Schön, dass du da warst - Nils Mohl - E-Book

Schön, dass du da warst E-Book

Nils Mohl

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Beschreibung

Vor dem Fenster stürzen brennende Flugzeuge ab. Er öffnet den Kühlschrank, Flaschen klappern. Er sagt: Eistee? Wenn Nils Mohl ansetzt, ist es, als ginge man mit seinen Helden am Meer entlang um eine Insel und verliere langsam den Grund unter den Füßen. Oder als tanze man mit dem in die Jahre gekommenen Ehepaar auf dem Wohnzimmerteppich zu einem unhörbaren Walzer. Vier Geschichten wie Bilder von Edward Hopper: –Tanzen gehen –Meerumschlungen –Schön, dass du da warst –Nimm mich huckepack «Das war ein Text, der mir sehr nah war.» Ingo Schulze über «Schön, dass du da warst» beim MDR-Literaturpreis

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Seitenzahl: 46

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Nils Mohl

Schön, dass du da warst

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Tanzen gehenMeerumschlungenSchön, dass du da warstNimm mich huckepackWeitere Werke des AutorsVon den Elefanten sprechen wir späterBirth. School. Work. Death.Es war einmal IndianerlandStadtrandritter
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Tanzen gehen

Er steht im Badezimmer vor dem Spiegel, öffnet die oberen vier Knöpfe seines Hemdes, zieht den Kragen des T-Shirts nach unten und betrachtet die streichholzlange, strichartige Stelle zwischen Schlüsselbein und Brustwarze. Er berührt die Narbe und streicht mit den Fingern darüber hinweg. Die Narbe fühlt sich glatt an, ein bisschen wie Plastik. Wenn er dagegendrückt, verfärbt sie sich. In ein paar Monaten wird er sie vermutlich kaum noch wahrnehmen. Er hat eine ganz ähnliche Narbe am Kinn, seit über fünfzig Jahren schon, und eine viel größere am Unterschenkel. Überhaupt ist sein Körper voll von Narben. Die meisten sind für ihn inzwischen unsichtbar.

Er beugt sich vor, betrachtet seine Augen im Spiegel. Die Pupillen weiten sich ein Stück, dann ziehen sie sich wieder zusammen. Er streicht den Kragen seines T-Shirts glatt, knöpft das Hemd zu, betätigt die Klospülung. Er hat die Toilette nicht benutzt. Die Klospülung betätigt er, weil er nicht möchte, dass seine Frau Verdacht schöpft.

Alwin schaltet das Licht aus und verlässt das Bad. Er weiß an diesem Samstag wenig mit sich anzufangen.

Er könnte im Garten arbeiten, aber es nieselt draußen. Er könnte die Steuererklärung machen, er hat sich extra ein entsprechendes PC-Programm besorgt, und der Rechner läuft auch, doch er ist mit den Gedanken gerade woanders und biegt deshalb auch vom Flur nicht ins Arbeitszimmer ab, sondern landet im Wohnzimmer.

Ob er wieder vor dem Spiegel gestanden habe? Das ist die Frage, die Alwin von Ella, seiner Frau, eigentlich erwartet, aber Ella sagt bloß: Hier, der Sportteil.

Ella sitzt am Wohnzimmertisch, vor ihr ausgebreitet liegt die Zeitung: Geburtsanzeigen, Hochzeitsanzeigen, Todesanzeigen.

Eine Liza mit Zett, murmelt Ella vor sich hin, seltsam sieht das geschrieben aus, ganz ungewohnt.

Alwin nimmt den Sportteil zur Hand, setzt sich Ella gegenüber in den Sessel, liest aber nicht. Er blickt, die Zeitungsseiten auf den Knien, zu Ella und beobachtet, wie diese mit wachen Augen die Spalten mit den Geburts- und Hochzeitsanzeigen abfährt. Sie lacht des Öfteren leise auf oder quittiert hier und da einen ihrer Meinung nach allzu extravaganten Namen mit einem halb verblüfften, halb ironischen: Wie kann man das seinem Kind nur antun!, um dann nach kurzer Pause meist auch noch ein Also wirklich! oder Ist das zu glauben? hinzuzufügen.

Alwin räuspert sich. Er sagt aber nichts. Ella blättert die Seite um. Das Zeitungspapier raschelt. Alwin fragt: Warum schaust du dir das immer an?

Ella ist bei der Seite mit den Todesanzeigen angekommen. Was meinst du? Die Todesanzeigen?

Überhaupt, sagt Alwin, diese Anzeigen eben.

Kann ich nicht erklären, ich gucke, wie alt diese Leute geworden sind, ob man vielleicht jemanden davon gekannt hat …

Ella macht eine Pause, dann sagt sie: Warum nicht?

Sie schaut Alwin an, zuckt mit den Schultern. Alwin schaut zurück. Schon gut, nicht so wichtig, sagt er und blickt zum Fenster. Er sagt: Ich wollte ja eigentlich noch in den Garten, aber …

Alwin beendet den Satz nicht. Ella sagt: Morgen. Sie sagt: Vielleicht ist das Wetter morgen besser. Dann blickt sie wieder auf die Zeitungsseiten, auf die vielen, unterschiedlich großen, schwarz umrandeten Kästchen.

Alwin erhebt sich vom Sessel. Er geht in Richtung Fenster, macht aber nach ein paar Schritten vor dem Regal halt. Ella hat kürzlich die gerahmten Fotos, die dort stehen, neu arrangiert. Alwin betrachtet ein Porträt von sich, das er seit Jahren nicht mehr betrachtet hat. Es zeigt ihn als Mann von knapp dreißig Jahren.

Hier, diese Anzeige zum Beispiel, sagt Ella, da ist eine Frau ums Leben gekommen bei einem Unfall, mit 57.

Alwin starrt auf den Bilderrahmen, das Glas spiegelt die Silhouette seines Kopfes. Alwin lehnt sich mit dem Oberkörper ein Stück zurück, neigt den Kopf, versucht seinen Schattenriss mit dem Umriss des Porträts in Übereinstimmung zu bringen. Ella liest: Es war ein Leben, ausgefüllt mit viel Arbeit, Freude und Erfüllung in 27 wunderbaren Ehejahren. Sie war ein wunderbarer Mensch. Sie war mein Leben.

Alwin nimmt den Bilderrahmen vom Regal, dreht sich zu seiner Frau um. Ella schaut auf, sagt: Ist das nicht schön?

Alwin antwortet nicht. Dann, nachdem er den Rahmen zurück ins Regal gestellt hat, sagt er: Lass uns tanzen gehen. Er steht mit dem Rücken zum Regal, hat den Kopf geneigt, betrachtet die Armlehne des Sessels, das Teppichmuster, wirft dann einen Blick zu Ella. Sie sitzt wie zuvor auf dem Sofa, schaut ihn an. Alwin meint etwas wie Traurigkeit oder vielleicht auch Mitleid in ihren Augen zu lesen. Er wendet seinen Blick ab.

Tanzen gehen? Ella macht eine kurze Pause. Vor oder nach dem Essen?, fragt sie dann.

Alwin tritt einen Schritt zur Seite, stockt in der Bewegung, verlagert das Gewicht zurück auf das Standbein.

Mach dich nur lustig, sagt er und ist über die Schärfe seines Tons selbst ein wenig überrascht. Ruhiger setzt er deshalb noch hinzu: War nur ein Gedanke.

Ella seufzt.

Alwin zieht die Mundwinkel gequält nach oben, geht zum Wohnzimmerfenster. Er sagt: Ich wüsste, ehrlich gesagt, gar nicht, keine Ahnung … Disco, Seniorentanz? Alwin lacht kurz auf: Wo geht man denn heute hin? Wo könnte man denn hingehen? Leute wie wir.