tümpel. Er wendete und fuhr rückwärts an das Ufer. Polternd und dampfend glitt die Ladung in das schlammige Gewässer und versank unter der Oberfläche. An trockenen Tagen hätte die Ladung einen Ölfilm auf der Oberfläche hinterlassen, jetzt, bei dem starken Regen, war jedoch nichts zu sehen.
Frickenhoff ging zu Grete und zog und zerrte an ihrem Bein. Der Regen und der Schlamm sorgten aber dafür, dass Frickenhoff sie kaum vom Fleck bekam.
„Jetzt pack schon mit an!“, schrie er Wagner an.
Der kletterte aus dem Führerhaus und nahm unwillig das zweite Bein. Gemeinsam schleiften sie den Körper durch den Matsch und hinterließen eine breite Spur, weil Gretes Arme immer wieder zur Seite fielen. Frickenhoff wunderte sich, wie schwer es war, einen leblosen Körper zu transportieren. Sie zogen sie an den Rand des Tümpels, in dem Wegner die Ladung versenkt hatte und schoben sie über die Kante. Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Körper ins Wasser platschte und langsam unterging. Aufgrund der Dunkelheit war kaum etwas zu erkennen.
Wegner fragte: „Was machen wir jetzt?“
„Nichts“, antwortet Frickenhoff. „War denn was?“
Wegner glotzte ihn nur unverständlich an.
„Ich sag ihnen eins, Wegner, wenn sie irgendjemandem erzählen, was hier passiert ist, dann sind sie ein toter Mann… gehen sie nach Hause und trinken sie einen Schnaps…morgen ist alles vorbei. Die sah so verwahrlost aus, bestimmt ne Junkietusse…die vermisst keiner. Jetzt reißen sie sich endlich zusammen!“
Völlig durchnässt ging Frickenhoff zu seinem Jaguar, sprang auf den Fahrersitz, ohne sich um seine verschlammte Bekleidung zu kümmern, und wendete mit durchdrehenden Reifen. Dann verschwand er im Regen.
Wegner starrte durch die Dunkelheit auf den Tümpel. Den Regen, der ihm in sämtliche Kleider drang, hatte er mittlerweile völlig vergessen. Es dauerte etwa 10 Minuten, bis er sich wieder bewegte, in sein Führerhaus stieg und den Lkw startete. Langsam fuhr er in Richtung Bundesstraße.
Kapitel 2
St.Quentin, Frankreich
Der kleine grauhaarige Mann trat durch die Glastür des Bahnhofs von St. Quentin und blickte suchend nach rechts und links. Wie man an seinem brummigen Gesichtsausdruck erkennen konnte, fand er jedoch nicht das, was er erwartete. Es war früher Abend und die Hektik durch die Berufspendler war schon vorbei.
Die tiefstehende Sonne, die einen filmreifen rot-violetten Sonnenuntergang darbot, blendete ihn.
Er wirkte etwas verloren vor dem großen roten Backsteingebäude des 1850 gebauten Bahnhofs mit seinen riesigen verglasten Rundbögen und den üppig gehissten französischen Flaggen.
Der Mann war eine kräftige Erscheinung aber nicht sehr groß, man könnte sagen kompakt. Der große brauen Koffer den er dabei hatte, hatte, wie sein Mantel und die abgewetzten Schuhe, schon bessere Tage gesehen.
Je länger er sich umsah, umso nervöser wirkte er. Immer wieder schaute er auf seine Uhr und sah suchend über den Parkplatz und den Place André Baudez, der sich so langsam leerte. Es standen nur noch vereinzelte geparkte Autos herum. Der letzte Taxifahrer vor dem Bahnhofsportal hatte sich bereits bemerkbar gemacht und den Mann wiederholt aufgefordert einzusteigen. Der hatte aber nur unwirsch abgewunken. Er knöpfte sich seinen hellbraunen Mantel zu, um den unangenehmen abendlichen Wind abzuhalten.
Sein Name war Gerard Puyol. 2 Stunden vorher war er in der Gare du Nord in Paris in den Zug gestiegen und es sah so aus, als warte er auf jemanden, der ihn abholen sollte. Nachdem 20 Minuten lang nichts passierte und ein erneuter Versuch des Taxifahrers, ihn als Fahrgast zu gewinnen, genauso barsch gescheitert war, nahm Puyol seinen Koffer und trottete los Richtung Straßenunterführung der Rue du Générale Leclerc. Das Laufen fiel ihm offenbar schwer und der Koffer war für seine geringe Körpergröße bei jeder Bewegung hinderlich. Puyol fühlte sich nicht wohl. Bereits seit längerem machte ihm sein Herz zu schaffen und er war oft kurzatmig.
Auch heute kamen diese Stiche in der Brust wieder, besonders wenn er sich aufregte, was bei ihm nicht selten vorkam. Er hasste Unzuverlässigkeit und Dummheit und dafür war Pierre Fouchet ein Paradebeispiel. Pierre hatte ihm zugesagt, dass er ihn um 18.00 Uhr am Bahnhof abholen würde. Er wusste doch, wie brisant die Angelegenheit war.
Puyol kannte Fouchet schon seit der Kindheit. Seitdem waren sie die dicksten Freunde. Nur diese Unzuverlässigkeit und Sorglosigkeit, die Fouchet immer wieder an den Tag legte, machte Puyol in all den Jahren wahnsinnig.
Das war auch der Grund, warum Fouchet damals 6 Monate ins Gefängnis musste. Er hatte damals aber auch wirklich jeden Ratschlag Puyols ausgeschlagen. Es wurde Zeit, dass sie die Sache jetzt zu Ende brächten.
Puyol hatte die Unterführung erreicht und hörte das hohle Donnern des Verkehrs oben auf der Straße. Direkt neben der Brücke führte eine Steintreppe nach oben und Puyol stieg Stufe für Stufe langsam nach oben. Er überlegte, ob dieser Idiot vielleicht oben an der Hauptstraße auf ihn warten würde.
Mit jedem Meter wurden die Schritte mühsamer und der Koffer fühlte sich immer schwerer an. Die Stiche in seiner Brust kamen regelmäßiger und ein ziehender Schmerz hatte seinen linken Arm erreicht. Puyol schob den Schmerz auf den Koffer, als ihm plötzlich schwindelig wurde. Er fiel mehr, als dass er sich auf die Stufen setzte und er hatte das Gefühl, als müsste er sich jeden Moment übergeben. Das Atmen fiel ihm schwer. Plötzlich wurde ihm schwarz vor Augen und er kippte zur Seite. Das sein Kopf auf die Steinstufen aufschlug, merkte Gerard Puyol schon nicht mehr. Gerard Puyol war tot. Der Taxifahrer, der den alten Mann beobachtet hatte, rannte zur Unterführung.
„Monsieur, Monsieur, ist ihnen nicht gut? Soll ich die Ambulanz rufen?“, sprach er Puyol an.
Der Taxifahrer brachte sein Gesicht nahe an Puyol Kopf, konnte aber keinen Atem bemerken. Er schüttelte den leblosen Körper noch kurz, sah aber, dass dies zu nichts führte, holte sein Handy raus und wählte den Notruf. Die Notrufzentrale meldete sich und versprach schnellstens jemanden zu schicken.
Nach 5 Minuten hörte er die Sirene und der Rettungswagen bog von der Hauptstraße ab und kam unter der Brücke zum Stehen. Zwei Sanitäter und ein Notarzt sprangen heraus, beugten sich über Puyol und versuchten, nach kurzer Untersuchung, mittels eines Defibrillators sein Herz wieder in Gang zu kriegen. Nachdem einige Versuche gescheitert waren, ließen sie von Puyol ab und schüttelten den Kopf.
„Da war nichts mehr zu machen“, erklärte der Notarzt dem besorgt schauenden Taxifahrer.
Mittlerweile war auch ein Wagen der Gendarmerie vor Ort erschienen und zwei uniformierte Polizisten stiegen aus.
„Bonjour Monsieurs“, begrüßte einer der Polizisten die Wartenden, „was haben wir denn hier?“
„Exitus, leider“, erklärte der Notarzt. „Wir haben alles versucht, aber da war nichts mehr zu machen.“
Der Polizist wandte sich an den Taxifahrer:
„…und wer sind sie?“
„Ich habe den Arzt gerufen. Ich bin Taxifahrer und habe den Mann aus dem Bahnhof kommen sehen. Er wollte nicht mitfahren und ging mit seinem Koffer zu Fuß die Treppe hoch. Ich hatte den Eindruck, der wartet auf jemanden, der aber nicht kam. Der hat sich die ganze Zeit immer so hektisch umgeguckt.“
Der andere Polizist hatte sich mittlerweile über Puyol gebeugt und durchsuchte seine Taschen nach Ausweispapieren. Da er die nicht fand, widmete er sich dem Koffer, der die Treppe runtergefallen war und versuchte, ihn zu öffnen. Der hatte durch den Sturz zwar eine leichte Beschädigung erlitten, war aber immer noch verschlossen. Dem Gendarm gelang es durch Hebeln mit seinem Schlagstock, zwar seitlich in den Koffer hineinzuschauen, aber das Schloss öffnete sich dadurch auch nicht.
Der andere Gendarm wollte wissen:
„Wie sieht es aus, irgendetwas mit seinem Namen gefunden?“
Sein Kollege schüttelte den Kopf und schaute mit irritiertem Blick auf:
„Also wenn du mich fragst, ist der Koffer vollgestopft mit Banknoten.“
Pierre Fouchet bog gerade mit seinem altersschwachen Peugeot von der Avenue Léo Lagrange auf die Zufahrt zum Bahnhofsvorplatz ein, als er die Blaulichter sah. Er bremste abrupt ab und starrte nach vorne.
„Scheiße“, dachte er, „sie haben ihn erwischt.“
Der Schweiß trat ihm aus allen Poren und er überlegte, was zu tun sei. Überlegen war nicht seine Meisterdisziplin, aber ein gesunder Selbsterhaltungstrieb brachte ihn dazu, langsam rückwärts zu setzen und wieder zurück auf die Hauptstraße zu fahren. Dann schlug er die Richtung nach Anguilcourt-le-Sart ein.
„So ein Mist“, dachte er.
Er hatte sich völlig verschätzt, wie lange er für die wenigen Kilometer im Feierabendverkehr brauchen würde, aber an der Stadtgrenze von St. Quentin war Schluss gewesen. Die Pendler fuhren von der Arbeit zurück und es ging nur noch im Schritttempo weiter und so hatte er Puyol verpasst.
Fouchet konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was war schiefgelaufen? Hatte die Polizei schon auf Puyol gewartet? Es wusste doch keiner von seiner Reise? Fouchet war sich andererseits auch wieder nicht sicher, was er nach übermäßigem Rotweingenuss so alles erzählt hatte… und vor allem, wem er etwas erzählt hatte. Stand da eben nicht auch ein Krankenwagen?
Kapitel 3
Essen
Stahlharte Augen blickten unter dem Cowboyhut hinter der Kiste hervor. In der rechten Hand hielt er einen Revolver mit der Mündung zur Zimmertür.
Kriminalhauptkommissar Hans Jesberg öffnete die Tür, betrat das Zimmer und blickte dem Cowboy direkt in die Augen. Er zog seine rehbraune Wildlederjacke aus, die an Armen und Rücken mit langen Fransen versehen war und warf sie über den Stuhl. In der Bekleidung gab es zwischen Jesberg und dem Cowboy keine großen Unterschiede, lediglich der große Hut fehlte. Den hatte er im Auto vergessen.
„John…wir verschwinden hier heute“, sagte er langsam, „aber los wird der uns nicht.“
Jesbergs hatte sich das morgendliche Ritual angewöhnt, beim Betreten seines Büros mit dem lebensgroßen Foto des Westernschauspielers John Wayne zu reden. Er hatte diesen „Starschnitt“ vor etwa 40 Jahren aus einer Filmzeitschrift ausgeschnitten und zusammengeklebt und seitdem hatte es ihn durch sein ganzes Polizeileben begleitet. Dementsprechend mitgenommen und ausgeblichen sah das Papier auch aus.
In jedem Büro war es fein säuberlich an die Wand geheftet und beim Auszug sorgfältig wieder abgenommen worden. Anfangs hatten die Kollegen noch breit grinsend beobachtet, mit welcher Akribie Jesberg die Fotos zusammensetzte, mittlerweile wunderte sich keiner mehr über seine skurrilen Vorlieben. Er war ein Western-Fan mit Leib und Seele. Damit hielt er auch nicht hinter dem Berg. Im Gegenteil, schon seine Kleidung deutete darauf hin, dass er auch stilecht als Sheriff von Tombstone Dienst leisten könnte.
Selten war er anders anzutreffen als in engen Jeans mit Cowboystiefeln, darüber eine Wildlederjacke mit langen Fransen. Begegnete man ihm draußen, trug er meistens zusätzlich einen original Stetson Cowboyhut. Seine gesamte Erscheinung ähnelte mehr der eines Angestellten eines Freizeitparks als der eines Kriminalhauptkommissars der Essener Kripo. Jesberg kümmerte das schon lange nicht mehr. Anfangs war es ihm manchmal lästig, wie sein Umfeld reagierte, aber im Laufe der Jahre amüsierte ihn das alles nur noch.
Seine Frau hatte kurz nach der Hochzeit noch Hoffnung gehabt, ihm diese Flausen austreiben zu können, aber auch sie musste erkennen, dass es zwecklos war. Das Thema hatte sich jetzt endgültig erledigt.
Jesberg ging gemessenen Schrittes durch sein Büro zum Fenster und sah schweigend nach draußen.
„Jessie…du wirst alt. Die Genugtuung hättest du ihm nicht gönnen dürfen.“, sagte er leise zu sich selbst.
Jesberg kam gerade von seinem Dezernatsleiter Dr.Hilberg. Der hatte ihn schon früh morgens zu Hause angerufen und mit triumphierender Stimme geweckt.
„Jesberg…wenn sie gleich ins Büro kommen, melden sie sich zuerst bei mir. Ich hoffe sie sind wenigstens heute einmal pünktlich. Ich werde….“
Mehr hatte Jesberg nicht gehört, weil er das Telefon unters Kopfkissen gelegt hatte und erst einmal pinkeln gegangen war. Als er zurückkam, hatte Hilberg schon aufgelegt. Hilberg war ein Arschloch und Jesberg kümmerte sich normalerweise nicht um ihn, wenn da nicht gestern diese Unvorsichtigkeit passiert wäre.
Jesberg arbeitete seit mehr als 15 Jahren im Rauschgiftdezernat und war mittlerweile in der Essener Drogenszene bekannt wie ein bunter Hund. Dazu hatte aber nicht nur sein schrilles Outfit beigetragen, sondern auch die Art und Weise, wie er mit seinen „Kunden“ umging.
Im Gegensatz zu anderen Kollegen sprach er mit den Junkies. Er wusste wahrscheinlich besser über die privaten Lebensumstände einiger Abhängiger Bescheid, als deren Familienangehörigen. Dabei war ihm wichtig, immer fair zu bleiben. Das war nicht jedes Mal einfach, insbesondere wenn Informationen, die ihm vertraulich gegeben wurden, einen Polizisten eigentlich zum Handeln gezwungen hätten. Jesberg hatte im Laufe der Zeit aber festgestellt, dass Gesetze das wirkliche Leben nicht immer regeln können, und war zu der Überzeugung gekommen, dass er vieles aus dem Bauch heraus entscheiden musste. Das war auch ein Grund dafür, dass es kein Kollege lange mit ihm im Team aushielt und Jesberg schließlich ein Büro für sich alleine bekam.
Nicht dass er mit den Kollegen nicht zusammenarbeiten konnte, er war sogar ein geschätzter Polizist, wenn große Verfahren oder Einsätze zu bewältigen waren, aber bei seinen einsamen Entscheidungen am Rande der Legalität, ließen ihn die Kollegen dann doch lieber alleine arbeiten.
Jesberg war das egal. Er sah sich selber sowieso lieber als der „Lone Ranger“ im Kampf gegen das Böse.
Gestern Morgen war die Bürotür plötzlich aufgegangen und ein Häuflein Elend stand im Türrahmen. Benny Fischer, 18 Jahre, heroinsüchtig und wie es aussah, kurz vor den Entzugsschmerzen. Jesberg kannte das schon. Wenn er ihnen einmal geholfen hatte, kamen sie immer wieder, meist unangemeldet, in sein Büro.
Die Gestalt vor ihm war spindeldürr und trug ein verwaschenes T-Shirt und eine Jeanshose, die wahrscheinlich noch nie eine Waschmaschine gesehen hatte. Der Junge zitterte und schaute sich dauernd um.
„Benny…komm rein und setz dich“, sagte Jesberg und der Junge glitt auf den nächsten Stuhl.
„Was gibt’s?“
„Herr Jesberg, das Zeug war Scheiße…ich brauch was und es wirkt nicht. Ich geh kaputt….“
„Wo haste es denn her? Wer verkauft denn den Mist?“
„Herr Jesberg, ich sag ihnen ja alles, aber was soll ich machen. Es tut so weh.“
Benny wimmerte auf dem Stuhl vor ihm.
„Ich weiß nicht wer es verkauft …ich hab‘s am Bahnhof von ‘nem Türken. Die haben nur noch Scheiße.“
Jesberg schaute mitleidig auf die zusammengesunkene Gestalt und langsam stieg wieder die Wut auf die Dealer in ihm hoch, die aus Geldgier die Drogen mit irgendwelchem Scheiß streckten, um noch mehr verkaufen zu können. Dabei mischten sie manchmal die verrücktesten Sachen unter das Heroin. Einmal war in der Szene sogar Heroin mit Arsen verschnitten worden. Drei Drogentote waren das Ergebnis.
„Herr Jesberg…ich hab doch keinen der mir hilft. Geben sie mir doch was…“
„Du bist wohl bekloppt…ich geb dir doch keinen Stoff.“
„Nein…mein ich doch auch nicht…nur was gegen die Schmerzen…“
Jesberg wusste, dass dem Jungen das Schlimmste noch bevorstehen würde, wenn der Entzug richtig einsetzte und er überlegte, was er machen konnte.
Benny kannte er seit etwa 2 Jahren. Zuerst war er nur als Gelegenheitskiffer mit etwas Haschisch aufgefallen. Seine Birne war nicht die hellste und irgendwann hatte ihm einer seiner Haschischverkäufer erklärt, dass er viel besseres Haschisch hätte. Das würde richtig reinhauen. Es hieße „Schore“. Man würde es nicht rauchen, sondern erhitzen und die Dämpfe einatmen. Benny hatte nichts Besseres zu tun, als das Zeug zu nehmen, zumal die ersten drei Mal umsonst waren.
Dann merkte er eines Tages, dass sich ein stechender Schmerz einstellte und er schnell wieder „Schore“ brauchte. Er ging zu seinem Dealer und wollte neues, doch der wollte nun richtig viel Geld sehen. Benny verstand überhaupt nicht, dass dieses „neue“ Haschisch auf einmal so teuer sein sollte, bis ihm ein Kumpel erklärte, dass sie ihn auf Heroin gebracht hätten.
Damit begann der Teufelskreis. Je mehr Benny von dem Zeug nahm, umso höher wurde mit der Zeit die Dosis, die er benötigte. Das Geld dafür musste er irgendwie beschaffen. Zuerst beklaute er seine Eltern und versetzte alles im Pfandhaus. Nach einiger Zeit ist er dann zuhause rausgeflogen und musste sich draußen alleine durchschlagen. Die Spirale ging immer schneller nach unten. Der Hunger kam dazu und die Diebstähle begannen. Erste Festnahmen folgten und Jesberg hatte einen neuen „Kunden“. Das Rauchen von Heroin brachte dann nicht mehr den richtigen „Kick“ und Benny begann, das Heroin zu spritzen. Es dauerte bei ihm nicht lange und dadurch, dass die Spritzen bei vielen Junkies die Runde machten, fing er sich die Krankheiten Hepatitis und Aids ein.
Nun saß er also bei Jesberg und war wieder mal am Ende. Jesberg hatte selbst eine Tochter und durfte überhaupt nicht daran denken, dass sie in so eine Situation kommen könnte. Benny wimmerte auf seinem Stuhl.
„Nur ein paar Remmis…sie ham doch noch welche von letztes Mal“.
Jesberg wusste, dass Benny Recht hatte.
Benny hatte mit einem gefälschten Rezept das Medikament „Remedacen“ in der Altstadt-Apotheke erschlichen und war aber kurz darauf festgenommen worden.
Dieses Mittel nahmen die Junkies gerne, um die Schmerzen wenigstens etwas zu betäuben. Die Schutzpolizei hatte ihn sofort zu Jesberg ins Büro gebracht, der ihn kurz vernommen und dann rausgeschmissen hatte. Die Packung lag noch in Jesbergs Schublade. Der Apotheker hatte gesagt, dass er sie aus gesetzlichen Gründen nicht zurücknehmen dürfe.
Jesberg überlegte.
Was er jetzt tun wollte, war verboten, aber wo kein Kläger…. Ohne Worte griff er in seine Schublade und nahm die Packung heraus. Er warf sie Benny zu und sagte ihm: „Da nimm…und jetzt verschwinde. Sag mir nächstes Mal, wer das schlechte Zeug am Bahnhof verkauft.“
Benny riss die Packung auf und nahm gleich drei Tabletten.
„Danke Herr Jesberg…ich mach alles was sie wollen.“
Er sprang auf und lief aus dem Büro. Auf dem Flur beruhigte sich Benny wieder etwas, da die Tabletten ihre Wirkung taten. Langsam konnte er schon klarer denken, wobei er wie üblich nur darüber nachdachte, wie er Geld für den nächsten Schuss bekommen konnte.
Luise Bergmann saß auf dem Flur des Polizeipräsidiums und wartete darauf, dass der Beamte, der sie zur Vernehmung geladen hatte, hereinrufen würde. Sie bemerkte Benny nicht, der von links den Flur entlangkam und war völlig überrascht, als er ihr mit einem Ruck die Handtasche vom Schoß riss. Benny rannte los und wollte mit schnellen Schritten die große Treppe hinunterrennen, als er von einem entgegenkommenden Polizisten, der den Vorfall beobachtet hatte, ein Bein gestellt bekam und die Treppe hinunterstürzte. Er fiel auf sein Gesicht, sein Nasenbein brach sofort und das Blut schoss ihm übers Kinn. Kurz darauf saßen zwei Beamte auf seinem Rücken und drückten ihn auf den Boden.
„Wehr dich nicht, sonst tut’s noch mehr weh.“
Benny wusste überhaupt nicht, wie ihm geschah, da das Blut mittlerweile auch nach oben in seine Augen lief. Im Präsidiumsflur waren zwischenzeitlich weitere Polizisten erschienen und wollten sehen, wer den Krach verursachte. Die Polizisten durchsuchten Bennys Jacke und legten alle Gegenstände neben ihn auf den Boden. So fanden sie natürlich auch die Schachtel Remedacen.
„Was ist denn hier los?“
Die schneidende Stimme Dr.Hilbergs übertönte den Lärm. Er wandte sich an einen der Polizisten, der Benny auf dem Boden festhielt.
„Was hat er gemacht?“
„Er hat der Dame die Handtasche geraubt und wollte dann weg. Dabei hat er mein Bein übersehen und ist gefallen.“
Dr.Hilberg, der für diese Art Scherze nicht zu haben war, nickte nur kurz und fragte weiter:
„Was hat er denn noch dabei? Ist das ein Rauschgiftsüchtiger?“
Der Polizist zuckte nur mit den Schultern und zeigte Dr. Hilberg die Habseligkeiten von Benny.
„Aha…da haben wir ja schon was“, bemerkte Dr. Hilberg und deutete triumphierend auf die Medikamentenpackung.
„Ich kenn mich aus…tut wohl weh ohne dieses Zeug, was?“, versuchte er lustig zu sein.
Benny, der langsam wieder zu sich gekommen war, sah nur, wie ihm seine „Schätze“ weggenommen wurden und wurde etwas lebendiger.
„Das ist meins. Das gehört mir….Ich brauch das.“
„Ja, ja“, meinte Dr. Hilberg, „du brauchst das. Das hast du doch bestimmt auch geklaut. So Leute wie dich, kennen wir zur Genüge.“
„Nein, nein, das ist meins“, jammerte Benny, „fragen sie Herrn Jesberg, der hat es mir geschenkt.“
„Was sagst du da? Jesberg hat dir das geschenkt? Pass mal auf mein Junge…du kommst jetzt mal mit in mein Büro und da unterhalten wir uns weiter. Bringen sie ihn in mein Büro“, blaffte er den Schutzpolizisten an.
„Aber lassen sie ihm die Handschellen dran“.
Benny wurde in Dr. Hilbergs Büro gebracht und auf einen Stuhl gesetzt. Er wies seine Sekretärin an, sich an den Computer zu setzen und diktierte ihr eine Vernehmung von Benny.
„So dann wollen wir mal. Du hast also die Tabletten von Jesberg bekommen, habe ich das richtig verstanden?“
Benny, dessen Nase mittlerweile nicht mehr blutete, bekam langsam wieder einen klaren Kopf und hätte sich am liebsten selber in den Arsch getreten, weil er Jesberg in die Pfanne gehauen hatte.
„Ich weiß nicht wovon sie reden“, erwiderte er.
Dr. Hilbergs Gesicht nahm langsam einen Rotton an, der an einen extremen Sonnenbrand erinnerte.
„Hör mir mal zu du kleiner Scheißer. Ich will jetzt genau das hören, was du mir eben auf dem Flur gesagt hat. Dann bekommst du deine Scheißtabletten auch wieder.“
Bennys Widerstand war gebrochen. So sehr er Jesberg mochte, ihm war die Aussicht auf die Tabletten viel wichtiger als irgendeine Sympathie zu einem Polizisten. Er hätte seine Mutter ans Messer geliefert, nur um an die Tabletten zu kommen.
„Ja, er hat sie mir geschenkt. Weil er Mitleid mit mir hatte. Der ist nicht so wie die anderen Bullen…oh Entschuldigung, Polizisten“.
„Das ist mir ganz egal“, meinte Dr. Hilberg.
„Frau Biedermann, schreiben sie…“
Dann diktierte er seiner Sekretärin eine Vernehmung Bennys, ohne dass der ein Wort sagen musste. Dass Jesberg dabei nicht gut wegkam, versteht sich von selbst. Das Blatt wurde Benny dann zur Unterschrift vorgelegt, seine Handschellen abgenommen und er unterschrieb, da er immer noch glaubte, seine Tabletten zu bekommen.
Dr. Hilberg sagte ihm daraufhin: „Du kannst gehen.“
Benny meinte, nicht richtig zu hören.
„…und meine Tabletten?“
„Hör mal…sei froh, dass wir dich nicht in die Zelle sperren. Du hast doch wohl nicht geglaubt, dass du das Zeug wiederbekommst, oder? Raus jetzt!“
Benny wurde rasend in seiner Verzweiflung und sprang über Dr. Hilbergs Schreibtisch, so dass sämtliche Akten heruntergefegt wurden. Kaffeetasse, Kugelschreiber, Tabletten, alles landete auf dem Fußboden oder im Papierkorb daneben.
„Hilfe“, rief Dr. Hilberg und sofort stürmten zwei Polizisten ins Büro, die vor der Tür gewartet hatten. Sie packten Benny und zogen ihn aus dem Zimmer. Er wehrte sich kurz. Ihm wurde aber klargemacht, dass dies keinen Erfolg haben würde. Die beiden Polizisten führten ihn mit festem Griff zum Haupteingang des Präsidiums und warfen ihn raus. Benny trottete davon.
Dr. Hilberg ordnete seine verrutschte Krawatte, suchte in dem Durcheinander die Vernehmung und betrachtete sie mit sichtlicher Genugtuung. Jetzt hatte er ihn. Jesberg war ihm seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge, eigentlich schon seit Dr.Hilberg Dezernatsleiter der Rauschgiftabteilung geworden war.
Jesberg war ihm sofort aufgefallen, dieser spätpubertäre Cowboytrottel. Dr. Hilberg hatte in seiner Rede bei seiner Vorstellung von „preußischen Tugenden“ und „dem Pflichtbewusstsein der Beamten“ geredet, als er völlig aus dem Konzept kam. Er hörte, wie Jesberg zu seinem Sitznachbarn sagte, „dass die Cherokee den sogar vom Marterpfahl wieder losgebunden hätten, weil die keine Bekloppten foltern würden.“ Den Beamten hatte er sich gemerkt.
Dr. Hilberg hatte in der Folgezeit mehrfach die Gelegenheit gehabt, die Eigenarten Jesbergs kennenzulernen, und sie missfielen ihm alle. Er wartete nur auf die Möglichkeit, diese Person aus seinem Dezernat zu entfernen und dieser Tag schien nun gekommen. Mit triumphierendem Gesicht und forschem Schritt verließ Dr. Hilberg sein Zimmer. Seiner Sekretärin sagte er:
„Würden sie so freundlich sein und dieses Chaos in Ordnung bringen lassen? Ich muss zu Präsident Fender.“
„Die Putzfrau war gerade hier, ich hol sie eben noch einmal zurück“, sagte sie ihm zu.
Dr. Hilberg ging über den Flur zum Zimmer des Polizeipräsidenten Fender und bat um ein Gespräch.
Fender, ein gemütlicher Mensch von 63 Jahren saß in seinem Dienstzimmer mit einem Glas Cognac und schaute in den Fernseher, wo aktuell die Olympischen Sommerspiele liefen.
„Ah…Hilberg…was gibt’s…sie sehen ja so fröhlich aus.“
„Herr Fender…äh…kann ich sie mal kurz sprechen…es ist etwas vorgefallen, das keinen Aufschub duldet.“
„Jaaa…das ist aber schlecht“, meinte Fender, „ich habe im Moment eigentlich keine Zeit. Wollen sie einen Cognac?“
„Nein danke, im Dienst trinke ich nicht.“
„Hilberg, bleiben sie locker. Wollen sie irgendwann einen Herzinfarkt bekommen?“
„Herr Fender…einer meiner Beamten hat ein schweres Dienstvergehen begangen und ich beantrage seine Suspendierung vom Dienst.“
Fender, sichtlich gestört bei seiner Fernsehsendung, schaute Dr. Hilberg über sein Cognacglas an und sagte.
„Jetzt kommen sie mir bloß nicht mit dem Jesberg.“
„Doch, genau der ist es.“
„Mensch Hilberg, ich weiß ja, dass sie den nicht mögen, aber der ist gut, der ist wirklich gut.“
„Herr Fender, ich kann nicht umhin ihn anzuzeigen. Er hat einem Drogensüchtigen rechtswidrig Medikamente ausgehändigt, möglicherweise sogar sichergestellte Tabletten aus einem Strafverfahren.“
Fender fühlte sich jetzt überhaupt nicht mehr wohl in seiner Haut und rutschte in seinem Sessel hin und her. Die Olympischen Spiele waren mittlerweile Nebensache geworden.
„Hilberg, überprüfen sie das besser noch mal.“
„Ich brauch das nicht überprüfen, ich habe die Aussage eines Drogensüchtigen. Diesmal ist er reif. Er hat es zu weit getrieben.“
Fender wusste von der Abneigung, die zwischen Dr. Hilberg und Jesberg bestand, hatte sich aber nie groß darum gekümmert, da Jesberg immer gut allein mit Hilberg fertig wurde. Diesmal schien sich die Sache kritischer zu entwickeln. Fender stand plötzlich auf und wurde förmlich.
„Dr. Hilberg, ich kümmere mich darum. Ich lasse von mir hören.“
Dr. Hilberg, der mit dieser Reaktion nicht gerechnet hatte, war zunächst sprachlos und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte, trat dann aber den Rückzug an und ging zur Bürotür. Er ließ die Kopie der Vernehmung auf dem Schreibtisch von Fenders Sekretärin liegen und verabschiedete sich. Auf dem Flur war sich Dr. Hilberg immer noch nicht klar, ob er einen Erfolg verbucht hatte oder nicht. Er tröstete sich aber damit, dass er Jesberg immer noch am Haken hatte, egal was Polizeipräsident Fender unternehmen würde.
Fender ging zum Schreibtisch seiner Sekretärin und nahm die Vernehmungskopie zur Hand. Starker Tobak den Dr. Hilberg da gegen Jesberg vorbrachte. Na ja, wollen wir mal sehen, überlegte Fender, wobei ihm überhaupt nicht wohl war, wenn er an das folgende Gespräch mit Jesberg dachte.
Kapitel 4
Essen
Erdal Bozkurt war stinksauer. Er saß in der Teestube seines Cousins in Essen an der Prosperstraße in einer Ecke, wollte niemanden mehr sehen und starrte auf seinen türkischen Tee. Er hasste die ganze Welt. Sein Nachbar Adil kam zufällig vorbei und wollte ihn nur begrüßen, aber Erdal schnauzte ihn gleich mit einigen unschönen türkischen Flüchen an und sagte ihm, dass er verschwinden soll.
Erdal hätte vor Wut heulen können.
Sein Gesicht sah aus, als ob er ein paar Runden mit dem Boxweltmeister gesparrt hätte. Eine Augenbraue war angeschwollen, sie ließ kaum einen Blick auf das darunterliegende Auge frei und über der anderen klebte ein breites Pflaster.
„…und alles nur wieder wegen dieser Nutte Grete“, dachte er sich und merkte, wie die Wut erneut in ihm hochstieg.
Er hatte sie wie jeden Freitag aus dem „Club 69“ in Borken abgeholt, wo sie für Göleli Ali anschaffte. Sofort ging sie ihm wieder auf den Geist mit ihrem dauernden Gejammer, dass sie dringend einen Schuss brauchen würde. Diese Junkies waren das Letzte. Er verstand überhaupt nicht, warum Göleli Ali sich mit diesen Weibern abgab. Es gab genug andere, die für ihn auf den Strich gehen würden. Grete fing wieder damit an. Ihr wäre so schlecht.
Er wollte ihr während der Fahrt gerade eine Ohrfeige geben, als sie plötzlich würgte und ihr gesamtes Abendessen in sein Auto kotzte.
Sein „Heiligtum“, sein perlmuttfarbener BMW-Cabrio, tiefergelegt, getunt und mit einer extra dicken Auspuffanlage. Ledersitze und dicker Teppichboden war „entweiht“ worden durch Junkiekotze.
„Das wollte ich nicht“, brabbelte Grete, „aber Ali hat mir doch versprochen, dass ich auf der Rückfahrt meinen Stoff kriege. Warum hast du mir den nicht gegeben?“
Erdal wurde dadurch immer wütender, da er genau wusste, dass Ali diese Anweisung gegeben hatte und er noch nicht dazu gekommen war das Heroin zu portionieren. Dass die blöde Kuh gleich kotzen würde, konnte er ja nicht ahnen. Wenn sie das Ali erzählt, wäre er wieder der Dumme.
Sie waren gerade in Bottrop und Erdal suchte einen Platz, wo er parken konnte, um das Heroin aus dem Kofferraum zu holen. Ihm fiel die alte Kiesgrube ein. Da war abends nie einer und keiner würde ihn beobachten. Die unbeleuchtete Einfahrt fand er sofort, fuhr aber nicht auf den schlammigen Weg, weil sein Auto danach auch von außen völlig versaut gewesen wäre.
Er stieg aus, ging zum Kofferraum und holte mehrere Tücher heraus. Er gab sie an Grete weiter.
„Hier, du Miststück. Mach deine Scheiße da vorne weg.“
„Ich kann doch nicht. Ich brauche erst was…bitte Erdal…du hast doch was. Gib mir was…es tut so weh.“
Erdal merkte, dass er mit ihr nichts anfangen konnte, solange sie in diesem Zustand war. Er ging erneut zum Kofferraum, entfernte die Kofferraumverkleidung und holte eine große Tüte mit braunem Pulver hervor. Weil heute alles schief ging, donnerte es auf einmal kräftig und es begann wie aus Eimern zu regnen. Er beeilte sich, nahm ein kleines durchsichtiges Plastiktütchen, die er zum Portionieren seiner Drogen immer dabeihatte und füllte eine kleine Menge ab.
Er verstaute danach den großen Beutel wieder sorgfältig hinter der Kofferraumabdeckung und beeilte sich, schnell ins Auto zu kommen.
Grete saß immer noch wimmernd auf dem Beifahrersitz und der Regen durchnässte die Innenverkleidung der offenen Beifahrertür.
Erdal gab ihr den Beutel.
„Da! ...und jetzt raus! ...Mach schon, der Regen versaut mir die ganze Innenverkleidung.“
Grete war selig, als sie den Beutel in der Hand hielt und wollte sich gerade bei Erdal bedanken, als er sie mit einem Stoß gegen die Schulter aus dem Auto stieß.
„…und mach die Tür zu!“
Grete konnte so gerade noch verhindern, dass sie in eine Pfütze fiel und hielt sich an der Beifahrertür fest.
„Erdal, du kannst mich doch hier jetzt nicht stehen lassen,“ begann sie zu weinen und hielt dabei das Plastiktütchen fest.
Erdal sagte nichts mehr, gab mit durchdrehenden Reifen Gas und verschwand im Regen. Er sah sie noch kurz im Rückspiegel und brauste Richtung Essen davon. Er musste unbedingt erst einmal diesen säuerlichen Kotzgeruch aus dem Auto bekommen und überlegte, wo er jetzt noch eine Selbstbedienungswaschanlage finden würde.
Danach würde er zu Göleli Ali fahren und ihm das Heroin bringen.
Erdal war seit Jahren Kurierfahrer für Ali. Er transportierte Alis Prostituierte in die verschiedenen Clubs der näheren Umgebung, holte Drogen aus Holland und erledigte die „dreckigen“ Geldeintreiber- und Schutzgeldjobs für ihn. Ali, war mittlerweile in einer Position, dass er für alle kriminellen Tätigkeiten seine Leute hatte. Er würde niemals selbst Drogen in die Hand nehmen und sie verkaufen.
Deshalb war es der Polizei bislang nicht gelungen ihn mit den Drogengeschäften in Verbindung zu bringen. Er residierte meistens in seinem Club, der „Aksaray Bar“ und führte seine Geschäfte von dort aus.
Erdal war heute wieder in Arnheim in den Niederlanden gewesen und hatte die 2kg Heroin, die jetzt gut versteckt im Kofferraum lagen, für Ali von einem neuen Lieferanten abgeholt. An „Großhändlern“ mangelte es in den Niederlanden nicht, so dass Ali immer günstigere Preise herausschlagen konnte.
Durch ihre Freigabe von Haschisch und Marihuana hatten die Niederländer vor Jahren einen Deich geöffnet und wurden mittlerweile von Drogen aller Art überflutet. Die Polizei dort hatte inzwischen resigniert und den Kampf gegen die Drogenhändler aufgegeben.
Ali hatte ihm die Adresse des Dealers auf einem kleinen Zettel gegeben und er hatte sie in sein Navigationsgerät eingegeben. Dennoch war die Adresse kaum zu finden. Zwischen Wellblechbaracken und Möbelschreinereien auf einem Hinterhof hatte er den Kerl doch noch gefunden. Ali machte so viel Geld mit seinem Rauschgift und hatte eine Menge Bekannte, bei denen er kaufen könnte, aber er war immer auf der Suche nach Verkäufern, die noch ein bisschen billiger waren. Dadurch wurde die Qualität nicht besser. Wie man nur so gierig sein konnte.
Der Dealer, bei dem Erdal heute das Heroin abgeholt hatte, gefiel ihm nicht. Er machte einen verschlagenen Eindruck und deshalb hatte Erdal gleich vor Ort nachgewogen, ob es wirklich 2kg waren, die ihm verkauft wurden.
Dann fing der Kerl dauernd an zu fragen, was Ali mit dem Heroin machen würde.
„Hey man, dat is chude Dingen. Vertel je Bas, hij mut nadenken wat ik hem heb verteld. Dat Dingen mut je rekken und dann kun je echt Geld maken.“
Was wollte dieser Knaller bloß? Der soll sein Heroin verkaufen und gut ist es. Was Erdal oder Ali damit machen würden, ging den doch einen Scheiß an…
Als Erdal schon im Auto saß, kam der nochmal hinterhergelaufen und rief ihm zu: „Say mijn Bro Ali, mut krachig rekken. Chude Kwaliteit.“ Erdal schüttelte nur den Kopf und gab Gas.
Die Grenze stellte schon lange kein Problem mehr da, weil die Kontrollen abgeschafft waren. Die vereinzelten mobilen Zollstreifen musste man dennoch rechtzeitig bemerken, da sie gerne einmal allein fahrende Türken, die aus Holland kommen kontrollierten. Aber im Laufe der Zeit hatte Erdal für die Autos des Zolls einen Blick entwickelt und konnte ihnen ausweichen. Zur Sicherheit hatte er sich aber ein todsicheres Versteck hinter der Kofferraumverkleidung gebastelt, dass man nicht sofort finden konnte.
In Essen steuerte Erdal als Erstes eine Waschanlage an und säuberte sein Auto ausgiebig von innen. Erst nach anderthalb Stunden intensiver Reinigung war auf der Beifahrerseite fast nichts mehr zu sehen. Dennoch blieb ein leicht säuerlicher Geruch übrig, den Erdal durch 3 Duftbäume, Marke Oriental Peach zu überdecken versuchte. Erdal gab wieder Gas und fuhr zu Ali. Durch diese Reinigungsaktion würde er da nun viel zu spät ankommen und je nach Tagesform von Ali, konnte das böse ausgehen.
15 Minuten später stellte Erdal seinen BMW vor dem „Aksaray“ ab. Das „Aksaray“ war die ehemalige Diskothek „Staying Alive“ in der Friedrich-Ebert-Straße, in der Nähe der Essener Innenstadt. In der Hoch-Zeit der Diskotheken in den 1970-1980 er Jahren war der Laden eine Goldgrube. Die Tanzverrückten warteten in langen Schlangen vor dem Eingang, um von den muskelbepackten Türstehern hineingelassen zu werden. Als die Diskowelle dann abebbte, geriet die Diskothek immer öfter in finanzielle Schwierigkeiten und die einstige Schicki-Micki Disko verfiel zusehends. Notwendige Reparaturen konnten nicht mehr durchgeführt werden und als die Neonreklame über dem Eingang nur noch halbseitig flackernd leuchtete, deutete sich das Ende an.
Das war die Zeit, vor etwa zehn Jahren, dass Göleli Ali ins Spiel kam. Nach durchaus erfolgreicher Zeit als Zuhälter mit 5 Prostituierten auf dem Straßenstrich im Essener Bahnhofsviertel meinte Ali, es sei an der Zeit in der Hierarchie aufzusteigen und ein seriöser Geschäftsmann zu werden.
Zumindest das, was Ali für seriös hielt. Schon während seiner Zeit als Straßenzuhälter hatte er gelernt, dass man zwar seine Frauen alleine im Griff haben kann, aber gegenüber der Konkurrenz doch lieber eine schlagkräftige Truppe um sich herum versammelte.
Ali hatte keine Probleme, in seiner Bekanntschaft jemanden zu finden, der für diese Aufgabe geeignet war, da in der Gegend, in der Ali aufwuchs, der Stärkere meistens die besseren Argumente hatte. So ergab es sich, dass Mustafa Xhabi, ein Albaner aus seiner Nachbarschaft zu seinem persönlichen Leibwächter wurde. Xhabi hatte einige Brüder und Cousins, die ihn dabei unterstützten. Bald hatte Göleli Alis Truppe sich im Essener Rotlichtmilieu einen Namen gemacht und kaum jemand wagte es, sich mit ihm anzulegen. Gerüchten zufolge sollte auch der ein oder andere, der sich gegen Ali gestellt hatte, plötzlich spurlos verschwunden sein.
Bernd Sudhoff, der Besitzer des „Staying alive“, bekam eines Abends Besuch von Ali und seinen Bewachern, als er gerade die letzten Gäste aus dem Lokal geleitete. Sein schwaches „Wir schließen jetzt…“ beantwortete Ali mit einem kräftigen Schubs gegen die Brust des Mannes, so dass er zurücktaumelte und fast hingefallen wäre. Er war, genau wie seine Diskothek, ein Relikt der Diskowelle. In seinem weißen Anzug und einem Hemd, das bis zur Brust aufgeknöpft war und einer dicken goldenen Halskette, wirkte er zwar für die 2000er Jahre etwas deplatziert, war aber mit seinen 195cm Größe durchaus eine markante Erscheinung.
„Ej, du Arsch, verpiss dich aus meinem Laden“, brachte er gerade noch heraus, als Xhabi ihn mit einem linken Haken neben dem Ohr traf, so dass er stürzte.
Trotz seiner 50 Jahre sprang er flink wieder auf und wollte sich auf Xhabi stürzen, als der ihn am Hals packte und auf einen Stuhl drückte. Der stählerne Griff an seinem Hals ließ ein Atmen kaum zu und Sudhoff bekam Panik. Mit der anderen Hand ließ Xhabi ein Springmesser aufklappen und steckte es Sudhoff in ein Nasenloch.
„Halts Maul du Opfer“, zischte Xhabi ihm zu.
„Der Boss hat dir was zu sagen und du hörst zu, sonst hattest du mal ne Nase, du Wichser…“
Ali stolzierte erst einmal wie ein Gockel um Sudhoff herum und sagte gar nichts. Er sah sich die Disko an, ging in die hinteren Räume, die offenbar der Bürobereich waren und kam langsam zurück.
Ali stellte sich vor Sudhoff, kramte in seinem Ledermantel und zog eine Zigarre heraus, die er in aller Ruhe abbiss und anzündete.
Durch den ersten Qualm hindurch wandte er sich an den Discobesitzer.
„So jetzt hör mir einmal zu du Hurensohn. Ich will deinen Laden.“
Er blies Sudhoff provokant den Qualm ins Gesicht, so dass der einen starken Hustenreiz bekam, sich aber wegen des Messers in seiner Nase nicht traute zu husten.
„Hör mal, …was soll…ich meine…“, stammelte Sudhoff.
„Du sollst hier nicht rumheulen du Kartoffel, wieviel?“
Sudhoff wusste überhaupt nicht, was er sagen sollte. Er wollte den Laden nicht verkaufen und hatte sich schon gar nicht über einen Verkaufspreis Gedanken gemacht. Er hätte bestimmt 30.000 - 40.000 € für die Disko bekommen, wenn sie etwas renoviert worden wäre. Aber in dieser Situation traute er sich überhaupt nicht so einen Preis zu nennen.
„Also, so geht das doch nicht…“, wagte er dennoch zu sagen.
„So geht was nicht?“
Ali sprang auf ihn zu und nahm Xhabi das Messer aus der Hand. Er begann mit der Messerspitze an Sudhoffs Hals entlang zu fahren.
„Hör zu, wir reden hier nicht darüber ob du den Laden verkaufst, sondern nur über den Preis…und wenn du mich noch weiter reizt, brauchst du das Geld auch nicht mehr.“
Ali nahm das Messer von Sudhoffs Hals und drehte sich um.
„Also, alter Mann…ich bin ja kein Unmensch, sondern Geschäftsmann…das soll alles seinen ordentlichen Gang gehen. Morgen kommt mein Notar zu dir und du bekommst 5.000€…so als Anerkennung für dich, dass du mir den Laden gibst…und dann verpisst du dich und ich hör nichts mehr von dir, verstanden?“
„A…aber das geht doch so nicht…5000€…wissen sie, wieviel das hier wert…“
Weiter kam Sudhoff nicht. Ali drehte sich blitzschnell um und stieß ihm das Messer seitlich ins Knie.
Er heulte auf und krümmte sich zusammen, als Ali das Messer wieder herauszog. Er wimmerte und sank vom Stuhl. Xhabi holte aus und trat ihm hinten in die Nieren, so dass Sudhoff vor Schmerz das Bewusstsein verlor.
Er wachte nach einiger Zeit wieder auf und versuchte aufzustehen, was ihm aber aufgrund des Schmerzes im blutenden Knie nicht gelang. Auch die Nieren schmerzten fürchterlich.
Außer ihm war niemand mehr in der Diskothek.
Er rief seine Frau an und ließ sich von ihr ins Krankenhaus fahren.
Einige Tage später saß Sudhoff in seinem Büro, als ein korrekt gekleideter Herr an seine Tür klopfte und sich als Notar Dr. Klein vorstellte. Er erklärte, dass Herr Sudhoff ja Bescheid wisse und er nur unten rechts einige Unterschriften leisten müsste. Sudhoff schaute mit leerem Blick auf die Kaufverträge, überlegte kurz und unterschrieb. Dr. Klein sammelte die Verträge wieder ein und legte einen dicken Umschlag auf Sudhoffs Schreibtisch. Mit den Worten: „Hier der vereinbarte Preis.“ Er stand auf, nahm seine Aktentasche und verschwand.
Sudhoff stierte mehrere Minuten an die gegenüberliegende Wand, nahm den Briefumschlag und schaute hinein. Ein Packen 100€ Scheine waren darin. Er verzichtete resigniert auf das Nachzählen, nahm seinen Mantel und verließ humpelnd sein Büro.
Göleli Ali begann gleich in der nächsten Woche mit dem Umbau. Die Tanzfläche verschwand und es wurden Sitzecken und im hinteren Teil Separees gebaut. Jetzt konnte er seine Prostituierten von der Straße holen und hier arbeiten lassen. Seinen Privatbereich ließ er protzig mit teurem Holz vertäfeln und mit dicken Teppichen auslegen.
Ali hatte die nächste Stufe erreicht und seinen ersten eigenen Club.
Vor diesem Lokal stand Erdal nun. Es regnete noch immer in Strömen. Erdal nahm den Beutel aus dem Kofferraum, steckte ihn unter seine Jacke, damit er nicht nass wurde und ging zum Eingang. Der Türsteher nickte ihm nur leicht zu und sprach etwas in sein Funkgerät.
Im Club war es fürchterlich überhitzt, wahrscheinlich wegen der leichten Bekleidung der Frauen. An der Theke stand ein weiterer von Alis „Gorillas“, der mit dem Daumen nach hinten Richtung Alis Büro wies, wo der nächste Breitschultrige neben der Bürotür stand.
Erdal öffnete die Tür und bekam im selben Augenblick einen derart kräftigen Schlag in den Rücken, so dass er nach vorne in das Büro stolperte, den Plastikbeutel aus den Händen verlor und auf den Bauch fiel. Direkt vor ihm stand in dunklem Anzug Göleli Ali, der den Beutel geschickt aufgefangen hatte, bevor dieser auf den Boden fiel und sein teurer Inhalt sich über den Teppich verteilt hätte.
Ali legte den Beutel auf seinen Schreibtisch, trat einen Schritt vor und zog Erdal an seiner Lederjacke hoch und schubste ihn von sich.
Bevor Erdal überhaupt die Orientierung wiedergefunden hatte, schlug ihm der Mann, der neben der Tür stand gleich mit der Faust ins Gesicht. Erdal stolperte gegen einen Stuhl und saß wieder auf dem Boden, als er einen Tritt gegen das andere Auge bekam. Die Augenbraue platzte auf und Blut lief ihm die Wange herunter auf sein Hemd.
„Hör mir gut zu du kleine Ratte, ich habe dir tausendmal gesagt, dass du bei deinen Fahrten pünktlich sein sollst“, schrie Ali ihn an.
„…und wenn das nicht geht, dann ruf wenigstens an. Ich hab gedacht die Bullen hätten dich geschnappt und jeden Moment damit gerechnet, dass die hier stürmen. Sechs Stunden von Arnheim bis Essen…Erzähl!...was war los? Hast du das Zeug?“
„Jaa…hab ich. Alles gut…diese Nutte…die Grete hat Probleme gemacht. Hat deshalb länger gedauert.“, stammelte Erdal und versuchte, sich hochzuziehen.
„Dann sieh zu, dass du das Zeug wie üblich unter die Leute bekommst. Aber nicht wieder so lahmarschig wie beim letzten Mal.“
„OK Ali…alles gut…“.
Erdal trottete Richtung Schreibtisch, nahm den Plastikbeutel an sich und wollte das Büro verlassen. Die Augenbraue hatte mittlerweile aufgehört zu bluten.
„Xhabi“, sagte Ali zu dem „Gorilla“ an der Tür, „gib ihm die Tüte für Frickenhoff mit“, und an Erdal gewandt, „die bringst du ihm und sagst ihm, dass er langsam die Kohle rüberwachsen lassen soll. Den Beutel Koks da gibst du ihm erst, wenn er bezahlt hat. Verstanden?“
Erdal nickte und trottete aus dem Büro. Der Türsteher Xhabi führte ihn durch die Hintertür auf den Hof, wo er aus einem Kofferraum eines Autos einen Plastikbeutel nahm und Erdal in die Hand drückte. Erdal versteckte den Beutel in seiner Jacke und ging zu seinem BMW.
Dort bemerkte er, dass sein hinterer Kotflügel eine dicke Beule aufwies. Er hätte heulen können. Er drehte sich zu dem grinsenden Türsteher, rief ihm ein wütendes „Hurensohn“ zu, stieg schnell ins Auto und gab Gas.
Da saß er nun im Café und ließ die vergangenen Stunden Revue passieren. Wenn er den Mut gehabt hätte, würde er Ali umbringen. Gleichzeitig war ihm aber klar, dass er sich das nie trauen würde. Er fasste unter seine Jacke und fühlte das kalte Metall der Pistole, die Ali ihm gegeben hatte. „Zur Sicherheit“ hatte er gesagt. „Wenn ein Auftrag einmal schiefläuft.“ Jetzt hätte Erdal sie am liebsten dazu benutzt Ali eine Lektion zu erteilen. Erdal hasste die Welt.
Kapitel 5
Perleberg, Brandenburg,
Der historische Marktplatz mit seinem Kopfsteinpflaster im brandenburgischen Perleberg war heute ausnahmsweise von geparkten Autos belegt. Die Stadtverwaltung hatte den Platz wegen des großen Interesses der Bevölkerung und der Medien zum Parken freigegeben.
In den Ratssaal der Stadt hatte Bürgermeisterin Jennifer Amelung zu einer Informationsveranstaltung eingeladen, die den weiteren Ausbau der Autobahn A14 zum Thema hatte. Diese Autobahn war seit langem Streitpunkt im gesamten Landkreis. Zum Einen waren da die Naturschützer, die die Trassenführung durch mehrere Landschaftsschutzgebiete verhindern wollten und zum anderen Anwohner, die den Lärm fürchteten.
Im Ratssaal saßen ungefähr 150 Bürger, die teilweise Schilder und Transparente hochhielten mit Aufschriften wie „MAN SIEHT DEN WALD VOR LAUTER AUTOBAHN NICHT MEHR“ und „PERLEBERG-1000 JAHRE OHNE AUTOBAHN“. Es waren sämtliche Bevölkerungsgruppen vertreten, vom latzhosentragenden Öko bis zum Rentner. Die Veranstaltung hatte schon begonnen und der Geräuschpegel stieg während der hitzigen Diskussion langsam an, insbesondere weil der Landrat aktuell mitteilte, dass die letzten gerichtlichen Hürden endlich genommen worden seien.
Am hinteren Ende des Rathaussaals standen zwei gut gekleidete Herren und unterhielten sich leise, so dass niemand ein Wort aufschnappen konnte. Der ältere von beiden, ein etwa 60-jähriger Hüne, hob und senkte immer wieder seinen ausgestreckten Zeigefinger in Richtung seines Gesprächspartners, der nur abwesend nickte und die Versammlung beobachtete.
„Niederlechner, das ist jetzt das Ende unserer Zusammenarbeit, ich mache jetzt nichts mehr. Wir haben das schon so lange hinausgezögert, wie es nur möglich war, aber jetzt sind mir die Hände gebunden.“
Der Angesprochene, ein muskulöser Mann, Typ jung, dynamisch und erfolgreich, sah den Älteren mit einem Lächeln an.
„Keine Aufregung. Das ist in ihrem Alter nicht gut. Überlassen sie mal alles mir. Es ist alles so gut wie geregelt und sie können ihre Autobahn wie vorgesehen bauen.“
„Ich kann, ich kann, wissen sie eigentlich wie oft der Landrat mich hat strammstehen lassen, weil nichts voran ging? Sie haben doch alles blockiert.“
Bei dem jüngeren Mann zeigte sich jetzt ein Anflug von Ärger und er zog seine Stirn krauss.
„Seien sie ganz vorsichtig Drasche. Unser Übereinkommen war von Anfang an klar und das hat sich bis heute nicht geändert…und überhaupt, wer hat denn daran so außergewöhnlich gut verdient? Was kostet eigentlich so ein Ferienhaus auf Ibiza?“
Dr. Drasche schnappte nach Luft.
„Niederlechner, hören sie auf…wenn dass jemand hört.“