Schindeln am Dach - Jacqueline Gillespie - E-Book

Schindeln am Dach E-Book

Jacqueline Gillespie

4,9

Beschreibung

VERHÄNGNISVOLLE SCHÜSSE IM JAGDREVIER Bei der Wildfütterung am Fuße des Schneebergs wird eine Leiche gefunden: der Goldbacher-Leonhard, der beliebte und fesche Verwalter von Schloss Fürchtenbert. Wildererdrama? Tödlicher Streit um Grundstücksgrenzen? Mord aus Eifersucht? Fragen über Fragen für Doktor Patrick Sandor, Kriminalinspektor Müller aus Wien und eine alteingesessene Dorfbewohnerin, die ihnen mit Rat, Tat und Hausverstand zur Seite steht. "Dieser Krimi lebt von den Beschreibungen seiner Charaktere und vom Charme des Dorfes Neiselbach in Niederösterreich. Wie sehr erschüttert ein Mordfall die Dorfidylle und was steckt wirklich hinter dem Unglück? Ein sehr unterhaltsamer Krimi, der den Leser mit allzu blutrünstigen Details verschont!" "Ein Krimi mit viel Gespür für Menschen und ihre Beziehungen untereinander. Wer kann gut mit wem … oder fällt am Ende der Verdacht doch auf einen nie zu erahnenden Täter? Sehr amüsant und kurzweilig zu lesen." WEITERE BÜCHER DER AUTORIN: Schade um die Lebenden Den Letzten beißen die Schweine

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Im Gedenken an Maria Verber

1

Wie ich an dem Morgen vor meiner Tür gestanden bin, der Himmel wie ausgewaschen war und die Tropfen an den Blättern hell gefunkelt haben, da war die Luft vom Schneeberg noch frisch von der Nacht und unten im Tal ist der Nebel gelegen wie eine dicke Daunendecke. Da hab ich es läuten hören, das Zinnglöckerl von der Kirche in Siebenstein. Gleich sechzig Mal. So oft muss es läuten, wenn ein Mannsbild gestorben ist. Und ich hab mich gewundert, weil ich von niemandem gehört gehabt hab, dass in Neiselbach wer krank gewesen wär. Und bei einem Unfall hätt ich in der Nacht die Gendarmerie und die Rettung fahren hören, weil ich wegen dem Röhren von den Hirschen die meiste Zeit wach gelegen bin.

Wenn der September zu Ende geht und der Vollmond die Nacht zum Tag macht, dann gibt es bei der Hirschbrunft kein Halten mehr. Grad, wenn es so ist wie in diesem Jahr. Die Tage sind am Anfang noch warm wie im Sommer, in der Nacht aber wird es auf einmal kalt wie Ende Oktober, und der Nebel verschluckt Wiesen und Bäume. Da fühlen die Hirschen sich am wohlsten. Sie stehen bei ihren weiblichen Tieren, bei ihrem Kahlwildrudel, und ein jeder röhrt ein paar Wochen lang die ganze Nacht, damit die anderen Hirschen wissen, dass das sein Territorium ist und dass das seine Hirschküh sind. Auch vor meinem Schlafzimmerfenster machen sie das und manchmal möcht ich ihnen am liebsten was rausschmeißen, so einen Wirbel machen die, aber eigentlich hab ich es auch ganz gern. Es ist halt was Besonderes, wenn es draußen so urig brüllt, weil man dann das ganze Jahr von den Hirschen nichts mehr hört und weil es den Städtern beim Röhren in der Nacht ein wengerl die Haar aufstellt.

Ich hab also nicht gewusst, wegen wem das Zinnglöckerl geläutet hat, und fragen hab ich auch nicht gleich jemanden können. Telefonieren mag ich nämlich nicht besonders, und ich hätt sicher mehrere anrufen müssen, weil man beim ersten Mal oft keinen erwischt, der wirklich was weiß. Der Sohn und die Schwiegertochter waren auch nicht da, die sind ganz zeitig nach Wiener Neustadt hinausgefahren, dafür hab ich nicht wegkönnen. Ich hab keinen Führerschein, mich bringt sonst der Sohn. Zur Heidi zum Beispiel, Haare machen, aber auch, wenn es was Neues zum erfahren gibt. Und dass heute niemand auf einen Kaffee vorbeischauen wird, das hab ich gleich gewusst. Nicht an einem Freitag, wo ein jeder noch schaut, dass er seine Wochenarbeit unter Dach und Fach bringt. Aber ich hab fürs Tratschen sowieso wenig übrig, also hab ich mir gedacht, dass mir ja nichts weglaufen wird. Der Tote nicht und auch nicht die Neuigkeit, wer es denn ist.

Und genug zum tun gehabt hab ich auch grad. Der Sohn hat mir die Zwetschken von den Bäumen geholt gehabt und ewig kann man die nicht in Kübeln stehen lassen, da werden sie leicht faul. Entkernen hab ich sie wollen, halt die, die ich für die Küche gebraucht hab. Bei denen für den Schnaps hab ich auf die Hilfe von der Schwiegertochter gehofft, weil das allein sonst zu lang gedauert hätt. Zwetschkenmarmelade wollt ich machen, und auch einen Powidl, wir haben gar keinen mehr gehabt, und Buchteln oder Powidl-Tascherln isst der Sohn für sein Leben gern. Und weil das mit den Zwetschken viel weniger Pitzlerei ist als wie mit den Ribiseln, hab ich für die Schwiegertochter auch gleich welche entkernt. Die wollt nämlich was Neues ausprobieren, ich weiß schon wieder nicht, wie man das nennt, was Fremdländisches, ich glaub, was Englisches. Da kocht man die Zwetschken mit Ingwer und Zwiebeln, auch mit Essig dazu, und dann isst man das zum Fleisch und zum Käse. Ich brauch das ja nicht, ich ess zum Wild meine Preiselbeeren, und das war es dann schon. Und ich glaub, was Englisches zum essen braucht man erst gleich gar nicht ausprobieren. Was kann man da schon groß erwarten, wenn Leute zum Lammfleisch eine Minzmarmelade essen?

No, im Handumdrehen war ich mit dem Entkernen fertig. Bevor ich die Töpfe mit dem Obst und dem Zucker aufgesetzt hab, hab ich unsern Wolfi zu mir reingeholt. Das ist unser Hund, und ich mag das nicht, wenn er ganz alleine draußen vor der Tür sitzt. Da kommen oft Spaziergänger bei uns oben vorbei, grad am Freitag, und dann bellt er und die fürchten sich, weil er groß und dunkel ist. Bis jetzt hat er ja nichts getan, aber man kann nie wissen, was im Kopf von so einem Viecherl vor sich geht. Deswegen steht bei unserer Einfahrt ein Schild mit »Scharfer Hund«, damit gleich alle Bescheid wissen. Und am liebsten sind mir die, die ihre eigenen Hund nicht an der Leine haben. Hier ist alles Jagdrevier, da kann man die nicht so einfach laufen lassen. Aber dann heißt es immer, der Ihrige tut nichts. Wer es glaubt, wird selig, sag ich dann immer, weil ich mich manchmal schon giften tu, wenn die Städter, grad die aus Wien, so tun, als ob ihnen hier draußen in Neiselbach alles gehören tät. Angefangen hat das, glaub ich, unterm Kreisky. Waldöffnung hat das geheißen. Da hat auf einmal jeder überall im Wald herumrennen dürfen. Und irgendwie haben die Städter nicht verstanden, dass der Wald trotzdem jemanden gehört. Das ist grad so, als wenn ich bei denen durch den Schrebergarten durchmarschieren würd. Und damit es draußen keinen Spektakel geben kann, hab ich den Wolfi reingeholt, weil wenn man die Töpfe einmal am Herd stehen hat, kann man sie nimmer alleine lassen. Da legt sich unten alles an und da könnt es schon passieren, dass man alles wegschmeißen muss. Die viele Arbeit ganz umsonst! Das Pflücken, das Entkernen und so. Bei sowas geh ich dann auch nicht in den Garten oder schau zu die Küh. Da muss man dabeibleiben. Aber einen Sessel hab ich mir zum Herd gestellt, weil wenn ich zu lang steh, merk ich das schon im Kreuz. Und die Krankenkassaschuh, die orthopädischen, die der Sohn mir in der Früh immer anzieht, die drücken dann schon auch ein bissel.

Wie ich grad mittendrinnen im Rühren war, hat der Wolfi angeschlagen. Dabei hab ich gar kein Auto kommen gehört. Und dann hat’s an der Tür geklopft und ich hab laut rufen müssen, weil ich mich nicht von den Töpfen weggetraut hab. Der Alois war’s, der alte Gärtner, der früher einmal im Herrenhaus nach dem Rechten geschaut hat. Jetzt macht er das nicht mehr, weil er nicht mehr der Jüngste ist und sich mit dem Rücken schwertut, so bucklig wie er ist. Außerdem gibt’s im Herrenhaus so gut wie keine Herrschaft mehr. Einen Milchkaffee hat er sich halt selber nehmen müssen, es ist einer am Herd gestanden, und ein Stück vom Apfelstrudel hat er sich auch noch runtergeschnitten, ich hab es ihm ja vergönnt, aber antragen hab ich es ihm wegen dem Rühren nicht können. Manchmal schaut er einfach so vorbei, Zeit hat er ja jetzt mehr als genug und Kinder hat er auch keine, nur seinen Bernhardiner. Aber den lasst er immer zuhaus.

Im Herrenhaus ist nämlich nur mehr der Herr Johannes, der nach der Forstwirtschaft schaut, und manchmal seine Frau mit dem französischen Vornamen, die Schanätt, wenn es ihr grad in den Kram passt. Sein Bruder, der Herr Maximilian, und von dem die Frau sind mit ihren Kindern nach Wien. In die Politik wollt er dort gehen und nicht mehr hier im Gemeinderat bleiben, aber im Fernsehen hab ich von ihm noch nichts gesehen. Die kommen jetzt nur noch ganz selten zu uns nach Neiselbach heraus. No, nicht dass sie wem abgehen würden. Reisende soll man nicht aufhalten, hätt die Großmutter gesagt. Und die Frau Schalott und der Hubertus liegen ja am Friedhof in Siebenstein. Um das Grab kümmert sich die Frau Mizzi, ich sag Mizzi zu ihr, weil sie eine Cousine ist von mir, eine entfernte. Das ist aber nichts Besonderes, hier in Neiselbach sind alle mehr oder weniger miteinander verwandt. Und kümmern tut sie sich um das Grab, weil sie schon mit fünfzehn im Herrenhaus in Stellung gegangen ist. Eigene Kinder hat sie nicht, hat ja nie geheiratet, und der Hubertus, der war für sie ein bissel wie ein eigenes Kind. Aber das tut jetzt nichts zur Sache und ist eine traurige Geschichte. Ins Ausgedinge von ihrer Familie ist sie gezogen, in ihrer Wohnung im Herrenhaus hat sie nicht mehr bleiben wollen. Vor Jahren hab ich geglaubt, aus der Mizzi und dem Alois könnt was werden, aber da ist nichts passiert und unlängst hab ich lachen müssen, weil mir eingefallen ist, dass sie ja jetzt zusammenkommen könnten, so alleine wie jeder von den beiden in seinem eigenen kleinen Häusel wohnt.

Der Alois hat es sich also schmecken lassen, aber nur wegen einer Mehlspeise ist er nicht gekommen, das hab ich mir gleich gedacht. Er hat zwar im Herrenhaus nichts mehr machen müssen, aber dafür hat er vom Goldbacher-Severin ein Ausgehrecht bekommen. Das heißt, dass er so viel in den Wald gehen kann, wie er will, und halt schauen muss, dass nicht zu viele Füchse aufkommen. Die muss er schießen, manchmal auch einen Dachs. Die Katzen will er lieber in Ruh lassen, hat er mir einmal gesagt, das macht nur böses Blut, wenn man die schlecht erwischt und sie sich noch bis zu ihrem Bauernhof schleppen. Und dann war es immer das Lieblingskatzerl von der ganzen Familie, hat er gesagt, das würd er schon kennen. Aber eigentlich waren es die Katzen, die ihm leidgetan haben, und nicht die Leut, auch wenn sie ganz große Räuber sind. Kein Rebhendl und auch kein Hase ist vor denen sicher. Von denen haben wir aber eh fast keine im Revier.

Verschmitzt dreingeschaut hat er, der Alois, wie er den letzten Bissen in den Mund geschoben gehabt hat und sich mit dem Handrücken über den Mund gefahren ist. Ich hab ihm schon eine Serviette hingelegt, aber der Alois hat in seinem Leben noch keine gebraucht. Darauf bildet sich das Mannsbild auch noch was ein. Watschen und Geschmäcker sind allweil verschieden, hätt die Großmutter gesagt.

Hast es gehört heut früh?, hat er dann gefragt und ich hab vor lauter Rühren im Moment nicht mehr gewusst, wovon er spricht. Der Powidl war schon fast fertig, das war mir im Moment wichtiger als wie so eine Neuigkeit. Von Tratscherei halt ich ja rein gar nichts, davon leben kann man auch nicht, und außerdem haben mir die Füß schon ganz schön wehgetan.

No, was denn, hab ich gesagt und überlegt, ob ich genug Glasln zum Powidleinfüllen hergerichtet hab.

Das Zinnglöckerl, hat er da gesagt.

Da hab ich kurz aufs Rühren vergessen.

Was hast denn du damit zum tun?, hab ich da wissen wollen, weil ich schon gesehen hab, dass er sich bitten lassen möcht. Manchmal ist er ein wengerl ein Heimlicher, dem man die Würmer aus der Nase ziehen muss. Und weil es mich so überrascht hat, hab ich zuerst gar nicht gefragt, wer es denn gewesen ist, wegen dem das Glöckerl geläutet hat.

Oben in Siebenstein bei unserem jungen, neuen Herrn Pfarrer ist er gewesen, schauen, dass alles seine Ordnung hat. Als ob der Alois da der Richtige wär, wo der nie auf Grabpflege schaut, auch nicht auf die von seiner Familie. Das macht die Mizzi in einem Aufwaschen gleich für ihn mit. Und beim Gottesdienst hat er noch nie die Sakristei aufgesperrt oder das Weihwasser nachgefüllt oder gar eine Fürbitte vorgelesen. Also: Schauen, dass da oben beim Herrn Pfarrer alles seine Richtigkeit hat, dazu war der Alois der Falsche. Auch wenn der neue Herr Pfarrer ein junger ist – der alte Herr Pfarrer ist ja die Treppen von der Kanzel heruntergefallen und es schaut nicht so aus, als würd er sich wirklich ganz erholen –, der junge weiß schon, was er zum tun hat. Da braucht man sich, glaub ich, nicht sorgen, auch wenn sich manche wieder wichtigmachen.

Und was genau willst du da geschaut haben?, hab ich den Alois gefragt.

Und weil ich mir gedacht hab, dass der Alois noch eine hübsche Weile da bleiben wird, hab ich ihm gleich angeschafft, dass er mir die Nüsse knackt. Die haben der Sohn und die Schwiegertochter in den letzten Tagen schon aufgeklaubt gehabt, und wenn der Alois da sitzt und plaudert, kann er sich auch gleich nützlich machen, hab ich mir gedacht. Sich regen bringt Segen, hat die Großmutter immer gesagt, und ich hab ja den Powidl in die Gläser abfüllen müssen.

Dass der Herr Pfarrer das Zinnglöckerl auch wirklich sechzig Mal läutet, wenn ich vorbeischau und ihm sag, dass wer tot ist, hat er da gesagt.

No, wer ist denn gestorben, hab ich da den Alois extra gefragt, weil es ihm so eine Freud gemacht hat, dass ich nichts weiß. Da hat er sich erst recht so richtig schön bitten lassen.

Der Goldbacher-Leonhard, hat er dann gesagt, die Mundwinkel runtergezogen und mit dem Jagerhut genickt. Der Alois nimmt seinen Hut nie ab.

Da war ich froh, dass ich mit dem Abfüllen schon fertig war, weil ich mir sonst vielleicht vor lauter Schrecken den Powidl über die Hand gegossen hätt.

Marantana, hab ich gerufen, weil ich das immer ruf, wenn ich mich zu Tod erschreck, und bekreuzigt hab ich mich.

Der Goldbacher-Leonhard! Keine fünfzig ist der also geworden. Was ich mich erinnert hab, war er lächerliche fünfundvierzig, und dabei werden bei uns hier in Neiselbach die meisten leicht über neunzig. Leicht hat er es nie gehabt im Leben, dabei ist der Vater, der Goldbacher-Severin, der größte Bauer hier im Tal, viel Vieh und noch mehr Wald. Wenn der den Wald durchforstet, steht die Säge eine Ewigkeit nicht mehr still. Schon unterm Großvater und unterm Urgroßvater, ja überhaupt seit man denken kann, war das immer der größte Hof weit und breit. Der schönste nicht, weil schon eine Weile keine Frauenzimmer mehr da leben. Welche, die was zum sagen gehabt hätten. Eine alte Cousine vom Vater schon, die Burgi, aber die ist an die neunzig und der Altbauer will nicht, dass sie eigene Ideen hat. Ich glaub, wenn die mit einem Blumenbeet daherkommen würd, gäb es einen Streit. Ich hab ja lange Zeit gedacht, dass der Leonhard gar nicht in Neiselbach bleiben, sondern hinausgehen würd in die weite Welt und dort was werden. Einer, der alte Gräber in Ägypten entdeckt, wie man das im Fernsehen sieht, oder Doktor wird und nach Afrika geht, das hab ich mir vorgestellt. Der war immer so ein interessierter junger Bursch. Und ein ganz ein Fescher, mit pechschwarze Haar und grüne Augen. Ich glaub, der hätt das Zeug gehabt zum Studieren. Nicht dass er für das Leben hier ungeschickt gewesen wär, aber bei dem Talent war es doch ein bissel schad. Ich glaub ja, dass ihm damals die Liebe dazwischen gekommen ist und dass er deshalb die Pläne, die er vielleicht gehabt hat, aufgegeben hat. Schön war sie ja, seine Braut, sogar sehr schön, und nicht von hier. Er hat halt viel zu jung geheiratet, grad zwanzig ist er gewesen. Sie auch, hat es damals geheißen. Dabei hat das gar nicht gestimmt. Vier Jahr älter als wie er war sie, die Papiere für die Trauung hat sie gefälscht gehabt. Aber das haben wir erst später erfahren, und da war es auch schon wurst. Eine große Hochzeit hat der Goldbacher-Severin seinem Buben ausgerichtet, da hat er sich nicht lumpen lassen. Um fünf Uhr in der Früh ist’s schon mit dem Brautaufwecken losgegangen, da sind unsere Burschen zum Gasthaus, wo die Braut geschlafen hat, weil sie ja hier kein Elternhaus gehabt hat, und haben zum Schießen angefangen. So vertreibt man bei uns die bösen Geister und ein neues Leben soll anfangen. Das mit den bösen Geistern ist aber nichts geworden, wie wir dann noch gesehen haben.

Alle waren wir eingeladen und nur das Beste vom Besten ist aufgetragen worden. Da hat nichts gefehlt! Und die Trauung war ergreifend, der Herr Pfarrer, unser alter, hat so schön gepredigt und viel gesungen ist worden. Schön war die Braut, richtig lieblich! Der einzige Wehmutstropfen war, dass die Brauteltern nicht dabei gewesen sind. Und auch die Frau vom Goldbacher-Severin, die Mutter vom Leonhard, die’s auf der Brust gehabt hat und jung von uns gegangen ist, war nicht da. Die Brauteltern waren auch schon tot, hat der Goldbacher-Severin bei seiner Rede im Wirtshaus gesagt. Bei einem Verkehrsunfall verstorben. Da waren dann alle ergriffen und die Braut hat kurz ein Taschentuch an ihre Nase gedrückt. Aber dann ist es wieder lustig weitergegangen und die Freund vom Leonhard sind auch noch gekommen, alle verkleidet und mit Masken. Das war die Maschkerade, und die haben lustige Geschichten aus dem Leben vom Bräutigam vorgespielt, was ihm halt so alles passiert ist in seine zwanzig Jahr. Von der Braut hat keiner was vorgespielt, die war ja auch nicht von da, da hat keiner Geschichten gewusst. Und dann sind die von der Maschkerade gleich zum Essen dageblieben, das ist bei uns so Brauch. Viel hat es zum essen gegeben und nur das Beste, vor dem Kaffee hat schon die Musi angefangen zum spielen, einige sind aufgesprungen und haben gleich einen Boarischen getanzt. Und gegen Abend haben sie dann auch noch die Braut entführt, das gehört bei uns dazu. In Neiselbach ist es aber nicht schwer, die Braut wiederzufinden, hier gibt es nur drei Gasthäuser, wo man sie auslösen kann. Weiter weg wird nicht gefahren, sonst kann es leicht einen Unfrieden geben, wenn die Entführung zu lang dauert.

Und deswegen hat der Leonhard nicht mehr studieren wollen und auch nicht können. Weil der Vater, der Goldbacher-Severin, gesagt hat, das geht nicht, zuhaus die Frau sitzen haben und nach Wien auf die Universität gehen die nächsten Jahr. Und dass es am Hof genug Arbeit geben würd, und so Gott will würden bald Kinder kommen. Also, zu was braucht man dann ein Studium. Damals, glaub ich, hat das den Leonhard nicht gestört. Er hat ja schon immer gern im Wald gearbeitet und auf die Jagd ist er schon als Bub mit seinem Großvater und auch mit dem Severin. Also war alles, wie man so schön sagt, in der besten Ordnung. Ich hab mich dann auch nicht weiter drum gekümmert, da heiratet einer, man wünscht ihm alles Gute und dann muss es auch schon wieder gut sein. In der Kirche trifft man sich – wenn die Jungen denn überhaupt hingehen, das ist ja nicht mehr so, wie es früher einmal war –, und man denkt sich gar nichts dabei, bis ein paar Jahre dahin sind und man sich plötzlich fragt, wo denn die Kinder bleiben. Die Nachkommenschaft. Auf einem Bauernhof ist das schon wichtig, sonst geht das alles nimmer weiter, und grad bei so einem großen Hof, den es schon seit Jahr und Tag gibt, ist das was Trauriges.

Bei uns in Neiselbach gibt es keine Geheimnisse. Und wenn man welche hat, dauert es nicht lang, bis es keine mehr sind. Aber ein Geheimnis in Neiselbach kann auch etwas sein, was man weiß, worüber man aber nicht spricht. Schindeln am Dach, hat die Großmutter immer gesagt, wenn sie nicht wollen hat, dass von unsere Leut was nach draußen dringt. Da hat man niemandem erzählen dürfen, was im Haus passiert ist, wenn es einen Streit gegeben hat oder sonst was. Und vielleicht hat das damit zum tun, dass hier beim Schneeberg, und grad hier bei uns in Neiselbach, die Schindelmacher zuhause waren. Das sind die, die früher einmal die Holzschindeln gemacht haben, mit denen man die Dächer der Häuser gedeckt hat. Wenn alles gedeckt ist, dann dringt nichts hinein, aber auch nichts mehr heraus. Und davon, so denk ich mir, wird das wohl kommen.

Erzählen tu ich das jetzt, weil ich erst viel später gemerkt hab, dass was mit der Ehe nicht stimmen hat können. Schindeln am Dach, wird der alte Goldbacher-Severin bei sich am Hof den Jungen gesagt haben. Aber da hat schon keiner mehr gefragt, wann denn endlich Kinder kommen werden. Bei einer ganz jungen Ehe tut man das, obwohl es nicht immer eine gute Idee ist und eigentlich ein wengerl neugierig. Das kann schon auch schiach sein, weil es ja Leut gibt, die keine Kinder kriegen können. Denen tut so eine Frage dann doppelt weh. Mal liegt es an ihr, mal liegt es an ihm. Obwohl die Mannsbilder oft keine Lust haben, das bei sich überprüfen zu lassen, vom Arzt, mein ich. Auch wenn das jetzt bei den Jungen auch schon besser wird. Aber ich glaub nicht, dass das Keine-Kinder-haben-oder-kriegen-Können das größte Problem gewesen ist. Da muss noch etliches anderes nicht so gewesen sein, wie es hat sollen. Und eines Tages war die junge Frau fort. Fort vom Hof und fort aus Neiselbach. Wohin, hat man nicht gewusst, oder der Leonhard und der Goldbacher-Severin haben es einfach nicht sagen wollen. Nur einmal noch hat der Severin was über die junge Frau gesagt. Dass das alles erstunken und erlogen gewesen ist, das mit den toten Brauteltern, weil die noch am Leben wären, in der südlichen Steiermark, fast schon Slowenen halt. Und vielleicht waren die der Jungen nicht fein genug, wie sie nach Wien gekommen ist. Aber hier in Neiselbach hätt sie es schon sagen können, weil wir hier am Land sind doch nicht so hopertatschig. Eine Hübsche war sie ja, und wenn sie noch eine Tüchtige gewesen wär, dann hätt das schon gelangt. Und das mit den Kindern, meine Herren, da hätt man doch drüber reden können. Da hätt es vielleicht die eine oder andere Lösung gegeben. Aber manchmal denk ich mir auch, sie hat vielleicht gar keine haben wollen, Kinder nämlich, so etwas gibt es ja auch. Darüber hätt der Goldbacher-Severin nie was gesagt. Aber über die Brauteltern schon, weil er die Lüge nicht hat stehen lassen wollen, die er selber an der Hochzeitstafel erzählt hat. Auch wenn er nichts dafür können hat, er hat ja nur das gesagt, was die junge Frau ihm gesagt hat. Und der Leonhard war von da an auch ein wengerl ein anderer. Ernster, nicht mehr so offen. Reden hat er gar nicht mehr wollen, über gar nichts. Ich glaub, das war ihm zu blöd, dass er auf so jemanden reingefallen ist. Und vielleicht hat er sich gedacht, dass sein ganzes Leben anders gelaufen wär, wär ihm diese Frau nicht über den Weg gelaufen.

Also sind die beiden Mannsbilder dann allein auf dem Hof geblieben, nur die ältere Cousine hat der Goldbacher-Severin noch kommen lassen, damit die ein bissel auf die Wäsche schaut und ihnen was kocht. Rüstig ist die ja noch, auch wenn sie ein wengerl schlecht hört, und außerdem ist sie für die Spinnereien vom Goldbacher-Severin zum haben. Ich glaub nicht, dass das eine jede mitmachen würd, dem seine Leidenschaft für das Federvieh. Alles was fliegen und was man essen kann, holt er mit seiner Flinte vom Himmel, und die Cousine sitzt dann im Schupfen und rupft das Federvieh stundenlang. Sogar Krähen hat er schon immer geschossen, weil ihm eine Krähensuppe so gut schmeckt. Manchmal frag ich mich halt schon, wie lang die Cousine das noch machen wird können. Wenn es ihr dann zu viel wird, könnt man immer noch mit der Mizzi reden, ob die vielleicht Zeit und Lust zum Helfen hätt.

Ich hab gar nicht gewusst, dass der Leonhard krank war, hab ich gesagt, den Kopf geschüttelt und die Nussschalen mit der Hand vom Tisch gewischt.

Das war er auch nicht. Im Wald ist er gelegen, gleich oben am Schlag bei der Hirschfütterung, hat der Alois gesagt und mit den Nüssen geknackt.

Hat der dort leicht einen Unfall gehabt?, wollt ich da wissen.

Ich hab ja gewusst, was der Leonhard dort wollen hat. Nichts schießen, weil man bei einer Fütterung nichts schießt, das hat er immer gesagt. Aber einen Haufen Rüben hat er um die Jahreszeit dort ausgebracht und dann hat er sich immer auf den Hochstand gesetzt. Einfach nur schauen, wie viele Hirsche und Hirschtiere mit ihren Kälbern unterwegs sind.

Da hab ich dann auch wissen wollen, ob er leicht einen Unfall mit seinem Gewehr gehabt hat, das hätt mich gewundert, weil er in der Brunft doch eben überhaupt keinen Hirsch mehr hat schießen wollen.

Nein, hat der Alois gesagt, weil ein Brunfthirsch sowieso nicht zum Essen ist und man den nur einem Wildbrethändler oder einem Wirtshaus verkaufen kann. Das zahlt sich bei den Wildpreisen überhaupt nicht mehr aus, so niedrig, wie die jetzt sind. Und keiner, der was von Wild versteht, möchte jemals einen Brunfthirsch essen, so wie der stinkt. Einen Hirsch kann man in der Zeit nur wegen der Trophäe, dem Geweih halt, schießen, und der Leonhard hat in dem Jahr keinen passenden Hirschen zum Abschuss frei gehabt, weil der, der ihm vielleicht gefallen hätt, ein Vierzehnender, war für einen Abschuss noch viel zu jung.

Aber im Dorf hat man gemunkelt, dass ein anderer auf den Hirschen spitzt, hat der Alois gesagt und mit dem Jagerhut genickt.

Wer denn das leicht sein soll, wollt ich da wissen, aber der Alois hat nur ein wichtiges Gesicht gezogen, manchmal ist er wirklich ein Heimlicher, ich sag’s ja.

Heißt das jetzt, dass der Leonhard den anderen dort bei der Fütterung abpassen hätt wollen? Und dann hat er einen Herzkasperl gekriegt, wie er gesehen hat, wer da in aller Herrgottsfrüh dahergekommen ist?, hab ich so vor mich hin spekuliert.

Wie kommst denn jetzt auf Herzkasperl?, hat der Alois wissen wollen. Der andere hat den Leonhard abgepasst und ihm gleich mitten ins Herz geschossen.

2

Golden war das Licht gewesen, in den ersten Septemberwochen in Wien, und der Himmel von wehmütigem Blau. So war es Patrick Sandor vorgekommen.

An diesem Freitag Ende des Monats war davon keine Rede mehr. Die Stadt war in taubengrauen Nebel getaucht, die mächtige Kuppel der Karlskirche nur noch zu erahnen, buntes Laub klebte am Trottoir. Sandor vergrub die Hände in den Taschen seines dunkelblauen Kaschmirmantels, die Parkbank im Resselpark, auf der er Platz genommen hatte, verließ er nicht, obwohl es unbehaglich feucht geworden war.

Schon zum dritten Mal schob ein Obdachloser im langen Fischgrätmantel und mit roter Wollmütze seinen mit Plastiksäcken gefüllten Einkaufswagen an ihm vorüber und musterte ihn neugierig. Dass so ein eleganter Herr bei dieser Witterung nicht den Weg nach Hause oder zumindest in geschlossene Räume fand, schien ihn zu erstaunen. Sonst ruhten sich bei so einem Wetter nur Gleichgesinnte im Freien aus oder packten ihre Habseligkeiten von einer Tasche in die andere. Aber ein Mann in grauem Anzug und Gilet, der bordeauxfarbene Krawatte und Stecktuch trug, war ihm hier noch nicht untergekommen.

Der ist was Besseres, das sieht man gleich, hatte der Obdachlose schon bei der U-Bahn-Station Karlsplatz gedacht. Er hatte die Maßschuhe erkannt, schließlich war er nicht als Obdachloser auf die Welt gekommen. Dass die Schuhe nicht bei jedem Schritt klirrten, hatte ihn überrascht. Es kam schon vor, dass gewisse Herren auf nicht Maßgeschneidertes Metallplättchen nageln ließen. Dass Sandor das Geklirre ordinär fand und seinem Schuster ein Aufnageln ausdrücklich verboten hatte, konnte der Obdachlose nicht ahnen. Aber es hatte genügt, um Sandor ein wenig nachzugehen – er hatte heute nichts Besonderes vor.

Es klingelte. Patrick Sandor zog die Hand aus der Manteltasche und hielt ein Handy an sein Ohr. Der Obdachlose ließ sich ein paar Meter weiter auf einer Bank nieder.

»Im Resselpark«, sagte Sandor nach einer Weile.

»Ich sitz da und denk nach«, fügte er später noch hinzu, klappte das Handy zu und schob es wieder in die Manteltasche.

So konnte man es sehen, aber es stimmte nur zum Teil. Doch Sandor war außerstande, seinem Müller Aufschlussreicheres anzubieten, wusste er doch selbst nicht, wie ihm war. Auslöser war die junge Person gewesen, die heute zum Verhör erschienen war. Laut, derb, der Nabel frei, die Träger des Büstenhalters nicht verrutscht, sondern nach gängiger Mode unter der Bluse hervorgeschoben. Pöbelhaftigkeiten. Sie war das berühmte Tröpfchen gewesen, das das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Denn schon seit einer geraumen Weile fühlte Patrick Sandor sich nicht mehr wohl. Er war während des Verhörs aufgestanden, aus dem Verhörraum gegangen und nicht mehr zurückgekehrt. Das hatte er gar nicht vorgehabt.