Schlimme Liebschaften - Pierre Ambroise François Choderlos de Laclos - E-Book

Schlimme Liebschaften E-Book

Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos

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Beschreibung

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Intrigen, Duelle, geschliffene Dialoge: Dieser Skandaltext aus dem Jahr 1782 hat alles, was ein Gesellschaftsroman braucht. Vor allem bietet er mit der Marquise de Merteuil und dem Vicomte de Valmont zwei der faszinierendsten Bösewichte der Weltliteratur. Liebe ist für beide ein teuflisches Spiel, Verführung und Leidenschaft vor allem eine Frage der Technik. Am Ende geht die Rechnung zwar nicht auf, der Roman selbst aber ist bis heute ein Meisterwerk literarischer Verführungskunst.

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Choderlos de Laclos

Schlimme Liebschaften

Roman

Aus dem Französischen von Heinrich Mann

Fischer e-books

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.

Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.

Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.

Erster Teil

Erster Brief Cécile Volanges an Sophie Carnay, beiden Ursulinerinnen in …

Du siehst, beste Freundin, ich halte Wort, und Hauben und Flitter nehmen mir nicht die ganze Zeit; ich behalte immer noch was für Dich. Und ich hab doch allein heute mehr Putz gesehn als in den vier Jahren, die wir zusammen waren; und die stolze Tanville[1] wird sich, glaub ich, bei meinem ersten Besuch, wo ich sie ganz sicher rufen laß, mehr ärgern, als wir uns, ihrer Meinung nach, all die Male geärgert haben, wo sie in großem Staat bei uns angekommen ist. Mama hat mich bei allem um meine Meinung gefragt; sie behandelt mich längst nicht mehr so sehr als früher wie ein Schulmädchen. Ich habe meine eigene Kammerzofe, ferner ein Schlafzimmer und ein Kabinett, womit ich anfange, was ich mag, und ich schreibe Dir an einem wunderhübschen Sekretär, wovon ich den Schlüssel gekriegt habe und wo ich alles wegschließen kann, was ich will. Mama hat gesagt, ich soll sie alle Tage beim Aufstehn zu sehen kriegen, und es sei früh genug, wenn ich zum Mittagessen frisiert sei, weil wir doch immer allein wären und sie mir dann jeden Tag sagen würde, zu welcher Stunde ich nachmittags zu ihr kommen soll. Die übrige Zeit kann ich tun, was ich mag, ich habe auch eine Harfe zum Spielen und was zum Zeichnen und Bücher grade wie im Kloster, bloß daß Mutter Perpetua nicht dabeisteht und mich ausschilt und daß es bloß an mir liegt, wenn ich gar nichts tun will; aber da ich doch nicht mit meiner Sophie schwatzen und lachen kann, beschäftige ich mich lieber.

Es ist noch nicht fünf Uhr; zu Mama soll ich erst wieder um sieben: das ist eine Menge Zeit, wenn ich Dir doch was zu sagen hätte! Aber es ist mit mir noch über nichts geredet worden; und wären nicht die Zurüstungen, die ich mit ansehe, und die vielen Arbeiter, die alle meinetwegen kommen, ich würde glauben, es ist kein Gedanke daran, mich zu verheiraten, und es ist auch wieder nur ein Geschwätz der guten Josephine[2]. Indessen Mama hat mir so oft gesagt, ein Fräulein müsse im Kloster bleiben, bis sie sich verheirate, – da sie mich nun herausnimmt, muß Josephine wohl recht haben.

Eben hält ein Wagen vor der Tür, und Mama läßt mir sagen, ich soll sofort hinüberkommen. Wenn das der Herr wäre! Ich bin nicht angezogen, die Hand zittert mir, und ich habe Herzklopfen. Ich habe die Kammerzofe gefragt, ob sie wüßte, wer bei meiner Mutter sei. »Na, Herr C** doch«, sagte sie und lachte. Oh! ich glaube, er ist’s. Ich komme ganz sicher wieder und erzähle Dir, was passiert ist. Hier hast Du wenigstens seinen Namen. Ich kann ihn nicht warten lassen. Leb wohl, gleich bin ich wieder da.

Wie wirst Du Deine arme Cécile auslachen! Oh, ich habe mich furchtbar geschämt! Aber Du wärst auch drauf reingefallen. Wie ich bei Mama ins Zimmer kam, hab ich einen Herrn in Schwarz bei ihr stehen gesehn. Ich hab ihn, so gut ich konnte, begrüßt, und dann konnte ich nicht mehr vom Fleck. Du kannst Dir denken, wie ich ihn mir angesehn habe! »Gnädige Frau,« hat er zu meiner Mutter gesagt und mich dabei gegrüßt, »das ist mal eine reizende junge Dame, und ich fühle mehr als je, wie wertvoll Ihre Güte ist.« Wie er sich so bestimmt ausdrückte, hab ich dermaßen zu zittern angefangen, daß ich mich nicht aufrecht halten konnte; hab einen Sessel erwischt und mich draufgesetzt, gehörig rot und aus der Fassung. Kaum war ich drauf, da liegt der Mann vor mir auf den Knien. Da hat Deine arme Cécile den Kopf verloren; ich war, wie Mama gesagt hat, ganz verstört. Ich bin aufgesprungen und hab einen durchdringenden Schrei ausgestoßen … na so, wie den Tag, als es donnerte. Mama hat laut losgelacht und gesagt: »Was hast du denn? Setz dich doch und gib dem Herrn deinen Fuß.« Tatsächlich, liebe Freundin, der Herr war ein Schuster. Ich kann Dir nicht wiedergeben, wie sehr ich mich geschämt habe; glücklicherweise war bloß Mama dabei. Ich glaube, wenn ich erst verheiratet bin, bei dem Schuster bestell ich nichts mehr.

Du mußt zugeben, wir sind so klug wie zuvor! Leb wohl. Es ist fast sechs Uhr, und meine Kammerzofe sagt, ich muß mich anziehn. Leb wohl, liebe Sophie; ich hab Dich so lieb, als wär ich noch im Kloster.

Nachschrift: Ich weiß nicht, durch wen ich meinen Brief schicken soll, drum warte ich, bis Josephine kommt.

Paris, am 3. August 17**

Zweiter Brief Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont, auf Schloß …

Kehren Sie zurück, lieber Vicomte, kehren Sie zurück! Was haben Sie denn überhaupt noch zu tun bei einer alten Tante, deren Vermögen Ihnen schon vermacht ist? Reisen Sie unverzüglich; ich brauche Sie. Es ist mir ein hervorragender Gedanke gekommen, und mit der Ausführung will ich Sie betrauen. Diese paar Worte sollten Ihnen genügen; und in der Erkenntnis, daß meine Wahl Sie allzusehr ehrt, sollten Sie sich beeilen, herzukommen und auf den Knien meine Befehle entgegenzunehmen. Aber Sie mißbrauchen meine Freundlichkeiten, selbst noch seit Sie keinen Gebrauch mehr davon machen; ich stehe vor der Wahl, Sie ewig zu hassen oder übermäßige Milde walten zu lassen, und Ihr Glück will, daß die Milde die Oberhand behält. Also will ich so gut sein und Sie von meinen Plänen in Kenntnis setzen; aber schwören Sie mir, daß Sie als treuer Ritter kein Abenteuer bestehen werden, ehe Sie nicht dieses zu Ende geführt haben. Es ist wert eines Helden: Sie sollen der Liebe dienen und der Rache; kurz, es soll ein gemeiner Streich mehr für Ihre Denkwürdigkeiten werden – jawohl, für ihre Denkwürdigkeiten, denn ich will, daß sie eines Tages gedruckt werden, und übernehme es, sie zu schreiben. Aber lassen wir das, und kommen wir auf das, was mich beschäftigt.

Frau von Volanges läßt ihre Tochter heiraten: es ist noch Geheimnis, aber sie hat es mir gestern mitgeteilt. Und wen glauben Sie, hat sie sich zum Schwiegersohn ausgesucht? Den Grafen Gercourt. Wer mir gesagt hätte, daß ich Gercourts Cousine werden würde! Ich bin in Wut darüber … Nun also! Ahnt Ihnen noch nichts? Oh, wie schwer von Begriff! Haben Sie ihm das Abenteuer mit der Intendantin denn verziehen? Na und ich, ich habe mich doch noch mehr über ihn zu beklagen, Sie Ungeheuer[3]. Aber ich werde schon wieder friedlich, und die Hoffnung auf Rache heitert meine Seele wieder auf.

Sie haben sich, gerade wie ich, hundertmal über die Wichtigkeit geärgert, womit Gercourt die Frage seiner künftigen Frau behandelt, und über die dumme Einbildung, die ihn glauben läßt, er werde das unvermeidliche Geschick vermeiden. Sie wissen, wie lächerlich voreingenommen er für die Klostererziehung ist, und kennen sein noch lächerlicheres Vorurteil zugunsten der Zurückhaltung der Blonden. Ich würde tatsächlich wetten, daß er, trotz den sechzigtausend Francs Rente der kleinen Volanges, sich nie auf diese Heirat eingelassen hätte, wenn sie dunkel oder nicht im Kloster gewesen wäre. Drum wollen wir ihm zeigen, daß er ein Dummkopf ist und sonst nichts. Eines Tages ist er’s ganz sicher, das macht mir keine Sorge: das Komische wäre, wenn er damit gleich anfinge. Wie wir uns den nächsten Tag freuen werden, wenn wir ihn prahlen hören! – denn prahlen wird er; und wenn Sie das kleine Mädchen dann erst einmal ausgebildet haben, muß es sich schon höchst unglücklich treffen, wenn der Gercourt nicht, wie irgendeiner, in Paris zum Stadtgespräch wird.

Im übrigen verdient die Heldin dieses neuen Romans all Ihre Sorgfalt: sie ist wirklich hübsch. Sie ist erst fünfzehn, die richtige Rosenknospe. Linkisch allerdings, wie’s nicht so leicht vorkommt, und nicht im geringsten geziert; ihr Männer habt dagegen ja nichts. Dazu einen gewissen schmachtenden Blick, der wahrhaftig vielversprechend ist. Kommt hinzu, daß ich sie Ihnen empfehle; Sie brauchen mir also bloß noch zu danken und zu gehorchen.

Diesen Brief bekommen Sie morgen früh. Ich verlange, daß Sie morgen um sieben Uhr abends bei mir sind. Ich werde bis acht Uhr niemand vorlassen, nicht einmal den regierenden Ritter: er hat nicht Kopf genug für eine so große Angelegenheit. Sie sehen, die Liebe macht mich nicht blind. Um acht gebe ich Ihnen Ihre Freiheit zurück, und Sie kommen um zehn wieder und soupieren mit dem schönen Ding; denn Mutter und Tochter werden bei mir soupieren. Adieu, es ist zwölf vorbei: bald geb ich mich nicht mehr mit Ihnen ab.

Paris, am 4. August 17**

Dritter Brief Cécile Volanges an Sophie Carnay

Ich weiß nicht, beste Freundin. Bei Mama waren gestern zum Souper viele Leute. Obwohl ich es so nötig hatte, sie mir genau anzusehen, besonders die Männer, hab ich mich sehr gelangweilt. Herren und Damen, alle haben mich oft angesehn, und dann sagten sie sich was ins Ohr, und ich sah wohl, sie sprachen von mir; darüber mußte ich rot werden: ich konnte nichts dagegen machen. Gewollt hätt ich’s wohl; denn ich habe bemerkt, daß die andern Frauen, wenn man sie ansah, gar nicht rot wurden; oder aber das Rot, das sie auflegen, läßt einen das Rot nicht sehen, das von der Verlegenheit kommt; denn es muß sehr schwer sein, nicht rot zu werden, wenn ein Mann einen anstarrt.

Was mich am meisten in Unruhe versetzte, war, daß ich nicht wußte, was sie sich von mir dachten. Ich glaube aber doch zwei bis dreimal das Wort ›hübsch‹ gehört zu haben. Aber ganz deutlich hab ich das Wort ›linkisch‹ gehört, und das muß wohl wirklich wahr sein, denn die Dame, die es sagte, ist eine Verwandte und Freundin meiner Mutter; sie scheint sogar gleich Freundschaft zu mir gefaßt zu haben. Es ist die einzige, die im Lauf des Abends ein bißchen mit mir geredet hat. Morgen sollen wir bei ihr zum Souper sein.

Dann hab ich auch schon nachdem Essen einen Herrn zu einem andern was sagen hören, und weiß gewiß, er meinte mich: »Man muß das reif werden lassen, im Winter werden wir sehen.« Vielleicht ist der es, der mich heiraten soll; aber dann wäre es ja erst in vier Monaten! Ich möchte wohl wissen, wie es damit eigentlich steht.

Josephine ist da, und sie sagt, sie hat Eile. Ich will Dir aber doch noch was erzählen, wobei ich wieder mal ›linkisch‹ war. Oh! Ich glaube, die Dame hat recht!

Nachdem Souper haben sie angefangen zu spielen. Ich hab mich zu Mama gesetzt. Wie es kam, weiß ich nicht, aber ich bin fast gleich darauf eingeschlafen. Lautes Gelächter hat mich aufgeweckt. Ich weiß nicht, lachten sie über mich? – aber ich glaub es. Mama hat mir erlaubt, schlafen zu gehn, und hat mir damit einen großen Gefallen getan. Stell Dir vor, es war elf Uhr vorbei. Leb wohl, liebe Sophie, behalte Deine Cécile immer recht lieb. Ich versichere Dir, das Gesellschaftsleben ist nicht so lustig, wie wir es uns dachten.

Paris, am 4. August 17**

Vierter Brief Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil in Paris

Ihre Befehle sind bezaubernd; Ihre Art, sie zu geben, ist noch liebenswürdiger: Sie könnten einem Liebe zum Despotismus beibringen. Es ist nicht das erste Mal, wie Sie wissen, daß ich bedaure, nicht mehr Ihr Sklave zu sein; und wenn ich auch, wie Sie sagen, ein ›Ungeheuer‹ bin, denke ich doch nie ohne Wohlgefallen der Zeit, da Sie mich mit süßeren Namen beehrten. Oft wünsche ich sogar, sie von neuem zu verdienen, und zum Schluß noch, zusammen mit Ihnen, der Welt ein Beispiel der Beständigkeit zu geben. Doch höhere Pflichten rufen uns. Erobern ist unser Geschick, und es heißt ihm folgen. Am Ende unserer Laufbahn vielleicht begegnen wir uns noch einmal; denn, ohne Sie kränken zu wollen, wunderschöne Marquise, Sie halten zumindest gleichen Schritt mit mir; und seitdem wir uns zum Heil der Welt getrennt haben und jeder auf eigene Hand den Glauben predigen, haben Sie, scheint es mir, auf dieser Liebessendbotenfahrt mehr Jünger gemacht als ich. Ich kenne Ihren Eifer, Ihre glühende Inbrunst; und wenn jener Gott uns nach unsern Werken richtete, wären Sie eines Tages die Patronin irgendeiner großen Stadt, indes Ihr Freund höchstens ein Dorfheiliger wäre. Diese Sprache wundert Sie, nicht wahr? Aber seit acht Tagen höre und rede ich keine andere; und um mich darin zu vervollkommnen, sehe ich mich genötigt, Ihnen ungehorsam zu werden.

Werden Sie nicht böse und hören Sie zu. Mitwisserin aller meiner Herzensgeheimnisse, ich will Ihnen den größten Plan anvertrauen, den ich je geschmiedet habe. Was schlagen Sie mir vor? Ein junges Mädchen zu verführen, das nichts gesehen hat, nichts kennt; das mir sozusagen schutzlos ausgeliefert wäre; das eine erste Huldigung unfehlbar berauschen wird und das Neugier vielleicht rascher vorwärtsbringen wird als Liebe. Zwanzig andern kann das so gut gelingen wie mir. Anders steht es mit dem Unternehmen, das mich beschäftigt: sein Gelingen sichert mir ebensoviel Ruhm als Vergnügen. Amor, der meinen Kranz winden will, schwankt selber zwischen Myrte und Lorbeer, oder vielmehr, er wird sie beide zusammenwinden zu Ehren meines Triumphs. Sie selbst, schöne Freundin, werden von heiliger Ehrfurcht erfaßt werden und begeistert sprechen: ›Das ist der Mann nach meinem Herzen.‹

Sie kennen die Präsidentin Tourvel, ihre Frömmigkeit, ihre Gattenliebe, ihre strengen Grundsätze. Darauf also mache ich einen Angriff; das ist der meiner würdige Feind; das ist das Ziel, das ich mir setze.

Und wird auch der Erfolg mir keineswegs zum Lohn,

Ist selbst das Unterfangen genug der Ehre schon.

Schlechte Verse darf man anführen, wenn sie von einem großen Dichter sind.[4]

Sie müssen also wissen, daß der Präsident in Burgund ist, infolge eines großen Prozesses. (Ich hoffe, einen wichtigeren soll er durch mich verlieren.) Seine untröstliche Hälfte soll hier die ganze Zeit dieser betrübenden Witwenschaft zubringen. Täglich eine Messe, ein paar Besuche beiden Armen des Kreises, Morgen- und Abendgebete, einsame Spaziergänge, fromme Unterhaltungen mit meiner alten Tante, und manchmal ein trauriger Whist, sollten die einzigen Zerstreuungen sein. Ich richte ihr wirksamere her. Mein guter Engel hat mich hergeführt, zu ihrem und meinem Glück. Ich Unsinniger! mir taten die vierundzwanzig Stunden leid, die ich Höflichkeitsrücksichten opferte. Wie würde man mich jetzt strafen, wenn man mich zwänge, nach Paris zurückzukehren! Glücklicherweise gehören zum Whistspiel vier; und da es hier bloß den Ortspfarrer gibt, ist meine ewige Tante eifrig in mich gedrungen, damit ich ihr ein paar Tage opferte. Sie erraten wohl, daß ich eingewilligt habe. Sie können sich nicht vorstellen, wie sie mich seit dem Augenblick verhätschelt und besonders wie sie darüber erbaut ist, daß sie mich regelmäßig bei ihren Gebeten und bei ihrer Messe sieht. Von der Gottheit ahnt sie nichts, die ich dort anbete.

So gebe ich mich also schon vier Tage lang einer starken Leidenschaft hin. Sie wissen, ob ich lebhaft begehren kann, ob ich über Hindernisse wegstürme; aber was Sie nicht wissen, das ist, wie sehr die Einsamkeit die Glut der Begierde erhöht. Ich habe nur noch einen Gedanken; tags denke ich dran, nachts träume ich davon. Ich habe es sehr nötig, diese Frau zu bekommen, um die Lächerlichkeit loszuwerden, daß ich in sie verliebt bin: denn wohin führt nicht eine durchkreuzte Begierde? O köstlicher Genuß! Ich erflehe dich um meines Glückes und vor allem um meiner Ruhe willen. Wie sind wir glücklich, daß die Frauen sich so schlecht verteidigen! Wir wären vor ihnen nur furchtsame Sklaven. Ich habe in diesem Augenblick ein Gefühl des Dankes für die gefälligen Frauen, das mich ganz von selbst bis zu Ihren Füßen geleitet. Ich werfe mich vor Ihnen nieder, um Verzeihung zu erlangen, und ende diesen allzu langen Brief. Adieu, wunderschöne Freundin: und nichts für ungut.

Schloß …, am 5. August 17**

Fünfter Brief Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont

Wissen Sie, Vicomte, daß Ihr Brief von seltener Frechheit ist und daß es bloß an mir läge, böse darüber zu werden? Aber er hat mir klar bewiesen, daß Sie den Kopf verloren hatten, und das allein hat Sie vor meiner Entrüstung bewahrt. Als edle und mitfühlende Frau vergesse ich meine Kränkung, um mich mit nichts zu beschäftigen als mit Ihrer gefährlichen Lage; und so langweilig das Vernunftpredigen ist, bescheide ich mich doch, weil Sie es in diesem Augenblick so nötig haben.

Sie wollen die Präsidentin Tourvel haben! Was ist denn das für eine lächerliche Schrulle! Daran erkenne ich Ihren nichtsnutzigen Kopf, der sich immer nur das wünscht, was er glaubt nicht kriegen zu können. Was ist denn an der Frau? Regelmäßige Züge, wenn Sie wollen, aber gar kein Ausdruck; leidlich gewachsen, aber anmutlos; immer angezogen zum Lachen, mit ihren Haufen von Busentüchern und ihrem bis ans Kinn reichenden Korsett! Ich sag Ihnen als Freundin, von solchen Frauen braucht’s nicht zwei, damit Sie all Ihr Ansehen verlieren. Denken Sie doch an den Tag, wo sie in Saint-Roche sammelte und wo Sie sich so bei mir bedankten, dafür, daß ich Ihnen das Schauspiel verschafft hatte. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie jener langen Latte mit langen Haaren die Hand gab, bei jedem Schritt nahe am Hinfallen war, mit ihrem vier Ellen breiten Reifrock immer an irgend jemandes Kopf stieß und bei jeder Verbeugung rot ward. Wer hätte Ihnen da gesagt, Sie würden die Frau haben wollen? Also bitte, Vicomte, werden Sie selber rot und kommen Sie wieder zu sich. Ich verspreche Ihnen, daß ich schweigen werde.

Und dann, sehen Sie mal, welche Mißhelligkeiten Sie erwarten! Mit welchem Nebenbuhler müssen Sie kämpfen? Mit einem Gatten! Fühlen Sie sich nicht bei dem bloßen Wort gedemütigt? Was für eine Schande, wenn Sie abfallen! und selbst im Erfolg wie wenig Ruhm! Ich behaupte noch mehr: erhoffen Sie gar kein Vergnügen! Gibt es das bei Prüden? Beiden ehrlichen, meine ich. Zurückhaltend selbst noch im höchsten Vergnügen, bieten sie Ihnen stets nur halbe Genüsse. Die volle Hingabe ihrer selbst, der Wollustrausch, worin das Vergnügen sich reinigt durch seinen Überschwang – diese Schätze der Liebe sind ihnen nicht bekannt. Ich sage Ihnen vorher: im günstigsten Fall wird Ihre Präsidentin alles für Sie getan zu haben glauben, wenn sie Sie wie ihren Mann behandelt; und im ehelichen Zusammensein, sei es noch so zärtlich, bleiben es immer zwei. Hier liegt es noch schlimmer: Ihre Prüde ist fromm, und zwar mit einer Gänschenfrömmigkeit, die zu ewiger Kindheit verdammt. Vielleicht übersteigen Sie dies Hindernis, aber schmeicheln Sie sich nicht, es zu zerstören: mögen Sie über die Liebe zu Gott Sieger bleiben, die Furcht vor dem Teufel werden Sie doch nicht besiegen; und wenn Sie Ihre Geliebte in den Armen halten und ihr Herzklopfen fühlen, so kommt das von Furcht und nicht von Liebe. Vielleicht hätten Sie, wenn Sie die Frau früher kennengelernt hätten, etwas aus ihr machen können; aber jetzt mit zweiundzwanzig Jahren – und nahezu zwei ist sie verheiratet. Glauben Sie mir, Vicomte, wenn eine Frau dermaßen verknöchert ist, muß man sie ihrem Schicksal überlassen: sie wird stets etwas Untergeordnetes bleiben.

Und doch geschieht es wegen dieses schönen Gegenstands, daß Sie mir den Gehorsam verweigern, daß Sie sich in der Gruft Ihrer Tante begraben und daß Sie Verzicht leisten auf das köstlichste Abenteuer, das ganz dazu angetan ist, Ihnen Ehre zu machen. Kraft welches Verhängnisses muß denn Gercourt gegen Sie immer irgendwie im Vorteil bleiben? Ich sage es wirklich, ohne schlecht gegen Sie gestimmt zu sein: aber in diesem Augenblick bin ich versucht, zu glauben, daß Sie Ihren Ruf nicht verdienen, bin vor allem versucht, Ihnen mein Vertrauen zu entziehen. Ich werde mich nie daran gewöhnen, dem Liebhaber der Frau von Tourvel meine Geheimnisse zu sagen.

Sie sollen aber doch wissen, daß die kleine Volanges schon einem den Kopf verdreht hat. Der junge Danceny ist närrisch dahinterher. Er hat mit ihr gesungen; und tatsächlich singt sie besser, als man es einem Schulmädchen zutraut. Sie werden wohl viele Duos miteinander üben, und ich glaube, sie würde gerne einstimmig loslegen; aber dieser Danceny ist ein Kind, das seine Zeit mit Liebesgetändel verlieren und nichts zustande bringen wird. Das kleine Wesen ihrerseits ist ziemlich scheu; und was auch geschehen mag, es wird immer viel weniger erfreulich sein, als Sie es hätten machen können. Drum bin ich auch verstimmt und werde mit dem Ritter, wenn er kommt, sicherlich zanken. Ich rate ihm, sanft zu sein; denn in diesem Augenblick würde es mich gar nichts kosten, mit ihm zu brechen. Ich bin sicher, wenn ich so gescheit wäre, ihn zu verlassen, würde er darüber in Verzweiflung sein; und nichts belustigt mich so wie eine verzweifelte Liebe. Er würde mich treulos nennen; und das Wort treulos hat mir stets Vergnügen gemacht; nachdem Wort grausam ist es das süßeste für ein Frauenohr, und es ist weniger mühsam zu verdienen. Im Ernst, ich will mich mit dem Bruch befassen. Und davon sind nur Sie die Ursache! Sie müssen es aber auch auf Ihr Gewissen nehmen. Adieu. Empfehlen Sie mich Ihrer Präsidentin für ihre Gebete.

Paris, am 7. August 17**

Sechster Brief Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil

Gibt es denn keine Frau, die ihre Macht nicht mißbraucht! Sie sogar, die ich so oft meine wilde Freundin nannte, Sie hören auf, es zu sein, und scheuen sich nicht, mich in dem Gegenstand meiner Neigung anzugreifen! Mit was für Zügen Sie Frau von Tourvel zu malen wagen! … Welcher Mann hätte dieses dreiste Wagnis nicht mit seinem Leben bezahlt? Welcher andern Frau als Ihnen hätte es nicht zumindest einen üblen Streich eingetragen? Bitte, stellen Sie mich nicht wieder so schwer auf die Probe; ich würde nicht dafür bürgen, daß ich sie bestände. Im Namen der Freundschaft, warten Sie, bis ich die Frau gehabt habe, wenn Sie sie schlechtmachen wollen. Wissen Sie nicht, daß nur die Wollust das Recht hat, der Liebe die Binde abzunehmen?

Doch was sage ich? Ist Frau von Tourvel auf Täuschung angewiesen? Nein; um anbetungswürdig zu sein, braucht sie nur sie selbst zu sein. Sie werfen ihr vor, sie zieht sich schlecht an. Ich glaub’s: aller Putz schadet ihr, alles, was sie verdeckt, entstellt sie. Erst in der Zwanglosigkeit von Hauskleidern ist sie wahrhaft entzückend. Dank der drückenden Hitze, die wir ausstehen, läßt ein einfaches Leinenkleid mich ihre runde, biegsame Taille sehen. Ein einziger Mousseline-Schleier bedeckt ihren Busen; und meine verstohlenen, aber eindringlichen Blicke haben seine bezaubernden Formen schon umfaßt. Ihr Gesicht, sagen Sie, hat keinen Ausdruck. Und was soll es in den Augenblicken, wo nichts zu ihrem Herzen spricht, denn ausdrücken? Nein, zweifellos hat sie nicht, wie unsere koketten Frauen, den lügnerischen Blick, der manchmal verführt und immer uns täuscht. Sie versteht die Leere einer Redensart nicht mit einem eingelernten Lächeln zu verdecken; und obschon sie die schönsten Zähne von der Welt hat, lacht sie nur über das, was sie lustig stimmt. Aber man muß sehen, wie sie bei mutwilligen Spielen das Bild unbefangener, offener Frühlichkeit bietet! Wie bei einem Unglücklichen, dem sie mit Eifer Hilfe bringt, ihr Blick reine Freude und mitfühlende Güte ausdrückt! Vor allem muß man beim leisesten Wort des Lobes oder der Schmeichelei auf ihrem Antlitz die rührende Verlegenheit einer ungeheuchelten Bescheidenheit sich malen sehen! … Sie ist prüde und fromm, und deshalb halten Sie sie für kalt und seelenlos? Ich denke sehr anders. Welchen erstaunlichen Gefühlsreichtum muß man haben, um ihn sogar über einen Gatten auszugießen und immer ein nie vorhandenes Wesen zu lieben? Welchen noch stärkeren Beweis können Sie wünschen? Und doch habe ich mir noch einen andern zu verschaffen gewußt.

Ich habe ihren Spaziergang dergestalt gelenkt, daß ein Graben zu überschreiten war; und obwohl sehr gewandt, überwiegt doch ihre Schüchternheit. Sie hat sich mir anvertrauen müssen. Ich habe diese bescheidene Frau in meinen Armen gehalten. Unsere Vorbereitungen und der Übergang meiner alten Tante hatten die ausgelassene Betschwester in schallende Heiterkeit versetzt; sobald ich mich jedoch ihrer bemächtigt hatte, schlangen sich, infolge einer geschickten Ungeschicklichkeit, unsere Arme ineinander. Ich preßte ihre Brust gegen meine; und in diesem kurzen Zeitraum fühlte ich ihr Herz rascher schlagen. Die liebenswürdige Röte kam und färbte ihr Gesicht, und ihre bescheidene Verwirrung belehrte mich hinlänglich darüber, daß ihr Herz vor Liebe gebebt hatte und nicht vor Furcht. Meine Tante täuschte sich darüber gleich Ihnen und sagte: »Das Kind hat sich gefürchtet«; aber die bezaubernde Aufrichtigkeit des ›Kindes‹ gestattete ihr keine Lüge, und sie erwiderte arglos: »Ach nein, aber … « Dies eine Wort hat mich aufgeklärt. Von diesem Augenblick an hat süße Hoffnung die grausame Unruhe abgelöst. Ich bekomme die Frau; ich werde sie dem Gatten, der sie entweiht, wegnehmen; dem Gott sogar, zu dem sie betet, werde ich sie zu rauben wagen. Welche Wonne, abwechselnd Gegenstand und Besieger ihrer Gewissensbisse zu sein. Fern sei von mir der Gedanke, die Vorurteile, worin sie befangen ist, zu zerstören! Sie tragen zu meinem Glück und meinem Ruhme bei. Mag sie an die Tugend glauben, aber sie mir opfern; mögen ihre Vergehungen sie in Grauen stürzen, ohne sie aufhalten zu können; und möge sie, von tausend Schrecken geschüttelt, sie nirgends vergessen, nirgends besiegen können als in meinen Armen! Dann, das laß ich mir gefallen, mag sie mir sagen: ›Ich bete dich an.‹ Sie allein unter allen Frauen wird würdig sein, das Wort auszusprechen. Ich werde in Wahrheit der Gott sein, dem sie den Vorzug gab.

Seien wir ehrlich: bei unsern ebenso kalten als leichtfertigen Übereinkommen ist, was wir Glück nennen, höchstens ein Vergnügen. Soll ich’s Ihnen sagen? Ich hielt mein Herz für welk, fand in mir nur noch Sinnlichkeit und klagte über ein vorzeitiges Alter. Frau von Tourvel hat mir den bezaubernden holden Wahn der Jugend zurückgegeben. Bei ihr brauche ich nicht zu genießen, um glücklich zu sein. Das einzige, was mich schreckt, ist die Zeit, die mich das Abenteuer kosten wird; denn ich wage nichts dem Zufall zu überlassen. Mag ich mich noch soviel an meine glücklichen Frechheiten erinnern, ich kann mich nicht entschließen, sie ins Werk zu setzen. Damit ich wahrhaftig glücklich sei, muß sie sich mir geben; und das ist keine geringe Sache.

Ich bin gewiß, Sie würden meine Vorsicht bewundern. Das Wort Liebe habe ich noch nicht ausgesprochen, aber schon sind wir beiden Worten Vertrauen und Teilnahme. Um sie so wenig wie möglich zu täuschen, und besonders um der Wirkung des Geredes, das zu ihr gelangen könnte, vorzubeugen, habe ich ihr selbst, und so, als klagte ich mich an, einige meiner bekanntesten Streiche erzählt. Sie würden lachen, wenn Sie sähen, mit welcher Arglosigkeit sie mir Predigten hält. Sie will mich, sagt sie, bekehren. Sie ahnt noch nicht, was der Versuch sie kosten wird. Sie ist weit entfernt, daran zu denken, daß sie, die, um ihre Worte zu gebrauchen, ›die Sache der von mir ins Verderben gebrachten Unglücklichen vertritt‹, zum voraus in eigener Sache spricht. Dieser Gedanke kam mir gestern mitten in einer ihrer Reden, und ich konnte mir das Vergnügen nicht versagen, sie zu unterbrechen, um ihr zu versichern, sie spreche wie ein Prophet. Adieu, wunderschöne Freundin. Sie sehen, ich bin noch nicht rettungslos verloren.

Nachschrift: Dabei fällt mir ein: Hat der arme Ritter sich aus Verzweiflung umgebracht? Sie sind wahrhaftig ein hundertmal schlimmerer Kerl als ich und würden mich beschämen, wenn ich eitel wäre.

Schloß …, am 9. August 17**

Siebenter Brief Cécile Volanges an Sophie Carnay[5]

Wenn ich Dir nichts über meine Heirat gesagt habe, liegt es daran, daß ich nicht besser darüber unterrichtet bin als am ersten Tag. Ich gewöhne mich, nicht mehr dran zu denken, und in meiner Lebensweise befinde ich mich ganz gut. Ich übe mich viel in Gesang und Harfenspiel; mir scheint, ich mag es lieber, seit ich keinen Lehrer mehr habe, oder vielmehr, seit ich einen besseren habe. Der Herr Ritter Danceny, der Herr, von dem ich Dir gesprochen habe und mit dem ich bei Frau von Merteuil gesungen habe, hat die Gefälligkeit, alle Tage herzukommen und stundenlang mit mir zu singen. Er ist äußerst nett. Er singt wie ein Engel und komponiert sehr hübsche Lieder, wozu er auch die Worte dichtet. Es ist recht schade, daß er Malteserritter ist! Mir scheint, wenn er sich verheiratete, wäre seine Frau sehr glücklich … Er ist reizend zart. Nie kommt es einem vor, als machte er Komplimente, und doch schmeichelt einem alles, was er sagt. Er hat fortwährend etwas auszusetzen, sowohl an der Musik als an anderem; aber er mischt in seine Kritiken so viel Teilnahme und Lustigkeit, daß man ihm notwendig dankbar dafür sein muß. Schon allein wenn er einen ansieht, meint man, er sagt einem was Verbindliches.

Zu alledem kommt noch, daß er sehr gefällig ist. Gestern zum Beispiel war er zu einem großen Konzert gebeten, ist aber lieber den ganzen Abend bei Mama geblieben. Das hat mir viel Vergnügen gemacht; denn wenn er nicht da ist, spricht niemand mit mir, und ich langweile mich; wenn er aber da ist, singen und plaudern wir miteinander. Er hat mir immer etwas zu sagen. Er und Frau von Merteuil sind die einzigen beiden, die ich nett finde. Leb nun wohl, liebe Freundin; ich habe versprochen, ich wollte für heute ein Liedchen können, das sehr schwer zu begleiten ist, und möchte nicht mein Wort brechen. Ich werd mich wieder ans Üben machen, bis er kommt.

…, am 7. August 17**

Achter Brief Die Präsidentin von Tourvel an Frau von Volanges

Man kann nicht empfänglicher sein, gnädige Frau, als ich, für das Vertrauen, das Sie mir bekunden, und keine größere Teilnahme fühlen als ich für Fräulein von Volanges’ Verheiratung. Ich wünsche ihr wirklich von ganzer Seele das Glück, dessen sie ganz gewiß würdig ist, und verlasse mich auf Ihre Vorsicht, dank der sie es schon finden wird. Ich kenne den Herrn Grafen von Gercourt nicht; aber da Sie ihn mit Ihrer Wahl beehren, kann ich mir von ihm nur eine sehr günstige Vorstellung machen. Ich beschränke mich darauf, gnädige Frau, dieser Heirat einen ebenso glücklichen Erfolg zu wünschen, wie die meinige gehabt hat, die gleichfalls Ihr Werk ist und für die ich Ihnen täglich dankbarer bin. Möge das Glück Ihrer Tochter der Lohn sein für das, welches Sie mir verschafft haben; und möchte doch die beste der Freundinnen auch die glücklichste der Mütter sein!

Es tut mir wirklich weh, Ihnen nicht mündlich diesen aufrichtigen Wunsch darbringen und sobald, wie ich es wünschte, mit Fräulein von Volanges Bekanntschaft schließen zu können. Nachdem ich Ihre wahrhaft mütterliche Güte erfahren habe, besitze ich ein Recht, von ihr die zärtlichste Freundschaft einer Schwester zu erhoffen. Ich bitte Sie, gnädige Frau, sie in meinem Namen darum ersuchen zu wollen, bis ich mich nahe genug befinde, um sie mir zu verdienen.

Ich beabsichtige, die ganze Dauer der Abwesenheit Herrn von Tourvels auf dem Lande zu verbringen. Ich benutze die Zeit dazu, aus der Gesellschaft der ehrwürdigen Frau von Rosemonde Genuß zum Vorteil zu schöpfen. Die Frau ist immer noch bezaubernd: ihr hohes Alter nimmt ihr nichts, sie hat noch ihr volles Gedächtnis und ihre Munterkeit. Nur ihr Körper ist vierundachtzig Jahre alt; ihr Geist nur zwanzig.

Unsere Zurückgezogenheit wird erheitert durch ihren Neffen, den Vicomte von Valmont, der so gütig war, uns einige Tage zu opfern. Ich kannte ihn nur seinem Rufe nach, und der ließ mir seine nähere Bekanntschaft nicht wünschenswert scheinen; doch scheint es mir, er ist besser als sein Ruf. Hier, wo der Weltstrudel ihn nicht verdirbt, wird es ihm erstaunlich leicht, vernünftig zu reden, und er klagt sich wegen seiner Vergehen mit seltener Aufrichtigkeit an. Er redet zu mir mit viel Vertrauen, und ich predige ihm mit viel Strenge. Sie, die Sie ihn kennen, werden zugeben, daß sich hier eine schöne Bekehrung ausführen ließe; doch zweifle ich trotz seinen Versprechungen nicht, daß acht Tage Paris ihn alle meine Reden vergessen lassen. Sein Aufenthalt hier wenigstens kommt von seiner gewöhnlichen Lebensweise in Abzug; und ich glaube, angesichts seiner Art zu leben ist das Beste, was er tun kann, überhaupt nichts zu tun. Er weiß, daß ich dabei bin, Ihnen zu schreiben, und hat mich beauftragt, Ihnen seine ehrfurchtsvolle Huldigung darzubringen. Nehmen Sie auch die meinige mit der Güte entgegen, die ich an Ihnen kenne, und zweifeln Sie nie an den aufrichtigen Gefühlen, mit denen ich die Ehre habe usw.

Schloß …, am 9. August 17**

Neunter Brief Frau von Volanges an die Präsidentin von Tourvel

Ich habe, meine junge und schöne Freundin, nie gezweifelt an Ihrer Freundschaft zu mir noch an Ihrer ehrlichen Teilnahme an allem, was mich angeht. Nicht um in diesen Punkt Klarheit zubringen, über den wir hoffentlich untereinander auf immer einig sind, antworte ich auf Ihr Glückwunschschreiben; aber ich kann es Ihnen, glaube ich, nicht ersparen, aus Anlaß des Vicomte von Valmont mit Ihnen zu reden.

Ich war, ich gestehe es, nicht darauf gefaßt, diesen Namen je in Ihren Briefen zu finden. Was können Sie und er denn wohl auch gemein haben? Sie kennen den Mann nicht; wo sollten Sie sich von der Seele eines Wüstlings eine Vorstellung gemacht haben? Sie reden mir von seiner ›seltenen Aufrichtigkeit‹: ach ja, bei Valmont muß Aufrichtigkeit allerdings selten sein. Er ist nicht so sehr liebenswürdig und verführerisch als falsch und gefährlich und hat seit frühester Jugend keinen Schritt getan und kein Wort gesprochen, ohne einen Plan dabei zu haben, und nie hatte er einen Plan, der nicht unsittlich oder verbrecherisch gewesen wäre. Liebe Freundin, Sie kennen mich; Sie wissen, ob von den Tugenden, die ich zu erwerben suche, Nachsicht nicht die mir liebste ist. Drum, wenn Valmont von ungestümer Leidenschaft fortgerissen würde, wenn er, wie tausend andre, durch die Irrtümer seines Alters verführt würde – ich würde seine Aufführung tadeln, aber ihn selbst beklagen und mit Stillschweigen die Zeit erwarten, wo eine glückliche Umkehr ihm die Achtung der Sittlichen wiedergäbe. Doch so ist Valmont nicht; seine Aufführung ist das Ergebnis seiner Grundsätze. Er weiß zu berechnen, wieviel Scheusäligkeiten ein Mann sich erlauben kann, ohne sich Unannehmlichkeiten auszusetzen; und um ohne Gefahr grausam und schlecht sein zu dürfen, hat er sich die Frauen zu Opfern ausersehen. Ich halte mich nicht dabei auf, die zu zählen, die er verführt hat; aber wie viele hat er nicht ins Unglück gebracht?

Bei dem weisen, zurückgezogenen Leben, das Sie führen, gelangen diese anstößigen Geschichten nicht bis zu Ihnen. Ich könnte Ihnen welche erzählen, bei denen Sie schaudern würden; doch Ihre Blicke, die rein sind wie Ihre Seele, würden durch solche Bilder besudelt werden. Sicher, wie Sie sind, daß Valmont Ihnen nie gefährlich werden wird, brauchen Sie keine solche Waffen zu Ihrer Verteidigung. Das einzige, was ich Ihnen zu sagen habe, ist, daß unter allen Frauen, um die er sich, mit oder ohne Erfolg, bemüht hat, keine sind, die sich nicht über ihn zu beklagen hätten. Einzig die Marquise von Merteuil bildet von dieser allgemeinen Regel eine Ausnahme; sie allein hat ihm zu widerstehen und seine Bosheit an Ketten zu legen verstanden. Ich gestehe, daß dieser Zug in ihrem Leben der ist, der ihr in meinen Augen am meisten Ehre macht; drum hat er auch genügt, sie in aller Augen völlig zu rechtfertigen wegen einiger Unüberlegtheiten, die ihr zu Anfang ihrer Witwenschaft vorzuwerfen waren.[6]

Wie dem sein möge, schöne Freundin – was Alter, Erfahrung und besonders Freundschaft mich ermächtigen Ihnen vorzustellen, ist, daß man in der Gesellschaft Valmonts Abwesenheit zu bemerken anfängt; und daß, wenn man erfährt, er sei einige Zeit mit seiner Tante und Ihnen selbdritt gewesen, er Ihren Ruf in Händen hat – was das größte Unglück ist, das einer Frau zustoßen kann. Ich rate Ihnen also, seine Tante zu ersuchen, daß sie ihn nicht länger zurückhält; und wenn er sich aufs Dableiben versteift, dürfen Sie, glaube ich, nicht zögern, ihm das Feld zu räumen. Aber warum sollte er dableiben? Was tut er denn dort auf dem Lande? Wenn Sie seine Schritte auskundschaften ließen, weiß ich gewiß, Sie würden entdecken, daß er sich bloß eines bequemeren Unterschlupfes bedient um ein paar schlimmer Streiche willen, die er in der Umgebung ausheckt. Doch da es uns unmöglich ist, dem Übel zu steuern, lassen wir uns daran genügen, uns dagegen zu schützen.

Adieu, schöne Freundin; nun verzögert sich die Heirat meiner Tochter ein wenig. Graf Gercourt, den wir von Tag zu Tag erwarten, benachrichtigt mich, daß sein Regiment nach Korsika geht; und da noch Kriegsunruhen stattfinden, wird es ihm unmöglich sein, vor dem Winter abzukommen. Das kommt mir ungelegen, aber es läßt mich hoffen, daß wir das Vergnügen haben werden, Sie bei der Hochzeit zu sehen, und es war mir nicht recht, daß sie sich ohne Sie vollziehen sollte. Adieu; ich gehöre ohne Redensart wie ohne Rückhalt ganz Ihnen.

Nachschrift: Rufen Sie mich der Frau von Rosemonde ins Gedächtnis, die ich immer noch so liebe, wie sie es verdient.

…, am 11. August 17**

Zehnter Brief Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont

Schmollen Sie mit mir, Vicomte? Oder aber sind Sie tot? Oder, was dem sehr ähnlich sähe, leben Sie nur noch für Ihre Präsidentin? Diese Frau, die Ihnen ›den holden Wahn der Jugend‹ wiedergegeben hat, wird Ihnen bald auch die lächerlichen Vorurteile der Jugend wiedergeben. Schon sind Sie schüchtern und unterwürfig; geradesogut könnten Sie verliebt sein. Sie verzichten ›auf Ihre glücklichen Verwegenheiten‹. So führen Sie sich denn nun also ohne Grundsätze auf, überlassen alles dem Zufall, oder vielmehr der Laune. Denken Sie nicht mehr daran, daß die Liebe, wie die Medizin, nur die Kunst, die Natur zu unterstützen, ist? Sie sehen, ich schlage Sie mit Ihren eigenen Waffen: aber ich werde mir nichts darauf einbilden; denn hier wird ja nur ein Mann geschlagen, der schon am Boden liegt. ›Sie muß sich mir geben‹, sagen Sie. Na ganz gewiß muß Sie das; drum wird sie sich auch hingeben wie die andern, mit dem Unterschied, daß sie es ungern tun wird. Aber dafür, daß sie sich schließlich gibt, ist das beste Mittel, daß man sie sich erst einmal nimmt. Diese lächerliche Unterscheidung ist wirklich eine Faselei, recht wie sie der Liebe eigen ist! Ich sage der Liebe: denn Sie sind verliebt. Anders zu Ihnen reden hieße treulos an Ihnen handeln; hieß Ihnen Ihre Krankheit verheimlichen. Sagen Sie mal, schmachtender Liebhaber: die Frauen, die Sie gehabt haben, glauben Sie, daß Sie die vergewaltigt haben? Lieber Gott, wenn man noch so große Lust hat, sich zu ergeben, und es noch so eilig hat – einen Vorwand braucht man doch; und gibt es einen bequemeren für uns als den, der uns den Schein gibt, als wichen wir der Gewalt? Für mich, ich gestehe es, gehört zum Schmeichelhaftesten ein lebhafter, gut ausgeführter Angriff, bei dem alles geordnet obwohl rasch erfolgt; der uns nie in peinliche Verlegenheit setzt, daß wir selber eine Ungeschicklichkeit wieder gutmachen müssen, aus der wir im Gegenteil hätten Gewinn ziehen sollen; der uns den Schein der Vergewaltigung noch bei dem läßt, was wir bewilligen, und uns unsere zwei Lieblingsleidenschaften zu kitzeln erlaubt: den Stolz auf unsere Verteidigung und das Vergnügen an unserer Niederlage. Ich gebe zu, dieses Talent, das seltener ist, als man glaubt, hat mir stets Vergnügen gemacht, selbst dann, wenn es nicht verführt hat, und es ist mir manchmal vorgekommen, daß ich mich einzig zur Belohnung ergeben habe. So überreichte bei unsern früheren Turnieren die Schönheit der Tapferkeit und Geschicklichkeit den Preis.

Sie aber, der Sie nicht mehr Sie sind, Sie führen sich auf, als wäre Ihnen bange vor dem Gelingen. Also bitte, seit wann rücken Sie in kleinen Tagesmärschen vor und auf Querwegen? Lieber Freund, wenn man hinkommen will: Postpferde und die Landstraße! Doch lassen wir diese Sache, die mich um so mehr verstimmt, als sie mich des Vergnügens beraubt, Sie zu sehen.

Wenigstens schreiben Sie mir öfter als bisher und halten Sie mich über Ihre Fortschritte auf dem laufenden. Wissen Sie, daß dies lächerliche Abenteuer Sie jetzt schon über vierzehn Tage lang beschäftigt und daß Sie sich um keinen Menschen kümmern?

Bei ›sich nicht kümmern‹ fällt mir ein: Sie sind wie die Leute, die regelmäßig bei ihren kranken Freunden nach dem Befinden fragen lassen, sich die Antwort aber nie sagen lassen. Am Schluß Ihres vorigen Briefes fragen Sie mich, ob der Ritter tot ist. Ich antworte nicht, und Sie beunruhigen sich weiter nicht darüber. Wissen Sie nicht mehr, daß mein Liebhaber Ihr geborener Freund ist? Doch beruhigen Sie sich, er ist nicht tot, oder wenn schon, wäre er’s nur aus übergroßer Freude. Der arme Ritter, wie er zärtlich ist! Wie er für die Liebe geschaffen ist! Wie er lebhaft fühlen kann! Ich werde ganz verliebt davon. Im Ernst, das vollkommene Glück, das für ihn darin liegt, von mir geliebt zu werden, verbindet mich ihm wirklich.

Am selben Tag, da ich Ihnen schrieb, ich würde am Bruch unserer Beziehungen arbeiten – wie glücklich machte ich ihn da! Ich sann gleichwohl allen Ernstes über die Mittel nach, ihn zur Verzweiflung zubringen, da meldete man ihn. Sei’s aus Laune oder mit Grund, aber nie schien er mir so gut auszusehen. Indes empfing ich ihn ungnädig. Er hoffte mit mir zwei Stunden hinzubringen, vor Beginn derjenigen, zu der meine Tür sich allen öffnen sollte. Ich sagte ihm, ich gehe aus; er fragte, wohin ich ginge; ich verweigerte ihm die Auskunft. Er bestand darauf. »Wo Sie nicht sind«, sagte ich scharf. Zum Glück für ihn stand er nach dieser Antwort wie versteint, denn hätte er ein Wort geäußert, wäre unfehlbar ein Auftritt daraus gefolgt, der den von mir geplanten Bruch herbeigeführt hätte. Über sein Stillschweigen verwundert, wandte ich ihm den Blick zu, ohne andere Absicht, schwöre ich Ihnen, als mir seine Miene anzusehen. Ich fand wieder auf diesem bezaubernden Gesicht die zugleich tiefe und zärtliche Traurigkeit, der nach Ihrem eigenen Zugeständnis so schwer zu widerstehen ist. Dieselbe Ursache brachte dieselbe Wirkung hervor; ich ward zum zweitenmal besiegt. Von dem Augenblick an sann ich nur noch auf die Mittel, zu vermeiden, daß er mir ein Unrecht vorwerfen könne. »Ich gehe wegen eines Geschäftes aus«, sagte ich etwas milder; »und es betrifft sogar Sie; aber fragen Sie mich nicht. Ich soupiere zu Hause; kommen Sie wieder und Sie erfahren es.« Da fand er die Sprache wieder; doch erlaubte ich ihm nicht, davon Gebrauch zu machen. »Ich bin sehr eilig«, fuhr ich fort. »Lassen Sie mich. Auf heute Abend.« Er küßte mir die Hand und ging.

Sogleich entschließe ich mit zu seiner Entschädigung und vielleicht zu meiner, ihn mit meinem kleinen Hause bekannt zu machen, von dem er keine Ahnung hat. Ich rufe meine getreue Victoire. Ich habe meine Kopfschmerzen, ich gehe für alle meine Leute zu Bett – und wie ich endlich mit ›der Wahren‹ allein geblieben bin und sie sich als Lakai verkleidet, ziehe ich mich wie eine Kammerfrau an. Darauf läßt sie eine Droschke an die Gartentür kommen, und schon sind wir unterwegs. Bei der Ankunft in dem Liebestempel wähle ich das galanteste Hauskleid. Das ist entzückend; es ist meine Erfindung: es läßt nichts sehen und doch alles ahnen. Ich verspreche Ihnen das Modell für Ihre Präsidentin, wenn Sie sie erst würdig gemacht haben, es zu tragen.

Nach diesen Vorbereitungen und während Victoire sich mit den andern Einzelheiten befaßte, lese ich ein Kapitel aus dem ›Sofa‹, einen Brief Heloisens und zwei Geschichten von La Fontaine, um mir die verschiedenen Töne zu wiederholen, die ich annehmen wollte. Indes langt mein Ritter, mit seiner gewöhnlichen Beflissenheit, vor der Tür an. Mein Schweizer läßt ihn nicht ein und teilt ihm mit, ich sei krank: erster Zwischenfall. Gleichzeitig übergibt er ihm ein Billet von mir, doch nicht in meiner Schrift, nach meiner vorsichtigen Regel. Er öffnet es und findet darin von Victoires Hand: ›Punkt neun Uhr auf den Boulevards vor den Cafés.‹ Er verfügt sich hin; und dort kommt ein kleiner Lakai, den er nicht kennt, den er wenigstens nicht zu kennen meint, denn es war wieder Victoire, und meldet ihm, daß er den Wagen wegschicken und mit ihm gehen muß. Der ganze romantische Weg erhitzte ihm beträchtlich den Kopf, und ein erhitzter Kopf kann nicht schaden. Schließlich langt er an, und Überraschung und Liebe machten, daß er wahrhaft bezaubert war. Damit er Zeit hat, sich zu erholen, gehen wir einen Augenblick im Boskett spazieren; dann führe ich ihn wieder auf das Haus zu. Er sieht erst zwei Bestecke aufgelegt, dann ein gemachtes Bett. Wir gehen weiter bis ins Boudoir, das in seinem ganzen Staat war. Da – halb war’s überlegt und halb gefühlt – legte ich den Arm um ihn und ließ mich vor ihm auf die Knie nieder. »O lieber Freund«, sagte ich, »weil ich dir die Überraschung dieses Augenblicks aufsparen wollte, muß ich mir nun vorwerfen, dich durch den Schein übler Laune betrübt und eine Minute lang mein Herz wohl vor deinen Blicken verschleiert zu haben. Verzeihe mir meine Verfehlungen: ich will sie abbüßen mit lauter Liebe.« Die Wirkung dieser gefühlvollen Rede können Sie sich denken. Der glückliche Ritter hob mich auf, und die Verzeihung ward auf derselben Ottomane besiegelt, wo Sie und ich so fröhlich und auf die gleiche Art unsere ewige Trennung besiegelten.

Da wir sechs Stunden zusammen zu verleben hatten und ich beschlossen hatte, daß die ganze Zeit gleich köstlich für ihn sein sollte, schränkte ich seine Verzückungen ein, und liebenswürdige Koketterie löste die Zärtlichkeit ab. Ich glaube nicht, daß ich mir je so viel Mühe gegeben habe, zu gefallen, noch daß ich je so zufrieden war mit mir. Nachdem Souper war ich abwechselnd kindlich und verständig, ausgelassen und gefühlvoll, manchmal sogar liederlich, und gefiel mir darin, ihn als Sultan inmitten seines Serails anzusehen, dessen verschiedene Favoritinnen ich abwechselnd vorstellte. Und wirklich wurden seine mehrmals wiederholten Huldigungen zwar von derselben Frau, aber immer von einer neuen Geliebten entgegengenommen.

Schließlich bei Tagesanbruch mußten wir uns trennen; und was er auch sagte, was er sogar tat, um mir das Gegenteil zu beweisen – er bedurfte der Ruhe, so wenig Lust er auch danach verspürte. Im Augenblick, wie wir hinausgingen und als letztes Lebewohl, nahm ich den Schlüssel zu dem glücklichen Aufenthalt und legte ihn in seine Hände. »Ich habe ihn nur für Sie eingerichtet«, sagte ich; »Sie müssen hier gerechterweise der Herr sein; dem Opferpriester steht die Verfügung über den Tempel zu.« Durch diese Geschicklichkeit habe ich den Erwägungen vorgebeugt, die der stets verdächtige Besitz eines kleinen Hauses ihm hätte zeigen können. Ich kenne ihn gut genug, um gewiß zu sein, er werde es nur meinetwegen benutzen; und ich, wenn ich Lust bekäme, ohne ihn hinzugehn, habe ich ja noch einen zweiten Schlüssel. Er wollte mit aller Gewalt einen Tag bestimmt haben zum Wiederkommen; aber ich liebe ihn noch zu sehr, als daß ich ihn so rasch abnützen möchte. Ausschweifungen darf man sich nur mit Leuten gestatten, die man bald verlassen will. Er weiß das nicht; zu seinem Glück aber weiß ich es für zwei.

Ich merke, daß es drei Uhr früh ist und daß ich einen Band geschrieben habe, während ich vorhatte, nur ein Wort zu schreiben. Das ist der Zauber vertrauender Freundschaft. Er macht, daß Sie mir noch immer am liebsten sind; aber allerdings, der Ritter reizt mich mehr.

…, am 12. August 17**

Elfter Brief Die Präsidentin Tourvel an Frau von Volanges

Ihr strenger Brief hätte mich erschreckt, gnädige Frau, hätte ich nicht zum Glück hier mehr Anlaß zur Sicherheit gefunden, als Sie mich fürchten lassen. Dieser fürchterliche Herr von Valmont, der der Schrecken aller Frauen sein soll, scheint seine mörderischen Waffen niedergelegt zu haben, ehe er dies Schloß betrat. Es liegt ihm sehr fern, hier Pläne zu schmieden; er hat sogar nicht einmal Ansprüche mit hergebracht; und seine Eigenschaft als liebenswürdiger Mann, die sogar seine Feinde ihm lassen, verschwindet hier fast, und es bleibt ihm nichts übrig als ein gutmütiger Mensch. Offenbar hat die Landluft dies Wunder vollbracht. Was ich Ihnen versichern kann: ihm, der immerfort mit mir zusammen ist und daran Gefallen zu finden scheint, ist kein Wort entschlüpft, das an Liebe erinnerte, keine der Wendungen, die alle Männer sich erlauben, ohne wie er das Nötige zu ihrer Rechtfertigung zu besitzen. Nie nötigte er mich zu der Zurückhaltung, die jede sich selbst achtende Frau heute einnehmen muß, um die Männer um sie her im Zaum zu halten. Er versteht es, die von ihm geweckte Fröhlichkeit nicht zu mißbrauchen. Er ist vielleicht ein wenig Lobredner; doch ist er’s mit so viel Zartgefühl, daß er die Bescheidenheit selbst an das Lob gewöhnen würde. Kurz, wenn ich einen Bruder hätte, würde ich mir wünschen, er wäre so, wie Herr von Valmont sich hier zeigt. Viele Frauen vielleicht würden sich eine mehr ausgesprochene Galanterie bei ihm wünschen; und ich gestehe, ich weiß es ihm unendlich Dank, daß er mich so richtig zu beurteilen verstanden hat und mich mit ihnen nicht verwechselt. Dieses Bild unterscheidet sich ja allerdings so sehr von dem, das Sie zeichnen; und dennoch könnten alle beide ähnlich sein, wenn man die Zeitpunkte festhält. Er selbst gibt zu, viel Unrecht begangen zu haben, und einiges wird man ihm auch wohl angedichtet haben. Aber ich bin wenig Männern begegnet, die von den anständigen Frauen mit mehr Achtung, fast möchte ich sagen Begeisterung, gesprochen hätten. Sie klären mich darüber auf, daß er wenigstens in dieser Hinsicht nicht täuscht. Sein Benehmen gegen Frau von Merteuil ist Beweis dafür. Er spricht uns oft von ihr; und immer mit so viel Lobeserhebungen und einer so ehrlich anhänglichen Art, daß ich bis zum Empfang Ihres Briefes geglaubt habe, was er zwischen sich und ihr Freundschaft nenne, sei wohl und wahrhaftig Liebe. Ich klage mich an wegen dieses leichtfertigen Urteils, womit ich ein um so größeres Unrecht begangen habe, als er selbst oft Sorge getragen hat, sie zu rechtfertigen. Ich gestehe, daß ich es nur für Schlauheit ansah, was von seiner Seite anständig und ehrlich war. Ich weiß nicht, aber mir scheint, daß jemand, der einer so ausdauernden Freundschaft für eine so achtbare Frau fähig ist, kein ganz verlorener Wüstling ist. Übrigens ist mir unbekannt, ob wir das vernünftige Betragen, dessen er sich hier befleißigt, irgendwelchen Plänen in der Umgebung verdanken, wie Sie vermuten. Es gibt wohl ein paar liebenswürdige Frauen in der Runde: aber er geht wenig aus, nur am Morgen, und dann sagt er, er gehe auf die Jagd. Zwar bringt er selten Wildbret heim; doch versichert er, er sei ungeschickt bei dem Sport. Übrigens kümmert es mich wenig, was er draußen tut; und höchstens würde ich es zu erfahren wünschen, um mich mehr Ihrer Meinung zu nähern oder Sie zur meinigen herüberzuziehen.

In betreff Ihrer Anregung, ich solle mich um die Abkürzung des von Herrn von Valmont hier beabsichtigten Aufenthaltes bemühen, scheint es mir wirklich schwer, seine Tante zu bitten, daß sie ihren Neffen nicht bei sich haben soll, um so mehr, da sie ihn sehr lieb hat. Doch verspreche ich Ihnen, wenn auch nur aus Nachgiebigkeit und nicht, weil ich’s nötig hätte, eine Gelegenheit zu ergreifen und die Bitte, sei es ihr, sei es ihm selbst vorzutragen. Bezüglich meiner selbst ist Herr von Tourvel von meiner Absicht, hier bis zu seiner Rückkehr zu bleiben, unterrichtet und würde sich mit Recht wundern, wenn ich davon so ohne weiteres abginge.

Das sind nun, gnädige Frau, recht lange Darlegungen; doch habe ich der Wahrheit ein Herrn von Valmont günstiges Zeugnis zu schulden geglaubt, und eines, dessen er mir bei Ihnen sehr zu bedürfen scheint. Darum bin ich aber nicht weniger empfänglich für die Freundschaft, die Ihnen Ihre Ratschläge eingegeben hat. Ihr verdanke ich auch, was Sie mir anläßlich des Verzuges in der Heirat Ihres Fräulein Tochter Verbindliches sagen. Ich danke Ihnen dafür ganz aufrichtig: doch wieviel Vergnügen ich mir auch davon verspreche, diese Augenblicke mit Ihnen zu verbringen, würde ich sie doch von Herzen gern dem Wunsch opfern, Fräulein von Volanges früher glücklich zu wissen – wenn sie es je in höherem Maße sein kann als bei einer aller ihrer Zärtlichkeit und Achtung so werten Mutter. Ich teile mit ihr diese beiden Gefühle, die mich Ihnen verbinden, und bitte Sie, die Versicherung dieser Gefühle gütig aufzunehmen.

Ich habe die Ehre usw.

…, den 13. August 17**

Zwölfter Brief Cécile Volanges an die Marquise von Merteuil

Mama ist nicht wohl, gnädige Frau; sie geht nicht aus, und ich muß ihr Gesellschaft leisten. Ich kann also nicht die Ehre haben, Sie in die Oper zu begleiten. Ich versichere Sie, es tut mir viel mehr leid um Ihre Gesellschaft als um das Schauspiel. Seien Sie bitte überzeugt davon. Ich habe Sie so lieb! Möchten Sie gütigst dem Herrn Ritter Dancency sagen, daß ich die Sammlung, von der er mir gesprochen hat, nicht habe und daß es mir eine große Freude machen wird, wenn er sie morgen mitbringt? Wenn er heute kommt, wird ihm gesagt werden, wir seien nicht zu Haus, das ist nur, weil Mama niemand empfangen will. Hoffentlich geht es ihr morgen besser.

Ich habe die Ehre usw.

…, den 13. August 17**

Dreizehnter Brief Die Marquise von Merteuil an Cécile Volanges

Es tut mir sehr leid, schönes Kind, daß mir das Vergnügen, Sie zu sehen, versagt sein soll und daß dies solchen Grund hat. Ich hoffe, die Gelegenheit findet sich wieder. Ich entledige mich Ihres Auftrages an den Ritter Danceny, dem es sicher sehr leid tun wird, Ihre Mama krank zu wissen. Wenn sie mich morgen empfangen will, werde ich ihr Gesellschaft leisten. Wir wollen zusammen gegen den Ritter von Belleroche[7] Pikett spielen; und indes wir ihm sein Geld abgewinnen, haben wir dann obendrein noch das Vergnügen, Sie mit Ihrem liebenswürdigen Lehrer, dem ich es vorschlagen werde, singen zu hören. Wenn es Ihrer Mama und Ihnen paßt, für mich und meine zwei Ritter stehe ich ein.

Adieu, schönes Kind; meine Empfehlungen an meine liebe Frau von Volanges. Ich küsse Sie recht zärtlich.

…, den 13. August 17**

Vierzehnter Brief Cécile Volanges an Sophie Carnay

Gestern habe ich Dir nicht geschrieben, liebe Sophie: aber die Ursache war nicht das Vergnügen, das kann ich Dir versichern. Mama war krank, und ich habe sie den ganzen Tag nicht verlassen. Wie ich abends in mein Zimmer gegangen bin, hatte ich zu nichts Lust und bin recht rasch schlafen gegangen, um nur sicher zu sein, daß der Tag aus sei: nie hatte ich einen solangen verbracht. Nicht, daß ich Mama nicht sehr lieb hätte; aber ich weiß nicht, was es war. Ich sollte mit Frau von Merteuil in die Oper gehen; der Ritter Danceny sollte dort sein. Du weißt ja, das sind die beiden, die ich am liebsten mag. Als die Stunde, zu der ich auch hätte dort sein müssen, gekommen war, wurde mir das Herz gegen meinen Willen beklommen. Bei allem war ich mißvergnügt und hab geweint und geweint und konnte es nicht lassen. Zum Glück war Mama zu Bett und konnte mich nicht sehen. Ich weiß ganz sicher, daß es dem Ritter Danceny auch leid getan hat; aber ihn wird das Schauspiel und die vielen Leute davon abgelenkt haben: das ist ganz was anderes.

Zum Glück geht es Mama heute besser, und Frau von Merteuil kommt mit jemand anderem und mit dem Ritter Danceny. Aber sie kommt immer sehr spät, die Frau von Merteuil, und wenn man solange ganz allein ist, das ist furchtbar langweilig. Es ist erst elf Uhr. Allerdings muß ich Harfe spielen; und dann wird mein Anzug mir etwas Zeit wegnehmen, denn heute will ich gut frisiert sein. Ich glaube, Mutter Perpetua hat recht, und man wird gefallsüchtig, sobald man unter Leuten ist. Nie habe ich so viel Lust gehabt, hübsch zu sein, wie seit ein paar Tagen, und ich finde, ich bin es nicht so sehr, wie ich glaubte; und dann verliert man viel neben den Frauen, die Rot auflegen. Zum Beispiel Frau von Merteuil, bei der sehe ich wohl, daß alle Männer sie hübscher finden als mich. Das tut mir weiter nicht weh, weil sie mich gern hat; und dann sagt sie bestimmt, daß der Ritter Danceny mich hübscher findet als sie. Es ist sehr anständig von ihr, daß sie mir das gesagt hat! Sie sah sogar aus, als freute es sie. Das verstehe ich nun zwar gar nicht. Es muß wohl sein, weil sie mich so gern hat! Und er! … Oh! Das macht mir recht sehr Vergnügen! Es kommt mir aber auch vor, als ob einer vom Ansehen immer schöner wird. Ich würde ihn immer ansehen, wenn ich nicht Angst hätte, seinen Augen zu begegnen; denn jedesmal, wenn mir das passiert, bringt es mich aus der Fassung und verursacht mir eine Art Pein; aber das tut nichts.

Leb wohl, liebe Freundin, ich gehe nun ans Ankleiden. Ich habe Dich lieb wie gewöhnlich.

Paris, den 14. August 17**

Fünfzehnter Brief Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil

Es ist sehr anständig von Ihnen, daß Sie mich nicht meinem traurigen Geschick überlassen. Das Leben, das ich hier führe, ermüdet wirklich durch das Übermaß seiner Ruhe und seine fade Gleichförmigkeit. Wie ich Ihren Brief und die Einzelheiten aus Ihrem reizenden Tage las, war ich zwanzigmal versucht, ein Geschäft vorzuschützen, zu Ihren Füßen zu fliegen und Sie dort zu meinen Gunsten um eine Untreue gegen Ihren Ritter zu bitten, der schließlich sein Glück nicht verdient. Wissen Sie, daß Sie mich eifersüchtig auf ihn gemacht haben? Was reden Sie mir von ewigem Bruch? Ich schwöre es wieder ab, dieses im Wahnsinn gesprochene Gelöbnis. Wir wären nicht wert gewesen, es abzulegen, wenn wir es hätten halten können. Ach, könnte ich eines Tages in Ihren Armen mich für den unwillkürlichen Ärger rächen, den des Ritters Glück mir verursacht hat! Ich bin empört, ich gestehe es, wenn ich denke, daß dieser Mensch, ohne seinen Verstand anzustrengen, ohne sich die geringste Mühe zu geben, bloß indem er einfältig seinem Herzenstriebe folgt, ein Glück findet, das ich nicht erreichen kann. Ich werde es aber stören! … Versprechen Sie mir, daß ich es stören soll. Fühlen Sie selbst sich nicht gedemütigt? Sie nehmen sich die Mühe, ihm was vorzumachen, und er ist glücklicher als Sie. Sie meinen, er ist in Ihren Ketten! Nein, sondern Sie sind in seinen. Er schläft ruhig, während Sie für sein Vergnügen die Nacht durchwachen. Was könnte seine Sklavin noch mehr tun?

Hören Sie, schöne Freundin, solange Sie sich unter mehrere verteilen, fühle ich nicht die leiseste Eifersucht; ich sehe dann in Ihren Liebhabern nur die Nachfolger Alexanders, unfähig, alle zusammen das Reich zu erhalten, über das ich als einziger geherrscht habe. Aber daß Sie sich einem von ihnen ganz geben! – daß es einen andern Mann gibt, so glücklich wie ich! –, das werde ich nicht dulden; Sie müssen nicht hoffen, daß ich das dulde. Entweder nehmen Sie wieder mich, oder nehmen Sie wenigstens einen andern; und verraten Sie nicht durch die ausschließliche Laune für einen die unverletzliche Freundschaft, die wir uns geschworen haben.

Es ist wahrhaftig ganz genug, daß ich mich über die Liebe zu beklagen habe. Sie sehen, ich gehe auf Ihre Anschauungen ein und gestehe mein Unrecht zu. Allerdings, wenn es verliebt sein heißt, daß man nicht leben kann, ohne zu besitzen, was man begehrt, daß man ihm seine Zeit, seine Vergnügungen, sein Leben opfert, dann bin ich wirklich verliebt. Drum bin ich aber noch am selben Fleck. Ich hätte Ihnen in dieser Hinsicht überhaupt nichts mitzuteilen, wäre nicht ein Ereignis, das mir viel zu denken gibt und von dem ich noch nicht weiß, ob ich es fürchten soll oder etwas von ihm hoffen.

Sie kennen meinen Jäger, einen Schatz, was Kniffe anlangt, und einen Bedienten ganz wie aus der Komödie. Sie können sich wohl denken, daß er laut Vorschrift sich in die Kammerfrau zu verlieben und die Dienstleute betrunken zu machen hatte. Der Schlingel ist glücklicher als ich; er hat schon Erfolge gehabt. Eben hat er herausbekommen, daß Frau von Tourvel einen ihrer Leute dazu angestellt hat, sich zu erkundigen, was ich treibe, und mir sogar auf meinen Morgenspaziergängen soviel als möglich und unauffällig nachzugehen. Was nimmt die Frau sich heraus? Also die Bescheidenste von allen wagt noch auf sich zu nehmen, was kaum wir uns erlauben würden! Ich schwöre aber… Doch ehe wir an Rache denken für diese weibliche List, wollen wir auf Mittel sinnen, sie zu unserm Vorteil zu wenden. Bisher hatten die Gänge, die der Betreffenden Argwohn einflößen, keinen Zweck; ich muß ihnen einen geben. Das verdient meine ganze Aufmerksamkeit, und ich verlasse Sie, um darüber nachzudenken. Adieu, schöne Freundin.

Noch immer in Schloß …, am 15. August 17**

Sechzehnter Brief Cécile Volanges an Sophie Carnay