Schlamassel! - Marcia Zuckermann - E-Book

Schlamassel! E-Book

Marcia Zuckermann

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Beschreibung

Auf hoher See zwischen New York und London beginnt diese turbulente Familiengeschichte voller Schicksalswenden: Johannes "John" Segall, als Spross einer jüdischen Familie mit dem letzten Kindertransport 1939 nach England ausgereist, bekommt überraschend ein Foto zugespielt, das Aufschluss über die letzten gewaltsamen Minuten im Leben seines Vaters gibt. John hat eine Mizwa zu erfüllen und begibt sich auf Spurensuche nach Europa, zu seiner über mehrere Länder versprengten Mischpoke: Da ist Benno Kohanim-Rubin, der in der britischen Armee gegen die Nazis kämpfte, sein Bruder Walter, der am 1. Mai 1933 die rote Fahne am höchsten Fabrikschornstein Berlins hisste, Cäsar und Selma Bukofzker, die sich auf die berüchtigte Irrfahrt der ›Atlantic‹ mit Ziel Palästina begaben, aber in Mauritius an Land gingen. Bei seinen Erkundungen der wilden Verästelungen seiner weitverzweigten Familie stößt er auf unerhörte Geschichten von großer Tragik und empörendem Unrecht, von Glück im Unglück, unverhoffter Rettung – und auf das ein oder andere Schlamassel.

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Auf hoher See zwischen New York und London beginnt diese turbulente deutsch-jüdische Familiengeschichte: John Segall, damals als Spross einer jüdischen Familie mit dem letzten Kindertransport nach England ausgereist, hat eine Mizwa zu erfüllen und begibt sich 1962 auf Spurensuche nach Europa, zu seiner über mehrere Länder versprengten Mischpoke: Da ist Benno Kohanim-Rubin, der in der britischen Armee gegen die Nazis kämpfte, sein Bruder Walter, der am 1. Mai 1933 die rote Fahne am höchsten Fabrikschornstein Berlins hisste, Cäsar und Selma Bukofzker, die sich auf die berüchtigte Irrfahrt der ›Atlantic‹ mit Ziel Palästina begaben, aber in Mauritius an Land gingen. John stößt auf unerhörte Geschichten von großer Tragik und empörendem Unrecht, von Glück im Unglück und anderen Schicksalswenden – und auf das ein oder andere Schlamassel.

Nach ihrem Erfolgsroman Mischpoke! legt Marcia Zuckermann mit Schlamassel! die Fortsetzung ihrer mit jüdischem Witz erzählten Familiengeschichte vor, gleichzeitig ein lebendiges Stück Zeitgeschichte, das die Auswandererschicksale jener widerständigen und liebenswerten Mischpoke ins Licht treten lässt.

 

 

Inhalt

I – Johns Mizwa

II – Johns Passover

III – Bennos Exodus

IV – Der Exodus der Familie Bukofzker

V – Bennos Exil

VI – Die Seelenverkäufer

VII – Wie aus der Exilwaise Johannes ein John wird

VIII – Georg Rubin und der Tod beim Alpenglühen

IX – Lag BaOmer

X – Lag BaOmer des Gabriel Bukofzker

XI – Bennos Lag BaOmer

XII – Die Vertreibung

XIII – Raffael Bukofzkers Rache und die Stern-Bande

XIV – Wo der Pfeffer wächst …

XV – Purim– oder das Schicksal

XVI – Purim – oder das Schicksal

XVII – Benno wird zu Ben

XVIII – Johns unhappy birthday, an dem Ben kein Spion wurde

XIX – Jom Kippur

XX – Selmas Heimkehr ins Gelobte Land

XXI – Die Gesetzesfreude von John und Else

XXII – Johns Gesetzesfreude

XXIII – Georgs Dilemma

XIV – Cäsars Revision

XV – Wiedergutmachung als Strafe

XVI – Cäsars neue Ordnung

XVII – Der Preis von toten Tanten

XVIII – Helle Köpfe und schwarze Seelen

XXIX – Zwischen Baum und Borke

Danksagungen

 

Johns Passover

London, 1962

Bevor ich erneut in die Themse spucken konnte, hatte ich eine angenehme Seereise an Bord der »Île de France« von New York nach London verbracht.

In der ersten Klasse. Diesen lächerlichen, stillen Triumph der Wiederkehr als »reicher Amerikaner« wollte ich mir nicht nehmen lassen! An jedem der sieben Tage der Überfahrt schien die Sonne, als hätten die Reisenden sie mitgebucht. Für einen September auf See war es unerwartet warm. Die Jacketts hingen über die Stuhllehnen. Die Krawatten waren gelockert, die Hemdsärmel aufgekrempelt, die Damen hatten ihre Stolen abgelegt. Den üblichen Bordbelustigungen wie Shuffleboard, Bingo, Bridge und den Tanztees hatte ich mich erfolgreich entzogen. Meine herausgeputzten Tischdamen beim Captain’s Dinner enttäuschte ich durch stieselige Einsilbigkeit. Ihre Hoffnungen auf einen unvergesslichen Abend machte ich damit zunichte. Seitdem hatte ich meine Ruhe. Sogar die liebestollen Witwen, die auf den Kreuzfahrtschiffen Jagd auf neue Ehemänner machen, stellten mir nicht mehr nach. Irgendwann begriff sogar mein Steward, der wie Jean Gabin aussah, dass mein höchster Komfort in der Ungestörtheit mit einer Flasche Haut-Sauterne bestand.

Statt Kurzweil und Geselligkeiten an Bord zu suchen, versuchte ich mir lieber einen Überblick über meine familiären Verhältnisse zu verschaffen. Ich fertigte Skizzen für einen Stammbaum an, der bis jetzt nur spärlich bestückt war, viele Lücken aufwies und noch mehr Fragen aufwarf. Alles, was ich bisher über das Schicksal meiner Familie wusste, hatte ich durch Briefe meiner älteren Halbschwester Else erfahren. Else hatte mithilfe ihres Mannes Bruno Dahnke die Verfolgung in der Schweiz komfortabel überlebt. Ihr treuer arischer Bruno tat gegenüber den Nazis so, als liefe bereits ein Scheidungsverfahren von seiner jüdischen Frau Else »Sara«. Er war sehr findig, diesen Scheinprozess so zu verkomplizieren, dass das Verfahren von einer langen Bank auf eine noch längere geschoben werden konnte. Wenn nichts mehr half, dann war die Gerichtsakte unauffindbar und musste noch einmal aufwendig rekonstruiert werden, wodurch mindestens wieder acht bis zwölf Wochen gewonnen waren.

Von der neutralen Schweiz aus fungierte meine Schwester Else als »Postamt« für die inzwischen über den Erdball verstreute Familie. Diese geheime Familienkorrespondenz wurde mit der Geschäftspost der Kofferfabrik über das Büro in Basel und von dort unverdächtig über Wien nach Berlin abgewickelt.

Von meiner Mutter hatte ich bei meiner Ausreise nur eine unscharfe Fotografie mit mir als Kleinkind auf dem Arm. Dieses Foto hatte mir meine Mutter zusammen mit dem Kinderpass und den drei Urkunden, einer deutschen nebst einer polnischen Geburtsurkunde sowie meinen jüdischen Bescheinigungen in hebräischer Schrift, die mein Judentum dokumentierten, in das Futteral meines Brustbeutels zur Ausreise aus Deutschland nach England eingenäht. Es war tatsächlich einer der letzten Kindertransporte, wie ich Jahre später mit Erschrecken festgestellt hatte.

Zu meiner Abreise aus Berlin vom Hamburger Bahnhof hatte Maman mir eingeschärft, dass ich all die Papiere und das Kinderfoto wie meinen Augapfel hüten solle. »Und denk dran: Alles, was du im Kopf hast, kann dir keiner mehr nehmen!« Außer den Kopf!, dachte ich, hielt aber vorsichtshalber die Klappe. Sonst hätte sie mich wieder als altklug und naseweis gerüffelt. Beim Abschied von meiner Mutter überwältigten mich meine Gefühle, aber das wollte ich mir nicht anmerken lassen. Erstens, weil ich ein großer Junge sein wollte, und zweitens aus Rücksicht auf meine Mutter, die hinter ihrem Hutschleier mit zusammengepressten Lippen tapfer mit den Tränen kämpfte. Also riss ich mich zusammen und schaute möglichst finster drein. Außerdem plagte mich damals ein heftiger Stimmbruch, was alle um mich herum immer maßlos erheiterte, darum blieb ich lieber stumm. Naseweisheit und Heulen plus Stimmbruch war keine gute Mischung für einen tragischen Abschied. Ansonsten redete ich mir ein, dass dieser Kindertransport aus Deutschland nach England nur ein großes Abenteuer wäre und bloß der Verbesserung meiner Englischkenntnisse diente. Alle wichtigen Dinge hatten Mutter und ich bereits am Vorabend beredet, so dass am Morgen nur ein beklemmendes Schweigen herrschte, das einem heraufziehenden Verhängnis vorausgeht. Am Bahnhof versprach meine Mutter, bald nachzukommen. Wir beide wussten, dass es eine fromme Lüge war. In der Schweiz war »das Boot voll«. Alle anderen Hoffnungen, nach Amerika oder England zu gelangen, hatten sich zerschlagen. Außer Plattitüden zum englischen Wetter und dass ich mir immer einen Schal umbinden solle, gab es nichts mehr zu sagen. So blieben wir stumm vor dem Unaussprechlichen, wobei sich die Sekunden unendlich dehnten. Ich starrte nur auf die zitternden Ohrringe meiner Mutter, die abwechselnd in der Sonne aufblitzten. Ich hasste Bahnhöfe. Damals schon.

Erst als meine Mutter anstatt auf Wiedersehen »Leb wohl, mein Junge!« rief, mit einem solchen Schmerz in der Stimme, rannte ich, als der Zug anruckte, auf die Toilette und übergab mich, bis nur noch Galle kam. Der Zug ruckte auch ganz anders als bei meiner Fahrt nach Berlin, irgendwie böse, oder war das bloß Einbildung? Als das Hämmern gegen die Tür der Toilette immer heftiger wurde, spritzte ich mir Wasser ins Gesicht. Für den Rest der Reise wollte ich den Unerschütterlichen und Schweigsamen geben, lesen oder mich unter meinem Mantel verstecken. Doch daraus wurde nichts. Eine verzweifelte Kinderbetreuerin setzte mir eine schreiende Vierjährige auf den Schoß, die ich trösten sollte. Die mir anvertraute kleine Greta war das erste Mal von der Mutter getrennt. In Panik schrie sie verzweifelt, heulte zum Steinerweichen. Immer wieder schlug sie mit den Fäusten auf mich ein.

»Ich will zu meiner Mama!«

»Ich auch«, antwortete ich ruhig.

Verdutzt hielt das Mädchen für einen Moment inne, um danach noch heftiger zu heulen und zu schreien. Obwohl ich im Umgang mit Kleinkindern vollkommen ungeübt war, gelang es mir schließlich doch, Greta mit »Hoppe, hoppe Reiter« zu beruhigen, bis sie dann vor Erschöpfung einschlief. Ich beneidete sie darum.

Von Hamburg ging es in die englische Küstenstadt Harwich. Wir Halbwüchsigen sollten in einem Kinderheim in Clacton-on-Sea untergebracht werden. Nur fehlte für mich ein Bett. Ursprünglich sollte ich wohl zu einer Familie an der Ostküste Englands kommen, doch die wollten lieber ein kleines Kind. Ich war ein zu großes Mängelexemplar, das den Ablauf störte. Schließlich fand ich einen Schlafplatz auf einer Matratze in einer Abstellkammer. Dann aber fand man doch noch eine Familie für mich. Darauf versank ich in Schweigen. Das war in England meist besser als mein Herumgestotter, nachdem ich bei der englischen Fleischerfamilie Woodward in Leeds ankam. Bei der Erinnerung daran wird mir heute noch übel. Zum Glück hat sich das Stottern nach dem Stimmbruch gelegt.

*

Wenn ich nun bei meiner zweiten Landung in England den Blick über den friedlichen Ozean schweifen lasse, schwant mir bereits, dass ich mich ziemlich unüberlegt auf ein Abenteuer eingelassen habe.

Und das auch noch freiwillig!

Ohne es zu ahnen, habe ich mein wohlgeordnetes, ruhiges Leben aufs Spiel gesetzt. Das Ausmaß der Arbeit für meine Nachforschungen zeichnet sich langsam ab und wird immer erschreckender, je klarer sich die Anforderungen abzeichnen. Ich bekomme Angst vor der eigenen Courage, denn außerdem überfallen mich die Erinnerungen nun wie gefährliche Bestien. Sie springen mich aus dem Dunkeln an, wenn ich es am wenigsten erwarte, insbesondere wenn ich mich kraftlos fühle – wie jetzt. Seit Jahren hatten mich diese Bestien in Ruhe gelassen. Nun haben sie sich auf der Überfahrt wieder zurückgemeldet. Ich bin aus dem Gleichgewicht.

Schon auf der Überfahrt fiel mir in der Kabine beim Herumsuchen in meinen Unterlagen das Foto meines Vaters mit dem Strick um den Hals in die Hand, oder es fiel aus der Mappe. Es war ganz so, als wolle es mich mit Nachdruck an meine Pflicht erinnern.

Jedes Mal versetzte mir das einen Stich.

Wie bannt man die Gespenster der Vergangenheit?

Man hält sich am Hier und Jetzt fest oder liest Gedichte!

Heute, nach Jahr und Tag, bin ich ein Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika und lebe in Ann Arbor im Bundesstaat Michigan. Endlich, nach langen Kämpfen mit dem Dekan der Universität Michigan, mit den Abteilungsleitern und der überwiegend feindseligen Universitätsadministration bin ich nun auch offiziell zum Chefbibliothekar der Universität von Michigan ernannt worden. Natürlich wollten die auf diesem Posten keinen Juden sehen, genauso wenig, wie sie einen Juden als Mitglied in ihren verschmockten Country- und Golf-Clubs sehen wollten! Als Student durfte ich da zwar kellnern oder die Golfbälle aufsammeln, aber dort Gast sein? Nie! Nun, damit kann ich leben!

Oft habe ich mir gedacht, dass Juden beim Morgengebet dem Allmächtigen mit dem »Baruch … Sheh-lo Ah-sah-ni Isha«, gesegnet seist du, mich nicht als Weib geschaffen zu haben, nicht nur dafür danken sollten, als Mann auf die Welt gekommen sein, sondern auch dafür, nicht in einer schwarzen Haut zu stecken! Im Vergleich dazu ist Jude zu sein schon fabelhaft – nebbich!

Ansonsten bin ich in Amerika, was man einen »gemachten Mann« nennt. In Ann Arbor habe ich ein schönes Haus mit einem Swimmingpool und zwei Garagen in der besten Wohngegend. Zu mir gehören zwei wohlgeratene Kinder und dazu Esther, eine echte »American Jewish Princess«, die auch noch gutes Geld mit in die Ehe brachte. Zudem war sie weder rothaarig, noch hatte sie einen Zinken im Gesicht. Weil ich damals völlig allein und ohne Familie war, auch sonst niemanden kannte, hatten Esther und ich uns über den »Matchmaker«, einen Heiratsvermittler der Jüdischen Gemeinde, kennengelernt. Esther war die vierte Kandidatin und die erste, die nicht allzu religiös war oder wie ein Wasserfall quasselte. Sie stammte aus einer Verlegerfamilie und studierte wie ich an der University of Michigan. Dass ich nicht gerade ein zweiter Cary Grant war, sondern eher finster und ungeschlacht und selbst in einem Smoking wie ein Holzfäller aussah, darauf hatte die Heiratsvermittlerin sie bereits vorbereitet. »Ein Mann mit Zukunft!«, pries sie mich an, was übersetzt hieß: Der Kerl hat kein Geld! »Dafür ist Mr Segall verlässlich und strebsam!« Damit stimmte die Heiratsvermittlerin die Familie meiner Zukünftigen auf meine unentdeckten inneren Werte ein, von denen ich selbst noch nicht einmal eine Ahnung hatte. Dass ich ein Stipendium erhalten hatte, machte allerdings noch tieferen Eindruck auf sie. Esther hielt mich deshalb wohl für eine Art Genie. Wie jeder in den USA weiß, erhalten nur halbe oder ganze Genies oder Sportskanonen Stipendien. Für einen Sportchampion konnte man mich schwerlich halten. Mich umgab an der Universität deshalb der Nimbus des genialen Einzelgängers.

Ein Außenseiter, wieder einmal – in dieser Rolle war ich zu Hause. Allerdings sehnte ich mich nach nichts mehr, als endlich dazuzugehören, zum Normalen, zum Regulären, zum Großen und Ganzen. Dafür ist eine Familie unerlässlich. Nach unserem ersten Date setzte sich Esther dann in der Bibliothek immer still neben mich, ohne das Gespräch zu suchen. Ihre stille Gegenwart war angenehm und rührend, etwa so wie die eines treuen Haustieres. Nur vergeistigter.

Esther hatte damals mittelblondes Haar, das sie immer hinter die Ohren schob und sie aussehen ließ, als hätte sie abstehende Ohren. Ich fand das drollig. Sie war weder hübsch noch hässlich, trug eine große Hornbrille und schien wie ich keinen Wert auf Moden zu legen. Dafür war sie vernarrt in Bücher, genau wie ich. Ihren Sexappeal konnte man unter »low-key« einordnen. Begehrlichkeiten und Rivalitäten von anderen Männern waren nicht zu befürchten. Das beruhigte mich, denn ich gehöre nicht zu den Männern, die sich mit einer Frau wie mit einer Trophäe schmücken und dafür in Kauf nehmen, ständig auf der Lauer zu liegen, damit ihnen niemand die Frau ausspannt.

Bald trafen wir uns regelmäßig zum Lunch in der Cafeteria und tauschten Zeitungsausschnitte und Literaturlisten zu wortkargen Gesprächen aus. Jedes Wort wog dabei fünf Kilo.

Nach ungefähr drei Monaten lud sie mich zu sich nach Hause ein und stellte mich ihren Eltern vor. Es war klar, was von mir erwartet wurde. Ich sagte mir: Okay, warum nicht? Erwartungsgemäß kaufte ich ihr dann den unerlässlichen Einkaräter. Dafür gingen meine ganzen Ersparnisse drauf, aber Opfer müssen gebracht werden! Zur zweiten Einladung machte ich ihr einen Antrag mit dem Klunker, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, welche Farbe ihre Augen hatten.

Zugegeben, romantisch war das nicht. Ich schalt mich, dass mir, dem notorischen Beobachter, tatsächlich dieses wichtige Detail entgangen war, und vergewisserte mich sogleich: Ihre Augen sind braun mit einem grauen Ring um die Pupille. Zum Glück hat Esther einen trockenen Humor. Zu unserer beidseitigen Erleichterung waren wir beide uns einig, dass Romantik nicht zu unseren Stärken zählt. Wir wollten unsere Ehe als ein unvermeidliches Bündnis ansehen, das wir beide nach besten Kräften gut managen wollten. Oder profaner gesagt: Sie wollte aus ihrem Elternhaus raus, und ich wollte nicht mehr allein sein. Außerdem fand ich in meinem Schwiegervater in spe einen klugen, einflussreichen Förderer und Verbündeten. Zwei Jahre lang bis zu meinem Abschluss, der mit summa cum laude ausfiel, waren wir verlobt. Wir heirateten, als ich meine Stellung in der Universität antrat. Nach unserer Hochzeit mauserte sich Esther allerdings zu einer recht energischen Frau. Mir war das ganz recht, denn nur eine willensstarke Frau wäre in der Lage, mir die Lasten des Alltags abzunehmen und künftige Kinder gut zu erziehen. Außerdem konnte ich mich ohnehin bei Bedarf immer in die Universität oder in mein Arbeitszimmer, »den heiligen Bereich«, in unserer Wohnung verziehen.

»Forget the Bloodlands and all that funk!«, schimpfte Esther wie ein Rohrspatz los, sobald ich auch nur die paar spärlichen Andenken an mein früheres Leben zur Hand nahm. Sie tat gerade so, als wäre das ein schädliches, abseitiges Laster, das sie mir austreiben müsse. Wahrscheinlich hatte sie sogar recht damit.