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Die Stämme Germaniens müssen jedes Jahr Tribute nach Rom entsenden. Dieses Jahr erwischt es Hermann, wie auch seinen Bruder Friedrich. Niedergeschlagen und voller Ungewissheit treten sie den Weg nach Rom an. In Rom angekommen werden sie von der Größe der Metropole förmlich erschlagen. Schaffen es Hermann und Friedrich sich in Rom zurecht zu finden und werden sie jemals ihre Heimat wiedersehen können?
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Diese Geschichte nimmt ihren Anfang 17 Jahre vor Christi Geburt mit der Geburt eines Helden. Doch wie jeder Held, ist auch dieser anfangs ein einfacher Mensch. Nicht seine Geburt macht ihn zur Legende, sondern seine Taten angesichts des übermächtigen Feindes. Der Name dieses Mannes ist Hermann, Sohn des Stammesfürsten der Cherusker Segimer. Hermann wuchs zu einem jungen, lebhaften Knaben heran, der sich schon früh für die Geschicke des Krieges und der Politik der Welt interessierte. Sein Vater zeigte ihm schon in jungen Jahren den Umgang mit dem Schwert und Schild und lehrte ihn, immer die Umgebung im Auge zu behalten. Diese könnte ein wesentlicher Bestandteil zum Sieg sein. Sein jüngerer Bruder Friedrich wohnte diesem Unterricht, sobald er alt genug dafür war, bei. Hermanns Vater Segimer stand, wie sein Onkel Inguiomer, auf der Seite der Römer und führte die prorömische Partei der Cheruskern an. Man lebte zwar frei, war jedoch an Rom gebunden und kämpfte für Rom, wann immer sie es ihnen befahlen. Man stellte jedes Jahr mehrere Männer für Rom ab, die in der römischen Armee kämpften. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis Hermann, wie auch Friedrich, eines Tages selbst zur römischen Armee eingezogen werden würden.
Im Alter von 8 Jahren begang Hermanns Kampftraining.
Wir schreiben das Jahr 7 v. Chr. Hermann kämpfte mit 2 älteren Männern. Sein Schwert flog herum, sein Schild wehrte die Angriffe ab. Er war flink, wenn man bedenkt, dass er ein Knabe von 10 Jahren war. Er war stark, hielt die Hiebe mit dem Schild auf und konterte mit seinem eigenen. Es gab keine richtige Arena, sondern man trainierte auf Feldwegen, da diese realistischer zu Schlachtfeldern seien.
Plötzlich wurde sie von einem Klatschen unterbrochen.
Hermann blickte auf. Er sah seinen Vater, in Begleitung von zwei anderen Männern, auf sich zukommen. Hermanns Kampfpartner stellten sich sofort nebeneinander auf und verneigten sich vor dem Fürsten.
„Vater!“, ergriff Hermann das Wort. Den anderen beiden Männern nickte er zu. Er hatte sie schonmal im Stammesgebiet gesehen, kannte aber weder Namen, noch sonst irgendwelche Einzelheiten. Der eine war etwas größer als der andere, beide waren kräftig gebaut. Während der größere einen Vollbart hatte, war der Bart des Kleineren eher gestutzt. Beide hatten kürzere Haare und harte Gesichtszüge.
„Mein Sohn!“, erwiderte Segimer und ging auf Hermann zu und umarmte ihn, „wie ich sehe bist du fleißig. Du wächst zu einem mutigen und starken Krieger deines Stammes heran.“
„Vielen Dank Vater!“, antwortete Hermann mit einer Verbeugung, „es freut mich diese Worte von dir zu hören.“
„Du hast sie dir verdient mein Sohn!“
„Vater“, sprach Hermann erfürchtigt und blickte die beiden Männer hinter seinem Vater an, die ihn begutachteten, „dürfte ich erfahren, wer diese beiden Männer sind, die dich begleiten.“
„Natürlich. Ich habe sie extra mitgebracht, damit du dich mit ihnen misst. Zeige mir die Früchte deines Trainings.“
„Aber Vater, ich habe den ganzen Tag schon trainiert, ich...“
„Auf dem Schlachtfeld kämpfst du möglicherweise Tag und Nacht und musst immer auf einen Angriff vorbereitet sein“, unterbrach ihn Segimer und zog sein Schwert, „dort gibt es keine Ausreden. Du kannst nicht sagen: „Ich bin müde“, denn dann wirst du von einem Schwert durchbohrt, du kannst nicht sagen: „Ich bin verletzt“, denn dann wirst du von einem Pfeil getroffen. Auf dem Schlachtfeld gibt es ein Gebot. SEI WACHSAM.“ Die letzten Worte gingen ein mit einem Schwerthieb, den Hermann gerade noch so zur Seite ablenken konnte, die Schwertspitze brachte ihm dabei jedoch einen Schnitt am Arm zu. „Es wird vorkommen, dass du gehandicapt in einen Kampf gegen mehrere Gegner gehen musst“, sprach Segimer weiter, „lerne mit dieser Situation umzugehen und siegreich aus diesem Kampf hervorzugehen.“
„Ich verstehe Vater.“
Hermann verband sich den Schnitt an seinem Arm, während sich die beiden Männer Schwert und Schild von Hermanns Trainingspartner übernahmen. Als alle fertig waren, gab Segimer das Zeichen zum Kampf. Beide Parteien kreisten wie Löwen umeinander herum, die bereit waren ihre Beute anzufallen, jedoch nur auf den richtigen Moment warteten. Hermann sah, wie sich beide ein Zeichen gaben und ihn einkreisten. Er behielt beide im Auge, wobei er sich auf den größeren der beiden konzentrierte, jedoch den Kleineren aus den Augenwinkeln weiter im Blick behielt. Hermann wechselte öfters zwischen beiden hin und her, sodass er einmal den Größeren und einmal den Kleineren genau im Blick hatte. Sie zogen weiter ihre Kreise und warteten nur auf den passenden Moment anzugreifen, Hermann hingegen begab sich in die verteidigende Position und wartete auf den Erstschlag, sein Schwert und Schild in Alarmbereitschaft versetzt. Plötzlich warf der Größere seinen Schild weg, während der Kleinere angriff. Hermann, im ersten Moment überrascht, durchschaute jedoch den Trick und blockte den Angriff. Nun griff auch der Größere Hermann an und er verteidigte sich gegen beide. Während er den einen mit dem Schild abwehrte, parierte er mit dem Schwert die Schwerthiebe des anderen, jedoch wurde er weiter zurückgedrängt. Plötzlich packte der Größere das Schild des Hermann und holte mit seinem Schwert aus. Hermann sah aus den Augenwinkeln, wie auch der Jüngere zum Schwerthieb ausholte. Hermann ließ sein Schild los, was den Größeren überraschte und drehte sich zur Seite und vollendete seinen Überraschungsangriff mit einem geradlinigen Faustschlag zum Kinn des Größeren, der daraufhin nach hinten stolperte. Er wandte sich blitzschnell zum Kleineren um, der noch überrascht von dem Angriff des Hermann war. Hermann stürmte nach vorne, stolperte jedoch über einen Stein der auf dem Weg lag. Blitzschnell erkannte der Kleinere die Lage und stürzte sich auf Hermann, blockierte seine Schwerthand mit seinem Schild und hielt ihm sein eigenes Schwert an die Kehle.
„GENUG, das reicht!“, ertönte plötzlich die Stimme Segimers.
Der Kleinere richtete sich auf und auch der Größere stellte sich zu seinem Partner und verbeugte sich vor dem Stammesfürsten. Hermann rappelte sich auf. Er blickte sich um, sah den Stein, hob ihn auf und warf ihn wutentbrannt weg. Er konnte es nicht fassen, dass so ein kleiner Stein, dieses Gefecht entschieden hatte. Er sah aus den Augenwinkeln, wie sein Vater zu den beiden Männern sprach, diese sich daraufhin verbeugten und von dannen zogen.
„Mein Sohn“, ergriff Segimer das Wort. Hermann blickte sich um und sah, wie sein Vater ihn zu sich heran winkte. Nachdem Hermann da war, sprach Segimer weiter. „Du hast dich gut geschlagen mein Sohn. Ich habe persönlich nicht damit gerechnet, dass du die Lage gut überblickst und dir den richtigen Moment für einen Gegenangriff ausgesucht hast.“
„Dennoch habe ich schlussendlich verloren.“
„Und du weißt auch, woran es lag, nicht wahr?“
„Ja, an diesem blöden Stein.“
„Nein, mein Sohn“, erwiderte Segimer kopfschüttelnd, „setz dich zu mir. Gut. Es ist wohl war, dass du über den Stein gestolpert bist, jedoch nicht der Stein, sondern dein fehlender Überblick über den Kampfplatz hat dir diese Niederlage eingebracht. Wir haben keine großen Technologien, wie die Römer sie haben, das einzige was wir haben ist unser Mut und unser Gehirn, welches uns Wotan gegeben hat. Wir müssen unsere Nachteile zu unseren Vorteilen umwandeln. Denk an unser Land. Kein Feind kennt unser Land, so wie wir es tun. Wir kennen jeden Stein, jeden Fluss, jeden Wald, jeden Boden, der auf unserem Land ist. Lerne die Natur einzusetzen, denn es gibt keinen größeren Gegner als die Natur. Bedenke, was der Winter mit den Feldern macht, bedenke, wie der Regen die Böden aufweicht. Du bist über diesen Stein gestolpert, weil du die Umgebung nicht im Auge behalten hast.“
„Ich verstehe Vater.“
„Willst du wissen, wer diese beiden Männer sind und wieso sie gegen dich kämpfen sollten?“
„Natürlich Vater!“
„Gut. Wie du weißt, haben wir die Pflicht, jedes Jahr Männer nach Rom zu entsenden, damit diese unter römischer Flagge kämpfen. Diese beiden Männern sind die tapfersten und stärksten, die wir dieses Jahr nach Rom schicken müssen. Ich wollte sehen, wie du dich gegen beide behaupten kannst und ich muss sagen, dass du mich nicht enttäuscht hast. Ich wusste jedoch, dass du zwar auf Feldern trainiert hast, diese jedoch eben waren und keine Hindernisse beherbergten. Deswegen habe ich beiden befohlen, dich solange zu umkreisen, bis ihr eine Stelle erreicht habt, die mit Hindernissen bespickt waren. Ich muss nämlich die beiden Männern nach Rom begleiten und sie dort dem Senat als Tribun übergeben. Trainiere deswegen weiter fleißig mein Sohn und diesmal bedenke die Umgebung.“
„Ich verstehe Vater. Es macht mich stolz, diese Worte aus deinem Mund zu hören und ich werde weiter tranieren, bis ich der stärkste Krieger dieses Dorfes geworden bin.“
„Ich bin mir sicher“, antwortete Segimer, aufstehend mit einem zugleich leicht traurigen, aber auch einem stolzen Lächeln, „dass du es schaffen wirst.“
Segimer reiste ab und Hermann trainierte weiter. Er war darauf erpicht, an allen möglichen Orten und unter allen möglichen Witterungsumständen zu trainieren. Er trainierte bei Schnee, bei Regen, unter extremer Hitze, im Wald, an Abhängen, an Flüssen und Bächen, auf unebenen Feldern. Er ging frühmorgens los und kehrte meist erst abends zurück. Er lernte nicht nur das Kämpfen mit dem Schwert, er lernte auch geschickt den Umgang mit Pfeil und Bogen. Er jagte für sich, sammelte Beeren und versorgte sich so den ganzen Tag. Abends kehrte er zurück zu seinem Bruder und seiner Mutter. Er entwarf Schlachtpläne, sah sich selbst schon als Feldheer, der jeden Feind besiegen konnte.
Eines Abends, nachdem Hermann wieder bis spät Abends trainiert hatte, kehrte er heim und fand Besuch vor. Es war sein Onkel Inguiomer, der wieder aus Rom zurückkehrte. Inguiomer stand, wie Hermanns Vater, auf Seiten der Römer und diente der prorömischen Partei der Cherusker. Er kehrte selten in die Heimat zurück, da er sein Leben an der Seite seines Heers verbrachte. Inguiomer war öfters mit seinem Heer an den Grenzen Germaniens stationiert und sollte dort die Grenzen gegen heranstürmende Feinde oder auch Feinde aus dem Inneren verteidigen. Meistens reiste er nur zwischen dem Stützpunkt seines Heeres und Rom hin und her oder wartete auf neue Einsatzbefehle. Dieses mal war er in Rom und erhielt den Befehl mit seinen Truppen sich im Westen von Gallien zu positionieren, da die Ortschaften öfters von Piraten überfallen worden waren. Er blieb nun eine Woche in seiner Heimat, bis er mit seinen Truppen wieder aufbrach. Alle blickten zur Tür als Hermann eintrat.
„Neffe“, erhob er freudestrahlend das Wort, „schön dich wieder zu sehen. Du bist gewachsen.“
„Danke Onkel“, erwiderte Hermann, ebenfalls freudestrahlend, „was für eine Überraschung, dich hier zu sehen.“
„Ja, ich habe schon deiner Mutter und deinem Bruder erzählt, dass ich den Befehl erhielt, nach Westen zu gehen und mich an der gallischen Küste einzufinden. Ich werde bis zum Ende der Woche hier sein und dann wieder aufbrechen.“
„Ich verstehe. Hast du etwas von Vater gehört?“
„Nein, leider nicht. Ich hab nur die Nachricht gehört, dass er schon in Rom angekommen sei. Er sollte demnach bald wieder zurückkehren.“
„Dies sind gute Nachrichten.“
„Ich hab von deiner Mutter gehört, dass du fleißig trainiert hast“, sagte Inguiomer mit einem Lächeln.
„Ja Onkel, täglich, von morgens früh bis spät abends. Ich möchte schließlich irgendwann ein genauso starker und mutiger Krieger werden, wie du und Vater es seid.“
„Ich bin mir sicher, dass wirst du. Wahrscheinlich wirst du irgendwann den Platz deines Vaters als Stammesfürst einnehmen. Und was ist mit dir“, fragte Inguiomer an Friedrich gewandt, „eiferst du deinem Bruder nach.“
„Leider“, ergriff Hermanns Mutter das Wort, noch bevor Friedrich darauf eine Antwort geben konnte, „sehe ich weder ihn, noch Hermann sehr oft. Friedrich zu meinem Glück aber noch öfters, da er im Dorf trainiert. Er eifert seinem großen Bruder sehr nach.“
„Ich bin aber noch nicht so gut, wie Hermann.“
„Das ist auch kein Wunder“, erwiderte Inguiomer und lächelte ihn an, „Hermann ist ein Jahr älter als du und trainiert schon länger. Doch auch du wirst, wie dein Bruder, ein Platz in der Geschichte einnehmen. Vertrau mir in diesem Punkt.“
„Vielen Dank, Onkel.“
„Vielleicht nimmt dich dein Bruder mal mit und ihr trainiert zusammen?“
„Ich hätte kein Problem damit“, antwortete Hermann mit Blick auf seinen Bruder, „ich bin sein Bruder und in Vaters Abwesenheit bin ich dafür verantwortlich, dass aus ihm ein vernünftiger Krieger des Stammes wird.“
„Da siehst du es Friedrich. Morgen gehst du in die Lehre von Hermann. Doch jetzt setz dich und iss Hermann, morgen wird wieder ein langer Tag.“
Hermann aß und genoß den Abend mit seiner Familie. Nach dem Essen wanderte er noch ein bisschen vor dem Haus hin und her. Er war mit Stolz erfüllt, dass sein Onkel ihm Verantwortung für eine Ausbildung zum Kämpfer übergab. Es wäre zwar nur einer, noch dazu sein eigener Bruder, jedoch wäre er sich dieser wichtigen Aufgabe bewusst. Er wusste, dass es seine Aufgabe war, ihn zu einem starken Krieger seines Stammes zu machen, der auf sich aufpassen konnte und der an der Seite eines Heeres kämpfen konnte oder, was noch besser wäre, ihn so zu formen, dass er sein eigenes Heer befehligen könnte. Er ertappte sich schon in Gedanken, wie er seinen Unterricht vorbereitete und Übungen mit seinem Bruder durchführte. Auf der anderen Seite kamen ihm Zweifel. Könnte er wirklich jemanden etwas beibringen, könnte er wirklich jemanden zu einem starken Krieger formen, der nicht sofort auf dem Schlachtfeld getötet werden würde, könnte er das?
„Na, in Gedanken versunken?“
Hermann schreckte auf und sah seinen Onkel an der Tür stehen. Er hatte einen Becher mit Wein in der Hand und blickte seinen Neffen an. Er kam zu ihm herüber.
„Onkel, ich habe mich gefragt, ob...“
„Ich kann mir schon vorstellen, was du dir denkst“, unterbrach ihn Inguiomer, „du fragst dich, ob du der Aufgabe gewachsen bist, deinen Bruder zu trainieren. Ich hab also Recht“, sprach er weiter, nachdem er Hermanns Blick vernommen hatte, „ich kann verstehen, dass dich diese Aufgabe verunsichert.“
„Woher Onkel?“
„Weil ich die gleichen Gedanken hatte, als ich beschloss deinen Vater zu unterrichten. Mein Vater gab mir die Aufgabe meinen Bruder zu trainieren, damit wir eines Tages stolze Krieger unseres Stammes werden sollten. Ich hab mich anfangs auch gefragt, ob ich der Aufgabe gewachsen sei.“
„Ich habe Angst Onkel. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich würde meinen Bruder gerne trainieren, die Schwierigkeit für mich liegt nur darin, die Ungewissheit zu haben, ob mein Bruder für den Ernstfall vorbereitet ist. Ich will ihn nicht neben mir auf dem Schlachtfeld sterben sehen.“
„Gewiss willst du dies nicht.“
„Ich würde mir ewig Vorwürfe machen, da es ja meine Aufgabe war, ihn auf diese Gefahren vorzu-bereiten. Ich hätte ihn im Kampf unterrichet, ich hätte ihm alle Taktiken erklärt. Falls er dann trotzdem sterben würde, würde ich mir dies, bei den Göttern, nie verzeihen.“
„Neffe. Ich erzähle dir jetzt etwas. Ich hatte genau die gleichen Gedanken, als ich in deiner Lage war. Ich ziehe mit Männern in den Krieg, jeder hervorragend ausgebildet worden, sei es von mir oder jemand anderem, dennoch müssen Leute sterben, da unsere Feinde ebenso ausgebildet werden. So verläuft der Krieg nun mal. Selbst wenn dieser Mann, mit dem ich an der Seite gekämpft habe, getötet werden würde, würde ich den selben Schmerz fühlen, wie, als wenn mein Bruder sterben würde.“
„Aber Onkel, dies ist doch nur ein Fremder für dich.“
„Nein, jeder Mann, der für mich an meiner Seite kämpft, ist wie ein Bruder für mich. Er vergießt sein Blut für mich, verlässt seine Frau und sein Kind für mich, zieht in ein fremdes Land für mich und das ohne zu wissen, ob er jemals wieder zurückkehren wird. Dieser Mann ist ebenso ein Bruder für mich, wie dein Vater einer ist. Kriege fordern Opfer, so weh es tut. Wir müssen diese Opfer annehmen und für diese weiterkämpfen. Die Gefallenen danken es uns nicht, wenn wir den Sieg nicht erringen. Die Gefallenen sind nicht stolz auf uns, wenn wir den Feind nicht in die Flucht schlagen. Ich verstehe deinen Gesichtspunkt, du bist noch jung, doch dein erster Feldzug wird dir diese Gedanken wieder in Erinnerung rufen. Wir sind nur Teil eines großen Ganzen. Wir sind nur einzelne Männer auf einem Schlachtfeld, doch unsere Einheit macht uns stark. Für dich wäre dieser Mann nicht wichtig. Dann erzähle ich dir mal die Wichtigkeit einer einzelnen Sache. Es gab mal ein Pferd, dieses Pferd hatte ein kaputtes Hufeisen, durch dieses kaputte Hufeisen konnte der Reiter keine Nachricht zum König überbringen und durch diese nicht überbrachte Nachricht verlor man den Krieg. Du siehst, was wertlos oder unerheblich erscheint, wird im Ganzen oder genauer betrachtet zu etwas Großem. Fällt dieser Mann weg, den du als unerheblich betrachtet, ist der Nebenmann eine leichte Beute, fällt auch dieser Mann bricht die Reihe ein, bricht die Reihe ein, fällt die Einheit, fällt die Einheit, geht der Krieg verloren. Du siehst, von einem einzelnen Mann kann viel abhängen.“
„Ich verstehe Onkel. Ich sehe dies ein, aber...“
„Nein Hermann“, widersprach ihm Inguiomer, „in diesem Punkt gibt es kein aber. Dein Bruder wird ausgebildet, gut ausgebildet, dessen bin ich mir sicher, er ist dein Bruder und daher erwarte ich, dass du alles in deiner Macht stehende tust, damit er gut genug wird. Ich hab schon gehört, dass du einer der Stärksten des ganzen Stamm bist, deswegen ist es nur natürlich, dass er bei einem der Stärksten trainiert. Wir sind kein großer Stamm und haben nicht viele Lehrer, um genau zu sein haben wir keine, da die starken Männer als Tribune nach Rom geschickt werden, demnach bist du der Beste, der für diese Aufgabe geeignet bist. Bedenke weiterhin, dass du sicher bist, dass er alles kann, wenn er bei dir in die Lehre geht, da du selbstverständlich weißt, was er alles kann und was nicht. Was würdest du dir für Vorwürfe machen, wenn jemand anderes ihn ausbilden würde und er dann fallen würde und nur durch einen Fehler, den du niemals gemacht hättest und ihm auf jeden Fall gezeigt hättest, wie man diesen Fehler unterbindet. Wärest du nicht darüber mehr verzweifelt?“
„Dem wäre so, denke ich.“
„Da siehst du es. Du hast die Fähigkeiten dazu, ansonsten hätte ich dich nicht gefragt, wenn ich nicht an dich glauben würde. Pass auf deinen Bruder auf, dann kann nichts passieren.“
„Onkel, es gibt noch etwas, was ich fragen wollte.“
„Frag mich, mein Junge.“
„Fürchtest du dich vor dem Krieg?“
Er überlegte kurz. „Es ist tatsächlich diese Furcht, die mich kämpfen lässt. Jeden Tag an der Front zu stehen und zu wissen, dies könnte dein letzter Tag sein, zu kämpfen, damit deine Lieben zu Hause ein sicheres Leben führen können. Diese Gedanken bringen mich dazu, jeden Tag mein Schwert in die Hand zu nehmen und gegen unsere Feinde zu kämpfen.“
„Wie war dein erster Feldzug?“
Inguiomer schwieg daraufhin erstmal eine kurze Zeit und nahm ein Schluck aus seinem Becher. Es fiel ihm wohl schwer, darüber zu reden und Hermann war es unangenehm diese Frage gestellt zu haben, doch als Inguiomer antwortete, war nichts von Traurigkeit zu hören.
„Die Frage ist schwer für mich“, antwortete er und bestätigte Hermanns anfänglichen Verdacht, „doch es ist selbstverständlich, dass du darauf eine Antwort willst und ich finde es nicht schlimm, dass du diese Frage gestellt hast. Doch da muss ich etwas weiter ausholen. Ich bin schon früh Soldat geworden, ich war damals 17 Jahre alt. Meine erste Schlacht war gegen einen anderen Stamm, es war nichtmal gegen ein anderes Reich, sondern gegen unsere Brüder aus Germanien. Den Grund der Schlacht wusste ich nicht, den wusste nur unser Anführer, Soldaten führen Befehle aus und stellen keine Fragen, dass war das erste, was einem beigebracht worden war. Die erste Nacht war ein leichtes Abtasten, auf unserer Seite fiel niemand, auf ihrer Seite auch nicht. Dennoch wurde gefeiert, als hätten wir den Sieg errungen. Vor allem die jungen Soldaten, zu denen ich auch zählte, waren sehr angetan. Ich sah die Älteren abweisend am Feuer sitzen, dachte mir im ersten Moment jedoch nichts dazu. Gewiss dachten sie über den morgigen Tag nach, wie wir den Gegner besiegen konnten, so dachte ich in jugendlichem Leichtsinn, später habe ich erfahren und verstanden, wieso. Der zweite Tag brach an und es herrschte wirklich Krieg. Wir kämpften in einer Einheit, dennoch wurden wir in Zweierteams eingeteilt, jeder sollte seinen Nebenmann beschützen. Ich wurde einem Mann zugeteilt, der schon einige Schlachten hinter sich hatte. Er war nicht sehr redselig, was eigentlich keiner der älteren war. Dann fing die Schlacht an. Ich weiß nicht, wie lange die Schlacht gedauert hat, kann es nicht mal schätzen, es prallten zwei ungefähr gleich starke Truppen aufeinander, wo keine erst einmal einen Vorteil zog. Es fielen Männer auf beiden Seiten, jedes Mal, wenn ein Mann fiel, wurde die Lücke geschlossen und es wurde weiter gekämpft. Es blieb keine Zeit für die Verwundeten. Ich war weiter hinten, sah meine Brüder auf dem Boden liegen, sah einen nach dem anderen fallen, konnte jedoch nichts tun. Ich war hilflos, hörte nur die Worte unseres Kommandanten, die ich nicht mal verstehen konnte. Ich hielt mich an meinem Mann, der wild entschlossen vorwärts rückte. Plötzlich stoppte der ganze Zug, der Kommandant schrie etwas, ich verstand es nicht, in Gedanken versunkend. Plötzlich wurde es dunkel, ich sah, wie ein Schild vor mich gestellt wurde, hörte nur ein Prasseln und wunderte mich, was es war. Ich sah zur Seite und stellte entsetzt fest, dass mein Partner, auf den ich aufpassen sollte, von Pfeilen getroffen war. Seine letzte Tat war es den Schild schützend vor mich zu halten, ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben. Er gab sein Leben für meines, ich wollte mich um ihn kümmern, doch er griff nur nach meinem Arm und schrie, dass es für ihn eh zu spät komme und ich nur darauf achten sollte, dass die Reihe nicht zusammenbricht. Schweren Herzens, mit der Gewissheit, dass dieser Mann vermutlich noch leben könnte, wenn ich nicht gewesen wäre, schloß ich die Reihe und wir marschierten weiter, bis das Zeichen des Kommandanten für den Rückzug kam. Wir zogen uns zurück zu unserem Lager, versuchten die Verwundeten zu retten, welche noch zu retten waren. Mein Nebenmann war gestorben, genauso wie 78 weitere tapfere Männer. 79 tapfere Männer an einem Tag. Diese Zahl hat sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. Diesen Abend lachte keiner mehr, keiner trank, keiner sang. Diesmal blieb alles still. Die Älteren schliefen, wir Jungen konnten es nicht. Zu groß war der Schock, den wir heute erlitten hatten. Am nächsten Tag erreichte uns zur frühen Morgenstunde ein Reiter und überbrachte unserem Kommandanten einen Brief. Wir werden nie erfahren, was in diesem Brief gestanden hatte, aber wir erhielten den Befehl uns zurückzuziehen. Niemand verstand es, ich bis heute nicht. Warum mussten denn 79 Männer sterben? Niemand klärte uns auf, niemand sagte uns, wieso unser Nebenmann sterben musste, wieso er sein Leben für sein Land und seine Brüder gab? Es war meine erste Schlacht und diese werde ich nie vergessen, denn durch eine Nachlässigkeit von mir, musste ein Mann sterben. Er hat mich beschützt, wir waren einander fremd. Ich habe diesem Mann vorher nie gesehen, konnte mich nicht einmal bedanken. Wieso hat er mich gerettet und nicht sich selbst, dass frag ich mich bis heute. Wir begruben die Toten alle zusammen, gemeinsam schaufelten wir die Erde aus, doch ich weiß nicht warum, war ich vielleicht eingebildet, ich vermag es heute nicht mehr zu sagen, wollte ich das Grab des Mannes, der sein Leben für mich gab, selbst schaufeln. Jeder der mir helfen wollte, schickte ich weg. Ich konnte mich nicht persönlich verabschieden und hoffte so, dass es wenigstens ein bisschen über meinen Schmerz hinweg helfen könnte. Und deswegen Neffe sage ich dir, dass in der Schlacht jeder dein Bruder ist, du gibst deinen Schild für einen der deinen, da wird nicht unterschieden, ob du einen Menschen besser kennst oder nicht, jeder dieser Männer ist schützenswert.“
„Ich verstehe Onkel, was du mir damit sagen willst.“
„Ich hoffe, du verstehst jetzt, wieso du diese Aufgabe annehmen sollst und dir keine Sorgen machen musst. Vergiss nicht, ihr seid alle Brüder, alle Söhne des Wotans. In der Schlacht zählt es nicht, was für eine Aufgabe du im Stamm einnimmst, wen du kennst, in der Schlacht sind wir alle gleich und jeder wird deinen Bruder beschützen, nicht nur du.“
„Danke Onkel, deine Worte haben mir geholfen, meiner Aufgabe mit Gewissheit nachzugehen und ich werde mich nicht drücken und diese Aufgabe gewissenhaft durchführen.“
„Das ist ein Wort, mein Junge. Ich hoffe du bist einverstanden, denn da ich noch bis zum Ende der Woche hier bin, würde ich mich gerne bis dahin als dein Lehrer zur Verfügung stellen und dir verschiedene Taktiken zeigen und dich auch im Kampf mit dem Schwert und Schild schulen. Wenn ich abreise, zeigst du dies deinem Bruder. Wärest du damit einverstanden?“
„Sehr sogar!“, erwiderte Hermann mit einem Lächeln.
„Dann ab mit dir jetzt ins Bett. Morgen wird ein harter Tag, da brauchst du deinen Schlaf.“
„Ich habe verstanden Onkel! Gute Nacht.“
„Gute Nacht, mein Junge.“
Inguiomer sah, wie sein Neffe im Haus verschwand. Er stand noch eine Weile draußen, trank seinen Wein aus und dachte über die Vergangenheit nach. Die Geschichte seines ersten Feldzuges, die Opfer seines Kameraden, dies alles löste in ihm eine lang vergessende oder eher verdrängte Traurigkeit aus. Ihm war klar, dass auch sein Neffe in jungen Jahren zur Armee stoßen wird, er hoffte, dass dieser besser vorbereitet sein würde, als er es war. Er blickte in den Himmel, sah einen Stern blinken, lächelte, hob seinen Becher, dankte seinem Retter von damals, trank etwas Wein und ging ins Haus. Er hoffte, dass sein Neffe sowas nicht durchmachen musste, war sich jedoch sicher, dass es eines Tages dazu kommen werden würde.
Der Nächste Tag
Hermann erwachte früh, die Sonne war noch nicht aufgegangen, doch obwohl er es gewöhnt war vor den anderen aufzustehen, war dies früher als gewöhnlich. In dieser Nacht hatte er ohnehin sehr unruhig geschlafen. Ihm ging das Gespräch mit seinem Onkel nicht aus dem Kopf, er ging mit diesen Gedanken schlafen, seine Träume drehten sich darum und auch nachdem er aufgewacht war, drehte sich noch immer alles um diese Unterhaltung. Er ging jeden einzelnen Punkt nochmals durch. Sein Onkel hatte Recht, empfand er, er dürfte sich nicht hinter großen Männern verstecken oder ihnen die Arbeit überlassen. Er müsste aus dem Schatten seines Onkels und seines Vaters hervortreten. Er ging zum Wasserkrug und wusch sich erst einmal sein Gesicht. Als das Wasser wieder ruhte, schaute er sich sein Gesicht genau an. Er dachte an nichts, sondern starrte nur sein Gesicht an. Er hatte das Aussehen seines Vaters geerbt, sein Bruder kam mehr nach der Mutter. Er hoffte inständig, dass dies nicht das einzigste war, was ihn mit seinem Vater verband. Er setzte sich hin und dachte an die bevorstehende Woche. Was wollte ihm sein Onkel wohl beibringen, was würde sich von seinem Training unterscheiden, wie sollte das Training in dieser Woche so sehr helfen, dass er seinem Bruder vorbereiten konnte? Würde sein Onkel ihn im Schwertkampf, im Nahkampf ohne Schwert, mit Pfeil und Bogen, oder mit etwas völlig anderem unterrichten? Bringt er ihm Taktiken bei? Will er lieber den Körper trainieren oder den Geist?
„Du bist schon wach?“, erklang plötzlich eine Stimme hinter ihm.
Hermann erschrak und lächelte, als er sich umblickte und seinen Onkel erblickte. „Guten Morgen, Onkel.“
„Guten Morgen Hermann. Konntest du nicht mehr schlafen?“ Er ging an Hermann vorbei zum Wasserkrug und wusch sich ebenfalls das Gesicht.
„Nein, Onkel.“
„Ich hab gehört, dass du gewöhnt bist, früh aufzustehen und schon loszuziehen, bevor dein Bruder und deine Mutter aufwachen, doch ich hätte gedacht, dass ich doch früher aufstehe und schon fertig sein würde, bevor du aufstehst.“ Er strich sich über seinen Bart.
„Es stimmt, Onkel, ich konnte einfach nicht mehr schlafe.“
„Ich bin mir sicher, dass du dir Gedanken darüber machst, was ich dir beibringen werde. Ich habe nicht viel Zeit, also muss ich es beschränken, aber ich hoffe, es wird dir helfen.“
„Ich bin mir sicher, dies wird es.“
„Also gut. Mach dich fertig, schnapp dir deinen Schild und dein Schwert und komm nach draußen, ich warte dort auf dich.“
Hermann stürmte zurück in sein Zimmer. Er schnappte sich seinen Schild, sein Schwert und seine restliche Ausrüstung, die er immer bei sich hatte. Zu dieser gehörten zwei Messer, eins länger und das andere ein wenig kürzer, ein Krug, Pfeil und Bogen, ein Beutel und seine Rüstung, die aus zwei Beinschienen und zwei Armschienen und einem Helm, den er von seinem Vater zum 10. Geburtstag bekommen hatte, bestand. Schutz für die Brust hatte er nicht, da für ihn, im Moment, sein Schild völlig ausreiche. Da er jeden Tag trainierte, war alles sofort griffbereit und er kam beinahe im selben Moment wieder hinaus aus seinem Zimmer, in welchem er hineingegangen war. Er lief hinaus und prallte beinahe mit seinem Onkel zusammen, der vor der Tür stand.
„Ruhig mein Junge. Es stimmt schon, dass ich euch am Ende der Woche wieder verlasse, aber ein bisschen Zeit haben wir ja schon.“
„Ich habe alles hier, Onkel.“
„Gut, ich hoffe, der Platz, an dem ich dich trainieren will, ist immer noch so unverändert, wie ich ihn verlassen habe. Komm. Wir haben einen weiten Weg vor uns.“
Hermann folgte seinem Onkel. Dieser war nur in seiner Alltagskleidung gekleidet, abgesehen von seinem Schwert, dass an seiner Seite hing, hatte er keinerlei Waffen bei sich. Hermann musste sich schon beeilen, um Schritt halten zu können. Hermann verlor jegliches Zeitgefühl. Die Sonne war schon aufgegangen, doch Inguiomer führte seinen Neffen immer weiter. Hermann sah neue Teile von Germanien, die ihm nie bewusst waren, dass es sie gibt. Sie marschierten über Felder, durchquerten Bäche, gingen durch den Wald. Hermann fragte sich langsam, was sein Onkel vorhatte und wohin er ihn führte. Er wollte fragen, traute sich jedoch nicht. Es musste schon ein besonderer Ort sein, wohin ihn sein Onkel führte, da er diesen langen Weg auf sich nahm. Seine Schulter fingen langsam an zu schmerzen. Das Gewicht seiner Ausrüstung, verbunden mit dem langen und zu Teilen schwierigen Weg, machten sich auf seinen Körper bemerkbar. Inguiomer blickte sporalisch immer wieder hinter sich, um sich zu vergewissern, dass sein Neffe immer noch da war. Er verlor aber keinen einzigen Ton, weder über das Ziel, noch über das Befinden seines Neffen. Der Wald, in dem sie gerade waren, erwachte langsam zum Leben, man konnte sehen, wie Tiere aus ihren Höhlen hervorkamen, Vögel anfingen zu sangen, auch das Licht der Sonne kam durch die Kronen der Bäume bis zu den beiden hindurch. Einzig die nachtaktiven Tiere waren schon verschwunden, es war Zeit, sich für die nächste Nacht auszuruhen. Es wäre schön gewesen, dies alles genießen zu können, wenn man seinen Zielort kennen und keine kiloschwere Ausrüstung mit sich tragen würde. Als Hermann schon der Gedanke gekommen war, dass sie wohl sicher bis zur Mittagsstunde das Ziel nicht erreichen werden würden, stoppte Inguiomer plötzlich. Hermann stoppte noch rechtzeitig, bevor er mit seinem Onkel kollidieren würde. Die Hand flitzte zum Schwert, er zog es nicht, war jedoch in Alarmbereitschaft. Er wusste nicht, weswegen sein Onkel so plötzlich gestoppt hatte, möglicherweise sei ein Feind in der Nähe gewesen.
„Wir sind da“, ergriff er plötzlich das Wort und riss Hermann aus seinen Gedanken. Er blickte über die Schultern zu seinem Neffen und zurück. „Du kannst deine Hand von deinem Schwert nehmen“, ergänzte er lächelnd.
Hermann zog seine Hand zurück und stellte sich neben seinem Onkel und betrachtete den Ort, zu dem ihn sein Onkel geführt hatte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Ihm stockte der Atem, bei dem Anblick, der sich ihm bot. Es war wunderschön. Er hatte noch niemals etwas vergleichmäßiges gesehen. Er kannte seinen Stamm, den Wald hinter dem Dorf, die Straßen und die Felder, auf denen er selbst oft entlangging und trainierte, aber dies war neu für ihn. Es war eine kleine Lichtung, mitten im Wald, der Boden war überwuchert mit Pflanzen jeglicher Art, vom einfachen Gras bis hin zu großen Faunen wuchs alles kreuz und quer. Seitlich der Lichtung ragten die gigantischen Bäume, Linden waren es, in den Himmel. Die Sonne kam durch die gewaltigen Kronen der Bäume und tauchte die Lichtung in malerisches Grün. Es war hell und warm, ein Anblick, so Hermann, den nur die Götter geschaffen haben können. Er sah seitlich Eichhörnchen den Baum hochlaufen, bis zu ihrer Höhle. Er sah einen Vogel auf dem Ast auf der Mitte des Baumes sitzen und laut singen, wahrscheinlich rief er nach einer Partnerin. Er sah zwei Igel seitlich am Rande der Lichtung, weiter hinten konnte er ein Rehkitz beobachten, dass interessiert zu ihnen herüberschaute. Es kannte keine Menschen, da anscheinend wohl noch nie ein Mensch bis in dieses Gebiet vorgerückt worden war, auf jeden Fall nicht zu seinen Lebzeiten. Die Mutter war jedoch auch nicht weit, graste etwas weiter entfernt, jedoch immer mit einem wachsamen Auge auf ihr Junges. Hermann wandte sich zu seinem Onkel um.
„Onkel, wem gehört dieses Land?“
„Dies mein Junge ist eine gute Frage. Offen gestanden weiß ich es nicht, doch vermute stark, dass dies keinem gehört. Die Stämme sind bis hierhin wohl noch nicht vorgerückt und ich muss sagen, dass ich froh bin, diesen Ort nach all der Zeit immer noch im gleichen Zustand zu sehen.“
„Soll das heißen...“
„Ja. Ich war schonmal hier. Und zwar mit deinem Vater. Als wir noch kleiner waren, beschlossen wir für einige Zeit von zu Hause auszuziehen und uns unseren Platz in der Natur zu suchen. Wir hatten nur unsere Kleidung an uns, einen Krug, Seile, ein kleines Messer und ein Schwert. Ich hatte sicherheitshalber noch eine Axt eingepackt. Wir wanderten 2 Tage umher, schliefen nachts selbstverständlich. Wir suchten aber einen festen Platz, wo wir unser Lager aufschlagen konnten und dort auch möglicherweise trainieren und uns ernähren konnten. Nach dem zweiten Tag unserer Reise fanden wir diesen Ort. Die Lichtung war damals noch nicht so groß, wie du sie jetzt siehst, aber sie fasste schon ein paar Baumlängen. Wir wussten sofort, dass dies der Platz war, um uns niederzulassen. Wir legten unsere wenige Ausrüstung zur Seite und beschlossen und erstmal einen Unterschlupf zu bauen. Wir waren noch jung, 16 und 18 Jahre waren wir nur, wir hatten demnach nicht viel Erfahrung im Bau eines Hauses. Doch ich musste sagen, und dass jetzt ohne viel Eigenlob, dass wir es gut hinbekommen hatten. Froh konnten wir natürlich darüber sein, dass ich eine Axt eingebackt hatte, womit wir uns die nötigen Holzstücke abhacken konnten. Man konnte schon sagen, dass ich mehr vom Verstand abbekommen hatte, während dein Vater mehr Kraft zugeschöpft bekam. So bekamen wir eine Hütte zusammen, die nicht sehr ansehnlich, aber stabil war und einem genug Platz für zwei junge Burschen bot. Mit unseren Seilen banden wir die Holzstücke zusammen und legten uns, da es schon spät geworden war, erst einmal schlafen. Es war kühl in der Nacht geworden, wir froren ein bisschen in der Nacht, doch im Vergleich zu der Kälte, die wir die Nächte vorher erlebt hatten, war dies doch deutlich angenehmer. In den Nächten zuvor schliefen wir angelehnt an Bäumen.“
„Hattet ihr keine Angst? Vor irgendwelchen Tieren oder auch menschlichen Feinden?“
„In unserer ersten Nacht hatten wir tatsächlich etwas Angst. Wir wussten nicht, was uns erwartet, wir wussten nicht, in welchem Stammesgebiet wir waren. Wir hatten weniger Angst vor den Tieren, als vor Krieger anderer Stämme, die uns womöglich für Späher oder, was noch schlimmer gewesen wäre, Attentäter gehalten hätten. Doch nachdem wir nach dem zweiten Tag keine Feinde in die Quere gekommen sind, gingen wir davon aus, dass dieses Gebiet unbewohnt sei bzw. dass hier noch niemand vorgerückt war. Demnach konnten wir beruhigt schlafen. Vor den Tieren musst du keine Angst haben, solange du ihnen nichts tust, tun sie dir auch nicht. Wir wurden auf jeden Fall nie von einem Tier angegriffen. Und glaub mir, hier in der Natur sind viel mehr wir die Tiere.“
„Wie ging es weiter, nachdem ihr aufgestanden seit?“
„Morgens machten wir erstmal die Lichtung ein wenig leichter zum begehen. Du siehst, dass im mittleren Kreis Steine so gut wie rar sind. Diese haben wir entfernt. Weiterhin haben wir das wilde Gestrüpp, das anfänglich verstreut wuchs, entfernt und somit eine breite Fläche geschaffen, auf welcher wir alles getan haben, was wir uns vorgenommen hatten, in erster Linie war dies trainiert. Doch auch gemeinsam gegessen und abends am Feuer zusammengesessen haben wir. Die wenigen Steine, die du da siehst“, sagte er und zeigte auf etwas leicht abseits der Lichtung vor zwei großen Bäumen, „dort war unsere Feuerstelle. Dort saßen wir abends zusammen, tauschten uns über den Tag aus und aßen zusammen, was wir gejagt und gesammelt haben. Weiter hinten, du hörst es vielleicht noch, rauscht ein kleiner Bach vor sich hin. Dort haben wir klares Wasser bekommen, konnten uns waschen und hatten genug zum trinken. Pfeil und Bogen zum jagen stellten wir uns selbst her. Beeren sammelten wir in den Sträuchern neben dem Bach. Es fehlt einem hier an nichts“, er lachte kurz auf, „abgesehen von einer netten Dame, wie dein Vater oftmals betonte.“
Hermann lächelte. Was er früher von seinem Vater von Verwandten und Freunden seines Vaters gehört hatte, war dieser im Stamm bei den Frauen sehr beliebt gewesen, um es vereinfacht auszu-drücken. Nachdem er jedoch seine Mutter kennen gelernt hatte, wurde es ruhiger um seine Liebes-angelegenheiten.
„Die Waffen angefertigt und die Lichtung vorbereitet haben wir am ersten Tag und nach der ersten Nacht, nach unserer Ankunft. Am zweiten Tag begannen wir damit, wozu wir überhaupt hergekommen waren, mit dem Kampftraining. Wir haben trainiert, wie die Verrückten. Die Schwerter flogen, prallten an den Schildern ab. Wenn wir mal nicht gegeneinander kämpften, jagten wir, indem wir unsere neu angefertigten Waffen, wie Pfeil und Bogen, dafür einsetzten. Abends waren wir zu erschöpft, um noch etwas machen zu können. Wir aßen nur noch und legten uns dann schlafen. Die Götter wachten über uns und in der ganzen langen Zeit, in der wir da waren, stattete uns weder ein wildes Tier oder, was noch schlimmer gewesen wäre, ein Feind einen Besuch ab. Unsere Kämpfe veränderten sich im Laufe der Zeit, um genau zu sein, änderte sich am Ende eigentlich nur noch der Sieger. Wie ich dir ja schon erzählt hatte, war dein Vater der Mann mit der meisten Kraft, sodass anfangs er immer die Oberhand behielt. Es nervte mich ständig zu verlieren, es war nicht immer einseitig, doch gewinnen konnte ich nicht. Es war klar, dass es so nicht weiter-gehen konnte. Deshalb musste ich eine andere Lösung finden, wenn ich nicht durch Kraft gewinnen konnte, so musste ich mein Glück im Denken suchen und Strategien aufstellen. Bei den weiteren Kämpfen beobachtete ich genau meinen Bruder und unsere Umgebung. Ich verlor zwar, konnte aber wichtige Informationen aus diesen Kämpfen rausziehen. Eines Abends, nachdem mein Bruder schon zu Bett gegangen war, präparierte ich das Kampffeld. Nicht auffällig, ich veränderte nicht viel, ihm fiel es auch am nächsten Morgen nicht auf. Als er erwachte, kam ich schon vom Bach mit Wasser für uns beide zurück.
„Na“, begrüßte er mich spöttisch lächelnd, „bereit für eine weitere Niederlage?“
„Heute bist du es, Bruder“, erwiderte ich, „der eine Niederlage einstecken muss.“
„Ja, natürlich“, antwortete er kopfschüttelnd und lachend, „und das römische Reich wird schon bald untergehen.“
Er machte sich bereit, wusch sich schnell, aß etwas von gestern und zog sich an zum Kampf. Ich ging meine Taktik nochmal durch, versah mir nochmal das Kampffeld an und zog mein Schwert. Mein Bruder kam auf mich zu, zog sein Schwert und wir nahmen unsere Kampfhaltung an. Er stürzte auf mich zu und ich verteidigte mich. Es waren kräftige Schläge, die ich jedoch mühelos parieren konnte. Ich konzentrierte mich auf meinen Plan und wich weiter zurück.
„Was ist los, Bruder?“, rief er, „keine Lust mehr zu kämpfen?“
„Dein Hochmut wird dir den Sieg kosten, glaube es mir!“
Er lachte und rückte weiter vor. Es kam ein mächtiger Schwinger, der jeden hätte töten können, ich wich aus und machte einen Schritt zur Seite. Da war die Chance, genau hinter mir war der präparierte Stein, den ich in der Nacht dorthin gelegt hatte. Er griff weiter an, ich übersprang den Stein leichtfüßig, jedoch darauf achtend, dass er dies nicht bemerkt. Er hatte nichts gemerkt, war er ja nur auf seinen Angriff bedacht und hatte somit auch nichts von der Umgebung mitbekommen. Er stieß vor, trat gegen den Stein und kam ins Straucheln. Dies war die Chance auf die ich gewartet habe. Ich stieß daraufhin vor, blockte sein Schwert zur Seite, warf mich mit meinem ganzen Gewicht nach vorne, stieß ihn zu Boden, kniete mich auf ihn, fixierte seine Schwerthand mit meinem Fuß und hielt mein Schwert direkt vor seiner Brust.
„Verloren, Bruder.“
Er war geschockt, dass kannst du dir sicherlich vorstellen. Nie zuvor hatte er gegen seinen Bruder verloren und jetzt in so kurzer Zeit. Er verstand es nicht, dies war deutlich in seinem Gesicht zu lesen. Ich stand auf, reichte ihm die Hand, er nahm sie und ich zog ihn hoch.
„Ich verstehe es nicht“, sprach er, „was ist hier passiert. Ich spürte nur, wie ich gegen etwas stieß und dann ins Straucheln geriet, danach ging alles blitzschnell und ehe ich mich versehen konnte, lag ich auf dem Boden und du hattest die Möglichkeit, mich mit deinem Schwert zu durchbohren. Aber wieso das passiert ist, kann ich nicht sagen.“
„Ich kann es“, antwortete ich ihm, „aber dafür ist noch nicht die Zeit gekommen.“
Ich wollte, dass er es selbst begreift. Ich wollte, dass ihm klar wurde, wieso er verloren hatte, wieso ich plötzlich gewonnen hatte. Andererseits, und in dem Punkt war ich ziemlich eitel, wollte ich weiterhin gewinnen. Wir kämpften noch öfters, an diesem Tag, wie auch an den nächsten Tagen, er konnte mich jedoch nicht ein einziges mal mehr bezwingen. In einem Kampf war plötzlich der Boden nass, in einem anderen gab es ein Loch im Boden, über das er stolperte. Ihm fiel nie auf, dass es diese Kleinigkeiten waren, die mich ihn besiegen ließen. Drei Tage nach meinem ersten Sieg, nachdem die Stimmung meines Bruders ihren Tiefpunkt erreicht hatte, bat er mich, ihm endlich zu erzählen, wieso er gegen mich nicht gewinnen konnte.
„Bruder“, fing er an, „erzähl mir bitte, was ich falsch mache. Ich kann nicht mehr gewinnen, egal was ich tue. Wieso?“
„Es ist eigentlich ganz einfach“, antwortete ich lächelnd, was seine Stimmung nicht gerade anhob.
„Ich bitte dich, erzähl es mir“, erwiderte er fast schon flehend. Es war das erste mal in unserer langen Zeit, dass er mich anflehte, ich habe es damals so interpretiert, obwohl er dies niemals zugeben würde. Ich konnte meinen Bruder nicht weiter zappeln lassen, obwohl ich es gerne getan hätte.
„Bruder, ist dir bei unserem Kampf nichts aufgefallen?“
„Nein, sonst würde ich ja kaum fragen. Ich hatte die Oberhand, bis du plötzlich in einem Moment umgeschwenkt hast und ich im nächsten Moment schon besiegt auf dem Rücken lag. Wieso das so war, kann ich mir nicht erklären.“
„Auf was hast du denn geachtet, während wir gekämpft haben?“
„Eigentlich nur darauf, dich zu besiegen. Ich hab mich auf dich konzentriert, wie es ja auch richtig ist.“
„Und genau, dass war dein Fehler.“
„Wie meinst du das? Was ist falsch daran, auf seinen Gegner konzentriert zu sein? Es wurde uns doch so gelehrt.“
„Es ist wahr, es ist wichtig zu wissen, was dein Gegner gerade tut, doch der Kernpunkt ist, und so habe ich dich auch ständig geschlagen, dass du auf deine Umgebung achtest.“
„Meine Umgebung?“, fragte er verwirrt.
„Ja genau. Dir ist es nie aufgefallen und genau das war dein Problem. Dir ist nie aufgefallen, dass plötzlich ein Stein an einer Stelle war, wo dieser vorher nicht war, dass ein Loch im Boden war, obwohl wir uns doch eine ebene Stelle ausgesucht haben.“
„Du meinst...“
„Genau. Ich habe vor unseren Kämpfen, dass Kampffeld manipuliert. Es war mir klar, dass ich, aufgrund meiner geringeren Kraft nicht gegen dich gewinnen konnte, demnach musste ich mir etwas anderes überlegen. Ich musste etwas finden, wodurch dein Kraftvorsprung bedeutungslos werden würde. Und so, im Laufe der vorherigen Kämpfe mit dir, die ich verloren hatte, nahm ich persönlich sehr viel an Erfahrung mit, da ich dich beobachtet habe und dazu auch noch die Umgebung, auf die du gar nicht geachtet hast. So überlegte ich mir eine Strategie und hab sie daraufhin in die Tat umgesetzt, da ich abends, nachdem du schon zu Bett gegangen bist, das Kampffeld für den nächsten Tag vorbereitet habe. Während des Kampfes musste ich nur die passende Gelegenheit finden, dich in die Falle tappen zu lassen und diesen Gefallen hast du mir immer wieder getan.“
Dein Vater war sprachlos, nachdem er das gehört hatte. Ich konnte sehen, wie er die ganzen Kämpfe Revue passieren ließ, bis er zu den Stellen kam, als ich ihn jedes mal überwältigte. Er bekam den Mund vor Staunen gar nicht mehr zu. Er, der sich sicher war seine Gegner mit bloßer Muskelkraft besiegen zu können, musste feststellen, dass ihn eines Tages jemand überlegen war. Und dies nicht, wie er sonst angenommen hatte, durch größere Kraft, sondern nur durch die Tatsache, dass diese Person seinen Verstand eingesetzt hatte und nicht in erster Linie seine Kraft. Er hat den Geist vor die Kraft gestellt. Eine Tatsache, die dein Vater immer außen vor gelassen hat. Er schaute mich an und brachte keinen Ton heraus.
Hermann lauschte den Erzählungen seines Onkels sehr genau. Er kannte seinen Vater, doch sehr viele Sachen waren neu für ihn. Er wusste, dass sein Vater immer die Kraft vor dem Verstand gestellt hatte, darauf waren sein Bruder und er trainiert worden, jetzt jedoch erfuhr er, dass dieser Mann durch bloßes Wissen besiegt worden war. Konnte man auch so ganze Königreiche zum Einsturz bringen. Konnte man dadurch aus jeder Schlacht siegreich hervorgehen? Diese Fragen beschäftigten ihn und er stellte sie seinem Onkel.
„Dies ist schwer zu sagen“, antwortete sein Onkel nach einer kurzen Pause, „du musst nämlich immer sehen, dass jede Schlacht, jeder Zweikampf anders ist. Wie du gegen den einen kämpfst, ist nicht zwingend gleich, wie du den anderen bekämpfst. Um Königreiche zu Fall zu bringen, musst du erst einmal in der Lage sein, eine Armee führen zu können. Bedenk, dass du im Moment nicht mal ein richtiger Soldat bist; um jedoch eine Schlacht durch deine Taktik gewinnen zu können, musst du selbst erstmal der Kriegsführer deiner Armee sein, bedenke, dass ein einzelner Soldat nicht genug Macht hat, ein Königreich zu schlagen. Es ist zwar richtig, dass auch ein einzelner Soldat für den Sieg äußerst wichtig ist, doch ihr müsst als Einheit auftreten. Als Soldat bist du nur der Handlanger deines Königs oder, wie in unseren Falle, deines Stammesfürsten. Du hast nicht die Möglichkeit deine Kenntnisse über Taktiken kundzutun, geschweige den sie durchzuführen. Steige in der Armee auf, steige auf bis zum General, zum Schlachtenführer, dann wird deine Strategie deine Armee zum Sieg führen. Und sogar wenn du dies erreicht hast, ist das nicht gleichgestellt mit der Gewissheit des Ruhmes. Wie viele Generäle gab es schon, wie viele kennst du noch. An Hector aus Troja erinnert man sich, an Odysseus aus Ithaka, der mit seiner List die Trojaner besiegte, an Menelaos aus Sparta, an Cäser aus Rom, an Hannibal aus Karthago, der mit einer zahlenmäßigen Unterlegenheit an Soldaten, die Römer herausforderte und sie bezwang und nicht zu vergessen Alexander III. von Makedonien, der seine erste Schlacht mit 20 Jahren gewann und der Herrscher über das größte Reich der ganzen Welt wurde. Er, der ein zahlenmäßig überlegendes Heer nur aufgrund einer herausragenden Taktik besiegte, ging als jüngster Feldheer aller Zeiten in die Geschichte ein. Da siehst du mein Junge, dass nur wenige dazu auserwählt wurden, ihren Namen in die Geschichte eintragen zu lassen. Und es waren meist Feldherrn, keine Soldaten, vom großen Achilles mal abgesehen, die bekannt wurden. Wenn du etwas erreichen willst, und dafür sorgen willst, das die Welt deinen Namen über die Tausenden von Jahren, die noch kommen werden, nicht vergisst, dann werde ein Mann mit Macht.“
Er verfiel in Schweigen. Hermann, der die ganze Erzählungen mit ehrfürchtiger Miene gelauscht hatte, tat es ihm gleich. Beide saßen auf einem Felsbrocken, der am Rande der Lichtung lag. Die Sonne zog ihren Kreis, solange Inguiomer sprach. Dieser beobachtete jetzt einen Vogel, der auf einem Ast, nah der Baumkrone saß und als dieser wegflog, lächelte Inguiomer plötzlich.
„Weißt du mein Junge“, ergriff er wieder das Wort, „siehst du diesen Vogel da?“
Hermann nickte und verfolgte den Vogel mit seinem Blick, bis er außer Reichweite seines Blickfeldes war.
„Nimm dir diesen Vogel zum Vorbild. Nicht so, wie du jetzt denkst“, erklärte er, nachdem Hermman seinen Onkel einen fragenden Blick zugeworfen hatte, „es ist mir bewusst, dass du nicht fliegen kannst und auch nicht den Blick der Götter von oben hast, aber da du nicht fliegen kannst, musst du deine Umgebung genau kennen. Dieser Vogel kann nach oben fliegen, er hat die Möglichkeit die ganze Umgebung im Auge zu behalten, er kennt die Angriffsmöglichkeiten seiner Feinde und genau das musst du auch können. Du musst in der Lage sein, das komplette Kampffeld zu kennen, du musst wissen, wo dein Gegner angreifen wird, wo deine perfekte Verteidigungslinie aufgebaut werden sollte. Wo du deine Gegner in einen Hinterhalt locken oder ihn dort erwischen kannst. Wo dein Rückzugspunkt sein sollte. Ja, auch der Rückzug muss immer eine Option sein.“, fügte er hinzu, als Hermann schon vor Entrüstung antworten wollte. Inguiomer kannte nämlich die Einstellung Hermanns zum Rückzug. „Nur ein Narr kämpft eine Schlacht, die er nicht gewinnen kann. Wenn du weißt, dass du nicht gewinnen kannst, ist es besser, sich zurückzuziehen und sich neu zu formieren. Es ist dann offensichtlich, dass die Taktik die falsche war. Lieber den Rückzug antreten, als seine Armee ins Verderben zu schicken. Du, du ganz allein als Kriegsführer, bist für deine Armee verantwortlich, solltest du diese Schlacht überleben, muss du dich rechtfertigen, wieso ihr verloren habt und glaub mir, ich habe schon oft angesehen, wie sich Generäle noch auf dem Schlachtfeld selbst dafür gerichtet haben, was sie in der Schlacht falsch gemacht haben. Einige taten es wohl auch, aus der Angst, Sklaven zu werden, was natürlich im Falle einer Niederlage im Vergleich zum Tod meistens noch schlimmer gewesen wäre.“
„Ist die Sklaverei wirklich so schlimm?“
„Du kennst es nicht, da wir hier keine Sklaven haben, doch falls du mal nach Rom oder eine andere größere römische Stadt sehen solltest, wirst du sehen, wie grausam die Sklaverei wirklich ist. Man könnte die Sklaven mit dem Vieh vergleichen, doch das wäre noch übertrieben, da das Vieh deutlich angesehener ist, als die Sklaven. Bei meinen Besuchen in Rom gibt es keinen Ort, wo Sklaven nicht gebraucht werden. Die Haushaltssklaven, die dennoch, meistens aber auch nicht immer, genau den gleichen wertlosen Ruf haben, wie die anderen, müssen jedoch nicht die menschenunwürdigen Aufgaben erledigen, die andere tun. Falls du mal in eine römische Stadt kommen solltest und sehen solltest, wie die Sklaven behandelt werden, mache es ihnen nicht noch schwerer. Versprich es mir!“
„Ich verspreche es dir, Onkel.“
„Das ist mein Neffe, doch genug geredet. Ich hab dich hier nicht hingebracht, damit ich dir diesen Ort zeigen und dir meine Geschichten erzählen kann, denn das hätten wir auch zu Hause erledigen können. Ich wollte dich trainieren, zwar nur ein paar Tage, doch ich werde dir Strategien und Tipps beibringen, die dir sicherlich weiter helfen werden. Kraft trainierst du ja eigenständig, dies muss ich dir nicht zeigen, ich zeige dir Wege, wie du den Gegner mit Hilfe deiner Umgebung besiegen kannst. Doch es wird spät, sodass wir das auf morgen verschieben werden. Heute werden wir nur alles vorbereiten, die Hütte, die Feuerstelle und alles was wir zum Leben brauchen. Morgen beginnt das Kampftraining. Los mein Junge, zeig mir, was du kannst.“
Hermann stand auf. Er schaute sich nach geeigneten Holzstücken um, die er verwenden könnte. Hermann sah, wie sein Onkel sind an einen Baum lehnte.
Während Hermann arbeitete, saß Inguiomer an einen Baum gelehnt und beobachtete seinen Neffen ganz genau. Er erinnerte ihn sehr stark an seinen Bruder, nicht nur vom körperlichen, sondern auch vom geistigen. Für Segimer war es anfangs auch immer ein Graus sich zurück ziehen zu müssen und Inguiomer war sich sicher, dass er dies nicht gemacht hätte, wenn er selbst nicht mit in den Schlachten an der Seite seines Bruders gekämpft hätte. Meistens war es sein Geschick gewesen, welches die drohenden Niederlagen noch zu Siegen umgewandelt hatten. Die Anerkennung gebürte immer Segimer, was Inguiomer jedoch dankend annahm, da es ihm nicht so sehr auf den Ruhm ankam, da er lieber im Hintergrund bleiben wollte, um in Ruhe die Taktiken für die Schlacht vorzubereiten. Er war der Ältere, er erbte den Ruhm, so ist der Lauf der Dinge. Er hegte jedoch keinen Groll deswegen gegen seinen Bruder. Er wusste, er konnte sich auf ihn verlassen, wann immer es Probleme gab. So war es schon von Anfang an. Seitdem er sich erinnern konnte, war sein Bruder immer da, um ihn vor jeglichen Feinden zu beschützen. Ihm gebürt der Ruhm, diesen hat er sich von klein auf verdient, bei mir, wie auch bei den anderen.
„Fertig!“, rief Hermann und riss Inguiomer aus seinen Gedanken. Er begutachtete die Handwerkskunst seines Neffen und musste sich eingestehen, dass es ziemlich gut aussah, für die vorhandenen Materialien und das vorhandene Werkzeug. Man konnte es als Hütte identifizieren, sicherlich war es keine Glanzleistung, doch in der Kürze der Zeit und unter den Vorraussetzungen war es eine gelungene Arbeit. Wenn man außerdem anmerkt, dass sein Bruder und er eine Hütte aufgebaut haben, die von der Qualität her sich nicht sonderlich von dieser unterscheidet, rechnete er diese Leistung noch höher an, als sie generell schon war. Allein darauf auf das Potenzial zu schließen, welches in Hermann schlummern könnte, wäre zu früh, jedoch ist eine Begabung da, aus den wenigen Dingen, die man zur Verfügung hat, etwas großes herzustellen. Daraus ließe sich etwas machen, dessen war sich Inguiomer bewusst. Die Zeit war knapp, aber die Grundlagen könnte man ihm in der kurzen Zeit dennoch beibringen, da Talent vorhanden war.
„Gut gemacht Hermann. Sieht nach einer Hütte aus, man wird sicher darin schlafen können. So jetzt kommen wir zum nächsten Teil, die Feuerstelle vorzubereiten. Du weißt sicher, wie eine Feuerstelle
auszusehen hat, demnach muss ich dir keine Anleitung dafür geben. Vorbereite eine und geh danach auf die Jagd. Wir brauchen ja auch etwas, was wir über dem Feuer braten können.“
Hermann machte sich sofort auf dem Weg, passende Steine für einen Kreis herbeizubringen. Nachdem er dies erledigt hatte, machte er sich auf den Weg nach etwas essbaren zu suchen. Inguiomer lehnte sich wieder gegen den Baum, an dem er schon vorher gelehnt hatte und nickte tatsächlich nach einiger Zeit ein. Er hatte eigentlich vorgehabt, zu warten, bis Hermann zurückgekehrt wäre und horchte die erste Zeit lang nach jedem Geräusch, doch abgesehen, von ein paar Vögel, die hin und wieder zwitscherten, vernahm er nichts und so, auf Grund der Stille überkam ihn eine gewisse Müdigkeit und er schlief ein. Er konnte nicht genau sagen, wie lange es ungefähr war, doch als er aufwachte, prasselte ein Feuer direkt vor der Hütte und ein angenehmer Duft fuhr in seine Nase. Er sah Hermann vor dem Feuer sitzen, Fleisch auf zwei Stöcke gespitzt, diese immer wieder drehend, sodass das Feuer an jede Stelle das Fleisch röstete. Inguiomer stand auf.
„Ah, Onkel, bist du wach?“, fragte Hermann, nachdem er Inguiomer auf sich zugehen sah. Er drehte die Fleischstücke zur anderen Seite. „Warte noch einen kurzen Moment, dann können wir gemeinsam essen.“
„Wie ich sehe warst du fleißig, während ich geschlafen habe.“
„Ja, nachdem ich gesehen habe, dass du eingeschlafen warst, nachdem ich von der Jagd zurück gekommen war, hab ich mir gedacht, dass ich schonmal alles vorbereite, damit wir später nur noch essen können. Und dies habe ich daraufhin auch gemacht. Ich wollte dich wecken, nachdem ich alles fertig hatte, du bist aber früher aufgewacht.“
Inguiomer stand da und wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte seinen Neffen total unterschätzt. Er hatte nicht nur selbst alles weitere bedacht, sondern hatte es auch noch durchgeführt. Die Sonne war noch nicht einmal untergegangen, ihm fiel ein, wie schwer es damals war, zu zweit etwas zum essen zu organisieren, was nicht auf Sträuchern wuchs. Sie hatten damals für alles den ganzen Tag gebraucht und dieser Junge schaffte dies in deutlich geringerer Zeit. Inguiomer war klar, dass dieser Junge ein begnadeter Feldherr werden konnte und nun war er auch sicher, dass diese Woche dafür ausreichen würde, ihm alles notwendige dafür beizubringen.
Nachdem beide gegessen und getrunken haben, machten sich beide auf, schlafen zu gehen. Während Hermann wartete, bis Inguiomer in die Hütte hinein trat, lehnte dieser sich wieder gegen den Baum und machte es sich gemütlich.
„Onkel, willst du nicht in der Hütte schlafen?“
„Nein, mein Junge, du hast diese Hütte gebaut, du darfst darin schlafen. Ich ziehe es vor, unter dem Sternenzelt zu schlafen. Schlaf gut mein Junge.“
„Schlaf gut Onkel.“
Während Inguiomer sich langsam schlafen legte, kroch Hermann in seine Hütte, ging jedoch nicht schlafen. Er dachte über die Gedanken nach, die sein Onkel gemacht hatte, als er damit beschäftigt war zu jagen und zu essen. Es erfüllte ihn mit Stolz, so sehr von seinem Onkel respektiert zu werden, es herrschte nun jedoch auch Druck auf ihn, ob er tatsächlich in der Lage war, diese Erwartungen zu erfüllen. Hermann dachte über die Feldherren nach, die sein Onkel erwähnt hatte. Natürlich wäre er stolz, wenn sein Name in einem Atemzug genannt werden könnte mit Alexander, Hector, Hannibal, Cäsar. Er, ein wichtiger Name in der Geschichte, würde niemals wieder vergessen werden. Dieser Traum war geboren worden.
Am nächsten Morgen wachte Inguiomer schon früh auf, was er sah, überraschte ihn gänzlich. Hermann, der sich selbst eine Hütte gebaut hatte, lehnte gegen einen Baum und schlief. Er zog es vor, draußen zu schlafen, da er, Inguiomer, selbst auch darauf bestanden hatte. Was ein hervorragender Feldherr er wohl abgeben könnte. Ein Feldherr aus den eigenen Reihen, kein Tyrann, der von oben über seine Armee blickt und sie wie unwichtige Charaktere herumschickt. Hermann wäre ein Feldherr, der bei seiner Armee schläft, einer von ihnen wäre, so eine Armee kann mehr erreichen, als jede andere, könnte aus jeder Schlacht siegreich hervorgehen, sogar wenn der Feind zahlenmäßig weit überlegen ist, ein Band, wie das eines guten Feldherren zu seinen Soldaten, kann niemand bezwingen. Ein Ziel, dass auch Hermann für sich auserkoren hat. Inguiomer stand auf, schritt zu Hermann herüber und weckte ihn. Hermann wachte auch, war aber sogleich fit und sprang auf.
„Guten Morgen Onkel.“
„Guten Morgen Hermann. Es wird Zeit sich vorzubereiten, schnell was zu essen und sich dann auf das Training zu konzentrieren.“
„Verstanden.“ Hermann nahm den Krug und machte sich schnellen Schrittens zum Bach auf, um sich zu waschen, danach kehrte er mit dem Krug voller Wasser zurück zum Lager. Dort erwartete ihn sein Onkel und beide begannen zu frühstücken. Während beide aßen, kamen Hermann einige Gedanken. Was würde ihm sein Onkel beibringen? Würde das Training hart werden? Würde er sich mehr auf den Körper verlassen müssen oder doch auf den Geist? Ihm schwirrten die Fragen in seinem Kopf umher und er fasste den Entschluss sich einfach überraschen zu lassen.
„Wie dir sicherlich bewusst ist, haben wir nicht mehr viel Zeit. Höchstens vier Tage noch, bis wir zurück müssen und ich dann aufbrechen muss. Daher wollen wir keine Zeit verlieren und sofort anfangen. Bist du bereit?“
„Natürlich, Onkel.“
„Das erste, was wir machen werden, ist ein kleiner Schwertkampf. Wir nutzen dafür den Platz, den dein Vater und ich früher immer genutzt haben. Komm steh auf.“