Schildkrötenküsse im Mondschein - Michelle Zerwas - E-Book

Schildkrötenküsse im Mondschein E-Book

Michelle Zerwas

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Beschreibung

Obwohl sie nicht die geringste Lust dazu hat, geht Marie ihrer Freundin Karen zuliebe mit zum Rosenmontagszug. Eine Frau im Schildkrötenkostüm gibt Marie einen Zettel mit ihrer Telefonnummer. Marie steckt den Zettel in die Hosentasche und denkt nicht mehr daran, als sie ihre Hose achtlos zur Schmutzwäsche gibt. Als ihr WG Mitbewohner Marvin am nächsten Morgen die Wäsche in die Waschmaschine packt, während Marie noch schläft, ist der Zettel unwiederbringlich verloren. Doch zum Glück gibt Karen nicht so schnell auf und setzt alle Hebel in Bewegung, um die unbekannte Frau im Schildkrötenkostüm wiederzufinden.

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Michelle Zerwas

Schildkrötenküsse im Mondschein

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

1

„Bitte, Marie! Komm doch mit! Allein macht es keinen Spaß.“ Karen sah sie mit einem herzerweichenden Blick an.

Marie seufzte. Sie hatte absolut keine Lust mit Karen zum Rosenmontagszug zu gehen. Sie war schon immer ein Karnevalsmuffel gewesen und bisher war es ihr meistens gelungen einen großen Bogen um diesen Trubel zu machen. Doch Karen wirkte sehr entschlossen und in ihrem Blick las Marie, dass sie so schnell nicht aufgeben würde.

„Du weißt, ich mag Karneval nicht“, machte Marie einen weiteren Versuch sich herauszureden.

„Ich weiß, aber mir zuliebe kannst du doch mal eine Ausnahme machen.“

„Felix ist doch auch da.“

„Er fährt auf dem Wagen mit. Das heißt, ich sehe ihn erst später bei der Party und stehe ganz allein an der Straße. Willst du mich wirklich allein lassen?“

Ein weiterer Seufzer drang aus Maries Kehle. In dem Moment schlurfte Marvin, ihr Mitbewohner, in die Küche.

„Warum fragst du nicht Marvin?“, nutzte Marie ihre Chance die Sache auf jemand anderen abzuwälzen.

„Keine Chance“, meinte Karen. „Er steckt seine Nase nur noch in seine Bücher.“

Marvin machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. „Geht es um den Rosenmontagszug?“, fragte er.

„Ja. Marie mag nicht mit mir hin gehen“, beschwerte sich Karen.

Marvin rollte mit den Augen. „Eure Probleme möchte ich mal haben. Ich würde alles darum geben, wenn ich mitkommen könnte, aber das Medizinstudium ist härter als gedacht.“

„Eine Pause tut dir bestimmt mal ganz gut“, meinte Marie.

„Ne, Mädels. Vergesst es! Am Ende bin ich dann betrunken und kämpfe morgen mit einem heftigen Kater. Ich kann es mir nicht leisten auch nur eine Stunde Zeit zu verlieren.“

Marvin schnappte sich blitzschnell seinen Kaffee und eilte in sein Zimmer zurück.

„Wozu hat man eigentlich Mitbewohner, wenn am Ende doch keiner Zeit hat?“, sagte Karen.

Marie fühlte sich augenblicklich schlecht. Sie hatte mehr als genug Zeit, die Firma, in der sie arbeitete, hatte über die Karnevalstage geschlossen und sie hatte nichts Großes geplant, außer endlich mal wieder ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Mehrere weiße Leinwände warteten darauf, von ihr mit Farbe gefüllt zu werden. Doch die standen nun schon so lange herum, dass sie ihr heute auch nicht weglaufen würden. Es gehörte sich nicht, seine beste Freundin hängen zu lassen.

„Also gut, ich komme mit.“

Karen sprang auf und hüpfte jubelnd und kreischend um den Küchentisch herum.

Marie wusste nicht so recht, ob sie lachen oder über Karen den Kopf schütteln sollte. Karen war einfach manchmal komplett bekloppt, aber Marie konnte sich keine bessere Freundin vorstellen.

„Ich habe dir ein Kostüm besorgt“, sagte Karen, als sie sich ein wenig beruhigt hatte.

„Auf keinen Fall trage ich ein Kostüm“, protestierte Marie.

„Warte, bis du es gesehen hast!“, rief Karen. Sie flitzte los in ihr Zimmer und kehrte kurz darauf mit einem Bündel Klamotten auf dem Arm zurück.

Marie rollte genervt mit den Augen. Worauf hatte sie sich bloß eingelassen?

„Also, du hast die Wahl zwischen… Indianerin.“ Sie hielt das Kostüm in die Luft. „Oder, du kannst auch eine Meerjungfrau sein, wenn du magst.“ Karen hielt ein blau-grün schillerndes Kostüm in die Höhe.

„Ich seh schon, ich habe die Wahl zwischen Pest und Cholera“, meinte Marie.

„Hey, sei nicht so gemein. Ich habe gefühlte Stunden im Kostümverleih verbracht, um passende Kostüme für uns zu finden.“

„Ach, dann hast du das von langer Hand geplant“, stellte Marie fest.

„Ich bin eben gerne auf alles vorbereitet. Also, Indianerin oder Meerjungfrau?“, fragte Karen erneut.

„Meerjungfrau auf keinen Fall“, sagte Marie.

Karen reichte Marie das Indianerkostüm. „Ich habe mir schon gedacht, dass du lieber eine Indianerin sein möchtest.“ Karen strahlte Marie an.

Marie betrachtete skeptisch ihr Kostüm. Sie konnte sich noch nicht wirklich damit anfreunden, aber ihr blieb keine andere Wahl.

„Wir müssen uns umziehen, sonst kommen wir zu spät“, drängelte Karen. Sie nahm Maries Hand und zog sie hinter sich her ins Bad.

Sie zogen sich um und während Karen in ihrem schillernden Kostüm vor dem Spiegel posierte, zupfte Marie unglücklich an ihrem Kostüm herum.

„Was ist los? Passt es nicht?“

„Doch, schon. Es ist bloß… ungewohnt.“

„Du gewöhnst dich schon dran“, meinte Karen. „Jetzt fehlt nur noch ein wenig Schminke.“ Karen nahm mehrere Kästchen mit bunter Karnevalsschminke von der Ablage im Bad.

„Nee, da bin ich raus“, lehnte Marie ab. „Wirklich nicht.“

„Na gut“, lenkte Karen ein. „Dann bekomme eben nur ich die passende Kriegsbemalung.

Marie verließ schnell das Bad, bevor Karen es sich anders überlegen konnte. In der Küche traf sie erneut auf Marvin, der schon wieder Kaffeenachschub brauchte.

„Na, hat sie dich rum gekriegt?“, fragte Marvin grinsend.

„Ja, war doch klar, oder?“

„Irgendwie schon. Steht dir, das Kostüm.“

„Danke. Im Moment kann ich mich noch nicht damit anfreunden.“

„Das kommt schon noch. Hab einfach Spaß und denk an mich armes Wesen. Ich sitze über meinen Büchern und würde viel lieber feiern.“

„Nächstes Jahr bist du auch wieder dabei.“

„Aber sowas von.“

„Wir können los“, flötete Karen, die gerade in die Küche kam. Ihr Gesicht schillerte blau, türkis und lila, passend zum Kostüm.

„Wow, du siehst umwerfend aus“, sagte Marvin.

„Danke. Was machst du denn schon wieder hier? Musst du nicht lernen?“

„Mein Kaffee war schon wieder leer.“

„Ich wäre längst tot umgefallen, wenn ich so viel Kaffee trinken würde wie du.“

Marvin lachte. „Keine Sorge, ich hab das im Griff und jetzt ab mit euch, Mädels.“

„Ich mache Fotos für dich“, versprach Karen.

2

Auf dem Weg zum Rosenmontagszug bereute Marie ihre Entscheidung und wünschte sich mehr als nur einmal wieder zu Hause zu sein. Die S-Bahnen waren vollgestopft, sodass sie wie Sardinen, dicht an dicht gedrängt, in der Bahn standen. Karen ließ sich davon ihre gute Laune nicht verderben. Sie freute sich wie ein kleines Kind auf den Karnevalsumzug.

„Du machst ein Gesicht, als würde ich dich zur Schlachtbank führen“, meinte Karen.

„So ähnlich fühlt es sich auch an.“

„Du übertreibst gewaltig.“

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie ihr Ziel. Doch auf der Straße war kaum weniger los als in der S-Bahn. Marie und Karen bahnten sich ihren Weg zwischen den Jecken hindurch. Karen war gleich in ihrem Element und knüpfte die ersten Kontakte. Marie hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht. Wie sollte sie bloß den Tag überleben? Der Lärmpegel war unerträglich und die Luft war bereits jetzt alkoholgeschwängert.

„Schau mal, die vielen tollen Kostüme!“, rief Karen. Sie konnte sich nicht satt sehen und knipste eifrig Fotos.

Irgendwann hatte Karen offenbar eine Stelle gefunden, an der sie verweilen wollte. Ihre neuen Bekanntschaften blieben in ihrer Nähe. Einer von ihnen packte eine Flasche Hochprozentigen aus und ließ eine Packung mit kleinen Bechern herum gehen. Marie reichte die Becher weiter ohne sich einen zu nehmen.

„Hey, kneifen gilt nicht“, wurde sie ermahnt.

„Ich mag aber nichts“, blieb Marie sich treu.

Karen warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, aber das war ihr egal. Sie wollte einen kühlen Kopf bewahren. Einer musste schließlich auf Karen aufpassen, damit sie keinen Unfug anstellte. Doch das war gar nicht so einfach, denn der Alkohol floss in Strömen.

„Meinst du nicht, du hast langsam mal genug“, sprach Marie Karen an, als sie innerhalb kürzester Zeit ihren vierten Becher mit klarer Flüssigkeit in den Händen hielt.

„Mir geht’s gut. Ich weiß schon, wie viel ich vertrage.“

Marie zweifelte daran, deshalb atmete sie erleichtert auf, als Karens neue Bekanntschaften weiter ziehen wollten.

„Kommt ihr mit?!“, rief ein junger Mann, um den Lärm um sie herum zu übertönen.

„Mir gefällt es hier ganz gut“, erwiderte Marie.

„Komm schon! Es gibt bestimmt noch einen besseren Platz“, versuchte Karen sie zu überreden.

„Du kannst ja gehen, aber dann fahre ich sofort nach Hause.“

Karen rollte genervt mit den Augen, sagte aber nichts mehr.

Der Typ, der den Alkohol spendiert hatte, schlug Karen kumpelhaft auf die Schulter. „War schön mit euch. Man sieht sich.“ Und weg waren er und seine Freunde.

„Warum bist du denn so mies drauf? Du bist doch sonst nicht so spießig.“

„Ich bin nicht spießig. Ich habe bloß keine Lust später eine Schnapsleiche nach Hause zu schleppen.“

„So viel habe ich gar nicht getrunken“, verteidigte sich Karen.

„Doch, hast du.“

„Ist ja auch egal jetzt.“

„Wann kommt denn der Zug?“, fragte Marie.

Karen sah auf die Uhr. „In fünf Minuten geht der Zug los.“

„Und wann kommt er hier vorbei?“

„Keine Ahnung.“

„Das heißt, es könnte sein, wir stehen jetzt hier stundenlang blöd in der Gegend rum.“

„Du benimmst dich wie ein kleines Kind. Hab doch mal bisschen Geduld.“

Geduld war ganz und gar nicht Maries Stärke und sie konnte sich schönere Dinge vorstellen, als untätig herum zu stehen.

Auf einmal setzte ganz in der Nähe laute Musik ein. Karen sprang sofort darauf an. Sie tanzte wild herum und grölte den Karnevalsschlager lauthals mit. Sie stupste Marie an. „Los, mach mit!“, forderte sie sie auf.

Marie bewegte sich halbherzig zur Musik, aber nicht, weil sie Spaß daran hatte, sondern um die Kälte zu vertreiben, die allmählich unangenehm in ihren Körper hinein kroch.

Marie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als auf einmal jemand rief: „Der Zug kommt!“

Karen und Marie kämpften sich zur Straße vor und tatsächlich in einigen Metern Entfernung war der erste Wagen zu sehen. Hoch oben standen Menschen auf dem Wagen und warfen Bonbons und Konfetti zu Boden.

Die wartenden Kinder am Straßenrand waren kaum zu bändigen und als der Zug näher kam, mussten die Eltern ihre Schützlinge festhalten, damit sie beim Einsammeln der Süßigkeiten nicht unter die Räder gerieten.

Eine Musikkapelle lief vorbei. Sie spielten auf ihren Instrumenten ein Lied, das Marie nicht kannte. Danach kam eine ziemlich große Truppe zu Fuß. Sie trugen glitzernde Feenkostüme und verteilten Kugelschreiber und Feuerzeuge. Karen gelang es, einen Kugelschreiber zu ergattern.

„Kulis kann man immer brauchen“, meinte sie und steckte ihn in ihre Tasche.

Ein weiterer Wagen fuhr vorbei und verteilte Würstchen. Karen hatte wieder Glück. Genüsslich biss sie hinein.

„Magst du auch?“, nuschelte sie und hielt Marie die Wurst hin.

„Ja, danke.“ Marie biss ein Stück ab.

„Und, so schlecht ist es hier gar nicht, oder?“, fragte Karen.

„Na ja“, gab Marie zurück.

Karen erwiderte nichts mehr, weil die nächste Fußgruppe ihre Aufmerksamkeit beanspruchte. Sie hatten sich als Wasserflaschen verkleidet und pusteten immer wieder Seifenblasen in die Luft.

„Das sind ja mal tolle Kostüme“, meinte Karen.

Als nächstes rollte eine kleine Maschine an ihnen vorbei, die Millionen winzige Konfetti Schnipselchen in die Luft schoss, die danach auf die Menge herab regneten.

Marie bekam eine große Menge davon ab. Die Schnipsel blieben in ihren Haaren hängen.

„Gut siehst du aus“, bemerkte Karen lachend.

„Was für eine Umweltverschmutzung“, knurrte Marie.

„Sei keine Spielverderberin! Es ist bloß ein wenig Papier. Damit kommt die Natur schon klar.“

Wieder setzte laute Musik ein, die aus mehreren riesigen Boxen dröhnte

„Yeah!“, rief Karen und grölte danach begeistert mit. Die Umstehenden warfen ihr Blicke zu. Zwar waren alle Anwesenden in Partylaune, aber Karen übertrieb es ein wenig. Marie war die Situation ziemlich peinlich und es wurde nicht besser. In der Ferne kündigte sich der nächste Wagen an. Hoch oben über der Straße winkten die Karnevalisten der jubelnden Menge zu und warfen Süßigkeiten und Rosen hinunter.

„Da ist Felix auf dem Wagen!“, rief Karen. „Huhu, Felix!“ Sie winkte ihrem Freund und Mitbewohner zu.

Felix sah sich um und als er Karen in der Menge entdeckte, strahlte er wie ein Honigkuchenpferd. Kurz darauf fiel eine ganze Hand voll Rosen auf Karen herab. Sie sammelte so viele auf, wie sie erwischen konnte und winkte Felix damit noch einmal zu, der inzwischen schon weiter gefahren war. Danach kam eine Weile nichts. Erst nach ein paar Minuten ging der Zug weiter, eine Musikgruppe mit Trommeln und Blasinstrumenten zog an Marie und Karen vorbei. Hinter ihnen lief eine junge Frau, die als Schildkröte verkleidet war. Sie verteilte eifrig Flyer an die Menschen am Straßenrand. Sie tänzelte im Takt der Musik von einer Straßenseite zur anderen und hatte sichtlich Spaß, obwohl sie ganz allein zu sein schien.

„Die ist ja niedlich“, sagte Karen. „Schau mal!“

„Ja, echt niedlich.“ Im selben Moment entdeckte die Schildkröte Marie. Sie hielt einen Moment inne, bevor sie auf Marie zu kam. Sie reichte Marie einen Flyer. Danach nahm sie eine zusammengerollte Luftschlange aus ihrer Tasche und verwandelte sie vor Maries Augen durch ein Pusten in eine lange Papierschlange. Behutsam legte sie sie Marie um den Hals, lächelte ihr nochmal zu und lief anschließend weiter.

„Was war das denn?“, wunderte sich Karen, die die Szene beobachtet hatte.

„Keine Ahnung.“ Marie sah der Schildkröte verwundert nach.

„Am Ende ist sie eine Trickbetrügerin und hat dir gerade dein Portemonnaie geklaut“, meinte Karen.

Marie tastete ihre Taschen ab, aber es fehlte zum Glück nichts. Sie steckte den Flyer in ihre Hosentasche, ohne einen Blick darauf zu werfen. Ihre Aufmerksamkeit wurde von einer Gruppe Bauchtänzerinnen gefesselt, die in schillernden Kostümen steckten. Um den Bauch hatten sie Tücher mit Münzen, die bei jeder Bewegung klimperten.

„Das wäre was für dich“, sagte Marie zu Karen. „Da könntest du deine ganze Energie loswerden.“

„Gar keine schlechte Idee“, meinte Karen.

Vom nächsten Wagen flogen wieder Unmengen an Süßigkeiten. Karen fiel eine kleine Tüte Popcorn direkt in die Arme. Sie riss sie gleich auf und begann zu essen.

„Magst du auch?“ Sie hielt Marie die Tüte hin.

Marie lehnte ab. Gedanklich war sie immer noch mit der Schildkrötenfrau beschäftigt. Warum hatte sie ausgerechnet sie ausgewählt? Gerade als sie sich einzureden versuchte, dass es wohl bloß ein Zufall gewesen war, kehrte die Schildkrötenfrau zurück und kam direkt auf Marie zu. Sie reichte Marie einen kleinen Zettel, verabschiedete sich nur mit einem Lächeln und verschwand wieder in der Menge.

„Das gibt’s ja nicht“, meinte Karen. „Was ist denn mit der?“

„Ich weiß es nicht.“

„Was steht auf dem Zettel? Los, schau nach!“

Marie faltete den Zettel auseinander. Karen lugte neugierig herüber.

Ich würde mich freuen, wenn du mich anrufst, stand auf dem Zettel, gefolgt von einer Handynummer.

„Oh la la, da hast du aber jemandem gehörig den Kopf verdreht“, stellte Karen fest.

Marie suchte die Menge mit den Augen ab, aber von der Schildkrötenfrau war weit und breit nichts mehr zu sehen.

„Siehst du, und du wolltest nicht mitkommen. Vielleicht ist dir gerade deine Traumfrau begegnet.“

„Ja, vielleicht“, sagte Marie. Lächelnd faltete sie den Zettel wieder zusammen und steckte ihn in ihre Hosentasche.

Nach diesem Erlebnis war ihre Stimmung deutlich besser. Sie ließ sich sogar dazu hinreißen mit Karen im Takt der Musik zu schunkeln. Was ein winzig kleiner Zettel mit wenigen Worten doch für eine große Wirkung haben konnte. Sie bedauerte es fast ein wenig, als der Karnevalsumzug zu Ende war. Zum Schluss hatte sie gegen ihren Willen doch Gefallen daran gefunden.

„Kommst du noch mit zur Party?“, fragte Karen, während sie sich der Menschenmenge anschlossen, die nun zu anderen Örtlichkeiten aufbrach.

„Eigentlich wollte ich ja nicht“, sagte Marie.

„Vielleicht ist deine Schildkröte auch da“, erinnerte Karen sie.

Diese Aussicht war in der Tat sehr verlockend und so folgte Marie Karen zur After Zug Party. Im Grunde war der Tag jetzt sowieso gelaufen, dachte sich Marie. Ihre Malsachen brauchte sie nun nicht mehr auspacken, da sich das Tageslicht bald verabschiedete und bei künstlichem Licht malte es sich nicht gut. Also konnte sie auch noch mit zur Party gehen.

Die Fahrt mit der S-Bahn erwies sich als eine sehr eklige Angelegenheit, überall Müll, menschliche Hinterlassenschaften und Betrunkene soweit das Auge reichte. Marie wurde teilweise ganz schön mulmig zumute zwischen all den grölenden und besoffenen Menschen. Manche von ihnen kamen ihr näher, als ihr lieb war. Umso erleichterter war sie, als sie endlich ihr Ziel erreichten. Eine Sporthalle, ein wenig außerhalb der Stadt gelegen, diente als Partylocation. Schon von weitem hörten sie die Musik.

„Felix hat vorhin geschrieben. Es ist schon einiges los“, berichtete Karen.

„Na klasse, hunderte betrunkene Menschen, die dicht an dicht miteinander feiern. Worauf habe ich mich da bloß eingelassen?“, entgegnete Marie.

„Denk an deine Schildkröte. Vielleicht ist sie hier irgendwo.“

Marie glaubte nicht so recht daran, dennoch sah sie sich suchend um, als sie ein paar Minuten später mit Karen die Halle betrat. Dafür entdeckte Felix sie aber sofort und entführte sie zu seinen Freunden. Schneller als Marie ablehnen konnte, hatte sie schon das erste Bier in der Hand.

 

„Boah, mir ist so schlecht“, stöhnte Karen. „Ich trinke nie wieder was.“

„Das sagst du nicht zum ersten Mal.“

„Aber heute meine ich es ernst.“ Karen klammerte sich an Maries Arm fest, denn sie schwankte ordentlich beim Gehen.

Marie hatte zwar auch etwas getrunken, aber sie hatte nicht so tief ins Glas geschaut wie Karen und deshalb übernahm sie nun das Kommando. Es war weit nach Mitternacht und sie mussten es irgendwie schaffen nach Hause zu kommen. Auf dem Weg zum Bahnhof kam ihr der Zufall zu Hilfe. Sie entdeckte ein freies Taxi und obwohl es ein wenig teurer war als Bus und Bahn, ergriff sie die Gelegenheit. Sie wollte schnell nach Hause und Karen hielt vermutlich nicht mehr lange durch. Marie hoffte, dass Karen nicht ins Taxi kotzte. Zum Glück war es nicht weit bis nach Hause.

Felix war immer noch unterwegs, als Marie Karen in die Wohnung schleppte.

„Brauchst du Hilfe?“, hörte sie auf einmal Marvins Stimme.

Er hatte anscheinend noch immer über seinen Büchern gesessen und nur darauf gewartet, dass sie nach Hause kamen.