Schlampenacker 3.0 - Sylvia Natrop - E-Book

Schlampenacker 3.0 E-Book

Sylvia Natrop

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Beschreibung

Auch im letzten Teil der Schlampenacker-Trilogie komme ich wieder von Hölzchen auf Stöckchen. Die ewigen Missverständnisse zwischen Venus und Mars, Erpel im Testosteronrausch, Paddeln mit Hindernissen, rüpelige Hunde am Gartenzaun, verschimmeltes Gemüse im Einmachglas, Papa in Höchstform, gruselige Familienfeste, Kaninchen im Buddelwahn, denkwürdige Erlebnisse mit der Deutschen Bahn, mein krankhaft schlechtes Zeitmanagement, die Peinlichkeiten des Kulturschocks und noch vieles mehr werden ganz genau unter die Lupe genommen. Ein ganzes Jahr voller bunter, lustiger und denkwürdiger Begebenheiten rund um mein Leben in Schlampenacker. Und wie immer ohne jede Reflexion, geradeheraus aus der Seele geschrieben. Weil man eben so tickt, wenn man im Ruhrpott geboren worden ist.

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Seitenzahl: 498

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Haftungsausschluss:

Auch im letzten Teil meiner Buchreihe hafte ich nicht für Unfug, den ich eventuell und ganz unbeabsichtigt verzapft haben könnte. Ich habe nämlich alle über die bloße Handlung hinausgehenden Gegebenheiten wieder einmal selbst recherchiert.

Sylvia Natrop

Dank:

Danke an alle, die unfreiwillig oder freiwillig mitgewirkt haben. Danke, dass ihr immer so großartiges Geschichtenmaterial liefert.

Danke geliebte Schwester, dass du dich auch noch ein drittes Mal um meine grammatikalischen Katastrophen gekümmert hast.

Danke Leben, dass du da bist.

Instagram: sylvias_schwedengeschichten

Prolog

Oops, I did it again. Es ist nämlich einmal eine Sylvia gewesen, die sich vorgenommen hat ein Buch zu schreiben. Eine Trilogie soll es werden, die Schlampenacker-Trilogie. Ein recht tollkühnes Unterfangen, das schon nach dem ersten Teil am Desinteresse der Buchagenturen zu scheitern droht. Doch dann hat uns das Selfpublishing gerettet und hier sind wir nun, Schlampenacker 3.0 ist da!

Im letzten Teil drehen wir dann auch noch einmal so richtig auf. Noch wahnwitziger sind unsere Erlebnisse und Geschichten, noch amüsanter meine ganz persönlichen Rückblicke auf mein bisheriges Leben.

Und weil es nun einmal so ist, dass der dritte Teil einer Trilogie unweigerlich der letzte Teil ist, wird auch dieses Buch wieder dick, denn wir wollen doch nicht, dass uns irgendwelche Schlampenacker-Geschichten nur wegen Platzmangel am Ende noch durch die Lappen gehen.

Die liebgewonnenen Protagonisten stehen schon in den Startlöchern und natürlich ist auch Papa wieder mit dabei, um uns in altbekannter Weise völlig ungefragt mit seinem ganz persönlichen, unreflektierten Blick auf das Universum zu beglücken.

Hoch die Tassen auf ein allerletztes Mal Anekdoten, Geschichten und Firlefanz aus Schlampenacker. Auf geht’s ins große Finale!

Inhaltsverzeichnis

Hüttenzauber

Lieber Herr Bielendorfer

8-18=kalt

Pünktlichkeit ist eine Tugend

Ausgeleiert

Die Puberbande

Närproducerad

Holland bei Lidl

Der Wolf muss weg

Im Hier und Jetzt

Geburtstagsgeld

Schornstein fegen

Unlösbar

Herzlichen Glückwunsch, es sind Drillinge

Ukulelen

Nöjet

Schwedischer Schmuddelwinter

Wir sind Maximalisten

Neue Wege gehen

Bewerbungstalk

Der Klopfer

Winnie 2.0

Hol doch mal jemand das Dingens ab

Mama, Max, Feuer machen und die Sache mit dem Wasser

Der Frühling und Väterchen Frost

Regel ohne Regeln

Vem bor här

Die Grippe

The Last Of Us

Ein Hauch von Frühling

Landluft

Sylvia Oversized

Puzzlefreaks

Papa und die toten Kreuzottern

Bücher, Bücher, noch mehr Bücher

Der Medimops

Gemeinsam sind wir stark

Noch immer oder schon wieder

Der Miniskorpion

Macramé olé

Endlich Frühling

Boulevard

Noch was von Venus und Mars

Haare waschen

Frisuren Desaster

Der Duft von Polyester

Von gemusterten Tapeten

Chicks

Lotta soll leben

Großkampftag

Es ist so weit

Mama und die Rätsel

Kaufstopp

So sind wir auf den Hund gekommen

Doofe Rumänen

Papa und der Dudelsack

On Air

Bauern bauern

Ab ins Holz

Liebe Leute*innen

Wandernde Steine

Bitteres Schweden

Fette Näpfchen

Vegane Extrawürstchen

Wir kaufen eine Waschmaschine

Knytkalas

Kunstrunde

Klicks

Entgleisungen

Komfortzonen

Bababanküberfall

Traudi und der blaue Thron

Rücken, Kopf und Nacken

Ausflugszeit

Badeenten oder das Universum schießt zurück

Zwei plus eins ist nicht gleich drei

Papa und das Teleshopping

Die Herausforderung des Jahres

Not a Schnucki and a Flecki

Der Entenfamilienzusammenführungsplan

Basecampträume

Zwischenfälle

Wenn die Bärbel mit der Hanni und der Nanni

Ich habe Urlaub

Lilly und die Schlangen

Papa und der Architekt

Auf Schimmel komm raus

Die kleinen Afrikaner vom Schwanensee

Sommer fällt aus

Zwei Herzen in meiner Brust

Wärmflaschenrevolution

Kanini-Houdini

Mit Möllemanns Bötchen

Broccoli

Papa und der Rolektro gehen in die zweite Runde

I’m a Monster

Olle Zähne

Paddeln gehen

Back to Work 2023

Papa geht mit paddeln

Septembersommer und das große Erntedankfest

Die Enten sind los

Papa und die Balken

The Show must go on

Highway to Hell

Buchblockk(r)ämpfe

Sylvia und die Algorithmen

Glitzerhemd und Cowboystiefel

Kater Maunz

Fensterfail und die Zeit zum Durchatmen

Das Gespenst von Gartenville

Drama in 3D

Barbara und die blaugrüne Farbe

Die Sache mit der Psychiatrie

Into the Jungle

Zaubern im Quadrat

Sieben Sorten Kuchen

Mit der DB in DE

Vom gelebten Sommer über den ruhigen Herbst in den geruhsamen Winter

Shampoo und Pirschelbär

Ungeliebte Vorweihnachtszeit

Wer hat an der Uhr gedreht

Spoiler Alert!

Hüttenzauber

Es ist Silvester und fast 2023. Wir haben beschlossen, den letzten Abend mit Barbara, Jörg und meinen Eltern in deren Grillhütte zu verbringen. Bis Mitternacht wird es wahrscheinlich keiner von uns aushalten, doch ein paar gemütliche Stunden bei Snacks und Getränken wollen wir uns gönnen.

So eine Grillhütte ist eine feine Sache. Eine runde Holzhütte, rundum Bänke und in der Mitte eine Feuerstelle. Papa hat die Hütte schon mal auf ungefähr 145 Grad vorgeheizt. Ich wusste nicht, dass wir auch noch saunieren wollten. Außerdem hat unser Vater heute ein sehr rauchiges Feuer entfacht. Also werden wir beim Schwitzen gleich noch geräuchert, ganz in guter alter Indianermanier. Der Feuermeister selbst ist jetzt schon von seinem Debakel genervt und wir reißen erstmal die Tür auf. Ein bisschen Abkühlung und Frischluft kann uns allen nicht schaden. Nicht, dass wir wegen schleichender Kohlenmonoxidvergiftung das neue Jahr gar nicht mehr erleben.

Der Windhauch tut Papas Feuer allerdings gar nicht gut, denn jetzt zieht der Rauch nicht mehr durch den Kamin ab, sondern verteilt sich immer mehr in der Hütte.

- Wat’n Scheiß, poltert mein Vater.

- Tür zu, ruft Jörg.

- Wir können ja ins Haus gehen, wirft Mama ein.

Papa rumpelt raus in seinen Holzschuppen, fluchend und schimpfend sucht er besseres, rauchfreies Brennholz.

- Das hier, ruft er triumphierend, ist noch übrig aus 2015. Das ist auf jeden Fall trocken.

- Jau, denke ich, und noch so’n bisschen und es zerfällt zu Staub oder versteinert.

2015! Wer hat denn noch so altes Holz liegen?

Wir feiern weiter und da ich sowieso keinen Alkohol mehr vertrage, wegen Clusterkopfschmerzen bekommen und so, opfere ich mich bereitwillig als Fahrer. Die anderen trinken sich derweil die Hütte rauchfrei.

Nach dem fünften Eierlikör möchte Papa noch etwas über mein Buch sagen. Und zwar, wie ich denn so gemein zu meiner Mutter sein könnte! What? Was ist denn jetzt los? Ja, ich hätte Mama als herzlos und gemein dargestellt. In der Geschichte, wie sie alle meine Stofftiere verbrannt hat.

Ah ja, das. Verstehe. Ich habe das auch herzlos und ganz schlimm empfunden, aber in der Geschichte geht es primär auch noch um etwas anderes als nur um meine verbrannten Stofftierfreunde.

- Ja, giftet Papa, du wolltest Mamas alte Puppe kaputtmachen.

- Nee, darum geht es in der Geschichte nicht.

- Doch.

- Nee.

- Doch, sagt Papa.

- Und damit kommst du jetzt? entrüste ich mich, jetzt wo ich nichts mehr machen kann, weil das Buch schon auf dem Markt ist?

Immerhin haben alle Protagonisten mein Buch Monate vorher zum Probelesen und Abnicken bekommen.

Papa behauptet steif und fest, dass das so nicht in der Probeversion gestanden hätte.

- Doch.

- Nee.

- Doch.

- Nee, Papa bleibt stur.

Mama sagt, sie hätte sich gar nicht beschwert.

- Da bin ich mir nicht so sicher, nuschelt meine Schwester.

Ich auch nicht. Ich kenne Mamas Ich-sag-gerade-nichtso-ganz-die-Wahrheit-Gesicht.

Boah, das hier nervt mich jetzt gerade sowas von. Zumal mir einfällt, dass wir sehr wohl schon einmal über Mamas Stofftierfail und meine schriftliche Verarbeitung dieses Traumas gesprochen haben. Und zwar irgendwann im Sommer, als wir einmal alle zusammen nach dem Hunde-Gassi-gehen im Garten gesessen haben. Da sagt Papa lachend und scherzend sowas wie, Anita wäre ja eine Rabenmutti, alle Stofftiere hätte sie verbrannt, kicher, kicher. Dann grinst auch Mama noch ein bisschen. Ja, was soll ich da denn machen? Für mich ist die Geschichte somit abgenickt und kommt ins Buch. Sogar Michel erinnert sich noch daran. Herr Jesus, warum reden die denn auch nicht mit mir? Also vorher, nicht nachher. Und schon gar nicht nach fünf Eierlikör!

Papa kommt jetzt so richtig in Fahrt. Ich hätte Tante Röschen als Alkoholikerin dargestellt. Was sollen denn nur die Leute von uns denken? Und wenn das die Familie liest? Und und und….

Mir ist jetzt auf jeden Fall die Lust aufs gemütliche Zusammensein vergangen. Ich will lieber nach Hause, aufs Sofa, mit Wärmflasche und Chihuahua unter die sichere Decke. Ich will tröstschmusen und totgekuschelt werden. Und Bude bauen will ich auch.

Zum Glück gehen wir morgen noch zum Neujahrs-Sauerkrautessen zu Rienk und Astrid. Das wird sicher und ganz bestimmt schön. Auf jeden Fall schöner als unser Hüttenzauber.

Frohes Neues Jahr, der Anfang ist gemacht. Jetzt kann es ja eigentlich nur noch anders schlimm werden.

Lieber Herr Bielendorfer

Mein Name ist Sylvia und ich habe ein Buch geschrieben. Ein Buch über mich, mein Leben und meine Familie. Kommt Ihnen das bekannt vor? Die Idee ist mir nämlich fast zeitgleich mit der Lektüre Ihrer Bücher gekommen.

Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, dieses, in meinen Augen, lustige Buch zu schreiben, auch wenn es mich zum Schluss dann noch oft an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht hat. Doch jetzt bin ich stolz auf mein Werk und kann es kaum erwarten zu erfahren, was die große Welt von meinem Debüt hält.

Und damit komme ich auch schon zu meinem Problem und meiner Frage.

Sie schreiben doch auch Bücher über Ihre Familie. Bücher, in denen es oft hoch her geht und ich stelle mir immer wieder die Frage, wie Sie es geschafft haben, dass Ihre Eltern noch mit Ihnen reden. Denn ich bin mir nicht mehr so ganz sicher, ob meine das noch machen, wenn ich jetzt auch noch Teil zwei und drei meiner Trilogie herausbringe. Dabei finde ich, dass ich eigentlich durchweg nett über sie schreibe. Und ist es nicht nett, dann doch zumindest lustig, finde ich. Doch da scheiden sich in letzter Zeit leider manchmal die Geister.

Auch scheint mein Buch mit einer Tendenz zur Peinlichkeit behaftet zu sein, denn was sollen jetzt bloß die Leute von uns denken?

Wie gesagt, ich finde den ganzen Familienklimbim in Ihren Büchern viel schwerwiegender und stelle mir also die Frage, wie Sie es geschafft haben, trotz gleich vier Büchern über sich und Ihre Eltern doch noch scheinbar regelmäßigen Kontakt zu ihnen zu haben. Wie macht man sowas? Wo kann man das lernen?

Ich für meinen Teil finde, dass ich alles getan habe um meinen Protagonisten das Leid, ungefragt in meinen Geschichten aufgetaucht zu sein zu erleichtern. Alle durften lange vor der Veröffentlichung Probelesen und ich habe geflissentlich alles, also fast alles, was mir aufgetragen wurde, entschärft und verändert. Trotzdem kommen mir jetzt hin und wieder Klagen. Aber jetzt ist es halt zu spät. Die Geschichten aus Schlampenacker sind mit 38 verkauften Exemplaren quasi schon auf dem Weg zum Bestseller. Was kann ich da jetzt noch machen?

Ich sollte mir ein dickes Fell zulegen. Ich weiß. Ich sollte es als Übung sehen, denn da draußen, in der großen Welt, gibt es bestimmt noch ganz viele Leute, denen meine Geschichten nicht gefallen und über kurz oder lang werde ich sicherlich recht unsanft davon in Kenntnis gesetzt werden.

Ich habe mir ganz fest vorgenommen, mich dieser Kritik zu stellen, fürchte aber, dass sie mich jedes Mal treffen wird und ich dann wieder tagelang neben der Spur hänge und nächtelang nicht schlafen kann und immer wieder darüber nachdenke, wie das denn bloß jetzt wieder passieren konnte. Wie machen Sie das nur, sich einfach trauen immer weiterzumachen, nicht den Glauben an Ihr Projekt, Ihr Können zu verlieren?

Denn da komme ich gleich schon zu meinem nächsten Problem. Die Freunde und Bekannten. Viele meiner mir bekannten Menschen haben sich sehr für mein Buch interessiert, was mich sehr gefreut hat, sich dann eines gekauft, mich davon in Kenntnis gesetzt und mir mitgeteilt, dass man ganz bald mit dem Lesen meines Werkes beginnen würde. Und dann? Nichts mehr.

Ist das normal? Ich mache mir nämlich wirklich große Sorgen darüber, viele Leute bitter enttäuscht zu haben. Wahrscheinlich wissen sie nur nicht, wie sie es mir schonend beibringen sollen und natürlich traue ich mich nicht nachzufragen. Was sollen sie mir dann auch sagen? Ich denke nur immer wieder, dass in diesem einen spezifischen Fall, keine Nachrichten keine guten Nachrichten sind, denn die Leute wissen doch schon, dass ich hungernd nach Anerkennung auf ihr Urteil warte, oder nicht? Oder haben sie einfach vergessen, mir zu sagen, was sie von meinen Schreibereien halten?

Können Sie mir vielleicht einige Tipps geben, wie ich mit dieser Unsicherheit und all meinen Gedanken umgehen soll? Ich möchte nämlich nicht so gerne darin versinken und mir am Ende womöglich ganz unnötig Sorgen machen.

Wo lernt man, sich eine dicke Haut zuzulegen und nicht immer schon bei der leisesten Kritik den Boden unter den Füßen zu verlieren? Oder lernt man das mit der Zeit von ganz allein? Ich würde mich sehr über eine Antwort von Ihnen freuen.

Ihre Sylvia

8-18=kalt

Die Temperaturen fallen. Es soll richtig winterlich werden, obwohl ich es eigentlich schon winterlich genug finde, mit minus zehn Grad und 40 cm Schnee. Winterlich und wunderschön.

Im Haus haben wir frische 13 Grad, aber ach, für Winter-Wonderland und den Traum vom alten Häuschen muss man eben etwas übrighaben. Außerdem gewöhnt man sich irgendwann an die recht kühlen Temperaturen im Haus und nichtsdestotrotz will ja auch am Holz gespart werden. Und am Strom. Diesen Winter bleiben Luftwärmepumpe und Heizung im Bad und Michels Zimmer aus, dafür aber drinnen alle Türen offen, was immer für eine frische Brise im Haus sorgt. Wie gesagt, man gewöhnt sich an alles und wenn man morgens erst einmal eine halbe Stunde draußen ist, alle Tiere versorgt, die Vögel füttert und dann zähneknirschend haufenweise Holz reinholt, ja dann sind die morgendlichen 13 Grad im Haus geradezu Copa-Cabana-warm. Während Michel am Frühstückstisch friert, reiße ich mir die Klamotten vom Leib, wobei es auch durchaus sein könnte, dass meine morgendlichen Hitzewellen zu meinem Copa-Feeling beitragen.

Nach dem Frühstück steht die große Hunderunde an. Bis wir uns und die vier Hunde in die dicken Winterklamotten eingepackt haben, ist es fast schon Mittag und wir liegen, wie immer, schon wieder meilenweit hinter unserem Tagesschema zurück.

Als wir wieder nach Hause kommen, werden wir mit Temperaturen um die 16 Grad verwöhnt. Fast schon sommerlich warm und nach dem langen Spaziergang friert auch Michel nicht mehr.

Jetzt heißt es, die Wärme im Körper festzuhalten und sich in allerlei Tagesaktivitäten zu stürzen, während die Öfen das Haus so nach und nach auf muckelige 18 Grad erwärmen.

- Du könntest auch noch den Wohnzimmerofen anmachen, sagt der Mann.

Geht's noch? Wie sollen wir denn da Holz sparen?

Er wolle aber kein Holz sparen, er wolle es warm haben.

- Nur über meine Leiche. Hallo! Ist man Wikinger oder ist man Wikinger, lamentiere ich.

Er wäre kein Wikinger und wolle auch keiner sein. Er hätte es gerne etwas wärmer. Aber hier führe ich das Regiment über Öfen und Holz und das mit eiserner Hand. Darum bleibt der Wohnzimmerofen aus und das Haus frisch.

Er ertappt mich dabei, wie ich mir die erste Wärmflasche des Tages mit kochend heißem Wasser fülle. Er meint, ich würde mogeln. Hö? Er kann sich ja auch ein Fläschchen machen. Er wolle aber lieber den Ofen.

Ja gut, an mir soll's nicht liegen, aber dann muss er auch den ganzen Tag darauf aufpassen, denn nichts und niemand brennt sich so lästig und ist so zickig wie unser hypermoderner, sündhaft teurer Kaminofeneinsatz im Wohnzimmer. Eine falsche Bewegung, ein falsches Stückchen Holz, eine Millisekunde zu spät nachgelegt und der Ofen bestraft einen sogleich damit, stundenlang nur noch vor sich hinzuräuchern und dabei weder aus- noch anzugehen. Eben die Ofenklappe öffnen und nachlegen oder gar Luft hineinblasen ist völlig ausgeschlossen, denn dann explodiert das super-duper-tolle, von irgendeinem Hirnfuzzi ausgedachte, Vakuumsystem und der Ofen verwandelt sich in einen aschespeienden Drachen, der das Haus bis in die allerletzte Ecke ausräuchert. Wenigstens haben böse Geister bei uns dann keine Chance mehr.

Jetzt soll es also richtig kalt werden. Als ich abends ins Bett will, sind es -14 Grad. Geht ja noch. Ich stelle trotzdem die Gießkanne unter den Küchenkran und lasse ihn tropfen. Nichts ist nerviger, als wenn einem morgens das Wasser eingefroren ist. Haben wir alles schon gehabt, früher. Mittlerweile sind wir mit Wämekabel und besseren Leitungen gegen Winterkälte gerüstet, aber trotzdem.

Ich nehme auch die Hunde mit ins Bett, dann haben wir es alle schön warm und gemütlich. Schon beim Vogelgezwitscher- der Wecker zwitschert- merke ich am nächsten Morgen, es ist kalt. Kälter als sonst. Eine geschlagene Dreiviertelstunde kämpfe ich mit mir und meinem inneren Schweinehund, dann stehe ich endlich bibbernd in unserer Küche. Draußen sind es -18 Grad, drinnen plus acht. Das ist auch für uns ein neuer Kälterekord. Drinnen, nicht draußen. Ich schmeiße meine Holzsparpläne über Bord. Sofort werden alle Öfen ordentlich angeheizt. Acht Grad ist zu kalt, das ist nicht gut, gar nicht gut.

Der Wasserhahn tropft zumindest noch, allerdings ist uns das warme Wasser in der Küche eingefroren. Was soll´s, Wasser kann ich auch auf dem Ofen warm machen.

Unseren Hühnern und Enten geht es gut. Die sind absolut winterfest. Auch alle Wildvögel warten schon am Futterhaus auf ihr Frühstück. Der ganze Garten ist voller Rehspuren.

Michel und ich frühstücken in unserer eisigen Küche und werden mit einem grandiosen Sonnenaufgang belohnt. Es ist wunder wunderschön. Die Luft, das Licht, die Stille.

Nach dem Frühstück zeigt das Thermometer draußen -14 und wir beschließen, trotz Kälte einen langen Morgenspaziergang zu machen. Solange man sich bewegt, ist es gut auszuhalten und ich bin mal wieder erstaunt darüber, wie winterfest doch auch der kleinste Chihuahua ist, wenn man ihn nur lässt.

Ich muss Wäsche waschen, sonst habe ich bald keine Schlüppis mehr im Schrank. Doch leider ist uns auch die Wasserleitung zur Waschmaschine eingefroren. Michel föhnt eine halbe Stunde lang die Wand und dann läuft das Wasser wieder.

Den Rest des Tages verfeuern wir ungeahnte Mengen Holz, bewachen die Öfen und versuchen uns mit bewegungsintensiven Aktivitäten warm zu halten. Nachmittags ist es dann geschafft, die Solltemperatur von 17 Grad ist erreicht und wir können uns endlich auf dem Sofa entspannen.

Es ist immer eine ganz besondere Erfahrung, Wärme einmal nicht als etwas Selbstverständliches zu erfahren. Trotzdem bin ich froh, dass solche Kälteperioden, die zwar immer mal wieder vorkommen, meist nur einige Tage anhalten. Ehe wir uns versehen, laufen wir wieder schwitzend bei nur -5 Grad viel zu dick angezogen durch den Wald.

Pünktlichkeit ist eine Tugend

Mein ganzes Leben lang renne ich schon meinem eigenen Zeitplan hinterher. Als Kind renne ich jeden Morgen dem Schulbus hinterher. Ich stehe eigentlich nur unter Androhung eines kalten, nassen Waschlappens, den meine Mutter mir unter die Bettdecke legen will, auf. Das ist nervig und stressig und sicher nicht gesund. Das mit dem Stress habe ich in den letzten Jahren aber eigentlich ganz gut hinbekommen. Ich habe es in fast allen Lebenslagen akzeptiert, dass mein eigenes Zeitkonzept einfach illusorisch und nicht zu managen ist. Sollen sich doch die anderen deswegen ärgern, dass ich immer zu spät bin. Obwohl, immer zu spät auch nicht immer stimmt. Meistens bin ich ja da, aber halt eben auf den allerletzten Drücker.

Arbeitgeber, Kollegen, Freunde, Familie, mein Alltagsheld und ganz besonders mein Vater leiden unter meiner chronischen Unpünktlichkeit. Also, eigentlich leidet mein Vater nicht wirklich unter meiner Unpünktlichkeit, er versteht sie einfach nicht. Aber genauso wenig verstehe ich seine pedantische Überpünktlichkeit.

Das muss man sich mal vorstellen. Ich wohne damals noch zu Hause, wir wohnen auf dem Land, weit und breit nichts, außer direkt bei uns gegenüber, also wirklich direkt nur einmal über die Straße, 60 Sekunden Fußweg, liegt die Ziegelei, Papas Arbeitsplatz. Geht der Mann doch jeden Morgen eine halbe Stunde vorher los! Das ist für mich völlig unbegreiflich, all die schöne, verplemperte Lebenszeit. Man hätte damit so viele andere tolle Sachen machen können.

Aber gut; denn genauso wenig versteht mein Vater mein Zeitmanagement. Ich arbeite damals noch am Theater. Fahrzeit, wenn alles total glatt läuft, was allerdings selten der Fall gewesen ist, 25 Minuten. Ich habe mir bis zum letzten Tag eingebildet, dass ich diese Strecke auch in 15 Minuten schaffen könnte, wenn ich mir nur ganz viel Mühe geben würde.

Es hat mir dann auch wirklich nicht besonders geholfen, dass mein Vater mir regelmäßig Erbsen in die Schuhe gelegt oder Kaugummi auf das Türschloss vom Auto geklebt hat. Zu seinen Favoriten hat es gehört, mein Autoradio auf volle Lautstärke zu drehen, so dass ich morgens beim Starten jedes Mal einen Herzinfarkt inklusive Hörsturz hätte bekommen können.

Und dabei gibt es hier in Schweden so ein schönes Wort für Leute wie mich: Tidsoptimist.

Zeitoptimist, das klingt doch so großartig und positiv, da kann man doch schon gar kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn man immer zu spät ist.

Es gibt hier auch noch mehr tolle Wörter für Sachen, die sich in Deutschland schon mal gleich gar nicht so positiv anhören.

Stiefmutter z.B., da ist doch das Böse schon vorprogrammiert. Eine Stiefmutter kann doch per se schon mal gar nicht nett sein. Bonusmamma klingt doch viel besser. Die ist Bonus, die ist extra, die ist eine von den Guten.

Genauso wie das Bonuskind. Das ist doch viel netter als das nicht erwünschte, einfach schon da gewesene Stiefkind. Ein Bonusbarn ist das kleine Extra. Das Sahnehäubchen auf dem Kaffee, die Kirsche auf der Sahnetorte, die Olive im Martini, was Positives, was Schönes, was Besonderes.

Da ich jedoch weder Bonusbarn noch Bonusmamma bin oder jemals sein werde, will ich doch wenigstens der immer positive, ewig rennende Tidsoptimist sein.

Ausgeleiert

Der Wecker zwitschert und der ewige Kampf zwischen mir und meinem inneren Schweinehund geht in eine neue Runde. Draußen ist es dunkel, im Bett ist es so schön warm und ich bin noch so müde. Ich habe schlecht geschlafen, denn auch heute Nacht haben mich wieder unliebsame Hitzewellen heimgesucht. Das ist mein neues Ich, entweder verglühe ich in meinem Bett oder ich erfriere. Dazwischen gibt es nichts. Obwohl, gerade jetzt, wo der Wecker zwitschert, ist es so wohlig warm und schön im Bett, dass ich immer wieder einschlafe.

Im Bett ist es warm, draußen aber eigentlich auch. Die ganz große Kälte ist erst einmal vorbei. Das ist gut für den Holzvorrat, aber ganz schlecht fürs Gemüt, denn der schöne Schnee ist geschmolzen und es ist matschig und dunkel. Kein Aufstehwetter.

Trotzdem, wenn ich nicht schon vor Tagesanbruch hinter meinem Schema hinterherrennen will, dann sollte ich jetzt langsam mal in Gang kommen.

Der innere Schweinehund flüstert mir noch einmal zu, wie schön es gerade unter der Bettdecke ist, wie schlecht ich doch geschlafen habe und dass ich darum noch so müde bin.

Außerdem ist es sicher im Bett. Solange ich liegen bleibe brauche ich nichts zu machen, nicht zu funktionieren, kann ich einfach nur da sein. Säusel, säusel. Schluss jetzt! Ich wälze mich jammernd und stöhnend aus der warmen Sicherheit.

Michel grinst mich an.

- Was is´n so komisch? frag ich.

- Deine Oberschenkel, lacht der Mann.

- Meine Oberschenkel?

-Ja, da hast du das ganze Straßennetz von London drauf verzeichnet.

What? Ich habe die Straßen von London auf meinen Oberschenkeln? Was ist denn hier los?

Aber es stimmt. Auweia, bei genauerer Inspektion meiner Beine sehe ich tatsächlich ein grobliniges Gestrichel auf meinen Innenschenkeln. Das muss von meiner Wärmflasche kommen. Winter gleich kalt, gleich übermäßiger Wärmflaschenkonsum. Ich habe solche feinen Linien schon eher mal auf meinen Beinen beobachtet, aber das hier sind keine feinen Linien mehr. Das sind vierspurige Autobahnen.

- Geht das wieder weg? erkundigt Michel sich.

- Ich hoffe, stöhne ich.

Das hier sieht aber mal sowas von schlimm aus und mir ist das auch schon eher aufgefallen, also dass es dieses Jahr schlimmer ist als in anderen Jahren. Darum habe ich mir schon vor einiger Zeit Oberschenkel-Innenseite-Wärmflaschenverbot erteilt und mir das gute Stück lieber immer mal wieder auf den Bauch gelegt.

- Sieht man, kichert mein Alltagsheld.

What? Och nee, ne! Das darf doch nicht wahr sein! Auf meinem Bauch zeichnet sich das gleiche Autobahnmuster wie auf meinen Schenkeln ab. Adonis lacht sich schlapp. Ja, haha, als ob der so gar keine Alltagszipperleinchen hat mit seinem Hubschrauberlandeplatz und den Love-Handles, die er einfach nicht mehr loswird. Außerdem liegen seit dem letzten Besuch der Zahnfee jetzt jeden Abend zwei Zähne an einer Metallplatte in einem Glas mit Corega-Taps im Badezimmer und warten auf ihren morgendlichen Einsatz.

Trotzdem, das mit meinen Oberschenkeln ist doof und unsexy, denn irgendwie, und das ist mir schon im Sommer aufgefallen, sind meine Schenkel ausgeleiert. Die kleben an der Innenseite zusammen und rede ich mir erst noch ein, dass das die Sommerwärme ist. Jetzt ist aber keine Sommerwärme mehr da und trotzdem schubbern und kleben meine Schenkel aneinander. Das ist gar nicht gut und total lästig.

Irgendwie ist mir auch meine Taille abhandengekommen. Ich muss schon wieder Hosen aussortieren, in die ich nicht mehr hineinpasse. Meine geliebten Camouflage-Shorts gehen zwar noch gerade zu, aber dann kann ich überhaupt nicht mehr atmen und meine Galhøpiggen-Wanderhose geht gar nicht mehr über meine Hüfte. Das ist nicht gut und je mehr ich mir vornehme, dass das alles wieder in Ordnung kommt, um so größer wird mein Heißhunger auf Pommes, Chips und Schoki.

Manchmal bin ich morgens im Gesicht so verquollen und aufgedunsen, dass ich die Frau im Spiegel gar nicht erkenne, falls ich sie durch meine aufgequollenen Augenlider und ohne Brille überhaupt sehen kann.

Jetzt habe ich also Klebeschenkel, keine Taille mehr und wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich letztens im Spiegel auch bei mir Love-Handles entdeckt. A-Linie nennt man das wohl.

Eher kegelförmig. Oben ganz schmal und knochig und dann nach unten hin weit ausladend, dicker Hintern inklusive. Unförmig. Ich bin unförmig und ausgeleiert. Aber hey, was soll´s, es könnte Schlimmeres geben….

Die Puberbande

Alle Hunde im Team Slättåkra stänkern gerne am Gartenzaun. Die kommen dann so richtig in Fahrt. Alles und jeder wird angepöbelt und kommt gerade keiner, dann kläffen wir einfach ins große, weite Nichts hinein, denn irgendwann wird schon hoffentlich jemand die Frechheit besitzen, an unserem Haus vorbeizugehen oder vorbeizufahren. Und dann ist hier mal wieder die Hölle los.

Ganz besonders schlimm ist es abends, beim letzten Gartenpipi. Dann stürmt das ganze Rudel nach draußen, als ob es kein Morgen gäbe und jeder imaginäre Feind wird auf Nimmerwiedersehen verjagt. Wenn ich mein eigener Nachbar wäre, wüsste ich nicht, ob mich das nicht jeden Abend so spät noch total nerven würde. Aber Gott sei Dank scheinen unsere Nachbarn Nerven wie Drahtseile zu haben.

Im Winter habe ich jede Menge Rehspuren im Garten gesehen und der Efeu ist überall bis auf Rehkopfhöhe abgefressen. Natürlich mache ich mir sofort Sorgen, dass meine blutrünstige Meute abends die Rehe jagt und womöglich noch etwas passiert. Vor Jahren ist einmal ein Reh beim Versuch über unseren Zaun zu springen mit beiden Hinterläufen darin hängen geblieben und verendet. Wir haben morgens ein totes Reh am Zaun hängen gehabt und ich habe immer noch Angst, dass so etwas wieder passieren könnte. Den Anblick vergesse ich nie mehr.

Nachmittags machen wir jetzt immer die Runde über das große Feld und treffen da regelmäßig auf eine Gruppe Rehe. Das sind bestimmt die Spurenleger und Efeufresser. Mal sind sie näher bei uns, mal weiter weg, aber nie scheinen sie wirklich Angst vor uns zu haben. Sie gucken nur, ob wir auch wirklich den von ihnen gewünschten Sicherheitsabstand einhalten und ansonsten beachten sie uns kaum. Sie scheinen regelrecht gelangweilt zu sein von uns, sehr zum Ärger der Stänkerer.

An einem Tag sind sie nur knapp 25 Meter von uns entfernt und gucken zu uns hinüber. Laufen dann sogar an unserer Nase vorbei, langsam, ganz langsam. Die kennen uns und sind das ewige Gekläffe von den Hunden wahrscheinlich schon längst gewöhnt.

Am allerschlimmsten ist es, wenn meine Nachbarin Anna mit ihren Hunden vorbeiläuft. Dann dreht das ganze Rudel komplett durch, denn mit Annas Hunden haben wir eine Fehde am Laufen und unser Team würde nichts lieber machen, als Annas Hunde zu zerfleischen, oder zumindest in die Flucht zu schlagen.

Wir sind uns nämlich mal beim Spazierengehen im Wald begegnet. Damals haben wir nur Hampus und Milow und die laufen verbotenerweise los. Anna kommt mit Kinderwagen und ihren drei Hunden an der Leine angelaufen und unser Milow hat nichts Besseres im Sinn als hinzurennen und auf dicke Hose zu machen. So nach dem Motto; das alles hier ist mein Wald, weg mit euch. Als Annas Hunde so richtig wütend sind, stürzt Milow sich mitten ins Rudel. Die schafft er doch noch alle drei mit links. Wohlgemerkt, Anna hat drei große Hunde und außerdem ist ihre Alphahündin jetzt wirklich total angepisst, weil Milow viel zu dicht an den Kinderwagen kommt.

Ich komme gerade bei dem Tumult an, als sie beschließt, dem kleinen Scheißer den Garaus zu machen. Sie beißt ordentlich zu, so ordentlich, dass sich ihre Kiefer verschließen und nicht mehr zu öffnen sind, und fängt an den Chihuahua zu schütteln.

-Das war es jetzt, denke ich noch.

Jetzt stürzen sich gleich alle Hunde ins Getümmel und wir können nur noch zusehen, wie sie sich gegenseitig zerfleischen. Oder besser gesagt, wie ihre Hunde meine kleinen Chis zerfleischen.

Wir versuchen alles, um die Hunde zu trennen. Michel muss alle aufgeregten Hunde im Zaum halten und wir versuchen mit allen Mitteln Milow wieder freizubekommen. Aber da geht gar nichts. Der sitzt fest und schreit wie am Spieß. Sein ganzes Machogehabe ist grenzenloser Panik gewichen und so beißt er jetzt auch noch wild um sich. Anna, mich und wir fangen beide an zu bluten.

- Du musst meinem Hund mit einem Stein auf den Kopf hauen, sagt Anna.

- Ich muss was?

- Draufhauen, sagt sie, sonst lässt die nie los.

Ich suche den kleinsten Stein und fange an, ihrem Hund zaghaft gegen den Kopf zu ticken.

- Hau drauf, sagt sie.

Ich traue mich aber nicht wirklich. Ich will ihren Hund nicht auch noch verletzen und außerdem habe ich auch Angst, dass der mich dann beißt, wenn er den kreischenden Milow loslässt. Ich will aber auch meinen Chi zurückhaben, auch wenn ich mittlerweile sicher bin, dass der total kaputt gebissen ist und große, irreparable Schäden davontragen wird. Vor meinem inneren Auge sehe ich klaffende Wunden im Rücken, offen liegendes Rückgrat, freier Blick auf die Organe. Ich schlage zu, denn ich will jetzt sofort meinen kleinen Mann wieder haben. Annas Hund lässt los, Milow beißt mich zum Dank noch einmal ganz fest und rennt dann weg. Zumindest ist er nicht querschnittsgelähmt. Anna heult vor Wut über ihren Hund und ich blute ziemlich doll an meiner Hand.

Michel, der jetzt die anderen Hunde wieder loslassen kann, fängt den Chi ein und wir machen uns auf das Schlimmste gefasst. Aber er scheint nur zwei Löcher im Fell zu haben, aus denen kaum Blut kommt.

Anna entschuldigt sich immer noch heulend und ich sage ihr, dass das alles ja auch unsere Schuld ist. Unsere Hunde sind nicht angeleint gewesen und haben sich wie ungezogene Bengel benommen. Ich habe genau gesehen, was mein Milow gemacht hat.

Am nächsten Tag will Milow nicht essen. Ist doch was Schlimmeres passiert? Irgendwie sieht der auch komisch aus und bei genauerem Hinsehen merke ich, dass sich die gesamte obere, vordere Zahnreihe gelockert hat. Die steht jetzt einfach waagerecht nach außen ab. Der hat sich wortwörtlich die Zähne an mir ausgebissen.

Nach einer Akutzeit beim Tierarzt, damals zum Glück noch ohne Röntgen und großes Blutbild (andere Geschichte, anderes Buch) und 500 Euro ärmer, sind wir alle wieder glücklich und wohlbehalten zu Hause.

Einziger bleibender Schaden. Milows Zungenbremse ist weg und jetzt hängt ihm immer mal mehr oder weniger die Zunge aus dem Mund. Was ihn nicht gerade superklug, aber superniedlich aussehen lässt.

Und seitdem herrscht bei uns also Krieg am Gartenzaun!

Närproducerad

Meine Arbeitskollegin schlürft ihren Kaffee, rührt frische Erdbeeren in den Joghurt und zerquetscht eine Avocado auf ihrer Brotscheibe. Sie isst jetzt gesund, sagt sie, und närproducerad, also nur noch Produkte, die in der Nähe, im eigenen Land, hergestellt werden.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Sie reagiert nicht. Ich werde ein wenig deutlicher und zeige mit dem Finger auf ihren Joghurt.

- Frisches Obst ist ja so gesund, sagt sie.

Ich verweise kurz auf einheimisches Obst, denn müssen es mitten im Winter unbedingt gerade spanische Erdbeeren sein? Ich merke, ich werde ihr lästig. Aber sie hat ja mit dem närproducerad angefangen.

Ja, aber sie habe eher Fleisch und so gemeint, dass die armen Tiere nicht erst durch halb Europa reisen müssen, bevor ihnen der Garaus gemacht wird. Oder all die Garnelen, die man erst nach Tunesien zum Pellen schickt.

Ich erwähne noch kurz, dass ihre spanischen Erdbeeren auch viel Mensch- und Tierleid verursachen, weil jetzt ganze Landstriche kein Wasser mehr haben, sie aber dafür frische Erdbeeren. Sie hört mir allerdings schon nicht mehr zu. Ich bin mal wieder in die Besserwisserfalle getappt.

Das heißt hier wirklich so: Besserwisser. Die Schweden haben tatsächlich ein deutsches Wort für eben jene Besserwisser. Das finde ich ganz unglaublich.

Trotzdem, ich freue mich ja, dass immer mehr Leute sich Gedanken über ihr Essen und ihr Leben machen, aber ich bin halt ein wenig allergisch, wenn es darum geht, dem gleich das Label Ich-mache-jetzt-nur-noch-innärproducerad aufzudrücken. Wenn wir wirklich einmal nachdenken, wie viel von dem, was wir jeden Tag so essen, trinken oder gebrauchen ist denn überhaupt närproducerad?

Der leckere Apfel, der so süß ist, aber leider aus Neuseeland kommt? Er schmeckt uns einfach so viel besser als unsere eigenen kleinen Winteräpfel. Der Kaffee? Auf meiner Arbeit noch immer der Billigste vom Billigen. Weder ökologisch noch Fairtrade. Und wer hat eigentlich meine Thermoskanne gemacht?

Kleidung aus Bangladesch. Das Leder unserer Schuhe kommt nicht vom Schlachter um die Ecke. Meistens werden irgendwo im entlegensten Winkel der Erde halbwilde Kuhantilopen unter widrigen Bedingungen geschlachtet und Menschen stellen dann unter noch widrigeren Bedingungen unser billiges Leder her. Mit fatalen Folgen für ihre Gesundheit.

Unsere Wolle kommt aus Australien, unsere eigene Wolle ist nämlich nichts mehr wert. Die schmeißen wir lieber weg.

Närproducerad geht so viel weiter als nur das Stückchen Fleisch, das durch halb Europa reist, ehe es auf unserem Teller landet, oder besser nicht. Leider sind nicht einmal alle veganen Sachen närproducerad. Und hinter vielen Produkten versteckt sich auch noch Staatsfeind Nummer eins; Nestle. Da denkt man, man tut etwas Gutes, aber ach…

Und dann all die Leute, die plötzlich Selbstversorger werden wollen. Ich finde das ganz toll, eigenes Gemüse im Sommer anbauen, ernten, einlegen, einkochen und Marmelade machen. Aber um sich Selbstversorger nennen zu können, gehört schon wesentlich mehr dazu. Und das muss doch auch gar nicht sein. Ist so hoch im Norden auch fast gar nicht möglich. Man bräuchte ein großes, beheiztes Gewächshaus. Am besten natürlich mit selbst hergestelltem Strom.

Wir kaufen Samen im Supermarkt, die fast ausschließlich und auf vielen Umwegen von Monsanto kommen. Das hat mit Selbstversorgung so gleich mal gar nichts zu tun. Und wer weiß das eigentlich oder denkt mal darüber nach, wo das meiste unseres Saatgutes herkommt? Wer stellt heute noch seinen eigenen Dünger her? Und diejenigen, die ihre Hühner schlachten und somit ihr eigenes Fleisch haben, bauen die denn das Getreide für ihre Hühner oder zum Brot backen selbst an?

Ich glaube, wir haben eigentlich schon lange keine Ahnung mehr, was es heißt, Selbstversorger zu sein, wie viel Arbeit und Verzicht das mit sich bringt.

Eigentlich ist das auch egal, Hauptsache wir machen etwas, denken nach, treffen bewusste Entscheidungen, informieren uns, aber wir sollten uns nicht dazu hinreißen lassen unseren mickrigen Versuchen Label wie Nurnoch-närproducerad oder -Ab-jetzt-sind-wir-Selbstversorger aufzukleben. Denn durch solche Aussprachen zeigen wir nur einmal mehr, wie weit wir uns schon von der Natur entfernt haben. Die meisten von uns haben einfach gar keinen Plan.

Außerdem hätte strikt närproducerad und selbstversorgend auch einen ganz entscheidenden Nachteil. Wir leben nicht mehr wie vor hundert Jahren, die Welt hat sich verändert, wir haben uns verändert und ist es nicht von essenzieller Wichtigkeit für uns und unsere derzeitigen Zusammenlebensbündnisse, dass wir auch Handel miteinander betreiben? Alle wollen ex- und importieren und mal ganz ehrlich, das Leben wäre doch auch viel weniger schön, wenn wir nicht die Sachen mitgenießen könnten, die unsere Nachbarn haben, aber wir nicht. Das haben übrigens auch schon die alten Selbstversorger so gemacht; du meine Schweineschwarte, ich dein Sauerkraut.

Holland bei Lidl

Bei Lidl ist holländische Woche und das können sich meine niederländischen Schwiegereltern natürlich nicht entgehen lassen. Dick und rot steht der Tag der Tage im Kalender markiert.

Der Lidl hat wirklich groß ausgepackt. Alles, was das Herz des holländischen Wahlexilers begehrt, soll es geben- Kroketten, Bitterballen, Haring, Frikandel (wird übrigens Frikandell, mit Betonung auf dem L ausgesprochen, kriegt aber irgendwie kein Deutscher hin), Kaassouflé, Hagelslag und Vanillevla.

Als echter Holländer hat man grundsätzlich und immer Angst, etwas Gutes zu verpassen. Und so stehen Traudi und Cees am D-Day pünktlich morgens um 8 Uhr vor dem verschlossenen Lidl. Überbieten sich zwar die Supermärkte darin, wer denn der früheste Vogel ist, so macht der Lidl da einfach nicht mit. Geöffnet wird um neun und damit basta!

Also müssen sich meine Schwiegereltern die Zeit erstmal in einem anderen Supermarkt vertreiben, denn auch alle anderen Geschäfte öffnen in Schweden nicht vor zehn Uhr. Ladeninhaber scheinen hier seit jeher Langschläfer zu sein.

Um Punkt neun sind die fliegenden Holländer wieder beim Discounter und drängeln sich dem vermeintlichen Schlaraffenland entgegen. Aber nichts ist da. Rein gar nichts. Auf Nachfrage erfährt man, dass die Waren so früh am Morgen noch nicht ausgepackt worden sind. Um zwölf könne man es noch einmal versuchen, dann wäre bestimmt schon was im Laden.

Es bleibt den beiden nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu fahren. Dass sie ausgerechnet heute auch noch Gäste zum Essen erwarten, kommt ihnen gerade so gar nicht gelegen. Es nützt nichts, Traudi muss in der Küche das Essen vorbereiten und Cees wird mit der verantwortungsvollen Aufgabe betraut, Punkt zwölf mit Einkaufsliste beim Lidl zu stehen und endlich die lang ersehnte Beute heimzuholen.

Cees wird bei dem Gedanken, die alleinige Verantwortung für das Gelingen der SOKO holländische Woche zu haben, ein wenig mulmig. Sein letzter Solo-Einkaufsversuch hat immerhin eine gesperrte Bankkarte zur Folge gehabt.

Also klingelt bei uns um 11.15 Uhr das Telefon, ob Michel denn nicht eventuell mitkommen und seelischen Beistand leisten könne. Der Mann des Hauses, natürlich selbst Holländer, und auch schon lange auf Entzug, sieht seine Chance, um extra früh an all die leckeren Sachen ranzukommen und willigt nur allzu gerne ein.

Und so ziehen sie los. Die Männer gehen auf die Jagd, während die Frauen zu Hause am Herd stehen und die Stellung halten. Punkt zwölf und siehe da, im Lidl liegen ein paar Pakete Frikandell. That’s it. Man(n) stellt das Personal zur Rede und erfährt, dass mehr einfach noch nicht angekommen ist. Vielleicht morgen. Vielleicht aber auch nicht. Bei so viel schwedischer Lethargie kocht das Blut des Holländers fast über.

Völlig enttäuscht und mittlerweile bereit, einen Mord für ein Kasssouflé oder eine Krokette zu begehen, kehren die zwei in den Schoß der Familie zurück. Michel bekommt den Auftrag, am nächsten Tag, auf seiner eigenen Einkaufsrunde, unbedingt noch einmal den Lidl akribisch abzusuchen.

Aber auch am Dienstag gibt es nicht viel mehr. Es scheint ein landesweites Problem zu sein, dass die holländischen Waren nicht dort sind, wo sie sein sollten. Dafür schlägt man sich jetzt überall mit meuternden und wütenden Niederländern herum. Es nutzt nichts, es ist wie es ist. Enttäuschung macht sich breit. Doch am Einsatz meiner Familie liegt es nicht, dass die holländische Woche schon wieder vorbei ist, bevor sie überhaupt erst richtig angefangen hat.

Als kleiner Trost sei noch gesagt, dass so nach und nach tatsächlich noch einige holländische Leckereien eintrudeln. Zwar nicht das, was meine Schwiegereltern so gerne gehabt hätten, aber immerhin kauft Michel dann doch noch das ein oder andere Trösterchen. Und wieder einmal mehr hat der blau-gelbe Discounter bewiesenlohnt sich doch nicht.

Der Wolf muss weg

Schweden hat bestimmt, dass wir viel zu viele Wölfe haben. Also hat man beschlossen, die bis jetzt größte Wolfsjagd abzuhalten. Gleich am ersten Tag haben die fleißigen Jäger 21 Wölfe abgeschossen, denn Schweden muss wieder sicher werden.

Hingerichtet möchte ich es nennen. Der Wolf, der wilde Hund, das kluge Säugetier, ausgefeilte Familienstrukturen, kluge Jagdstrategien, zu Hause in Europas Fauna. Könnten wir eventuell eifersüchtig auf ihn sein? Denn kaum ist er da, muss er auch schon wieder das Feld räumen.

Wir haben in den letzten hundert Jahren nichts dazu gelernt. Manchmal denke ich, dass wir nicht mal besonders viel in den letzten zwei Millionen Jahren dazugelernt haben. Zumindest nicht, was unser eigenes Überleben betrifft. Wir werden in das Geschichtsbuch der Erde eingehen als die Spezies, die nicht nur sich selbst ausgerottet hat. Nein, wir werden es schaffen, auch noch viele andere Tierarten vorher und im Moment Supreme auf immer mit in unser schauriges Grab zu nehmen. Niemanden wird es stören. Die Erde wird froh sein, uns endlich los zu sein, aber vorher rotten wir natürlich noch den Wolf aus.

Denn der Lupus ist böse und gemein. Er vergreift sich an unseren Schafen und das ist ganz schlimm. Nicht weil wir unsere Schafe so lieben oder selbst essen müssen. Nein, wir wollen sie selber essen, denn so haben wir uns das vorgestellt. Alles gehört uns. Wie kann der Wolf es wagen, unser Wild zu jagen, denn auch der Wald gehört uns. Ich warte auf den Tag, an dem die alte Fabel wieder aufersteht und der Wolf anfängt, unsere Kinder zu rauben.

Warum haben wir so viel Angst vor unserer Natur? Wir wollen immer die volle Kontrolle haben und zerstören doch dabei nur mit ungeahnter Kraft unseren eigenen Lebensraum. Das Schlimme ist, dass wir es wissen und doch nichts passiert, denn wir wollen uns ja nicht einschränken. Naturschutz ja, aber bitte, es soll sich doch an unserer Bequemlichkeit nichts ändern. Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen, aber doch bitte so, dass wir nichts davon merken.

Leute, die Erde ist viel zu voll, mit uns, dem Parasiten Mensch und wenn wir uns nicht alle unglaublich zusammenreißen, dann hat ganz bald unser letztes Stündlein geschlagen. Schade für uns, aber so geht das nun einmal mit der Evolution. Wer unter den gängigen Lebensbedingungen nicht mehr lebensfähig ist, wird gnadenlos ausrangiert.

Das ist schon den Dinosauriern passiert. Und wäre der große Komet nicht gekommen und hätte den gesamten Jurassic Park von der Karte gefegt, dann wäre Spezies Mensch niemals entstanden, denn Säugetiere haben zu Dinozeiten nie mehr als die Größe einer Maus erlangt. Und gerade dieser Fakt, dass das Säugetier ein Inimini gewesen ist, hat uns den Weg bereitet, denn der Minisäuger kann sich sehr wohl an die neuen, gängigen Gegebenheiten anpassen und in den nächsten Jahrmillionen weiterentwickeln, etwas das den großen Dinos nicht gelungen ist.

Denn das ist noch so ein Ding. Evolution geht langsam, viel langsamer als wir jemals mit unserem klugen Affenhirn erfassen können. Und was lehrt uns das Ganze? Wahrscheinlich nichts, aber lasst euch gesagt sein. Wir sollten immer auch das Kleine schätzen und beschützen, denn wer weiß, vielleicht wird aus etwas Kleinem mal was ganz Großes. Außerdem haben wir ganz andere Probleme als Isegrims Rückkehr in Europa.

Ich sach mal so, wenn die Erde 24 Stunden alt wäre, dann gäbe es den modernen, was immer das auch heißen mag, Menschen erst seit zwei Minuten und wenn wir uns jetzt nicht am Riemen reißen, dann geben wir uns in spätestens zehn Sekunden selbst die rote Karte, ob mit oder ohne Canis Lupus. Hört sich das besonders klug an?

Übrigens gehört unser Haushund der Spezies Canis Lupus Familiaris an. Ich wittere da eine gewisse Gefahr bei so enger Verwandtschaft. Vielleicht sollten wir, nur so zur Sicherheit, auch gleich die gesamte Familiaris ausrotten, im Namen von Homo Sapiens Dummbis….

Im Hier und Jetzt

Ich habe gehört, dass es mir als Homo Sapiens Dummbis besser gehen soll, wenn ich lerne mich im Hier und Jetzt zu befinden. Scheinbar hat unsere Art die Neigung, sich das Leben selbst zu vermiesen, entweder dadurch in der Vergangenheit abzuhängen und schon dagewesene Dinge zu verarbeiten oder angstvoll in die Zukunft zu schauen und allerhand mögliche und unmögliche Pläne zu machen. Und so verpassen wir halt immer den Moment im Hier und Jetzt.

Nun habe ich aber gelesen, dass wir uns gar nicht in der Gegenwart befinden können, weil unser Gehirn nicht in der Lage ist, Momente, die kürzer als 40 Millisekunden sind, festzuhalten. Vielmehr werden solche Millimomente in unserer Schaltzentrale zu größeren Momenten, dem Moment, zusammengebastelt. Also hinken wir sowieso schon immer hinterher. Wir leben und erleben quasi in der Vergangenheit. Aber gut, das hier ist jetzt vielleicht auch ein bisschen Korinthenkackerei.

Wer wünscht es sich nicht manchmal, die Zeit einfach anhalten zu können. Und tatsächlich müssten wir uns dazu nur ganz genau mit Lichtgeschwindigkeit durch unser Universum bewegen, denn dann bleibt die Zeit einfach stehen. Nicht schneller, dann würde die Zeit rückwärtslaufen und wir könnten uns dann selbst bei unserer eigenen Verjüngungskur zuschauen. Wären wir pfiffig genug, könnten wir dabei auch gleich einige kleinere und größere Fehler wieder ausbessern, aber wie ich Homo Dummbis kenne, wären wir viel zu sehr mit unserer eigenen Eitelkeit beschäftigt, als uns auch noch rechts und links mit den kleinen und großen Sünden zu beschäftigen die wir Mutter Erde auf unserer Reise ins Hier und Jetzt angetan haben. Am besten bewegen wir uns gleich so weit rückwärts, dass wir in einer Zeit vor dem Wesen Mensch landen, damals, als die Säugetiere noch klein und unschuldig gewesen sind.

Anyway, ich probiere also, in meinem Hier und Jetzt zu sein und wurschtle mit mir und meinem unruhigen Hirn. Denn wie schön ist es doch, den morgendlichen Hundespaziergang dazu zu nutzen, meinen Tag ein wenig zu planen. Damit ich zumindest ein bisschen Übersicht über mich und meine Prio-Eins-Projekte bekommen kann. Doch laut neuesten Erkenntnissen soll ich das nun nicht mehr machen. Also versuche ich, die Prio-Projekte aus meinem Hirn zu verbannen und mich vollkommen auf den Spaziergang zu konzentrieren. Gelingt mir jedoch nicht und wird dann auch langsam, aber sicher anstrengend.

Wenn ich mich mal so umhöre und natürlich auch auf YouTube umschaue, dann haben unzählig viele andere Leute die gleichen Wurschteleien wie ich und das alles lässt mich zu der Annahme kommen, dass Homo Sapiens vielleicht gar nicht für die Gegenwart gemacht ist.

Setzen wir uns nicht viel mehr aus unzähligen Fragmenten aus unserer Vergangenheit zusammen? Ist es nicht unser Privileg, auch wenn wir nicht besonders sorgsam damit umgehen, dass wir in der Lage sind, Pläne zu machen? Wer noch kann, oder zumindest könnte, Konsequenzanalysen ausführen? Warum soll ich mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren, wenn mich das gar nicht ausfüllt und glücklich macht?

Ich hänge gerne, ganz nostalgisch, mal in der Vergangenheit ab oder träume von der Zukunft. Male mir aus, wie sie aussehen könnte oder denke an das, was ich alles schon habe und was mir lieb ist.

Vielleicht ist das mit dem Hier und Jetzt auch gar nicht so gemeint, denn natürlich probiere auch ich die mir besonders wichtigen Momente ganz intensiv zu erfahren, doch ständig und immer würde ich wahrscheinlich irgendwann an Reizüberflutung leiden. Ich klinke mich ganz gerne mal aus.

Ich lass das jetzt mit dem Hier und Jetzt, denn ich bekomme Stress, wenn ich morgens beim Hundespaziergang nicht meinen Tag durchgehen kann, wenn ich beim Couchsurfen mit YouTube nicht vom nächsten Gemüsegartensommer träumen kann und wenn ich mir morgens im Bett nicht mehr ausmalen darf, wie es wäre, wenn….

Trotzdem kann ich auch für mich etwas aus der Hierund-Jetzt-Regel mitnehmen. Und das versuche ich eigentlich schon seit einigen Jahren. Erstens, keine Angst vor Dingen oder Ereignissen zu haben, die in der Zukunft liegen und auf dich sowieso keinen Einfluss habe. Zweitens, mich nicht für Fehler zu grämen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe und die ich jetzt nicht mehr ändern kann. Diese zwei Erkenntnisse machen mein Hier und Jetzt jetzt schon ziemlich gut.

Geburtstagsgeld

Ich habe immer noch mein gesamtes Geburtstagsgeld, aber das soll sich jetzt ändern, denn irgendwann muss ich es ja mal ausgeben. Nicht, dass der Mann meiner Träume sich am Ende von meinem Geld noch ein großes Legogeschenk oder sowas kauft. Es ist auch gar nicht mal so, dass ich nicht weiß, was ich mit den Pinunschen anfangen soll. Da ich sie aber nur einmal ausgeben kann, ist es besser, vorher gut darüber nachzudenken, wofür ich sie denn nun am liebsten ausgeben möchte. Das kann der Michel wiederum so gar nicht verstehen. Also er könne das Geld so eins, zwei, drei ausgeben und das glaube ich ihm aufs Wort.

Zuerst kaufe ich mir eine Ladung gebrauchte Bücher. Da hat man viel Beute für wenig Geld. Dann weiß ich nicht mehr richtig weiter. Ich kann mich nicht entscheiden und werde ganz wuschig von all meinen Eventuellwünschen.

Besser, ich mache mir eine Liste, dann bekomme ich mehr Übersicht. Die wird erst einmal immer länger. Doch je länger ich draufschaue, desto kürzer wird sie. Ich brauche wirklich keinen Kettenanhänger in Bohnenform, auch keinen Oversized Mantel, kein Armband mit Gravurplatte und die Leopardenholzmaske beim Onlineauktionshaus schießt preistechnisch in astronomische Höhen.

Ich kaufe mir ein paar wilde Sommer-Barfußschuhe. Ich liebe die wilden Schuhe, wenn sie doch bloß nicht so teuer wären. Das von mir bevorzugte Paar ist aus japanischem Washi-Papier. Interessant, aber 100 Euro für ein Paar Origamischuhe? Egal, genau für sowas hat man ja Geburtstagsgeld. Die Schuhe werden gekauft und sind dann auch wirklich toll.

Auf meiner Liste steht jetzt noch eine große alte Holzmaske, die ich schon seit Monaten im Online-Auktionshaus beobachte. Sie ist ziemlich alt und teuer und darum will sie auch wahrscheinlich niemand haben. Ich würde schon wollen, wäre da nicht die Sache mit dem Platz. Obwohl, wenn ich in meiner Klavierspielecke nochmal alles so richtig ordentlich zusammenrücke, schaffe ich doch sicher locker Platz für eine 60 cm Monstermaske. Ich könnte es ja einfach mal probieren.

Zwei Tage räume und verändere ich, denn man kommt ja immer vom Regen in die Traufe. Hier kann man nicht einfach so mal etwas verändern, ohne dass nicht gleich die gesamte Einrichtung in Mitleidenschaft gezogen wird. Aber siehe da, der Platz ist auf einmal da und das sehe ich als einen Wink des Schicksals, denn wenn nicht jetzt, wann dann? Also wird die Maske drei, zwei, eins, meins. Sie ist viel schöner als auf dem Foto und der Platz ist wirklich perfekt. Ich freue mich so unglaublich, dass sie endlich nach den vielen Monaten, die ich sie schon anhimmele an meiner Wand hängt.

Dann sehe ich sie. Die kleine Hutschenreuther Prinzessin. Ich habe keine Ahnung, wie sie in mein Leben gekommen ist, aber auf einmal ist sie da. Klein, teuer, kitschig und so unglaublich wunderschön. Ich kann an nichts anderes mehr denken als an diese kleine Figur. Die Prinzessin in ihrem blauen Kleid, mit der kleinen goldenen Krone, wie sie ganz versunken in ihren Gedanken dasteht und ein Rehkitz mit einem Salatblatt füttert. Ich bin hin und weg. Das bringt mich ganz durcheinander, denn eigentlich wären Hutschenreuthers Bremer Stadtmusikanten das nächste Objekt der Begierde auf meiner Liste gewesen. Ich weiß nicht, was ich machen soll, doch als sich im Auktionshaus die Stunde der Wahrheit nähert, kann ich es nicht lassen und auch die kleine Figur zieht noch bei mir ein. Als sie ankommt, packe ich sie mit zittrigen Händen aus und sie ist wirklich ganz entzückend.

Dann hängt mein Seelenheil auf einmal von einer Ukulele ab. Ein Check auf meiner Liste zeigt mir, dass Ukulele bis dato noch nicht in meiner Haben-will-Welt aufgetaucht ist. Ein Blick in mein Portemonnaie sagt, dass es noch möglich wäre. Spontan beschließe ich, dass die Uke Vorrang vor allen anderen Sachen auf meiner Liste bekommt und bestelle sie mir, denn nichts scheint mir im Moment mehr Spaß machen zu können als Ukulele spielen zu lernen. Nächste Woche kommt sie an. Ich kann es kaum erwarten. Und jetzt bin ich happy, aber pleite.

Schornstein fegen

Es soll ein paar Tage lang mildes Wetter geben und diese Gelegenheit nutzen wir dann gleich mal aus, um unsere Schornsteine zu fegen. Wir sind mitten in der Heizperiode und da wir diese Saison früh angefangen haben zu heizen, weil wir ja Strom sparen wollen, können unsere Kamine sicher ein bisschen extra Zuwendung gut gebrauchen.

Zum Glück fegt Michel inzwischen unsere Schornsteine selbst und so können wir das immer ein bisschen planen. Es darf nicht zu kalt sein, nicht regnen und ich muss unbedingt frei haben, denn Schornstein fegen zieht unweigerlich einen Hausputz hinter sich her. Oh mein Gott, ich darf gar nicht dran denken, an all diesen Feinstaub, der sich bis in die letzte Ritze durchschlängelt.

- Du stellst dich an, sagt der Mann.

- Tu ich nicht, kontere ich.

- Du hast Paranoia, sagt er.

- Ich kann den Feinstaub förmlich riechen, gebe ich zurück.

Ist ja auch egal. Ein bisschen extra saubermachen kann im Hause Schlampenacker ja grundsätzlich nicht schaden.

Also legen wir los. Der Tag ist perfekt. Kein Wind und recht mild, so dass wir auch ohne Heizung nicht gleich erfrieren und ich habe zwei Tage frei. Ich kann also nach meinem Putzekzess einen ganzen Tag lang wieder zu Kräften kommen. Michel schwingt sich in seine Schornsteinfegerklamotten und ich suche das Weite. Ich mache heute die ganz große Runde mit den Hunden. Die größte, die ich finden kann, denn bin ich beim Fegen in der Nähe, kann ich womöglich nie wieder aufhören zu putzen.

-Doch Paranoia, grinst Michel.

Ich lasse das besser unkommentiert und mache mich davon. Lange und ausgiebig gehe ich im Wald spazieren und versuche nicht an die Verwüstung zu denken, die mein Mann gerade zu Hause anrichtet. Nein, ich bin ganz im Hier und Jetzt. Atmen, ganz ruhig bleiben und an nichts anderes denken als an diesen wunderschönen Hundespaziergang. Ganz im Hier und Jetzt und wenn ich nach Hause komme, ist hoffentlich schon das Schlimmste vorbei.

Isses aber nicht. Der Aschesauger streikt. Obwohl was heißt streikt, der Gute, hahaha, überhitzt in null Komma nichts und legt dann immer wieder eine Zwangspause ein. Eigentlich hat Michel mehr Pause, als dass er Asche und Feinstaub aus den Öfen saugen kann. Ich krieg Schnappatmung, doch es nützt nichts. Ich muss aushalten und ausharren, bis er fertig ist und ich endlich das Chaos beseitigen kann.

Und dann hat der Mann meiner Träume natürlich wieder recht behalten. Es ist gar nicht so schlimm. Eigentlich überhaupt nicht schlimm. Er arbeitet ordentlich, mein Mann. Nicht zu vergleichen mit dem Schornsteinfeger. Es ist wirklich fast noch genauso sauber, oder dreckig, je nachdem wie man es sehen möchte, wie vorher.

- Siehste, du brauchst gar nicht putzen, triumphiert der Alltagsheld.

Aber weit gefehlt, natürlich muss ich putzen. Putzen steht auf der To-do-Liste, also wird es auch gemacht. Und wie gesagt, schaden kann es schon mal gleich gar nicht in unserem Haus einmal eine extra Putzschicht einzulegen.

Ich lege los und schon ein paar Stunden später erstrahlt unsere Butze in ungekanntem Glanz. Finden wir zumindest.

Spiel, Satz und Sieg für Team Schlampenacker, Tagesziel erreicht. Die Schornsteine sind wieder sauber, die Öfen ziehen und werden uns für den Rest der Heizsaison warmhalten und das Haus ist, zumindest vorübergehend, wieder schön sauber. Zufrieden sinken wir mit Chips, Bier und Cola, denn Belohnung muss ja sein, aufs Sofa und genießen unseren wohlverdienten Feierabend mit YouTube und Co.

Unlösbar

Huch, was klebt denn da unter meinem Schlappen? Einer meiner Vogelaufkleber hat sich von der Tür im Flur gelöst und klebt jetzt unter meinem Schuh. Ich pappe ihn wieder an die Tür, er fällt wieder runter. Ich pappe, er fällt. Es nützt nichts, ich muss die Treppe hoch und den Kleber holen. Geht wahrscheinlich auch viel schneller, als hier jetzt stundenlang pappend an der Tür zu stehen.

Ich könnte auch mal den super Sekundenkleber von meinem Supermann nehmen, dann muss ich den Vogelaufkleber nicht so lange an der Tür festhalten.

- Aber nur einen Tropfen nehmen, ruft Michel mir noch hinterher, das Zeug ist ergiebig.

Jaja, als ob ich noch nie etwas mit Sekundenkleber geklebt hätte. Ich bin sozusagen die Sekundenkleberexpertin.

Ich erinnere mich noch gut an die Tuben von früher, wo man immer drücken und drücken musste und zum Schluss hat man mitsamt der Tube an dem zu klebenden Gegenstand festgeklebt. Aber das ist jetzt Vergangenheit. Besitzt mein Mann doch eine supersonische Sekundenkleberflasche mit zwei Knöpfen an der Seite, auf welche man drückt und dann wird einem ein feiner, sauberer Tropfen Superleim serviert. Also quasi idiotensicher.

Irgendwas geht trotzdem schief. Wahrscheinlich habe ich doch ein wenig zu vehement auf die Knöpfe gedrückt, in Erinnerung an die alten, stets verklebten Klebetuben. Auf jeden Fall wird mir ein recht großer, ein gigantischer Tropfen Sekundenleim serviert. Egal, dann klebt der Vogel auf jeden Fall richtig gut.

- Klappt’s? ruft Michel.

- Jaha, lüge ich.

Denn natürlich läuft gerade ein Riesentropfen Sekundenleim über die Tür. Den versuche ich wacker mit Küchenpapier wegzuwischen und dann nimmt das Unheil seinen Lauf. Das Papier klebt erst an der Tür und dann an meinem verschmierten Finger fest und als ich versuche es abzuziehen, klebt auch mein anderer Finger am Papier fest. Ich habe mir quasi Daumen und Zeigefinger zusammengeklebt und bin gerade im Begriff, mich auch noch an der Tür festzukleben. Das kann ich dann aber buchstäblich in letzter Sekunde verhindern.

Keine Panik, sage ich mir, denn Sekundenleim ist ja wasserlöslich und mit ein bisschen warmem Wasser wird sich das Ganze schon wegwaschen lassen. Wird es nicht. Denn der Sekundenkleber hat zusammen mit dem Küchenpapier zwischen meinen Fingern eine unlösbare Verbindung geschaffen. So etwas gebraucht man auch in der Aquaristik. Man klebt Wurzeln, Steine und Aufbauten mit einer Mischung aus Sekundenkleber und Watte zusammen, damit sie eine auf immerwährende, wasserfeste Verbindung eingehen.

Nagellackentferner muss es jetzt richten. Ich kippe mir die halbe Flasche über die Finger.

Mit sehr überschaubarem Erfolg.

- Was stinkt denn da so? ruft der Mann von oben.

Wenn der jetzt man bloß nicht runterkommt.

- Haste zu viel Kleber genommen?

Mann, halt doch die Klappe!

- Nein, lüge ich nach oben, ich mache mir nur neue Fingerabdrücke.

So langsam fängt es an, weh zu tun. Google muss es richten. Es wird ein Bad in Zitronensaft empfohlen. Oh gut, das habe ich da. Ich bade meine verklebte Hand lange und ausgiebig in Zitronensaft und hoffe inständig, dass Zitronensaft und Nagellackentferner nicht aus einem mir unbekannten Grund irgendeine explosive Mischung ergeben. Obwohl Zeigefinger und Daumen noch immer fest verbunden sind, bilde ich mir ein, dass es besser geworden ist, denn so langsam, aber sicher bekomme ich Panik. Warme Seifenlauge könnte auch helfen, berichtet Google weiter.

Ok, das probiere ich jetzt auch noch mal. Ich tauche meine Klebe-Nagellackentferner-Zitronenhand in warmes Spüli und versuche ruhig zu bleiben. Und siehe da, nach einer gefühlten Ewigkeit bekomme ich meine Finger wieder auseinander. Ich bin gerettet! Allerdings kleben an beiden Fingern immer noch steinharte Reste von der Küchenrolle. Noch Stunden später lutsche und kaue ich an meinen Fingern herum, meine Fingerkuppen sind schon völlig gefühllos und ob ich mich feinmotorisch jemals wieder betätigen kann, steht noch in den Sternen.

- Ich habe es dir ja gleich gesagt, belehrt mich mein Mann und legt damit den Finger noch einmal in die Wunde.

- Die blöde Flasche ist schuld, maule ich, da kommen nur Mammuttropfen raus.

Herzlichen Glückwunsch, es sind Drillinge

Dass ich irgendwann einmal mit drei Büchern gleichzeitig beschäftigt sein würde, habe ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Eigentlich habe ich mir in meinen kühnsten Träumen so gar nichts ausgemalt. Ich will ein Buch schreiben, viel weiter habe ich nicht gedacht.

Dann habe ich gelernt, dass Buchagenturen Lahmarsche sind und man ewig und meistens auch ganz vergeblich auf seine Absagen warten muss. Weil ich aber in der Zwischenzeit auf gar keinen Fall etwas anderes in Richtung Buchveröffentlichung unternehmen darf, damit ich es mir mit den lahmarschigen Buchagenten nicht verderbe, habe ich einfach weitergeschrieben. Und gewartet und geschrieben, gewartet und noch mehr geschrieben.